nrormouon und Dokumentation International Communication Agency Embassy of the United States of America

25 30. Juni 1982

INHALT t • INFORMATION Außenminister Haig zurückgetreten, Shultz zum Nachfolger nominiert - Erklärungen Reagans und Haigs -

Ein neuer Anfang in Genf - Erklärung des US-Delegationsleiters zu den START-Verhandlungen -

DOKUMENTATION Der neue Sicherheitsrahmen der NATO - Vortrag von US-Unterstaatssekretär Burt vor der Friedrich-Ebert- Stiftung -

HINTERGRUNDMATERIAL George Shultz - designierter Außenminister der Vereinigten Staaten

Edward L. Rowny - Delegationsleiter bei den Genfer START-Verhandlungen

Washington sieht in neuen Sanktionen nichts überraschendes - Von unserem Korrespondenten Thomas Eichler -

WIRTSCHAFT US-Finanzminister rechnet mit Konjunkturauftrieb nach dem 1. Juli

US-Regierung befürwortet kommerzielle Produktion synthetischer Brennstoffe

Um Uber/endung von Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 DckgcKcmplofcn D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 wird gebeten 25 30. Juni 1982

AUSSENMINISTER HAIG ZURÜCKGETRETEN, SHULTZ ZUM NACHFOLGER NOMINIERT

- Erklärungen Reagans und Haigs -

WASHINGTON - (AD) - Präsident Reagan gab am 25. Juni 1982 "mit großem Bedauern" den Rücktritt von Außenminister Alexander Haig bekannt und schlug George P. Shultz als dessen Nachfolger vor.

Vor der Presse gab Präsident Reagan dazu folgende Erklärung ab:

Meine Damen und Herren,

Ich möchte eine sehr kurze Bekanntgabe machen und ich werde anschließend keine Fragen beantworten. Für nächste Woche ist eine Pressekonferenz vorgesehen.

Es handelt sich um eine Bekanntgabe, die ich mit großem Bedauern vornehme - es handelt sich um ein Mitglied unserer Administration, das diesem Lande 40 Jahre lang weit über die normale Pflichterfüllung hinaus gedient hat; das mir gut und treu gedient hat, dessen Weisheit und Rat ich geachtet und bewundert habe, seit unsere Administration im Amt ist, das aber jetzt zurücktritt und nach all

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 nach all dieser großen Zeit zurücktritt und aus dem Regierungsdienst ausscheidet. Ich habe mit großem Bedauern den Rücktritt von Außenminister AI Haig angenommen.

Ich nominiere zu seinem Nachfolger - und dieser hat angenommen - George Shultz. Das ist der Inhalt der Bekanntmachung. Und ich wiederhole, ich tue dies mit großem Bedauern.

Das Schreiben des Präsidenten an Außenminister Haig, in dem er dessen Rücktritt angenommen hat, hat folgenden Wortlaut:

Lieber AI,

Mit dem tiefsten Bedauern nehme ich Ihr Rücktrittsschreiben an. Fast 40 Jahre lang haben Sie sich dem Dienst an unserem Lande verschrieben. In diesem Zeitraum wurde Ihre Karriere durch eine Folge von Posten gekennzeichnet, die das höchste Maß an persönlichem Opfer, Mut und Führungsstil verlangen. Als Soldat und Staatsmann haben Sie angesichts von Herausforderungen enormer Komplexität und Gefahr ein Maß an Brillianz und Leistung gezeigt, das in unserer Geschichte selten erreicht wurde. Bei jeder Gelegenheit haben Sie eine geistige Qualität bewiesen, die von entscheidender Bedeutung für die Lösung der schmerzlichsten Probleme waren, vor denen wir in der letzten Generation standen - Abschluß des Vietnamkrieges, Übergang der Exekutivgewalt in einer Zeit des nationalen Traumas und in jüngerer Zeit Frieden unter Nationen.

Die Nation steht tief in Ihrer Schuld. Wenn Sie die Regierung verlassen, möchte ich Sie meiner tiefen persönlichen Wertschätzung versichern und Ihnen im Namen des amerikanischen Volkes meinen Dank und meine Achtung aussprechen. Sie haben die große Freundlichkeit, weiterhin Ihren Rat anzubieten und Sie dürfen versichert sein, daß ich in den nächsten Jahren auf Sie zurückkommen werde. Nancy schließt sich meinen herzlichsten persönlichen Wünschen für Sie und Pat an.

Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Haig verlas Haig verlas vor Mitarbeitern im amerikanischen Außenministerium sein Rück­ trittsschreiben an Präsident Reagan, nachdem dieser den Rücktritt Haigs bekannt­ gegeben hatte. Haig machte im Außenministerium folgende Ausführungen:

Meine Damen und Herren,

ich möchte Ihnen den Wortlaut des Schreibens verlesen, das ich heute an Präsident Reagan gerichtet habe.

Sehr geehrter Herr Präsident,

Ihr Amtsantritt am 20. Januar 1981 brachte eine Chance für eine neue, zukunftsorientierte Außenpolitik auf den Eckpfeilern von Stärke und Mitgefühl. Ich glaube, wir teilten eine Auffassung von Amerikas Rolle in der Welt als Führer freier Menschen und Inspiration für alle. Wir waren einig, daß Folge­ richtigkeit, Klarheit und Beharrlichkeit der Zielsetzung für den Erfolg wesent­ lich seien. In diesem Geiste verpflichtete ich mich, Ihnen als Außenminister zu dienen.

In den letzten Monaten ist mir klargeworden, daß die Außenpolitik, die wir zusammen eingeschlagen haben, von dem sorgsamen Kurs abwich, den wir abgesteckt hatten. Unter diesen Umständen halte ich es für notwendig, Sie um die Annahme meines Rücktritts zu bitten. Ich werde immer das Vertrauen zu schätzen wissen, das Sie in mich gesetzt haben. Es war eine große Ehre, in Ihrer Administration dienen zu dürfen und ich wünsche Ihnen für die Zukunft allen Erfolg,

Mit vorzüglicher Hochachtung

gez. Alexander Haig

Ich freue mich außerordentlich, meine Damen und Herren, daß Mr. Shultz, ein alter Freund, den ich seit Jahren kenne, das Ersuchen des Präsidenten angenommen hat, meinen Posten zu übernehmen. Was ich selbst von George (Shultz) weiß, und seine Erfahrung, sein berufliches Können und seine Integrität wecken in mir

- 3 - in mir das höchste Vertrauen, daß unserem Land, dem amerikanischen Volk und unserem Präsidenten mit seiner Amtsübernahme gut gedient ist.

Während der letzten 18 Monate habe ich stets eine ganz tiefe Hochachtung und Bewunderung der Fähigkeiten und Hingabe der Mitarbeiter im Auswärtigen Dienst und der Angestellten des Außenministeriums gehegt. Sie sind und bleiben absolute Spitze.

Ich habe meine Mitarbeiter hier im Ministerium gebeten, dem Präsidenten und meinem Nachfolger so fähig und loyal zu dienen, wie sie mir gedient haben, und mehr als das kann das amerikanische Volk nicht verlangen.

Ich habe dem Präsidenten darüber hinaus versichert, daß ich so lange auf meinem Posten bleiben werde, wie dies notwendig ist, um eine geordnete Übergabe an meinen Nachfolger sicherzustellen.

Und schließlich, meine Damen und Herren von der Presse, möchte ich jedem von Ihnen für den Professionalismus und die Objektivität danken, die Sie mir und den Geschäften des Ministeriums gegenüber an den Tag gelegt haben, und Sie dazu beglückwünschen, wenn Sie Ihre Rolle im Dienste des amerikanischen Volkes er­ füllen.

Ich danke Ihnen.

+++++ 25 30. Juni 1982

EIN NEUER ANFANG IN GENF

Erklärung des US-Delegationsleiters zu den START-Verhandlungen

GENF - (AD) - Der Beginn der amerikanisch-sowjetischen Verhandlungen Über eine Verringerung der strategischen Rüstungen - kurz START genannt - stellen einen neuen Anfang in den Bemühungen der Vereinigten Staaten um Rüstungskon­ trolle auf strategischem Gebiet dar, die seit vielen Jahren andauern. START baut zwar auf dem SALT-Prozeß auf (SALT = Strategie Arms Limitations Talks = Verhandlungen über die Begrenzung der strategischen Rüstungen), geht jedoch von völlig neuen Vorschlägen von Präsident Reagan aus, die die amerikanische Verhandlungsdelegation unter Leitung von Botschafter Edward Rowny mitgebracht hat.

Reagan, der das nicht ratifizierte SALT II-Abkommen kritisierte, war mit Begrenzungen nicht zufrieden, sondern wollte einen dramatischen Abbau der ge­ fährlichen strategischen Waffen. Auf der anderen Seite würde ein Einfrieren oder Moratorium, wie es die Sowjetunion vorschlägt, den gegenwärtigen hohen Stand der Rüstung und damit die sowjetische Überlegenheit festschreiben. Moskau hätte praktisch keinen Anreiz, an den Verhandlungstisch zu kommen.

Generalsekretär Breschnew

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 Generalsekretär Breschnew hat den amerikanischen Vorschlag, in einer ersten Phase die Zahl der interkontinentalen Gefechtsköpfe um ein Drittel zu senken und dann über weitere Verringerungen der Raketenkapazität zu sprechen, zwar als schief, aber doch als einen Schritt in die richtige Richtung be­ zeichnet. Nach amerikanischer Auffassung ist der Vorschlag des Präsidenten jedoch ausgewogen und bietet auch der Sowjetunion viele Vorteile. Daher gehen die Vereinigten Staaten, wie ihr ChefUnterhändler sagte, mit Hoffnung in diese Verhandlungen.

"Ich freue mich", so erklärte Botschafter Edward Rowny am 26. Juni 1982 bei seiner Ankunft in Genf, "den Sowjets die Vorschläge von Präsident Reagan für eine wesentliche Verringerung der strategischen Nuklearwaffen auf einen gleichen Stand vorzulegen. Ich bin der festen Überzeugung, daß unsere Vorschläge eine Chance für unsere beiden Länder bieten, sich in dem ernsthaften Bemühen zu vereinen, die Drohung eines Atomkrieges zu verringern.

Wir werden wesentliche, verifizierbare Verringerungen der am meisten destabilisierenden Systeme, d.h. der ballistischen Raketen wie auch der Zahl der Gefechtsköpfe, die sie mitführen, sowie ihres Zerstörungspotentials, vor­ schlagen. Der durch ein solches Abkommen erreichte Gleichstand auf niedrigerer Ebene kann nur zur Stabilität beitragen.

Botschafter Paul Nitze, der die Delegation bei den Verhandlungen über nukleare Mittel Streckensysteme (INF) leitet, und ich werden eng zusammenarbeiten. START und INF zusammen mit den Wiener Verhandlungen über eine Verringerung der konventionellen Streitkräfte (MBFR) sowie unser Streben nach einem Verbot chemischer Waffen hier in Genf stellen eine breitangelegte, ernsthafte Bemühung der Vereinigten Staaten dar, für Frieden und Stabilität in der Welt zu arbeiten. Ich habe kürzlich hier in Europa Konsultationen mit einer Reihe unserer Ver­ bündeten und mit dem Nordatlantikrat geführt. Ich habe starke Unterstützung für unsere START-Vorschläge gefunden.

Ich komme Ich komme mit keinerlei Illusionen hierher, daß die Aufgabe leicht sein könnte. Aber wir kommen mit einem guten, gerechten Vorschlag und mit gutem Glauben, daß die sowjetische Seite es uns gleichtun wird. Wir hoffen, zu einem Abkommen gelangen zu können, das zum Segen der ganzen Menschheit sein wird."

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- 3 - 25 30. Juni 1982

DER NEUE SICHERHEITSRAHMEN DER NATO Vortrag von US-Unterstaatssekretär Burt vor der Friedrich-Ebert-Stiftung -

BONN - (AD) - Der Unterstaatssekretär für Europäische Angelegenheiten im amerikanischen Außenministerium, Richard R. Burt, hat auf einer Arbeits­ tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn am 26. Juni 1982 ausführlich zu den Problemen des Atlantischen Bündnisses Stellung genommen und erneut die Notwendigkeit eines gemeinsamen Sicherheitsrahmens unterstrichen.

Die Rede des Unterstaatssekretärs hat folgenden Wortlaut:

Ich möchte der Friedrich-Ebert-Stiftung danken, daß sie die Reihe der schon zur Tradition gewordenen Arbeitstagungen über die europäisch-amerika­ nische Sicherheit fortführt. Ihre Initiative, führende Politiker und Sicher­ heitsexperten von beiden Seiten des Atlantik zusammenzubringen, ist in die­ ser Zeit neuer Herausforderungen für die Sicherheitsinteressen des Bündnisses von besonderer Wichtigkeit.

