End of the Line - The remastered und revisited

von Axel Jost

Die Werbekampagne damals vor 20 Jahren war sehr zurückhaltend, fast beiläufig. Ein paar nichtssagende Bilder gab es - Schwarz-Weiß-Fotos von Leu- ten in absurd-komischen Fortbewe- gungsmitteln. Dazu noch den Spruch "The Traveling Wilburys are coming!" - und das war es auch schon. Dahinter verbarg sich angeblich eine Super- gruppe, die dem Vernehmen nach aus , , , und bestehen sollte. Auch Superdrummer sollte mit von der Partie mühte sich nun redlich mit einer neuen sein. Unter merkwürdigen Pseudo- Solo-Platte ("Cloud Nine") um ein nymen und unter einem unverfänglich- Comeback, konnte damit aber keines- allgemeinen Namen würde diese wegs an seine früheren Solo-Erfolge Truppe quasi inkognito eine gemeinsa- ("All Things Must Pass"), geschweige me Platte herausbringen, war irgendwie denn an Beatles-Zeiten anknüpfen - auch noch aus dem künstlich erzeugten und Roy Orbison mit seiner opernhaf- Nebel gedrungen. Aha. ten Stimme war eh ein Mann aus der 1988 hat das niemanden wirklich Vergangenheit, jemand fürs Archiv. aufgeregt. Die Musiker gehörten zwar Tom Petty, der Jüngste im Bunde und zu den besten und bekanntesten ihrer stets rechtschaffen, spielte damals noch Zunft, aber eine echte Sensation erwar- im Mittelfeld der Rock'n'Roll-B-Liga, tete zu diesem Zeitpunkt wohl niemand und der irgendwie furchtbar aufdring- mehr von ihnen. Sie schienen ihre lich wirkende Brite Jeff Lynne hatte Glanzzeiten nämlich hinter sich zu notgedrungen das Licht seines Electric haben: Bob Dylan steckte nach seiner Light Orchestra ausschalten müssen, religiösen Phase in einer tiefen Schaf- nachdem er dessen Synthesizer-basier- fenskrise, die sich in erratischen Live- tes Konzept bis zum Geht-nicht-mehr Auftritten und schwachen Studioauf- ausgereizt hatte. nahmen manifestierte; George Harrison Teils geschäftliche Zusammenhän- hatte sich sogar zeitweise völlig aus dem ge, teils Zufall und teils bewußtes Musikgeschäft zurückgezogen und be- Kalkül hatten die fünf dann doch

1 Hörerlebnis zusammengeführt und zum gemeinsa- Showbusiness waren sicherlich nicht men Musikmachen veranlaßt. Eigent- nur aus der Luft gegriffen, sondern lich war es zunächst nur um einen zwei- beruhten auf eigenen echten Erfah- ten Song auf der B-Seite einer rungen. Nur daß diese kritischen Töne Maxi-Single von George Harrison eben nicht so bierernst daher kamen, gegangen, der mal eben noch geschrie- wie man es beispielshalber von den ben und eingespielt werden sollte. Songs des Iren Van Morrison kennt, Genau dieses Vorhaben aber setzte die sondern in einen skurril-witzigen Zu- vielfach beschriebene Kettenreaktion sammenhang aus sprachlichen Non- des sich gegenseitigen Ansprechens und sense-Elementen und Allgemeinplätzen Treffens in Gang, an deren Ende die eingebettet waren. Desgleichen war der Sessions und schließlich die erste LP in "Handle With Care" aus der Sicht der Traveling Wilburys, schlicht "Vol. 1" eines alternden Menschen geäußerte geheißen, stand. Wunsch nach Anerkennung, Respekt "Handle With Care" hieß der rasch und Liebe sicherlich ebenfalls mehr als fertiggestellte Song, mit dem die spon- bloßes Blabla. tane Kollaboration eigentlich ihr Be- Die musikalische Präsentationsform wenden hätte haben sollen. Die feinen nicht nur dieses, sondern aller Titel auf Näschen der zum Anhören geladenen der LP basierte auf dem knackigen Plattenbosse erkannten in dem Titel Klang reichlich vorhandener akusti- aber nicht nur die von Harrison zuge- scher Gitarren und dem oft überra- sagte B-Seite, sondern witterten dahin- schenden Wechselspiel der äußerst ter einen Riesenhit und obendrein sogar unterschiedlichen Gesangsstimmen. noch weiteres Potential für eine ganze Wenn etwa Dylans dunkel raspelndes LP - zu Recht. Denn die ungewöhnliche Organ die strahlend schöne helle Stim- Kombination an Mitwirkenden erlaubte me Orbisons in "Handle With Care" der Musik eine Lässigkeit und Frische, ablöst, kommt beim Hörer Spannung die etlichen der Akteure zwischenzeit- auf, weil der sich fragt, was da wohl lich abhanden gekommen war bzw. die noch an musikalischen Überraschungen man ihnen sowieso nie zugetraut hätte. kommen könnte. Die klaren Songstruk- Gewürzt war der Text zudem mit turen und das zumeist gemäßigte mehr als nur einer Prise britischen Tempo kamen außerdem den Hörge- Humors. Zwar hatte der Songtitel einen wohnheiten der älter gewordenen Rock- sehr banalen Ursprung: "Handle With Freunde sehr entgegen. Jeff Lynne Care" stand auf einem Karton in Dy- hatte als Produzent für einen einheit- lans Garage, in der man sich zum lich-ausgewogenen und rundum wohli- Proben eingefunden hatte - doch der gen Klang gesorgt. Zudem spiegelte Songtext hatte es in sich. Die hier von sich in den eingängigen Melodien, den den Musikern angestimmten Klagen vielstimmigen Harmonien und den ver- über die diversen Zumutungen des trauten Rhythmen der Wilburys-Musik

