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Film und Computer. Zur Ästhetik der Oberflächlichkeit

Inaugural-Dissertation Zur Erlangung des Grades eines Doktors der Philosophie

In der Fakultät der Philologie der RUHR-UNIVERSITÄT BOCHUM

vorgelegt von

Hyung Rae Kim Laerholzstr. 21 44801 Bochum

Gedruckt mit der Genehmigung der Fakultät für Philologie der Ruhr-Universität Bochum

Referent: Prof. Dr. Wolfgang Beilenhoff Koreferent: Prof. Dr. Eva Warth Tag der mündlichen Prüfung: 04. Februar 2008

Für Yun-Ok, Bo-Kyung, meinen Vater, Geschwister und meine verstorbene Mutter.

I keep trying to write the truth and realising it’s not true. - Doris Lessing, The Golden Notebook

I keep trying to write the untruth and realising it’s true. - H. R. Kim INHALTSVERZEICHNIS

EINLEITUNG ...... 1 1. Thema...... 1

2. Forschungsstand und Fragestellung ...... 5332H

3.185H Methodischer Vorgang und Aufbau...... 6333H

4.186H Ziel und innovatives Potenzial des Projektes...... 9334H

I.187H POSTMODERNE UND EINE NEUE OBERFLÄCHLICHKEIT: DIE

GRUNDLAGE DER ANALYSE ...... 10335H

I.1188H Fredric Jameson und Postmoderne...... 10336H

I.2189H Die konstitutiven Merkmale der Postmoderne und eine neue

Oberflächlichkeit...... 11337H

I.3190H Zur Neudefinition der Oberflächlichkeit ...... 13338H

I.3.1191H Vilém Flusser und das Abstraktionsspiel...... 13339H

I.3.2192H Sherry Turkle und die Simulationsästhetik ...... 16340H

I.4193H Warenästhetik und Computerfilme als die Geschichte der

„ästhetischen Abstraktion der Ware“...... 17341H

I.4.1194H Die 50er Jahre...... 19342H

I.4.2195H Die 60er Jahre...... 21343H

I.4.3196H Die 70er Jahre...... 23344H

I.4.4197H Die 80er Jahre...... 24345H

I.4.5198H Die 90er Jahre...... 25346H

II.199H DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DER NEUEN TECHNOLOGIE .... 27347H

II.1200H Technologie und Oberflächlichkeit ...... 27348H

II.1.1201H Filmbild...... 30349H

II.1.1.1202H Fotografie ...... 30350H

II.1.1.2203H Materialität ...... 31351H

II.1.1.3204H Analogie ...... 32352H

II.1.1.4205H mimetisch/ simulativ ...... 32353H

II.1.1.5206H Kinematografie...... 33354H

II.1.1.6207H Der Repräsentant der Moderne ...... 35355H

II.1.1.7208H Ein Medium des Übergangs...... 36356H

II.1.2209H Das Computerbild...... 37357H

II.1.2.1210H Die digitale Bildverarbeitung...... 38358H

II.1.2.2211H Der Begriff ‚digital’...... 38359H

II.1.2.3212H Die Manipulation der einzelnen Bildpunkte...... 39360H

II.1.2.4213H Entmaterialisierung/ Virtualisierung...... 40361H

II.1.2.5214H Das Morphing ...... 41362H

II.1.2.6215H Computergrafik...... 42363H

II.1.2.7216H Computeranimation ...... 43364H

II.2217H Kamera, Montage und Computer und Mimesis des

Bewusstseinsstroms...... 45365H

II.2.1218H Kamera...... 46366H

II.2.1.1219H Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren ...... 47367H

II.2.1.2220H Zweidimensional/ dreidimensional ...... 47368H

II.2.1.3221H Zentralperspektive ...... 48369H

II.2.1.4 Virtuelle Kamera/ innere Montage ...... 49 II.2.1.5 Virtuelle Kamera-Bewegung...... 52 II.2.1.6 Zoom...... 53 II.2.2 Montage ...... 54 II.2.2.1 nonlinear editing ...... 55 II.2.2.2 Das dialektische Dritte ...... 55 II.2.2.3 Die Beschleunigung der Arbeitsprozesse ...... 57 II.2.2.4 Umwandelbarkeit ...... 59 II.2.2.5 Derealisation ...... 60 II.2.3 Die Mimesis des Bewußseinsstroms ...... 61 II.3 Die Oberflächlichkeit der filmischen Gestaltungsmittel 63

III. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DES RAUMS: HYPERRAUM .... 67 III.1 Der kinematografische Raum in den früheren Computerfilmen ...... 68 III.1.1 Der dreidimensionale Raum...... 68 III.1.2 Der progressive Raum...... 69 III.1.3 Der tiefe Raum ...... 72 III.2 Der erste Wendepunkt: 2001: A SPACE ODYSSEY ...... 73 III.2.1 Postmoderne und 2001...... 73 III.2.2 Der erste Wendepunkt sowohl der SF-Filme als auch der Computerfilme...... 74 III.2.3 Die filmische Raumzeit von 2001: ein Möbiusband...... 77 III.2.4 Das Visuelle in 2001...... 78 III.3 Postmoderne und Hyperraum ...... 79 III.4 Deflation, Inflation, und Conflation...... 83 III.4.1 Deflation ...... 85 III.4.1.1 Deflatierte Oberfläche - TRON: der zweite Wendepunkt...... 87 III.4.1.2 Das Bewusstsein des Computers - WAR GAMES ...... 89 III.4.1.3 Der fetischisierte und sexualisierte Bildschirm - ELECTRIC DREAMS ...... 91 III.4.2 Inflation ...... 93 III.4.2.1 Eklipse der Natur - THE LAWNMOWER MAN ...... 96 III.4.2.2 Implosion der Netzwelt - HACKERS ...... 96 III.4.2.3 Vom Imaginären zum Realen - VIRTUOSITY ...... 98 III.4.3 Conflation...... 99

IV. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DER ZEIT: VERRÄUMLICHUNG DES ZEITLICHEN ...... 104 IV.1 Die Verräumlichung des Zeitlichen ...... 104 IV.2 Die Elegie über den Verlust des persönlichen Gedächtnisses...... 108 IV.2.1 Das durch Computer ersetzte Gedächtnis - DESK SET ...... 109 IV.2.2 Der bedrohende und rettende Computer - THE INVISIBLE BOY ...... 109 IV.3 2001- A SPACE ODYSSEY und die Zeitlichkeit ...... 110 IV.4 Die Krise der persönlichen Identität ...... 113

IV.4.1 Das Hacking und die Manipulation der persönliche Identität - SNEAKERS/ THE NET...... 114 IV.4.2 Der hybride Körper und die hybride Identität - GHOST IN THE MACHINE/ VIRTUOSITY/ STRANGE DAYS...... 115 IV.4.3 Die Total-Finsternis der persönlichen Identität - THE MATRIX ...... 117 IV.5 Die Nostalgie-Welle...... 119 IV.5.1 Parodie, Pastiche und die Nostalgie-Welle...... 120 IV.5.2 Nostalgie und Fortsetzungen ...... 121 IV.5.2.1 Die typisierte Vergangenheit - WESTWORLD und FUTUREWORLD ...... 122 IV.5.2.2 Die Logik des Kapitals - 2010 – ODYSSEY TWO...... 124 IV.5.3 Nostalgie und Selbstreferenzialität ...... 126 IV.5.3.1 Die wiederholende Serie der vorhandenen Darstellungen - THE INVISIBLE BOY/ DEMON SEED/ HACKERS...... 126 IV.5.3.2 Das Museum der Massenprodukte – EXPLORERS...... 129 IV.5.3.4 “Dont’t believe anything you see.”- FORREST GUMP ...... 131 IV.6 Schizophrenie und Inkohärenz der Erzählung...... 134 IV.6.1 Die irrationale Handlung - DEMON SEED/ COLOSSUS: THE FORBIN PROJECT /VIRTUOSITY ...... 137 IV.6.2 Die irrationale Phantasie aus der Ignoranz – GHOST IN THE MACHINE/ HACKERS ...... 139 IV.6.3 Die Logik des Wunderlandes - THE MATRIX ...... 142

V. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DES AFFEKTS: VOM SPEZIAL-AFFEKT ZUM SPEZIAL-EFFKET ...... 145 V.1 Spezial-Effekt und das Erhabene...... 145 V.1.1 Die psychologische Diskontinuität ...... 145 V.1.2 Anästhesierung...... 148 V.1.3 Ich-Entgrenzung in die Materie ...... 149 V.1.4 Das Erhabene...... 151 V.1.4.1 Der Hyperraum ...... 151 V.1.4.2 „camp“ ...... 152 V.1.4.3 Das Erhabene von Burke und Kant ...... 153 V.1.5 Vom Spezial-Affekt zum Spezial-Effekt...... 155 V.1.5.1 Spezial-Effekt und -Affekt in den früheren Computerfilmen ...... 156 V.1.5.2 2001- A SPACE ODYSSEY: ein Wendepunkt...... 157 V.1.5.3 Die Computerfilme seit den 70er Jahren ...... 160 V.1.6 Spezial-Effekt und Oberflächlichkeit ...... 164 V.2 Computer als das Andere im Film...... 165 V.2.1 Das Ende des Films?...... 168 V.2.2 Die historische Metamorphose des Computers als des Anderen im Film...... 169 V.2.2.1 Die 50er und 60er Jahre ...... 171 V.2.2.2 Die 70er Jahre ...... 172 V.2.2.3 Die 80er Jahre ...... 174 V.2.2.4 Die 90er Jahre ...... 180

VI. DIE AUSWIRKUNGEN DER OBERFLÄCHLICHKEIT ...... 184 VI.1 Die Verdinglichung der inneren Natur ...... 185 VI.1.1 Dezentrierung des Subjekts...... 187 VI.1.2 Käufliche Erlebnisse ...... 188 VI.1.3 Film als Herrschaftsinstrument ...... 189 VI.1.4 Coolness...... 189 VI.1.5 Ideale Ware...... 191 VI.2 Die befreiende Funktion der Techno-Kunst ...... 192 VI.2.1 Peter Weibel und die Tiefenmodelle ...... 192 VI.2.2 Klassische Ästhetik und Techno-Ästhetik ...... 193 VI.2.3 Die klassischen Ästhetiken...... 195 VI.2.3.1 Kant: Natur/ Kunst ...... 196 VI.2.3.2 Heidegger: Kunstwerk/ Wahrheit ...... 198 VI.2.3.3 Hegel: Natur/ Geist...... 199 VI.2.4 Das grundlegende Tripel der klassischen Künste...... 200 VI.2.5 Die kapitalistische Version des grundlegenden Tripels ...... 201 VI.2.6 Techno-Kunst und Technologie...... 202 VI.2.6.1 Techné...... 203 VI.2.6.2 Das Tripel der Techno-Kunst ...... 204 VI.2.7 Klassische Ästhetik und die Macht des Marktes ...... 205 VI.2.8 Die Geburt der Galerie ? ...... 206 VI.2.9 Das semiotische Tripel und der Anfang der neuen Kunst ...... 208 VI.3 Die Obszönität der Oberflächlichkeit ...... 210 VI.3.1 Das Bloß-stellen...... 212 VI.3.2 Die Obszönität von jouissance ...... 213

VII. ZUSAMMENFASSUNG ...... 219

VIII. ANHANG ...... 229 VIII.1 Verzeichnis der Abbildungen ...... 229 VIII.2 Bibliografie ...... 234 VIII.2.1 Literatur...... 234 VIII.2.2 Webseiten und Medien ...... 239 VIII.3 FILMOGRAFIE...... 240

EINLEITUNG

1. Thema Die Meinung zu Science Fiction- oder computergenerierten Filmen lässt sich hauptsächlich in zwei Lager einteilen: die einen mögen sie, weil sie sehr unterhalt- sam und spektakulär sind, die anderen beklagen, dass sie auf der inhaltlichen E- bene zu oberflächlich, unplausibel oder auch zu fantastisch seien. Diese unter- schiedliche Zuschauer-Rezeption wirft die Frage auf: Woher kommen diese wider- sprüchlichen Eindrücke überhaupt? Was lösen sie aus? Und wie kann man sie deuten? Die vorliegende Arbeit geht in erster Linie von diesen Fragen aus und versucht, darauf eine Antwort zu geben. Um auf diese Frage zu antworten, untersucht die vorliegende Arbeit vornehmlich die so genannten Computerfilme. Und was die Computerfilme betrifft, muss hier in erster Linie das Verhältnis von Film und Computer berücksichtigt werden. Wenn aber davon die Rede ist, können verschiedene Richtungen eingeschlagen werden. Erstens könnte man allein aus der ökonomischen Perspektive das Verhältnis von Filmindustrie und Computerindustrie betrachten. Dabei könnte die Frage gestellt werden, was die Computerindustrie zur Filmindustrie beigetragen hat, oder welche Verluste die erstere der letzteren zugefügt hat. Zweitens wäre in Betracht zu zie- hen, wie Computer im Film dargestellt wird und seit wann er im Film thematisiert wird. Drittens lässt sich die Frage stellen, wie und seit wann die Computertechno- logie in der Filmproduktion und dem Verleih verwendet wird. Viertens könnte man auch die Frage stellen, ob der Film als die industrielle Kunst durch die neue Com- putertechnologie nicht vor der Krise des Verschwindens steht. Fünftens gilt es die ästhetische Frage zu stellen, welche ästhetische Auswirkung die Computertechno- logie auf den Film hat, wenn sie auf Film angewendet wird. Die vorliegende Arbeit wird all diese Problemfelder umreißen. Aber ihr Hauptinte- resse wird insbesondere auf die ästhetischen Fragen gerichtet sein. Dennoch muss die ökonomische Perspektive zunächst einbezogen werden, bevor die äs- thetischen Fragen behandelt werden können. In dieser Hinsicht ist darauf hinzuweisen, dass heute Computer und Film in einem engen Zusammenhang miteinander stehen. Ohne Computertechnologie wären manche amerikanische Blockbuster-Filme nicht möglich. Sie profitieren von den computergenerierten Bildern. Außerdem werden immer mehr Filme durch Digital-

1 kamera gedreht, also digitalisiert, über das Netzwerk verliehen, und im Digitalkino vorgeführt. Damit erwarten die Filmproduzenten eine Kostensenkung bei der Film- herstellung bzw. dem Filmtransport und gleichzeitig die Zunahme des Profits. Die Computertechnologie ist hier also gewinnbringender Faktor bei der Herstellungs- methode des Films. Aber auf der anderen Seite fügt sie der Filmindustrie einen ökonomischen Verlust zu. Mit der explosiven Zunahme der Internetnutzer, die auf der Entwicklung der Computertechnologie basiert, ist es möglich geworden, dass man viele Daten in- klusive Filme durch das Netzwerk des Internets verbreiten und austauschen kann. Dementsprechend bleiben die vorhandenen Zuschauer lieber zu Hause sitzen, downloaden einfach Filme im Netz und gehen wenig ins Kino. Dies führt zum Ver- lust der Filmindustrie, behauptet diese. Selbstverständlich nimmt die Filmindustrie einen derartigen Sachverhalt nicht ein- fach hin. Aufgrund des Urheberrechts fordert sie die Gesellschaft auf, ihr Urheber- recht gegen die Raubkopie zu schützen. In den USA wurde der Family Entertain- ment and Copyright Act of 2005 bereits verabschiedet und umgesetzt. Demnach soll man in Zukunft zur Haft- oder Geldstrafe verurteilt werden, wenn man Kinofil- me oder Musikalben kopiert oder über das Internet verbreitet.1 Dies weist wieder- um auf das enge Verhältnis von der Technologie und der Kulturindustrie hin. In diesem Zusammenhang ist der berühmte Aufsatz Postmoderne - Zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus 2 des amerikanischen marxistischen Literaturwissen- schaftlers Fredric Jameson aufschlussreich, da er die ökonomische Perspektive mit der ästhetischen Frage verknüpft. Darin behandelt er das Verhältnis von neuer Technologie und Kulturproduktion. Jameson untersucht es aufgrund der Periodi- sierung des Kapitalismus nach Mandel.3

1 Vgl. http://thomas.loc.gov/cgi-bin/bdquery/z?d109:S.167:@@@L&summ2=m&#major%20actions (25.04.2006) 2 Jameson (1997) 3 Vgl. Mandel (1972) Der Kapitalismus wird Mandel zufolge in drei Stufen periodisiert. Die drei Umwäl- zungen der Energietechnik haben die neue Produktionsweise hervorgebracht. Dies ermöglicht die Entwick- lung des Kapitalismus in drei Stufe zu gliedern. Die erste Erscheinung des Kapitalismus beginnt mit der Erfindung des durch Dampfkraft getriebenen Motors seit 1848. Mandel nennt diese erste Stufe als markanter Kapitalismus. Die zweite Stufe des Kapitalismus hat sich mit der Erfindung des Elektro- und Verbrennungsmotor seit den 1890er Jahren entwickelt. Er nennt die- se zweite Stufe Monopolkapitalismus oder Imperialismus. Multinationaler Kapitalismus, die dritte Stufe, ent- faltet sich seit den 1940er Jahren mit der Erfindung der elektronischen und kernenergischen Geräte. Diese dritte Stufe des Kapitalismus wird heute auch Spätkapitalismus oder Konsumkapitalismus genannt. Der Spätkapitalismus, wie Jameson sagt, sei „die bisher ‚reinste‘ Form des Kapitalismus“. 2 Entsprechend der drei Stufen des Kapitalismus formuliert er sie auf der kulturellen Ebene jeweils in Realismus, Moderne und Postmoderne um. Nach Jameson ist die Postmoderne als die Kulturlogik des Spätkapitalismus oder des Multinational- kapitalismus anzusehen. Aufgrund dieser kulturellen Periodisierung erläutert er die Merkmale der Postmoderne, die noch konkreter behandelt werden. Bemerkens- wert ist es, wodurch sich die Produktionsweise des Spätkapitalismus verändert hat. Wie oben erwähnt, entfaltete sich Spätkapitalismus mit der Erfindung der elektro- nischen und kerntechnischen Geräte. Auf der kulturellen Ebene zählt der Compu- ter für Jameson zu einem dieser elektronischen Geräte. In seinem Aufsatz sieht er die postmodernen Merkmale in verschiedenen Künsten wie Architektur, Malerei, Roman, Lyrik und Film usw. Aber er findet zunächst in der Architektur das erste Symptom für die Postmoderne:

Als Ursache der enormen Verbreitung neuerer postmoderner Architektur lässt sich unschwer die Förderung durch multinationale Konzerne ausmachen, de- ren Expansion und Entwicklung zeitlich parallel zu dieser Architektur verlau- fen.4

Heute ist es daher nicht bestreitbar, dass die globalen Konzerne auch die Compu- ter-Branche und die Filmindustrie ausmachen, und ‚ihrem Wesen nach der Wirt- schaft am nächsten‘ sind: „von allen Künsten“, so Jameson, „steht die Architektur ihrem Wesen nach der Wirtschaft am nächsten“.5 Es ist überzeugend, wenn Colin MacCabe in der Vorrede von Jamesons The Geopolitical Aesthetic (1992) sagt:

But if architecture is the traditional art most difficult to dissociate from the economy then film is properly the postmodern art – impossible to understand outside the full development of the first stage of capitalist development.6

Auf dieser Grundlage sollte es im Spätkapitalismus möglich sein, in der Repräsen- tation des Films ihre postmodernen Merkmale herauszufinden, wie Jameson es auch versucht hat. Aus diesem Grund spielt das Verhältnis von Computer und Film in der vorliegenden Arbeit die entscheidende Rolle. Die vorliegende Arbeit zeigt hauptsächlich anhand des Ansatzes von Jameson, wie sich die ästhetische Postmoderne in den ausgewählten Filmen darstellt. Aber an dieser Stelle ist zu vermuten, dass man die Terminologie der Postmoderne

4 Jameson (1997), S. 49. 5 Ebd. 6 Jameson (1992), S. xiii. 3 vermeiden will, weil ihre Bestimmung und Periodisierung immer noch umstritten und unfeststellbar sein kann. Dennoch ist es akzeptabel im gewissen Sinne, wenn Jameson sagt, dass die im folgenden zu erwähnenden Merkmale der Postmoder- ne „kuturelle Dominanten“7 sind. Nun ist es Zeit, die postmodernen Merkmale von Jameson stichwortartig aufzu- zählen: „eine neue Oberflächlichkeit (nach dem Verlust der ‚Tiefendimension‘)“, „der daraus resultierende Verlust von Historizität“, „Intensitäten“ oder „Erhabene“, und „eine fundamentale Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie“.8 Aber sie sind keine voneinander abgetrennten Phänomene: Sie sind eher miteinander verknüpft, wirken aufeinander ein. Aus diesem Grund ist es auch möglich, mit der Terminologie ‚einer neuen Ober- flächlichkeit‘ das neue kulturelle Phänomen des Spätkapitalismus zu charakterisie- ren, weil, wie gesagt, die postmodernen Momente miteinander verknüpft sind, und aufeinander einwirken. In der vorliegenden Arbeit werde ich die postmodernen Phänomene unter den Begriff der Oberflächlichkeit subsumieren, den auch Jame- son betonend gebraucht hat. Diese Auslegung wird auch von Sherry Turkle unterstüzt, die in ihrem Buch Leben im Netz (1999) Jamesons Postmoderne folgendermaßen zusammenfasste:

Zu den kennzeichnenden Merkmalen der Postmoderne gehörten für ihn unter anderem der Vorrang der Oberfläche vor der Tiefe, der Simulation vor dem „Realen“, des Spiels vor dem Ernst, also viele Merkmale, die auch die neue Computerästhetik charakterisieren.9

In der vorliegenden Arbeit wird der Ansatz Jamesons auf das Entdecken der For- men der Oberflächlichkeit in Bezug auf die Computerfilme angewendet.10 Die Science Fiction-Filme allgemein stehen immer im engen Verhältnis mit neuen Technologien, wie die Autoren behaupten, die sich mit diesem Genre befassen. Und die Ästhetik der Oberflächlichkeit könnte in solchen Filmen am effektivsten

7 Bei den Periodisierungshypothesen besteht immer Gefahr, dass die Differenzen vernachlässigt werden, und dass eine historische Periode einfach als ein homogenes Ganzes betrachtet werden kann. Jameson jedoch ver- sucht hier die Periodisierung der Postmoderne zu machen. Statt ‚Postmoderne‘ als Stilrichtung anzusehen, begreift er sie als ‚kulturelle Dominate‘: „eine Konzeption, die es ermöglicht, die Präsenz und die Koexistenz eines Spektrums ganz verschiedener, jedoch einer bestimmten Dominanz untergeordneter Elemente zu erfas- sen.“ Jameson (1997), S. 48. 8 Ebd., S. 50. 9 Turkle (1999), S. 66. 10 Computerfilm gehört nicht den konventionellen Genres, weil Computerfilm unterschiedliche Genres wie Komödie, Thriller, Horror, SF und Action umfasst. Er ist lediglich ein vorläufiger Begriff, mit dem man die- jenigen Filme erfassen kann, die Computertechnologie thematisieren und durch die Digitaltechnologie herge- stellt sind. 4 hervorgerufen werden. Aber es ist ein zu weites Feld, alle SF-Filme oder alle computergenerierten Filme in dieser Arbeit zu behandeln. Es ist daher sinnvoll, auf Grund der oben genannten engen Verbindung von Computer und Film nur die Computerfilme zu behandeln. Darüber hinaus beschränkt sich die vorliegende Ar- beit auf amerikanische Computerfilme. Es soll jedoch nicht behauptet werden, dass allein die amerikanischen Computer- filme die Oberflächlichkeit repräsentieren. Doch es lassen sich an diesen Filmen die adäquatesten Symptome der Oberflächlichkeit ablesen, wenn man von Jame- sons These ausgeht. Wie gesagt, sind Computer und Film die zwei wichtigsten Faktoren der heutigen Wirtschaft, die durch ihren Synergie-Effekt die zeitgenössi- sche Kulturlogik am deutlichsten prägen können. In der vorliegenden Arbeit reicht das Spektrum der Filmbeispiele von den 50er Jahren über die 80er bis zu den 90ern der 20. Jahrhunderts. Nach meiner Re- cherche erschien der erste Computerfilm 1957 im Kino. Es hat zwar außer den Ki- no-Filmen Computerfilme gegeben, die für das Fernsehen produziert wurden. A- ber hier werden die Fernseh-Filme ausgeschlossen, allein die Kino-Filme sind Ge- genstand der Analyse, von denen seit den späten 50er Jahren allerdings zahlrei- che Filme erschienen sind.