In diesem Jahr findet diese Tagung zu einem besonders geeigneten Zeit­ punkt statt. Sie schließt sich unmittelbar an eine Periode ungewöhnlich kon­ zentrierter und produktiver Aktivitäten innerhalb des Bündnisses an. Vor einem Jahr war das Bündnis in tiefgehende Diskussionen und gelegentlich hit­ zige Debatten über den künftigen Kurs der Sicherheitspolitik des Westens verstrickt. Auf dieser Seite des Atlantik kritisierten viele Europäer die neue amerikanische Administration, daß sie die Besorgnisse ihrer Verbündeten

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 8-85432 ihrer Verbündeten nicht beachte. Sie gaben der Befürchtung Ausdruck, die Vereinigten Staaten neigten einem "weltweiten Unilateralismus", einem "Neo­ Isolationismus" oder Schlimmerem zu. In den Vereinigten Staaten war die Kritik an unseren europäischen Verbündeten ebenso vernehmbar. Man beschul­ digte die Europäer, sie seien in einer Kirchturmspolitik befangen, nicht willens, die Verteidigungslasten zu" tragen und unfähig, die Bedrohung aus dem Osten zu begreifen.

Beobachter auf beiden Seiten des Atlantik versicherten, der Westen ermangele einer Gesamtstrategie, um so unterschiedliche Aktivitäten wie Abrüstungsverhandlungen, die Beilegung von Krisen in der Dritten Welt und Maßnahmen gegen die politische und wirtschaftliche Instabilität in Osteu­ ropa zu einem Ganzen zu integrieren. Einige gingen sogar so weit zu behaup­ ten, die Interessen der atlantischen Völker gingen inzwischen so weit aus­ einander, daß es nicht mehr möglich sei, eine gemeinsame Grundlage für dies­ bezügliche Bündnisanstrengungen zu finden.

Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben jedoch gezeigt, daß das Grundge- füge der NATO und der atlantischen Partnerschaft fest sind. Präsident Reagans Europa-Reise und der Bonner Gipfel zeigten, wie erfolgreich sich der Westen den im Wandel begriffenen Verhältnissen anzupassen versteht. Die Intensität der transatlantischen Debatte vom vergangenen Jahr ist ein Spiegelbild der Wichtigkeit der Probleme, vor die wir uns gestellt sehen. Die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr zeigen" aber auch einmal mehr, daß die NATO ihre Stär­ ke gerade aus der Vielfalt zieht." Dieser Prozeß der Debatten, Diskussionen und Konsultationen führte somit nicht zu einem Durcheinander, sondern wies vielmehr auf einen neuen Konsens bezüglich der Sicherheitspolitik des Westens hin. Wichtig ist, die Elemente dieses neuen" Konsens zu definieren, damit wir gemeinsam darangehen können, ihn noch zu vertiefen.

Die Hauptelemente dieses Konsens spiegeln die großen Fragen wider, die während der letzten 12 Monate unter den NATO-Mitgliedsstaaten zur Erörterung gestanden haben: - Bestätigung, daß

- 2 - - Bestätigung, daß die Aufrechterhaltung des militärischen Gleichge­ wichts die Grundlage für die Diplomatie der Verbündeten sein muß.

- Erneute Entschlossenheit, konstruktivere Beziehungen zur Sowjetunion anzustreben - allerdings in klarerer Erkenntnis der Grundvoraussetzungen für einen Erfolg des Westens.

- Übereinstimmung über einen neuen Ansatz zur Rüstungskontrolle, der mit unseren militärischen Anstrengungen vereinbar und diesen förderlich ist und darauf abzielt, eine echte Verminderung des Maßes der militärischen Kon­ frontation zwischen Ost und West herbeizuführen.

- Tieferes Verständnis für die Zusammenhänge zwischen den Bündnisinter­ essen und Entwicklungen in anderen Teilen der Welt.

- Größere Aufgeschlossenheit für die praktischen Realitäten unserer Part­ nerschaft, einschließlich einer breiteren Mitwirkung aller Verbündeten an Ent­ scheidungen, die die Interessen des Bündnisses berühren.

Dieser Konsens bietet den Rahmen für unsere gemeinsamen Anstrengungen, den schwierigen Herausforderungen der achtziger Jahre zu begegnen. Er beruht auf gemeinsamen Wertvorstellungen und Zielen. Er geht davon aus, daß unsere Entschlossenheit, unsere demokratische Lebensform zu verteidigen, das Funda­ ment unserer Partnerschaft bleibt.

Er beruht aber auch auf der Einsicht, daß wir nicht damit rechnen können, in jedem Detail unserer jeweiligen Politik übereinzustimmen. Ein Wiederauftreten der Debatte über spezifische Fragen, wie wir sie gegenwärtig bezüglich des Osthandels erleben, sollte uns nicht Anlaß zu der Befürchtung geben, wie dies vor 12 Monaten bei vielen der Fall gewesen zu sein schien, daß keine gemeinsame Basis für eine Zusammenarbeit mehr existiere.

Wenn wir auf die Ergebnisse des Bonner Gipfels zurückblicken, dann müssen wir erkennen, daß der Entscheidungsprozeß im Bündnis immer vor dem Hintergrund

- 3 - dem Hintergrund innerwestlicher Spannungen stattfindet, die wir erfolgreich in den Griff zu bekommen verstehen, nie aber gänzlich ausräumen. Solche Spannungen sind ein Wesensbestandteil einer Partnerschaft wie der unsrigen. über 30 Jahre lang ist es nun schon eine der Hauptaufgaben der Bündnisfüh­ rung, sie in schöpferische Debatten zu lenken.

Die NAJ0 ist schließlich ein" Bündnis von 16 Nationen, deren Interessen von jeweils unterschiedlichen wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und geographischen Gegebenheiten diktiert werden. Sie ist ein Bündnis aus Völkern, die durch 6000 km Ozean voneinander getrennt sind. Seine schwie­ rigste Aufgabe war es schon immer, auf dauerhafte und verläßliche Weise die Grundlagen für eine echte kollektive Sicherheit zu schaffen und die Macht Amerikas mit der Sicherheit Europas zu verknüpfen.

SEit 30 Jahren vollbringt das Bündnis dieses Kunststück vermittels des Prozesses der Risikoteilung, durch den jedem Mitgliedstaat die Segnun­ gen des Friedens zuteil werden, indem er sich bereit findet, mit den ande­ ren auch die Konsequenzen eines Krieges zu teilen. Wenn das Konzept der Risikoteilung auch sehr einfach ist, so ist seine praktische Handhabung doch komplex und dem Wandel unterworfen. So wie sich das Wesen der Bedrohung der Sicherheit des Westens im Laufe der Jahre verändert hat, so hat sich auch die Art und'Weise geändert, wie'das Bündnis seine Verteidigung organisiert und die Verantwortung für sie unter den Mitgliedern aufteilt. Die Debatten im Westen über die Dislozierung von Kernwaffen, den Stand und die Strategie konventioneller Streitkräfte, die Ost-West-Beziehungen und das Verhalten der Sowjets in der Dritten Welt sind nur die sichtbaren Manifestationen dieses häufig unsichtbaren Prozesses der konstanten stetigen Neudefinierung und Neu­ verteilung der Risiken.

Verbunden, wenn auch-nicht identisch mit diesem Prozeß des Risikoteilens ist die Lastenteilung. Hier haben wir es mit greifbaren Dingen zu tun: Finanziellen Mitteln, Menschen, und der Bereitstellung von Einrichtungen. Aber auch hier gibt es keine endgültige Antwort, nur ein ständig sich neu sich neu bildendes Gleichgewicht unter Verbündeten unterschiedlicher und sich wandelnder Kapazitäten. So beschuldigten die Europäer Amerika vor einem Jahr­ zehnt, es würde, abgelenkt vom Vietnam-Krieg der europäischen Verteidigung nicht genügend Aufmerksamkeit widmen. Und in jüngerer Zeit haben die Amerika­ ner die Frage gestellt, warum ein Europa, das ein amerikanisches Ausmaß an Produktivität und Verbrauch erreicht hat, nicht auch ein amerikanisches Aus­ maß an Ressourcen auf seine eigene Verteidigung verwenden kann.

In der Gestaltung der Beziehungen des Westens zur Sowjetunion gibt es ebenfalls ein ständig sich neu bildendes Gleichgewicht von Regeln und Ver­ antwortlichkeiten. In der Blütezeit der amerikanisch-sowjetischen Entspan­ nung fürchtete Europa ein amerikanisch-sowjetisches Kondominium. Als später das sowjetische Verhalten eine Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen ver­ ursachte, machte sich Europa Sorgen wegen der Konsequenzen der amerikanisch­ sowjetischen Spannungen.

Und schließlich unterliegen Qualität und Au/smaß der durch die Vereinigten Staaten im Bündnis ausgeübten Führung der ständigen Überprüfung durch das Bündnis und erfordern fortgesetzte Anpassungen. Wenn die Signale aus Washington schwach sind, bringt Europa Befürchtungen über einen Mangel an klarer und fester amerikanischer Führung zum Ausdruck. Wenn die Signale stark sind, pro­ testiert Europa gegen eine amerikanische Hegemonie. Eine wirklich befriedi­ gende Ausgewogenheit ist ein notwendiges, aber unerreichbares Ziel.

Vor diesem Hintergrund ständiger Debatten innerhalb unseres Bündnisses müssen wir die Leistungen des vergangenen Jahres bemessen. In diesem Zeit­ raum hat das Bündnis ein neues Gleichgewicht auf jedem dieser Gebiete erzielt, ein Gleichgewicht,das meiner Überzeugung nach enger mit den veränderten äußeren Realitäten und mit den sich entwickelnden Kapazitäten der einzelnen Verbündeten übereinstimmt.

Wir haben zwar Fortschritte in der Definition der Grundlagen für unsere Zusammenarbeit in einem Zeitalter des Wandels gemacht, aber wir müssen auch erkennen, daß wir erst ein Stück des Weges auf unser Ziel hin zurückgelegt

- 5 - hin zurückgelegt haben. Wir müssen jetzt unsere interne Übereinkunft auf den Wesenskern unserer wichtigsten Aufgaben aufwenden: Die Ost-West-Be­ ziehungen und die gemeinsame Verteidigung.

Ost-West-Beziehungen

Schon in den fünfziger Jahren betonte die Bündnisdoktrin den Zusammen­ hang zwischen den politischen, wirtschaftlichen, humanitären und militärischen Aspekten der Sicherheit. Damals wie heute war der Westen überzeugt, daß die erste Verteidigungslinie die Stärke unserer Gesellschaften und die Attrakti­ vität der demokratischen Lebensform seien. Wir waren auch überzeugt, man dürfe nicht zulassen, daß die Teilung Europas eine ständige militärische Kon­ frontation zwischen Ost und West diktiere. Die Bündnisdoktrin hat immer ver­ sucht, die Konfrontation in Europa durch Bemühungen um die Verringerung des Standes der Rüstungen und durch Überwindung der Trennung der Menschen auf dem Kontinent zu überwinden.

Der Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Bündnis im Jahr 1955 gab der Verpflichtung der NATO zur Verringerung der Spaltung in Europa eine neue Dimension. Diesen Besorgnissen hat natürlich schon immer ein wichtiges menschliches Element innegewohnt - ein Element, das man in Deutschland am stärksten gespürt hat. Aber unserem Wunsch, die Kontakte zwischen Ost und West zu erweitern, haftet auch ein wichtiger Sicherheitsaspekt an. Ein ge­ teiltes Europa kann niemals ein stabiles Europa sein. Die fortgesetzte Ver­ weigerung, den Menschen in Osteuropa und in der DDR die Grundfreiheiten zu gewähren, wird eine ständige Ursache der Spannungen auf dem europäischen Kon­ tinent sein.

