Kapitel 9 | Pilze und mikrobielle Gemeinschaften im Gletschervorfeld

Ursula Peintner und Regina Kuhnert

Zusammenfassung Abstract Im Gletschervorfeld des Rotmoosferners wur- Fungi of alpine primary successional habitats den Pilze alpiner Primärsukzessionsstandorte have been extensively studied in a unique way erstmals in umfangreicher Weise untersucht. at the glacier forefield of the Rotmoosfer- Die mykologischen Arbeiten begannen bereits ner. Mycological research started early in the in den 1940er Jahren und umfassen Untersu- 1940ies, since then including studies based chungen an Fruchtkörpern von Asco- und Ba- on fruit body data of asco- and basidiomyce- sidiomyzeten, kulturtechnische Untersuchun- tes, cultural techniques applied to soil borne gen der Bodenpilze, bodenmikrobiologische fungi, soil microbiological approaches, inves- Untersuchungen, Untersuchungen des Ekto- tigations on the mycorrhizal status of alpine mykorrhizastatus alpiner Pflanzen und -Ana plants, and analysis of soil fungal communities lysen zu Bodenpilzgesellschaften basierend based on rDNA clone libraries. The topics of auf rDNA Klondatenbanken. In den letzten saisonal dynamics and winter biology of fun- Jahren wurde besonderes Augenmerk auf die gi were especially approached during the last saisonale Dynamik von Pilzen der alpinen years. The comprehensive results show in an Zone und deren Aktivität im Winterhalbjahr impressive way, that fungi are very important gelegt. Die umfassenden Ergebnisse bestätig- for ecosystem development, implying that re- ten in eindrucksvoller Weise, dass Pilze für die presentatives of the species-rich kingdom fun- Etablierung und den Erhalt von Ökosyste- gi can no longer be neglected in ecology and men eine wichtige Rolle spielen. Daraus folgt environmental science. zwingend, dass die Vertreter des artenreichen Organismenreiches Fungi bei ökologischen Fragestellungen nicht länger vernachlässigt werden dürfen. U. Peintner, R. Kuhnert Kapitel 9 | Pilze und mikrobielle Gemeinschaften im Gletschervorfeld

