End of the Line - The Traveling Wilburys remastered und revisited von Axel Jost Die Werbekampagne damals vor 20 Jahren war sehr zurückhaltend, fast beiläufig. Ein paar nichtssagende Bilder gab es - Schwarz-Weiß-Fotos von Leu- ten in absurd-komischen Fortbewe- gungsmitteln. Dazu noch den Spruch "The Traveling Wilburys are coming!" - und das war es auch schon. Dahinter verbarg sich angeblich eine Super- gruppe, die dem Vernehmen nach aus Bob Dylan, George Harrison, Roy Orbison, Tom Petty und Jeff Lynne bestehen sollte. Auch Superdrummer Jim Keltner sollte mit von der Partie mühte sich nun redlich mit einer neuen sein. Unter merkwürdigen Pseudo- Solo-Platte ("Cloud Nine") um ein nymen und unter einem unverfänglich- Comeback, konnte damit aber keines- allgemeinen Namen würde diese wegs an seine früheren Solo-Erfolge Truppe quasi inkognito eine gemeinsa- ("All Things Must Pass"), geschweige me Platte herausbringen, war irgendwie denn an Beatles-Zeiten anknüpfen - auch noch aus dem künstlich erzeugten und Roy Orbison mit seiner opernhaf- Nebel gedrungen. Aha. ten Stimme war eh ein Mann aus der 1988 hat das niemanden wirklich Vergangenheit, jemand fürs Archiv. aufgeregt. Die Musiker gehörten zwar Tom Petty, der Jüngste im Bunde und zu den besten und bekanntesten ihrer stets rechtschaffen, spielte damals noch Zunft, aber eine echte Sensation erwar- im Mittelfeld der Rock'n'Roll-B-Liga, tete zu diesem Zeitpunkt wohl niemand und der irgendwie furchtbar aufdring- mehr von ihnen. Sie schienen ihre lich wirkende Brite Jeff Lynne hatte Glanzzeiten nämlich hinter sich zu notgedrungen das Licht seines Electric haben: Bob Dylan steckte nach seiner Light Orchestra ausschalten müssen, religiösen Phase in einer tiefen Schaf- nachdem er dessen Synthesizer-basier- fenskrise, die sich in erratischen Live- tes Konzept bis zum Geht-nicht-mehr Auftritten und schwachen Studioauf- ausgereizt hatte. nahmen manifestierte; George Harrison Teils geschäftliche Zusammenhän- hatte sich sogar zeitweise völlig aus dem ge, teils Zufall und teils bewußtes Musikgeschäft zurückgezogen und be- Kalkül hatten die fünf dann doch 1 Hörerlebnis zusammengeführt und zum gemeinsa- Showbusiness waren sicherlich nicht men Musikmachen veranlaßt. Eigent- nur aus der Luft gegriffen, sondern lich war es zunächst nur um einen zwei- beruhten auf eigenen echten Erfah- ten Song auf der B-Seite einer rungen. Nur daß diese kritischen Töne Maxi-Single von George Harrison eben nicht so bierernst daher kamen, gegangen, der mal eben noch geschrie- wie man es beispielshalber von den ben und eingespielt werden sollte. Songs des Iren Van Morrison kennt, Genau dieses Vorhaben aber setzte die sondern in einen skurril-witzigen Zu- vielfach beschriebene Kettenreaktion sammenhang aus sprachlichen Non- des sich gegenseitigen Ansprechens und sense-Elementen und Allgemeinplätzen Treffens in Gang, an deren Ende die eingebettet waren. Desgleichen war der Sessions und schließlich die erste LP in "Handle With Care" aus der Sicht der Traveling Wilburys, schlicht "Vol. 1" eines alternden Menschen geäußerte geheißen, stand. Wunsch nach Anerkennung, Respekt "Handle With Care" hieß der rasch und Liebe sicherlich ebenfalls mehr als fertiggestellte Song, mit dem die spon- bloßes Blabla. tane Kollaboration eigentlich ihr Be- Die musikalische Präsentationsform wenden hätte haben sollen. Die feinen nicht nur dieses, sondern aller Titel auf Näschen der zum Anhören geladenen der LP basierte auf dem knackigen Plattenbosse erkannten in dem Titel Klang reichlich vorhandener akusti- aber nicht nur die von Harrison zuge- scher Gitarren und dem oft überra- sagte B-Seite, sondern witterten dahin- schenden Wechselspiel der äußerst ter einen Riesenhit und obendrein sogar unterschiedlichen Gesangsstimmen. noch weiteres Potential für eine ganze Wenn etwa Dylans dunkel raspelndes LP - zu Recht. Denn die ungewöhnliche Organ die strahlend schöne helle Stim- Kombination an Mitwirkenden erlaubte me Orbisons in "Handle With Care" der Musik eine Lässigkeit und Frische, ablöst, kommt beim Hörer Spannung die etlichen der Akteure zwischenzeit- auf, weil der sich fragt, was da wohl lich abhanden gekommen war bzw. die noch an musikalischen Überraschungen man ihnen sowieso nie zugetraut hätte. kommen könnte. Die klaren Songstruk- Gewürzt war der Text zudem mit turen und das zumeist gemäßigte mehr als nur einer Prise britischen Tempo kamen außerdem den Hörge- Humors. Zwar hatte der Songtitel einen wohnheiten der älter gewordenen Rock- sehr banalen Ursprung: "Handle With Freunde sehr entgegen. Jeff Lynne Care" stand auf einem Karton in Dy- hatte als Produzent für einen einheit- lans Garage, in der man sich zum lich-ausgewogenen und rundum wohli- Proben eingefunden hatte - doch der gen Klang gesorgt. Zudem spiegelte Songtext hatte es in sich. Die hier von sich