Während der siebziger Jahre rückten die Anstrengungen, zu einer Rüstungs­ beschränkung zu gelangen, und die politischen Bemühungen um die Verminderung der Spannungen an die Spitze der Liste der Bündnisanstrengungen zur Gewähr­ leistung der Sicherheit in Europa. Aber keine dieser politischen Zielsetzun­ gen war je als Selbstzweck gedacht. Und wir wollten auch nicht von unserem ständigen grundlegenden Ziel der Beibehaltung unserer Lebensform gegenüber der

- 6 - gegenüber der Feindseligkeit aus dem Osten ablassen. Wenn die Sowjets eine Bereitwilligkeit zeigten, ehrlich mit dem Westen in dem Bemühen zusammenzu­ arbeiten, konkrete Schritte vorwärts auf dem Weg zu einer echten Verminderung der Spannungen zu unternehmen, waren wir stets willens, uns diesen Bemühun­ gen anzuschließen. Wenn aber das sowjetische Verhalten die Sicherheit des Bündnisses zu gefährden schien, stimmten wir von Anfang an darin überein, daß unsere Strategie geändert werden müsse, um der neuen Situation Rechnung zu tragen.

Allem voran aber bedeutete "Entspannung" nach amerikanischer Vorstellung, daß Ost und West trotz ihrer philosophischen und politischen Unterschiede aufrichtig auf das Ziel hinarbeiten, das militärische Gleichgewicht zu stabi­ lisieren, die Schranken für menschliche Kontakte zu überwinden und zur größt­ möglichen Offenheit zwischen unseren Gesellschaften zu ermutigen. Diese De­ finition wurde in der Schlußakte von Helsinki klar formuliert.

Im Laufe der Jahre hat der Westen einige bemerkenswerte Erfolge in seinen Bemühungen errungen, ein stabileres und konstruktiveres Verhältnis zum Osten herzustellen. Schon 1954 zeigten die Verhandlungen über den österreichischen Staatsvertrag und der Abzug der sowjetischen Truppen aus jenem Land den Wert von Geduld, Festigkeit und Einigkeit des Westens. Anfang der siebziger Jahre führten ähnliche Anstrengungen des Westens zum Viermächte-Abkommen über Berlin und anderen Vereinbarungen, die die menschlichen Kontakte zwischen Ost und West erheblich verbessert haben. Wenn wir einig waren, hatten wir Erfolg.

Unsere Einigkeit war weniger deutlich, als sich viele der ersten Hoff­ nungen auf Entspannung nicht verwirklichten. Trotz all unserer Anstrengungen übte die Sowjetunion keine Zurückhaltung, vor allen Dingen nicht in Gebieten außerhalb Europas. Aber auch in Europa selbst ließ es die Sowjetunion an der Ausführung vieler der Bestimmungen im übereinkommen von Helsinki fehlen; und ein Jahrzehnt intensiver Rüstungskontrollverhandlungen trug nicht dazu bei, der militärischen Expansion der Sowjets Einhalt zu gebieten oder sichtbar zu verlangsamen. Unsere Reaktion auf ein solches Verhalten war gelegentlich verwirrt, unkoordiniert und selbststrittig. Wir waren nicht in der Lage,

- 7 - der Lage, eine gemeinsame Strategie zu formulieren, um den neuen Herausfor­ derungen zu begegnen, die durch das sowjetische Verhalten entstanden waren.

Dieses Versagen- brachte neue Belastungen für unsere Partnerschaft. Das westliche Versagen, eine Zurückhaltung der Sowjets sicherzustellen, führte zu Verlust an Vertrauen in die Aussichten der Entspannung, vor allem in den Ver­ einigten Staaten, wo das schlechte Verhalten der Sowjets in der Dritten Welt deutlicher gespürt wurde. Noch schlimmer war ein beunruhigender Niedergang des Glaubens an uns selbst. Die Differenzen im Westen bezüglich solcher Er­ eignisse wie die sowjetische Invasion Afghanistans, führten viele unserer Bürger zu der Auffassung, daß die NATO ihren Weg verloren habe und nicht län• ger in der Lage sei, ausreichend auf diese, sie konfrontierenden Herausfor­ derungen zu reagieren. Das Versagen, der zentralen Herausforderung unserer Sicherheit - den Beziehungen zur UdSSR - zu begegnen, führte zu Zweifel über andere Ziele. Wir erleben als Folge dieser Entwicklung ein Anwachsen der Friedensbewegung in Europa, und in Amerika können die erneuten Forderungen nach Abbau der amerikanischen Streitkräfte in Europa zu einem wesentlichen Ausmaß durch diesen Verlust an Glauben erklärt werden.

Die hieraus resultierende Debatte ist lebhaft und freimütig. Wir haben diese Diskussion nicht unterdrückt, sondern zu einer offenen Behandlung der Fragen ermutigt. Das Ergebnis ist, wie es auf dem Bonner Gipfeltreffen zum Ausdruck kam, ein erneuter Glaube an unsere Fähigkeit, mit den Herausforderun­ gen fertigzuwerden, die sich durch das sowjetische Verhalten ergeben. Wir sind vereint in unserer Entschlossenheit, konstruktivere Beziehungen zur Sowjetunion anzustreben. Aber wir gehen auf dieses Ziel auf der Basis eines klareren Verständnisses der Vorbedingungen für den Erfolg zu, die da sind Geduld des Westens, Festigkeit des Westens und vor allem Einigkeit des Westens - und eine stärkere Erkenntnis, daß das Ziel echter Entspannung die Herstel­ lung eines globalen Musters sowjetischer Zurückhaltung und Verantwortlichkeit sein muß.

Verbesserungen der

- 8 - Verbesserungen der Verteidigung

In deutlicheren Worten bekräftigte der Bonner Gipfel, daß die Basis für die Diplomatie der Verbündeten die Aufrechterhaltung eines militärischen Gleichgewichtes sein muß. Das Gipfeltreffen bekräftigte die weitere Gültig­ keit der NATO-Abschreckungsstrategie der flexiblen Antwort (flexible response) und unterstrich den wesentlichen Beitrag, den jedes Element der NATO-Triade - Strategische Streitkräfte, nukleare Streitkräfte in Europa und konventionelle Streitkräfte in Europa - leistet.

über diese Bekräftigungen hinaus hat das Gipfeltreffen besonderen Nach­ druck auf die Notwendigkeit von Verbesserungen der konventionellen Verteidi­ gung gelegt. Dies ist ein"Gebiet, das nur zu oft durch die nachrichtenträch­ tigere und laute Debatte über Nuklearfragen in den Hintergrund gerückt wird. Und doch ist die konventionelle Stärke das Fundament der Sicherheit des Bünd­ nisses und die bestmögliche Garantie gegen einen Konflikt in Europa, sei er nuklear oder konventionell. In den letzten Monaten ist über die Frage der Förderung der konventionellen Kapazität der NATO debattiert worden, wobei man­ che Beobachter meinen, daß dies zu einer wesentlichen Revision der Nuklear­ doktrin des Bündnisses führen könnte. Verfechter einer Doktrin der "Nicht- Erstanwendung" argumentieren, daß ausreichende konventionelle Streitkräfte an die Stelle unseres gegenwärtigen Vertrauens auf die nukleare Abschreckung treten könnten. Andere, einschließlich einer hervorragenden Gruppe deutscher Spezialisten, die in der Ausgabe der Zeitschrift "Foreign Affairs" von diesem Monat schreiben, haben darauf hingewiesen, daß ein Verzicht auf die nukleare Option die Sicherheit Europas nicht fördern würde und sogar einen Krieg - einen schrecklichen konventionellen Krieg - denkbarer machen könnte. Sie weisen ferner ganz richtig darauf hin, daß es die Strategie der nuklearen Abschreckung ist, die Verbesserungen der konventionellen Streitkräfte in Europa militärisch wünschbar und politisch vertretbar macht. Die Antwort für die NATO ist ein­ deutig, ein gesundes Gleichgewicht zwischen konventionellen und nuklearen Streitkräften aufrechtzuerhalten. Eine Ausweitung der konventionellen Streit­ kräfte kann nicht all unsere Probleme lösen, aber ohne Verbesserungen der

- 9 - Verbesserungen der konventionellen Streitkräfte kann unsere Abschreckungs- stä'rke nicht aufrechterhalten werden-. Kurz gesagt, die deutsche "Vierer­ bande" und nicht ihre amerikanischen Kollegen sehen es richtig.

In den letzten Wochen haben die Kämpfe im Südatlantik und im Nahen Osten neue Lehren mit sich gebracht, die die militärischen Planer"erst richtig ein­ zuschätzen beginnen. Beide dieser Konflikte haben" gezeigt, daß militärische Kapazität mehr denn je ein'Verschmelzungsprodukt'von Technologie, Ausbildung und Moral ist. HochtechnologTsche-Waffen*funktionieren, wie wir gesehen haben, mit verheerender Wirkung. Es ist keine" Frage," daß'der Westen seine technolo­ gische Führung aufrechterhalten muß. Es gibt keine Möglichkeit der Verteidi­ gung für billiges Geld.

Aber diese Konflikte haben auch gezeigt, daß der entscheidende Faktor heute ebenso wie stets in der Geschichte'Ausbildung und Moral sind. Letzt­ lich kann sich eine Nation eine1 ausreichende"Verteidigung nicht allein mit Geld erwerben. Sie kann nur sicherstellen, daß die Qualität ihrer Streit­ kräfte die besten geistigen und moralischen Aspekte ihrer Gesellschaft wider­ spiegelt.

Sicherlich ist keine militärische Einrichtung der Welt ein besseres Beispiel dieses Verschmelzungsproduktes von Technologie, Ausbildung und Moral als die Bundeswehr. Keine Streitmacht ist ein besserer Ausdruck der höchsten geistigen und moralischen Aspekte der Gesellschaft, die sie verteidigt. Ge­ rade um diese Leistung anzuerkennen und zu weiteren solchen Anstrengungen im ganzen Bündnis zu ermutigen, hat das Gipfeltreffen beschlossen, seine Aufmerk­ samkeit auf die Notwendigkeit von Verbesserungen der konventionellen Streit­ kräfte zu konzentrieren.

Aber unsere Strategie ist und bleibt, den Krieg zu vermeiden und es herrscht im Bündnis allgemeine Übereinkunft darüber, daß die Gefahr eines Atomkrieges nicht wirklich beseitigt werden kann, wenn wir nicht damit anfangen, die nukle­ aren Arsenale in Ost und West tatsächlich zu verringern.

Rüstungskontrolle Rüstungskontrolle

Die Bonner Gipfelkonferenz erkan-nte-diese Tatsache an und brachte sie formell in einem neuen Konsens-über RlistUfigsiojntroTtB zum Ausdruck. Ich habe an die Enttäuschung der siebziger Jahre erinnert, die die Illusionen bezüglich der Möglichkeit zerstörte, zu bedeutsamen Rüstungskontroi labkommen mit der Sowjetunion zu gelangen. Diese Enttäuschungen entstanden aus dem Versagen bestehender Abkommen, der Aufrüstung Einhalt zu gebieten, und aus dem zuneh­ mender Beweis, daß die Sowjetunion nicht alle Abkommen, die sie unterzeich­ nete, voll erfüllte.

Wir sind durch eine notwendige Periode der Reflektion über die Lehren der Vergangenheit und intensiver Konsultationen im Bündnis über einen Kurs für die Zukunft gegangen. Als Ergebnis haben die Vereinigten Staaten ein um­ fassendes neues Programm in Angriff genommen, um dem Wettrüsten Einhalt zu gebieten und es umzukehren. Diese Bemühung konzentriert sich auf Ziele, die von Präsident Reagan im vorigen November zuerst umrissen worden sind. Mit dieser neuen Anstrengung streben wir insbesondere nach:

- Abkommen, die den Stand der Rüstungen verringern und nicht lediglich den gegenwärtigen Stand legitimieren;

- Abkommen, die zu einem gleichen Stand der Rüstungen auf beiden Seiten führen;

- Abkommen, die verifiziert werden können.

In Bonn hat das Bündnis diese Ziele gebilligt und ein umfassendes und integriertes Programm entworfen, um sie zu erreichen. Zu diesem Programm gehören:

- Ein in Phasen ablaufendes Programm zum Abbau strategischer Waffen. In der ersten Phase schlagen die Vereinigten Staaten eine Verringerung der Zahl ballistischer Gefechtsköpfe auf rund 5000 auf jeder Seite vor. Nicht mehr

- 11 - Nicht mehr als die Hälfte der verbleibenden Gefechtsköpfe wären auf landge­ stützten Raketen disloziert. Eine zweite Phase würde sich darauf konzentrie­ ren, die Gesamtzerstö'rungsmacht beider Seiten auf einen gleichen Stand zu verringern, einschließlich einer beiderseitigen Höchstgrenze für das Wurfge­ wicht ballistischer Raketen.

- Ein Vorschlag, um die Zahl der nuklearen Mittelstreckenraketen auf Null zu reduzieren. Die Vereinigten Staaten würden auf die Dislozierung von PERSHING II-Raketen und landgestützten Marschflugkörpern verzichten, wenn die Sowjets ihre SS-20-, SS-4- und SS-5-Raketen abbauen.