Einleitung eine wenig kompakte Vegetation und tungsareal oberhalb der Waldgrenze. Die laren Methoden, die heute routinemäßig extreme abiotische Faktoren wie niedrige Artenzusammensetzung und Intensität eingesetzt werden, ermöglicht eine artge- Temperaturen, intensive Sonnenstrah- der arbuskulären Mykorrhiza (AM) von naue Identifizierung der Pilzpartner, und Der fortlaufende Gletscherrückgang der lung, Nährstoffmangel und eine kurze Ve- alpinen Gräsern und Zwergsträuchern va- trägt somit wesentlich zum Verständnis vergangenen Jahrzehnte ermöglichte in getationsperiode charakterisiert. Die An- riiert zwischen Pflanzenarten und nimmt der Funktion und der ökologischen Rolle besonders eindrucksvoller Weise räum- passungsfähigkeit an diese Bedingungen mit zunehmender Höhenlage ab (Hasel- von Pilzen in der alpinen Zone bei. liche und zeitliche Einblicke, um die ist für das Überleben aller Organismen wandter 1979; Read und Haselwandter Dynamik eines neues Ökosystems zu ausschlaggebend. Über acht Prozent der 1981). beobachten und zu untersuchen. Das Weltoberfläche sind mit arktisch-alpinen 1888 beschrieb Frank zum ersten Mal Gletschervorfeld des Rotmoosferners Habitaten bedeckt. Dadurch sind ark- die Ektomykorrhizasymbiose der alpinen Forschungsgeschichte (Ötztal, Tirol) ist aufgrund seiner geo- tisch-alpine Pilze von großer ökologischer Zwergsträucher Salix reticulata und S. graphischen Lage für Sukzessionsstudien Bedeutung. Obwohl Pilze gerade in der retusa. 1930 identifizierte Peyronel erst- bestens geeignet. Neben der Wiederbe- alpinen Zone aufgrund ihrer nur kurzle- mals die Pilzpartner ektomykorrhizierter Den Grundstein für die Erfoschung von siedelung durch Tiere und Pflanzen ist bigen Fruchtkörper und ihrer im Boden alpiner Pflanzenwurzeln als Vertreter der subalpinen und alpinen Pilzen in den auch die Entwicklung von parasitischen, verborgenen Myzelien kaum wahrgenom- Gattungen Amanita, Cortinarius, Lactari- Ostalpen legte Favre (1955) mit einer saproben und symbiontischen Pilzen von menen werden, sind sie für das Funkti- us und anderen. ECM-Morphotypen al- umfassenden Studie im Schweizerischen zentraler Bedeutung. Pilze wurden bisher onieren dieses sensiblen Ökosystems ein piner Pflanzen wurden für Nationalpark. Er dokumentierte in dieser bei Untersuchungen von Primärsukzessi- ausschlaggebender Faktor. (Graf und Brunner 1996), Bistorta vivi- Publikation über 200 Arten, davon eine onsstandorten weitgehend vernachlässigt. Der normalerweise an diesen Standorten para (= Persicaria vivipara), Kobresia bel- große Anzahl an Neubeschreibungen, wo- Eine Studie am Lyman Gletscher (U.S.A.) vorherrschende Nährstoffmangel för­ lardii (= K. myosuroides), Massicotte et al. bei ökologische und pflanzensoziologische zeigte, dass der Eintrag von Pilzsporen aus dert im Allgemeinen die Entwicklung 1998, and octopetala (Harrington Informationen berücksichtigt wurden. der Luft oder durch Vektoren wie Boden- der Symbiose von höheren Pflanzen und und Mitchell 2002) beschrieben, wobei Erste Arbeiten über die Pilzökologie und tiere zum Aufbau von Pilzgemeinschaften Pilzen, die Ektomykorrhiza (ECM). Die nur wenige Mykobionten mit Hilfe der -soziologie der subalpinen Stufe des Ötz­ in einer primären Sukzessionsgesellschaft Pilzpartner filtern mit ihrem ausgedehn- morphologischen Methoden identifiziert tales verfasste Friedrich (1942). Auch von Bedeutung ist (Jumpponen 2003). ten Myzelnetzwerk die nötigen Nähr- werden konnten. Die Morphologie von Moser (1959) berichtete schon früh über Saprobe Pilze sind besonders während der stoffe aus dem Boden und stellen den ECM-Morphotypen wird stark durch die Pilzsoziologie eines Zirben-Lärchenbe- Wintermonate physiologisch aktiv, sie Pflanzen Spurenelemente und Wasser zur die Wirtspflanze selbst, und die vorherr- standes in der Kampfzone (1950 m - 2000 bauen u.a. pflanzliches organisches Mate- Verfügung. Für Pflanzen der alpinen Ex- schenden ökologischen Bedingungen m) in der Nachbarschaft des Rotmoostales rial ab, setzen hohe Mengen an CO2 frei, tremstandorte sind symbiontische Assozi- wie Bodenbeschaffenheit, Feuchtigkeit, und verknüpfte diese Studie mit ökologi- und sind somit für den globalen Kohlen- ationen mit Pilzen nicht nur vorteilhaft, Entwicklungsstadium der Pflanze und schen Beziehungen von Pilz - Baum Sym- stoffkreislauf von bisher weit unterschätz- sondern oft für das Etablieren und Über- der mykorrhizierten Wurzel beeinflusst. biosen in der alpinen Zone. Alpine bzw. ter Bedeutung (Monson et al. 2006). leben essentiell. Die ericoide Mykorrhiza Zudem bringt die subjektive Beurteilung hochalpine Bodenpilze wurden erstmals Mykorrhiza Assoziationen kommen in ei- ist schon lange für Ericaceen (Calluna des Beobachters schwer reproduzierba- von Gams (1959) im Bereich der Ötzta- nem breiten Spektrum an Habitaten vor vulgaris, Loiseleuria procumbens, Vaccini- re Ergebnisse mit sich. Weiters kann ein ler und Zillertaler Alpen isoliert. Horak und sind auch an arktisch-alpinen Stand- um myrtillus, V. uliginosum, V. vitis-idaea Morphotyp oft nur einer Pilzgattung zu- (1960) führte daraufhin eine Erhebung der orten weit verbreitet. Die alpine Zone be- und Rhododendron ferrugineum) bekannt, geordnet werden oder auf mehrere Pilz- Bodenpilze in verschiedenen Sukzessions- ginnt über der Baumgrenze und ist durch viele von ihnen haben ihr Hauptverbrei- arten zutreffen. Der Einsatz von moleku- stadien (4 - 40 Jahre eisfrei) des Gletscher-

