Die Kurpfälzische Hofmusik in Mannheim Und Schwetzingen (1720 – 1 1778)
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Die kurpfälzische Hofmusik in Mannheim und Schwetzingen (1720 – 1 1778) Bärbel Pelker2 (Schwetzingen) Forschungsstand und Quellenlage Forschungsstand Bis zur Gründung der Forschungsstelle Geschichte der Mannheimer Hofkapelle im 18. Jahrhundert der Heidelberger Akademie der Wissenschaften im Jahr 1990 bestand – gemessen an der Wichtig- keit der kurpfälzischen Hofmusik im 18. Jahrhundert – ein merkwürdig großes Forschungsdefizit. Ungefähr um 1900 begann die Musikwissenschaft, sich für die kurpfälzische Kapellgeschichte zu interessieren. Ihre Dokumentation und Erforschung wurde mit großem Elan begonnen, erinnert sei nur an die bis heute grundlegenden Forschungen Friedrich Walters [1], insbesondere seiner Ge- schichte des Theaters und der Musik am kurpfälzischen Hofe von 1898 und an die fünf publizierten Denkmälerbände der Jahre 1902 – 1915 von Hugo Riemann [2] mit Symphonien und Kammermusik, die erstmalig zusammen mit den vorgelegten thematischen Verzeichnissen einen genaueren und nicht zufälligen Einblick in die Werküberlieferung der kurpfälzischen Komponisten gaben. Alle späteren Arbeiten gingen im Grunde auf die Studien dieser beiden Wissenschaftler zurück. Nach diesem fulminanten Auftakt hatte die Erforschung der Geschichte der kurpfälzischen Hofmusik bis Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts allerdings keine wesentlichen Fortschritte gemacht. Eine Ausnahme stellt die Dissertation aus dem Jahr 1958 über Die Kurpfälzische Kirchenmusik im 18. Jahrhundert von Eduard Schmitt [3] dar. Als weiteres Ergebnis seiner Forschungen publizierte er 1980 und 1982 die beiden Denkmälerbände Kirchenmusik der Mannheimer Schule, deren thema- tisches Verzeichnis der geistlichen Kompositionen trotz kleiner Korrekturen und Ergänzungen bis heute aktuell geblieben ist. Die siebziger Jahre brachten dann an wichtigen Veröffentlichungen die grundlegende Monografie The symphonies of Johann Stamitz mit einem Werkverzeichnis von Eugene K. Wolf [4] aus dem Jahr 1972 (Druck 1981) sowie zwei Jahre später den Aufsatz »A newly identified complex of manuscripts from Mannheim« desselben Autors in Zusammenarbeit mit seiner Frau. Die Tatsache, dass es sich bei dieser Veröffentlichung um die erste quellenphilolo- gische Untersuchung zur Überlieferung von kurpfälzischen Kompositionen handelt, spricht für sich. Im Jahr 1975 veröffentlichte Roland Würtz [5] als Erster überhaupt ein vollständiges Musikerver- zeichnis mit dem Titel Verzeichnis und Ikonographie der kurpfälzischen Hofmusiker zu Mannheim 1 Der Begriff ›Mannheimer Hofkapelle‹ oder auch andere populäre Begriffe wie ›Mannheimer Schule‹ oder ›die Mannheimer‹ sind streng genommen inhaltlich unscharf. Denn sie benennen lediglich den Hauptregierungssitz, nicht aber die tatsächlichen Wirkungsstätten der Hofmusik. Im Unterschied zu anderen Fürsten, die in der Regel nur wenige Wochen des Jahres in ihrer Sommerresidenz verbrachten, war die jeweils halbjährliche Anwesenheit des Kurfürsten und damit auch seiner Hofmusik in Mannheim und Schwetzingen im Jahresturnus festgeschrieben. Von Anfang November bis Ende April hielt sich der Hof in Mannheim auf, die Sommermonate von Anfang Mai bis En- de Oktober verbrachte er in Schwetzingen (zeitliche Verschiebungen konnten sich allenfalls durch Reisen und Krankheiten des Kurfürstenpaares oder auch durch Kälte ergeben). Die Hofmusik war also an beiden Orten präsent. Aus diesem Grund ist hier von der kurpfälzischen Hofmusik die Rede. Eine Ausnahme bildet die Mannheimer Schu- le, die als eingeführter Terminus und als Ausbildungsmodell weiter verwendet wird. 2 Dieser Beitrag enthält auch gekürzt übernommene sowie aktualisierte Passagen aus älteren Aufsätzen der Verfas- serin, auf die lediglich allgemein mit einer entsprechenden Fußnote hingewiesen wird. 195 BÄRBEL PELKER nebst darstellendem Theaterpersonal 1723 – 1803. Dieser Publikation vorausgegangen war seine Dissertation über Ignaz Fränzl (mit Werkverzeichnis), die 1970 im Druck erschien. Trotz des ver- dienstvollen Unternehmens des Garland-Verlages [6] in den achtziger Jahren, in ihrer Serie The symphony ausgewählte Werke aus ihrem Archivschlaf erlöst und erste thematische Verzeichnisse mitgeliefert zu haben, blieb die Materialbasis hinsichtlich der Erforschung der kurpfälzischen Hof- kapelle weiterhin dünn. Hier Abhilfe zu schaffen, war die vordringliche Aufgabe der Forschungsstelle Mannheimer Hof- kapelle der Heidelberger Akademie der Wissenschaften. In den sechzehn Jahren ihres Bestehens, von 1990 bis 2006, waren die Forschungsaufgaben wie folgt festgelegt: 1. die systematische und auf Vollständigkeit zielende Erarbeitung der Dokumente zur Geschichte der kurpfälzischen Hofka- pelle als Institution; 2. die umfassende Bestandsaufnahme und Verfilmung der