- Ein Vorschlag, daß die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion Mittel und Wege prüfen sollten, um die Gefahr eines Krieges aus Zufall oder Fehlein­ schätzung zu verhindern. In seiner "Berlin-Initiative" gab der Präsident be­ kannt, daß er sich in Kürze mit konkreten'Vorschlägen an die Sowjetunion wen­ den werde.

Zu diesen Vorschlägen gehören:

- Verbesserte Kommunikation/möglicherweise durch Verbesserung des "heißen Drahtes".

- Ankündigung großer strategischer Übungen.

- Vorherige Ankündigung von Abschüssen von Interkontinentalraketen innerhalb wie auch außerhalb von nationalen Grenzen.

- Ein neuer Vorschlag des Bündnisses zur Neubelebung der MBFR-Verhand- lungen in Wien, die jetzt in ihrem neuenten Jahr sind. Der Vorschlag sieht ein einziges Abkommen vor mit mehreren Stadien der Verringerung und Verifi­ zierung durch Inspektionen an Ort und Stelle, ständige Eintritts- und Aus­ trittspunkte mit Beobachtern, Datenaustausch" und eine Verpflichtung, die na­ tionalen technischen Methoden der Verifizierung" nicht" zu stören.

Verhandlungen über Verhandlungen über all die oben erwähnten Vorschläge haben entweder bereits begonnen oder werden in Kürze beginnen. Die Vereinigten Staaten haben sich verpflichtet, diese Unternehmungen zum Erfolg zu führen. Wir werden ernsthaft und realistisch mit"dem Ziel verhandeln, Abkommen zu er­ reichen, die die legitimen Sicherheitsinteressen beider Seiten in Rechnung stellen.

Auf strategischem Gebiet beispielsweise bietet unsere Position eine gerechte Grundlage für starke Verringerungen "auf beiden Seiten. Es handelt sich nicht um ein einseitiges'Rezept für eine einseitige Abrüstungder Sowjets, wie Moskau das behauptet. Wir haben beschlossen, uns auf Gefechtsköpfe als die wesentliche Zähleinheit zu konzentrieren, da Gefechtsköpfe ein sinnvolle­ res Maß strategischer Kapazität sind als Trägerwaffen allein, auf die man sich in SALT I und SALT II konzentrierte.

Hinter unserer Einstellung steht ein einfaches, aber wichtiges Konzept, daß nämlich Verringerungen strategischer Waffen sich auf die Beseitigung der am meisten destabilisierenden Waffen konzentrieren sollten.

Dies wird nicht zu einer diskriminierenden Behandlung der Sowjets füh­ ren, wie dies Außenminister Gromyko kürzlich in New York behauptet hat. Im Gegenteil, es besteht derzeit eine annähernde Gleichheit der Zahl amerikanischer und sowjetischer Gefechtsköpfe ballistischer Raketen - beide Seiten besitzen rund 7500 -, so daß Verringerungen auf 5000 eine gleiche Auswirkung auf bei­ de Seiten hätten. Es ist richtig, daß die Sowjets größere Kürzungen ihrer Interkontinentalraketenstreitmacht vornehmen müßten als die Vereinigten Staa­ ten, da sie sich stärker auf landgestützte Raketen stützen. Aber die Vereinig­ ten Staaten werden ihr Programm für unterseebootgestützte Raketen in einem ähnlichen Maße zurückschrauben müssen und nicht nur unmodern gewordene Unter­ seeboote außer Dienst stellen müssen, wie die Sowjets behauptet haben.

Darüber hinaus sind wir der Überzeugung, daß angesichts der destabi- lisierenderen Natur landgestützter Raketen - auf der einen Seite ihre Ver­ wundbarkeit gegenüber einem Präventivschlag, auf der anderen Seite ihre größere

- 13 - ihre größere Treffsicherheit für die Durchführung eines solchen Angriffs - besondere Restriktionen für Interkontinentalraketen gerechtfertigt sind. Selbst sowjetische Fachleute geben zu, daß die Verwundbarkeit von Inter­ kontinentalraketen ein immer ernsteres Problem für die UdSSR wird und daß das langfristige Interesse Moskaus in einer Verlagerung des Nachdrucks auf seegestützte Systeme liegt.

Eine weitere sowjetische Behauptung ist, daß der amerikanische Vor­ schlag schwere Bomber und Marschflugkörper von der Begrenzung ausschließen würde. Auch hier haben die Sowjets des Präsidenten eigene Worte ignoriert, daß von den Verhandlungen "nichts ausgeschlossen, ist". Wir sind bereit, gleiche Begrenzungen für Bomber, einschließlich von Bombern, die mit Marsch­ flugkörpern bestückt sind, bei den START-Verhandlungen zu akzeptieren. Auf der anderen Seite sind wir der Überzeugung, daß ballistische Raketen eine größere Bedrohung für die Stabilität darstellen als jene niedrig fliegenden Zweitschlagsysteme, und daß daher den ballistischen Raketen bei den Verhand­ lungen Priorität eingeräumt werden sollte.

Lassen Sie mich hinzufügen, daß wir nicht überrascht sind, daß Moskau unsere Vorschläge scharf kritisiert hat. Die sowjetische Erfahrung mit ihrer Offensive, die Entscheidung der NATO über nukleare Mittel Streckensysteme (INF) von 1979 zum Scheitern zu bringen, hat sie ermutigt, eine ähnliche öffentliche Diplomatie auf die START-Verhandlungen zu verwenden. Aber die Sowjets haben sich sorgfältig gehütet, unsere Vorschläge kategorisch abzulehnen und wir blei­ ben hinsichtlich der langfristigen Aussichten für die START-Verhandlungen op­ timistisch.

Unsere Bemühungen um die START-Verhandlungen und die INF-Verhandlungen bestärken sich gegenseitig, um die Aussichten auf Fortschritt in beiden Ver­ handlungen zu fördern. In der Vergangenheit haben die Sowjets ihre Weigerung, bei den strategischen Systemen größere Kürzungen zu akzeptieren, damit begrün­ det, daß die amerikanischen Mittel Streckensysteme dann zu einer stärkeren Be­ drohung der UdSSR würden, wenn die Zentral Systeme verringert werden. In den INF-Verhandlungen haben wir'jedoch angeboten, völlig auf die Dislozierung der

- 14 - Dislozierung der Mittel Streckensysteme zu verzichten, die die größte Besorgnis Moskaus erregen, und damit den Sowjets diese Ausrede für eine Ablehnung we­ sentlicher Verringerungen bei den START-Verhandlungen genommen.

Wegen des auf der Hand liegenden Zusammenhangs zwischen den Themenbe­ reichen beider Verhandlungen haben wir sorgfältig darauf geachtet, daß die Einstellungen zu beiden Verhandlungen miteinander übereinstimmen: Beide stre­ ben wesentliche Verringerungen an und konzentrieren sich zunächst auf die am meisten destabilisierenden Waffenarten; beide benutzen Gefechtsköpfe als die Hauptzähleinheit und beide basieren auf dem Grundsatz gleicher Höchstgrenzen und Rechte für beide Seiten. Wir werden unsere Positionen in beiden Verhand­ lungsgremien eng im Hinblick darauf koordinieren, daß wir in beiden so rasche Fortschritte wie möglich machen werden.

Aber wir sollten uns bezüglich dessen, was für einen Erfolg bei diesen Verhandlungen notwendig ist, nicht täuschen. Das vielleicht bisher wich­ tigste amerikanisch-sowjetische Rüstungskontroi labkommen ist der ABM-Vertrag (Vertrag über Raketenabwehr-Raketensysteme) von 1972. Moskau wäre jedoch nie­ mals in dieses Abkommen eingetreten, hätten die Vereinigten Staaten nicht mit der Dislozierung ihres eigenen ABM-Systems begonnen. Ebenso säßen wir nicht am Verhandlungstisch in Genf und würden über INF verhandeln, wenn es nicht den NATO-Beschluß vom Dezember 1979 gegeben hätte. Die Lektion ist eindeutig: Wenn Verhandlungen Erfolg haben sollen, dann müssen wir den Sowjets Anreize geben, ernsthaft zu verhandeln. Es ist daher ein zwingendes Gebot, daß wir mit dem Fortgang der INF-Verhandlungen die Vorbereitungen für die Dislozierung in Europa weiterführen. Und es ist ebenso notwendig, daß die Vereinigten Staa­ ten, wenn sie in die START-Verhandlungen eintreten, ihre Verpflichtung gegen­ über dem strategischen Modernisierungsprogramm von Präsident Reagan erfüllen.

Ereignisse in der Dritten Welt

So wichtig die Rüstungskontroilanstrengungen auch sind, die auf eine Sta­ bilisierung der militärischen Lage in Europa abzielen, so dürfen wir doch nicht vergessen, wie sehr die Interessen des Bündnisses durch Ereignisse außer-

- 15 - Ereignisse außerhalb Europas beeinflußt werden. In der interdependenten Welt der achtziger Jahre können wir nicht länger mit jener künstlichen Tren­ nung der westlichen Interessen in solche leben» die den NATO-Vertrag berüh­ ren und solche, die ihn nicht berühren. Ich schlage natürlich nicht vor, das formelle Vertragsgebiet des NATO-Vertrags über seinen derzeitigen Bereich hinaus auszuweiten. Ich stelle lediglich fest, daß Entwicklungen in Dritt­ ländern - wie etwa den Staaten des Persischen Golfes - unmittelbare Auswir­ kungen auf unsere gemeinsame Sicherheit haben. Und wie oben erwähnt, gefähr­ det unsere Unfähigkeit, wirksam auf das schlechte Verhalten der Sowjetunion in diesen Gebieten zu reagieren, nicht nur unsere weiter gefaßten Interessen, sondern schädigt zugleich auch die gesamte Glaubwürdigkeit des Bündnisses als einer gegenseitigen Sicherheitspartnerschaft.

Das ist der Grund, warum dfe Vereinigten Staaten so eindringlich vor den sowjetischen Aktivitäten in den Ländern der sogenannten Dritten Welt warnen. Das ist auch der Grund für unser Argument, daß die indirekte Inter­ vention der Sowjetunion durch Stellvertreter in Gebieten wie dem südlichen Afrika oder Mittelamerika Anlaß zu unmittelbarer Besorgnis für unser Bündnis ist.

Das auf dem NATO-Gipfel vereinbarte Dokument über die Verteidigung spiegelt die vermehrte Erkenntnis innerhalb des Bündnisses darüber wider, daß eine engere Zusammenarbeit notwendig ist, um Stabilität in anderen kri­ tischen Regionen der Welt"zu garantieren.

Dieser Konsens bringt die Auffassung zum Ausdruck, daß das Bündnis - wohl oder übel - in-zunehmendem Maß"durch Ereignisse außerhalb des Vertragsbe­ reichs beeinflußt wird. Die Staaten mit direkten" Interessen außerhalb der Bündnisgrenzen unterstrichen~ihre besondere Verantwortung zur Vertiefung von Koordination und Kooperation im Interesse der gemeinsamen Verteidigung.

Ein neuer

- 16 - Ein neuer Führungsstil

Der sich herausbildende Konsens zu den Problemkreisen, die ich ausge­ führt habe, ist - wie ich meine - zum Teil auch Ergebnis eines neuen Stils der amerikanischen Führung, die sich besser auf die Erfordernisse der acht­ ziger Jahre ausrichtet. In einer Welt, die komplexer und gefährlicher ist denn je, bedarf das Bündnis gerade jetzt einer tatkräftigen Führung. Doch müssen die Vereinigten Staaten diese Führung angesichts stärkerer und selbst­ bewußterer Verbündeter anders ausüben, als sie dies in der Vergangenheit getan haben. Konsultationen dürfen nicht nur ein Mittel sein, die Verbünde­ ten über Entscheidungen zu informieren, die in Washington getroffen werden, sondern tatsächlich Mittel zur Formulierung gemeinsamer Entscheidungen.

Wir haben solche Konsultationen erreicht - und durch sie die Ergebnisse, die ich genannt habe. Um nur ein Beispiel zu erwähnen, mit dem ich besonders vertraut bin: Die Sonderberatungsgruppe der NATO (SCG) führte im Rahmen der Vorbereitung der Genfer Verhandlungen über nukleare Mittel Streckensysteme (INF) über mehrere Monate hinweg einen Meinungsaustausch von einer Intensität und Produktivität durch, wie dies bislang noch nicht der Fall gewesen war. Der große Anklang, den die amerikanische Position bei diesen Verhandlungen findet, und die solide Unterstützung durch die westlichen Regierungen für diese Position sind sprechender Beweis für die Qualität dieses Konsultations­ prozesses.

