Epochale Kontroversen 1919 – 1932

Inhalt

1919 – 1932. Epochale Kontroversen

Stilfragen 4 1920 – 1926: Cornelius Gurlitt und der BDA Andreas Denk

Eine Reflexion zum Berufsstand 11 1931: Hans Poelzigs Rede „Der Architekt“ Winfried Nerdinger

Chronik 1919 – 1932 16

1919 – 1932

Epochale Kontroversen Andreas Denk Ein Leben für die Baukunst 1920 – 1926: Cornelius Gurlitt und der BDA

Fast siebzig Jahre alt war Cornelius Gurlitt, als ihn der derts führte. Mit dieser Arbeit wurde er – ohne Ab- Bund Deutscher Architekten 1919 beim 1. Bundes- schlussprüfung – promoviert und bekam die Beru- tag nach dem Ersten Weltkrieg zu seinem Ehrenmit- fung auf den Baukunst-Lehrstuhl der TH Dresden, glied erklärte: Wenige Monate später wurde er zum wo er bis zu seiner Emeritierung 1920 wirkte.3 Bundespräsidenten des BDA gewählt – und blieb es bis 1926.1 „Ich habe acht schwere Arbeitstage hin- Seine Lehrtätigkeit begleitete bis ins hohe Alter ter mir, Tagung des Bundes Deutscher Architekten eine Vielzahl von Publikationen – darunter die ein- in Würzburg“, schreibt Gurlitt am 28. Mai 1920 an flussreiche „Geschichte der Kunst des 19. Jahrhun- seinen Sohn Willibald: „Es war leider unmöglich, der derts“, die 1899 und in weiteren Auflagen bis 1924 Abstimmung (139 von 143 Stimmen) und dem stür- erschien.4 Die bewusst subjektiven und durch Anek- mischen Beifall Widerstand zu leisten, als ich zum 1. doten angereicherten Qualitätsurteile dieses Buches Vorsitzenden des Gesamtverbandes erwählt wurde. entwickelten unter anderem eine fühlbare Nähe zu Ich fahr’ gleich nach , um die Leitung des Büros den neuesten Tendenzen der Architektur, unter de- zu übernehmen. Man empfing mich überall mit einer nen Gurlitt allerdings nicht den Jugendstil oder die Art mystischer Vorstellung, als würde ich alles leisten Sezession verstand. Vielmehr galt sein – durchaus können, was der Bund erwartet. Ich sagte ihnen propagandistisches – Interesse einer neuen national gleich, dass ich übers Jahr den bittersten Tadel we- lesbaren Architektursprache, als deren hervorra- gen Unfähigkeit erwarte. Aber was will man als Alter genden Vertreter er Paul Wallot und dessen Reichs- Besseres leisten, als seine Haut zu Markte tragen.“2 tagsgebäude sowie den Denkmalarchitekten Bruno Schmitz darstellte.5 Gurlitt (1850 – 1938) hatte zu diesem Zeitpunkt be- reits ein bewegtes Leben hinter sich. Eins von sie- Zugleich engagierte sich Cornelius Gurlitt in der vi- ben Kindern eines Landschaftsmalers, studierte er rulenten Diskussion um die richtige Form der Denk- nach einer Zimmermannslehre Architektur in Stutt- malpflege. Im Kontrast zu Carl Schäfer, der zwischen gart und München und wurde dann Assistent beim 1890 und 1900 eine stilgetreue Rekonstruktion des Dresdner Kunstgewerbemuseum. Dort schrieb er renaissancistischen Friedrichsbaus des Heidelberger eine dreibändige Geschichte des Barock, die maß- Schlosses umsetzte, kämpfte er wie Georg Dehio – geblich zur Wiederentdeckung der Qualitäten der besonders am Beispiel des Heidelberger Ottheinrich- bis dahin als Phase stilistischen Niedergangs der baus – für den Erhalt aller Zeitschichten eines Denk- Kunst empfundenen ersten Hälfte des 18. Jahrhun- mals und für das Nebeneinander verschiedener Stile an einem gewachsenen Bau. Mit dem Architekten Albrecht Haupt verband ihn die Forderung nach einer in seinem – konservativen – Sinne zeitgenös-