2. Forschungsstand und Fragestellung Meines Erachtens gibt es bisher keine Forschungen, die Computerfilme themati- siert haben. Es gibt natürlich zahlreiche Forschungen, die die SF-Filme, zu denen Computerfilme auch gehören können, behandelt haben. So behandelt zum Bei- spiel Almuth Hoberg in ihrem Buch Film und Computer (1999) zwar das Verhältnis von Film und Computer, aber darin nicht spezifisch die Computerfilme, sondern nur die SF-Filme oder die computergenerierten Filme. Darin untersucht sie, wel- che Eigenschaften die filmischen Gestaltungsmittel wie Filmbild und Computerbild haben. Außerdem legt sie den Fokus vor allem auf die folgende ästhetische Frage, wie die neue Computertechnologie Spielfilme verändert. Aber dabei werden die ästhetischen Formen der Oberflächlichkeit nicht thematisiert. Darin besteht der Unterschied zwischen Hobergs Thema und dem Thema der vorliegenden Arbeit. Aber ihre Arbeit ist sehr hilfreich, um die verschiedenen ästhetischen Auswirkun- gen, die aus dem Verhältnis von Film und Computer resultieren, zu überblicken.

5 Daher beschäftigen sich die Kapitel II und VI der vorliegenden Arbeit mit ihrer The- se und entwickeln sie wiederum unter der Perspektive der Oberflächlichkeit. Außerdem behandelt auch Vivian Sobchack die Computerfilme, aber erneut nur in Bezug auf die SF-Filme. In ihrem Buch Screening Space redet sie aber letztend- lich von dem Ende des SF-Films und analysiert die SF-Filme getreu dem Ansatz Jamesons, also auf Grund der vier Merkmale der Postmoderne. Nach ihrer Be- hauptung verlieren die SF-Filme wegen der nostalgisch wirkenden, postmodernen Charaktere ihre futuristische Identität. Eben an dieser Stelle besteht der Unter- schied zwischen Sobchacks Filmanalyse und der vorliegenden Arbeit. Sie behan- delt also spezifisch die SF-Filme und ihre mögliche Zukunft. Aber die vorliegende Arbeit übernimmt den Ansatz Jamesons und problematisiert in Bezug auf Compu- terfilme insbesondere das ästhetische Phänomen der Oberflächlichkeit anders als Sobchack. Außerdem analysiert sie nur die SF-Filme von den 50 er nur bis zu den 80er Jahren, wobei die vorliegende Arbeit die Computerfilme von den 50er Jahren bis zu den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts behandelt. Außer diesen beiden Arbeiten gibt es freilich auch zahlreiche Abhandlungen. Sie behandeln doch diese Thematik nur fragmentarisch und meistens nur in Bezug auf die SF-Filme. Die Spezifitität der vorliegenden Arbeit besteht daher darin, dass sie die Computerfilme thematisiert und die Fragen stellt, welche ästhetischen Formen die Oberflächlichkeit hat und welche Auswirkung sie auf den Film und auf uns Menschen hat.

3. Methodischer Vorgang und Aufbau In Kapitel I geht es um die Grundlage für die Filmanalyse und die Definition der Oberflächlichkeit. Zunächst handelt es sich um das Verhältnis von Fredric Jame- son, der Postmoderne und der neuen Oberflächlichkeit. Dabei behauptet Jameson wie eingangs erwähnt, dass die Postmoderne eine Kulturlogik im Spätkapitalismus ist, und dass die neue Oberflächlichkeit eins der vier Merkmale der Postmoderne ist. Anschließend daran geht es um die neue Definition der Oberflächlichkeit an- hand der Theorie von Vilém Flusser und Sherry Turkle. Das Wort wird im Alltag oft als Schimpfwort verwendet, dagegen haben Flusser und Turkle uns eine neue Möglichkeit gegeben, es in dem Computerzeitalter wieder positiv zu bewerten. Dabei wird besprochen, welchen Stellenwert der oberflächliche Bildschirm des Computers hat.

6 Darüber hinaus geht es hier auch um das Verhältnis von Computer und Computer- film als Ware. Dies wird in der historischen Beschreibung des Computerfilms er- läutert. Dabei wird klar, dass Computer in den Computerfilmen nach der Warenäs- thetik Haugs analysiert werden kann und welche Rolle die Oberfläche der Waren spielt. Anschließend an dieses Verhältnis von Computerfilm und Warenästhetik wird in Kapitel II das Verhältnis von Computerfilm und der grundlegenden Technologie als dem filmischen Gestaltungsmittel wie z.B. Filmbild, Computerbild und Filmtechni- ken behandelt. Dieses Kapitel soll vor allem dazu beitragen, das Phänomen der neuen Oberflächlichkeit, das in den folgenden Kapiteln bei der ausführlichen Film- analyse zu beobachten ist, besser zu verstehen. Das heißt, nicht nur die Warenäs- thetik löst die neue Oberflächlichkeit aus, sondern auch die neue Computertech- nologie an sich spielt eine große Rolle dabei, dieses Phänomen hervorzurufen. Anhand des Ansatzes von Hoberg lässt sich hier die Entwicklung der filmischen Gestaltungsmittel und der Filmtechniken als ein Prozess ihrer Immaterialisierung und Virtualisierung darstellen. Daher werden hier vor allem Filmbild, Computerbild, Kamera, Schnitt, Montage usw. untersucht, wodurch der Zusammenhang der O- berflächlichkeit als ästhetisches Phänomen mit der neuen Technologie deutlich wird. Aber welche ästhetischen Formen haben die Warenästhetik und die neue Techno- logie entwickelt, wenn sie über die Computerfilme als Kunstwerke herrschen? In Kapitel III geht es daher um die neue Oberflächlichkeit als eine ästhetische Aus- wirkung, die Jameson zufolge für den Verlust der Tiefendimension steht. Es geht also um die Oberflächlichkeit des Raums. In diesem Sinne bezeichnet die Oberflächlichkeit den postmodernen tiefenlosen Raum, den Jameson in Bezug auf die Architektur den Hyperraum nennt. Auf die- ser Grundlage geht es im nächsten Schritt um die Analyse der Computerfilme. Dabei wird klar, wie unterschiedlich die frühen und die späten Computerfilme (seit den späten 60er Jahren) von einander sind. Vor allem die Begrifflichkeiten wie De- flation, Inflation und Conflation, die Sobchack für die Analyse der SF-Filme ver- wendet hat, helfen uns dabei, zu verstehen, wie die Oberfläche in den Computer- filmen aufgewertet wird. Während es in Kapitel III um den Raum geht, beschäftigt sich Kapitel IV mit der Zeit als einer ästhetischen Form. Es handelt sich hier besonders um das Modell

7 der verräumlichten Zeit, das sich daraus ergibt, dass die Logik des Raums in der Postmoderne über die Logik der Zeit herrscht. Unter dieser Perspektive der Ver- räumlichung der Zeit werden hier die Computerfilme analysiert. Dabei kann veran- schaulicht und konkretisiert werden, welche ästhetischen Ergebnisse die neue Zeitlichkeit bringt. In dieser Hinsicht heißt die neue Zeitlichkeit, dass eine verwir- rende schizophrene Zeitlichkeit in den Computerfilmen neu entsteht, indem die traditionelle, lineare Temporalität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu- sammenbricht. Dem entsprechend wird die Rede hier von dem Verlust des Ge- dächtnisses, der Krise der Identität, dem Verlust der Historizität und dem Verlust der Kohärenz sein, die sich in den Computerfilmen explizit zeigen. Aber nicht nur die Zeit wird verräumlicht, sondern auch der persönliche Affekt. In Kapitel V geht es daher um das neue Phänomen, wie der persönliche Spezial- Affekt durch den Spezial-Effekt visualisiert und ersetzt wird. Vor allem der Spezial- Effekt der Computerfilme drückt insbesondere das Gefühl des Erhabenen aus, das von Jameson als „frei-flottierend“ und „unpersönlich“11 definiert wird. Während der historischen Analyse der Computerfilme lässt sich beobachten, wie der persönli- che Spezial-Affekt vom Subjekt entfremdet, materialisiert und mit dem Spezial- Effekt identifiziert wird. Dies wäre ein Übergang, in dem der persönliche Affekt auf die Oberfläche der Dinge verabsolutiert wird. Im zweiten Teil dieses Kapitels geht es daher um eine radikale Form, in der selbst der persönliche Körper durch die Dinge oder die Maschine ersetzt oder damit identifiziert wird. Dieser Schwund der Differenzierung ist auch im Verhältnis von Film und Computer als Medien zu se- hen. Daher stellt sich hier auch die Frage, ob der Computer, der bisher allein dem Film gedient hat, in Zukunft den Film ersetzen wird. Zum anderen geht es hier um die Analyse der Computerfilme seit den Anfängen, da in der Grundkonstellation in der Regel Menschen und Computer als das Andere im Konkurrenzverhältnis stan- den, wobei die Differenzierung der beiden heute im ästhetischen Sinne sinnlos geworden ist.

Bis jetzt ging es um die Definition der Oberflächlichkeit, ihre verschiedenen Moda- litäten und ihre technische Basis, während Kapitel VI die negativen und positiven Auswirkungen der Oberflächlichkeit behandelt, die sich in den Computerfilmen samt den Medienkünsten explizit bzw. implizit zeigen. Zum einen wird die negative

11 Vgl. Jameson (1997), S. 60. 8 Auswirkung der Oberflächlichkeit mit Hilfe von Hoberg dargelegt. Zum anderen wird die positive Auswirkung anhand der These von Peter Weibel ausführlich zum Ausdruck gebracht. Und trotz dieser dialektischen Überlegung wird die vorliegen- de Arbeit den obszönen Charakter der Oberflächlichkeit anhand der Lacanschen Begrifflichkeit von jouissance enthüllen. Denn, indem man die Auswirkungsme- chanik der Oberflächlichkeit genau erkennt, lässt sich damit eine neue Politik der Kunst in Zukunft formulieren. In der Hinsicht, dass es hier um die Auswirkungen der Oberflächlichkeit und gleichsam ihre Überwindung geht, kann dieses Kapitel als eine Schlussfolgerung gelten.

4. Ziel und innovatives Potenzial des Projektes Erstens definiere ich im Laufe der Arbeit, was der Computerfilm ist. Bis jetzt wurde der Computerfilm noch nicht als ein Genre anerkannt. Meine Arbeit ist ein Versuch und ein Verfahren, den Computerfilm als ein Genre zu etablieren. Man kann daher vorläufig den Computerfilm als den Film begreifen, der den Computer thematisiert und der durch das Computerbild hergestellt ist. Zweitens artikuliere ich die ästheti- schen Formen der neuen Oberflächlichkeit in Bezug auf die Computerfilme. In meiner Arbeit stellt sich der Begriff der Oberflächlichkeit zum ersten Mal bei der Analyse der Filmkunst in den Vordergrund. Drittens begreife ich die Computerfilme mit dem psychologischen Begriff der Obszönität, damit die Verbindung von Ober- flächlichkeit und Obszönität deutlich wird. Viertens stelle ich fest, dass die Obszö- nität, die durch die Fusion von Film und Computer visualisiert wird, aus der öko- nomischen Basis des multinationalen Kapitalismus heraus begründet werden kann.

9 I. POSTMODERNE UND EINE NEUE OBERFLÄCHLICHKEIT: DIE GRUNDLAGE DER ANALYSE

I.1 Fredric Jameson und Postmoderne

Fredric Jameson ist heute als einer der wichtigsten amerikanischen Kulturkritiker anerkannt. Vor allem in Bezug auf die Debatte der Postmoderne ist sein Einfluss von großer Bedeutung. Wie Adam Roberts in seinem Buch Fredric Jameson sagt, scheint der Aufsatz Postmoderne - zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus (1984) der einflussreichste Artikel über die Natur der Postmoderne zu sein.12 Der Artikel wurde zuerst 1983 in einer Essay-Kollektion veröffentlicht und ist 1984 wieder in der Britischen Zeitschrift New Left Review in revisionierter Form unter dem Titel Postmodernism, or the Cultural Logic of Late Capitalism erschienen. 1991 wurde er noch mal in der Buch-Form mit Volumen unter dem gleichen Titel veröffentlicht. Neben Adam Roberts halten auch Douglas Kellner und Hans Bertens den Artikel für den einflussreichsten über die Postmoderne. Adam Roberts’ Zitat lautet:

Douglas Kellner has called it ‘probably the most quoted, discussed, and de- bated article’ of the 1980s, and Hans Bertens describes it as having been ‘immensely productive and … seminal in getting the more traditional, that is non-poststructuralist, left involved in the discussion’ about postmodernism (Bertens 1995: 160).13

Aber es ist nicht einfach, seine Position der Postmoderne gegenüber deutlich fest- zustellen. Jameson selber arrangiert die vertretenden Namen in der Debatte in ei- ner Tabelle14, um seine Position deutlich zu machen:

ANTI-MODERNIST PRO-MODERNIST Wolfe PRO-POSTMODERNIST Lyotard Jencks

ANTI-POSTMODERNIST Tafuri Habermas

12 Roberts (2000), S. 111. 13 Ebd. 14 Ebd. 10 Dennoch lässt es nicht vermeiden zu fragen, welche Stellungnahme Jameson ge- genüber der Postmoderne nimmt. Roberts zufolge trennen manche Kritiker, z.B. Hassan und Lyotard, die Postmoderne als ein kuturelles Happening von der Frage der Politik ab, während Jameson die Postmoderne als eine sowohl ästhetische als auch politische Frage ansieht.15 Dies ist Roberts zufolge der große Unterschied zwischen Jameson und den anderen Kritikern. Außerdem liegt nicht zuletzt nahe, dass Jamesons Kritik an der Postmoderne über die Bewertungskriterien von ‚Ja oder Nein‘ hinaus geht, die von den oben erwähnten Kritikern vorgenommen wur- den,16 wie Roberts behauptet:

But more to the point, there is little virtue in being ‚for‘ or ‚against‘ postmodern- ism, except in the very general sense in which a Marxist can be ‚against‘ capi- talism (the same capitalism that shaped realism and modernism).17

Allerdings sagt Roberts, dass die Postmoderne, als die Kulturlogik des Spätkapita- lismus, (von Jameson) analysiert, demystifiziert ist, „not skittischly ‚embraced‘ or tetschily ‚condemned‘“.18

I.2 Die konstitutiven Merkmale der Postmoderne und eine neue Oberflächlichkeit

Trotzdem ist es nicht rätselhaft, was Jameson mit der Postmoderne meint, weil er versucht, mindestens einen Konsens darüber zu erreichen, was kulturell dominie- rend ist. Ansonsten, Jameson zufolge, „lässt sich Gegenwartsgeschichte nur mehr als reine Heterogenität, willkürliche Differenz und Koexistenz zahlreicher verschie- dener Kräfte von unberechenbarer Wirkung begreifen.“19 Daher versucht er „das Konzept einer neuen systemgerechten kulturellen Norm und ihrer Reproduktion zu entwerfen“.20 Dadurch hofft er, dass „auf dieser Basis die heute effektivsten For- men einer radikalen Kulturpolitik angemessen reflektiert werden können“.21

15 Vgl. ebd. 16 Vgl. ebd. 17 Ebd., S. 120. 18 Ebd. 19 Jameson (1997), S. 50. 20 Ebd. 21 Ebd. 11 Um dieses Ziel zu erreichen, greift er folgende konstitutive Merkmale der Postmo- derne auf:

Eine neue Oberflächlichkeit (nach dem Verlust der ‚Tiefendimension‘), die sich sowohl auf die zeitgenössische Theorie als auch auf die gesamte neue Kultur des Bildes oder des Simulakrums erstreckt; der daraus resultierende Verlust von Historizität, der sich sowohl in unserem Verhältnis zum allgemeinen Ge- schichtsverständnis bemerkbar macht als auch in unser neues ‚privates‘ Zeit- verständnis eingreift […]; weiterhin: eine völlig neue, emotionale Grundstim- mung, die sich mit dem Wort ‚Intensitäten’ beschreiben lässt und die man am besten im Rückgriff auf die altbekannten Theorien des ‚Erhabenen‘ erfasst; ei- ne fundamentale Abhängigkeit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie, die ihrerseits für ein neues Weltwirtschaftssystem steht.22

In Kürze: eine neue Oberflächlichkeit, der Verlust von Historizität, eine neue, emo- tionale Grundstimmung, und eine fundamentale Abhängigkeit von einer neuen Technologie. Diese vier Merkmale könnten jeweils als die Erklärungsmuster der Postmoderne unabhängig von den anderen funktionieren. Aber sie bilden eigent- lich eine Kette, in der sie miteinander verknüpft sind, ein Zusammenhang, den Jameson selber versucht herzustellen. In diesem Sinne ist möglich, unter der Terminologie ‚eine neue Oberflächlichkeit’ auch die restlichen Merkmale zu erklä- ren, mit denen Jameson den Unterschied zwischen der Hochmoderne und der Postmoderne erläutert:

Der erste und auffälligste Unterschied ist das Hervortreten einer neuen Flach- heit oder Seichtheit, einer neuen Oberflächlichkeit im wortwörtlichen Sinne, die das vielleicht auffälligste formale Charakteristikum aller Spielarten der Postmoderne ist.23

Allerdings sieht Jameson die Oberflächlichkeit, die die postmoderne Simulations- ästhetik ermöglicht, als ein dominantes Merkmal der Postmoderne an. Aber er hat dies weder apologetisch noch stigmatisierend gemeint, obwohl die Terminologie der Oberflächlichkeit im Deutschen negativ besetzt ist. Dagegen versucht Jame- son, dieses neue Phänomen historisch und dialektisch zu denken. Dabei führt er Marx an:

In einer der bekanntesten Passagen spricht Marx von der Notwendigkeit, das Unmögliche zu tun, nämlich diese Entwicklung positiv und negativ zugleich zu denken, zu einem Denken zu gelangen, das gleichzeitig die nachweisbar un-

22 Ebd. 23 Ebd. 12 heilvollen Elemente des Kapitalismus und seine außerordentliche und befrei- ende Dynamik erfasst.24

I.3 Zur Neudefinition der Oberflächlichkeit In diesem Zusammenhang werde ich hier die Vertreter vorstellen, die den Begriff der Oberflächlichkeit neu verwendet und sogar positiv besetzt haben, um ihre Be- deutung im Kontext der Postmoderne besser zu verstehen. Seit der Antike ging es in den Diskursen der Kunst um das Schöne. Im Gegenzug wurde das Hässliche immer ausgelassen. Aber seit der Moderne wird auch das Hässliche in das Gebiet der Kunst miteinbezogen und mitbedacht, wie es Charles Baudelaire in seiner Poesie gezeigt hatte. 25 Wenn auch der Diskurs über das Hässliche mit der Moderne begann, unabhängig davon wurde auch die Tiefe der Kunst immer noch zum Ausdruck gebracht. Aber seit dem Zeitalter der techni- schen Reproduzierbarkeit ist die Rede von der Tiefenlosigkeit der Kunst geläufig geworden. Dies ist doch nicht unabhängig von der Tatsache, dass in der Postmo- derne der Unterschied zwischen ‚hoher‘ Kultur und Massen- oder kommerzieller Kultur aufgehoben wird. 26 Die Differenzierung der beiden war Jameson zufolge „ein wesentliches Kennzeichen der klassischen Moderne“27. Und es galt bis dahin die Schemata, dass hohe Kultur tief und Massenkultur oberflächlich ist. Daher wurde die Oberflächlichkeit als negativ angesehen. Aber dieser Umstand hat sich in der Postmoderne geändert. Die Oberflächlichkeit scheint nun ein wesentliches Kennzeichen der Postmoderne geworden zu sein. Sie wurd nicht einfach nur als negativ bewertet, sondern erfährt eine Aufwertung. Für Vilém Flusser, beispielsweise, ist sie nicht mehr negativ besetzt.