Ein anderes Beispiel betrifft'die westlichen Reaktionen auf die Verhän­ gung des Kriegsrechts in Polen. Hier stimmten wir nicht in allen Einzelhei­ ten unserer Reaktion überein. Unsere Konsultationen waren lang und zeitwei­ lig schwierig. Doch wie Außenminister Haig in Brüssel am 15. Januar fest­ stellte: Das Bündnis wankte nicht bei seiner Verurteilung der Ereignisse vom 13. Dezember. Wir waren vereint in unserer Entschlossenheit, in angemessener Weise auf eine Rücknahme der Verfügungen zu drängen.

Die von

- 17 - Die von den einzelnen Mitgliedern des Bündnisses ergriffenen Maßnahmen unterschieden sich je nach Perspektive, Möglichkeiten und geographischer Lage. Unser Ziel war dabei, wie es Außenminister Haig nannte, parallele Schritte auf ein gemeinsames Ziel hin. Ich glaube, daß das Bündnis angesichts der komplizierten Materie, um die es dabei ging, einen bemerkenswerten Erfolg bei der Formulierung einer gemeinsamen Position hatte.

Ein Bereich, wo es Meinungsverschiedenheiten gab, waren die Wirtschafts­ sanktionen gegenüber Polen und der Sowjetunion. Andere Verbündete, einschließ­ lich der Bundesrepublik Deutschland, haben sich den Vereinigten Staaten bei der Verhä'ngung solcher Sanktionen angeschlossen, wobei man gerechterweise sa­ gen muß, daß die von den Vereinigten Staaten auferlegten am schärfsten waren.

Dem ist auch richtig so. Als stärkstes Mitglied des Bündnisses liegt es an den Vereinigten Staaten, durch Ausübung des größten Drucks die Ernsthaftig­ keit unserer gemeinsamen Besorgniszu demonstrieren. Wir sollten uns jedoch hinsichtlich des Zweckes solcher Maßnahmen nicht durcheinanderbringen lassen - einschließlich der erweiterten Sanktionen, die Präsident Reagan am 18. Juni billigte.

Die Vereinigten Staaten wollen keinen Wirtschaftskrieg mit der Sowjet­ union. Unsere Sanktionen stellen den klugen Einsatz einer der wenigen uns zur Verfügung stehenden Mittel dar, das sowjetische Verhalten direkt zu be­ einflussen. Die schon bislang üblichen Exportkontrollen der NATO-Mitglieder zeigen, daß wir schon seit langem die wichtige Rolle erkennen, die Handels­ fragen in unserer gesamten Sicherheitspolitik spielen. Präsident Reagan hat der Sowjetunion klargemacht, daß er bereit ist, normale Wirtschaftsbeziehungen zu unterhalten. Aber normale Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Sowjetunion und dem Westen sind derzeit nicht angebracht, besonders nicht, solange die Unterdrückung in Polen andauert. Präsident Reagan hat deutlich gesagt, daß die Zeit für Beweise eines Fortschritts in Richtung auf Versöhnung in Polen gekommen ist. Die amerikanischen Sanktionen dienen diesem Ziel. Wir müssen jedoch über das aktuelle Sanktionsproblem hinausblicken und sehen, daß es für

- 18 - es für den Westen an der Zeit ist, eine gemeinsame und umfassende Strategie für die Wirtschaftsbeziehungen zum Osten auszuarbeiten. Wir sind der Meinung, daß der Versailler Gipfel ein sehr bedeutsamer erster Schritt in diese Rich­ tung war, indem er sich auf die Frage westlicher Kredite an die Sowjets kon­ zentrierte. Hier gab es zum erstenmal einen Konsens des Bündnisses hinsicht­ lich der Notwendigkeit kommerzieller Klugheit bei den Finanzgeschäften mit den Sowjets. Die Verbündeten stimmten auch in bezug auf verbesserten Informa­ tionsaustausch innerhalb der OECD über alle Aspekte der Wirtschafts- und Fi­ nanzbeziehungen mit der Sowjetunion und Osteuropa und einer regelmäßigen Über­ prüfung dieser Beziehungen überein. Wir sind daher der Oberzeugung, daß die Grundlage für weiteren Fortschritt bei der Kreditfrage geschaffen ist. Es wäre ein großer Fehler, wenn wir zulassen würden, daß unsere gegenwärtigen Mei­ nungsverschiedenheiten über die Sanktionsentscheidung konkrete Schritte in der Kreditfrage behindern.

Wachstum, Wandel und Lebenskraft der westlichen Institutionen

Was wir im Verlauf des vergangenen Jahres bei der Schaffung eines neuen Konsens im Bündnis über die wichtigsten Fragen der westlichen Sicherheit er­ reicht haben, ist jedoch noch zerbrechlich und der Erosion ausgesetzt. Noch gibt es Bereiche der Meinungsverschiedenheit; neue Herausforderungen werden auftreten. Aber das Bündnis hat in einer Zeit des raschen Wandels seine Fä­ higkeit zur Anpassung bewiesen.

Eine solche Anpassung ist stets schmerzlich und wird dies auch weiterhin bleiben. Und doch gibt es keinen besseren Beweis für die Lebenskraft unserer Institutionen als diese Fähigkeit, mit dem inneren und äußeren Wandel Schritt zu halten.

Die Welt hat sich wahrhaftig seit dem Bestehen unseres Bündnisses ge­ waltig verändert. In den vergangenen 30 Jahren hat sich das amerikanisch­ sowjetische Kräfteverhältnis von eindeutiger amerikanischer Überlegenheit zur Parität verschoben und bewegt sich in wichtigen Bereichen auf sowjetische Überlegenheit hin. Das Kräfteverhältnis innerhalb des Westens hat sich ebenso

- 19 - sich ebenso dramatisch verschoben - von einer Zeit, da Amerika die Hälfte der Güter dieser Welt produzierte und konsumierte bis zur Gegenwart, da Eu­ ropa es Amerika gleichtut, was wirtschaftliche Stärke anbelangt. Das Nord- Süd-Verhältnis hat sich jedoch am deutlichsten verschoben - von einer Zeit der kolonialen Bevormundung zur Gründung von über hundert unabhängigen Staa­ ten, die jetzt einen großen Teil der Rohstoffe dieser Welt kontrollieren - und oft genug dem Westen mißtrauisch oder feindlich gegenüberstehen.

Der Anpassungsprozeß der westlichen Institutionen an diese Veränderungen läuft schon seit vielen Jahren, hat aber in letzter Zeit an Schwung gewonnen. Es ist dieser Prozeß, der die Debatten innerhalb des Westens hervorruft, die bisweilen als Zeichen der Krise oder sogar als Zeichen des bevorstehenden Zu­ sammenbruchs des Bündnisses angesehen werden. Aber solange die Staaten des Westens zeigen - wie wir dies im vergangenen Jahr getan haben -, daß sie die Fähigkeit besitzen, durch solche Debatten zu neuer Übereinstimmung, zu neuen Wegen für gemeinsames Handeln zu gelangen, brauchen wir uns um die Gesundheit des Bündnisses oder der Gesellschaften, die es verteidigt, keine Angst zu machen.

Wie es bei jeder Vereinbarung unter demokratischen Staaten der Fall ist, kann auch ein solcher Konsens keine Übereinstimmung in allen Punkten bedeuten. Die NATO hat nie versucht, alle Mitglieder in ein einziges weltpolitisches Konzept zu pressen oder einen einzigen Weg zur Verwirklichung unserer Zielset­ zungen festzulegen.

Unsere Stärke liegt darin, daß wir trotz unserer Verschiedenheit eine ge­ meinsame Vorstellung von der Gesellschaft und ihren Zielen haben. Wir wissen, wofür wir stehen. Wir wissen auch, wogegen wir sind. Diese Grundlage hat uns über 30 Jahre lang gut gedient. Die Ereignisse der vergangenen Monate haben deutlich gezeigt, daß sie uns ebenso gut in der vor uns liegenden Zeit der Veränderungen dienen wird.

Dieses neue Rahmenwerk für die achtziger Jahre erkennt für die NATO die Notwendigkeit an, sich den verändernden Umständen anzupassen. Es verbindet Es verbindet die Verteidigungserfordernisse des Bündnisses mit den bisherigen Anstrengungen zur Verringerung von Spannungen und zur Sicherung des Friedens. Vor allem aber bietet dieses neue Rahmenwerk eine solide Grundlage für eine der wichtigsten Aufgaben, vor denen die Führer der NATO in den achtziger Jah­ ren stehen - unseren jüngeren Generationen klarzumachen, daß die Notwendig­ keit zur Zusammenarbeit heute noch genauso groß ist wie vor über 30 Jahren, als unsere Partnerschaft gegründet wurde.

Es ist mir eine besondere Ehre, meine erste Rede in meiner neuen Eigen­ schaft auf einer Konferenz zu halten, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt wird. Ich arbeite mit der Stiftung und vielen ihrer Mitarbeiter seit Jahren zusammen. Ich bewundere schon seit langem Ihren Dienst an der Demokratie - ein Dienst, der von Präsident Reagan in seiner Westminster- Rede besonders anerkannt wurde. Durch Ihre Anstrengungen haben Sie viel zur Verbreitung der Demokratie in der ganzen Welt beigetragen. Mit Ihren Schwester­ organisationen hier in der Bundesrepublik dienen Sie als ein Modell für eine ähnliche Organisation, die jetzt in den Vereinigten Staaten gegründet wird.

Es ist dies die Art von Dienst an der Demokratie und von Solidarität mit dem demokratischen Ideal, die die Grundlage der Sicherheitspolitik der NATO bildet. Solange wir uns an diese schlichte Tatsache erinnern, werden wir nicht irregehen.

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- 21 - 25 30. Juni 1982

GEORGE SHULTZ - DESIGNIERTER AUSSENMINISTER DER VEREINIGTEN STAATEN

WASHINGTON - (AD) - George Shultz, auf den die Wahl Ronald Reagans für den Posten des amerikanischen Außenministers nach dem Rücktritt von Alexander Haig gefallen ist, kann eine glänzende Karriere vorweisen - sowohl im öffent­ lichen Dienst als auch im akademischen Bereich und in der Geschäftswelt.

Shultz, derzeit noch Präsident der Firma Bechtel, einer weltweit tätigen Baufirma mit Sitz in San Franzisko, diente bereits in früheren republikanischen Regierungen - als Finanzminister von 1972 bis 1974, als Direktor des Büros für Management und Haushalt von 1970 bis 1972, und als Arbeitsminister von 1969 bis 1970.

Während des Wahlkampfes um die Präsidentschaft diente Shultz dem damaligen Kandidaten Reagan als wichtigster Berater für Wirtschaftsfragen. Zu Beginn der Regierungszeit Ronald Reagans stand Shultz selbst mit an oberster Stelle als Kandidat für den Posten des Außenministers, entzog sich jedoch damals Überlegungen in dieser Richtung. Reagan ernannte ihn daraufhin zum Vorsitzenden des Sachver­ ständigenrates für Wirtschaftspolitik.

Shultz trat

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 Shultz trat im Jahr 1974 als Vizepräsident der Geschäftsführung in die Firma Bechtel ein und wurde 1981 in die Position befördert, die er derzeit innehat.

In den fünfziger und sechziger Jahren diente er in der amerikanischen Re­ gierung auf vielfältige Weise, einschließlich als Berater im Beirat des Präsi­ denten für Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Beziehungen, Berater des Arbeitsministers und Vorsitzender der Arbeitsgruppe für den öffentlichen Dienst.

Shultz wurde am 13. Dezember 1920 in New York geboren. Im Jahre 1942 er­ hielt er sein erstes Diplom in Wirtschaftswissenschaften an der Universität Princeton und 1949 promovierte er an der Technischen Hochschule von Massachusetts (MIT) in Betriebswirtschaft.

Im Zweiten Weltkrieg diente Shultz im amerikanischen Marinekorps, und nach dem Krieg nahm er eine Lehrtätigkeit an der Technischen Hochschule von Massachusetts (MIT) auf. Im Jahre 1957 wurde er als Professor an die Wirt­ schaftswissenschaftliche Fakultät der Universität von Chicago berufen, der er von 1962 bis zu seiner Berufung zum Arbeitsminister sieben Jahre später als Dekan vorstand.