4 Cornelius Gurlitt, BDA-Präsident 1920 – 1926, um 1920

5 sischen deutschen Architekturform. Dabei trat er aus Wenig später gelang ihm eine Einigung der Ar- städtebaulichen Erwägungen besonders für den Er- chitektenverbände auch in Sachsen.9 „Dem Bund halt von Denkmalen im urbanen Kontext ein, um die Deutscher Architekten BDA sind bisher gegen 2.800 historische städtische Schichtung sichtbar zu lassen.6 Mann zugetreten, die je 75 Mark Jahresbeitrag zah- len“ teilte er im November 1919 mit: „Mit einem Insofern wundert es nicht, dass Gurlitt 1903 Grün- Etat von rund 200.000 Mark jährlich lässt sich schon dungsmitglied des BDA wurde. Anlässlich der Ver- etwas machen!“10 leihung der Ehrenpräsidentenwürde im Dezember 1926 wurde er sogar als „Vater des Bundes Deut- Seine Wahl zum BDA-Bundespräsidenten im Mai scher Architekten“ bezeichnet7, was mit seinem 1920 kam einer weiteren späten Würdigung gleich, kontinuierlichen Eintreten für die so genannten bau- die Gurlitt jedoch als idealistische Aufgabe im Sinne künstlerischen Aspekte der Architektur zu tun hatte, eines berufspolitischen Engagements annahm: „Die wohl aber auch mit seiner diplomatischen Arbeit im Arbeit ist sehr groß, aber mir scheint sie wichtig Rahmen seines späteren Wirkens für den Bund. genug. Es handelt sich nicht um Vereinsmeierei, sondern um Organisation eines Standes. Meine Be- Unmittelbar nach seiner Emeritierung kamen näm- ziehungen helfen der Sache viel. Ich setzte durch, lich neue Aufgaben auf den Kunsthistoriker zu. Als dass der Bund Rechtsfähigkeit durch ministerielle Vorstandsmitglied des sächsischen BDA war er am Verleihung erhielt, also eine gewisse staatliche Aner- Einigungskongress des BDA, DA und DFA im Sep- kennung erlangte, die hoffentlich bald sich zu einer tember 1919 wesentlich beteiligt. Gurlitt schrieb an Architektenkammer erweitern wird.“11 seinen Sohn Willibald über dieses wichtige Treffen: „Heute Nacht bin ich vom Architektentag in Hildes- Erschwert wurde der Neuaufbau des BDA jedoch heim heimgekehrt, an dem ich die drei großen, sich durch die äußerst schwierigen Zeitumstände, das befeindenden Architektenverbände endlich zu ver- hindernisreiche Bemühen um eine organisatorische einigen half. Ich konnte als derzeitiger Vorsitzender Neuorganisation des BDA in Landesverbänden und (Alterspräsident) die Konstituierung des neuen Ge- eine zentrale Geschäftsstelle, aber auch durch die samtverbandes feststellen. Man wählte mich zum unklare Ausrichtung des Verbandes: Cornelius Gur- Ehrenmitglied des Bundes Deutscher Architekten.“8 litt schreibt im April 1921: „Im Reichstag ödeste Zänkerei; Rücktritt der Regierung, so dass man nicht weiß, wer denn heute die Leitung besitzt. All’ das ist so grausig, dass das bisschen Besitz und persön-

6 liche Streben als ein Verrat an der großen gemeinen Unter dieser menschlichen Enttäuschung litt auch Sache erscheint. Ich tue, was ich kann, um mit zu das Ansehen der Architekten, mit denen Gurlitt zu helfen, wenigstens in einem Stande, dem der Ar- tun hatte: „Meiner Natur nach halte ich alle für an- chitekten, Einigkeit zu schaffen: Eine Hundearbeit, ständige Leute. Aber es fehlt ihnen die Disziplin, die 3.000 Querköpfe beisammen zu halten.“12 Einordnung in den Gemeinwillen. Jeder schreit seine Sonderansicht hinaus, ohne Rücksicht darauf, dass Die Streitigkeiten im BDA hielten während Gurlitts diese Gegengeschrei hervorruft.“14 weiterer Amtszeit an. Sicherlich spielte dabei auch dessen Ablehnung der neuen architektonischen Neben der Konsolidierung des Verbandes, die er mit Tendenzen der 1920er Jahre eine Rolle. Ihm selbst Hilfe des Geschäftsführers Eduard Jobst Siedler um- stellte sich das Geschehen um seine Person so dar: setzte, stellte sich der größte berufspolitische Erfolg „Morgen muss ich wieder nach Berlin, um Öl in die des BDA-Präsidenten im Mai 1923 ein, als es gelang wogende See der Intrigen der Architekten unterei- „durch Verhandlung in verschiedenen Reichsmini- nander zu gießen. Vielleicht ist’s kein See, sondern sterien, endlich bei Ebert sehr Wichtiges (zu errei- ein Feuer! Nur immer ’rin mit dem Öl! Presskämp- chen), nämlich die Reichsanerkennung der Gebüh- fe, auch Angriffe auf mich, ungerufene und uner- renordnung für Architekten, um die sie sich seit fast wünschte Verteidigungen für meine Amtsführung 40 Jahren bemühen, als einer soliden Grundlage etc. So ist’s einmal, wenn man an leitender Stellung ihres pekuniären Erfolgs.“15 Die GOA blieb bis in die ist.“ Und im Gegensatz zur gemütlichen, geistvollen 1950er Jahre in angepasster Form verbindlich und Ex-Residenz Dresden blieb auch die Reichshaupt- wurde die Grundlage für die spätere HOAI. Für sol- stadt dem Sachsen fremd: Willibald Gurlitt teilte er che Manöver auf politischer Ebene war allerhöchster mit: „Berlin wünsch’ Dir nie. Es ist ein Saunest, voll Einsatz nötig, den Gurlitt auch in fortgeschrittenem von halbgebildeten Barbaren und Strebern, solche Alter offenbar kontinuierlich aufzubringen wusste: Halbgebildeten, die sehr viel wissen und sehr gelehrt „Ich war fünf Tage unterwegs, habe in Frankfurt, sind, auch gewandte Form haben. Aber hinter der Barmen und Köln gesprochen, Verhandlungen über Bildung steht überall die Gier, gleichviel, ob nach den BDA gehabt. In fünf Tagen war ich 27 Stunden Geld, Ehre, Leistung.“13 im Bett, jede Nacht woanders, sonst schlief ich in der Bahn, brachte aber einige Devisen mit heim“, schreibt er an seinen Sohn zum Höhepunkt der Infla- tion in Deutschland im November 1923.16

7 Die Querelen im Bund ließen jedoch nicht nach. Dringliche Themen wie Typisierung, Normung und Rationalisierung scheinen den baukünstlerisch inspi- rierten Gurlitt nicht interessiert zu haben, wohl aber eine Reihe von jüngeren Architekten im BDA, die den Präsidenten offenbar wiederholt attackierten. Erst unter Gurlitts Nachfolger Wilhelm Kreis kamen sie zum Zuge. Dem „Vater des BDA“ war Trost, dass offenbar viele Mitglieder unbegrenztes Vertrauen in seine Moderationsfähigkeiten setzten und ihn des- halb immer wieder im Amt bestätigten: „Einen Ver- band, wie den Bund Deutscher Architekten, wirk- lich zu leiten, 3.000 Querköpfe zusammenzuhalten, überall als vermittelnder Onkel zur Verfügung zu stehen, ist eine Riesenaufgabe, die nur der würdigen kann, der sie wie ich nun fünf Jahre durchgeführt hat, so dass ich immer wieder einstimmig in mein Amt gewählt wurde.“17