2 Hörerlebnis so ziemlich all das an musikalischen setzte, und zwar so, daß hier in optimi- Elementen wider, was man an Sounds stischer Weise Aspekte des Trostes und in der Rock-Geschichte so kennen und der Hoffnung angesprochen werden; lieben gelernt hatte - von den damit ver- Themen also, denen man sich als be- bundenen eigenen Erinnerungen ganz wußter Hörer kaum entziehen kann, da zu schweigen... jeder Mensch davon betroffen ist. Den passenden Schlußakkord der Daß sich die wichtigsten Songs der zehn Songs umfassenden (und ca. 35 ersten Wilbury-LP um das Älterwerden Minuten langen) Scheibe setzte der Titel drehen, ist aus heutiger Sicht kein "End of the Line"; ein weiteres Stück, Zufall. Denn Ende der Achtziger, das das wiederum vordergründig sinnlos war die Zeit, in denen die Musiker aus Phrasen aneinander reihte, sich in der Generation der Beatles ins gesetzte- Wirklichkeit aber recht ernsthaft mit re Alter kamen und langsam auf die dem Alter und dem Altern auseinander- Fünfzig zusteuerten (sofern sie bis

3 Hörerlebnis dahin überlebt hatten). Und es war bei- "Mojo"), ist sicherlich auch dieser ersten leibe nicht klar gewesen, ob man denn Platte der Traveling Wilburys zu ver- überhaupt noch Rockmusik hören oder danken, der insoweit deutlich mehr machen könnte, wenn man die Vierzig Bedeutung zukommt, als man es einer erst einmal überschritten haben würde. eher zufällig und kumpelhaft entstande- Die Beatles und ihre Mitstreiter hatten nen Songsammlung normalerweise als rein auf die Jugend reduziertes zugestehen würde. Phänomen angefangen; wie es später Für die musikalischen Karrieren der weitergehen sollte, darüber hatte sich Bandmitglieder selbst erwies sich die zunächst niemand Gedanken gemacht. Platte als Glücksfall. Zuvörderst für Man schaue sich nur einmal die origina- Bob Dylan, dessen textliche Hand- len Fernsehreportagen aus der Zeit des schrift die darbenden Fans in einigen 67er Monterey-Pop-Festivals an: Da der besten Wilbury-Songs ("Dirty geht der Reporter völlig selbstverständ- World", "Congratulations", "Tweeter lich davon aus, daß die Fernsehzu- and the Monkey Man") erkannten und schauer über 40(!) mit den Namen der die nun wieder Hoffnung schöpfen ganzen dort auftretenden Künstler konnten - eine Hoffnung, die sich mit absolut gar nichts anfangen könnten, Dylans fabelhaftem 89er-Album "Oh weil sie diese schon rein altersbedingt Mercy" dann auch kurze Zeit später mit Sicherheit noch nie gehört hätten. erfüllte. Seitdem hat Dylan übrigens Der Erfolg der locker-flockig und keine schlechte Platte mehr gemacht. entspannt daherkommenden Wilbury- Tom Petty legte ebenfalls 1989 sein Musik aber zeigte zwei Jahrzehnte spä- Meisterwerk "" vor, ter dann doch: Ja, es ging, und ja, man welches ihn in die Liga der Rock- durfte. Die Altersgrenzen für Rock- Champions katapultierte, die er seitdem musik begannen zu fallen. Es spielte bei nicht mehr verlassen hat. Roy Orbison der Glaubwürdigkeit einer Rockband verstarb zwar wenige Monate nach keine Rolle mehr, wie alt ihre Mitglieder Veröffentlichung der Wilbury-Platte, waren. Altrocker wie die Stones oder aber sein posthum erschienenes Opus Genesis sorgen mittlerweile für weitaus "Mystery Girl" verschaffte ihm auch vollere Häuser als viele ihrer jüngeren endlich wieder die Anerkennung der Zeitgenossen. Der aktuelle Riesenerfolg ernsthaften Kritik, die ihm lange Jahre der Band The Zimmers ("My Genera- verwehrt geblieben war. Die Platten von tion"), die ihre hochbetagten Mitglieder Petty und Orbison waren zudem unter aus britischen Altersheimen rekrutiert, intensiver Mithilfe von anderen Mit- ist da nur der logische Schlußpunkt die- gliedern der Wilburys entstanden. ser Entwicklung. Daß es heute Rock- George Harrison, dessen von Jeff musik-Magazine gibt, die sich vor allem Lynne produziertes Album "Cloud an ältere Hörer richten (hierzulande Nine" ja in gewisser Weise die Ursache etwa der "Rolling Stone", in England für die Bildung der Traveling Wilburys