Shultz hat zahlreiche Bücher und Artikel auf seinem Fachgebiet verfaßt und gehörte dem Aufsichtsrat verschiedener großer Firmen an.

Die Zeitschrift "Forbes" bezeichnet Shultz als "eine der solidesten Figuren im öffentlichen Leben Amerikas ... einer der wenigen lebenden Amerikaner, die sich auf drei Gebieten hervorgetan haben: im akademischen Leben, im Re­ gierungsdienst und in der Wirtschaft."

Shultz ist mit der geborenen Helena O'Brien verheiratet und hat fünf Kinder.

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«r T Hintergrund materiell

International Communication Agency Embassy of the United States of America

25 30. Juni 1982

EDWARD L. ROWNY •• DELEGATIONSLEITER BEI DEN GENFER START-VERHANDLUNGEN

Botschafter Edward L. Rowny, der die Vereinigten Staaten bei den Verhandlungen über die Verringerung der strategischen Rüstungen (START) als Delegationsleiter in Genf vertritt, zeigt sich hinsichtlich eines raschen Fortschritts dieser Ver­ handlungen als "vorsichtig optimistisch". In einem Interview kurz nach Bekannt­ gabe des Verhandlungsbeginns - dem 29. Juni 1982 - erklärte Rowny: "Ich habe sechseinhalb Jahre SALT-Verhandlungen mitgemacht, und ich werde alles in meiner Macht Stehende tun, damit die jetzigen Verhandlungen zu einem rascheren Ende kommen."

Ein Grund für die Hoffnung, daß die neuen amerikanisch-sowjetischen Gespräche schneller zu Ergebnissen führen werden, liegt sicherlich in der umfassenden Er­ fahrung auf dem Gebiet der Rüstungskontroll Verhandlungen, die Rowny dort ein­ bringen wird. Als er im April 1981 von Präsident Reagan zum ChefUnterhändler der amerikanischen Delegation für RüstungskontrollVerhandlungen ernannt wurde, war Rowny bereits seit langem für solche Gespräche eingetreten, hatte jedoch auch deutliche Kritik am SALT II-Vertrag geübt, der von Präsident Carter zwar unter­ zeichnet, vom amerikanischen Senat jedoch nicht ratifiziert worden war. Aufgrund

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 war. Aufgrund seiner Überzeugung, daß der Vertrag der Sowjetunion einen strate­ gischen Vorteil über die Vereinigten Staaten geben würde, verließ er das SALT-II- Verhandlungsteam kurz vor der Vertragsunterzeichnung in Wien im Juni 1979. Noch im selben Jahr wurde Rowny für den Außenpolitischen Ausschuß des Senats als Sonderberater für die damalige republikanische Minderheit tätig. Er war davon überzeugt, daß die Sowjetunion auch dann weiter mit den Vereinigten Staaten verhandeln würde, wenn der Senat den SALT-II-Vertrag ablehnen würde: "Sie braucht ihn meiner Meinung nach mehr als wir. Und deshalb wird sie an den Ver­ handlungstisch zurückkehren. Es bedarf lediglich der Willenskraft, diese Situation auch herbeizuführen."

Rowny, 1917 in im amerikanischen Bundesstaat Maryland geboren, war in seinem Berufsleben beides: Wissenschaftler und Soldat.

Bevor er zur Militärakademie West Point kam, schloß er seine Studien 1937 an der Johns Hopkins Universität mit einem Bachelor of Arts ab. Während des Zweiten Weltkriegs diente er in Nordafrika und in Italien, wo er erst ein Infantriebataillon, dann ein Regiment befehligte.

Nach dem Krieg schickte ihn das Pentagon zur Yale-Universität, wo er 1949 sein Abschlußexamen ablegte. Danach ging er als Planungsoffizier in den Fernen Osten und wurde während des Koreakriegs zum offiziellen Sprecher von General Macarthur ernannt.

Während der sechziger Jahre stellte er eine Gruppe zusammen, die sich mit der Untersuchung und Bewertung von Operationen gegen Aufständische in Vietnam befaßte. Im Jahre 1965 wurde er Kommandierender General der 24. Infantriedivision der amerikanischen Armee in .

Gegen Ende der sechziger Jahre kehrte er ins Pentagon zurück und wurde Stellvertretender Direktor der Abteilung für Forschung und Entwicklung im Verteidigungsministerium. Im Jahre 1971 wurde er Stellvertretender Vorsitzender

- 2 - Stellvertretender Vorsitzender des Militärausschusses der NATO in Brüssel und saß auch der MBFR-Gruppe der NATO vor.

Im Jahre 1977 verlieh die in Washington Rowny einen Doktortitel für internationale Studien.

Nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Heeresdienst und der anschließenden Tätigkeit beim Außenpolitischen Senatsausschuß wurde Rowny Mitarbeiter des Woodrow Wilson Center an der Smithsonian Institution in Washington, von wo aus er von Präsident Reagan zum Chef der Rüstungskontroll Verhandlungen berufen wurde.

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WASHINGTON SIEHT IN NEUEN SANKTIONEN NICHTS ÜBERRASCHENDES - Von unserem Korrespondenten Thomas Eichler -

WASHINGTON - (AD) - Amerikanischen Regierungsvertretern zufolge be­ dauern die Vereinigten Staaten die Reaktionen ihrer Verbündeten auf die jüngste Entscheidung Präsident Reagans, die Restriktionen hinsichtlich des Verkaufs von öl- und Gastechnologie an die Sowjetunion auszuweiten, sei dieser Schritt doch unternommen worden, um das Bündnis zu stärken.

Ein leitender Regierungsvertreter in Washington erklärte im Auslands­ pressezentrum des US-Amtes für Internationale Kommunikation (USICA) am 25. Juni 1982 vor Reportern, daß die Restriktionen in der Absicht erfolgt seien, "unsere Fähigkeit zu stärken, uns mit dem Gegner, der Sowjetunion, ausein­ anderzusetzen, während wir in die Verhandlungen eintreten."

Die Administration kündigte am 18. Juni 1982 an, daß sie die bestehen­ den Restriktionen für Exporte in die Sowjetunion dahingehend modifizieren werde, daß nicht nur Erzeugnisse amerikanischer Firmen eingschlossen seien, sondern auch jene, die im Ausland von Firmen hergestellt werden, die sich in amerikanischem Besitz befinden, bei denen es sich um von amerikanischer Sei­ te kontrollierte Tochterfirmen handelt oder um ausländische Firmen, die ameri-

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 die amerikanische Technologie in Lizenz einsetzen. Die ursprünglichen Restrik­ tionen wurden im Dezember vorigen Jahres als Reaktion auf die Rolle der Sowjet­ union bei der Unterdrückung der Bürgerrechte in Polen verfügt.

Der Regierungsvertreter erklärte: "Der Präsident traf im Dezember eine Entscheidung, und er verwies darauf, daß er diese Entscheidung weiterverfol­ gen werde, bis bestimmte Maßnahmen ergriffen würden. Und er steht zu seinem Wort."

Er fügte hinzu, daß Präsident Reagan bei seiner Entscheidung eine Reihe von Faktoren zu berücksichtigen hatte, vor allem "die Tatsache, daß er Verhand­ lungen (über Kernwaffen) mit der Sowjetunion führt, die von gewaltiger Bedeu­ tung für das gesamte westliche Bündnis sind."

Betont wurde in diesem Zusammenhang auch, daß es sich bei diesen Restrik­ tionen um Sanktionen mit beschränkter Zielsetzung handle, die darauf ausge­ richtet seien, einen ganz bestimmten Handlungsablauf zu erreichen. Es handle sich um "einen Versuch, bei den Sowjets Bewegung hervorzurufen, sowie die Aussöhnung, die Erneuerung und die Reformen in Polen herbeizuführen, von denen wir wissen, daß sie von der überwältigenden Mehrheit des polnischen Volkes ge­ wünscht werden."

Es ist den Worten des amerikanischen Regierungsvertreters zufolge ein "zufälliges Zusammentreffen", daß eine Reihe amerikanischer Maßnahmen im Han­ delsbereich gleichzeitig ergriffen wurden und dadurch im Ausland die irrefüh­ rende Vorstellung amerikanischer Anmaßung entstanden sei. So seien z.B. die jüngsten amerikanischen Entscheidungen hinsichtlich der Stahleinfuhren wegen der im Januar festgelegten Fristen getroffen worden; die Administration habe keine Kontrolle über den Zeitpunkt gehabt.

Bestätigt wurde, daß die neuen Restriktionen lediglich das abschließen­ de Element eines von Präsident Reagan im Dezember angekündigten Paketes seien. In den darauffolgenden Monaten habe es unter den Verbündeten eine Reihe von Gesprächen gegeben, bei denen die Vereinigten Staaten die Politik der Administra-

- 2 - der Administration hinsichtlich von Sanktionen gegen die Sowjetunion darlegten.

Regierungsvertreter in Washington räumten ein, daß es unmittelbar vor An­ kündigung der neuen Restriktionen keine Konsultationen gegeben habe, fügten jedoch hinzu, es sei höchst unwahrscheinlich, daß die Führungsspitzen der Bünd­ nisländer die amerikanischen Absichten mißverstehen konnten.

Der letzte; Schritt sei stets eine mögliche Option gewesen und daher auch keine Überraschung.

- 3 - Wirt/choft

International Communication Agency Embassy of the United States of America

25 30. Juni 1982

US-FINANZMINISTER RECHNET MIT KONJUNKTURAUFTRIEB

NACH DEM 1. JULI

WASHINGTON - (AD) - Steigende Umsätze und den raschen Lagerabbau im Ein­ zelhandel, fallende Inflationsraten und eine leichte Zunahme des Bruttosozial­ produktes wertet Finanzminister Regan als Hinweise auf einen bevorstehenden Wirtschaftsaufschwung.

Die Grundlagen für eine Belebung der Wirtschaftstätigkeit in den Vereinig­ ten Staaten verfestigen sich mehr und mehr. Als neue Stützen des Aufschwungs kommen hinzu: die am 1. Juli in Kraft tretenden Steuersenkungen und die zu er­ wartenden Senkungen des Defizits für das am 1. Oktober 1982 beginnende Haus­ haltjahr 1983. Dies stellte der amerikanische Finanzminister Donald Regan am 21. Juni 1982 in Washington in einer Rede vor dem Verband amerikanischer Buch­ prüfer (National Association of Accountants) fest.

Regan verwies im Lauf in seiner Ansprache auch auf weitere Anzeichen einer bevorstehenden Tendenzwende:

- Die Zunahme der Einzelhandelsumsätze und der Neubaubeginne sowie einen raschen Lagerabbau, die darauf hindeuten, daß die Rezession ausläuft.

- Die private

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 - Die private Spartätigkeit zeigt nach Jahren einer rückläufigen Tendenz erstmals wieder einen leichten Anstieg.

Die wichtigsten Passagen aus der Rede des amerikanischen Finanzministers haben folgenden Wortlaut:

"Die Aussichten auf einen Wirtschaftsaufschwung sind ausgezeichnet...

In den ersten vier Monaten des Jahres 1982 hielt sich die Inflationsrate auf 1,5 Prozent; sie zeigt damit einen weit stärkeren Rückgang als ihn selbst die größten Optimisten unter uns vorherzusagen gewagt hätten, als der Präsi­ dent vor knapp einem Jahr sein Wirtschaftsprogramm in Gang setzte. Dies allein hat einige Milliarden Dollar an zusätzlicher Kaufkraft in die Kassen des Ein­ zelhandels geschleußt. Im Mai stieg dieses wichtigste Barometer der Wirtschaft um 1,5 Prozent - das entspricht der zweitgrößten monatlichen Zunahme innerhalb der letzten eineinhalb Jahre. Nach einem kräftigen Anstieg im April läßt die Belebung der Einzelhandelsumsätze im Mai vermuten, daß die stark publizierten Steuersenkungen im Juli im Verein mit ausgeprägten Preisrückgängen die Verbrau­ cher aus ihrer Winterlethargie locken werden.

Der Absatz der amerikanischen Automobilindustrie auf dem Binnenmarkt stieg, auf Jahresbasis umgerechnet, von 5,5 Millionen Einheiten im April auf 6,3 Millionen im Mai. Auch auf dem privaten Bausektor, der mit am stärksten von der Rezession betroffen wurde, kann man ermutigende Anzeichen beobachten. Die Zahl der Neubaubeginne erhöhte sich gegenüber dem Vormonat um 22 Prozent. Der Lager­ abbau erreichte im ersten Quartal 1982 ein Rekordvolumen von 39 Milliarden Dollar.