I.3.1 Vilém Flusser und das Abstraktionsspiel Nun spielen wir nach Vilém Flusser das Abstraktionsspiel. Zum Beispiel ist unser Körper das „Wirkliche“. Und alles „Wirkliche“ hat die vier Dimensionen der Raum- zeit. Der Raum besteht aus den drei Dimensionen, und die Zeit ist die vierte Di- mension. Wenn aber aus unserem Körper die Zeitdimension abstrahiert wird, dann

24 Ebd. 25 “It was thus mainly Baudelaire who explored the ugly as the subject matter of concrete categories in visual art.” Barasch (1990), S.380. 26 Vgl. Jameson (1997), S. 46. 27 Ebd. 13 können wir uns in Bezug auf die Kunst eine Skulptur vorstellen. Und wenn aus der Skulptur die Tiefe ausgeklammert wird, dann können wir uns die flächenhafte Höh- lenmalerei vorstellen. Und wenn wir aus der Fläche die Oberfläche ausklammern, dann wird nur die Linie ausgemacht. Wenn wir letztendlich aus der Linie den Strahl abstrahieren, können wir nur die Punkte sehen. Bei diesem Abstraktionsspiel können wir beobachten, dass das „Wirkliche“ verfällt, und dass im Gegenteil verschiedene „unwirkliche“ Universen hergestellt werden: das Universum der Skulptur - der zeitlosen Körper - das der Bilder - der tiefenlo- sen Flächen -, das der Texte - der flächenlosen Linien - und das der Komputation - der linienlosen Punkte.28 Bei jedem Universum können wir in der Kulturgeschichte ein Beispiel finden. Die „Venus“ von Willendorf gehört zum Universum der Skulptur, die Wandmalerei von Lascaux zum Universum der Bilder, die ersten linearen Texte in Ugarit zum Uni- versum der Texte, und schließlich der Taschenrechner zum Universum der Kom- putation. Aber im Verlauf der Kulturgeschichte ist stets das Unbehagen um die verlorene „Wirklichkeit“ herum formuliert worden. Dieses Unbehagen nennt man „Kulturkri- tik“: „Dieses Gruseln vor dem trippelnden Abstraktionstanz um die verlorene ‚Wirk- lichkeit‘ herum, dieses ‚Unbehagen in der Kultur‘, kann ‚Kulturkritik‘ genannt wer- den.“29 Flusser zufolge hätten nicht nur die heutigen Leute, die im Universum der Kompu- tation leben, sondern auch die Leute in Willendorf, Lascaux, Ugarit dieses Unbe- hagen empfunden. Wer hätte die Venus von Willendorf, die Rinder in Lascaux, und die Schrift in Ugarit für wirklich gehalten? Beispielsweise wirft Plato den Leu- ten in Lascaux daher vor, dass sie nur Schatten sehen.30 Stattdessen hat er mit seinen ‚inneren‘, theoretischen Augen die logische Ordnung gesehen, die das U- niversum der linearen Schrift charakterisiert. Und diese Ordnung hält er für ‚wirkli- cher‘ als die mit dem leiblichen Auge ersehenen Schatten, die Oberflächen.31 Allerdings war das Abstraktionsspiel ein Prozess des Vertrauensverlusts in unsere Wahrnehmungsorgane. Daher behauptet Flusser: „Es lässt sich nicht leugnen: Das Misstrauen den Händen, den Augen, den Fingern und den Ohren gegenüber

28 Flusser (1993), S. 9. 29 Ebd., S. 10. 30 Vgl. ebd., S. 13. 31 Vgl. ebd., S. 15. 14 ist berechtigt. Sie täuschen.“32 Nach Flusser können uns unsere Organe daher die ‚Wahrheit‘ nicht mitteilen. Dennoch sind die Augen zumindest Organe, welche uns mitteilen, was ‚wahrscheinlich‘ ist, nämlich den Anschein. Sie sehen Oberflächen, weil Oberflächen scheinen.33 Aber seit dem Auftreten des Universums der Texte oder der Linie, Flusser zufolge, „neigen wir dazu, das ‚nur‘ Scheinbare zu verach- ten.“34 Daher ist Oberflächlichkeit „Schimpfwort“ geworden.35 Danach trauen wir unseren Augen nicht, daher erscheint uns das Wahrscheinliche, das Oberflächliche nicht. Wenn wir das Wahrscheinliche in der Punkt-Welt der Komputation wahrnehmen wollen, müssen wir es erst komputieren, aus Punkten zusammensetzen. 36 Aber wir scheinen im Universum der Komputation seit ir- gendwann wieder das Wahrscheinliche, die Oberfläche erreichen zu wollen. „Be- trachtet man die Leute vor ihren Computern, wie sie auf Tasten tippen und dabei auf den Bildschirm starren“, so Flusser, „dann erkennt man diese Sehnsucht, das Wahrscheinliche möge erscheinen.“37 Aber wenn wir im Punkte-Universum das Wahrscheinliche erscheinen lassen wol- len, gelingt es uns einfach nicht. Weil uns nur das Unwahrscheinliche erscheint, das aus Punkten oder aus Informationen zusammengesetzt ist. Die Bilder aus dem Unwahrscheinlichen oder Informationen müssen täuschen, daher werden sie abgewertet. Dazu Flusser: „sie blenden. Das zu singende Loblied muss daher misslingen, weil die auftauchenden Bilder des Punkte-Universums es Lüge stra- fen.“ 38 Dennoch hegt Flusser Hoffnung, dass aus dem Unwahrscheinlichen ein bedeutsames Bild, das Bild eines menschenwürdigen Daseins entsteht.

Denn was bleibt uns übrig, die wir im Dunkeln tasten, als uns ein Liedchen vom Unwahrscheinlichen zu pfeifen, wonach wir, allem zum Trotz, das, was sein soll, verwirklichen werden? Wonach wir der hereinbrechenden Welt der schwirrenden Nichtse ein bedeutsames Bild entgegensetzen können, das Bild eines menschenwürdigen Daseins?39

32 Ebd., S. 20. 33 Ebd. 34 Ebd. 35 Ebd. 36 Vgl. ebd., S. 20. 37 Ebd. 38 Ebd., S. 22. 39 Ebd. 15 I.3.2 Sherry Turkle und die Simulationsästhetik Oberflächlichkeit bezeichnet also eher eine neue Ästhetik, die mit der Entwicklung der Computertechnologie neuen Auftrieb erfährt. Sherry Turkle hat sie auch Simu- lationsästhetik genannt. Im nächsten Zitat kann man genau erahnen, was sie mit ihr gemeint hat:

Im vergangenen Jahrzehnt hat sich der traditionelle Wunsch der Moderne, un- ter die Oberfläche, in die Mechanik des Betriebsystems, zu schauen, mehr und mehr verflüchtigt. Wir haben uns daran gewöhnt, durch Bildschirmsimula- tionen zu navigieren, und wir neutralisieren die Computer in unserem Umfeld immer seltener durch Fragen wie „wie funktioniert das?“ und „was geht eigent- lich darin vor?“40

Nach Flusser glaubt Plato, dass hinter der Fläche oder dem Schatten das Wahre steckt, das hier durch die logische Ordnung oder das Universum der Texte über- setzt werden dürfte. In diesem Sinne sei die Fläche der Wandmalerei oberflächlich und scheinbar. Aber Turkle sieht den Schatten heute auf dem Bildschirm, nicht in der Höhle. Mit der Erfindung des Mac-Computers und seiner grafischen Benutzer- oberfläche herrschen die auf dem Bildschirm erscheinenden Bilder über die ande- ren. Aber der Bildschirm als die Schnittstelle zwischen Computer und Menschen lässt uns nicht die Einsicht in die Mechanismen der logischen Ordnung zu. Daher muss man stets auf der Oberfläche des Bildschirms verbleiben, der einzig über die simulierten Bilder verfügt.

Anders als die Personalcomputer vor ihm ermunterte der „Mac“ die User, auf der Oberfläche-ebene der visuellen Repräsentation zu verbleiben, die nichts vor seinen inneren Mechanismen preisgab.41

Diese digitalen Bilder auf dem Bildschirm zeigen sich als ein noch extremeres Bei- spiel der postmodernen Oberflächlichkeit, im Vergleich mit Platos Vorwurf gegen den Schatten der Kunst. In diesem Sinne funktioniert die Oberfläche des Bild- schirms als eine Metapher der postmodernen Ästhetik, die durch die Oberfläch- lichkeit geprägt ist. Diesen Umstand formuliert Turkle wie folgt: „Wie mein transpa- renter Apple II die moderne technologische Ästhetik symbolisierte, verkörperte der Macintosch eine postmoderne Ästhetik.“42

40 Turkle (1999), S. 61. 41 Ebd., S. 49. 42 Ebd., S. 52. 16 Bis jetzt haben wir untersucht, was die drei Theoretiker unter der neuen Oberfläch- lichkeit verstanden haben. Bei Flusser entsteht die Oberflächlichkeit durch die Abstraktion des „Wirklichen“. Bei Turkle verfügt die Oberfläche des Bildschirms über die Oberflächlichkeit, die die Postmoderne symbolisiert. Dabei erwartet Flus- ser neue Möglichkeiten, die die Oberflächlichkeit der simulierten Bilder hervorbrin- gen kann, Turkle unterscheidet sich da nicht von Flusser, da sie anerkennt: „Die Simulationsästhetik beherrschte mittlerweile die Kultur als ganze.“43 Aber ich werde im nächsten Schritt die Computerfilme hauptsächlich anhand von Jamesons Theorie der Oberflächlichkeit analysieren. Hiermit hoffe ich darauf, dass man im Laufe der Analyse das Konzept der neuen Oberflächlichkeit bekommen kann.

I.4 Warenästhetik und Computerfilme als die Geschichte der „ästhetischen Abstraktion der Ware“44

In diesem Abschnitt geht es um einen stichhaltigen Grund dafür, warum der Begriff der Oberflächlichkeit für die Analyse der Computerfilme angemessen verwendet werden kann. Dieser Grund besteht nämlich in dem Warencharakter der Compu- terfilme. Denn Computerfilme sind als „ästhetische Produktion“ bereits, wie Fredric Jameson behauptet, „integraler Bestandteil der allgemeinen Warenproduktion ge- worden.“45 Für Jameson drehen sich Andy Warhols Arbeiten im wesentlichen um nichts ande- res als um diese Warenwelt.46Jameson zufolge entsteht die Oberflächlichkeit von Andy Warhols Diamond Dust Shoes (1980) nicht zuletzt durch diesen Warencha- rakter. Nicht anders als bei ihm drehen sich auch die Computerfilme um die Wa- renwelt. Sowohl in den früheren Computerfilmen als auch in den heutigen Compu- terfilmen wird ihr Warencharakter hervorgehoben artikuliert, der durch die Waren- ästhetik genau so geprägt ist, wie die anderen Waren. Seitdem Computer als Wa- ren der Masse zugänglich sind, haben sie begonnen, sich im Bewusstsein der Masse warenästhetisch zu repräsentieren. Aber was ist dann die Warenästhetik? Wolfgang Fritz Haug definiert sie wie folgt:

43 Ebd., S. 62. 44 Haug (1977), S. 60. 45 Jameson (1997), S. 48. 46 Vgl. ebd., S. 54. 17

Im Ausdruck Warenästhetik kommt eine doppelte Verengung hinzu: einerseits auf „Schönheit“, d.h. auf eine sinnliche Erscheinung, die auf die Sinne anspre- chend wirkt; andererseits auf solche Schönheit, wie sie im Dienste der Tauschwertrealisierung entwickelt und den Waren aufgeprägt worden ist, um beim Betrachten den Besitzwunsch zu erregen und ihn so zum Kauf zu veran- lassen. Insofern das Warenschöne die Menschen anspricht, ist ihre sinnliche Erkenntnis und das diese wiederum bestimmende sinnliche Interesse im Spiel.47

Das heißt, das „Warenschöne“ spreche die Menschen sinnlich an, und veranlasse sie zum Kauf der Waren. Wenn aber der Kaufakt der Waren erfolgen kann, sollen sie nicht nur den Gebrauchswert haben, sondern auch „die Erscheinung des Gebrauchswerts“48 zeigen. Haug zufolge ist der sinnliche Schein der Dinge des- halb wichtiger als ihr Gebrauchswert oder als Sein: „Schein wird für den Vollzug des Kaufaktes so wichtig – und faktisch wichtiger – als Sein.“49 Und durch den Schein verkaufen sich die Waren gut: „Was nur etwas ist, aber nicht nach ‚Sein‘ aussieht, wird nicht gekauft, was etwas zu sein scheint, wird wohl gekauft.“50 In diesem Sinne stützen sich auch Computerfilme auf ihre übertriebenen sinnli- chen Erscheinungen, um das Publikum anzulocken, wie andere Waren. In der Tat haben die neuen Technologien selbst wie Tontechnik, Farbfotografie, Fernseher usw. in der Filmgeschichte die Sehnsucht des Publikums nach Kino erregt. Aber es ließe sich auch sagen, dass die Anziehungskraft der Computertechnologie als Ware heute deutlich stärker ist als die früheren Waren. Vor allem die Oberfläche des Computers spielt zunächst eine Rolle als sinnlicher Schein in den Computerfilmen. Die Oberfläche dient nämlich Haug zufolge nicht nur als die Ware schützende Verpackung, sondern als Ausstellung für die Käufer:

[…]und die schön präparierte Oberfläche der Ware wird zu ihrer Verpackung, die aber nicht wie das bloße Einwickeln als Schutz vor den Gefahren des Transports gedacht ist, sondern als das eigentliche Gesicht, welchselbes statt des Warenleibs der potentielle Käufer zunächst zu sehen bekommt […].51

Deswegen erscheint die Oberfläche der Computer hervorgehoben als sein Gesicht in den früheren Computerfilmen, während sie sich in den späteren Computerfilmen seit den 80er Jahren erheblich vom Warenleib abgelöst hat.

47 Haug (1977), S. 10f. 48 Ebd., S. 17. 49 Ebd. 50 Ebd. 51 Ebd. 18 Mit anderen Worten, während die früheren Computerfilme den Akzent auf die emblematische erste Oberfläche des Computers, z. B. die Formen und Größe der Hardware oder Zusatzgeräte legten, betonen die späteren eher den großen Wert der verschiedenen Möglichkeiten der Software, z. B. die graphische Darstellung des Bildschirms oder die Innenwelt des Computers. Jedenfalls sind all diese äs- thetischen Darstellungen der Oberflächen nicht unabhängig von der Strategie der Filmproduzenten als Verkäufer, die mehr Publikum anziehen soll, so wie die Wa- renhersteller mit der Werbung bestrebt sind, mehr Produkte zu verkaufen. In diesem Sinne hängen die Computerfilme immer mit der Entwicklung der Com- putertechnologie zusammen. Weil die neue Computertechnologie eine stärkere Anziehungskraft als gewöhnliche Waren besitzt, steht sie in den Computerfilmen immer im Mittelpunkt. Zum Beispiel wird, wenn ein neuer Computer auf dem Markt kommt, wird er bald im Film aufgenommen und dem Publikum gezeigt. Diese Ten- denz lässt sich deutlich ablesen, wenn man sich die Computerfilme im Hinblichk auf die Computergeschichte anschaut. Dadurch werden die Zusammenhänge zwi- schen den Computerfilmen und ihren Warencharakteren deutlich. Deswegen geht es hier hauptsächlich darum, das Verhältnis von neuer Computer- technologie und Computerfilm aus historischer Sicht zu zeigen.

I.4.1 Die 50er Jahre In den ersten Computerfilmen der 50er Jahre wird vor allem der Warencharakter der Computer in den Vordergrund gestellt. Denn erst in den 50er Jahren werden die Computer als die Ware der Masse antizipiert. In diesem Sinne stand der An- fang des Computerfilms untrennbar im Zusammenhang mit der Geschichte des Computers. Kaum wird der Computer bekannt, beginnt die Kraft der neuen Tech- nologie uns zu verführen und wird im Film präsentiert. Um die Warencharaktere der Computer deutlich zu machen, wird zunächst gezeigt, wie sich die Computer seit den 50er Jahre entwickelt haben. In der Computergeschichte zeichnen sich die 50er Jahre durch zwei Entwicklun- gen aus: die Ersetzung der Elektronenröhren durch Transistoren und die Herstel- lung der ersten kommerziellen Computer.52

52 Vgl. Werner (1998), S.158. 19 1947 wurden Transistoren von den drei Amerikanern John Bardeen, Walter H. Brattain und William Schockley erfunden. Erst 1955 wurde der erste mit Transisto- ren bestückte Rechenautomat Transistor-Digital-Computer (TRADIC) für die US- Luftwaffe fertig gestellt. TRADIC gehörte zum Computer der zweiten Generation (1955-1964). Dagegen war die erste Generation (1946-1955) wie ENIAC, Harvard Mark I, SSEC, Univac I, IBM 701 noch mit Elektronenröhren ausgestattet.53 Aber bereits 1951 kam Univac I (Universal Automatic Computer) vermutlich als der erste kommerzielle Computer auf den Markt (kostete über 1 Mio. $), obwohl er zur ersten Generation mit Elektronenröhren gehörte. Ab 1955 gab es die mit Transis- toren ausgestatteten Computer wie IBM1401 und Telefunken TR4. 1953 kam das erste Magnetband-Gerät auf den Markt (IBM 726). Darüber hinaus wurde der WHIRLWIND-Computer 1956 als der erste Computer entwickelt, der eine direkte Tastatur-Eingabe nutzt. Auch Lochkarten, die bis in die 70er Jahre gültig waren, und Magnetbänder erscheinen als die typischen Elemente, die den Computer ge- kennzeichnet haben. Vor allem die erste Generation ist durch das riesige Ausmaß des Computers ge- kennzeichnet. Zum Beispiel benötigte der ENIAC eine Grundfläche von 140 m2 und war mit mehr als 18.000 Elektronenröhren ausgestattet.54 Darüber hinaus wa- ren die Computer mit Röhren hochempfindlich. Denn, wenn die Röhren überhitzt wurden, verbrannten sie oft. Um gegen die Verbrennung Vorkehrungen zu treffen, mussten mindestens drei Bediener eingesetzt werden. Diese Merkmale der ersten Generation sind insbesondere in den Computerfilmen der 50er Jahren zu sehen. 1957 gilt als ein bahnbrechendes Jahr in der Geschichte des Computerfilms. Denn

1957 erschienen drei Computerfilme gleichzeitig: DESK JET (USA 1957), THE INVI-

SIBLE BOY (USA 1957) und THE NIGHT THE WORLD EXPLODED (USA 1957). Als die drei Filme in die Kinos kammen, konnte man bei den Filmen alle Eigenschaften der in den 50er Jahren hergestellten Computer festmachen.

EMERAC oder Emmy, der Computer in DESK JET, scheint als ein IBM-Modell zum Computer der zweiten Generation zu gehören. (Abb. I-1) Wenn man es mit der Größe von Univac I der ersten Generation vergleicht, sieht EMERAC relativ kleiner aus, und seine Frontseite ist mit zahlreichen leuchtenden Lampen und Magnet- band-Spulen bestückt. Außerdem ist er mit der Schreibmaschine, der Zufuhr der Lochkarte und dem Ausgang des Endlospapiers verbunden. Aber es gibt keinen

53 Vgl. ebd. 54 Vgl. Matis (2002), S. 16. 20 Bildschirm, und er spricht kein Wort, er kann nur pfeifen und piepen. Ein Gegen- stück dazu bildet der riesige Supercomputer in THE INVISIBLE BOY. (Abb. I-2)

Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Supercomputer in THE INVISIBLE BOY das Mo- dell TRADIC nachahmt. TRADIC gehörte zur 2. Generation und war, wie gesagt, der erste Computer, der Transistoren benutzte. Dr. Marineu erklärt dem General Swayne, dass der Computerraum mit Mikro-Transistoren von 5300 Kubik-Yard ausgestattet ist. Wenn man dazu bedenkt, dass dieser Film im Jahr 1957 erschien, ist es höchst wahrscheinlich, dass der Computer im Film einen TRADIC darstellt. Obwohl Whirlwind-Computer 1956 erfunden wurden, scheint er im Film nicht be- rücksichtigt worden zu sein. Denn Whirlwind verfügte bereits über eine direkte Tastatur-Eingabe, doch hier ist sie nicht zu sehen, es wird immer noch die Loch- karte benutzt.

In DESK JET und THE INVISIBLE BOY werden all diese Entwicklungen und Erfindun- gen der Computer als bekannt vorausgesetzt. Da der Computer seit 1951 ein kommerzielles Produkt ist, erhält die Masse die Gelegenheit, sich den Computer bewusst zu machen. Und dies scheint dazu zu führen, dass der Computer im Film aufgenommen und thematisiert wird.

Was den Computer in THE NIGHT THE WORLD EXPLODED betrifft, ist er eher ein elekt- risches Gerät, das ein Erdbeben vorhersagt und misst. Aber in dem Sinne, dass es genau berechnet, wann Erdbeben geschieht, gilt er als ein Computer, der im eigentlichen Sinne als Rechner zu bezeichnen ist. Er hat jedoch nur noch eine primitive Funktion als Rechner. Deswegen wird er hier wenig beachtet, obwohl der Film als ein Computerfilm gilt.

I.4.2 Die 60er Jahre Auch in den 60er Jahren gab es viele neue Entwicklungen in der Computer- Branche. 1960 entwickelte Benjamin Curley den ersten Minicomputer, der als der erste kommerzielle Computer mit Bildschirm und Tastatur (PDP-1) galt. Im selben Jahr erschienen erste externe Disketten. Douglas Engelbert erfand 1963 die Maus, die jedoch erst 1968 erstmals vorgeführt wurde. Vor allem das Jahr 1964 war eins der erfolgreichsten Jahre für die Firma IBM, weil sich die IBM-360er-Serie mit

21 Transistoren gut verkauften.55 1968 wurde die Integrated Electronics (Intel) Corp. gegründet. 1969 wurde der Laserdrucker erfunden und von IBM eingeführt.56 Diese Entwicklungen kann man mehr oder weniger in den Computerfilmen der

60er Jahren feststellen. Im Vorspann des 1967 erschienen Films THE BILLION DOL-

LAR BRAIN (USA/UK 1967) kann man die neuesten Entwicklungen der Computer- technologie beobachten. Hier werden Tastatur, Magnetbandspule, Lochstreifen usw. als Kennzeichnen des Computers präsentiert. (Abb. I-3) Vor allem wird hier eine halbnackte Frau im Wechsel mit den Teilen des Computers gezeigt. (Abb. I- 4) Und in der letzten Einstellung des Vorspanns ist das Bild zu sehen, in dem die Ziffern von 1 Milliarde mit der nackten Frau zusammengesetzt werden. (Abb. I-5) Der Film stellt eindeutig das kommerzielle Ziel in den Vordergrund. Daher reprä- sentieren die Bilder wie die nackte Frau, das Geld, und die neue Technologie als die Ware nicht unabhängig von dem ökonomischen Ziel des Films. Computer und Frauen werden hier fetischisiert und zugleich sexualisiert, dabei spielt das Geld eine Rolle als die Instanz, die den Spätkapitalismus antreibt. Durch diese Waren- ästhetik ist eindeutig zu sehen, dass die neue Technologie im Film den Warencha- rakter impliziert.