210 211 U. Peintner, R. Kuhnert Kapitel 9 | Pilze und mikrobielle Gemeinschaften im Gletschervorfeld vorfeldes im Rotmoostal durch. Die Un- Pflanzenwurzeln an Moränenstandorten Mykologische Forschung im Rotmoos- Um eine Vorstellung über die Artenviel- tersuchung zeigte eine deutliche Häufung zeigten, dass der AM-Mykorrhizatyp eher tal im Zeitraum 2004 – 2008 falt von fruchtkörperbildenden Pilzen im von speziellen Schimmelpilzarten (Tricho- unregelmäßig ausgeprägt war und „Dark Bereich des Gletschervorfeldes zu bekom- derma viride und Cladosporium ssp.) in septate Endophytes“ (DSE) dominierten men, wurde in den Vegetationsperioden den jüngsten Böden. Dagegen wiesen die (Haselwandter und Read, 1980). Die Forschungsarbeiten wurden von der 2005 bis 2007 intensiv nach Pilzfrucht- älteren Sukzessionsstufen gleichförmigere Das Rotmoostal bietet optimale Voraus- Arbeitsgruppe Ursula Peintner im Rah- körpern gesucht. Das Sammelgebiet er- und einheitlichere Pilz­gesellschaften auf. setzungen für bodenmikrobiologische men zahlreicher Projekte durchgeführt. streckte sich vom Eingang des Rotmoos- Mit zunehmendem ­Bodenalter etablie- Sukzessionsstudien. Anhand des metabo- tales bei der Schönwieshütte (2268 m), ren sich im Gletschervorfeld Pionierver- lischen Quotienten (qCO2 = Verhältnis über die mykologisch am intensivsten eine von Moosen, ein- und mehrjährige zwischen Basalatmung und mikrobieller Pilzliche Diversität basierend auf untersuchten FWF-Projektflächen an Pflanzen und Zwergsträucher, welche die Biomasse) wurde die energetische Effizi- Fruchtkörperdaten der Moräne von 1858 (2300 m) bis zur primären Bodenpilze verdrängen. Ho- enz von Bodenmikroorganismen erfasst. Moräne von 1970 (2340 m). Erste ECM rak sammelte auch im gesamten eisfreien Der metabolische Quotient war in jungen Verschiedene ökologische und soziolo- Pflanzen, vor allem Persicaria vivipara Raum des Gletschervorfeldes (bis zur Mo- Böden hoch und nahm mit zunehmender gische Untersuchungen haben sich mit treten bereits nach 50 Jahren Bodenent- räne von 1850) Pilzfruchtkörper von 34 Stabilisierung des Ökosystems ab (Insam alpinen Makromyzeten (z.B. Bizio 1995, wicklung (= Eisfreiheit) auf. Ausgedehnte Arten, ein Großteil davon waren potenti- und Haselwandter 1989). Graf 1994 und Senn-Irlet 1987) beschäf- Bestände von ECM Pflanzen wie Salix elle Ektomykorrhizapartner. Weiterführende bodenmikrobiologische tigt, aber es gibt kaum Daten über Pilze in herbacea, S. retusa, Persicaria vivipara und Erste Untersuchungen zum regionalen Untersuchungen von Tscherko (2004, Sukzessionsstadien eines Gletschervorfel- Kobresia myosuroides werden nach ca. 150 Mykorrhizastatus von alpinen Pflanzen 2005) zeigten, dass die Aktivität und des (Jumpponen 2002). Pilzfruchtkörper Jahren dominierend. Diese Pflanzenarten wurden von Read und Haselwandter Zusammensetzung der Bodenmikroorga- liefern einerseits Information über Arten- wachsen „patchwork-artig“ mit Poa al- (1981) durchgeführt, wobei das Vorkom- nismen innerhalb der ersten 43 Sukzes- vielfalt und Häufigkeit, andererseits geben pina, Alchemilla spp., Carex bicolor und men von verschiedenen Mykorrhizatypen sionsjahre von den extremen abiotischen sie Hinweise auf die ökologische Bedeu- anderen krautigen Pflanzen der alpinen (Ektomykorrhiza, vesikular-arbuskulare Standortsbedingungen geprägt werden. tung einzelner Arten. Ausschlaggebende Zone zusammen. Mykorrhiza, ericoide Mykorrhiza und Ab 75 Sukzessionsjahren konnte aufgrund Hinweise für die Funktion von Pilzen Pilzfruchtkörper konnten in allen Sukzes- dunkel septierte Hyphen) im besonderen verbesserter Boden- und Nährstoffbe- sind ihre Bindung an Wirtspflanzen und sionsstadien, einschließlich der jüngsten erhoben wurde. Dabei konnten in der al- dingungen (Humusgehalt) ein pflanzen- vor allem Substraten: Parasiten schwächen schon von Pflanzen besiedelten Moräne, pinen Grasheide bei Kobresia myosuroides spezifischer Einfluss auf die mikrobielle lebende Wirtspflanzen und führen oft zu gefunden werden. Die Artenvielfalt und und Persicaria vivipara Ektomykorrhiza- Rhizosphärengemeinschaft nachgewiesen deren Absterben, sabrobe Pilze leben von Diversität waren hoch: insgesamt wurden infektionen des Coenococcum Typs nach- werden. totem organischen Material, symbionti- in drei Untersuchungsjahren Fruchtkörper gewiesen werden. Untersuchungen von sche Pilze sind durch die Wechselwirkung von 222 Pilzarten gesammelt (Abb. 1-10). zwischen lebenden Pflanzenwurzeln und 46 % davon waren potentielle Ektomy- Pilz gekennzeichnet. Die funktionelle Zu- korrhizapartner, und 54 % Saprobe. Die sammensetzung von Pilzgesellschaften ist meisten der ECM Gattungen waren Basi- von großer ökologischer Bedeutung für diomyzeten (9), Ascomyzeten waren mit die Wiederbesiedelung von Pionierstand- 2 Gattungen vertreten. Die artenreichsten orten. symbiontischen Pilzgattungen waren Ino- cybe (39 spp.) und Cortinarius (27 spp.),