Doch allmählich ließen die Widerstandskräfte des in- zwischen 75jährigen nach: „Für mich ist es peinlich,“ schreibt er auf einer Postkarte, „dass ich in sehr ernste Kämpfe im Baufach hineingezogen bin, wo- bei mein Name bewirkt, dass man mich besonders hervorhebt, namentlich als Gegner und mithin als zu Bekämpfenden. Vor einem ehrlichen Streit habe ich mich nie gefürchtet – aber jetzt passt mir der Kram wenig.18 Die Ernennung zum Ehrenpräsidenten bewirkte 1926 offenbar einen letzten Motivations- schub: Gurlitt war bis etwa 1932 – zum Teil auf inter- nationalem Parkett – für den Verband unterwegs...

Scherenschnitt von Cornelius Gurlitt, Geschenk von Berliner BDA- Architekten, 1924

8 Anmerkungen 7 Bernhard Gaber: Die Entwicklung des Berufs- 1 Zu Gurlitts Wirken für den BDA siehe: Bernhard standes (wie Anm. 1), S. 105. Gaber: Die Entwicklung des Berufsstandes der frei- 8 Universitätsarchiv der TU-Dresden, Nachlass schaffenden Architekten dargestellt am Beispiel des Cornelius Gurlitt, Postkarte 033 / 002, Cornelius Bundes Deutscher Architekten BDA, Essen 1966, S. Gurlitt an Willibald Gurlitt, 16.09.1919, ausgestellt 83 ff. sowie Gurlitts Briefe und Postkarten im Uni- in Dresden. Die Ehrenmitgliedschaft hatte Gur- versitätsarchiv der TU-Dresden, Nachlass Cornelius litt offenbar seinem alten Weggefährten Albrecht Gurlitt. Haupt zu verdanken (ebda., Brief 059 / 009, Alb- 2 Universitätsarchiv der TU-Dresden, Nachlass Cor- recht Haupt an Cornelius Gurlitt, 30.12.1919, aus- nelius Gurlitt, Postkarte 033 / 017, Cornelius Gurlitt gestellt in Hannover). an Willibald und Gertrud Gurlitt, 26.06.1919, aus- 9 Ebda., Postkarte 033 / 003, Cornelius Gurlitt an gestellt in Dresden (Poststempel 24.06.1919). Willibald Gurlitt, 01.10.1919, ausgestellt in Dresden. 3 Zu Gurlitts Leben und Werk siehe: Otto Schubert: 10 Ebda., Brief 033 / 008, Cornelius Gurlitt an Wil- Cornelius Gustav Gurlitt in: Neue Deutsche Biogra- libald Gurlitt, 08.11.1919. phie 7 (1966), S. 327 f.; www.gurlitt.tu-dresden.de 11 Ebda., Postkarte 033 / 041, Cornelius Gurlitt an (letzter Zugriff: 04.05.2013); Jürgen Paul: Cornelius Willibald Gurlitt, 27.02.1922, ausgestellt in Dresden. Gurlitt, Dresden 2003; Matthias Lienert (Hrsg.): Cor- 12 Ebda., Brief 033/025, Cornelius Gurlitt an Willi- nelius Gurlitt (1850 bis 1938). Sechs Jahrzehnte Zeit- bald Gurlitt, 30.04.1921. und Familiengeschichte in Briefen, Dresden 2008. 13 Ebda., Postkarte 033/041, Cornelius Gurlitt an 4 Cornelius Gurlitt: Die deutsche Kunst des 19. Willibald Gurlitt, 27.02.1921, ausgestellt in Dresden. Jahrhunderts. Ihre Ziele und Thaten, Berlin 1899. 14 Ebda., Brief 033 / 045, Cornelius Gurlitt an Wil- 5 ebda., S. 638 ff. libald Gurlitt und Gertrud Gurlitt, 22.12.1922, aus- 6 Vgl.: Sigrid Brandt: Denkmalpflegedebatten als gestellt in Dresden. Architekturdebatten. Cornelius Gurlitt, Vortrag an- 15 Ebda., Brief 033 / 054, Cornelius Gurlitt an Wil- lässlich des Symposiums „Nachdenken uber Denk- libald Gurlitt, 14.05.1923, ausgestellt in Dresden. malpflege“. (Teil 5): Schöne Geschichte? Ästhe- 16 Ebda., Postkarte 033 / 059, Cornelius Gurlitt an tische Urteile in der Denkmalpflege, Essen / Ruhr, 1. Willibald Gurlitt, 16.11.1923, ausgestellt in Dresden. April 2006, in: kunsttexte.de, Nr. 2, 2006 (6 Seiten), 17 Ebda., Brief 031 / 021, Cornelius Gurlitt an Mary www.kunsttexte.de (Zugriff am 02.05.2013). Gurlitt, 19.03.1926, ausgestellt in Dresden. 18 Ebda., Postkarte 031 / 027, Cornelius Gurlitt an Mary Gurlitt, 09.11.1927, ausgestellt in Dresden.