In 2001: A SPACE ODYSSEY (USA 1968) zeigt der Supercomputer HAL-9000 bereits 1968 die modernste Form des Computers, im Vergleich mit den anderen Compu- terfilmen. (Abb. I-6) Der Computer war das IBM-Modell, dessen Marke im Film deutlich zu sehen war, abgesehen davon, ob solches Modell damals wirklich vor- handen war oder nicht. Auch rein äußerlich betrachtet, wäre es freilich nicht mög- lich gewesen, dass es damals einen derartigen Computer gab. Deswegen kann man in 2001 den Warencharakter des Computers durch HAL-9000 eindeutig beo- bachten. Vor allem die Modernität von Bildschirm und Speichermodulen über- schreitet die damalige Entwicklungslage des Computers, verglichen mit dem tat- sächlichen IBM-360er, der zu der Zeit Marktführer war.57 Aber dadurch entsteht sozusagen die zweite Oberfläche. Und diese, die die enge Beziehung von neuer Technologie und Film ausmacht, hätte damals die Jugend anziehen können. Die damalige Begeisterung, die 2001 ausgelöst hat, ist schlechthin nicht unabhängig

55 Vgl. ebd., S. 258. 56 http://server02.is.uni-sb.de/courses/ident/themen/gesch_comp/kap5.php (20.08.2005) 57 „IBM erzielte dennoch 1964, im Jahr der Einführung des 360ers, einen sagenhaften Gewinn von rund 7 Milliarden Dollar. Wenn man bedenkt, dass damals die Zahl aller in den Vereinigten Staaten instalierten Computer erst bei rund 6000 Stück lag, kann man den Anteil von IBM an der Durchsetzung der neuen Tech- nologie erst richtig ermessen.“ Matis (2002), S. 258. 22 von der Warenästhetik, welche die zweite Oberfläche erzeugt, wie Haug behaup- tet:

Nachdem ihre [Waren] Oberfläche sich von ihr abgelöst hat und in ihrer zwei- ten Oberfläche geworden ist, die in der Regel unvergleichlich perfekter als die erste ist, löst sie sich vollends los, entleibt sich und fliegt als bunter Geist der Ware in alle Welt, zirkuliert drahtlos in jedes Haus, die wirkliche Zirkulation der Ware anbahnend.58

Die Wirkung der zweiten Oberfläche ist hier nicht zu übersehen. Mit der zweiten Oberfläche meint Haug den Mehrwert der Waren, der für den Tauschwert dem Gebrauchswert hinzugefügt wird. Bei Marx ist sie mit ‘dem Übersinnlichen’ gleich- zusetzen, wie Haug erklärt:

Ist die Ware nach Marxens witziger Formulierung ‚sinnlich übersinnliches Ding’,59wobei das Sinnliche den Gebrauchswert, das Übersinnliche den ding- lich nicht fassbaren gesellschaftlichen Charakter, die ökonomische Formbe- stimmtheit, meint – so ist es das Übersinnliche an der Ware, dessen Macht ih- re Sinnlichkeit und mit ihr die der Menschen modelt und ummodelt.60

I.4.3 Die 70er Jahre Zunächst müssen hier einige wichtige Entwicklungen des Computers erwähnt werden. 1970 erscheinen die ersten 8" Floppy Disks. Intel bringt 1971 den ersten Mikroprozessor, den 4004 (10 Mikron, 2300 Transistoren) auf den Markt. IBM er- findet 1973 die moderne Festplatte. Und 1975 erscheint der erste PC, der Altair 8800 auf dem Markt. 1977 gründen Bill Gates und Paul Allen Microsoft. 1979 er- scheinen die ersten Anwendungsprogramme wie WordStar und VisiCalc.61 Aber auffällig ist die Tatsache, dass man trotz dieser Entwicklungen in den Com- puterfilmen der 70er Jahren nicht einfach diese neuen Tatbestände reflektiert sieht. Denn die filmischen Repräsentationen des Computers zielten viel mehr auf das Herstellen der zweiten Oberfläche ab, die weit entfernt von der Realität war. Zum Beispiel war der PC in den Computerfilmen der 70er Jahren nicht wirklich zu se- hen, obwohl er bereits in den 70er Jahren auf dem Markt erschien. Nach 2001 wird die zweite Oberfläche des Computers, also der Tauschwert im

Film stattdessen umso mehr betont. In COLOSSUS: THE FORBIN PROJECT (USA

58 Haug (1977), S. 61. 59 Marx (1890), S. 85. 60 Ebd., S. 131. 61 http://server02.is.uni-sb.de/courses/ident/themen/gesch_comp/kap5.php (20.08.2005)

23 1970) wird der Supercomputer Colossus als mit dem realen Computer nicht ver- gleichbar dargestellt. Er spricht spontan mit den Menschen, überwacht Dr. Forbin und entwickelt sich sogar wie ein organisches Leben. (Abb. I-7) In DEMON SEED

(USA 1973) kann der Supercomputer Proteus sogar ein Kind gebären. In WEST-

WORLD (USA 1973) und FUTUREWORLD (USA 1976) kann man durch die Computer- technologie Cyborgs herstellen, die sich wie echte Menschen verhalten, empfin- den und denken. Wie in diesen Beispielen wird der Computer auch in anderen Computerfilmen der 70er Jahren futuristisch überhöht, wenn auch die Basis der zweiten Oberfläche im realen Entwicklungstand der Computertechnologie begrün- det liegt.

I.4.4 Die 80er Jahre Wenn auch der erste PC Altair 8800 bereits 1975 entwickelt wurde, war die Rolle des PC im Film sehr gering. Erst seit den 80er Jahren spielen PC in Hinsicht auf die Computerfilme eine wichtige Rolle. Insbesondere IBM beginnt im Jahr 1981 PCs zu bauen und schafft einen Quasi-Standard. 1981 wurde der erste tragbare Computer Osborne 1 entwickelt. 1982 wählt das Time Magazine den PC zum „Man of the Year“. 1984 bringen Philips und Sony die CD auf den Markt, und es erscheint MS-Word 1.0. Ab 1985 verkauft Microsoft das Betriebssystem Windows 1.0 mit einer grafischen Benutzeroberfläche. 1988 wird die CD-R von Philips und Sony vorgestellt, 1989 präsentiert Intel den 486er PC.62 Angesichts dieser Daten kann gesagt werden, dass das Zeitalter der PCs in den 80er Jahren begonnen hat. Tatsächlich sind die PCs in den vielen Computerfilmen der 80er Jahren zu sehen, beispielsweise in den folgenden Computerfilmen: WAR

GAMES (USA 1983), SUPERMAN III (UK 1983), ELECTRONIC DREAMS (USA/UK 1984),

DEADLY FRIEND (USA 1986) und JUMPIN’ JACK FLASH (USA 1986), in denen sie eine wichtige Rolle spielen. Aber auffällig ist die Tatsache, dass die emblematische Kraft der PCs, also die erste Oberfläche des Dinges, bei ihnen von geringerer Bedeutung ist. Eher die zweite Oberfläche wird dabei betont. In WAR GAMES wird das Bewusstsein des

Computers in den Vordergrund gestellt. In SUPERMAN III wird der Supercomputer spektakulär als etwas dargestellt, das die Menschen in die Maschine verwandelt.

62 Ebd. 24 In ELECTRIC DREAMS liebt der PC die Cellistin. In JUMPIN’ JACK FLASH spielt der PC eine Rolle als Zugang zum Internet. Dennoch liegt es in der Hand, dass der PC in den 80er Jahren das Pronomen des Computers war. Die PCs waren Film-Genre übergreifend überall zu sehen, also allgegenwärtig auch in anderen Filmen, obwohl ihre äußerlichen Formen un- scheinbar waren. Dies ist mindestens ein Hinweis auf die alles durchdringende Macht des Kapitals.

I.4.5 Die 90er Jahre Auch die Computerfilme der 90er Jahren hängen immer noch eng mit der realen Entwicklungen der neuen Technologie zusammen. Meiner Meinung nach sind die 90er Jahre in Bezug auf die Computergeschichte insbesondere durch den Prozes- sor-Kampf, das Graphic User Interface (z. B. Windows von Microsoft) und die ra- sche Verbreitung des Internets gekennzeichnet. Dies hat auch Auswirkungen auf die Computerfilme. 1990 veröffentlicht Microsoft Windows 3.0. 1991 beginnt Advanced Micro Devices (AMD) den Prozessor-Kampf mit dem AMD 386. 1993 bringt Intel den ersten Pen- tium-Prozessor auf den Markt. Im selben Jahr veröffentlicht Microsoft Windows NT. 1994 wird ein Virenprogrammierer in England erstmals zu 18 Monaten Gefängnis verurteilt. 1997 stellt Intel den Pentium II vor. Im selben Jahr werden die ersten LCD-Bildschirme für Desktop-PCs vorgestellt. Pioneer kündigt die ersten DVD- Brenner an (Preis: 17000 $). 2000 durchbrechen Intels PIII und AMDs Athlon die 1 GHz-Schranke. Und Windows 2000 und ME kommen auf den Markt.63 Auf dieser Basis der entwickelten Computertechnologie entwickelt sich auch die Computer- grafik-Technik. Daher wird sie in den 90er Jahren erheblich in den Computerfilmen als Gestaltungsmittel verwendet. Dazu gehören z. B. die folgenden Filme: DIE

HARD 2 (USA 1990), TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY (F/USA 1991), DEATH BECO-

MES HER (USA 1992), JURASSIC PARK (USA 1993), FORREST GUMP (USA 1994),

TOY STORY (USA 1995), CASPER (USA 1995), JUMANJI (USA 1995), DRAGONHEART

(USA 1996), TWISTER (USA 1996), TITANIC (USA 1997), ANTS (USA 1998), A BUG’S

LIFE (USA 1998), JUDGE DREDD (USA 1999) und THE MATRIX (USA 1999) usw. Außerdem ist es bemerkenswert, dass das Internet, wie wir es heute kennen, erst in den 90er Jahren seine rasante Verbreitung erlebt, wenn auch die Anfänge

63 Ebd. 25 bereits 1957 mit der Gründung von ARPA (Advanced Research Projects Agency) in den USA begannen. Seit den 90er Jahren nimmt die Zahl der Internet-User rasch zu. Nach Angaben eines Instituts sind ca. 285 139 107 Computer im Juli 2004 an das Internet welweit angeschlossen.64 Mit diesen Entwicklungen von Computer und Internet halten auch die Computer- filme Schritt. Daher wird das Internet oder die Netzwelt in den Filmen der 90er

Jahre häufig thematisiert. SNEAKERS (USA 1992), GHOST IN THE MACHINE (USA

1993), HACKERS (USA 1995), THE NET (USA 1995), und VIRTUOSITY (USA 1995) gehören dazu. Freilich wird auch in diesen Filmen viel mehr der Tauschwert des Computers als sein Gebrauchswert betont. So ist z.B. die Hardware des Compu- ters von weniger Bedeutung als die Software, wie SNEAKERS uns zeigt. In dem Film geht es um einen schwarzen Kasten, der als universaler Codebrecher gilt, mit dem man in alle Computer einbrechen kann. Aber der Schwarzkasten sieht ironischerweise klein und sehr schäbig aus, auch wenn er allmächtig zu sein scheint. Hier wird also die erste Oberfläche des Computers geringer repräsen- tiert, nur die zweite Oberfläche wird ‚mehr als real’ vorgestellt. (Abb. I-8) Außerdem wird auch die Netzwelt oder virtuelle Realität (VR) im Film immer als ‚mehr als real’ repräsentiert. Auch hier wirkt die Warenästhetik, damit die Filme sich wohl verkaufen können. Zum Beispiel zeigt THE MATRIX uns die radikalste Form der VR. Der Film vertritt die Idee, dass die Menschen eigentlich in der VR leben, ohne es zu wissen. Sein Ansatz gilt als eine Kritik gegen diese Netzwelt. Dennoch ist er nicht einfach als die Kritik anzusehen, weil er ohne die neue Technologie, gegen die er Kritik ausüben will, keinen Erfolg hätte haben können. Durch diesen Widerspruch zeigt sich die Macht des Spätkapitalismus, in dem die

Warenästhetik herrscht und deswegen keine Enklave frei von ihr ist, wie THE

MATRIX ironischerweise zeigen wollte.

64 Internet Software Consortium. http://www.isc.org/ds (20.08.2005) 26 II. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DER NEUEN TECHNOLOGIE

Oben habe ich darauf hingewiesen, dass das Verhältnis von Film als Kunst und Computerindustrie als einem ökonomischen Faktor eng miteinander verbunden ist. Mit der Entwicklung der Computertechnologie und der Soft- und Hardware des Computers haben sich auch die filmischen Repräsentationen des Computers stark verändert. Dabei ist deutlich geworden, dass die Oberflächlichkeit mit der Waren- ästhetik zusammenhängt. Aber in diesem Kapitel geht es nicht unmittelbar um dieses Phänomen, sondern um das Verhältnis von Computertechnologie und Filmästhetik. Das heißt, es han- delt sich darum, welches Potenzial die neue Computertechnologie zur Verände- rung der formalen und erzählerischen Ästhetik des Films impliziert. Daher werden hier anhand des Ansatzes von Almuth Hoberg vor allem das Filmbild und Compu- terbild als filmisches Gestaltungsmittel und die Filmtechniken wie Schnitt, Montage, Kamera usw. behandelt.

II.1 Technologie und Oberflächlichkeit

Dieses Kapitel versucht zunächst zu veranschaulichen, wie die im Computerfilm verwendete, neue Technologie mit jener Oberflächlichkeit zu tun hat. Um dieses Verhältnis von Technologie und Oberflächlichkeit zu zeigen, wird untersucht, wel- che Rolle die klassischen Gestaltungsmittel des Films und die neue Computer- technologie als solche in den filmischen Repräsentationen spielen. Fredric Jame- son bietet uns zunächst die Möglichkeit, die neue Technologie mit der Oberfläch- lichkeit zu verknüpfen. Jameson sieht das vierte konstitutive Merkmal der Postmoderne darin, dass die in den Kapiteln zu behandelnden Phänomene fundamental abhängig von einer völlig neuen Technologie sind.65Dabei meint er mit ‚einer völlig neuen Technologie‘ „ma- schinelle Erzeugung der elektronischen und kernenergetischen Geräte“.66 In Be- zug auf die vorliegende Arbeit geht es freilich spezifisch um die Computertechno- logie. Obwohl Jameson ‚die neue Technologie‘ als das vierte Merkmal der Post- moderne einordnet, werde ich sie hier als erste behandeln, weil die in den folgen-

65 Vgl. Jameson (1997), S. 50. 66 Mandel (1973). Zitiert nach Jameson (1995), S. 78. 27 den Kapiteln zu kommenden Phänomene der Oberflächlichkeit von dieser neuen Technologie abhängig sind und diese strukturelle Reihenfoge daher angemesse- ner ist, um jene Phänomene besser zu verstehen. An dieser Stelle ist es nötig, kurz zu erläutern, was Jameson unter dem Begriff der Technologie versteht. Er lehnt in erster Linie die Auffassung ab, dass Technologie „ein bestimmendes Moment ‚in letzter Instanz‘ für unser heutiges gesellschaftli- ches Leben oder unsere Kulturproduktion“67 ist. Denn nach Jameson steht sie für etwas anderes, also für das neue Weltwirtschaftsystem.68 Auch wenn Technologie freilich aus marxistischer Sicht nicht prima causa, son- dern selbst Resultat der Kapitalentwicklung ist, spielt sie eine entscheidende Rolle in unserer Gesellschaft, weil sie sich Jameson zufolge in nicht wiederzuerkennen- der Form zu und gegen uns kehrt und offenbar den massiven antiutopischen Hori- zont unserer kollektiven und individuellen Praxis bildet.69 Für Jameson kann sie daher heute nur im negativen Sinne verwendet werden: „Der Begriff ‚Technolo- gie‘ kann jedoch zusammenfassend für die gewaltige, spezifisch menschliche, wi- der die Natur gerichtete Kraft, für die in unserem Gesellschaftsmechanismus auf- gestaute tote Arbeitskraft verwendet werden […].“70 Dem entsprechend dienen der Kapitalismus und dessen Technologie Jameson zufolge zur Durchdringung und Kolonialisierung der Natur und des Unbewussten:

Man kann in diesem Zusammenhang von einer neuen und historisch einmali- gen Durchdringung und Kolonialisierung der Natur und des Unbewußten spre- chen, die sich sowohl in der Vernichtung der vorkapitalistischen Landwirt- schaft durch die ökologische Umwälzung als auch im Aufstieg der Medien und Werbeindustrie manifestiert.71

In dieser Hinsicht zeigt Almuth Hoberg in ihrem Buch Film und Computer nach- drücklich, dass nicht nur der Körper des Menschen, sondern auch selbst der Be- wusstseinsstrom, das Unbewusste und die Einbildungskraft im Zug der Evolution der filmischen Mittel nachgeahmt und visualisiert werden können, und sogar wie die Computertechnologie und ihre Anwendungen im Film die so genannte ‚innere Natur‘ durchdringen und kolonisieren können. Sie konzentriert sich besonders dar- auf, was diese Mimesis, ihre Objektivierung und Kolonisierung ermöglicht.

67 Jameson (1997), S. 80. 68 Vgl. ebd., S. 50 u. 78 . 69 Vgl. ebd., S. 78. 70 Ebd., S. 71 Ebd., S. 79. 28 Ihrer Untersuchung nach macht die technische Grundlage des Films die Mimesis des Bewusstseinsstroms möglich, in der selbst die ‚innere Natur‘ visualisiert, ver- dinglicht und kolonisiert werden kann. Daher untersucht sie historisch die grundle- gende Technologie des Films und die Filmtechniken. Es geht hier daher vor allem um Filmbild, Computerbild, Schnitt, Montage, Kamera-Führung usw. Durch ihre Untersuchung zeigt sich, dass die Oberflächlichkeit der filmischen Repräsentatio- nen die neuen Technologien voraussetzt. Darüber hinaus muss auf die Tatsache aufmerksam gemacht werden, dass Ho- berg einerseits die Entwicklung der filmischen Mittel von der Fotografie bis zu digi- talen Bildern als die Kolonisierung der inneren Natur beschrieben, und anderer- seits sie als die Immaterialisierung und Virtualisierung, also den Prozess der Abs- traktion aufgefasst hat, der mit dem Ansatz Flussers vergleichbar ist. Denn für Vi- lém Flusser bedeutet die Oberflächlichkeit nichts anderes als diesen Prozess der Abstraktion, obwohl er eher im positiven Sinne gemeint hat. Er charakterisiert die Abstraktheit der neuen Bilder wie folgt:

Es gibt sie [Flächen] für die Augen, und sie ergeben sich für die Augen auf zwei einander entgegengesetzte Weisen: einerseits durch Abstraktion von Körpern, andererseits durch Zusammensetzung von Punkten. Beide Typen von Flächen sehen einander ähnlich. Das Auge kann zwischen ihnen nur schwer unterscheiden. Aber es handelt sich um zwei strukturell und funktionell völlig unterschiedliche Flächen. Für unsere gegenwärtige Lage ist der zweite Typ von Fläche entscheidend.72

Die herkömmlichen Bilder werden nach Flusser aus dem Vorhandenen zusam- mengesetzt, die neuen Bilder aus dem Punkt.

Das eben emportauchende Universum ist völlig abstrakt, es steht als Ganzes in Anführungszeichen, es ist ein leeres Universum. Es ist ein gähnendes Nichts, in welchem nulldimensionale Nichtse schwirren. Alles ist dort Abstra- hiertes, und nichts ist vorhanden. Es kann hier nicht mehr wie in den vorange- gangenen Universen darum gehen, Lücken zu überbrücken, um zum Konkre- ten zurückzuführen, denn das ganze Universum ist selbst eine einzige Lü- cke.73

Im nächsten Schritt geht es daher um die Beschreibung des Abstraktionsspiels der filmischen Gestaltungsmittel auf der einen Seite und um die Beschreibung der Ko- lonisierung der inneren Natur auf der anderen Seite. Es handelt sich also darum,

72 Flusser (1993), S. 47. 73 Ebd., S. 36. 29 wie die filmischen Gestaltungsmittel abstrahiert worden sind und was man unter der Kolonisierung der inneren Natur versteht. Darüber hinaus wird sich hier zeigen, welcher Zusammenhang zwischen der Abstraktion der Technologie bzw. der Ko- lonisierung der inneren Natur und den oben erwähnten Computerfilmen besteht. Damit wird auch die Verbindung hergestellt, die verdeutlicht, wie die Entwicklung der filmischen Gestaltungsmittel mit dem Phänomen der Oberflächlichkeit zusam- menhängt, die in den Computerfilmen zu finden ist.

II.1.1 Filmbild Hoberg unterscheidet zuerst zwischen Filmbild und Computerbild. Aber die Diffe- renzierung zwischen beiden wird im Hinblick auf die „Evolution der filmischen Mit- tel“ 74 durchgeführt. Hoberg sieht also diese Entwicklung nicht als einen Bruch, sondern als Kontinuität an. Das Filmbild enthält die kongenialen Merkmale des Computerbilds, indem beides durch die Immaterialität und die Virtualität gekenn- zeichnet wird. Hier handelt es sich in erster Linie daher um die Immaterialisierung und die Virtualisierung von Filmbild und Computerbild, die letztendlich mit der O- berflächlichkeit der filmischen Repräsentation zu tun haben. Aus diesem Grund werde ich im Laufe der Untersuchung der filmischen Technolo- gie herausarbeiten, wie diese Technologie auf die Computerfilme angewendet wird und wie das Phänomen der Oberflächlichkeit daraus entstanden ist.

II.1.1.1 Fotografie Fotografie bestimmt auch heute die Basis des Filmbildes, außer in Fällen, in de- nen ein Film vollständig durch Computeranimation wie z.B. TOY STORY (USA 1995) hergestellt wird. Das Filmbild basiert eigentlich auf Fotografie. Sie gilt also als die materielle Basis des Filmbildes. Der Zelluloidstreifen ist die grundlegende Materie der Fotografie. Ihr Aufzeichnungsverfahren nutzt die Einwirkung des Lichts. Je nach der Intensität des Lichts verändert sich die Silberverbindung75 des Zelluloids. Dadurch hinterlässt das Licht auf dem Zelluloidstreifen die Spur der Gegenstände draußen, die durch das Objektiv der Kamera aufgenommen und transportiert wer- den. Dieses fotografische Aufzeichnungsverfahren ist also ein optisch- chemisches:

74 Hoberg (1999), S. 12. 75 Vgl. Freier (1992), S. 309-311. 30 Das photographische Filmbild entsteht als Resultat des durch die Blende er- möglichten Lichteinfalls, gebrochen entsprechend optischen Gesetzen durch das Objektiv, in Form einer chemischen Reaktion auf der Beschichtung des Filmstreifens. Das Geheimnis der Photographie ist dabei die Lichtempfindlich- keit bestimmter Silberverbindungen (Silberbromid, Silberjodid und Silberchlo- rid), die, der Lichtempfindlichkeit der Netzhaut im menschlichen Auge ver- gleichbar, unter Einfluß des Lichtes […] reagieren.76

II.1.1.2 Materialität Hierbei betont Hoberg besonders die Materialität der Photographie. Das aufge- nommene Licht muss sich erstens auf dem Filmstreifen als dem physischen Trä- ger materialisieren, der selber zum materiellen Ausgangspunkt von Kopien wird. Zweitens werden die materiellen Oberflächen der Objekte auf dem Filmstreifen re- flektiert.

Photographie und Film sind damit in doppelter Weise an Materielles gebun- den: zum einen an den physischen Träger, in dem sich das aufgenommene Licht materialisiert, und der als originale Vergegenständlichung zum Aus- gangspunkt von Kopien wird, die ihrerseits als Objekte im Raum transportiert und verwaltet werden müssen. Zum anderen reflektieren diese technischen Bilder durch ihr Aufzeichnungsverfahren die materiellen Oberflächen der Er- scheinungen.77

Und dieses technifizierte Abbildungsverfahren beruht vor allem auf Ikonizität, auf Ähnlichkeit mit dem Abgebildeten.78Daher gilt die Fotografie als das Beweismate- rial dessen, was gewesen ist. Barthes zufolge bestätigt das fotografische Bild über die materiale Spur, die das Wirkliche hinterlassen hat, die Authentizität dessen, was gewesen ist, es zeigt einen vergangenen Zustand in „unmittelbarer Prä- senz.“79 Beispielsweise haben wir festgestellt, dass die Computer in den früheren Compu- terfilmen wie DESK SET, THE INVISIBLE BOY und 2001-A SPACE ODYSSEY in Bezug auf ihre äußere Form und ihre Funktion den zeitgenössischen realen Computern entsprochen und daher die dokumentarische Authentizität getragen haben.

