Kultur den acht Musikern und sechs Roadies ge- len“, schrieb der „Melody Maker“, und POP teilt; fürs erste soll nun das wöchentliche selbst die Musikerkollegen und Britpop- Taschengeld der Genossen von 60 auf 200 Stars von den Manic Street Preachers ätz- Aufruhr im Pfund angehoben werden. ten: „Was für ein Schrott!“ Ihre späte Entdeckung verdanken die Dabei produzierte die Band schon da- -Kumpane dem deutschen mals ein paar hervorragende Platten und Aerobic-Center EMI-Electrola-Geschäftsführer Helmut verzückte mit ihren Konzerten eine zwar Fest. Der hörte den Song „“ kleine, aber treue Fanschar. Im vergange- Seit 14 Jahren kämpft ein britisches auf einer für vertragslose Musiker gepreß- nen Jahr jedoch mochte auch der letzte ten Sammel-CD und holte die Band um- Plattenfirmen-Manager nicht mehr in einen Musiker-Kollektiv für die gehend zu EMI. Zuvor galten die Briten in Vertrag mit der alternden WG-Truppe in- anarchistische Weltrevolution – der Branche als hoffnungsloser Fall: eine vestieren – und daß es sich nun ausge- nun schafften Chumbawamba musizierende linksradikale Wohngemein- rechnet die EMI-Leute anders überlegten, ihren ersten Welthit. schaft, die seit ihrer Gründung 1983 mehr ist einigermaßen kurios. Deren Konzern durch flotte Systemveränderer-Sprüche zählte in den Achtzigern zu den Top-Fein- it dem Wort Anarchie verhält es auffiel als durch Hiterfolge. den aller linken Musiker, die EMI des Waf- sich ein wenig wie mit dem Wort „Anarchie heißt für uns, das System zu fenhandels und allerlei dubioser Aktivitä- MPop – jeder kennt es, doch über verändern“, doziert Boff, der Sänger, noch ten in Südafrika verdächtigten. die Idee, die damit gemeint ist, weiß man heute, „Anarchie heißt, daß jeder für sich So verteilte Chumbawamba-Gitarrist nichts Genaues. Von dem achtköpfiges selbst verantwortlich ist und wir zugleich Boff noch vor ein paar Jahren Flugblätter, Popmusiker-Kollektiv Chumbawamba aus als demokratisches System funktionieren.“ auf denen zu lesen war, daß „nur Idio- Leeds heißt es, es handle ten einen Vertrag bei sich um eine Band von be- der EMI unterschreiben“. kennenden Anarchisten; Noch heute findet sich mit dem erstklassigen Gas- im Chumbawamba-Tour- senhauer „Tubthumping“ bus ein „Fuck EMI“-Tape, gelang ihr gerade ein schö- auf dem Firmenklassiker ner Überraschungshit. wie „Bohemian Rhapsody“ Zu stampfenden Elek- und „Another Brick in the trobeats, krachenden Gi- Wall“ massakriert werden. tarrenriffs und wehmütigen Den Meinungswechsel Trompetentönen johlt im erklären die Kollektiv- Song ein Alkoholisierter Sprecher unter anderem „Es haut mich um, aber ich damit, daß „sich die Zeiten steh’ immer wieder auf“. ändern und wir immer so Das klingt nach großem viele Menschen wie mög- Partyspaß, die Anarchie lich erreichen wollten – aber – oder das, was Chum- dafür ist ein Konzern wie bawamba dafür halten – EMI ideal.Aber wir bleiben lauert im Refrain: Dort Anarchisten, auch bei der zirpt eine Feenstimme et- EMI“. was, was sich zunächst an- In Interviews verstören hört wie „Kissing the Night die Verbalradikalen ihre Away“; wer genau lauscht, Gesprächspartner immer bemerkt allerdings, daß es noch gern mit Statements nicht „kissing“ heißt, son- wie dem, daß sie beim Tod dern „pissing“. eines Polizisten wenig Mit- „Ein irrwitzig mitreißen- leid empfänden. Den Plat- der Hit“, jubelt das ameri- tenfirmen-Manager Fest kanische Nachrichtenma- bringen sie mit so was nicht

gazin „Newsweek“– ganz M. HALSBAND aus der Ruhe: Die Band falsch, meint die Band: WG-Band Chumbawamba: Taschengeld von 60 auf 200 Pfund angehoben verfolge ihre anarchisti- „Tubthumping“ sei kein schen Ziele friedlich, sagt Gute-Laune-Schlager, sondern der Kampf- Jahrelang lungerten Chumbawamba er, „und solange es kein Rechtsradikalis- gesang von „Arbeitern, die ihren Job ver- auf Benefiz-Veranstaltungen für die mus ist, mische ich mich in die politischen loren haben und ihre Trauer im Suff er- Arbeiterklasse herum, spielten Folk und Aktivitäten unserer Künstler nicht ein“. tränken“, erläutert Sängerin ; Punk für streikende Minenkumpel, Werft- Im übrigen sei „Tubthumping“ ein „Pop- und behauptet: „Es ist schon ein kleiner arbeiter und andere Opfer des Thatcheris- hit, über den sich auch Menschen in Aero- Anschlag auf die Charts, so einen Song in mus. „Auch wir haben als Postboten, Müll- bic-Centern freuen“. die Top ten zu schmuggeln.“ männer, Kellner und Gärtner geschuftet, Im übrigen wissen die EMI-Chefs aus Der nahezu weltweite Hitparaden-Er- und unseren Jahresurlaub legten wir im- bitterer Erfahrung, daß man mit ein biß- folg mit „Tubthumping“ verblüfft die acht mer so, daß wir irgendwo in Osteuropa auf chen Aufruhr viel Geld verdienen kann. Briten kaum weniger als die Fachleute. Das Tournee gehen konnten“, erinnert sich Vor rund 20 Jahren nahmen sie die Sex Pi- gleichnamige Album, schätzt die Platten- Alice Nutter. stols unter Vertrag und veröffentlichten de- firma, wird sich bis Weihnachten allein in Für ihren Einsatz ernteten die Chumba- ren Hit „Anarchy in the U. K.“ Wenig spä- den USA dreimillionenmal verkaufen. wamba-Kämpfer in der britischen Musik- ter setzten sie die Band wieder vor die Tür. Worüber sich das Chumbawamba-Kol- presse jede Menge Spott: „Sie sind wie Die Punkband wechselte zur Konkurrenz: lektiv durchaus freut: Die Einnahmen wer- Lehrer, die ihrer Klasse einen öden Mu- Die Plattenfirma Virgin machte mit der den prinzipiell zu gleichen Teilen unter seumsbesuch schmackhaft machen wol- Skandalgruppe das große Geld. ™

der spiegel 48/1997 271