4 Hörerlebnis dargestellt hatte, verdiente sich als gleichbar - und enthalten dabei wieder- Mastermind und heimlicher Bandleader um eine ganze Menge Nachdenkliches. hohen Respekt in der Szene - übrigens Selten etwa wurden Umweltprobleme auch für die humorige Gestaltung des so witzig und dennoch eindringlich Umfeldes mitsamt den kryptischen angesprochen wie auf "Inside Out" Pseudonymen und der witzigen Wil- oder "The Devil's Been Busy". In bury-Historie, bei deren Formulierung "Where Were You Last Night?" nahm er auf die Unterstützung seines Freun- Bob Dylan seinen chaotischen Rock'n'- des und Monty-Python-Mitglieds Mi- Roll-Lebensstil sarkastisch unter die chael Palin zurückgreifen konnte. Lupe. Sowohl der erste ("She's My Einige Jahre später brach Harrison Baby") als auch der letzte Titel ("Wil- sogar wieder zu einer Musiktournee bury Twist") der Platte waren zwei flot- durch Japan (gemeinsam mit Eric te Rocknummern, die beide als Single Clapton) auf. Jeff Lynne konnte seine veröffentlicht, als Videoclip verfilmt Arbeit als Produzent erfolgreich fort- und bei MTV und Konsorten reichlich setzen und erwarb sich insbesondere gespielt wurden. durch die spätere Produktion der Andererseits war freilich der "Beatles Anthology" einen sehr guten Wilbury-Überraschungseffekt vorbei; Namen. und Roy Orbison war tot. Das neue Zwei Jahre nach "Vol. 1" erschien Produkt wirkte kalkulierter, "produzier- das "Vol. 3" der Traveling Wilburys. ter" als die erste, quasi spontane Schei- Seitdem wird gerätselt, was es wohl mit be. Demzufolge waren die Kritiker- dem nie veröffentlichten "Vol.2" auf Reaktionen auch nicht mehr ganz so sich haben könnte. Ist es in Wirklichkeit enthusiastisch-freundlich wie noch Tom Pettys "Full Moon Fever"? Ist es 1988. Die Aufnahme hatte die an sie die geplante, vielleicht sogar in Teilen gestellten Erwartungen zwar erfüllt, eingespielte, aber letztlich nie realisierte aber eben nicht, so wie beim ersten LP der Wilburys mit Del Shannon (der Versuch, weit übertroffen. Nach zu- Anfang 1990 Selbstmord begangen nächst recht erfolgreichem Start ver- hatte)? Oder ist der Versionssprung von flüchtigte sich das Interesse der Öffent- 1 auf 3 schlicht ein Scherz? Gleichviel, lichkeit an der Produktion, zumal die "Vol. 3" war eigentlich eine sehr solide Traveling Wilburys niemals zusammen Angelegenheit, die freilich unter dem öffentlich auftraten oder gar gemeinsam Fehlen von Roy Orbison (oder von Del tourten. Shannon - viele Songs wirken nämlich Mitte der Neunziger verschwanden schneller und rockiger als auf der die CDs dann endgültig aus den Vorgängerin) litt. Die Songs haben alle- Verkaufsregalen (sieht man von Grau- samt erneut Ohrwurmcharakter, sind Produktionen aus dem Osten einmal von ihrer Machart und Struktur her ab), obwohl sich beide Wilburys-Platten denen auf der ersten Wilbury-LP ver- insgesamt gut verkauft hatten: "Vol. 1"