Alle dieses Anzeichen deuten darauf hin, daß die Rezession ausläuft...

Unter den derzeitigen Umständen zeigt sich an vielen Entwicklungen, wie­ viel besser die Verbraucher als manche zynische Kritiker begriffen haben, daß sich eine Konjunkturbelebung anbahnt, die von einem Dollar angthelzt wird, angeheizt wird, der nicht mehr von zweistelligen Inflationsraten ausgehöhlt wird. So erhöhte sich der Index des Verbrauchervertrauens in die Wirtschaft, der von der privaten Wirtschaftsforschungsorganisation Conference Board ge­ führt wird, allein im Mai um über vier Punkte - ein ermutigender Hinweis darauf, daß die breite Masse ebenfalls mit einem baldigen Wirtschaftsaufschwung rechnet...

Damit stehen .die Verbraucher aber keineswegs allein da. Wall Street Journal, Amerikas angesehenste Wirtschaftszeitung, berichtete kürzlich, daß 42 von 44 privaten Organisationen, die sich mit der Erstellung von Wirtschafts­ prognosen befassen, mit einem unmittelbar bevorstehenden Konjunkturaufschwung rechnen. Eine ähnliche Studie des Amerikanischen Verbandes der in der Wirtschaft tätigen Volkswirte (National Association of Business Economists) zu einer kaum weniger optimistischen Einschätzung der kurz- und langfristigen Konjunkturaus­ sichten.

Woher diese relative Einmütigkeit nach vielen Monaten verwirrender und oft­ mals widersprüchlicher Zahlen? Mir scheinen hierfür drei Faktoren maßgeblich:

Allem voran sind die am 1. Juli fälligen Steuersenkungen zu nennen. Vor einem Menschenalter senkte der Kongreß die Einkommensteuersätze und die breite Masse reagierte mit einer Erhöhung der Spartätigkeit bei gleichzeitigem Anstieg der Verbraucherausgaben. Dieses Mal verspricht diese Injektion angesichts noch größerer Steuernachlässe bei rückläufigen inflationären Erwartungen noch weit belebendere Wirkungen zu zeitigen.

Die Inflation als solche - oder vielmehr die wachsende Überzeugung, daß es uns gelungen ist, ihr Zügel anzulegen - ist der zweite Faktor, der zur Be­ schleunigung der Wirtschaftstätigkeit beiträgt. Im März dieses Jahres erlebten wir erstmals in 17 Jahren einen Rückgang des Verbraucherpreisindex, während der Herstellerpreisindex im Mai 1982 keine Veränderung gegenüber April auswies. Das bestätigte die Auffassung derjenigen unter uns, die zwar nicht meinen, wir hätten der Inflation schon das Rückgrat gebrochen, die sich aber sicher sind, daß wir sie gebändigt haben. So vertreten

- 3 - So vertreten heute zahlreiche Beobachter die Meinung, die Inflationsrate sei inzwischen auf weniger als sechs Prozent zurückgegangen. Sie stimmen darin mit den meisten Prognosen für die zweite Jahreshälfte und das kommende Jahr überein. Das bedeutet, daß die Arbeitskosten unter Kontrolle gebracht werden konnten. Der Rückgang der Inflation wiederum wird sich in einer relativen Zu­ nahme der Kaufkraft in Händen der Verbraucher niederschlagen.

Bei den Nahrungsmittel preisen wird mit nur geringen Korrekturen nach oben gerechnet. Die Produktivität dürfte Hand in Hand mit dem verfügbaren Einkommen steigen. Und der Energiebedarf - eine Variable, die viele Wirtschaftswissenschaft­ ler als das spitze Ende eines neuen inflationären Keils ansehen - wird voraus­ sichtlich keine größeren Veränderungen aufweisen, vor allem dann nicht, wenn der irakisch-iranische Krieg zu Ende geht und sich damit die Wahrscheinlichkeit eines Zusatzangebots von drei bis vier Millionen Barrel (159 Liter) Rohöl auf den Weltmärkten abzeichnet.

Es reicht nicht aus, die Inflation zu bändigen - die Verbraucher müssen zu der Überzeugung gelangen, daß dem auch tatsächlich so ist.

Die Psychologie spielt eine wichtige Rolle auch in dem Versuch, die Zins­ sätze von ihrem derzeitigen Höhenflug wieder auf die Erde zurückholen. Wenn sich auf den Geldmärkten erst einmal die Überzeugung durchsetzt, die.Inflation sei besiegt, und wenn die Haushaltdefizite der Bundesregierung wirklich zurückgehen, dann werden die derzeitigen Zinssätze - die übrigens um 25 Prozent niedriger liegen als zur Zeit des Amtsantritts von Präsident Reagan, woran ich Sie er­ innern darf - von sich aus abbröckeln.

Und es gibt noch einen dritten Faktor, der nur allzu oft von jenen über­ sehen wird, die wirtschaftshemmende Indexziffern auf Zeiträume vorhersagen, die nicht weiterreichen, als das Auge sehen kann. Ich spreche von der persön­ lichen Sparrate in unserem Lande. Sie überstieg früher, zuletzt.im Jahre 1975, den Satz von acht Prozent des verfügbaren Einkommens. Bis 1980 war sie auf 5,6 Prozent abgesunken, um Anfang 1981 - vor Einleitung der Steuersenkungen und Steuersenkungen und Ausgabenk'ürzungen der Bundesregierung als den Kernstücken des Wirtschaftsprogramms des Präsidenten - ihrem Tiefstpunkt von 4,6 Prozent zuzustreben.

In den acht Monaten, die seit dem Anlaufen von Präsident Reagans Wirt- schaftsprogramm verstrichen sind, hat sich die Sparrate auf durchschnittlich 5,8 Prozent erhöht - nach einem Durchschnitt von 5,1 Prozent in den ersten drei Quar­ talen von 1981. Das läßt den Schluß zu, daß mindestens ein Teil des zusätzlichen verfügbaren Verbrauchereinkommen gespart wird. Infolgedessen rechnen wir mit einem um 60 Milliarden Dollar höherem Sparaufkommen allein in diesem Jahr - eine Ziffer, die bis 1984 voraussichtlich auf 260 Milliarden Dollar steigen dürfte. Wir hoch auch immer das Spar-Mehraufkommen ausfallen wird, fest steht schon heute, daß die Intensivierung des Sparwillens, die die Wirtschaftspolitik des Präsiden­ ten bewirkt hat, die Haushaltdefizite mehr als wettmachen wird - vor allem un­ ter den Juristen Plänen, die in Kürze im Kongreß zur Sprache kommen sollen.

Die genannten drei Faktoren - die Steuersenkungen zum 1. Juli, der anhal­ tende Rückgang der Inflation und die Aussicht auf ein beträchtlich höheres Spar­ aufkommen - bereiten die Grundlage für einen wirtschaftlichen Aufschwung.

Ein erster Beleg hierfür findet sich in einem heute veröffentlichten Bericht, demzufolge das Bruttosozialprodukt im zweiten Quartal um 0,6 Prozent zugenommen hat. Die Umrisse eines Aufschwungs zeichnen sich mithin ab. Und nach meinem Da­ fürhalten gebietet uns kluges Management, wie in der Vergangenheit, unsere wirt­ schaftliche Lage auch in Zukunft laufend zu analysieren, uns stets Rechenschaft zu legen, inwieweit wir die Ziele unserer Wirtschaftspolitik zu erreichen ver­ mochten und wie sich unsere Vermögenslage darstellt sowie darauf zu achten, ob nicht irgendwo Hilfen gebraucht werden, die wir eigens zu diesem Zweck ent­ wickeln müssen.

Dieser Prozeß wurde, wie Sie wissen, vor anderen Foren bereits eingeleitet. Gesetzesvorschläge für Änderungen beim Zentralbankenrat liegen vor. Von Zeit zu Zeit werden auch Rufe nach Lohn- und Preiskontrollen, nach Kreditbeschränkungen

- 5 - nach Kreditbeschränkungen, Kontrolle der Gewerkschaften und nach anderen denk­ baren raschen Lösungen laut. Jedermann sorgt sich wegen der hohen Zinssätze und jedermann möchte gern den ersten Schluck aus der Flasche mit der heilsa­ men Medizin tun...

Gestatten Sie mir, daß ich Ihnen die Zielsetzungen der Wirtschaftspolitik des Präsidenten ins Gedächtnis zurückrufe:

- Wir wollen die Inflation verringern und die Zinsen senken.

- Wir wollen Anreize für ein anhaltendes Wirtschaftswachstum bieten.

- Wir wollen dem Anstieg der Staatsausgaben Grenzen setzen.

- Wir wollen das Übermaß an staatlicher Reglementierung abbauen.

- Und wir wünschen ein langsames aber stetiges Wachstum der Geldmenge.

Schon ein erster flüchtiger Blick auf diese Liste läßt erkennen, daß hinsichtlich zweier oder dreier dieser Punkte Verbesserungen angezeigt schei­ nen. Allem voran bei den Zinssätzen. Und wenn nun beim Bruttosozialprodukt eine Wende eintritt, wird es umso wichtiger, daß auch die Zinssätze wieder fallen. Wir werden die hieraus resultierende Stärke im Sommer und Herbst brauchen, um dem Auftrieb weitere Nahrung geben und ein solides wirtschaft­ liches Wachstum in Gang bringen zu können. \ An zweiter Stelle rangiert die Geldpolitik. Das vom Bundeszentralbankenrat (Bundesbank) verfügte Geldmenge^wachstum war alles andere als stetig. Das ständige Auf und Ab hat Unsicherheit in allen Kreisen hervorgerufen. Es ist an der Zeit, daß wir einige ernste Fragen bezüglich der Art zu stellen, wie die Durchführung dieser Politik durch den Zentralbankenrat funktioniert. Wir haben die Politik des Zentralbankenrates beharrlich unterstützt, können uns aber mit deren Durchführung nicht einverstanden erklären. Hier aber Hier aber möge die Feststellung genügen, daß wir sämtliche Aspekte unserer Politik zu überprüfen gedenken. Wir wünschen eine umfassende Übersicht, die uns zeigt, welchen Weg wir bisher zurückgelegt haben und wohin uns unser Weg in Zu­ kunft führen wird. Statt Anlaß zur Besorgnis zu geben, sollte eine solche Ober­ sicht vielmehr eine Beruhigung sein.

Ich habe auf meinem Schreibtisch eine Untersuchung der Wirtschaftsmaßnah­ men, die von anderen Administrationen ergriffen wurden, um mit Problemen aller Art fertigzuwerden. Da sind einmal die Preiskontrollen von 1971, die nur wenig zur Milderung der Inflation beizutragen vermochten und vom raschen Wachstum der Geldmenge ausgehöhlt wurden. Da sind die Kreditbeschränkungen von 1980 die uns den schärfsten vierteljährlichen Rückgang des Bruttosozialproduktes in der ge­ samten Nachkriegszeit einbrachten.

Es scheint mir nur logisch, wenn wir ähnliche Fehler nicht noch einmal zu machen wünschen - wenn wir sicherstellen wollen, daß sämtliche Optionen und neuen Initiativen und deren Folgen durchdacht werden, sollten im Zusammenhang mit unserer grundlegenden Politik irgendwelche neuen Initiativen notwenig wer­ den. Und ich unterstreiche die Bedingungsform in meinem letzten Satz...

Eine politische Feststellung kann ich mit Gewißtheit treffen: daß der Präsident an diesem Kurs festhalten wird, der uns den Zugang zur Prosperität offenhält und eine breite Streuung der Segnungen einer freien Wirtschaft ge­ währleistet. Und dieser Kurs umschließt die Grundprinzipien des Wirtschafts­ programms des Präsidenten, das uns, davon bin ich fest überzeugt, in eine hellere wirtschaftliche Zukunft führen wird.

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- 7 - Ulift/choft

International Communication Agency Embassy of the United States of America

25 30. Juni 1982

US-REGIERUNG BEFÜRWORTET KOMMERZIELLE PRODUKTION SYNTHETISCHER BRENNSTOFFE

(AD) — Die Reagan-Administration hat die Verpflichtung der US-Regierung bekräftigt, sich für den Aufbau einer Synthesebrennstoff-Industrie zur Schaf­ fung einer zuverlässigen Alternative für Importöl einzusetzen. Wie Edward E. Noble, der Vorsitzende des Direktoriums der staatlichen Gesellschaft für Syn­ thetische Brennstoffe (SFC - Synthetic Fuels Corporation), vor einem Kongreß­ ausschuß erklärte, sei der Aufbau einer leistungsfähigen Industrie für die Pro­ duktion synthetischer Brennstoffe von "enormen" strategischem Wert. Aus diesem Grund müsse die US-Regierung einen Teil der finanziellen Risiken übernehmen, die sich in der Anfangsphase ergeben.

