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SPIEGEL-Gespräch „Ich lass’ nur die Kleider weg“ Der Pop-Maler über Comics, Rasterpunkte und ideale Frauen

SPIEGEL: Mr. Lichtenstein, als ein und dritten Generation schmierten auf Stil wird wahrscheinlich immer nach Pop-Künstler der ersten Stunde woll- unaufgespannten Leinwänden herum, Pop aussehen. ten Sie angeblich „so verabscheuungs- beinahe alles war erlaubt. Nur eben SPIEGEL: Eine der rührendsten Anek- würdig“ malen, daß niemand Ihre Bil- nicht, was nach kommerzieller Grafik doten der zeitgenössischen Kunstge- der hätte aufhängen mögen. Das ist aussah. Die meisten Kritiken prophezei- schichte erzählt vom jungen Andy drei Jahrzehnte her, und seit langem ten dann auch, der Spuk werde nach Warhol, der 1961 in der New Yorker reißen sich Sammler wie Museen um sechs Monaten zu Ende sein. Galerie Leo Castelli seine nach Comic Lichtenstein-Werke. Was ist schiefge- SPIEGEL: Statt dessen erzielen Ihre Ar- strips gemalten Bilder vorzeigte und laufen? beiten heute Besucher- und Preisrekor- hören mußte, es hätte gerade schon Lichtenstein: „Verabscheuungswürdig“ de. Ein Problem für Sie? ein anderer Künstler, ein gewisser Roy war natürlich übertrieben. Mir selber Lichtenstein: Ich würde schon gern et- Lichtenstein, ganz ähnliche Arbeiten gefiel es, was ich da machte . . . was völlig Neues anfangen, womit die vorbeigebracht. Warhol ist dann zu SPIEGEL: . . . Gemälde nach Comics Leute Schwierigkeiten hätten. Aber an- Suppendosen und Marilyn-Köpfen und Motiven aus der Werbung . . . scheinend ist es das nicht unbedingt, was übergegangen. Was hätten wohl Sie Lichtenstein: . . . aber genau das war ich tue. Künstlerische Bewegungen bü- getan, wenn Sie als zweiter gekommen das einzige, was damals nicht als hohe ßen eben, allgemein gesprochen, mit wären? Kunst durchging, sondern grell und der Zeit ihre Vitalität ein, obwohl ich Lichtenstein: Gute Frage. Ich weiß es schwer annehmbar wirkte. Die Ab- versuche, das bei meiner Malerei zu ver- nicht. Irgend etwas hätte ich gefunden, strakten Expressionisten der zweiten meiden. ich habe ja auch seitdem nicht nur SPIEGEL: Ist das noch immer ? nach Comic-Vorlagen gemalt. Aber als Lichtenstein: * Vor einem seiner neuen Bilder. Vieles mag nicht so wir- ich drei Wochen später wieder in der Das Gespräch führten die SPIEGEL-Redakteure ken, aber das Prinzip, Motive von außen Galerie vorbeischaute und Andys Bil- Jürgen Hohmeyer und Matthias Matussek. hereinzuholen, ist geblieben, und mein der sah, da war ich wirklich verblüfft:

Aus zweiter Hand stammt alles, was Roy Lichten- stein, 70, auf die Leinwand bringt. In den trivialen Bildwelten von und Werbung be- dient er sich ebenso freizügig wie bei Matisse oder Picasso, um die vorgefundenen Motive dann in unverwechselbare Lichtenstein- Form zu bringen. Bilder des Ma- lers, der Anfang der sechziger Jahre als Mitbegründer der ameri- kanischen Pop Art Skandal mach- te, erzielen mittlerweile Preise bis über eine Million Dollar; das New Yorker Guggenheim Museum hat ihn vor einem Jahr mit einer Großausstellung geehrt – die frei- lich auch auf Kritik stieß. Time: „Triumph der Geschäftigkeit über die Inspiration“. Um Frühwerke ergänzt, wird die Schau nun von Freitag dieser Woche an bis zum 8. Januar 1995 im Münchner Haus der Kunst gezeigt. Dazu er- scheint das Katalogbuch der New Yorker Lichtenstein-Spezialistin Diane Waldman in deutscher Fas- sung (Verlag Gerd Hatje; 408 Seiten; 69 Mark, Buchhandels- ausgabe 128 Mark). N. FEANNY / SABA VG. BILD-KUNST, BONN, 1994 Lichtenstein*, Lichtenstein-Gemälde „Mädchen mit Ball“ (1961): „,Verabscheuungswürdig‘ war übertrieben“