9 Winfried Nerdinger Eine Reflexion zum Berufsstand 1931: Hans Poelzigs Rede „Der Architekt“

Auf dem 28. ordentlichen Bundestag des BDA in wieder heraus“. Entschieden wandte sich Poelzig Berlin hielt der stellvertretende Vorsitzende Hans gegen die Behauptung, Bauverwaltungen könnten Poelzig am 4. Juni 1931 eine programmatische billiger bauen als der freie Architekt, das Gegenteil Rede über Berufsstand und Berufsbild des Archi- sei der Fall. Außerdem erwürge die Baubürokratie tekten. Der Text wurde in der „Bauwelt“ und in der buchstäblich den Architekten, sie war für ihn von „Baugilde“ abgedruckt, aber es schloss sich keine „Instanzenweg“ und „Leerlauf“ gekennzeichnet, Diskussion in den Bauzeitschriften an. In der 1939 und selbst die besten Stadtbauräte seien spätestens veröffentlichten Biografie von Theodor Heuss über in der zweiten Amtsperiode so „zerrieben von der Poelzig spielte die Rede eine zentrale Rolle als eine Tretmühle der Organisation“, dass sie nur noch Art geistiges Vermächtnis des „deutschen Baumei- Schaden anrichteten. Der freie Architekt dagegen sters“, so der bezeichnende Untertitel der national stößt sich nur „die Knie wund an den Futterkrippen gefärbten Darstellung. Als der Ehrenvorsitzende des der Parteifunktionäre und Berufspolitiker“. BDA in Nordrhein-Westfalen, Eugen Fabricius, 1954 einen Sonderdruck des Textes herausgab, schrieb er Über diese Schelte kann man sich natürlich noch bereits in der Einleitung von Poelzigs „klassischer heute amüsieren, und es ist sicher viel Wahres Rede“, die dann nochmals 1986 als architextbook daran, auch wenn die Kritik schon damals in die- und in Ausschnitten in Julius Poseners Poelzig-Mo- ser pauschalen Form überzogen war. Damit ist die nographie von 1992 abgedruckt wurde. Substanz der viel gerühmten Rede zwar noch nicht erschöpft, aber die wenigen weiteren gehaltvollen Kaum ein anderer Beitrag im 20. Jahrhundert über Aussagen muss man zwischen vielen Abstrusitäten den Architektenberuf dürfte somit derartig verbrei- und Plattitüden suchen. So steht beispielsweise im tet und dementsprechend häufig zitiert worden Zentrum von Poelzigs Argumentation eine rigide sein. Der Grund für diese Wirkung liegt wohl im we- Unterscheidung zwischen Technik und Kunst, bezie- sentlichen darin, dass Poelzig einige markige Sätze hungsweise Ingenieur und Architekt, die noch ganz gegen die beamteten Architekten und die Baubü- aus dem Denken des 19. Jahrhunderts stammt und rokratie formuliert hatte, die jedem freischaffenden 1931 bereits ziemlich obsolet war. Da die Technik Architekten noch heute süß in den Ohren klingen. den Gesetzen der Natur folge, könne sie niemals So forderte er „die Abschaffung der Bauverwal- tungen – als bauende Verwaltungen“, denn es seien zwar „Begabungen in die warme und dumpfe Höh- le des Baubeamtentums“ gegangen, „aber keine

10 Kunst schaffen, denn diese sei „außerhalb der Na- tur“. Einer „dämonischen Großartigkeit technischer Formung“ setzte Poelzig die „symbolhafte Gestal- tung“ des Architekten diametral gegenüber, um dann aus dem Gegensatz zwischen „mechanischem Prozess“ und „bewusstem Gestaltungswillen“ das Bild des Architekten als Symbol- und Kulturschöp- fer zu zimmern. In dieser selbstgefälligen Hierarchi- sierung einer Partnerschaft, nicht in der Trennung zwischen Architekt und Ingenieur, liegt bis heute ein zentrales Problem des Berufsstands.

Bei kritischer Lektüre kann die Rede auch als ein Sammelsurium der Klischees gelesen werden, mit denen viele Architekten so gerne ihren Stand er- heben und dabei gleichzeitig die Probleme in ihrer Arbeit verdecken. Da wird vom „ärztlichen Baumei- ster“ oder vom großen „Koordinator“ geschwafelt und das Bild von der Architektur als gefrorener Mu- sik wird natürlich bemüht, denn „ohne Musikalität ist keine Architektur möglich“. Die „Berechtigung“ des BDA wird aus seinen „Kulturbestrebungen“ hergeleitet, die Poelzig allerdings im Sinne einer „kulturellen Entwicklung unseres Standes“ ver- steht. Diese BDA-Kultur basiert für ihn auf einer „Auslese“, die er in einer reichlich problematischen Argumentation gegenüber der „Masse“ verteidigt, um dann ein Gejammer anzustimmen, dass sich Veröffentlichung von dieser Bund der wenigen Kultur-Architekten nicht Poelzigs Bundestagsrede in wie die großen Verbände gegenüber Politikern arti- der „Baugilde“. kulieren könne. Wenn es dann zum Schluss pathe- tisch heißt, „Architekt sein, heißt, nicht Fachmann

11 sein, nicht Spezialist, sondern Mensch, Kämpfer sein für alles Menschliche“, dann ist dies eine reine Sprechblase, genauso inhaltsleer wie das heute so beliebte Geschwätz über „Baukultur“. In der Hybris der von Poelzig verkündeten Botschaft des Archi- tekten als selbsternanntem Kultur- und Heilsbrin- ger liegt das eigentliche Problem des Berufsstands. Es wird ein Anspruch formuliert, der nicht erfüllt werden kann und doch unablässig wiederholt wird: „Wie bei Religionen nach dem Ausbleiben des Er- lösers die Erlösungstat weiter gepredigt wird, wird hier das Neue gepredigt, obwohl Neues nicht er- scheint“ (Henning Ritter).

