Epochale Kontroversen 1919 – 1932
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Epochale Kontroversen 1919 – 1932 Inhalt 1919 – 1932. Epochale Kontroversen Stilfragen 4 1920 – 1926: Cornelius Gurlitt und der BDA Andreas Denk Eine Reflexion zum Berufsstand 11 1931: Hans Poelzigs Rede „Der Architekt“ Winfried Nerdinger Chronik 1919 – 1932 16 1919 – 1932 Epochale Kontroversen Andreas Denk Ein Leben für die Baukunst 1920 – 1926: Cornelius Gurlitt und der BDA Fast siebzig Jahre alt war Cornelius Gurlitt, als ihn der derts führte. Mit dieser Arbeit wurde er – ohne Ab- Bund Deutscher Architekten 1919 beim 1. Bundes- schlussprüfung – promoviert und bekam die Beru- tag nach dem Ersten Weltkrieg zu seinem Ehrenmit- fung auf den Baukunst-Lehrstuhl der TH Dresden, glied erklärte: Wenige Monate später wurde er zum wo er bis zu seiner Emeritierung 1920 wirkte.3 Bundespräsidenten des BDA gewählt – und blieb es bis 1926.1 „Ich habe acht schwere Arbeitstage hin- Seine Lehrtätigkeit begleitete bis ins hohe Alter ter mir, Tagung des Bundes Deutscher Architekten eine Vielzahl von Publikationen – darunter die ein- in Würzburg“, schreibt Gurlitt am 28. Mai 1920 an flussreiche „Geschichte der Kunst des 19. Jahrhun- seinen Sohn Willibald: „Es war leider unmöglich, der derts“, die 1899 und in weiteren Auflagen bis 1924 Abstimmung (139 von 143 Stimmen) und dem stür- erschien.4 Die bewusst subjektiven und durch Anek- mischen Beifall Widerstand zu leisten, als ich zum 1. doten angereicherten Qualitätsurteile dieses Buches Vorsitzenden des Gesamtverbandes erwählt wurde. entwickelten unter anderem eine fühlbare Nähe zu Ich fahr’ gleich nach Berlin, um die Leitung des Büros den neuesten Tendenzen der Architektur, unter de- zu übernehmen. Man empfing mich überall mit einer nen Gurlitt allerdings nicht den Jugendstil oder die Art mystischer Vorstellung, als würde ich alles leisten Sezession verstand. Vielmehr galt sein – durchaus können, was der Bund erwartet. Ich sagte ihnen propagandistisches – Interesse einer neuen national gleich, dass ich übers Jahr den bittersten Tadel we- lesbaren Architektursprache, als deren hervorra- gen Unfähigkeit erwarte. Aber was will man als Alter genden Vertreter er Paul Wallot und dessen Reichs- Besseres leisten, als seine Haut zu Markte tragen.“2 tagsgebäude sowie den Denkmalarchitekten Bruno Schmitz darstellte.5 Gurlitt (1850 – 1938) hatte zu diesem Zeitpunkt be- reits ein bewegtes Leben hinter sich. Eins von sie- Zugleich engagierte sich Cornelius Gurlitt in der vi- ben Kindern eines Landschaftsmalers, studierte er rulenten Diskussion um die richtige Form der Denk- nach einer Zimmermannslehre Architektur in Stutt- malpflege. Im Kontrast zu Carl Schäfer, der zwischen gart und München und wurde dann Assistent beim 1890 und 1900 eine stilgetreue Rekonstruktion des Dresdner Kunstgewerbemuseum. Dort schrieb er renaissancistischen Friedrichsbaus des Heidelberger eine dreibändige Geschichte des Barock, die maß- Schlosses umsetzte, kämpfte er wie Georg Dehio – geblich zur Wiederentdeckung der Qualitäten der besonders am Beispiel des Heidelberger Ottheinrich- bis dahin als Phase stilistischen Niedergangs der baus – für den Erhalt aller Zeitschichten eines Denk- Kunst