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5 6 Abb. 7 – 10: Beispiele einiger im Rotmoostal als Fruchtkörper festgestellten Pilztaxa: 7: Cortinarius chrysomallus (Foto: U. Peintner) 8: Cortinarius helvelloides (Foto: U. Peintner) 9: Inocybe egenula (Foto: U. Peintner) 10: corium (Foto: ????)

gefolgt von Hebeloma, Russula, Lactarius, Nachweis von Sebacina und Tomentella. Sebacina, Laccaria, Helvella, Tomentella Diese resupinaten Pilze bilden keine auf- und Thelephora (Abb. 11). Auffallend war fallenden Fruchtkörper und sind äußerst Abb. 1 – 6: der hohe Anteil an spezifisch alpinen Taxa wichtige Symbiosepartner vieler verschie- Beispiele einiger im Rotmoostal als Fruchtkörper festgestellten Pilztaxa: (67). Das Wissen über alpine Pilze konnte dener mykotropher Pflanzenarten. Nor- 1: Omphalina kuehneri (Foto: P. A. Moreau) mit der Dokumentation von 13 Neufun- malerweise fruktifizieren sie an Totholz, 2: Lichenomphalia alpina, (Foto: U. Peinter) den für die alpine Zone erweitert werden. und wurden aufgrund dessen in der alpi- 3: Clitocybe festiva (Foto: P. A. Moreau) Besonders interessant war der erstmalige nen Zone bisher nicht vermutet. 4: Arrhenia latispora (Foto: E. Campo) 5: Thelephora caryophilea und Inocybe egenula (Foto: O. Mühlmann) 6: Lactarius robertianus (Foto: U. Peintner)

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Abb. 11: Verteilung der im Rotmoostal als Fruchtkörper festgestellten Pilztaxa auf Gattungen und ökologische Gruppen (potentielle Ektomykorrhizabildner ECM und Saprobe Pilze (n = 222)