5 Hörerlebnis Der Limited Collection beigelegtes Foto hatte es auf weltweit fünf Millionen Dylan, Petty, Orbison, Harrison, Lynne. verkaufte Einheiten gebracht, und "Vol. 3" schaffte es wohl mindestens eine nen erhältlich: Million mal über die Ladentheken. - als "Standard-Package" im Digi- Während also die Ursprungspro- Pack mit den beiden CDs und den duktionen zwar nie die ganz hohen Bonus-Tracks, einer DVD und einem Positionen der internationalen Charts 16-seitigen Booklet erreicht hatten (die Platten sich aber als - als numerierte "Deluxe Edition" zuverlässige Dauerseller erwiesen hat- im leinengebundenen Schuber mit den ten, jedenfalls solange sie am Markt gleichen drei Silberlingen und einem waren), änderte sich das mit einem erweiterten 40-seitigen Booklet und Schlag, als im Juni diesen Jahres die anderen kleinen Dreingaben (den ein- Dreier-Box "The Traveling Wilburys gangs erwähnten Uralt-Fotos z.B. und Collection" auf den Markt kam. dem nummerierten Zertifikat) in einem Zunächst war die Edition in drei Versio- braunen Umschlag

6 Hörerlebnis - als "Digital Edition Bundle" mit gutbetuchten Käufern gemacht hat den beiden erweiterten CDs zum - Der Zeitpunkt war schlechterdings Herunterladen, Video-Inhalten und genau passend, nachdem die Musik einem interaktiven Booklet. lange Jahre nicht mehr zu erhalten In dieser geballten Form schaffte es gewesen war und für gebrauchte die Collection auf Anhieb in die Top Produkte immer höhere Preise gefor- Ten der meisten relevanten Charts, in dert worden waren einigen Ländern (Großbritannien, - Und natürlich die 100% handge- Irland, Australien, Norwegen) landete machte und irgendwie grundehrliche sie sogar direkt auf dem Spitzenplatz. Musik, die man heutzutage eigentlich Die Musik der Traveling Wilburys nur noch bei kleinen Labels findet, die errang also als Re-Issue 20 Jahre später hier aber von (mittlerweile) legendären dramatisch höhere Chart-Positionen als Leuten mit äußerst klangvollen Namen bei ihrer Erstveröffentlichung. Die eingespielt wurde Deluxe-Edition war zudem sofort aus- - Für Sammler und andere Kom- verkauft, viele Versandhändler mußten plettisten mögen auch die Bonus-Tracks sogar den Vorbestellern ihr Geld zu- (die freilich alle über sehr schlecht klin- rück zahlen, weil sie nicht genügend gende Bootlegs bereits bekannt waren) Boxen liefern konnten. Ein AMAZON- und die neuen Liner-Notes etc. ein Shop-Anbieter verlangt bereits 500 Kaufgrund gewesen sein. Dollar für eine ungeöffnete Box (und Die neu gemasterten Stücke von ich mußte meine mit viel Glück erwor- "Vol. 1" klingen aber in meinen alten bene für diesen Bericht "schlachten", Ohren (und meiner "klassischen" An- seufz). Für Vorbestellungen der derzeit lage: Roxan Xerxes Plattenspieler mit (Anfang Juli 2007) noch nicht veröf- Clearaudio PSO, B-Lab Vorverstärker, fentlichten Vinyl-Edition (zwei LPs, Spendor 75/1A Lautsprecher und Sony eine erweitere Maxi-Single, ein großes CDP-X-555-ES CD-Player) nicht unbe- Buch) werden bei EBay bereits satte dingt besser, im Gegenteil. Die neue dreistellige Beträge gefordert. CD ist im direkten Vergleich mit der Dieses fast schon hysterische alten CD sofort hörbar lauter. Das Kaufverhalten hat mehrere recht gut Klangbild ist zwar präziser und wirkt nachvollziehbare Gründe: dynamischer: Alle Klangerzeuger haben - Das Remastering der Songs und ihren unverrückbar festen Platz; der überhaupt der gesamte Aufberei- Preis dafür aber ist ein deutliches Mehr tungsprozeß wurde in die Hände der an Schärfe. Alles wirkt enger und gleich- bestens beleumundeten Firma Rhino zeitig überzeichnet. Es fehlt die Luft. Records gelegt, die sich mit vielen luxu- Ein unangenehm künstliches Vakuum riösen und high-fidelen Editionen klas- tut sich auf. Pointiert formuliert: Die sischer Rockmusik einen hervorragen- Sänger scheinen mit zugeschnürten den Namen bei den zumeist Hälsen um die Mikrofone zu stehen, am