Es sei notwendig, so Noble, daß die Vereinigten Staaten ihre Fähigkeit unter Beweis stellen, Synthesebrennstoffe auf kommerzieller Basis zu Preisen zu produzieren, die im Rahmen der Gesamtwirtschaft tragbar sind. Da Planung, Entwurf und Bau einer entsprechenden Anlage acht bis zehn Jahre erforderten, habe man bei Synthesebrennstoff-Projekten ohnehin größere Zeiträume zu berück-

Postfach 20 03 00 Tel.: 0228-339 22 40 D 5300 Bonn 2 Telex: 08-85432 Zeiträume zu berücksichtigen. Jedoch solle die staatliche Organisation SFC nur die "absolut notwendigen" Mittel bereitstellen, um den kommerziellen Einsatz synthetischer Brennstoffe zu fördern. Sobald dieser Prozeß in Gang gekommen sei, dürften die marktwirtschaftlichen Gegebenheiten ausreichen, um die Ent­ wicklung der neuen Industrie zum Abschluß zu bringen.

Die Stellungnahme Edward E. Nobles vom 9. Juni 1982 vor dem Unterausschuß des US-Repräsentantenhauses für Umwelt, Energie und natürliche Hilfsquellen ist im Folgenden auszugsweise wiedergegeben:

Der strategische Wert, der sich aus der Fähigkeit der Volkswirtschaft zur Produktion synthetischer Brennstoffe zu erschwinglichen Preisen ergibt, ist enorm groß. Vielleicht brauchen wir nicht unbedingt ein Produktionsniveau von vielen Millionen Barrel pro Tag, und wir brauchen auch nicht mit den täglich variierenden Niedrigstpreisen für öl zu konkurrieren. Was wir als Nation tun müssen, ist die Demonstration der Fähigkeit zur Produktion synthetischer Brenn­ stoffe im kommerziellen Maßstab zu Preisen, die im Rahmen unserer gesamten Wirt­ schaft tragbar sind. Sind wir erst einmal so weit gekommen, können wir als Na­ tion und führende Weltmacht frei unsere Interessen ohne Furcht oder Bedrohung verfolgen.

Wenn es also für die Nation so eindeutig in strategischer wie wirtschaft­ licher Hinsicht von Vorteil ist, synthetische Brennstoffe zu entwickeln, stellt sich die Frage: Weshalb haben wir dies noch nicht getan, insbesondere angesichts der erklärten nationalen Verpflichtung? Ich glaube, die Antwort liegt in unseren unrealistischen Erwartungen hinsichtlich der Zeit und der konzentrierten Anstren­ gungen, die notwendig sind, um eine neue, marktfähige Industrie aufzubauen.

Es bedurfte mehr als eines Jahrzehnts von beharrlichem nationalen Engage­ ment, um einen Menschen zum Mond zu bringen. Eine ähnliche Zeitspanne und ähn­ liche gemeinsame Anstrengungen werden erforderlich sein, um die verschiedenen Technologien im kommerziellen Maßstab zu erproben, um das Management- und Fach­ kräftepotential zu entwickeln und um die für eine Synthesebrennstoff-Industrie

- 2 - Synthesebrennstoff-Industrie notwendige Infrastruktur zu schaffen. Im übrigen vermögen wir nur durch Kontinuität und Absehbarkeit von Politik und Programmen der Bundesregierung bei den Investoren das für das Wachstum der jungen Indu­ strie so lebenswichtige Vertrauen zu erringen.

Hinsichtlich marktfähiger synthetischer Brennstoffe haben wir es mit einem Gebiet zu tun, auf dem es noch keine wesentlichen Erfahrungen gibt. Ge­ genüber den Mitgliedern dieses Ausschusses oder des Kongresses brauche ich ganz gewiß nicht die vielen Ungewißheiten zu erwähnen - von der Wirtschaftlichkeit bis zur Technologie und den Auswirkungen auf die Umwelt -.welche Investitionen seitens der Privatwirtschaft für bahnbrechende Synthesebrennstoff-Werke er­ schweren. Und außer diesen schon bekannten Ungewißheiten gibt es ja auch noch das im Hintergrund lauernde Hemmnis von staatlichem Reglement und der Besteue­ rung, vor allem dann, wenn sich die Industrie als erfolgreich erweist.

So bietet also im gegenwärtigen Zeitpunkt die Entwicklung einer Synthese­ brennstoff-Industrie große Vorteile für die Nation, aber große Risiken für jene in der Privatwirtschaft, die investieren würden. Aus diesem Grund kann ich heute Ihnen gegenüber nach gründlichem Abwägen der Situation der sich entwickelnden Industrie ohne Vorbehalt sagen: Das nationale Engagement für synthetische Brenn­ stoffe muß erhalten bleiben.

Die Frage, weshalb die Entwicklung synthetischer Brennstoffe nicht schnel­ ler vor sich ging, ist wohl damit zu beantworten, daß eine "schnelle" Entwick­ lung nicht möglich ist, daß wir jedoch stetigen und verantwortungsbewußten Fort­ schritt verzeichnen. Das Engagement muß langfristig sein, weil Planung, Ent­ wurf und Bau jedes einzelnen Synthesebrennstoff-Werks acht bis zehn Jahre er­ fordert. (Das ist nicht zwangsläufig gleichbedeutend damit, daß wir ein Bun­ desprogramm für neue Projektvorlagen und Prämienleistungen über ein Jahrzehnt fortführen müßten. Aber wir müssen das im Energiesicherungs-Gesetz gegebene Versprechen erfüllen, indem wir zusammen mit privaten Förderern einige der immensen Risiken teilen, die sich aus dem Bau der ersten Anlagen ergeben.)

Seit einigen

- 3 - Seit einigen Jahren ist das US-Energieministerium auf dem Gebiet der For- schungs- und Entwicklungsanstrengungen zur beschleunigten.Entwicklung synthe­ tischer Brennstoffe aktiv tätig. Die Studie zur Durchführbarkeit und die bei Kooperationsabkommen vom Energieministerium zugeteilten Mittel stimulierten und unterstützten Programme der Privatindustrie, die Marktfähigkeit synthetischer Brennstoffe zu sondieren.

• Infolge dieser gemeinsamen Anstrengungen von Bund und Industrie und des Interimprogramms für alternative Brennstoffe, das der Tätigkeitsaufnahme der SFC vorausging, haben wir jetzt in den Vereinigten Staaten zwei großtechnische Synthesebrennstoff-Werke in Bau. Beide berichten von einem im allgemeinen ter­ mingemäßen Fortgang der Arbeiten unter Einhaltung des gesetzten finanziellen Rahmens. Wie Sie wissen, werden die Arbeiten an einem dritten Projekt, COLONY (Schieferölwerk in Colorado) gegenwärtig eingestellt. Aber das federführende Unternehmen, EXXON, hat seiner Überzeugung Ausdruck gegeben, daß alternative Brennstoffe "zur Deckung des künftigen Brennstoffbedarfs der USA notwendig sind".

• Auf der Vorbereitungsarbeit des US-Energieministeriums aufbauend, hat die Gesellschaft für Synthetische Brennstoffe zwei allgemeine Ausschreibungen zur Einreichung von Vorschlägen in Angriff genommen. Von der ersten Ausschreibung stehen gegenwärtig fünf Projekte in der Phase zwei hinsichtlich einer mögli­ chen finanziellen Förderung in intensiver Prüfung. Ende dieses Monats läuft die Frist zur Entscheidung der Frage ab, ob die Vorschläge der ersten Serie von Erfordernissen im Rahmen der Grundbedingungen für die Phase zwei genügen. Diese betreffen die Technologie-Genehmigung für die Projekte, Management, Vermarktung und gewisse andere Erfordernisse.

Bei der SFC gingen außerdem 35 Vorschläge auf die zweite allgemeine Aus­ schreibung ein, die am 1. Juni 1982 ablief. Sie zeigen eine große Vielfalt in bezug auf Grundstoffe, Technologie und Standorte. Unter ihnen sind sieben Vor­ schläge über Schieferölprojekte, neun für die Ausbeutung von Teersänden, neun über Kohleverflüssigung, fünf über Kohlevergasung und einer über ein Projekt zur Verwertung einer Kohle-Öl-Mischung. Die anderen vier Vorschläge nennen

- 4 - Vorschläge nennen keine spezielle Kategorie. Unsere Mitarbeiter haben mit der gründlichen Analyse der 35 Eingaben begonnen und werden dem Direktorium so bald wie möglich Empfehlungen unterbreiten. Aber ich möchte hier doch gerne unsere Überzeugung zu Protokoll geben, daß die Zahl und die Vielfalt der eingereichten Projektvorschläge ein nach wie vor bestehendes großes Interesse der privaten Be­ fürworter an der Entwicklung synthetischer Brennstoffe erkennen läßt. *

Die Vorhersage des künftigen Bedarfs, der Versorgung und der Preise für Ener­ gie im nationalen wie im weltweiten Rahmen ist stets eine dubiose Angelegenheit. Ich ziehe es vor, mich an Fakten zu halten. Eine Tatsache ist die, daß die Versor­ gung mit herkömmlichem öl ihre Grenze hat. Eine zweite ist der Umstand, daß die­ ses öl zum großen Teil aus Gebieten kommt, die - aus verschiedenen internen und weltpolitischen Gründen - auch künftig nicht zur Ruhe kommen werden. Darüber hi­ naus hängen Stabilität und Verhalten vieler dieser ölreichen Länder in hohem Grade davon ab, wie sie die Vereinigten Staaten sehen - unsere Erfordernisse, unsere Verpflichtungen, und unsere Entschlossenheit.

Es wurde gefragt: Ist dies die richtige Zeit für Synthesebrennstoffe? Darauf möchte ich nachdrücklich mit "Ja" antworten. Es ist an der Zeit, mit kommerziellen Projekten voranzukommen. Wir werden, wenn wir die ersten Anlagen bauen, auf Pro­ bleme stoßen; und diese werden die Aufmerksamkeit auf sich lenken, Ideen hervor­ bringen und Wettbewerb stärken. Ich bin fest davon überzeugt, daß gut geplante, gut konstruierte und geführte Projekte wirtschaftlich lebensfähig sein können. . Außerdem bin ich überzeugt, daß sich gegenseitige Anregungen aus den Projekten ergeben, während sie sich entwickeln. Vor allem aber werden wir unsere Fähigkeit • beweisen, synthetische Flüssigbrennstoffe und Synthesegas zu produzieren, wenn es und in welchem Umfang dies erforderlich ist, und damit für die übrige Welt ein Zeichen setzen...

Wie es bei allen Pionierleistungen der Fall ist, haben die Befürworter des Synthesebrennstoff-Projekts gewisse Schwierigkeiten, das notwendige Ridikokapital zusammenzubekommen. Hauptaufgabe der SFC ist es, Anreize zu schaffen, um diese Ka­ pitalbildung zu unterstützen. Indem wir gewisse Verbindlichkeiten bei Projekten

- 5 - Projekten übernehmen, die wir technisch und wirtschaftlich für realisierbar halten, schaffen wir für diese Projekte die Möglichkeit, Interesse zur Finanzie­ rung mit Marktmitteln zu wecken.

Ich zweifle nicht daran, daß letzten Endes die Marktwirtschaft die Entwick­ lung von Synthesebrennstoffen unterstützen wird. Wenn wir aber den Prozeß be­ schleunigen und so die mit fortdauernder Abhängigkeit von ölimporten verbundenen Wirtschafts- und Verteidigungsprobleme auf ein Mindestmaß beschränken wollen, ist eine gewisse Form von Regierungshilfe notwendig. Der Kongreß hat die Gesell­ schaft für Synthetische Brennstoffe als Instrument für diese Hilfe ausersehen. In meiner - früher von Zweifeln beherrschten - Sicht bin ich jetzt überzeugt, daß der Kongreß Recht hatte mit seiner Beurteilung, daß Land brauche die Möglichkeit zur Produktion synthetischer Brennstoffe, und die Gesellschaft sei das richtige Instrument zur Förderung dieser Entwicklung. Ich bin auch weiterhin entschlossen, nicht mehr Geld als unbedingt notwendig für das Ingangsetzen der einschlägigen Industrie zu riskieren. Und wir werden, entsprechend dem vom Kongreß erteilten Mandat, die Unterstützung beenden. Sobald wir dies verantworten können.

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