Abb. 12: Artenreichtum der Ektomykorrhizapart- zahlenmäßig dominierenden Symbiose- Ektomykorrhiza Morphotypen der drei häufigsten ECM Pilze: Cenococcum geophilum, Sebacina ssp. und ner von Persicaria vivipara, Kobresia partner (Abb. 12), gefolgt von Vertretern Tomentella ssp. an Bistorta vivipara im Winter. (Fotos: O. Mühlmann) myosuroides und Salix herbacea der Gattungen Cortinarius und Inocybe. Die Wirtspflanze beeinflusst durch- se Fruchtkörper. 35 % der mit Fruchtkör- tal untersucht, innerhalb der Moräne von Die Anzahl von an den Wurzeln dieser lektives Mykorrhizierungsverhalten die pern dokumentierten Arten konnten 1971, 1858 und am Standort Schönwies- drei Pflanzenarten etablierten Ektomykor- Artenzusammensetzung ihrer Mykobion- auch als Mykobionten festgestellt werden. hütte (Fleisch 2008). Persicaria vivipara rhizapartnern war in den Projektflächen ten nachhaltig. Neben den zahlenmäßig Daraus folgt, dass aus Fruchtkörperdaten wies bereits am jüngsten Standort eine re- (Moräne von 1858) mit 37 Arten verhält- dominierenden Generalisten wurden für nur teilweise Rückschlüsse auf die Rolle lativ hohe Anzahl (17 Arten) von Mykobi- nismäßig hoch: 18 Mykobionten wurden jede Pflanze auch wirtsspezifische Myko- einzelner Arten als Mykorrhizapartner ge- onten auf. Die Diversität der Mykobion- an den Wurzeln von Persicaria vivipara bionten festgestellt: Cortinarius inops war zogen werden können. ten unterschied sich kaum von Standort festgestellt (Mühlmann et al. 2008), 18 z.B. nur mit Salix assoziiert, eine Inocybe zu Standort, wohl aber die Artenzusam- an Kobresia myosuroides (Mühlmann und Art nur mit Kobresia, und zwei Tomentella mensetzungen. So kam z.B. Cenococcum Peintner 2008) und 19 an Salix herbacea Arten nur mit Persicaria. Chronosequenz der Mykobionten geophilum im Gletschervorfeld der Mo- (Mühlmann und Peintner 2008). Cenococ- Interessanterweise bilden die dominie- von Persicaria vivipara räne von 1971 nicht vor, obwohl dieser cum geophilum sowie verschiedene Arten renden Mykorrhizapartner entweder nur Pilzpartner an beiden anderen Standorten der Gattungen Sebacina und Tomen­tella Sklerotien im Boden oder unscheinbare Die Mykobionten von Persicaria vivipara dominant war. Andererseits kamen Inocy- waren an allen drei Wirtspflanzen die am Substrat aufliegende (= resupinate) wurden an drei Standorten im Rotmoos- be Arten nur an den 40 – 150 Jahre eis-