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so ähnlich und ganz unabhängig SPIEGEL: Das typische Spiel von meinen entstanden. der Kunst mit der Illusion. SPIEGEL: Sie waren völlig ah- Lichtenstein: Wie die klassi- nungslos gewesen? schen Künstler, so haben eben Lichtenstein: Ja, wir kannten auch Generationen von Comic- unsüberhauptnicht.Ichwohnte Zeichnern daran gearbeitet, ei- nicht einmal in New York. nen idealen Menschen zu er- SPIEGEL: Ein Walten des Zeit- schaffen, und daraus ist in den geists? sechziger Jahren dieses Kli- Lichtenstein: Offenbar. Jeden- schee entstanden. Alle Co- falls hatte ich Glück, daß Leo mics, die ich besitze und ver- Castelli mich in sein Galeriepro- wende, stammen aus den frü- gramm aufnahm. Aber Andy ist hen Sechzigern. Die von heute dann jaauch ganz gut zurechtge- sehen ganz anders aus. kommen. SPIEGEL: Parallel zu den blon- SPIEGEL: Schon vor Ihrem den Girls haben Sie martiali- Durchbruch zu Pop sollen Sie sche Szenen mit Luft- und See- auf Bildern, die jetzt nicht mehr gefechten von Comics abge- existieren, gelegentlich Comic- malt. Sie waren ja selber noch Figuren schemenhaft in sonst für kurze Zeit Soldat im Zwei- abstrakte Malerei einge- ten Weltkrieg. Spielt diese Er- schmuggelt haben. Trauten Sie innerung in die Bilder hinein? sich noch nicht richtig? Lichtenstein: Ein bißchen,

Lichtenstein: Ich kann Ihnen VG BILD-KUNST, BONN, 1994 aber in einer so dramatischen hier eine Pinselskizze zeigen, Lichtenstein-Gemälde „Wartende Blondine“ (1964) Situation, wie ich sie darstelle, die 1958, noch vor diesen Bil- Komik der unschuldigen Verführerin bin ich nie gewesen. Ich war dern, entstanden ist . . . Kartenzeichner. SPIEGEL: Unverkennbar Donald Duck. viele blonde Beauties vom Typ der – wie SPIEGEL: Immerhin sind Sie damals Lichtenstein: Ja, aber in gewissermaßen Ihre Interpretin Diane Waldman sie be- nach Deutschland gekommen? expressionistischem Stil. Ich wollte mit schreibt – „unschuldigen Verführerin“. Lichtenstein: Ja, wir haben die Russen Klischees, mit Versatzstücken arbeiten Natürlich mokieren Sie sich über das an der Elbe getroffen. wie die Kubisten. Diese Idee hat mich stereotype Image. Kann es trotzdem SPIEGEL: In Torgau? lange beschäftigt, aber erst 1961 bin ich sein, daß der Maler Lichtenstein selber Lichtenstein: Hm. Vielleicht Remagen? damit klargekommen. eine Schwäche für dieses Frauenideal SPIEGEL: Unmöglich, das liegt am SPIEGEL: Seither stellen Sie die Kli- empfand? Rhein. schees auch betont klischeehaft dar: in Lichtenstein: Als Kind habe ich das be- Lichtenstein: Jedenfalls gehörte ich zur plakativen Farben, mit klaren Umrißli- stimmt getan, jetzt finde ich es lustig. 69. Division. nien und mit Rasterpunkten, die Sie aus SPIEGEL: Die Mädchen sind doch so SPIEGEL: Auf einem Ihrer Kriegsbilder der Drucktechnik übernommen haben. schön. von 1963 gibt der Kommandant eines U- Welche Bedeutung hat in dieser Ver- Lichtenstein: Ja, aber sich das anzu- Boots einen Befehl, der Diane Wald- fremdung eigentlich das Bildmotiv? schauen, die schwarzen Linien und die man „rätselhaft“, uns aber einfach Lichtenstein: Ich sehe mich nach Din- Rasterpunkte zu sehen und dann über- deutsch vorkommt: „Torpedo . . . Los!“ gen um, die sich umwandeln lassen und haupt auf die Idee zu kommen, das sähe Woher hatten Sie die Textzeile? die komisch wirken, wenn sie in einem wie ein Mädchen aus, ist erstaunlich. Lichtenstein: Sie muß aus demselben anderen Zusammenhang erscheinen. Das interessiert mich wirklich: wie et- Comic-Heft stammen, wenn auch nicht SPIEGEL: Nur das? Auf Ihren Bildern was in der Vorstellung real wird, wäh- aus derselben Szene, die ich als Bildvor- der sechziger Jahre erscheinen auffällig rend es doch ganz unrealistisch ist. lage benutzt habe.