Das Ärgerliche an dieser Phrasensammlung ist aber nicht so sehr die Selbstüberhebung, sondern die ganz bewusste Ausblendung aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge mitten in einer der schwersten Wirtschaftskrisen des Jahr- hunderts und angesichts einer Kollegenschaft, die 1931 fast zu neunzig Prozent ohne Aufträge war. So zitiert Poelzig am Schluss seiner Rede aus Paul Valérys Eupalinos, um triumphierend festzustellen: „lm ganzen tiefsinnigen und schönen Dialog kein Hans Poelzig (Mitte) in einer Wort von Technik, selbst im antiken handwerklichen Karikatur um 1930. Sinne, kein Wort von Wirtschaft.” Stattdessen defi- niert er als Ziel der Entwurfsarbeit des Architekten, „eine Aufgabe so zur Lösung bringen, dass nur Form übrig bleibt“, so dass die zukünftigen Gene- rationen verstehen mögen, „was an ewiger Melodie in unseren Schöpfungen einzufangen uns vielleicht gelungen ist”.

12 Hans Poelzig und das BDA- Präsidium beim Bundestag 1931 (v.l.n.r. Richard Döcker, Walter Gropius, Hans Poelzig, Wilhelm Kreis, Cornelius Gurlitt).

Poelzig bezieht sich hier zwar auf ein altes Bild dernisse der architektonischen Arbeit ist das eigent- vom Architekten, der eine Stadt schafft, in der die lich Enttäuschende an seiner Programmrede. Diese Häuser „wohl gestimmt“ sind, aber der Sinn dieses verweigerte Reflexion über essentielle Prämissen Vergleichs lag immer darin, dass sich Haus und Indi- und Konditionen der Arbeit des Architekten, über viduum so im Gleichklang befinden wie Stadt und die eigenen Wertmaßstäbe und über die Verpflich- Gesellschaft, oder um das klassische Bild im Palazzo tungen des Bauens in der Demokratie kennzeichnet Pubblico von Siena zu zitieren: eine schöne Stadt ist bis heute bedauerlicherweise viele der Reden über Spiegel und Abbild einer „guten Regierung”. Poel- „den Architekten“. zigs bewusste Verweigerung einer Reflexion über die materiellen Bedingungen und Zwänge des Bauens sowie über die gesellschaftlichen Bezüge und Erfor-

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Chronik 1919 1920

nen wirtschaftlichen und künstlerischen Der Zusammenschluss der Verbände Lebensmöglichkeiten auf das Äußerste macht eine neue Satzung nötig, in der es bedroht...was auch Trennendes unter uns heißt: „Der Bund Deutscher Architekten sein mag, wir fragen nicht danach in die- BDA schließt die ihren Beruf als selb- ser ernsten Stunde.“ Im Laufe der Tagung ständige Meister, und zwar als bildende wird deutlich, dass für eine Interessenver- Künstler, als verantwortliche Oberleiter tretung der deutschen Architekten deren und als geschäftliche Treuhänder aus- verbandliche Einigung nötig ist. Beim übenden deutschen Architekten, Bau- Hildesheimer Bundestag im September meister und Bauanwälte zu einem Ein- kooperieren die 1911 gegründete Freie heitsverband zusammen und bildet ihre Deutsche Architektenschaft und die im berufliche Vertretung. Der BDA dient Anschluss an den Architektentag ins Le- der allgemeinen Förderung des Bauwe- ben gerufene Deutsche Architektenschaft sens und der deutschen Baukunst und mit dem BDA. Der „Einheitsverband“ heißt weiterhin Bund Deutscher Archi- tekten und richtet erstmals eine feste Hauptverwaltung in Berlin ein. „Die Bau- gilde“ wird als Zeitschrift des BDA gegrün- 1 det. An Stelle von Georg Frentzen wird Eine Reihe von Architekten (darunter nun mit Martin Elsaesser (1884 – 1957) Behrens, Haupt, Hoffmann, Mackensen, erstmals ein junger Architekt Präsident Möhring, Schumacher und Straumer) ruft des BDA. Die „Ausstellung unbekannter zum 1. Deutschen Architektentag auf, Architekten“ des „Arbeitsrats für Kunst“ der im Juni in Berlin stattfindet. Schon im legt den Keim für die Berliner Avantgarde Aufruf kündigt sich ein Selbstbesinnungs- der zwanziger Jahre. Gropius gründet das prozess der Architektenschaft nach dem Weimarer „Bauhaus“. Ersten Weltkrieg an: „Gleich zahlreichen anderen Berufen ist durch das Unglück des Vaterlandes auch unser Stand in sei-

2 im besonderen den wirtschaftlichen und fachlichen Belangen der freischaffenden Baukünstler.“ Mitglied kann jeder wer- den, „der sich in seinem Berufe selbstän-