76 Rubelt (1994), S.201. 77 Hoberg, S. 12. 78 Vgl. Winkler (1994), S. 300. „Der dritte Problemkomplex, den ich ansprechen möchte, betrifft die referen- zielle Dimension, d.h. den Weltbezug, den die digitalen Bilder und Modelle etablieren. Photographie und Film hatten dieses Problem in einer Art Handstreich gerlöst, indem sie die Ikonizität zu ihrer Grundlage ge- macht und die Ähnlichkeit mit dem Abgebildeten in der Konstruktion der Maschine selbst verbürgt hatten.“ 79 Vgl. Barthes (1985), S. 95. 31

II.1.1.3 Analogie Was die dokumentarische Funktion der frühen Computerfilme ermöglicht, basiert darauf, dass sie hauptsächlich in der Fotografie als dem analogen Medium ver- wurzelt ist. Daher geht es hier kurz um den Begriff der Analogie. Fotografie ist ein analoges Medium, sie beruht auf Analogie, dem Synonym für Ähnlichkeit, Entsprechung oder Gleichartigkeit. Das fotografische Bild beruht also auf Ähnlichkeit mit dem Abgebildeten. Und ‚analog‘ ist im technischen Sinne der Gegenbegriff zu ‚digital‘.80 Bei den analogen Medien geht es um die physikalische bzw. kontinuierliche Transkription der Informationen, während es bei den Digitalen Medien um die in Ziffern dargestellte, diskrete Übertragung der Informationen, die Abstraktion und die Auslassung geht. Bei der analogen Darstellung besteht immer noch die Äqui- valenz zum Abzubildenden, dagegen ist bei der digitalen Darstellung nur die Transformation der Informationen in Zahlencodes möglich.

Analoge Medien bewahren Informationen durch Formen der Transkription, die die Konfiguration eines physischen Materials kontinuierlich in ein entspre- chendes Arrangement eines anderen übertragen. Bestimmte Quantitäten ei- ner Substanz – im Falle des Films das Licht – werden isomorph durch be- stimmte Quantitäten einer anderen abgebildet. […] Die digitale Repräsentation ist dagegen eine diskrete, d.h. in der technischen Sprache stufenförmige, die mit Abstraktion und Auslassungen arbeitet.81

In diesem Sinne hat Susan Sontag die Fotografie mit dem Fußabdruck oder der Totenmaske verglichen. Auch André Bazin begreift sie mit der Metapher von Mu- mien und Reliquien. Dabei handelt es sich also um die mimetische Funktion der Fotografie.82

II.1.1.4 mimetisch/ simulativ Aber als die Computerbilder aufkommen, hält die mimetische Funktion des analo- gen Mediums zurück. Denn das Computerbild ist simulativ. Es simuliert und ges- taltet die Gegenstände, wobei nur die abstakten Informationen behandelt werden, und das Computerbild wird dadurch synthetisiert. Das Computerbild, das durch die Computergrafik hergestellt wird, ist daher ein Bild, das die Gegenstände draußen

80 Vgl. Hoberg (1999), S. 13. 81 Ebd., S. 13f. 82 Vgl. ebd., S. 15. 32 fotorealistisch simuliert und synthetisiert. Beispielsweise wurden Computerfilme wie WESTWORLD, FUTUREWORLD und TRON durch diese Computergrafik hergestellt, die ‚vector graphics‘ oder ‚raster graphics‘ genannt wird.83 „Computerbilder arbeiten nicht mimetisch, sondern simulativ.“84 Sie sind Florian Rötzer zufolge vor allem vom Abbildprozess losgelöst:

Die computeranimierten Bilder sind trotz ihres Realismus nicht mehr dem Film gleich, der die ‚physische Realität‘ und die ‚sichtbare Welt‘ (Kracauer) rettet, sondern ihre Loslösung vom Abbildprozeß macht die wahrnehmbare Realität selbst zur Konstruktion, die auch ganz anders sein könnte.85

Auch in Bezug auf die Fotokamera ist die Analogie zu finden, weil die Kamera dem menschlichen Auge nachgebaut ist. Dabei besteht die Analogie zwischen dem Auge und der Kamera. Das ist „die Analogie zwischen dem Abbildungsvor- gang mit gläsernen Linsen und Silbersalzen in der Kamera zum menschlichen Vorgang mit organischen Linsen und lichtempfindlicher Netzhaut.“86 Jedoch wird diese Analogie durch die Computertechnologie aufgegeben. Denn der Computer ist nicht dem speziellen Sinnesorgan nachgebaut, sondern er leistet eher die un- sichtbare Funktion des menschlichen Gehirns. Er verfügt nicht über materielle Substanzen, sondern über abstrakte Informationen. In dem Sinne überschreitet er „die Möglichkeiten der materiellen Kamera“.87

II.1.1.5 Kinematografie Aber nicht nur die Computerbilder sind von der Materie befreit, sondern auch das Filmbild hat eine simulative Funktion, die von der Materie befreit ist. Es gestaltet und erzeugt die Bewegungsillusion, besonders bei der Wiedergabe der Bewegung. Selbst in den früheren kinematografischen Filmen kann man selbstverständlich viele unzählige Beispiele finden, die die Bewegungsillusion herstellen.

83 Vgl. Rickitt (2000), S. 125f: „The only system that can synthesize realistic looking objects, raster graphics was used for the production of televison commercials by American companies such as Robert Abel und As- sociates as early as 1973. […] In 1973, Gary Demos and John Whitney Jr […] were nominated for an Acad- emy Award for the robot-vision sequences they produced for Westworld (1973). The images showed the heavily pixilated point of view of a robot played by Yul Brynner. Demos and Whitney, who worked for a company called Triple-I, were then asked to produce a computer-generated simulation of Peter Fonda’s head for the film’s sequel, Futureworld (1976). The resulting sequence was one of the first fully computer- generated elements for a feature film. […] While computer-generated imagery was not used for the Star Wars sequel, the opportunity would come instead with the production of Disney’s TRON (1982; 126).“ 84 Ebd., S. 16. 85 Rötzer (1991), S. 12. 86 Hoberg (1999), S. 17. 87 Vgl. ebd., S. 18. 33 Dabei „geht der Film als Weiterentwicklung der Chronophotographie über den Film als Bildträger hinaus: er wird zur Kinematographie, zur Aufzeichnung von Bewe- gung.“88 Der Film erweckt uns den Eindruck der Bewegung durch die Projektion, bei der der Filmstreifen in einem bestimmten Rhythmus taktmäßig - 24 Einzelbil- der in einer Sekunde weiterbewegt wird.89 Die Bewegungsillusion wird vor allem durch die Elektrifizierung der Projektion vervollständigt.

Die zur Herstellung eines realistischen Bewegungseindrucks benötigte Intensi- tät und Gleichmäßigkeit von Licht und rhythmischen Transport wird erst voll- ständig erreicht durch die Elektrifizierung der Projektion. Wie zuvor Chemie und Mechanik trägt schließlich die Nutzung der Elektrizität zur vollständigen Etablierung des neuen Mediums bei.90

Hier muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass vor allem der Film als Be- wegungsbild mit einer Epoche der gesellschaftlichen Umwälzung einhergeht.

Film als Bewegungsbild ist der genuine künstlerische Niederschlag der tief- greifenden Veränderungen der vorindustriellen Produktionsweise und der da- mit einhergehenden Umwälzung von gesellschaftlichen Existenz- und Wahr- nehmungsverhältnissen im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts, das die meisten Innovationen des zwanzigsten in nuce enthält.91

In dieser Hinsicht ist es nicht zufällig, dass einer der ersten Filme das Einlaufen eines Zuges in den Bahnhof zeigt, ein anderer das Herausströmen von Arbeiter- scharen aus einer Fabrik.92 Denn diese Szenen zeigen uns „die zentralen Elemen- te der Industrialisierung“.93 Aber diese ersten Filme als reine Wiedergabe der Bewegung entwickelten sich weiter „vom Zeigen von bewegten Bildern zum Gestalten mit bewegten Bildern“.94 Der Film erhält damit seine eigene filmische Sprache.

Es zeigte sich, dass der Film nicht nur imstande war, einfache Vorgänge, die sich vor dem Objektiv abspielten, festzuhalten, sondern dass er sie auf der Leinwand auf besondere, nur ihm eigene Art wiedergeben konnte. […] Die Kamera, bis dahin ein unbeweglicher Zuschauer, erhielt jetzt gewissermaßen ein Eigenleben.95

88 Ebd. 89 Vgl. ebd., S. 19. 90 Ebd., S. 20. 91 Ebd. 92 Vgl. ebd., S. 21. 93 Ebd. 94 Ebd. 95 Pudowkin (1928) S. 85f. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 21. 34

Durch die Methoden der Kameraführung, Schnitt und Montage geht der Film über das Wiedergabemittel der einfachen Vorgänge hinaus, und bildet nicht nur die Dy- namisierung der Bewegung, sondern auch die vielfachen Perspektiven heraus. Auf diese Thematik werde ich später noch ausführlich eingehen.

II.1.1.6 Der Repräsentant der Moderne Allerdings hält Hoberg den Film angelehnt an Sobchack für ‚den eigentlichen Rep- räsentant(en) der Moderne‘.96 Der Film ist nämlich „ihr künstlerischer Niederschlag, der als genuin neues Medium das historisch Neue des Epochenumbruchs wider- spiegelt“.97 In dieser Hinsicht stimmt ihre Ansicht mit der grundlegenden These von Fredric Jameson überein. Demnach, wie schon erwähnt, gibt es „die Entspre- chungen zwischen den Schwellenzeiten von technologischen Revolutionen inner- halb des Kapitalismus und der jeweils dominierenden kulturellen Logik.“98 Wenn wir uns an diese Periodisierung noch mal erinnern, sieht sie wie folgt aus:

Aufbauend auf Ernest Mandel, der drei solche ‚Quantensprünge‘ in der Ent- wicklung der letzten 150 Jahre herausarbeitet, parallelisiert Jameson die Sta- dien des merkantilen, des Monopol-, und des multinationalen Kapitalismus mit der Periodisierung der Kulturentwicklung in ‚Realismus‘, ‚Moderne‘ und ‚Post- moderne‘. Dieser begrifflichen und historischen Typologie können wiederum auf der Ebene der Bildproduktion die drei Typologien Photographie, Film und elektronische Medien zugeordnet werden.99

In diesem Sinne sind die digitalen Bilder „der konsequente Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen und industriellen Stadiums, das den Übergang von der mecha- nischen zur elektronischen Reproduktion vollzogen hat“.100 Ähnlich Hobergs An- satz, dass die filmische Repräsentation ‚ein ästhetischer Niederschlag des sozia- len Umbruchs‘ ist, hat die vorliegende Arbeit in den vorherigen Kapiteln bisher ge- zeigt, wie sich die filmischen Repräsentationen vor allem in Bezug auf die Compu- terfilme je nach der Entwicklung der Computertechnologie historisch verändert ha- ben.

96 Vgl. Hoberg (1999), S. 22. 97 Ebd., S. 22. 98 Ebd. 99 Ebd. 100 Ebd. 35 In dieser Hinsicht sind die Flüchtigkeit, Virtualität und Immaterialität kennzeich- nend für die elektronische Reproduktion, die digitalen Bilder.101 Nach Hoberg fin- det damit einhergehend eine revolutionäre Umgestaltung des Weltbildes statt. Das heißt, die technischen Bilder eröffnen ‚die dynamische Welt‘, in der Materie sich in Energie auflöst.

Der ‚Sturz der Materie‘ (Gilder) in der neuen Physik eröffnet eine Sicht auf das Universum als „Netz aus Kräften und Feldern, aus umfassenden Quantenver- bindungen und nicht-linearer kreativer Materie“, in dem Substanz sich auflöst in ein subtiles System von Wellen, Teilchen, Energie und Information.102

II.1.1.7 Ein Medium des Übergangs Trotz des grundsätzlichen Unterschiedes der technischen Basis wäre Film Hoberg zufolge „ein Medium des Übergangs“, weil die Filmbilder die Merkmale der digita- len Bilder vorweggenommen haben. Wie McLuhan behauptet, ist Film ‚eine sensa- tionelle Verbindung der alten mechanischen Technik mit der neuen elektrischen

Welt’:

Der Film, mit dem wir die wahre Welt als Filmmeterware aufspulen, um sie dann als Zauberteppich der Phantasie abrollen zu lassen, ist eine sensationel- le Verbindung der alten mechanischen Technik mit der neuen elektrischen Welt. 103

Auch Hoberg begründet den Übergang so:

Indem die digitalen Bilder die Mechanik gänzlich durch Elektronik ersetzen, befreien sie einerseits den Film von seinen materiellen Bindungen und heben sein Projekt in einer neuen Technik der Visualisierung von Bewegung auf. An- dererseits verlieren sie damit das Moment der Erfahrung, das für den Film we- sentlich ist und ohne räumliche, körperliche Bedingtheit der Produktion nicht zu denken ist.104

Zusammenfassend gesagt, ist das Filmbild in der Fotografie verwurzelt, die auf dem materiellen Träger des Zelluloidstreifens die Gegenstände draußen abbildet.

101 Vgl. ebd., S. 22. 102 Ebd., S. 23. 103 McLuhan (1994), S. 431. 104 Hoberg (1999), S. 24. 36 Aber im Gegensatz zu dem statischen Einzelbild wird das kinetische Filmbild be- reits also bei der Wiedergabe der Bewegung vom Abbildprozess befreit. Dabei entwickelt Film seine eigene Sprache, wie man bei den digitalen Bildern beobach- ten kann. Daher ist Film ein Medium des Übergangs. Den Übergang kann man im Vergleich mit dem nächsten Schritt, in dem es um das Computerbild geht, besser erkennen. Darüber hinaus kann im nächsten Schritt besser nachgewiesen werden, wie die Oberflächlichkeit der Computerfilme durch das Computerbild entsteht.

II.1.2 Das Computerbild Obwohl das Filmbild als ein Übergangsmedium angesehen werden kann, muss man sich mit dem Computerbild beschäftigen, um die heutigen Computerfilme zu verstehen. Denn die digitalte Technik hat die Kinowelt revolutioniert.105 Das Com- puterbild beschleunigt nämlich vor allem das Abstraktionsverfahren, das Verfahren der Immaterialisierung des Filmbildes. In den vorherigen Kapiteln haben wir gesehen, dass eben die digitalen, immateria- len Bilder den Hyperraum, der wiederum durch Deflation, Inflation und Conflation definiert werden kann, erzeugt haben. Außerdem hat sich gezeigt, dass die kon- ventionellle Zeitlichkeit durch die neue Technik und die neuen Bilder zusammen- gebrochen ist. Darüber hinaus ist klar geworden, dass selbst die menschlichen Spezial-Affekte durch die entmaterialisierten Bilder des Spezial-Effekts oberfläch- lich repräsentiert werden. Beispielsweise haben wir herausgefunden, dass die Oberfläche der digitalen Bil- der im Film TRON übermäßig betont wurde. In der Liebesszene in THE LAWNMOWER

MAN, in der sich Jobe Smith und seine Freundin in ein metallenes Insekt verwan- deln, konnte man beobachten, wie der Affekt durch die digitalen Bilder visualisiert und verdinglicht werden kann und wie die Differenzierung von Subjekt und Objekt sinnlos wird. Diese Aspekte haben wir schon in den früheren Kapiteln im Einzel- nen behandelt. Hier muss die Tatsache noch mal betont werden, dass all diese thematischen und bildlichen Darstellungen stark von den neuen Digitalbildern herausgelöst und po- tenziert wurden. In dieser Hinsicht geht es hier darum, was das Computerbild ist.

105 Vgl. Giesen (2000), o.S. 37 Nach Hoberg ist der Begriff ‚Computerbild‘ eigentlich eine Verkürzung, die sich sowohl auf der kulturwissenschaftlichen als auch der publizistischen Ebene etab- liert hat. Dabei beinhaltet das Computerbild zwei verschiedene Richtungen der computergestützten Bildherstellung: „zum einen die digitale Bildverarbeitung und zum anderen die Computergrafik und -animation“.106

II.1.2.1 Die digitale Bildverarbeitung Die digitale Bildverarbeitung, oder „digital image processing“, benutzt die Bilder, die auf analogen Aufzeichnungsverfahren beruhen, und wandelt sie in binäre Da- ten um. Die vorliegenden Bilder werden also digitalisiert. Aber bei der Computer- grafik und -animation wird ein entgegengesetzter Prozeß benötigt. Sie stellt die Bilder aus den zuvor eingegebenen mathematischen Daten her.107 Um diese digitalen Daten dem menschlichen Auge als Bild erscheinen zu lassen, benötigen beide Verfahren die Geräte, die bei der Computergrafik die Daten als die Bilderfolge erscheinen lassen können und bei der digitalen Bildverarbeitung die Bildvorlage in Daten verwandeln können. Bei der Computergraphik und - animation werden zum Beispiel die Geräte wie einen Digital-Analog-Wandler oder den Bildschirm am Computer verwendet, während man bei dem digital image pro- cessing auf ein Gerät wie ein Film-Scanner angewiesen ist. Also geht es um das Ausgabe- und Eingabegerät.

II.1.2.2 Der Begriff ‚digital’ Der Begriff ‚digital‘ ist vom lateinischen ‚digitus= Finger, Ziffer‘ abgeleitet. Die digi- tale Darstellung bedeutet eine Transformation von Informationen wie Bilder, Töne, Texte und Zeichen usw. in Zahlencodes. Und diese Zahlencodes enthalten die bi- nären Zahlenwerte, die aus den Ziffern 0 und 1 bestehen. Die elektronischen Schaltkreise des Digitalcomputers basieren auf zwei physikalischen Zuständen, „Strom vorhanden oder kein Strom vorhanden“, die eben durch die Ziffern 0 und 1 symbolisiert werden können.108 Wie vorhin gesagt, beruht das analoge Bild grundsätzlich auf der Fotografie, in der die Helligkeit und die Intensität des Lichts eine Rolle spielen. Der Begriff ‚analog‘ weist in diesem Zusammenhang auf das ‚kontinuierlich‘ arbeitende Verfahren der Silbersalzphotographie hin.109 Dagegen beruht das Digitalbild auf 106 Ebd., S. 25. 107 Vgl. ebd. 108 Vgl. ebd., S. 26. 38 der Silbersalzphotographie hin.109 Dagegen beruht das Digitalbild auf dem diskret arbeitenden Verfahren des Computers. Hoberg erklärt noch mal ausführlich, was man unter dem Begriff ‚diskret‘ versteht:

‚Diskret‘ bedeutet in der technischen Sprache ‚genau unterscheidbar‘, ‚stufen- förmig‘, d.h. nicht stetig veränderlich: eine Rampe hinunterrollen wäre eine kontinuierliche Bewegung, Treppenstufen hinabsteigen dagegen eine Folge von diskreten Schritten. Die letzteren sind zählbar, die kontinuierliche Bewe- gung dagegen nicht, sie stellt eine quasi unendliche Menge von möglichen Schnittpunkten dar. Ein Computer kann nur mit diskreten Zuständen umgehen, er kennt keine Zwischenstufen oder gleitenden Übergänge.110

Aber daher und dennoch ist die Abstraktion durch die Auslassungen zwischen den Stufen unvermeidlich, obwohl das letzte Ergebnis-Bild wie absolut realistisch oder fotorealistisch wirkt.

Die Digitaltechnik kann gleitende, kontinuierliche Übergänge, z.B. den fein ge- stuften Übergang von grau zu weiß, nur in Form von Sprüngen darstellen, wo- bei die Intervalle so minimal sind, dass sie in der Regel unterhalb der Wahr- nehmungsschwelle bleiben. Festzuhalten ist, dass auch das absolut authen- tisch, photorealistisch wirkende Computerbild mit der Abstraktion dieser Aus- lassungen arbeitet.111

Bei TRON zum Beispiel war der fotorealistische Effekt jenoch nicht erreicht. Daher hat die Betonung der Oberfläche in TRON auf verschiedene Weise eher die Ober- flächlichkeit erregt, wie ich es untersucht habe. Erst bei JURASSIC PARK konnte man den fotorealistischen Eindruck erleben.

II.1.2.3 Die Manipulation der einzelnen Bildpunkte Die neue Möglichkeit des Digitalbildes besteht insbesondere darin, dass selbst der einzelne Bildpunkt manipuliert werden kann, für den sich inzwischen die Bezeich- nung ‚Pixel’ etabliert hat. Sie ist „eine Bildung aus ‚Picture‘ und ‚Element‘“112 und ein Pixel besteht aus mehr als einem Bit. Während ein Bit ein Atomteil der Infor- mation ist, Negroponte zufolge, ist ein Pixel das Molekül der Grafik.113 Reetze zu-

109 Vgl. ebd. 110 Ebd., S. 27. 111 Ebd. 112 Ebd., S. 28. 113 Vgl. ebd. 39 folge werden mindestens 700.000 Bildpunkte zum Beispiel für ein hinreichend fein aufgelöstes Filmbild benötigt.114 Dabei wird schon eine enorme Steigerung der Handhabbarkeit der Digitalbilder im Vergleich zu den analogen Bildern erwartet. Man kann nun ein solches Bild mit dem Begriff der Abbildung nicht mehr begreifen, wie Hoberg sagt: „Ein solches Bild hat mit dem Begriff der Abbildung nicht mehr viel gemein: es ist ein Mosaik von frei veränderlichen Teilchen, die nicht mehr materiellen Gesetzen folgen, son- dern mathematischen.“115 Ein hervorragendes Beispiel der manipulierten Bilder kann man vor allem im Film

FORREST GUMP beobachten. Der Protagonist nimmt an verschiedenen historischen Ereignissen der USA teil. Dabei werden die dokumentarischen Bilder durch die Digitaltechnologie manipuliert und mit der filmischen Figur verknüpft. Im Film trifft Tom Hanks die ehemaligen amerikanischen Präsidenten Kennedy, Johnson und Nixon und Prominente wie Elvis Presley oder John Lennon. Ohne das nahtlose, mathematische ‚digital compositing‘116 wären diese Szene unmöglich gewesen. In diesem Zusammenhang werden wir in Kapitel IV -5 -5.3 sehen, was dieser Ef- fekt der manipulierten Vergangenheit mit sich bringt. Dabei geht es darum, dass wirkliche Geschichte verschwindet, indem die Zeit verräumlicht wird und die tradi- tionelle Temporalität zusammenbricht.