erhaltenen Komposi- tionen und Archivalien; 3. erste vergleichende institutionsgeschichtliche Fragestellungen sowie stilkritische Untersuchungen zur Kompositionspraxis der musikgeschichtlich bedeutenden Mann- heimer Schule und Studien zu ihrer Rolle in der Entwicklungsgeschichte des modernen Orchesters unter Einbeziehung der historischen Aufführungspraxis. Quellenlage Aufgrund dieser sechzehnjährigen Forschungsarbeit ist die Quellenlage vergleichsweise gut. Die umfangreichen Sammlungen zur kurpfälzischen Hofkapelle (Noten und Literatur) befinden sich heute als Präsenzbestand in der neuen Forschungsstelle Geschichte der südwestdeutschen Hofmusik, die ebenfalls bei der Heidelberger Akademie der Wissenschaften angesiedelt ist (www.hof- musik.de, Datenbanken). Neben der Sekundärliteratur unterschiedlichster Art (Monografien zu Leben und Werk der Komponisten, musikalischen Gattungen, historischer Aufführungspraxis, Instrumentenbau, regiona- ler und überregionaler Kulturgeschichte, Verlagsgeschichte, Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Nachschlagewerke und Versteigerungskataloge) konzentrierte sich die Forschungsarbeit auf die Recherche der handschriftlichen und gedruckten Primärquellen; gesammelt wurden: Briefe, Tage- bücher, Memoiren, Autobiografien, Reiseberichte, ikonographische Zeugnisse, Zeitschriften, Thea- terkalender und Theoretika, die kurpfälzischen Hof- und Staatskalender sowie Gesandtschaftsbe- richte und Akten (vgl. Anhang II). An Kompositionen sind die handschriftlich überlieferten geistlichen Werke und die Opern nebst den dazugehörenden Libretti vollständig vorhanden. In den Bereichen Sinfonie, Solokonzert und Kammermusik machten die Überlieferungsfülle sowie die europaweite Streuung der Kompositionen – bedingt durch den legendären Ruf der Hofkapelle in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts – die Beschränkung auf die Druckerzeugnisse unumgänglich, die bis auf wenige Ausnahmen ebenfalls vollständig gesammelt wurden. Die Ergebnisse dieser Forschungsarbeit sind in der Schriftenreihe Quellen und Studien zur Ge- schichte der Mannheimer Hofkapelle [7] veröffentlicht worden. Aus der Fülle der überlieferten Werke wurde außerdem eine Auswahl der wertvollsten und historisch wichtigsten Kompositionen getroffen und sowohl als historisch-kritische Ausgabe in der Denkmälerreihe Musik der Mannhei- mer Hofkapelle [8] als auch als moderne wissenschaftlich fundierte praktische Ausgabe im Selbst- verlag [9] herausgegeben. Forschungsergebnisse erschienen ferner in der Faksimilereihe der Gesell- schaft für Musikgeschichte in Baden-Württemberg [10] und als Sonderpublikationen der For- 196 MANNHEIM/SCHWETZINGEN schungsstelle [11] sowie in Tagungsberichten, Lexika, Fachzeitschriften und Ausstellungskatalogen (vgl. Anhang II)3. *** Geschichtlicher Überblick Abb. 1. Das Mannheimer Schloss im Jahr 1740 (Aus: Denkwürdiger und nützlicher Antiquarius des Neckar-Mayn- Lohn- und Mosel-Stroms von Johann Hermann Dielhelm, Frankfurt am Main 1740, S. 162; © Bärbel Pelker) Die Verlegung der Residenz von Heidelberg nach Mannheim im Jahr 1720 durch Kurfürst Carl Philipp (1661/1716 – 1742) war für die neue Residenzstadt auch gleichzeitig der Beginn einer höfi- schen Musikkultur. Doch erst unter der Regentschaft seines Nachfolgers, des Musik liebenden Kur- fürsten Carl Theodor (1724/1743 – 1799), entstand in den Jahren von 1747 bis 1778 eine Hofkapelle ganz eigener Prägung. Wie jüngste Forschungen belegen, ging diese Hofkapelle entgegen der gän- gigen Meinung nicht aus der Zusammenlegung der Innsbrucker und Düsseldorfer Hofkapellen her- vor, sondern entstand ab 1747 tatsächlich neu. Dank der großzügigen kurfürstlichen Förderung, die neben repräsentativen Aspekten nachweislich von ernsthaftem persönlichem Interesse geprägt war, avancierte die Residenzstadt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts zu einer der führenden Mu- sikmetropolen in Europa. Neben den qualitätvollen musikalischen Veranstaltungen erlangte vor allem das Hoforchester legendären Ruf. *** 3 Einzelnachweise auch unter: www.hof-musik.de in der Rubrik »Publikationen«. 197 BÄRBEL PELKER Die Entwicklung der kurpfälzischen Hofmusik (1716 – 1778) 4 1. Die Hofkapelle unter Kurfürst Carl Philipp (1716 – 1742) Im Vergleich mit dem Goldenen Zeitalter der kurpfälzischen Regierungsjahre seines Nachfolgers Carl Theodor, sind die Theater- und Musikverhältnisse am Hof Carl Philipps eher als Vorstufe oder Vorbereitung der nachfolgenden Ära unter Carl Theodor anzusehen, obgleich die Qualität gerade der aus Düsseldorf übernommenen Musiker alles andere als gering einzuschätzen ist. Bevor Carl Philipp 1716 das Erbe seines verstorbenen Bruders, des Kurfürsten Johann Wilhelm von der Pfalz (1658/1685 – 1716), antrat, unterhielt er an seinem Hof in Breslau und als Statthalter von Tirol in Innsbruck eine eigene Hofkapelle, die nach dem Tod seines