empfundenen ersten Hälfte des 18. Jahrhun- mals und für das Nebeneinander verschiedener Stile an einem gewachsenen Bau. Mit dem Architekten Albrecht Haupt verband ihn die Forderung nach einer in seinem – konservativen – Sinne zeitgenös- 4 Cornelius Gurlitt, BDA-Präsident 1920 – 1926, um 1920 5 sischen deutschen Architekturform. Dabei trat er aus Wenig später gelang ihm eine Einigung der Ar- städtebaulichen Erwägungen besonders für den Er- chitektenverbände auch in Sachsen.9 „Dem Bund halt von Denkmalen im urbanen Kontext ein, um die Deutscher Architekten BDA sind bisher gegen 2.800 historische städtische Schichtung sichtbar zu lassen.6 Mann zugetreten, die je 75 Mark Jahresbeitrag zah- len“ teilte er im November 1919 mit: „Mit einem Insofern wundert es nicht, dass Gurlitt 1903 Grün- Etat von rund 200.000 Mark jährlich lässt sich schon dungsmitglied des BDA wurde. Anlässlich der Ver- etwas machen!“10 leihung der Ehrenpräsidentenwürde im Dezember 1926 wurde er sogar als „Vater des Bundes Deut- Seine Wahl zum BDA-Bundespräsidenten im Mai scher Architekten“ bezeichnet7, was mit seinem 1920 kam einer weiteren späten Würdigung gleich, kontinuierlichen Eintreten für die so genannten bau- die Gurlitt jedoch als idealistische Aufgabe im Sinne künstlerischen Aspekte der Architektur zu tun hatte, eines berufspolitischen Engagements annahm: „Die wohl aber auch mit seiner diplomatischen Arbeit im Arbeit ist sehr groß, aber mir scheint sie wichtig Rahmen seines späteren Wirkens für den Bund. genug. Es handelt sich nicht um Vereinsmeierei, sondern um Organisation eines Standes. Meine Be- Unmittelbar nach seiner Emeritierung kamen näm- ziehungen helfen der Sache viel. Ich setzte durch, lich neue Aufgaben auf den Kunsthistoriker zu. Als dass der Bund Rechtsfähigkeit durch ministerielle Vorstandsmitglied des sächsischen BDA war er am Verleihung erhielt, also eine gewisse staatliche Aner- Einigungskongress des BDA, DA und DFA im Sep- kennung erlangte, die hoffentlich bald sich zu einer tember 1919 wesentlich beteiligt. Gurlitt schrieb an Architektenkammer erweitern wird.“11 seinen Sohn Willibald über dieses wichtige Treffen: „Heute Nacht bin ich vom Architektentag in Hildes- Erschwert wurde der Neuaufbau des BDA jedoch heim heimgekehrt, an dem ich die drei großen, sich durch die äußerst schwierigen Zeitumstände, das befeindenden Architektenverbände endlich zu ver- hindernisreiche Bemühen um eine organisatorische einigen half. Ich konnte als derzeitiger Vorsitzender Neuorganisation des BDA in Landesverbänden und (Alterspräsident) die Konstituierung des neuen Ge- eine zentrale Geschäftsstelle, aber auch durch die samtverbandes feststellen. Man wählte mich zum unklare Ausrichtung des Verbandes: Cornelius Gur- Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten.“8 litt schreibt im April 1921: „Im Reichstag ödeste Zänkerei; Rücktritt der Regierung, so dass man nicht weiß, wer denn heute die Leitung besitzt. All’ das ist so grausig, dass das bisschen Besitz und persön- 6 liche Streben als ein Verrat an der großen gemeinen Unter dieser menschlichen Enttäuschung litt auch Sache erscheint. Ich tue, was ich kann, um mit zu das Ansehen der Architekten, mit denen Gurlitt zu helfen, wenigstens in einem Stande, dem der Ar- tun hatte: „Meiner Natur nach halte ich alle für an- chitekten, Einigkeit zu schaffen: Eine Hundearbeit, ständige Leute. Aber es fehlt ihnen die Disziplin, die 3.000 Querköpfe beisammen zu halten.