II.1.2.4 Entmaterialisierung/ Virtualisierung Diese Manipulation der Vergangenheit wird durch die Digitaltechnologie nunmehr vereinfacht und beschleunigt, indem das Bild entmaterialisiert und virtualisiert wird. Aber die Virtualisierung und Entmaterialisierung finden nicht nur auf der optischen Ebene, sondern auch auf der Ebene der Speicherung statt. Die Speicherung von Informationen heißt in einem digitalen Medium die Speicherung der Zeichen von Zahlen statt Spuren der Ereignisse.117 Und diese Speicherung der Daten arbeitet „verlustfrei“ 118 im materiellen Sinne. Dagegen findet bei den analogen Medien

114 Vgl. ebd. 115 Ebd. 116 Vgl. Rickitt (2000), S. 308: “Composite Any image that is made up from a combination of two or more elements filmed at different times or places. Compositing, the actual process of combining these various im- ages, can be done in-camera, in an optical printer, or now more frequently using a computer.” 117 Vgl. Hoberg (1999), S. 29. 118 Ebd. 40 beim Kopieren ein materieller Verlust statt, wenn auch ein winziger. Es ist „eine Art Abrieb, der bei jedem Kopiervorgang stattfindet“.119 Um das eigentlich Neue des Computerbildes zu beschreiben, muss man noch mal auf die Manipulationsmöglichkeiten der Einzelbildpunkte zurückgreifen. Und was dabei wichtig ist, ist die Tatsache, dass diese Operation nicht materiell, sondern numerisch ausgeführt wird. Wimmer vergleicht sogar diese digitale Operation mit der Manipulation der genetischen Informationen.120 Denn diese numerische Ope- ration des Einzelbildpunktes ermöglicht Hoberg zufolge seine spurlose Verände- rung, also „Um- und Neukonstruktion in jeder gewünschten Weise“.121

II.1.2.5 Das Morphing122 Dies wäre für die Befürworter der Computertechnologie „ein Hinweis auf die durch den Computer möglich gewordene Freisetzung von schrankenloser Kreativität bei der Gestaltung neuer Bildwelten“.123 Aber im Gegenteil wird der Authentizitätsan- spruch des digitalen Bildes immer mehr in Frage gestellt im Vergleich zu fotografi- schen Bildern, die immer noch „die nachrichtliche Beweiskraft von Bildern“ besa- ßen.124 Das Morphing als eins der Spezial-Effekte hat beispielsweise die Aufgabe, durch unmerkliche Manipulation des digitalisierten Bildes zum einen den realistischen Eindruck, zum anderen den fantastischen Effekt für den Spielfilm zu erzeugen. Das Morphing realisiert sozusagen im Spielfilm die Metamorphose von Körpern und Objekten.125

Das Morphing (von griechisch morphe = Form), das die stufenlose Umwand- lung von Bildern ineinander bewirkt, erscheint als visueller Ausdruck der digi- talen Metamorphose von Stofflichen in Unstoffliches: Körpergrenzen lösen sich auf, tauchen ein in einen Wirbel von Verwandlungen, der vom Auge kaum nachvollziehbar ist.126

Ein hervorragendes Beispiel des Morphings ist in TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY (1991) zu sehen. Der tödliche Flüssigmetall-Cyborg T-1000 ist durch das

119 Ebd. 120 Vgl. ebd. 121 Ebd., S. 30. 122 „Morphing nannte man das Verfahren, das beim Publikum allseits gut ankam: die stufenlose Verwandlung eines Objektes oder eines Wesens in ein vorgegebenes anderes.“ Giesen/ Meglin (2000), S. 34. 123 Hoberg (1999), S. 30. 124 Ebd., S. 31. 125 Vgl. ebd., S. 32. 126 Ebd. 41 Morphing so dargestellt, dass er sich beliebig in alle Objekte verwandeln kann. Rolf Giesen beschreibt diese Verwandlungsszene so:

Die schier unaufhaltsame Figur, die Terminator Arnold Schwarzenegger durch den Film hetzt, wandert durch Gitterstäbe wie ein Stück weich gewordene But- ter, schält sich gummiartig aus dem gekachelten Fliesenmuster des Bodens und lässt die ihm beigebrachten Einschusslöcher, gleich welchen Kalibers, einfach „zufließen“.127

Diese Szene kann im Hinblick auf die Phänomene der Oberflächlichkeit gedeutet werden, wie wir in den folgenden Kapiteln sehen werden. Einerseits weist sie auf das Kapitel IV-4 ‚Die Krise der persönlichen Identität‘ hin, andererseits auf das Kapitel V-2 ‚Computer als das Andere im Film‘ (siehe nähere Analyse in den Kapi- teln). Aber in dieser Hinsicht bleibt immer noch die Frage offen, ob dieser Spezial-Effekt eine andere kreative Möglichkeit als „die verblüffenden Wirkungen“ 128 anbieten kann. Denn bei seiner wiederholten Anwendung wird sein Gebrauchswert abge- nutzt, wie Hoberg behauptet:

Ob sich allerdings dafür ein künstlerischer oder auch nur publikumswirksamer Gebrauchswert ergibt, der über die verblüffenden Wirkungen von Filmen wie Terminator 2 oder The Mask hinausgeht, bleibt vorerst dahingestellt. Spekta- kuläre Schauwerte haben die Tendenz, sich bei wiederholter Anwendung ab- zunutzen und ins Bedeutungslose abdiskontiert zu werden.129

II.1.2.6 Computergrafik Die genannten Merkmale des Computerbildes werden grundsätzlich durch die Computergrafik und Computeranimation erzeugt. Aber sie haben auch ihre Gren- ze. In den nächsten beiden Schritten geht es daher um eine kurze Bestimmung der Computergrafik und Computeranimation und um einen Hinweis auf ihre Mög- lichkeiten und Grenzen. Die Computergrafik kann als „Methode und Technik zur Konvertierung von Daten in und aus graphischer Darstellung mit Hilfe von elektronischen Rechenanla- gen“130 definiert werden. Ihr Ziel besteht in erster Linie darin, die dreidimensiona- len Objekte auf der zweidimensionalen Bildfläche als möglichst plastisch und rea-

127 Giesen/ Meglin (2000), S. 34. 128 Hoberg (1999), S. 33. 129 Ebd. 130 Ebd., S. 34. 42 listisch wirkende Bilder erscheinen zu lassen. Darüber hinaus ist es vor allem be- merkenswert, dass das künstliche Auge, das in der Computergrafik das menschli- che Auge ersetzt und den Fluchtpunkt der Zentralperspektive einnimmt, die dem natürlichen und materiellen Auge unmöglichen Positionen einnehmen kann. Dies ermöglicht also schließlich die schwindelerregende, faszinierende Wirkung der Computeranimation. Außerdem gibt es das Verfahren des ‚Modellierens‘ zur Erzeugung der syntheti- schen Bilder, das „das Verwenden von Beleuchtungseffekten und Schattierun- gen“131 bedeutet. Aber all diese Verfahren arbeiten mathematisch, sind also von der materiellen Gebundenheit befreit. Aber diese synthetischen Bilder sehen nicht immer perfekt realistisch aus. Vor al- lem bei der Darstellung des Lebendigen haben sie ihre Grenze: „Noch sind die Verfahren der image synthesis für den Spielfilm aufwendig und teuer, und noch finden sie ihre Grenze in der Darstellung des Lebendigen, zumal des menschli- chen Gesichts und Körpers.“132

II.1.2.7 Computeranimation Vor allem um die Bewegung des Lebendigen realistisch darzustellen, beansprucht der Computer eine größere Rechnerleistung. Zum Beispiel schwingt, laut Hoberg

die Oberfläche belebter Gestalten […] bei jeder Bewegung in einem charakte- ristischen Eigenrhythmus mit, so z.B. die einzelnen Haare im Fell eines Tieres, die menschliche Haut in Form einer spezifischen Getöntheit bzw. Tonus, vom differenzierten Mienenspiel einmal abgesehen, selbst die Simulation des Fal- tenwurfs von Kleidung in Bewegung stellt die Rechnerleistung immer noch vor erhebliche Probleme.133

Durch die Computergraphik und -animation wird die Bewegung in diesem Sinne „zum Abstraktum, das beliebig abrufbar und synthetisierbar ist“.134 Sie stellt den Prozess der Entmaterialisierung von materiellen Substanzen in Informationen dar.

Zusammenfassend gesagt, wird das Computerbild mit Hilfe der vorgegebenen a- nalogen Bilder oder aus den binären Daten hergestellt. Daraus entstehen die syn- thetischen Bilder aus den binären Ziffern. Und die neue Möglichkeit der digitalen

131 Ebd., S. 36. 132 Ebd., S. 37. 133 Ebd., S. 39. 134 Ebd. 43 Bilder besteht darin, dass selbst die einzelnen Bildpunkte manipuliert werden kön- nen. Daher kann man nun ein digitales Bild nicht einfach mit dem Begriff der Ab- bildung begreifen. Die digitalen Bilder folgen dem mathematischen Gesetz, nicht dem materiellen Gesetz wie bei den analogen Bildern. Daher werden sie in ihrer Speicherung in Zeichen von Zahlen entmaterialisiert. Dadurch entsteht die Mög- lichkeit der numerischen Manipulation statt der materiellen Manipulation. Dies führt zur Möglichkeit der spurlosen Veränderung eines digitalen Bildes. Dies stellt ei- nerseits die Freisetzung schrankenloser Kreativität dar, andererseits wird der Au- thentizitätsanspruch dadurch in Frage gestellt. Darüber hinaus nimmt, wie bereits erwähnt, das künstliche Auge des Computers dem natürlichen und materiellen Auge unmögliche Positionen ein und erzeugt so eine sowohl schwindelerregende als auch faszinierende Wirkung. Und durch die Computeranimation simuliert das Computerbild selbst die Bewegung. Die simulier- te Bewegung transzendiert die natürliche Bedingungen der Schwerkraft oder der Beschleunigung. Das Computerbild stellt also die Immaterialisierung und die Vir- tualisierung der Materie und Mechanik des herkömmlichen Filmbildes dar.

Wie bei den Beispielen FOREST GUMP und TERMINATOR 2 verfügt das Computerbild über große Möglichkeiten der spurlosen Manipulation, weil es nicht dem materiel- len Gesetz, sondern dem mathematischen folgt, also weil es immateriellen und vir- tuellen Charakter hat. Das Computerbild weist vor allem auf das ‚diskret‘ arbeitende Verfahren des Computers hin, während das Filmbild auf dem ‚kontinuierlich‘ arbeitenden Verfah- ren der Photographie beruht. ‚Diskret‘ bedeutet, wie oben ausgeführt, ‚genau un- terscheidbar‘, ‚stufenförmig‘, d.h. nicht stetig veränderlich. In dieser Hinsicht ist die Abstraktion mit der Auslassung zwischen den Stufen unvermeidlich, obwohl die digitale Darstellung perfekt realistisch erscheint. Besonders bei der Darstellung des Lebendigen und des Körpers findet die Abstraktion unvermeidlich statt. Vor al- lem bei einem frühen Computerfilm wie TRON ist es nicht schwer festzuhalten, dass das Computerbild wegen des ‚diskret‘ arbeitenden Verfahrens nicht realis- tisch erscheint. Wie gesagt, kann es wegen dieser Charaktereigenschaften des Computerbildes zur Oberflächlichkeit der Zeit, des Raums und des Affekts zu führen, wie sie bei der Analyse der Computerfilme in den folgenden Kapiteln zu sehen sind.

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II.2 Kamera, Montage und Computer und Mimesis des Bewusst- seinsstroms

Im folgenden Schritt kann man wiederholt den Kern der oben durchgeführten Un- tersuchungen finden. Hier werden aber die einzelnen filmischen Gestaltungsmittel noch ausführlicher behandelt. Es geht um Kamera, Montage und den Computer, der Kamera und Montage immaterialisiert und virtualisiert. Aber die Immaterialisierung und die Virtualisierung des Bildes und der Mechanik finden selbstverständlich nicht nur im Computerbild statt, sondern sie fanden be- reits auch in den herkömmlichen filmischen Gestaltungsmittel statt. Das Compu- terbild stellt nur ihre radikalisierte Form dar. Der Computer ist daher als eine weite- re Entwicklung der Filmkamera anzusehen. Die Oberflächlichkeit des Raums, der Zeit, des Affekts hat sich durch diese Imma- terialisierung und Virtualisierung von Filmbild sowie Computerbild ergeben, wie wir in den vorherigen Untersuchungen gesehen haben. In dieser Hinsicht ist es loh- nenswert, dass man hier noch mal konkreter die technische Grundlage der Com- puterfilme untersucht. Daher geht es zunächst um die Unterscheidung zwischen Filmbild und Computerbild und gleichzeitig um die Parallelen in den Charakteren der beiden. Trotz der vielen Sukzessionen besteht der entscheidende Unterschied zwischen beiden insbesondere in der gesteigerten Beschleunigung all dieser Prozesse der Immaterialisierung und Virtualisierung. Und darin bestehen die Faszination und gleichzeitig die Gefahr der neuen elektronischen Bilder. Das Computerbild ermög- licht in beschleunigter Geschwindigkeit die Nachahmung der inneren Natur, also der Assoziationsprozesse oder des Bewusstseinsstroms. Die Faszination liegt da- her darin, dass es die Kreativität erhöht. Dagegen besteht die Gefahr darin, dass die innere Natur kolonisiert werden kann. Aber was hat all das mit der Oberflächlichkeit zu tun? In Bezug auf diese Frage werden hier Kamera und Montage als die klassischen Gestaltungsmittel und Computer als das neue ausführlich behandelt. Aber ich werde hier nur auf die in folgenden Kapiteln durchzuführenden Untersuchungen hinweisen.

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II.2.1 Kamera Die Kamera ist nicht bloß ein Medium der Wiedergabe, sondern sie besitzt schöp- ferische Möglichkeiten durch den Wechsel der Einstellungsgröße, der Perspektive und der Kamerabewegung. Der Kamerablick wird mit dem Auge des Betrachters identifiziert. Auch die Kame- rabewegung wird mit der handelnden Person in dem Raum des Films, also in der imaginären Welt, identifiziert. Damit ist die Kamera zuerst bloß als die Mimesis der menschlichen Sinnesorgane anzusehen. Doch darin besteht die Möglichkeit, eine neue Welt zu schaffen. Kamera ist keine Prothese menschlicher Sinnesorgane, sie entwickelt diese.

Ein Beispiel für die schöpferische Möglichkeit der Kamera kann man in 2001 - A

SPACE ODYSSEY finden. Die Szene, in der eine Stewardess das Serviertablett trägt und in die Pilotenkabine eintritt, ermöglicht uns den unerhörten Effekt des neuen Raums zu erfahren. Sie kann mit den Klettverschluss-Schuhen, die sie auf dem Kopf stehen lassen können, am Eingang zur Pilotenkabine laufen. Diese Szene zeigt uns am effektivsten die Bewegung in der Schwerelosigkeit. (Abb. II-1) Um diese Szene zu filmen, spielte die Bewegung der Kamera eine entscheidende Rolle. Sie wurde wie folgt hergestellt:

How it was done: Room in foreground turned – the actress walked a treadmill in separate room in background. Camera was locked to front of set, which rotated 180 degrees. Entire set rotated. Stewardess stayed at bottom, giving appearance of walking on wall.135

Was dabei bemerkenswert ist, ist die Tatsache, dass die Figur fast unbeweglich geblieben war und nur die Kamera, die an den Kulissen montiert war, sich bewegt hat. Das heißt, die Bewegung der Kamera hat den neuen Raum und die neue Welt geschaffen. Die Funktion wird duch das Computerbild erweitert und trägt zur Her- stellung des synthetischen Raums, der Zeit, des Affekts bei, die wir bis jetzt beo- bachtet haben.

135 Agel (1970), S.101. 46

II.2.1.1 Das Sichtbarmachen des Unsichtbaren Die Kamera verfügt vor allem über eine dem menschlichen Auge verschlossene Funktion, sie macht nämlich eigentlich Unsichtbares oder Unerreichbares sichtbar. Mittel wie Zeitlupe oder Zeitraffer, die Aufnahme des Mikro- und Makrokosmos, oder die dem natürlichen Blick unmöglichen Perspektiven oder Bewegungen, sie ermöglichen das neue Bild der Welt.136 Aber gleichzeitig wird diese visualisierte neue Welt durch ihre allgegenwärtige Reproduktion zur zweiten Natur. Dies gilt vor allem für die computergenerierten Bilder.

Mit den Bildsynthesen der Computer erscheinen neue Ansichten der Welt, au- genlos erzeugt für das menschliche Auge, die ihrerseits durch universelle Re- produktion und Verbreitung zur optischen Umwelt, zur Sehgewohnheit werden und damit zu einem wesentlichen Element der zweiten Natur.137

Hier kehren wir zurück auf die Analogie zwischen Kamera und Auge. Die Kamera und das Auge haben die gemeinsamen Merkmale im Hinblick auf die Analogie. Die Linse des menschlichen Auges wird mit dem Objektiv der Kamera verglichen und die Netzhaut mit dem Filmmaterial. Aber streng genommen, gibt es große Un- terschiede zwischen beiden. Hoberg beschreibt diese Unterschiede so: „Die Linse des menschlichen Auges ist flexibel und ändert unwillkürlich ihre Form beim Wechsel der Blickrichtung, photographische Linse können hingegen nur die Seh- aufgaben erfüllen, für die sie konstruiert sind.“138

II.2.1.2 Zweidimensional/ dreidimensional Hingegen schafft die Kamera Eindrücke, die dem menschlichen Auge unzugäng- lich sind. Dies wäre ein Zeichen sowohl der Möglichkeit der Kamera als auch ihrer Grenze. Obwohl die Kamera den dreidimensionalen Eindruck herzustellen ver- sucht, kann sie nur wesentlich als ein zweidimensionales Medium blei- ben.139„Filmbilder wirken jedoch“, wie Hoberg erklärt, „zugleich flächig und räum- lich und sind damit grundsätzlich verschieden vom ‚Wirklichkeitssehbild‘“.140 Nur das menschliche Sehen korrigiert das Flächenbild und verwandelt es im Gehirn

136 Vgl. Hoberg (1999), S. 42. 137 Ebd. 138 Ebd., S. 43. 139 Vgl. ebd. 140 Ebd. 47 zum dreidimensionalen Bild: „Dieses Flächenbild wird jedoch durch das beidäugi- ge, stereoskopische Sehen vom Gehirn zum Raumbild ergänzt [….]“141 Aber vor Gewöhnung an diesem Prozess der Ergänzung erlebt man die schwindelerregen- den und sprunghaften Eindrücke, „bis sie [solche das Verhältnis von Auge und Körper irritierende Eindrücke] einen neuen kulturellen Standard des Sehens aus- bilden, der als natürlich wahrgenommen wird“.142 Kaum wird das neue Phänomen durch die Computerbilder standardisiert, ist das schwindelerregende Gefühl noch heftiger geworden. Der dreidimensionale Ein- druck, der ‚Abbildschein‘ 143 oder „die Suggestion einer Realitätswahrneh- mung,“144wie Hickethier sie nennt, wird durch die Gewöhnung an die Zentralper- spektive produziert:

Diese Suggestion ist wesentlich über die zentralperspektivische Abbildung vermittelt, in der ein quasi körperlicher Standort der Wahrnehmung enthalten ist, den der Filmbetrachter identifikatorisch einnehmen kann.145

II.2.1.3 Zentralperspektive Aber die Computerbilder stellen nun die Zentralperspektive in Frage, weil dabei „jeder beliebige Standpunkt eingenommen werden und der point of view in einer gegebenen Szene durch einfachen Befehl geändert werden kann“.146 Außerdem führt dies zu den Möglichkeiten der Verformung und Schrumpfung der Räume, die wiederum Schwindel erregen können:

Teile des Raums können wachsen, schrumpfen oder sich verformen, und die beweglichen bis dispersen Fluchtpunkte ziehen den Betrachter in einen Wirbel der Perspektiven hinein, der als Aktualisierung und Dynamisierung des Schwindels empfunden wird.147

Diese Zustände hat freilich durch Kubismus und Expressionismus auch die mo- derne Malerei erreicht. Und der Film hat sie sich durch Montage und Schnitt, oder durch die Bewegung der Kamera, Wechsel des Objektivs usw. entwickelt. Aber das Neue des Computerbildes liegt darin, dass man damit selbst innerhalb des

141 Ebd. 142 Ebd., S. 44. 143 Vgl. ebd. 144 Hickethier (1993), S. 56f. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 44. 145 Hoberg (1999), S. 44. 146 Ebd. 147 Ebd., S. 45 48 einzelnen Bildes insbesondere durch die Zifferncode, oder nur durch den mathe- matischen Eingriff die Veränderung des Bildes durchführen kann.

Das Neue des computergenerierten Bildes liegt demgegenüber unter anderem in der Möglichkeit, Veränderungen wie Perspektiv- oder Lichtwechsel dem ein- zelnen Bild zu induzieren oder abzuziehen. So können z.B. die Algorithmen zur Konstruktion linear-perspektivischer Ansichten mathematisch in alternative Formen übertragen werden und umgekehrt. Durch einfachen Aufruf einer Funktion innerhalb eines solchen Graphik-Software-Paketes ist es etwa mög- lich, ‚eine übliche perspektivische Szene in ein Fisch-Auge-Bild zu verwandeln oder in ein sphärisch- oder zylinderisch-perspektivisches Bild.‘ (Veltman 1995: 29, 30).148

Ein Beispiel dafür kann man bei THE LAWNMOWER MAN finden. Dabei ist die Se- quenz schwindelerregend, in der die in der virtuellen Welt sich begegnenden beide Figuren sich in ein Metall-Insekt verwandeln. Der perspektivische Raum schwindet dabei und wird in den soghaften Raum transformiert. Dieser Raum hat keine Ent- sprechungen in der realen Welt, er wird daher nur zum simulierten Raum, den man Hyperraum nennen kann, den ich in Kapitel IIl ‚Die Oberflächlichkeit des Raums: Hyperraum’ ausführlich behandeln werde.