216 217 U. Peintner, R. Kuhnert Kapitel 9 | Pilze und mikrobielle Gemeinschaften im Gletschervorfeld freien Standorten als Mykorrhizapartner enthielten intrazelluläre pilzliche Vesikel mikrobiell gebundener Stickstoff wird Glomeromycota, 6 % Zygomycota und vor. Diese Ergebnisse erlauben interessan- und/oder Arbuskeln, die Hälfte der Wur- frei und somit für die Pflanzen verfügbar 8 % ohne Zuordnung zu einer taxono- te Einblicke in die Verbreitung, Etablie- zeln waren sogar sehr stark mykorrhiziert (Lipson et al. 1999). Andererseits benöti- mischen Gruppe. Standorte mit Persicaria rung und in das Konkurrenzverhalten von (Fleisch et al. 2008). Artemisia genipi und gen die Bodenmikroorganismen die von waren mit 152 OTUs am artenreichsten, symbiontischen Pilzen in Primärsukzessi- Saxifraga oppositifolia waren hingegen den Pflanzen synthetisierten Kohlenstoff- gefolgt von Kobresia (137 OTUs), nack- onsstandorten: C. geophilum verbreitet nicht mykorrhiziert. verbindungen. tem Boden (133 OTUs) und Salix (131 sich mittels unterirdisch gebildeter Skle- Die mit Persicaria vivipara, Kobresia myo- OTUs) (Oberkofler und Peintner 2008). rotien, welche wahrscheinlich erst spät suroides und Salix herbacea assoziierten Im Sommer stand das Vorkommen von durch Vektoren oder Bodenfragmente in Bodenpilzgemeinschaften Bodenpilzgesellschaften (BPG) des Rot- ECM Pilzen in engem Zusammenhang Primärsukzessionsstandorte eingetragen moostales wiesen insgesamt eine sehr mit der Pflanzenbedeckung: ECM Pilze werden. Inocybe Arten hingegen sind typi- Bodenmikroorganismen (Bakterien und hohe Diversität auf, einschließlich vieler kamen in nackten Böden mit einer Aus- sche Pilze ruderaler Standorte, welche sich Pilze) spielen im Ökosystem eine Schlüs- noch nicht identifizierter Pilzgruppen. nahme (Sebacina) nicht vor, hier waren mittels luftverbreiteter Sporen etablieren, selrolle, da sie den Abbau organischer Insgesamt konnten 428 OTUs (pilzliche anamorphe Pilze dominierend; Standorte aber relativ konkurrenzschwach sind und Substanzen und die Nährstoffverfügbar- Taxa mit 98 % Sequenzhomologie in der mit Salix und Persicaria zeigten im Ver- in späteren Sukzessionsstandorten schnell keit für Pflanzen regulieren. Alpine Öko- rRNA ITS Region) festgestellt werden gleich zu Kobresia einen höheren Anteil von ECM Pilzen verdrängt werden. systeme sind durch lange, kalte Winter, (Abb. 13): 54 % , 27 % Basi- an ECM Pilzen. gefolgt von einer kurzen, kühlen Vegeta- diomycota, 2 % Chytridiomycota, 0,1 % tionsperiode gekennzeichnet. Umso mehr Monitoring von Arbuskulärer ist die Wechselwirkung zwischen Pflanzen Mykorrhiza im Bereich der und Bodenmikroorganismen bedeutend, Moräne von 1971 um limitierende Nährstoffe wie Kohlen- stoff und Stickstoff verfügbar zu machen. Viele Gräser und krautige Pflanzen der Die Zusammensetzung von Bodenmik- alpinen Grasheide (1900 m – 2500 m) roorganismen unterliegt einer deutlichen bilden eine Endomykorrhizasymbiose mit saisonalen Verschiebung. Leicht ver- Vertretern der Glomeromycota aus. Der fügbare Kohlenhydrate stimulieren das Mykorrhizierungsgrad dieser AM nimmt Wachstum von Bakterien, die im Sommer mit zunehmender Meereshöhe ab (Read ihr biologisches Maximum haben, kom- und Haselwandter, 1981). Wir waren da- plexere Substrate fördern dagegen das ran interessiert, wie schnell eine AM My- Pilzwachstum, daher dominieren Pilze korrhizierung an Primärsukzesionsstand- im Winter unter der Schneedecke. Pilz- orten erfolgen kann. Daher untersuchten myzelien sind kältetoleranter und können wir an der Moräne von 1971 Artemisia abgestorbenes Pflanzenmaterial auch un- genipi, Poa alpina, und Saxifraga opposi­ ter der Schneedecke bei Temperaturen bis Abb. 13: tifolia auf Vorkommen und Intensität zu -5° C abbauen (Schadt 2003). Mit Be- Zusammensetzung von Bodenpilzgesellschaften, welche während des Sommers mit Salix herbacea, Persica- Arbuskulärer Mykorrhiza (AM)-Infekti- ginn der Schneeschmelze sinkt der Gehalt ria vivipara, Kobresia myosuroides und nacktem Boden assoziiert waren (n = 428) basierend auf rDNA ITS onen. 90 % der Wurzeln von Poa alpina an mikrobieller (v.a. pilzlicher) Biomasse, Klon Datenbanken