7 Hörerlebnis Boden festgenagelt; die Resonanzräume es fehlt Dynamik. Kurios leider, aber ihrer Gitarren sind mit Stahlwolle aus- irgendwie nicht zu ändern. Vielleicht ist gekleidet. Einen klanglichen Mehrwert die Platte nicht zuletzt deswegen häufig vermag ich nicht zu erkennen. Am unterschätzt worden, denn die Songs Ende meiner diversen Vergleichsver- darauf machen im Prinzip richtig Spaß. suche bezüglich "Vol. 1" gefällt mir Und den hat man nun wirklich bei der meine alte LP noch immer am besten. remasterten Aufnahme, sofern man sich Ihr warmer, offener, weicher, irgendwie nicht allein schon an der Tatsache stört, leicht verwaschener Klang paßt meiner daß diese ebenfalls lauter ist. Aber hier Meinung nach einfach am besten zur hat die Nachbearbeitung wirklich etwas legeren Wilburys-Musik. Die Schall- gebracht: Es geht nichts an Atmosphäre platte klang zudem beim neuerlichen und Ambiente verloren, dafür aber Hören besser als je zuvor. Ob es wohl wirkt die Musik transparenter und daran liegt, daß mein Plattenspieler lebendiger im Sinne von "livehaftiger". kürzlich von unserem Herausgeber MK Die Gesangsstimmen kommen körper- einer persönlichen Generalüberholung hafter und sind etwas besser verständ- unterzogen wurde? Hat er gar heimlich lich. Ihren auch hier etwas geschärften magische Klangplättchen eingebaut? Charakter verzeiht man daher gerne. Aber Scherz beiseite: Im Konzert der Die Aufhellungen im Klangbild sind allgemeinen Lobeshymnen über die künstlich, gewiß, aber nicht spitzig. Sie Neuveröffentlichung stellt dieser Quasi- verleihen der Musik den auf der Verriß eine subjektive Einzelmeinung Ursprungs-CD vermißten Glanz und dar, zu der ich stehe. Ich würde mich ja machen insofern durchaus Sinn. Und gerne eines Besseren belehren lassen, da die alte LP von "Vol. 3"? Gut, an die ich die Musik sehr schätze und ihr weite Dynamik und die Power der neuen CD Verbreitung wünsche. Richtig gut reicht sie nicht ganz heran. Sie klingt kommt die neue Produktion von "Vol. aber - wie gesagt, sehr subjektiv wahr- 1" dafür über meinen Computer (Asus genommen - noch etwas besser aufge- Notebook G2P, Lautsprecher Logitech löst und natürlicher. Die Musik insge- Z-10), wo - nebenbei bemerkt - die samt wirkt darauf ausgewogen, Scheiben verblüffenderweise als De- harmonisch und klar. luxe-Edition-CDs erkannt werden. Daß in beiden Fällen die LPs fast Bei "Vol. 3" ist es beileibe nicht so den besten Eindruck hinterlassen, kritisch, insbesondere, wenn man nur macht sehr neugierig auf die neue, die CDs miteinander vergleicht. Die mir ebenfalls "remasterte" LP-Edition. vorliegende alte CD (sicherlich die Sofern ich auch davon ein Exemplar Erstauflage) klingt leider per se viel ergattern kann, werde ich meiner dumpfer, mulmiger und dabei blasser, Chronistenpflicht wieder nachkom- irgendwie "garagenmäßiger" als die alte men… "Vol. 1"-CD. Der Sound ist eher schlaff, An den Bonus-Tracks wurde inhalt-