II.2.1.4 Virtuelle Kamera/ innere Montage Dieser Effekt des simulierten Hyperraums wird durch die Immaterialisierung der Kamera beschleunigt und potenziert. Die neuen Bilder werden nämlich durch das Simulieren der Kamera mit Hilfe des Rechenprogramms ermöglicht. Damit verliert die Kamera ihre physische Form, dagegen gewinnt sie immaterielle Präsenz, die die verwirrend wirkende, virtuelle Welt schaffen kann: „Eine Hauptrolle der ange- sprochenen schwindelerregenden Wirkung der neuen technischen Bilder liegt in dieser ‚disembodied viewing presence‘149 […] in virtuellen Welten mit ihren verwir- renden Raumeindrücken.“150 Und diese Virtualisierung der Filmbilder wird durch die Bewegung der Kamera potenziert. Die Bewegung im Film wird durch die Bewegung der Personen und der Gegens- tände vor der Kamera, durch die Bewegung der Kamera und durch Montage und

148 Ebd. 149 „Computed perspectives can displace us further. They can take us beyond the boundaries of the real world and insert our disembodied viewing presences into modelled fictional worlds – three-dimensional worlds that once were, might have been, will be, or are projected forward by designers, imagined by film directors, sought by visionaries, proffered by dissimulators. In hyper-Cartesian fashion, our perceiving faculties are pried apart from our corporeal existence and sent to places where our bodies cannot follow.“ Mitchell (1992), S. 134. 150 Hoberg (1999), S. 46. 49 Schnitt ausgelöst. Darüber hinaus erfährt die Bewegung im Film durch die neuen technischen, also digitalen Bilder eine Steigerung. Damit bekommt die Bewegung die Möglichkeit, immaterialisiert zu werden, also „von den materiellen Beschrän- kungen der Bewegung von realen Körpern im Raum“ 151 gelöst zu werden. Dies führt übrigens dazu, „die Gesetze der Realität bei ihrer Wiedergabe außer Kraft zu setzen, mit ihnen zu spielen, sie zu verändern und neue Zusammenhänge zu schaffen“.152 Und diese Tendenz hat schließlich die Virtualisierung der Kamera und die Entwicklung bis hin zur inneren Montage zur Folge, die als Manipulation des einzelnen Bildpunktes gilt.153 Durch die Immaterialisierung der Produktion von Bewegungsillusionen, also die Computerbilder ist das Projekt des Films vollendet, in dem Sinne, wie es einst Ri- ciotto Canudo beschrieben hat: „Aufgabe des Films sei es, das ‚Immaterielle zu repräsentieren‘ (Canudo 1927, zitiert nach Kurowski 1973: 53)“154

Dieses Immaterielle kann verstanden werden als die innere Ansicht von der Welt, der Bewusstseinsstrom, die Imaginationsfähigkeit, die keinen materiellen Beschränkungen unterliegt.155

Die Kameratechnik hält selber mit der Immaterialisierung der Kamera-Bewegung Schritt. Die Kamera wird immer kleiner und beweglicher, um „ihre Bewegung im- mer besser steuern und kontrollieren zu können“.156 Die Kamera in den ersten Tonfilmjahren war Hoberg zufolge Beschränkungen der Bewegungsfreiheit wegen der schwierigen Tonaufnahmen unterworfen worden. Aber an Stelle der bis dahin dominierenden ‚Mitchell-Kolosse‘ tritt die Arriflex, eine 35-mm-Kamera. Diese Ka- mera konnte eine neue räumliche Freiheit zulassen. Die Arriflex war leicht tragbar und ermöglichte die Lösung von der Studioaufnahme.157 Zu Beginn der siebziger Jahre wurde dann das Steadicam-System entwickelt. Die Steadicam war durch die Verlagerung ihres Gewichts auf die Hüften des Kameramanns und durch die Sta- bilität der Kamera-Bewegung mittels des abgefederten Stativarms gekennzeichnet.

151 Ebd. 152 Ebd., S. 47. 153 Ebd. 154 Ebd. 155 Ebd. 156 Ebd. 157 Vgl. ebd. 50 Ihre Entwicklung tendiert dahin, die Mimesis der Bewegung des menschlichen Blicks, Kopfes und Körpers zu vervollkommnen.158 Darüber hinaus gibt es eine andere Tendenz, in der die Kamera vom Kamera- mann gelöst wird und damit ‚meta-physische‘ Fahrten einnimmt.159 In dieser Hin- sicht gab es in den zwanziger Jahren viele Experimente: Abel Gance hat bei den

Dreharbeiten zu NAPOLEON die Kamera auf dem Sattel eines Pferdes befestigt o- der Miniaturkameras in Fußbälle eingebaut. Auch Murnau, Ruttmann und Vertov haben verschiedene Experimente durchgeführt, die ‚entfesselte Kamera‘ genannt wurden.160 Und mit dem Louma161(Abb. II-2) war die Kontrolle der Kamera-Bewegung mit Hil- fe des Servomotors noch präziser und feiner geworden. Dazu wurde eine leichte Kamera auf einem Kran installiert, der Kameramann konnte die Bewegung präzise über das Videobild kontrollieren, das vom Bildsucher übertragen wird.162 Eine weitere Entwicklung ist die computergesteuerte Kamera:

Bei diesem motion control genannten Verfahren verfolgen elektronische Sen- soren die Bewegungen der Kamera, und ein Computer speichert den gesam- ten Ablauf. Danach kann die Kamera, von Servos bewegt, den Bewegungsab- lauf automatisch reproduzieren.163

Mit dem Computer als virtueller Kamera hat dieses Verfahren nun den Höhepunkt erreicht. Dadurch wird die Kamera entmaterialisiert, also von den physischen Ein- schränkungen gelöst. Und nun wird die analoge Aufnahmeapparatur durch die di- gitale ersetzt. Zum Beispiel die Digital Betacam ist ein erstes praktikables System. Aber es wird meistens nur im Video- und Fernsehbereich angewendet, weil die

158 Vgl. ebd., S. 48. 159 Vgl. ebd. 160 Vgl. ebd. 161 “The Louma Crane is known worldwide as the original and most versatile remote camera crane, used in many areas of the film and TV industries - feature films, commercials, concerts and promos. The Louma was designed and developed by (and takes its name from) Jean-Marie LavaLOU & Alain MAsseron working with David Samuelson in London & Paris. The Louma was the very first remote controlled camera crane (recognised by the awarding of an 'Oscar' by the American Academy of Arts & Sciences in 2005). The Louma has been regularly updated to incorporate developing technologies and, from starting out as specialised piece of equipment, it has established the re- mote controlled crane as an everyday filmmaking tool. The Louma Crane is controlled by the camera operator from the control desk with geared wheels and is manually operated by 2 grips who control the movement of the arm and the position of the dolly. The crane comes with a technician who is responsible for transportation, setting up and demounting the crane. Given his wide experience, he is able to offer his advice for the most effective use of the Louma.” http://209.85.135.104/search?q=cache:ISeQwMslO8J:www.louma.co.uk/louma_1.htm+Louma& hl=ko&ct= clnk&cd=9&gl=de (20.07.2006) 162 Vgl. Hoberg (1999), S. 48. 163 Vgl. ebd., S. 49. 51 Auflösung zu niedrig ist. Um den sogenannten film look von 35mm-Film zu errei- chen, muss das digitale System noch weiter entwickelt werden.164

An dieser Stelle ist eine Sequenz aus dem Film THE MATRIX erwähnenswert als ein Beispiel für das motion- control-Verfahren. Genau genommen geht es um time sli- ce-Fotografie, um so genannte bullet-time zu produzieren.165 Und diese Fotografie impliziert vor allem die Technik der Animation und motion- control. Die Szene, in der Neo und Agent Smith in der Luft schwebend gegeneinander kämpfen, wurde in extremer Zeitluppe wiedergegeben, in der die Zeit wie gefroren aussieht. (Abb. II-3) Um diese Szene aufzunehmen, wurden 120 Kameras eingesetzt. Dabei wur- de das Unsichtbare, also der Strom der Zeit sichtbar gemacht. Die dem menschli- chen Auge unmögliche Perspektive wurde sichtbar aufgenommen. Wie Rolf Gie- sen schreibt, erinnert sie uns „an die Chronofotografie eines Eadweard Muybrid- ge“166. So lässt sich jedenfalls, im Hinblick auf unser Thema, festhalten, dass sich diese Szene auf eine Form der Verräumlichung des Zeitlichen bezieht, die einen verwir- renden Effekt erzeugen kann: ein Umstand, den ich in Kapitel IV behandeln werde.

II.2.1.5 Virtuelle Kamera-Bewegung Aber auch dieser Abschnitt kann unter dem Aspekt der virtuellen Kamera betrach- tet werden. In dieser Hinsicht befindet sich nicht nur die Kamera durch den Com- puter in der Tendenz der Virtualisierung, sondern auch die Kamera-Bewegung. Es gibt grundsätzlich zwei Arten der Kamera-Bewegung: der Schwenk und die Fahrt. Und diese zwei Bewegungen können mit der Eigenbewegung der Objekte und mit der Handlung kombiniert werden. Dann bietet diese Kombination verschiedene Möglichkeiten der Bewegungen an. Und dies hat zur Folge, dass der Film seinen eigenen Bewegungs-Raum und damit auch seinen eigenen Zeit-Raum produzie- ren kann. Es ist dadurch möglich geworden, dass der Film kinetische Elemente synthetisiert und dadurch über die reine Reproduktion von natürlicher Bewegung hinauswächst.167 Damit wird also auf die realen Räume, Körper und Bewegungen verzichtet. Daher erzeugt die Kamerafahrt Hoberg zufolge die Illusion der Dreidimensionalität, und

164 Vgl. ebd. 165 Vgl. Rickitt (2000), S. 185f. 166 Giesen (2000), S. 41. 167 Vgl. Hoberg (1999), S. 50. 52 die Kombination der Fahrt und des Schwenks schafft die Illusion der Allgegenwär- tigkeit.

Besonders die Fahrtaufnahme mildert den Effekt der Einäugigkeit der Kamera und schafft durch Distanz-und Blickwinkelveränderungen die Illusion der Drei- dimensionalität. Durch die Kombination von Fahr- und Schwenkaufnahmen entstehen zusätzliche, aus dem Verhältnis von Bewegung und Bildausschnitt resultierende Wirkungen, die den Raumeindruck flexibilisieren und sich in der Illusion der ‚Allgegenwärtigkeit’ verdichten.168

Aber diese neuen Wirkungen werden durch die computergenerierten Bilder wei- terentwickelt und radikalisiert „in ein körperloses Mitrasen, -schweben oder - stürzen, das das Körperempfinden dissoziiert und fragmentarisiert“. 169 In dieser Tendenz zur Virtualisierung gibt es freilich eine Zwischenstellung, also die Einfüh- rung des Zooms.

II.2.1.6 Zoom Durch Zoom ist die Fahrt simulierbar, die nie stattgefunden hat.170 Damit ist eine abstrakte Bewegung möglich geworden. Sie wird besonders im simulierten Raum der Computeranimation vorangetrieben. Die Computeranimation erzeugt die schwindelerregende Wirkung „durch wechselnde Perspektiven und Distanzen auf physikalisch unmöglichen Bahnen“.171 Großklaus vergleicht die Computeranimati- on mit der alten Filmtechnik wie folgt:

Die Wahrnehmung verliert jeden festen view point und jeden festen Flucht- punkt: sie folgt einem vollkommen abstrakten „travelling“ durch einen künstli- chen Raum von extremer Offenheit und verwirrender Grenzenlosigkeit. Es ist von vornherein ein beweglicher, dynamisierter Raum - unfixiert durch die ge- wohnte perspektivische Zentrierung. Eine Fülle von Raumsichtpunkten er- zeugt einen hochbeschleunigten Wechsel von Auf-, Unter- und Übersichten, von Achsen-Kippungen und Tiefen-Fahrten etc., dem gegenüber die alte per- spektivische Fluchtpunkt-Orientierung als zu langsam erscheint. Der alte Hori- zont, der Ferne und Nähe wahrnehmbar werden ließ, ist in diesen Simulatio- nen zum Verschwinden gebracht.172

168 Ebd., S. 51. 169 Ebd., S. 52. 170 Vgl. ebd. 171 Vgl. ebd. 172 Großklaus (1995), S. 140. 53 II.2.2 Montage Neben der virtuellen Kamera und der virtuellen Kamera-Bewegung spielt Montage eine entscheidende Rolle, das Phänomen der Oberflächlichkeit hervorzurufen. Im Laufe der Untersuchung kann man feststellen, dass Montage oder nonlinear edi- ting große Möglichkeit hat, konventionelle Raumzeit, Affekt und das Identitätsprob- lem radikal zu verändern. Darüber hinaus ist auch festzustellen, wie das immate- rielle Bewusstsein durch die neue Technologie materialisiert und verdinglicht wird. Daher geht es hier um Schnitt und Montage. Bewegung erzeugt der Film nicht nur durch die Kamera-Bewegung sondern auch durch seine grundlegenden Gestaltungsmittel von Schnitt und Montage. Der Schnitt trennt einzelne Einstellungen voneinander, die Montage verbindet diese verschiedenen Einstellungen nach dem Willen des Regisseurs. Die Montage ist einer der zentralen Begriffe der Filmtheorie. Es ist zu komplex, hier alle unterschiedlichen Verwendungen des Begriffs zu erklären. Aber im gro- ßen Umfang kann man sie in zwei Richtungen erfassen. Einerseits dient die Mon- tage dazu, die Zusammenhänge und kontinuierliche Erzählung herzustellen. An- dererseits trägt sie dazu bei, Schock und Konflikt zwischen den Einstellungen zu erzeugen. Zum einen stellt sie den Illusionseffekt her, zum anderen zerstört sie die Transparenzillusion. Die erstere Form der Montage wird in der Filmgeschichte von Griffith vertreten, die letztere von Eisenstein. Hoberg zufolge überträgt sich dieser Dualismus der Filmmontage, dieses Wider- sprüchliche weiter auf die neuen filmischen Gestaltungsmittel des Computerbildes. Sie kann einerseits „einen immer lückenloseren Illusionszusammenhang“ herstel- len und andererseits „die autopoietische Tätigkeit menschlicher Einbildungs- kraft“173 vergegenständlichen und damit kreative Möglichkeiten freisetzen.

So hat, um noch einmal auf die zentrale Paradoxie hinzuweisen, Filmmontage seit ihren Anfängen ein Doppelgesicht, das sich durch die Filmgeschichte zieht als Dualismus von Einsicht oder Irritation stiftender Bild-Kollision und lü- ckenloseren Illusionszusammenhangs und der Freisetzung von kreativen Möglichkeiten, die tendenziell eine universelle Vergegenständlichung der au- topoietischen Tätigkeit menschlicher Einbildungskraft mit ihrer assoziativen, disparaten Struktur bilden können.174

173 Hoberg (1999), S. 55. 174 Ebd., S. 55. 54 II.2.2.1 nonlinear editing Schnitt und Montage funktionieren fast hundert Jahre lang in der Filmherstellung als der Selektionsprozess. Aber dieser verlangt aufwendige Arbeit, wenn auch er als nonlinear editing gilt.

Film editing is the essence of nonlinear editing, but the process involves much physical labor and while nonlinear, film is not technically random access. Not being random access means that the film editor cannot get to a shot on the middle of the roll without winding through all the interventing material. If film were a random access medium, such as a laserdisc, a shot could be located without having to proceed linearly through the unwanted material.175

Aber der Vorteil des computergestützten Schnittes besteht darin, dass man damit direkt und schnell in das Bildmaterial zugreifen kann, ohne die unerwünschten Einzelbilder durchzuschauen. Dadurch wird der Schnittvorgang beschleunigt. Und dazu trägt auch die neue Form des Bildmaterials bei, weil das computergenerierte Material nicht aus der physischen Form besteht, sondern aus den körperlosen Da- ten.176Dies führt letztlich Hoberg zufolge zur „Simulation von Schnitt und Monta- ge“.177 Außerdem bietet dieses nonlinear editing große Manipulationsmöglichkei- ten, worauf ich bereits in „Computerbild“ in diesem Kapitel hingewiesen habe.

II.2.2.2 Das dialektische Dritte Aber ob dieser neue Schnittvorgang mehr Kreativität fördert oder das Montagever- fahren nur standardisiert? Alexander Kluge ist der Meinung, dass durch die Digita- lisierung der Filmgestaltungsmittel das dialektische Dritte verloren geht.

Im binären Prinzip steckt sozusagen bereits ein Programmschema: der Satz vom ausgeschlossenen Dritten, so dass sämtliche binären Programmierungen den lebendigen Zusammenhang der Mitteilungen zerstören. Man kann daher durch binäre Logiken etwas herstellen, was augenscheinlich funktioniert, aber es verändert radikal die authentischen Verhältnisse in der Wirklichkeit: die Nebensachen sind weg.178

Das dialektische Dritte erinnert uns an den Begriff der Aura, den Walter Benjamin in den vierziger Jahren in Bezug auf die technischen Medien benutzt hat. Im Ver- gleich zu elektronischen Produktionen hat die klassische Filmkunst sicherlich „eine

175 Ohanian/ Philips (1996). Zitiert nach Hoberg (1999), S. 56. 176 Vgl. ebd. 177 Ebd., S. 57. 178 Kluge (1985), S. 71f. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 57. 55 quasi-auratische Wirkung“.179 Aber sie hängt nicht nur mit der höheren Bildqualität zusammen, sondern eben mit jenem Mehr an Bedeutung, jenem unbestimmbaren ‚Hauch‘ (lat. aura), der sich der gedanklich-künstlerischen Durchdringung des Ma- terials verdankt.180Und das dialektische Dritte bezieht sich Hoberg zufolge indirekt auf die Montage-Theorie der zwanziger und dreißiger Jahre. So sagt z.B. Balázs: „Produktiv wird die Montage, wenn wir durch sie etwas erfahren, was in den Bil- dern selbst gar nicht gezeigt wird.“181 Aber durch die Digitalisierung schwindet das Dritte, das an den Schnittstellen der Bilder liegt. Dadurch wird der Schnitt erleichtert und beschleunigt. Man muss je- doch mit dem Verlust des dialektischen Dritten rechnen, denn bei dem elektroni- schen Material entstehen keine Lücken wie bei dem Filmmaterial. Schumm be- hauptet daher:

Das elektronische Material macht das deutlich: das Photogramm ist nahezu vollständig verborgen und taucht im Bilderfluß unerkennbar unter. Man kann „wie im Fluge“ schneiden, ohen je sich um Bildfelder, ohne sich je um die ent- sprechende bildfeldgenaue Präzision zu kümmern, - ohne sich „aufzuhal- ten“.182

Aber die Abstraktion der Arbeit und die Ablösung von sinnlich wahrnehmbaren Materialien, die der Computer erbringt, werden jedoch immer von einem Teil der Theoretiker mit der Kreativität verbunden. Laut Ohanhian/ Philips: „The most im- portant aspect of nonlinear editing is that it frees your mind to do your work as fast as you can think it.“183 Aber nicht nur die Möglichkeiten sondern auch die Gefahr bestehen darin. Hoberg behauptet:

Die Erhöhung der Arbeitsgeschwindigkeit birgt die Gefahr, ‚wie im Fluge zu schneiden‘ - wie Schumm in Bezug auf den Videoschnitt formuliert - und dem ‚Schwinden der Lücken‘ für Reflexion und Einsicht Vorschub zu leisten. Denn die technischen Mittel wirken in einem dialektischen Prozeß auf die Zwecke zurück und verändern das Produkt.184

179 Hoberg (1999), S. 57. 180 Vgl. ebd. 181 Balázs (2001), S. 44. 182 Schumm (1994), S. 48. 183 Ohanian/ Philips (1996), S. 117. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 60. 184 Ebd. 56 In Bezug auf diese Thematik werden wir in Kapitel IIl-4. beobachten, dass die ge- stiegene Geschwindigkeit des Schnittverfahrens eine verwirrende Raumerfahrung auslösen kann. Dabei geht die Tiefendimension verloren, und dies führt zur Conflation als einer Form des oberflächlichen Raums. In dieser Hinsicht könnte auch der folgende Abschnitt in diese Thematik miteinbezogen werden.

II.2.2.3 Die Beschleunigung der Arbeitsprozesse Das digitale Computersystem trägt einerseits zur Beschleunigung der Arbeitspro- zesse, andererseits zur Erhöhung des Zeitdrucks bei: „Der Zeitdruck durch den Zwang zur vollständigen Ausnutzung der maschinellen Kapazitäten zwecks Kos- tensenkung wird verschärft durch die Verführung, die die Digitalisierung der Mon- tage für die Dreharbeiten darstellt.“ 185 Das Problem besteht jedoch darin, dass diese Beschleunigung der Arbeitsprozesse sich auf die filmischen Formen aus- wirkt. Daher behauptet Hoberg wie folgt: „Die Beschleunigung des Schnitts findet dementsprechend nicht allein auf der Ebene der Arbeitsprozesse statt, sondern zeigt sich als formaler Niederschlag im erhöhten Tempo der Filme der neunziger Jahre.“186 Und dieses wirkt sich wiederum Hoberg zufolge auf das Bewusstsein der Zu- schauer aus: „Die Atemlosigkeit des schnellen Schnitts ergreift und kolonisiert in neuer Weise die Aufmerksamkeit des Publikums, dem keine Zeit, keine Lücke mehr für Assoziation und schweifende Betrachtung gelassen wird.“187 Diese Ten- denz ist seit den neunziger Jahren nicht länger ungewöhnlich und nicht nur in den SF-Filmen oder Action-Filmen zu finden, sondern in allen Genres. Daraus entsteht die paradoxe Wirkung der Beschleunigung. Sie trägt einerseits zur Produktion des Illusionszusammenhangs und andererseits zur Auflösung der Transparenzillusion bei, weil die Elemente der Dekonstruktion, des Aufsprengens des erzählerischen Kontinuums, die der schnelle Schnitt grundsätzlich enthält, tendenziell im Widerspruch zur Transparenzillusion stehen.188 Darüber hinaus ist der Prozess der Beschleunigung als eine Reaktion auf die schnelle und komplexe Veränderung der Gesellschaft anzusehen. Hoberg schreibt: „Mit der allgemeinen Zunahme von Tempo und Schnittfrequenz reagiert

185 Ebd., S. 61. 186 Ebd., S. 61. 187 Ebd. 188 Vgl. ebd., S. 61f. 57 der Film auf das reale Anwachsen gesellschaftlicher Zirkulationsgeschwindigkeit und Komplexität.“189 Durch die Montage entstehen der Raum und die Zeit der filmischen Handlung. Aber der Raum und die Zeit im Film sind fiktiv, nicht einmal ähnlich denen in der Realität.190 Der Film kann also Hoberg zufolge nur durch die Montage den Ein- druck von Natürlichkeit erzeugen. Eigentlich dürften die durch die Montage zu- sammengefügten Bilder nicht so natürlich, logisch und flüssig erscheinen. Wenn dennoch die Bilder dem filmischen Publikum verständlich werden konnten und können, gibt es nach Hoberg dafür zwei Gründe: Die filmischen Bilder werden dem Zuschauer einerseits durch das Erlernen der bildlichen Sprache immer mehr verständlich, andererseits durch die Mimesis des Bewusstseinsstroms:191

zum einem die Entwicklung von Konventionen für die Wahrnehmung, in der sich ein differenziertes Verständnis für die bildliche Sprache des Films her- ausbildet, und zum anderen die Mimesis der Montage an Bewußtseinsvor- gänge, in denen im Unterschied zur reinen visuellen Wahrnehmung die Gleichzeitigkeit von wechselnden Ansichten einer Sache immer schon poten- ziell präsent ist.192

Die filmische Sprache, also die von Balász formulierte „neue Ausdrucks- und Mit- teilungstechnik“ des Films, hat sich Hoberg zufolge vor allem in den zwanziger Jahren mit großer Schnelligkeit entwickelt. In den dreißiger und vierziger Jahren wurde in Hollywood die découpage classique, der unsichtbare Schnitt perfektio- niert, um „die Montage als Montage unsichtbar zu machen und durch unauffällige Übergänge von Einstellung zu Einstellung die Illusion der Unmittelbarkeit des Handlungsflusses zu erzielen“. 193 Und diese Regeln Hollywoods herrschen bis heute, und tendieren dazu, noch festere, lückenlosere und überwältigendere Illusi- onen herzustellen. Aber dieses beschleunigte Schnittverfahren impliziert auch die Gefahr, dass der Film halbautomatisch geschnitten werden und man mit dem Computer die halb- normierten Bildverknüpfungen herstellen kann. 194 Damit könnte die Möglichkeit entstehen, möglichst viele Filme herzustellen. Dies führt nämlich zur Standardisie- rung der Filmproduktion.