1 Martin Elsaesser, BDA-Präsident 1919 – 1920 2 Einladung zur BDA Hauptversammlung 1920 3 Signet des BDA ab 1919

16 1921 dig betätigt, ohne das Baugewerbe zu Der neue BDA muss die Rechtsfähigkeit betreiben, seine berufliche Befähigung gemäß dem Bürgerlichen Gesetzbuch er- nachweist, in seiner Berufsausübung die werben, weil er seit 1918 – und bis zur Stabilisierung der deutschen Währung – seine Mitglieder durch die Beschaffung und den Vertrieb von Zeichentischen und -material unterstützt. Beim Bundestag in Erich Mendelsohn, Einsteinturm, Kassel spricht German Bestelmeyer zum Potsdam 1917 – 1921 schönen Thema „Der deutsche Baukünst- ler und sein Verhältnis zum Staatsorga- nismus und zum deutschen Volksleben“. Auch Bestelmeyer kritisiert, dass öffent- liche Bauaufgaben von Baubeamten bearbeitet werden. Heinrich Straumer formuliert eine radikale Erklärung: „Die deutsche Baukunst, zur Führung der deutschen Lebenskultur berufen, erhebt den Anspruch, dass jedes Bauwerk, das öffentliche, wie das private, einem Bau- Max Taut, ADGB-Haus, künstler anvertraut wird.“ Der BDA legt Berlin 1922 – 1923 dem Reichsfinanzministerium einen Ge- setzentwurf für eine Einrichtung von 3 Architektenkammern vor, der im kom- Berufsehre wahrt und in geordneten Ver- menden Jahr vertagt und nicht weiterver- hältnissen lebt.“ Das Gebiet des Bundes handelt wird. wird in Landesbezirke eingeteilt, die eine gewisse verbandliche Autonomie bekom- men. Organe sind der Bundesvorstand, der beim jährlichen Bundestag gewählt wird, der Bundesausschuss (Bundesvor- stand und die Vorsitzenden der Landes- bezirke) und der Bundestag als Mitglie- derhauptversammlung, der jährlich tagt. Zum zweiten Nachkriegspräsidenten wird in Würzburg der Dresdner Kunsthistori- ker Cornelius Gurlitt (1850 – 1938) ge- wählt. Eduard Jobst Siedler übernimmt die Hauptverwaltung. Schon ab Januar gilt eine neue Gebührenordnung (GOA), die unter Mitwirkung des BDA erstellt worden ist.

Fritz Höger , Chile-Haus, 17 Hamburg 1921 – 1924 1922 1923 1924

Erneut hält Bestelmeyer beim jährlichen German Bestelmeyer darf erneut aufs Po- Bundestag die Hauptrede: Diesmal geht es dium des Bundestags: In Marburg spricht um die „Erziehung des baukünstlerischen der in Berlin lehrende Architekt über den Nachwuchses“. Reichskunstwart Eduard Privatarchitekten „als ausübender Künst- Redslob spricht über Baukunst, Handwerk ler, seine Ausbildung und seine Wertung.“ und Handwerkstechnik. Großes Thema ist Der alte Vorstand wird per Akklamati- auch die 1919 neu formulierte GOA. on wiedergewählt. Inzwischen tut sich ein neues Problemfeld auf: Die Arbeit der Heimstätten und provinziellen Sied- lungsgesellschaften wird vom BDA als schwerwiegende Einschränkung der Er- werbsmöglichkeiten empfunden. Der BDA erreicht beim Reichsverdingungsausschuss eine Verdingungsordnung, die festlegt, dass Bauvorlagen, Einzelzeichnungen und statische Berechnungen nach den Ge- bührenordnungen der Architekten und Ingenieure zu vergüten sind. Der BDA ver- fügt zu diesem Zeitpunkt bereits über ein Einziehungsamt, das Mitglieder bei uner- 1 füllten Gebührenforderungen vor Gericht Der Bundestag des BDA findet in Han- vertritt. Eduard Jobst Siedler übernimmt nover statt. Walter Curt Behrend fordert auch die Geschäftsführung der Arbeitsge- in der „Volkswohnung“ eine Reform der meinschaft der freien geistigen Berufe. Die Architektenausbildung. Ein praktischer Hauszinssteuer zur Förderung des Woh- Werkunterricht soll Kenntnisse in Archi- nungsbaus wird eingeführt. tektur und Bauingenieurwesen vermitteln und so eine Vorschule bilden, die für die Ausübung des Baumeisterberufs ausreicht. Darauf soll eine künstlerische Ausbildung aufbauen, die in freier Wahl an Akademien und Kunsthochschulen erfolgt, aber auch Nebenfächer wie Kunstgeschichte, höhere Mathematik und Volkswirtschaft berück- sichtigt. Im November findet die Wäh- rungsreform statt. 1 Cornelius Gurlitt, BDA-Präsident 1920 – 1926 2 Aufforderung des BDA zur Reichstagskandida- tur 1924 3 Einladung zum Bundes- tag 1925 in München

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Der Bundesausschuss beschließt, das He- Im Anschluss fahren die BDA-Architekten gereiterhäuschen in Rothenburg o. T. zu auf Einladung der Zentralvereinigung einem Studienort für Architekten aus- der Architekten Österreichs in einem zubauen. Der Bundestag in München „Sonderdampfer“ nach Wien. Präsident legt Richtlinien für die Architektenausbil- dung fest: Der BDA will Kontakt zu den technischen Hochschulen suchen, eine Hugo Häring, Gut Garkau, Studienreform bewirken, um dann auf Scharbeutz bei Lübeck 1924 – 1926 Grundlage der reformierten Ausbildung seine Aufnahmebedingungen zu verän- dern. Auch die Frage der Architekten-

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Cornelius Gurlitt, „Wiederentdecker des Walter Gropius, Bauhausbauten, Barock“, gibt auf dem Weg sachkundi- Dessau 1925 – 1926 ge Hinweise zu Kloster Melk. Architekt Hoehne hat im Auftrag des Präsidiums Kontakte in die USA geknüpft und be- wirkt, dass der BDA die deutsche Sektion 2 einer internationalen Architekturausstel- kammern wird wieder einmal erörtert. lung beschicken kann, die das American Der BDA fordert, dass angesichts der sich Institute of Architects ausrichtet. abzeichnenden großen Bauaufgaben in den Städten die Dezernate für Hoch- und Städtebau mit besonders geeigneten Per- sönlichkeiten zu besetzen sind.