8 Hörerlebnis lich ein wenig herum gefeilt, was freilich ebenfalls nur noch unverbesserliche Fundamentalisten wie mich zu stören scheint: Sowohl "Maxine" (George Harrison) als auch "Like A Ship" (Bob Dylan) wurden mit zusätzlichen Background-Vocals aufgepeppt und mit neuen Gitarrensoli versehen; beim bereits bekannten "Runaway" wurden Gitarren und Mundharmonika teilweise gegen ein Keyboard (Clavioline - in der Tat oft von Del Shannon verwendet) ausgetauscht. Ein echtes Highlight der Collection ist aber unzweifelhaft das auf DVD bei- gegebene Videomaterial. Neben den bekannten, aber dennoch schwer in guter Qualität zu bekommenden Video- clips ("Handle with Care," "End of the Line," "She's my Baby," "Inside Out," und "Wilbury Twist") findet sich ein für Fans unverzichtbarer 25-minütiger Film, der wohl hauptsächlich mit Geor- ge Harrisons Handkamera aufgenom- men wurde und von dessen Existenz bis jetzt eigentlich niemand etwas wußte. Hier wird sehr viel besser, als dies mit trockenen Worten beschreibbar wäre, die Entstehung der ersten Wilbury-LP und die freundschaftlich-engagierte Zu- sammenarbeit der Musiker dokumen- tiert. Einen Glanzpunkt stellt etwa die spontane Session am Küchentisch dar, wenn die versammelte Truppe das Lied der "Ghostriders in the Sky" an- stimmt… Der momentane Hype um die oben: Wilbrurys erste CD 1988 mitte: Wilburys dritte CD unten: Plakat einer alten Werbekampagne

9 Traveling Wilburys kann im Hochpreis- hörte. Die Wilburys hatten mich näm- Segment noch ganz andere Formen lich von Beginn an sehr fasziniert, und annehmen, denn der britische Verlag das über lange Zeit hinweg, ja eigentlich Genesis Publications (mit der gleichna- bis zum heutigen Tag. Ich weiß noch, migen Band nicht verwandt oder ver- daß ich mir die erste Wilbury-Scheibe schwägert) hat ein Buch über die am Tage ihres Erscheinens in Köln Traveling Wilburys angekündigt. Viele gekauft habe, am 21.10.1988, direkt im der ersten Popmusik-Bücher dieses Anschluß an ein Musik-Interview (Me- Verlages drehten sich übrigens um die lissa Etheridge) für DAS OHR. Die Beatles und insbesondere um George Musik und vor allem die Idee der Harrison. Sie beinhalten neben dem Wilburys hatten mich unmittelbar von Spitzenautoren verfaßten Text begeistert. Mir war nach dem ersten meist Fotografien und Faksimiles von Hören sofort klar, daß es sich auch Dokumenten und sind stets streng limi- musikalisch keineswegs um eine Ein- tiert (oft auf 2000 Stück oder weniger, tagsfliege handeln würde, sondern daß davon wenige hundert spezielle Extra- zumindest einige Songs von "Vol. 1" die Ausgaben). Sie werden nach Mögl- Zeitläufte prima überstehen würden - ichkeit von den Autoren und den por- und ich hatte mich nicht getäuscht, trätierten Künstlern handsigniert und gerade der augenblickliche Riesenerfolg sind nach höchsten Qualitätsmaßstäben der "Collection" ist der beste Beweis gefertigt. Dementsprechend liegen die dafür. Preise: Etwa 300 britische Pfund kosten In meiner Rezension von "Vol. 1" in die "normalen" Bücher, die noch einmal DAS OHR Nr. 25 schrieb ich u.a. über extra limitierten ledergebundenen die Wilburys: "Deren Musik ist kein Sonderausgaben (nur 200 bis 300 Witz, sondern ein Riesenspaß." Exemplare verfügbar, fast immer schon Ich besorgte mir für mein Auto ein vor Erscheinen komplett subskribiert) kleines gelbes, rhombenförmiges Pla- liegen bei 500 Pfund. Mit dem in die- stikschild (im Stile der australischen sem Herbst zu erwartenden Wilbury- Verkehrsschilder) mit dem Aufdruck Buch wird es nicht anders sein. "Traveling Wilbury on board" und ern- Zwar ist die "Collection" eine für tete viele belustigte und neugierige Sammler unentbehrliche Sache (und Blicke durch das Heckfenster meines war in der Tat längst überfällig), aber es Volvos. Ja, ich versuchte sogar andere gibt sicherlich Zusammenstellungen, vom Konzept der Band zu überzeugen, die durchaus noch mehr an Outtakes darunter keinen geringeren als Paul und Unveröffentlichtem zu bieten McCartney, den ich lieber in einer sol- haben. Dennoch war ich sehr gespannt, chen gleichberechtigt-demokratischen ja nachgerade elektrisiert, als ich die Konstellation von Spitzenmusikern ersten Meldungen über gerade diese (bzw. bei den Traveling Wilburys selbst) bevorstehende Neuveröffentlichung gesehen hätte denn als Arbeitgeber von