Lichtenstein-Gemälde „Torpedo . . . Los!“ (1963), Vorlage (l.): Kartenzeichnen an Rhein und Elbe D. C. COMICS VG BILD-KUNST, BONN, 1994

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vornherein abwegig. Was un- terscheidet denn Ihre Werke grundsätzlich von den Vorla- gen, die Sie verwerten? Lichtenstein: Gerade weil sie oft so ähnlich aussehen, stel- len sie die Frage nach der Form. Ihrer Absicht nach und in der Betrachtungsweise sind sie ganz anders. Was die Co- mic-Zeichner tun, das kann gut und interessant sein, aber es ist nicht dasselbe.

D. OTFINOWSKI SPIEGEL: Ihre Malerei und die Wahlkampf-Button von Lichtenstein (1992) ganze Pop Art haben doch „Ich mag den Präsidenten“ wiederum auf die kommer- zielle Grafik eingewirkt? Leute, die das taten, kein Geld für die Lichtenstein: Ja, die meisten Comics Demokratische Partei beschaffen woll- sind jetzt sehr ironisch; 1961 gab es das ten, sondern nur für sich selber. überhaupt nicht. Mir gefällt der Gedan- SPIEGEL: Sonst hätten Sie ja Grund, Co- ke, etwas verändert zurückzubringen. pyright-Verletzungen gegenüber nach- SPIEGEL: Nun haben Sie keineswegs nur sichtig zu sein. Trifft es zu, daß diejeni- Comic-Motive variiert, sondern auch gen Ihrer Bilder, die Mickey Mouse viele Werke der hohen Kunst – Bilder oder Donald Duck zeigen, nur mit Ge- von Picasso, Matisse, Le´ger und vielen nehmigung der Disney Company repro- andern. Was ist das: Huldigung, Par- duziert werden dürfen? odie?

VG BILD-KUNST, BONN, 1994 Lichtenstein: Nein, das müßte zulässig Lichtenstein: Weder – noch. Ich formu- Lichtenstein-Gemälde (1990)* sein. Schließlich haben die Disney-Leu- liere die Bilder in meinem Stil neu. Par- „Die Bildquellen sind unerschöpflich“ te selber zu Mickeys 60. Geburtstag eine odie ist das höchstens in dem Sinn, daß Broschüre mit meinem „Look Mickey“ meine Fassung mit ihren schwarzen Li- SPIEGEL: Sie haben deutsch-jüdische und entsprechenden Motiven von War- nien und Rasterpunkten wie eine Fäl- Vorfahren . . . hol, Oldenburg und anderen herausge- schung aussieht oder wie eine gedruckte Lichtenstein: Ja, der Großvater meines bracht. Ich würde zögern, urheberrecht- Billigversion. Aber ich stelle mir vor, Vaters und der Vater meiner Mutter wa- lich geschützte Comic-Figuren für ein daß Picassos Vela´zquez- und Delacroix- ren aus Deutschland eingewandert. Plakat oder eine Druckgrafik zu ver- Abwandlungen seinerzeit auch wie min- SPIEGEL: Haben Sie als Kind noch etwas wenden, aber ein Gemälde damit halte derwertige Kopien nach alten Meistern an deutscher Sprache aufgeschnappt? ich für legal. gewirkt haben müssen. Nun sind sie al- Lichtenstein: Vereinzelte Brocken, und SPIEGEL: Die Ansprüche der Comic- lesamt ernsthafte Kunst. auch die nur, weil wir 1938, im letzten Zeichner und Verlage sind ja nicht von SPIEGEL: Sie haben so gut wie niemals Augenblick, als das noch möglich war, ein Motiv selber erfunden, sondern im- den Bruder meines Großvaters mit sei- mer nur Kunst über Kunst gemacht. Ist ner Frau und dem Sohn herübergeholt das in Ihren Augen eine Schwäche? haben. Lichtenstein: Ich meine, es gibt nur SPIEGEL: Bereitet es Ihnen kein Unbe- Kunst über Kunst. hagen, nun in dem Gebäude in Mün- SPIEGEL: Sie kann nur ewig sich selber chen auszustellen, das einmal Hitlers zitieren? Ist das nicht ihr Ende? „Haus der Deutschen Kunst“ war? Lichtenstein: Mir würde die Vorstellung Lichtenstein: Nein. Vielleicht sollte es schon gefallen, daß es nach meiner das. Aber das ist eine auf fremdartige Kunst keine mehr gäbe. Aber das ist, Weise interessante Architektur. Und ich glaube ich, nicht der Fall. Die Bildquel- glaube, was in Deutschland geschehen len sind unerschöpflich. ist, hätte fast überall geschehen können. SPIEGEL: Was ist persönlich an Ihrer SPIEGEL: Sie sind ein politisch engagier- Malerei – und was Handlanger-Arbeit? ter Künstler. Vor zwei Jahren haben Sie Lichtenstein: Meine Assistenten span- für Bill Clintons Wahlkampagne einen nen Leinwände und grundieren sie, und ovalen Ansteckknopf mit dem „Oval sonst bringen sie nur Punkte und Schraf- Office“ des Weißen Hauses entworfen. furen auf von mir abgegrenzten Flächen Stehen Sie noch zu dem Präsidenten? an. Natürlich male ich die ganze Sache. Lichtenstein: Ich mag ihn. Er ist be- Obwohl meine Bilder eine Art Massen- stimmt nicht vollkommen, aber er ver- produktion symbolisieren, haben sie sucht jedenfalls, das Richtige zu tun. doch einen unverwechselbaren Stil, der SPIEGEL: Um den Knopf gab es juristi- nur einer Person gehört. schen Streit? SPIEGEL: Und die ist demnach gut be- Lichtenstein: Ja, es wurden Nachah- schäftigt? mungen in Umlauf gebracht, und das Lichtenstein: Ja, ich arbeite praktisch mußte unterbunden werden, weil die jeden Tag und den ganzen Tag – außer