Bruno Taut , Hufeisensiedlung, 19 Berlin-Britz 1925 – 1927 1926 1927

„Die Baugilde“ erscheint erstmals als ge- den diskutiert. Eine Exkursion führt nach Der Bundestag in Hamburg dient der Zu- meinsame Zeitschrift des BDA und der Dessau, wo Walter Gropius durch Törten sammenführung der sich weit auseinander österreichischen Architektenzentralverei- führt. Der Sekretär des neu eingerichteten entfernenden architektonischen Positionen „Studienausschusses für zeitgemäßes Bau- im BDA. Der Bundesausschuss hat für Ham- en“, Block, schreibt in der Publikation der burg eine Ausstellung zum Thema „Neues Vorträge: „Wir stehen am Anbeginn einer Bauen und neues Wohnen“ konzipiert. neuen Zeit. Ein neues Lebensgefühl bahnt sich an.“ Die künstlerische Anschauungs- weise der Architekten habe bisher „eine freie Lebensentfaltung“ behindert. Und: „Der klaren Stellung des Problems muss ein offenes Bekenntnis des BDA für oder wider folgen, und wenn alles geklärt ist, muss untersucht werden, was wir im Inte- 1 resse unseres Standes weiter unternehmen nigung. Der reguläre Bundestag findet in wollen.“ Die Schärfe der Auseinanderset- Düsseldorf statt, wo die ersten Hochhäu- zung zeigt, dass nach dem Ende der ver- ser und die nach Plänen von Wilhelm Kreis bandlichen Konkurrenz inhaltliche Diffe- errichteten Bauten der Gesolei („Große renzen der Mitglieder aufkommen, die im Ausstellung für Gesundheitspflege, soziale Werkbundstreit zwischen Muthesius und Fürsorge und Leibesübungen“) besichtigt van de Velde vorgeprägt wurden. Bei der werden. Kreis selbst spricht über den Vorstandswahl wird Wilhelm Kreis BDA- „neuen Stil“. Der Bundestag beschließt, Präsident, Beisitzer sind unter anderem Fragen zu Typisierung, Normierung und , Hans Poelzig, Heinrich Tes- rationellen Bauweisen bearbeiten zu las- senow. Eine neue Fassung der GOA, die sen, die bei einem außerordentlichen die Veränderungen der Währungsreform Bundestag in Halle behandelt werden. berücksichtigt, tritt ohne staatliche Unter- 2 Adolf Rading äußert sich hier über „Neues stützung in Kraft. Nach der Besichtigung von Schumacher- Wohnen“, Alfred Gellhorn über neue Bauten und dem Passagierschiff „New Baumethoden. Neueste Beispiele für rati- York“ spricht sich Kreis beim Festvortrag in onalisierten und Kleinwohnungsbau wer- Anlehnung an Willem Marinus Dudok, den er beim Internationalen Architektenkon- gress in Amsterdam gehört hat, für eine große Linie der Architektur aus, die alles Überflüssige vermeidet, um eine eindeu- tige Verbesserung von Wohn- und Arbeits- bedingungen zu erreichen. Dies sei ein 1 Stand des BDA auf der „Dienst am höchsten Gut unserer Volks- Baumesse in 1930 einheit“, dem sich der BDA besonders ver- 2 Programm des Bundes- pflichtet fühle. Im Bund herrsche der fort- tags 1927 in Hamburg 3 BDA-Exkursion nach schrittliche Gedanke, der allen die Freiheit Wien, 1925

20 1928

Das Jahr steht im Zeichen der 25-Jahr-Feier des BDA. Am 20. Juni trifft man sich im Frankfurter Palmengarten. Kreis hält die Festansprache, in der er die gegenseitige Abhängigkeit von freien und beamteten Architekten bei der Bewältigung der groß- en Aufgaben der Zeit hervorhebt. Tags Ludwig Mies van der Rohe u.a., darauf fährt man mit einem Dampfer Weißenhofsiedlung, Stuttgart 1927 nach Köln, wo in Anwesenheit des Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer die Festsitzung des Bundestags stattfindet: Kreis spricht sich angesichts von Sezessi- 3 onstendenzen insbesondere in Köln für die des künstlerischen Gewissens gewährt und Einheit des Bundes aus. Auch Adenauer dessen Grundsatz gegenseitiges Verstehen vertritt in seiner Ansprache die Position, und Dulden aller Mitglieder sei. Das Thema dass städtische Baupolitik nicht allein vom der Rationalisierung beansprucht breiten Leiter des Bauamtes bestimmt werden dür- Raum in den Verhandlungen: So begrüßt fe, sondern auch Raum für künstlerische der BDA auch die Einrichtung der Reichsfor- Initiativen freischaffender Architekten schungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit bieten müsse. Eduard Jobst Siedler gibt Richard Döcker, Krankenhaus Knittlinger Steige, im Bau- und Wohnungswesen und erklärt aus Anlass des 25. Gründungstages ein Maulbronn 1927 – 1929 sich überraschend bereit, „ohne Rücksicht „Jahrbuch der Baukunst 1928 / 29“ he- auf Einzelinteressen“ an neuen Wohnungs- raus, das einen „Überblick über das bau- baulösungen mitzuarbeiten. Auf Vorschlag künstlerische Schaffen der letzten Jahre“ Poelzigs wird Gropius als Vertreter der Mo- geben soll. Vorgestellt werden nur Arbei- dernen in den Vorstand gewählt. Der BDA ten von BDA-Architekten: Otto Bartning, nimmt eine neue, gemeinsam mit VDAI German Bestelmeyer, Paul Bonatz, Martin und Deutschem Städtetag erarbeitete Fas- Dülfer, Emil Fahrenkamp, , sung der Wettbewerbsgrundsätze an, die Walter Gropius, Hanns Hopp, Hans Poel- ab November 1927 für BDA und VDAI ver- zig, Adolf Rading, Heinrich Straumer, Max bindlich sind. Die Stuttgarter Werkbund- Taut und Heinrich Tessenow stehen nicht Ausstellung findet weltweite Beachtung. nur für mehrere Generationen des BDA, sondern auch für einen Querschnitt der stark zwischen Tradition und Moderne divergierenden Tendenzen der deutschen Architektur dieser Zeit. Nachfolger Siedlers als Leiter der Geschäftsstelle wird der Ju- rist Bernhard Gaber. Die Reichsforschungs- siedlung in Berlin-Haselhorst entsteht – un- ter Mitwirkung von Walter Gropius und Otto Bartning.