10 Hörerlebnis lohnabhängigen Angestellten. Bei Mc- denschaft auf etlichen Platten von Kol- Cartneys internationaler Pressekonfe- legen (CLAPTON, DYLAN, HEALEY renz in Hamburg im Oktober 1989 z.B.), um sich dann auf die zweite LP bezog sich eine meiner beiden Fragen, der TRAVELING WILBURYS, sinni- die ich ihm dort stellen durfte, genau gerweise Vol. 3 geheißen, als Akteur darauf: Kann er sich vorstellen, in einer und Produzent zu stürzen. (Anderer- solchen Konstellation wie bei den seits gibt es Leute, die behaupten steif Traveling Wilburys mitzumachen? Seine und fest, es gebe tatsächlich eine Vol. 2 ironisch-ausweichend-herablassende der Wilburys, aufgenommen mit dem Antwort machte mich nicht eben glück- zwischenzeitlich verstorbenen DEL lich: "I'd probably say I'm too tired to SHANNON.) Die vier Herren rocken travel anymore." auf "Vol. 3" garagenmäßig gnadenlos Immerhin hatte wenigstens sein los und schütteln mit superber Leich- früherer Beatles-Kumpel tigkeit einen Ohrwurm nach dem ande- die Sache begriffen: In seiner ALL ren aus dem Ärmel. Die (leider aber- STARR BAND spielten immer eine mals nicht mitgelieferten) Texte sind ganze Reihe großer Namen mit, Leute ebenso spritzig wie vieldeutig-selbstiro- wie etwa Clarence Clemons, Dr. John nisch ("Wilbury Twist"). Vor allem oder Billy Preston. Jeder von ihnen BOB DYLAN zeigt hier endlich einmal durfte mit Unterstützung der anderen wieder sein humorig-clowneskes Alter bei den Shows auch solo glänzen, ohne Ego, das man in den letzten Jahren deren Neid ausgesetzt zu sein. Da war doch zu selten zu Gesicht bekam. es denn nur folgerichtig, daß man sich Offen bleibt leider immer noch, ob die intern The Ringoburys nannte - was mir in SPIKE, CLAYTON, MUDDY und sehr gefiel. Leider war es mir nicht ver- BOO WILBURY Umgetauften uns mit gönnt gewesen, Herrn McCartney von einer Tournee beglücken wollen." einem ähnlichen Konzept zu überzeu- Da war viel Wunschdenken mit gen. dabei, das mich auch heute stets über- Die Rezension der zweiten Wil- kommt, wenn ich mir die Wilburys- burys-LP war dann für genau das OHR- Musik zu Gemüte führe. Erst kürzlich Heft Nr.35 vorgesehen, welches auf- habe ich einer Kollegin, die sich in den grund der Krankheit und des Todes von Ruhestand verabschiedete, den Song Klaus Renner nicht mehr erschienen "End of the Line" mit in ihr Rent- war. Ich hole sie deshalb in der nerdasein gegeben, nicht ohne dabei die Originalfassung an dieser Stelle nach; heimliche Hoffnung zu haben, daß auch sie macht sich an den damaligen auf mich irgendwann einmal der in die- Aktivitäten von George Harrison fest: sem Titel geäußerte Satz zutreffen "Der ehemalige Leadgitarrist der möge: "Even if you're old and grey / FABs, GEORGE HARRISON, frönte you've still got something to say.". AJ seiner wiedergewonnenen Spiel-Lei- Repros: Dr. Eleonore Jost

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