in den eingängigen Melodien, den den Musikern angestimmten Klagen vielstimmigen Harmonien und den ver- über die diversen Zumutungen des trauten Rhythmen der Wilburys-Musik 2 Hörerlebnis so ziemlich all das an musikalischen setzte, und zwar so, daß hier in optimi- Elementen wider, was man an Sounds stischer Weise Aspekte des Trostes und in der Rock-Geschichte so kennen und der Hoffnung angesprochen werden; lieben gelernt hatte - von den damit ver- Themen also, denen man sich als be- bundenen eigenen Erinnerungen ganz wußter Hörer kaum entziehen kann, da zu schweigen... jeder Mensch davon betroffen ist. Den passenden Schlußakkord der Daß sich die wichtigsten Songs der zehn Songs umfassenden (und ca. 35 ersten Wilbury-LP um das Älterwerden Minuten langen) Scheibe setzte der Titel drehen, ist aus heutiger Sicht kein "End of the Line"; ein weiteres Stück, Zufall. Denn Ende der Achtziger, das das wiederum vordergründig sinnlos war die Zeit, in denen die Musiker aus Phrasen aneinander reihte, sich in der Generation der Beatles ins gesetzte- Wirklichkeit aber recht ernsthaft mit re Alter kamen und langsam auf die dem Alter und dem Altern auseinander- Fünfzig zusteuerten (sofern sie bis 3 Hörerlebnis dahin überlebt hatten). Und es war bei- "Mojo"), ist sicherlich auch dieser ersten leibe nicht klar gewesen, ob man denn Platte der Traveling Wilburys zu ver- überhaupt noch Rockmusik hören oder danken, der insoweit deutlich mehr machen könnte, wenn man die Vierzig Bedeutung zukommt, als man es einer erst einmal überschritten haben würde. eher zufällig und kumpelhaft entstande- Die Beatles und ihre Mitstreiter hatten nen Songsammlung normalerweise als rein auf die Jugend reduziertes zugestehen würde. Phänomen angefangen; wie es später Für die musikalischen Karrieren der weitergehen sollte, darüber hatte sich Bandmitglieder selbst erwies sich die zunächst niemand Gedanken gemacht. Platte als Glücksfall. Zuvörderst für Man schaue sich nur einmal die origina- Bob Dylan, dessen textliche Hand- len Fernsehreportagen aus der Zeit des schrift die darbenden Fans in einigen 67er Monterey-Pop-Festivals an: Da der besten Wilbury-Songs ("Dirty geht der Reporter völlig selbstverständ- World", "Congratulations", "Tweeter lich davon aus, daß die Fernsehzu- and the Monkey Man") erkannten und schauer über 40(!) mit den Namen der die nun wieder Hoffnung schöpfen ganzen dort auftretenden Künstler konnten - eine Hoffnung, die sich mit absolut gar nichts anfangen könnten, Dylans fabelhaftem 89er-Album "Oh weil sie diese schon rein altersbedingt Mercy" dann auch kurze Zeit später mit Sicherheit noch nie gehört hätten. erfüllte. Seitdem hat Dylan übrigens Der Erfolg der locker-flockig und keine schlechte Platte mehr gemacht. entspannt daherkommenden Wilbury- Tom Petty legte ebenfalls 1989 sein Musik aber zeigte zwei Jahrzehnte spä- Meisterwerk "Full Moon Fever" vor, ter dann doch: Ja, es ging, und ja, man welches ihn in die Liga der Rock- durfte. Die Altersgrenzen für Rock- Champions katapultierte, die er seitdem musik begannen zu fallen. Es spielte bei nicht mehr verlassen hat. Roy Orbison der Glaubwürdigkeit einer Rockband verstarb zwar wenige Monate nach keine Rolle mehr, wie alt ihre Mitglieder Veröffentlichung der Wilbury-Platte, waren. Altrocker wie die Stones oder aber sein posthum erschienenes Opus Genesis sorgen mittlerweile für weitaus "Mystery Girl" verschaffte ihm auch vollere Häuser als viele ihrer jüngeren endlich wieder die Anerkennung der Zeitgenossen. Der aktuelle Riesenerfolg ernsthaften Kritik, die ihm lange Jahre der Band The Zimmers ("My Genera- verwehrt geblieben war. Die Platten von tion"), die ihre hochbetagten Mitglieder Petty und Orbison waren zudem unter aus britischen Altersheimen rekrutiert, intensiver Mithilfe von anderen Mit- ist da nur der logische Schlußpunkt die- gliedern der Wilburys entstanden. ser Entwicklung. Daß es heute Rock- George Harrison, dessen von Jeff musik-Magazine gibt, die sich vor allem Lynne produziertes Album "Cloud an ältere Hörer richten (hierzulande Nine" ja in gewisser Weise die Ursache etwa der "Rolling Stone", in England für die Bildung der Traveling Wilburys 4 Hörerlebnis dargestellt hatte, verdiente sich als gleichbar - und enthalten dabei wieder- Mastermind und heimlicher Bandleader um eine ganze Menge Nachdenkliches. hohen Respekt in der Szene - übrigens Selten etwa wurden Umweltprobleme auch für die humorige Gestaltung des so witzig und dennoch eindringlich Umfeldes mitsamt den kryptischen angesprochen wie auf "Inside Out" Pseudonymen und der witzigen Wil- oder "The Devil's Been Busy". In bury-Historie, bei deren Formulierung "Where Were You Last Night?" nahm er auf die Unterstützung seines Freun- Bob Dylan seinen chaotischen Rock'n'- des und Monty-Python-Mitglieds
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