VG BILD-KUNST, BONN, 1994 ich werde interviewt. * Oben: „Reflexionen über Pinselstriche“; unten: Lichtenstein-Plastik (1981)* SPIEGEL: Es gibt ein Motiv in Ihrer Ma- „Pinselstrich“. „Ein Sinnbild der Kunst“ lerei, das immer wieder als sarkastischer

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Hinweis auf den Abstrakten Expressio- Die Auszeichnungen galten einem nismus gedeutet worden ist: ein großer, Hörspiel akustischen Experiment: „Radio Infer- schwungvoller, aber wie gefroren wir- no“ versucht, Dantes Höllenvision aus kender Pinselstrich. Tatsächlich stammt der „Göttlichen Komödie“ ins späte auch er aus einem Comic. Was hat es al- 20. Jahrhundert zu übersetzen. Ammer so damit auf sich? Adorno nimmt schon bei der Besetzung das Lichtenstein: Der erste dieser Gegenwartsgerede von der „Unter- „“ zeigte sogar noch die welt“ beim Wort: Underground-Hel- Hand, die den Pinsel hält, wie auf dem plus Hendrix den wie der britische Rundfunkmode- Comic. Doch dann dachte ich, für sich rator John Peel und der deutsche Vor- allein wäre das Motiv noch interessanter Mit Pop-Collagen für den Rundfunk zeige-Gruftpoet Blixa Bargeld („Ein- – mehr ein Sinnbild für Kunst über- erwarb sich der Münchner Andreas stürzende Neubauten“) zitieren Dante- haupt. sche Textfetzen in italienischer, engli- SPIEGEL: Statt für einen bestimmten Ammer internationalen Ruhm – nun scher und deutscher Sprache. Zeitstil? vertont er die Apokalypse. „Radio Inferno“, bei Rough Trade Lichtenstein: An den Abstrakten Ex- als CD erschienen, ist ein ebenso klu- pressionismus habe ich zuerst gar nicht ges wie komisches Pop-Patchwork aus gedacht. Ich wollte ausdrücken, daß die reil Marcus, Amerikas bester Pop- Schlagern und Opernklängen, Original- Meisterschaft des Pinselstrichs zur Tra- kritiker, geriet ins Staunen: „Der tönen von RAF-Terroristen und dition gehört, von der venezianischen Gschiere Größenwahn“ sei hier am James-Joyce-Zitaten, eine schelmische Schule über Rembrandt bis zu van Werk, befand der Mann – und dann ver- Horrorshow: „Die Hölle ist ein Buch Gogh. Sie alle demonstrieren dem suchte er die Platte, die er zur besten von Dante“, heißt es zu Beginn, „der Betrachter ihre Handschrift, aller- des Monats erkoren hatte, ein wenig Himmel ist ein Meer von Frequenzen.“ dings haben die Abstrakten Expressio- hilflos zu erklären. Und wenn die beiden Unterwelt-Touri- nisten das dann auf den Höhepunkt ge- trieben. SPIEGEL: Bei Ihnen hingegen wirkt der Pinselstrich so konstruiert und verfrem- det wie jedes andere Bildelement . . . Lichtenstein: . . . ja, und besonders mag ich ihn als Skulptur, wenn er also noch fester wird. SPIEGEL: In einigen Ihrer neueren Ar- beiten tauchen aber auch viel lockerer gemalte Partien auf, die an Ihre Früh- werke vor 1961 erinnern und die oft eine Art Kampf mit hart konstruierten For- men auszutragen scheinen. Bricht da nach drei Jahrzehnten der Schablonen, der Rasterpunkte und reinen Farben die Sehnsucht nach einer freien, entspann- ten Malweise durch? Lichtenstein: Ein solches Bedürfnis hat- te ich wirklich. Nur sind auch diese Pin- selstriche sehr überlegt gesetzt. Ich liebe die Freiheit, sie so oder so zu machen. Ich will beides.