Fritz Schupp und Martin Kremmer, Zeche Zollver- 21 ein, Schacht XII, Essen 1927 – 1932 1929 1930

Breslau ist der Tagungsort des 26. Bun- Das Jahr bringt eine ungewöhnliche Zu- über das Verhältnis des zeitgenössischen destags. Es sprechen zur Stellung des Ar- sammenführung vieler Akteure: Beim Menschen zur Baukunst. Bei der Leipziger chitekten im deutschen Wirtschaftsleben: Deutschen Bautag 1930 tagen in Leip- Baumesse ist der BDA mit einem eigenen Reichswirtschaftsminister Curtius („Staat zig und Dresden der BDA, der Deutsche Stand vertreten. Der Bundestag verbietet und Architekt“), der Direktor der Leip- Baupolizeitag, die höheren technischen die Beteiligung von BDA-Architekten an ziger Baumesse („Auftraggeber und Ar- Baupolizeibeamten, die Freie Deutsche chitekt“), ein Berliner Firmenchef aus der Akademie des Städtebaus, der VDAI und Baubranche („Architekt und Baufirma“) die technischen Oberbeamten deutscher sowie Siedler („Architekt und Hochschu- Städte. Themenschwerpunkt ist wiede- le“) und Gropius („Gesamtaufgaben des Architekten“). Die Vorträge werden erst- mals im Rundfunk übertragen. Die inter- ne Sitzung bearbeitet die Reichsrichtlinien für das Wohnungswesen. Bei der Neu- wahl des Bundesvorstands wird Kreis als Präsident bestätigt, ihm zur Seite stehen Bensel, Döcker, Gropius, Hönig, Kröger, Poelzig, Schneider und Tessenow. Auf Ein- ladung der deutschen Architekten in der Tschechoslowakei findet im Anschluss an den Bundestag eine Fahrt nach Prag statt. Ludwig Gies entwirft die „BDA-Plakette für Leistungen und Verdienste“.

2 Verlagsmonographien, die sich über An- zeigen finanzieren. Im Reichstag soll ein Gesetz über den Schutz der Berufsbezeich- 1 nung „Architekt“ vorgelegt werden. Der rum die fortschreitende Rationalisierung BDA legt eine Denkschrift zur Reichs- und im allgemeinen Wirtschaftsleben und im Finanzreform vor, in der erneut die Rechte Wohnungswesen im besonderen. Kreis, der freien Architekten gegenüber den Bau- dessen Dresdner Hygienemuseum mit- verwaltungen hervorgehoben werden. samt der entsprechenden Ausstellung besichtigt wird, äußert sich bei der obli- gatorischen „öffentlichen Kundgebung“

1 Wilhelm Kreis, BDA-Präsident 1926 – 1933 2 BDA-Handbuch 1932

22 1931 1932

Der 28. Bundestag im Juni in Berlin findet Der BDA hat 2.700 Mitglieder. Wilhelm seinen Höhepunkt in Hans Poelzigs viel- Kreis nennt bei einer angesichts der wirt- beachteter Rede „Der Architekt“. Zudem schaftlichen und politischen Lage ausge- spricht Theodor Fischer über „Erziehungs- sprochenen Sonntagsrede beim Bundestag fragen des Architekten“. Präsident Wil- in Kassel als Aufgaben aller BDA Archi- helm Kreis hebt in seiner Ansprache darauf tekten die gewissenhafte Auffassung aller ab, dass trotz aller Normtendenzen nur Pflichten, das höchste Verantwortungsge- der ungenormte menschliche Geist „das fühl gegenüber dem Volk, der deutschen Originale, das einzig Wertvolle“ schaffe. Baukultur und dem Bauherrn. BDA-Aufga- Die derzeit brachliegende Bauwirtschaft be sei es insbesondere, das „Gewissen der verschaffe eine Pause, die die Architekten Führenden in Regierung und Wirtschaft zu zur Verinnerlichung nützen könnten. Ein schärfen“ und die großen Werte im Bau- Antrag bei der internen Sitzung verurteilt schaffen des deutschen Volkes hochzuhal- die Drosselung der Bauwirtschaft durch ten. Artur Brunisch spricht aus gleichem den Staat angesichts der Massenarbeitslo- Anlass über „Berufsständische Entwick- sigkeit als konjunkturell falsche Maßnah- lung und Architektenstand“ und nimmt me. Bei der Vorstandswahl reduziert man damit Bezug auf Erklärungen der Regie- Rudolf Schwarz, Fronleichnamskirche, die Beisitzer des wiedergewählten Wilhelm rung von Papen, denen zufolge Berufe und Aachen 1928 – 1931 Kreis auf zwei (Poelzig und Kallmeyer). Der Berufsstände zur Mitarbeit am Neuaufbau Referentenentwurf eines „Gesetzes zur des Staats heranzuziehen seien. Brunisch Führung der Berufsbezeichnung Architekt knüpft seine Überlegungen an Gedanken und Bauanwalt“ wird vorgelegt. Die Vorla- des Freiherrn von Stein, durch die Mitwir- ge wird niemals verabschiedet. kung aller Berufsstände eine „gesunde Fortentwicklung“ des Staatswesens zu be- fördern: ein folgenschweres Missverständ- nis bahnt sich an.

Ludwig Mies van der Rohe, Pavillon des Deutschen Reiches, Barcelona 1929

Hans Scharoun, Haus Schminke, 23 Löbau 1932 – 1933 24