“12 Einordnung in den Gemeinwillen. Jeder schreit seine Sonderansicht hinaus, ohne Rücksicht darauf, dass Die Streitigkeiten im BDA hielten während Gurlitts diese Gegengeschrei hervorruft.“14 weiterer Amtszeit an. Sicherlich spielte dabei auch dessen Ablehnung der neuen architektonischen Neben der Konsolidierung des Verbandes, die er mit Tendenzen der 1920er Jahre eine Rolle. Ihm selbst Hilfe des Geschäftsführers Eduard Jobst Siedler um- stellte sich das Geschehen um seine Person so dar: setzte, stellte sich der größte berufspolitische Erfolg „Morgen muss ich wieder nach Berlin, um Öl in die des BDA-Präsidenten im Mai 1923 ein, als es gelang wogende See der Intrigen der Architekten unterei- „durch Verhandlung in verschiedenen Reichsmini- nander zu gießen. Vielleicht ist’s kein See, sondern sterien, endlich bei Ebert sehr Wichtiges (zu errei- ein Feuer! Nur immer ’rin mit dem Öl! Presskämp- chen), nämlich die Reichsanerkennung der Gebüh- fe, auch Angriffe auf mich, ungerufene und uner- renordnung für Architekten, um die sie sich seit fast wünschte Verteidigungen für meine Amtsführung 40 Jahren bemühen, als einer soliden Grundlage etc. So ist’s einmal, wenn man an leitender Stellung ihres pekuniären Erfolgs.“15 Die GOA blieb bis in die ist.“ Und im Gegensatz zur gemütlichen, geistvollen 1950er Jahre in angepasster Form verbindlich und Ex-Residenz Dresden blieb auch die Reichshaupt- wurde die Grundlage für die spätere HOAI. Für sol- stadt dem Sachsen fremd: Willibald Gurlitt teilte er che Manöver auf politischer Ebene war allerhöchster mit: „Berlin wünsch’ Dir nie. Es ist ein Saunest, voll Einsatz nötig, den Gurlitt auch in fortgeschrittenem von halbgebildeten Barbaren und Strebern, solche Alter offenbar kontinuierlich aufzubringen wusste: Halbgebildeten, die sehr viel wissen und sehr gelehrt „Ich war fünf Tage unterwegs, habe in Frankfurt, sind, auch gewandte Form haben. Aber hinter der Barmen und Köln gesprochen, Verhandlungen über Bildung steht überall die Gier, gleichviel, ob nach den BDA gehabt. In fünf Tagen war ich 27 Stunden Geld, Ehre, Leistung.“13 im Bett, jede Nacht woanders, sonst schlief ich in der Bahn, brachte aber einige Devisen mit heim“, schreibt er an seinen Sohn zum Höhepunkt der Infla- tion in Deutschland im November 1923.16 7 Die Querelen im Bund ließen jedoch nicht nach. Dringliche Themen wie Typisierung, Normung und Rationalisierung scheinen den baukünstlerisch inspi- rierten Gurlitt nicht interessiert zu haben, wohl aber eine Reihe von jüngeren Architekten im BDA, die den Präsidenten offenbar wiederholt attackierten. Erst unter Gurlitts Nachfolger Wilhelm Kreis kamen sie zum Zuge. Dem „Vater des BDA“ war Trost, dass offenbar viele Mitglieder unbegrenztes Vertrauen in seine Moderationsfähigkeiten setzten und ihn des- halb immer wieder im Amt bestätigten: „Einen Ver- band, wie den Bund Deutscher Architekten, wirk- lich zu leiten, 3.000 Querköpfe zusammenzuhalten, überall als vermittelnder Onkel zur Verfügung zu stehen, ist eine Riesenaufgabe, die