SPIEGEL: Hier in Ihrem Atelier hat nun W. M. WEBER noch ein ganz anderes, bei Ihnen bislang Radio-Künstler FM Einheit, Hacke, Ammer: Schelmische Horrorshow unbekanntes Genre seine Premiere: weibliche Akte. Kommen die auch aus „Am Anfang ist es lustig“, schrieb sten Dante und Vergil im vierten Höl- Comic-Heften? Marcus, „am Ende auch. Auf dem lenkreis den Geizhälsen und Praßsüch- Lichtenstein: Ja, ich lasse nur die Klei- Weg dazwischen passieren die seltsam- tigen beim Steineschleppen zusehen, der weg. Normalerweise suche ich Figu- sten Dinge.“ ertönt der Temptations-Evergreen ren in Badeanzügen aus, bei denen man Die CD stammt aus deutscher Pro- „Papa Was A Rolling Stone“. schon etwas von der Anatomie sehen duktion. Mit „Radio Inferno“, so der Ammer und Einheit, die gekonnt kann. Übrigens bin ich auch durchaus Titel des Werks, fanden der Autor An- auf den Ätherwellen des Kommunika- imstande, so etwas ohne Vorlage zu dreas Ammer und der Tonkünstler FM tionszeitalters surfen, rüsten nun zu ei- zeichnen. Einheit auch anderswo spektakuläre nem neuen Streich beim Zappen durch SPIEGEL: Sind noch mehr nackte Mäd- Resonanz: Beim Radiowettbewerb des den akustischen Cyberspace. Am Frei- chen von Ihnen zu erwarten? „New York Festivals“ 1994 erhielt tag dieser Woche wollen sie im Lichtenstein: Ich glaube schon. Aber „Radio Inferno“ die Goldmedaille in Münchner Marstalltheater ihr Hörstück wieso Mädchen? Meine Mädchen sind der Kategorie „Best Drama Special“, „Apokalypse Live“ uraufführen. Aber- eigentlich Männer, die mit gewissen beim „Prix Italia“ in Turin immerhin mals hat sich Ammer an einen soge- Operationen und Hormonen traktiert eine lobende Erwähnung – und beim nannten großen Text gewagt: Nach worden sind. Für mich sind sie das Ge- international wichtigen Audiokunst- Dante vertont er die Bibel, auf die genteil von sexy, weil so gar nichts Wettbewerb in Tokio gewann das Duo Hölle folgt die Offenbarung des Johan- Wirkliches an ihnen ist. dieses Jahr den mit 1,5 Millionen Yen nes. SPIEGEL: Mr. Lichtenstein, wir danken (24 000 Mark) Preisgeld verknüpften Er wolle Texte weder in Klänge Ihnen für dieses Gespräch. Y „Morishige Award“. übersetzen noch sie zertrümmern, sagt

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