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Glomeromycota sind wichtige AM-Part- waren noch im gefrorenen Boden vital. (A) (B) ner, sie waren in den Böden der potentiell Auffallend war, dass schon kurz nach der endomykorrhizabildenden Pflanzen Kob- Schneeschmelze gut entwickelte, mykor- resia and Persicaria vertreten. Die aquati- rhizierte Wurzelspitzen vorhanden waren, schen Chytridiomycota waren in Stand- die eine hohe Diversität von Mykobion- orten mit Salix und in nackten Böden zu ten aufwiesen. Das schnelle Wachstum im finden. Frühjahr weist darauf hin, dass die phy- siologische Aktivität schon früh unter der Schneedecke beginnt. Dieser Wachstums- Saisonale Dynamik von schub wird wahrscheinlich durch verän- Pilzen im Boden derte Feuchtigkeitsbedingungen, bedingt durch Schmelzwasser, ausgelöst. Im Ge- Die Wintermonate wurden bei Unter- gensatz dazu änderte sich die Zusammen- suchungen von Bodenpilzgesellschaften setzung der BPG von Sommer zu Winter (BPG) und ECM Pilzen bisher nicht be- deutlich. Die Artenvielfalt und Abun- rücksichtigt, da in dieser Periode bisher danzen von Ascomycota sind im Winter Abb. 14: physiologische Inaktivität vermutet wur- deutlich (> 10 %) höher als im Sommer, Pilzhyphen, welche im Winter in mit Quarzsand gefüllte sterile Einwuchssäckchen (Meshbags) eingewach- sen sind. (A) Pilzhyphen wurden mittels Membran-Filter Technik (Hanssen et al. 1974) isoliert und mit de. Untersuchungen zur saisonalen Dyna- dagegen nehmen Basidiomycota und Calcoflour white (M2R) gefärbt. (B) Direkte Färbung des sterilen Quarzsandes mit Phenolanilinblau mik von BPG und ECM Pilzen eines Pri- Zygomycota vom Sommer zum Winter (Foto: R. Kuhnert) märsukzessionsstandortes wurden anhand wesentlich ab. Diese winterliche Domi- dreier alpiner ECM Pflanzen Persicaria ( nanz der Ascomycota scheint zumindest vivipara, Kobresia myosuroides, Salix her- für arktisch-alpine Böden typisch zu sein, kalten schneebedeckten Böden wachsen Der Nachweis von psychrotolerante Basi- bacea) sowie nackter Böden erstmals im da sie auch in alpinen Böden der Rocky können (Abb. 14). Dabei handelte es sich diomyzeten-Hefen (Cryptococcus spp.) fiel Gletschervorfeld des Rotmoostalferners Mountains (U.S.A) festgestellt werden um verschiedenste saprobe Ascomyzeten, in die Zeit der Schneeschmelze. Das Vor- systematisch durchgeführt. konnten (Jumpponen 2003, Schadt et al. einschließlich vieler noch nicht beschrie- kommen von Hefen könnte durch die ex- Alle drei erwähnten ECM Pflanzen wiesen 2003, Meyer 2004). bener Pilze, welche bei Bodentemperatu- treme Sättigung des Bodens mit Schmelz- Sommer wie Winter einen überraschend Pilzliche Myzelien überdauerten den Win- ren von -0,6°C bis -0,3° C einen hohen wasser begünstigt sein. hohen Mykorrhizierungsgrad (95-100 %) ter nicht nur (z.B. als Mykorrhizapartner Anteil an Biomasse bildeten. auf. Die Anzahl abgestorbener Wurzelspit- an Wurzelspitzen), sie waren überdies auch zen war im Frühjahr gering und erreichte physiologisch aktiv. Es ist bemerkenswert, dagegen im Winter im gefrorenen Boden dass die pilzliche Biomasse während der ein Maximum (Mühlmann et al. 2008). Wintermonate in den schneebedeckten Die Diversität der Mykorrhizapartner Böden auf das 6-12 fache der Sommer- war im Frühling am höchsten und nahm werte anstieg. Anhand von im Winter im zum Winter hin ab. Die dominierenden Boden eingegrabenen Einwuchssäckchen ECM Partner (Cenococcum geophilum, (Meshbags) konnte bewiesen werden, Sebacina incrustans und Tomentella spp.) dass Pilze während der Wintermonate in

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Verzeichnis der AutorInnen

Ursula Peintner Universität Innsbruck Institut für Mikrobiologie Technikerstr. 25, 6020 Innsbruck, Österreich [email protected]

Regina Kuhnert Universität Innsbruck Institut für Mikrobiologie Technikerstr. 25, 6020 Innsbruck, Österreich [email protected]

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