189 Ebd., S. 62. 190 Vgl. ebd. 191 Vgl. ebd., S. 63. 192 Ebd., S. 63. 193 Ebd., S. 64. 194 Vgl. ebd., S. 65. 58 Die Geschwindigkeit des Schnitts wird weiter gesteigert bis zur Darstellung der Gleichzeitigkeit, der Simultaneität, die als die Grunderfahrung der Moderne gilt.195

Die Montage als künstlerisches Mittel reagiert auf das reale Anwachsen von simultanen und heterogenen Prozessen auf allen Ebenen der gesellschaftli- chen Existenz und wendet die verwirrenden, komplexen und schockhaften In- nervation der Moderne ins Produktive. […] Sie reagiert auf die Revolutionie- rung der Wahrnehmungsverhältnisse durch neue Techniken der Raum- und Zeitbewältigung und wirkt zugleich in einem dialektischen Prozeß auf diese zurück.196

Allerdings verändert sich bei der Umwandlung der analogen Bilder in digitale auch der Begriff der Montage. Auch bei den digitalen Bildern nimmt der Begriff der klas- sischen Montage eine weitere Wendung, aber anders als bei den analogen, wie Hoberg sagt:

Das Nacheinander wird abgelöst von einem Zugleich, in dem radikalen Sinne, in dem Virtuelles immer gleichzeitig ‚existiert‘. Die Immaterialisierung und Vir- tualisierung der Bilder verändert die Funktion der Montage:197

II.2.2.4 Umwandelbarkeit Digitale Bilder bedeuten daher sowohl die Erfüllung der klassischen Montage als auch ihre Überwindung. Vor allem die Umwandelbarkeit ist Hoberg zufolge „das hervorstechendste Kennzeichen des digitalisierten Bildes“. 198 Insbesondere die Technik des Morphings ist geeignet zum unmerklichen Umwandeln der Einzelbil- der. Hoberg liest diese neue Transformation als ein Resultat der gesellschaftlichen Umwandlung:

in der spielerischen Neukonstruktion von Bildwelten spiegelt sich das rasant gestiegene gesellschaftliche Potential zur Aneignung und Umwandlung natür- licher, physisch gegebener Voraussetzungen in ein Resultat menschlicher Ar- beit.199

Die Geschwindigkeit der digitalen Metamorphosen überfordert das menschliche Wahrnehmungsvermögen. Dies kann auch auf die gesellschaftlichen Wandlungs- prozesse zurückgeführt werden:

195 Vgl. ebd., S. 66. 196 Ebd. 197 Ebd., S. 68. 198 Ebd., S. 69. 199 Ebd. 59

Dies wiederum kann begriffen werden als Spiegel der realen Überforderung des sinnlichen Fassungsvermögen angesichts der Geschwindigkeit, Komplexi- tät und des Abstraktionsniveaus der zugrundeliegenden technischen und ge- sellschaftlichen Wandlungsprozesse.200

In dieser Schnelligkeit der bildlichen Umwandlung schwindet auch die Betrachtung, die zumindest einen Augenblick braucht. Der Schwund der Betrachtung führt zugleich Hoberg zufolge zum Schwinden der Erfahrung. Paradoxerweise erzeu- gen Morphing oder digitale Bilder bei aller sinnlichen Überwältigung einen Ein- druck von Derealisation und Abstraktion. 201 (siehe Kapitel II-1-1.2-1.2.6 ‚Das Morphing’ in Bezug auf die Umwandelbarkeit.)

II.2.2.5 Derealisation Einerseits ist die digitale Bildwirkung als die Abstraktion der Wirklichkeit anzuse- hen, wie Vilém Flusser behauptet. Er charakterisiert die Abstraktheit der neuen Bilder wie folgt:

Es gibt sie [Flächen] für die Augen, und sie ergeben sich für die Augen auf zwei einander entgegengesetzte Weisen: einerseits durch Abstraktion von Körpern, andererseits durch Zusammensetzung von Punkten.202

Andererseits ist die digitale Bildwirkung „durch ihre Lösung von der Reproduktion ihr reines Gemachtsein“.203 Dies ist von großer Bedeutung in Bezug auf den Beg- riff der Oberflächlichkeit. Daher wird hier ein längeres Zitat angeführt:

Die Mittel treten selbst in den Vordergrund und verweisen vom vermeintlich Abgebildeten auf den Modus der Abbildung zurück. Sie bringen sich selbst als technische Vermittlung des Scheins zum Vorschein und potenzieren dadurch die Rezeptionshaltung der ‚Kennerschaft‘, die Benjamin schon dem frühen Filmpublikum attestiert (vgl. Benjamin 1936: 497). Produziert wird nicht nur sinnliche Illusionierung, sondern auch Wissen um das technische Produziert- sein des unmittelbar Erscheinenden. Über den Umweg der Kennerschaft wird die symbolische Verfügung über sinnlich nicht mehr wahrnehmbare Prozesse neu etabliert.204

200 Ebd., S. 70. 201 Vgl. ebd. 202 Flusser (1993), S. 47. 203 Hoberg (1999), S. 70. 204 Ebd. 60 Für Vilém Flusser bedeutet die Oberflächlichkeit den Prozess der Abstraktion, während die Oberflächlichkeit für Hoberg als das Hervortreten oder das Bloßstel- len der technischen Mittel selbst anzusehen ist. Wie Kapitel IV-6 ‘Schizophrenie und Inkohärenz der Erzählung’ darlegen wird, kann man die Oberflächlichkeit auch dann finden, wenn im Computerfilm die Technologie selbst statt der Erzählung in den Vordergrund gestellt wird. Denn da- bei wird die Handlung irrelevant, stattdessen werden die technologischen Neuhei- ten und der dementsprechende, ökonomische Aspekt betont. Daher verliert der Film endlich die Tiefendimension der Erzählung und führt zur Oberflächlichkeit. (Siehe Kapitel IV-6 für eine ausführliche Filmanalyse.)

II.2.3 Die Mimesis des Bewußseinsstroms Letztendlich hat Montage die Funktion der Mimesis, den Bewusstseinsstrom nachzuahmen. Durch das Computerbild wird diese Funktion radikalisiert. Vor al- lem hinsichtlich dieser Thematik kann man eine radikale Form der Oberflächlich- keit beoachten. Denn Filmbild und Computerbild ahmen nicht nur den Bewusst- seinsstrom nach, sondern überschreiten die Geschwindigkeit seiner Prozesse. All die Fragen nach Raum, Zeit, Affekt in Bezug auf die Computerfilme, die wir bis jetzt im Hinblick auf das Phänomen der Oberflächlichkeit betrachtet haben, haben mit dieser neuen Entwicklung der filmischen Technologie zu tun. Eine zentrale Funktion der Montage ist die Konstruktion der Zeit im Film, während ihre andere zentrale Funktion nach Balázs die „unaufhaltsame Induktion eines Be- ziehungsstromes“205 zwischen den einzelnen Aufnahmen und Einstellungen ist.206 Nach Balázs ordnet der Schnitt die Aufnahmen realer Vorgänge nach Gesetzen der Vorstellungskraft neu. Und diese neue Organisation der bildlichen Beziehung erzeugt die neue Assoziations- und Deutungswirkung. Daher behauptet Hoberg: „Nicht nur der erzählerische Gestus der Konstruktion eines vorgeblich realen Ge- schehens kann so ins Bild gesetzt werden, sondern auch die Repräsentation in- nerseelischer Prozesse.“207 Diese Leistung der klassischen Montage wird weiterentwickelt durch die digitalen Bilder. Durch die Lösung von der Abbildung schafft das Computerbild die neue Form der Mimesis des Bewusstseinsstroms. „Nicht die exakte Repräsentation rea-

205 Balázs (1930), S. 51. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 71. 206 Balázs (2001), S. 43. 207 Hoberg (1999), S.72. 61 ler Erscheinungen beherrscht die Vorstellung“, so Hoberg, „sondern die gespei- cherten Bilder der Außenwelt durchlaufen Transformationen, die inneren Gesetzen folgen.“208 Ihre Immaterialität und Virtualität sind für die digitalen Bilder charakteristisch:

Ihre Immaterialität lässt die digitalen Bilder zum adäquaten technischen Aus- druck der flüchtigen Assoziationsprozesse des ‚inneren Films‘ im Kopf werden. Die Virtualität der Computerbilder kann phänomenologisch als ihre Wand- lungsfähigkeit beschrieben werden, die Begriffe wie Deformation, Emergenz und Metamorphose in die Welt der bewegten technischen Bilder einbringt.209

Und das Tempo des Rechenvorgangs gleicht der Schnelligkeit der Assoziations- prozesse oder übertrifft sie bereits. In dieser Hinsicht kann der Computer als die kongeniale Repräsentation des geistigen Apparates angesehen werden, wie Ho- berg behauptet:

In dieser Perspektive wird das Werkzeug Computer als Bildgenerator über den Umweg der Uniformität und Abstraktion der Information paradoxerweise zur kongenialen Repräsentation des psychischen Apparates, der gerade nicht mit der Reinheit künstlicher Intelligenz arbeitet, sondern mit der vom sinnlich- halluzinativem Charakter des Traums und Wunsches durchsetzten natürlichen Intelligenz.210

Hoberg zufolge besteht darin sowohl die Faszination als auch die Gefahr. Denn einerseits kann die Nähe des Computerbildes zum seelischen Prozess zur Objek- tierung der autopoietischen Fähigkeiten des Menschen beitragen, andererseits kann ihre Nähe zum Unbewussten die Möglichkeit bieten, auf dieses zuzugreifen. Und dadurch entsteht die Gefahr, eine neue Stufe der „Kolonisierung der inneren Natur“ herbei zu führen.211

So stellt die potentielle Synchronisation der bildlichen Sprache des Unbewuss- ten mit den digitalen Bildtransformationen eine neue Stufe der Kolonisierung der inneren Natur dar.212

208 Ebd., S. 72. 209 Ebd., S. 73. 210 Ebd., S. 74. 211 Vgl. ebd. 212 Ebd. 62 Diese geistigen Bilder des Computers erinnern uns an Deleuzes Formulierung „neue psychische Automaten“.213 Balázs erkannte bereits 1930 diese Funktion des Films auch bei den klassischen Mitteln von Kamera und Montage.

Die Kamera hat viele, rein optisch-technische Mittel um die konkrete Gegen- ständlichkeit des Motivs in eine subjektive Vision zu verwandeln. […] In diesen Verwandlungen offenbart sich unsere psychische Apparatur. Wenn man etwa überblenden, verzerren, ineinander kopieren könnte, ohne dieses mit einem bestimmten Bilde zu tun, wenn man also die Technik gleichsam leer laufen lassen könnte, dann würde diese ‚Technik an sich’ den Geist an sich darstel- len.214

Mit ‚gleichsam leer laufender Technik‘ meint Balázs die von einzelnen, materiell bestimmten Objekten und Verfahrensweisen abgelöste, d.h. universale Technik.215 Bis jetzt ging es darum, wie die Montage des Filmbildes und vor allem die des Computerbildes die filmische Repräsentation radikal verändert hat. Eben diese neue Bildtechnik hat durch die Umwandelbarkeit, die beschleunigten Prozesse und die Derealisation die Oberflächlichkeit hervorgerufen. Dieses neue Phänomen werde ich nochmals ausführlich in den folgenden Kapiteln unter den Begrifflichkei- ten wie Hyperraum, Anästhesierung, Spezial-Effekt, Verdinglichung usw. behan- deln.

II.3 Die Oberflächlichkeit der filmischen Gestaltungsmittel

Im voran gegangenen Kapitel habe ich untersucht, welcher Zusammenhang zwi- schen dem ästhetischen Phänomen der Oberflächlichkeit und den filmischen Ges- taltungsmittel besteht. Dadurch hat sich einigermaßen, wenn auch nicht ausrei- chend, erwiesen, dass die Oberflächlichkeiten des Raums, der Zeit, des Affekts durch die neue Computertechnologie, die auf die Computerfilme angewendet wur- de, hervorgerufen wurden. Insbesondere indem selbst der Bewusstseinsstrom durch die neue Technologie nachgeahmt werden kann, scheint die ästhetische Oberflächlichkeit den Höhepunkt erreicht zu haben. Darüber hinaus diente die neue Technologie dazu, dass die Computerfilme statt der Erzählung die Techno- logie oder ihre Prozesse selbst hervorheben und im Vordergrund bloß stellen.

213 Deleuze (1989), S. 340. „In jeder Hinsicht verweist der geistige Automatismus auf neue psychische Au- tomaten.“ 214 Balázs (1930), S. 121. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 74. 215 Vgl. Hoberg (1999), S. 74. 63 Dies führt beispielsweise dazu, die kohärente Erzählung unmöglich zu machen, was wir in Kapitel IV-6 untersuchen werden. In dieser Hinsicht werde ich hier noch mal kurz behandeln, wie die neue Techno- logie sich zur Mimesis des Bewusstseinsstroms verhält und was die Oberflächlich- keit der filmischen Gestaltungsmittel bedeutet. Kamera und Computer als das Auge des Geistes ahmen das Bewusstsein nach und rufen es auf die Oberfläche der Leinwand oder des Bildschirms hervor. Der Bewusstseinsstrom wird also durch Montage oder nonlinear editing visualisiert. Dadurch wird die innere Natur rein zur oberflächlichen Bilddarstellung, zur Simula- tion. Damit wird sie verdinglicht, verliert zugleich ihre Tiefe. Durch den Computer wird dieser Prozess beschleunigt. Und diese gesteigerte Ge- schwindigkeit überschreitet bereits die des Bewusstseins und der Einbildungskraft. Daher erfährt man dadurch das Schwinden der Betrachtung und der Erfahrung. Sie erlaubt keine Möglichkeit der Reflexion. Was dabei bleibt, sind nur noch die schwindelerregenden, soghaften und spektakulären Wirkungen, die vor allem die neuen technischen Mittel des Films ermöglichten. Daher erlebt man auf der Lein- wand oder auf dem Bildschirm nicht die wunderbar funktionierende Darstellung der schöpferischen Einbildungskraft, sondern rein die wunderbaren Funktionen der technischen Mittel des Films. An dieser Stelle kann man sich auf die Schlussfolgerung Hobergs beziehen. Durch die neue digitale Gestaltungsmittel und die Spezial-Effekte treten Hoberg zufolge die filmische Erzählung und die Affekte der Personen dabei zunehmend in den Hintergrund.

Die ihre digitalen Spezialeffekte herausstellenden Filme zeigen in Reinform eine Tendenz, die dem Kino des letzten Jahrzehnts insgesamt innewohnt: die filmische Erzählung tritt zunehmend in den Hintergrund zugunsten einer Rei- hung von Höhenpunkte in bislang nicht gekannter Dichte der Aufeinanderfolge (vgl. Engell 1992: 276). Die Dramaturgie ist dem untergeordnet. Erzählerische Logik und differenzierte Personenführung werden zweitrangig gegenüber ei- ner Beschleunigung und Intensivierung des Wahrnehmungserlebnisses.216

Almuth folgt also hier Engell in dessen Annahme, dass Kino nichts als die Visuali- sierung der Technik selbst oder ihre performance ist: „Kino ist dabei, ganz und gar Technik zu werden und seine Aussagefähigkeit zur reinen Ausstellung von per-

216 Ebd., S. 202. 64 formance zu reduzieren.“ 217 Des weiteren führt Hoberg Joachim Paech an, dass das Kino heute zu seinem Ursprung, zum Spektakulären und zur Sensation zu- rückkehrt.

Dass das Kino mit seiner partiellen Rückkehr zum Spektakulären, zum sensa- tionellen Schauwert, an seine Ursprünge im Varieté - und Jahrmarktvergnü- gen anknüpft, ist mehrfach bemerkt worden. (vgl. z.B Paech 1988: 10f), und zieht seine Berechtigung aus dem Wiederaufleben der reinen von allem Kunstanspruch freien Sensation.218

In Bezug auf die Dramaturgie Hollywoods sagt auch Edgar Reitz, dass sie auf Menschen verzichtet und stattdessen großen Wert auf die Technik legt.

Das ist auch in Filmen so, die nichts anderes zu wollen scheinen, als Trick- technik vorzuführen […] (Die Spannungsdramaturgie) enthält keine wirkliche persönliche Tragik mehr. Das handelnde Individuum ist nicht mehr in Wider- sprüche verwickelt. Dieses neue dramaturgische Prinzip, das nicht auf Moral, sehr wohl aber auf Menschen verzichten kann, lässt sich bereits mit Dreh- buchcomputern erarbeiten […].219

Jedenfalls besteht die Oberflächlichkeit der neuen technischen Bilder darin, dass, was innen war, sei es die filmische Gestaltungsmittel oder das persönliche Be- wusstsein, im ‚Außen‘ erscheint. Angemessenerweise formuliert Hoberg den Sachverhalt wie folgt:

Was einstens nur innen war: irrationale, nicht realitätsgebundene bewegte Bil- der, die in vorfilmischen Zeiten nur sprachlich-literarisch zu vermitteln waren, erscheint nun in einem unablässig konsumierbaren Bildstrom im ‚Außen‘. Die metamorphotisch arbeitenden Bilder der Computeranimation können als Ver- dinglichung der bildgenerierenden Arbeit der Vorstellungskraft gelesen wer- den.220

217 Ebd. Vgl. dazu Engell: „Das Kino hat sich im Neuen Hollywoodfilm vom Sinn zurückgezogen, aber es hat dafür etwas anderes gefunden. Dies andere ist seine eigene Leistungs- und Funktionsfähigkeit, die nichts anderes ist als die Entsprechung zur Leistungs- und Funktionsfähigkeit der übrigen Gesellschaft unter Einfluß ihres ökonomischen Unterbaus. Der Erfolge tritt nicht ein trotz sinnlosen Produzierens, sondern der Erfolg besteht gerade im sinnlosen Produzieren. […] Technisch reibungsloses Funktionieren, Leistung, Er- folg- zusammenfassen lassen sich diese Bestimmungen im Begriff der Performance. Der französische Philo- soph Jean-François Lyotard sieht in der Performance das dominierende Legitimationsprinzip in den spätmo- dernen Gesellschaften um 1980.“ Engell (1992), S. 281.

218 Ebd., S. 203. „Die Fähigkeit zu erzählen, blieb diesen frühen Filmen äußerlich, nicht sie erzählten, son- dern sie wurden durch eine Erzählung in ihrem Zusammenhang organisiert, die entweder dem Publikum be- kannt war oder zusätzlich mitgeteilt werden musste. […] Stoffe der ‚gehobenen‘ Literatur kamen noch kaum in Betracht, weil ihre Kenntnis im Publikum der Vaudeville-Theater, Music-Halls und Varietés nicht voraus- gesetzt werden konnte.“ Paech (1988), S. 11f. 219 Reitz (1997), S. 60f, zitiert nach Hoberg (1999), S. 204. 220 Ebd., S. 205. 65 In dieser Hinsicht bedeutet die Oberflächlichkeit im Hinblick auf die Spielfilme, dass das Innere durch die neuen Bilder im Außen oder auf der Oberfläche ver- dinglicht wird.

66 III. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DES RAUMS: HYPERRAUM

Bis jetzt habe ich die grundlegenden Technologien und Filmtechniken behandelt, die als die filmischen Gestaltungsmittel gelten. Hieraus hat sich erwiesen, dass vor allem die neue Computertechnologie mit dem Phänomen jener Oberflächlichkeit zu tun hat. Aber selbstverständlich reicht dies nicht aus, um die Oberflächlichkeit zu erläutern. Auf dieser Grundlage muss man daher genau untersuchen, was hin- ter dem Begriff der Oberflächlichkeit steckt. Um auf diese Frage zu antworten, werde ich in diesem Kapitel auf die einzelne Filmanalyse eingehen, die sich hier zunächst auf die Raumkonstellation des Films bezieht. Wie ich bereits in Kapitel I untersucht habe, ergibt sich die neue Oberflächlichkeit vor allem aus dem Warencharakter der Dinge. Aber Jameson zufolge resultiert sie auch aus dem „Verlust der Tiefendimension“ 221, der wiederum durch die neue Technologie verstärkt werden kann, wie wir in dem vorherigen Kapitel gesehen haben. Deswegen geht es hier in erster Linie um die postmodernen Raumkoordi- naten, die durch diese Tiefenlosigkeit gekennzeichnet sind. Fredric Jameson nennt den neuen Raum quasi den Hyperraum. Aber bevor ich den postmodernen Hyperraum behandele, den Jameson in Bezug auf die Archi- tektur beschrieben hat, möchte ich zunächst den kinematographischen Raum hin- sichtlich der Computerfilme erläutern, der durch ‚Tiefe‘ gekennzeichnet wird. Die kinematographischen Räume der frühen Computerfilme stellen sich als drei- dimensional, progressiv und tief dar. Sie herrschen über die 50er Jahre bis Mitte der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts. DESK SET, THE INVISIBLE BOY und BILLION

DOLLAR BRAIN gehören dazu. Wenn auch restliche Spuren hiervon bis Anfang der

70er Jahre verblieben, setzte 2001: A SPACE ODYSSEY (USA/UK 1968), der in den späten 60er Jahren gedreht wurde, den ersten Wendepunkt in den Computerfil- men. Sein kinematographischer sowie narrativer Raum war nicht nur als dreidi- mensional, progressiv und tief, sondern auch als zweidimensional, regressiv und flach anzusehen, oder bereits mit dem Begriff „Hyperraum“222 zu bestimmen, der als vier-dimensional erscheint, wie man in der ausführlichen Analyse dieses Films im nächsten Schritt beobachten kann.

221 Jameson (1997), S. 50. 222 Ebd., S. 88. 67 III.1 Der kinematografische Raum in den früheren Computer- filmen

Die 50er Jahre sind das Zeitalter, in dem Jameson zufolge die Kulturlogik der Postmoderne aufkommt. Daher ist eine neue Oberflächlichkeit als eines der Merk- male der postmodernen Ästhetik bereits in den zeitgenössischen Computerfilmen zu sehen. Wie gesagt, wird sie insbesondere durch den Warencharakter der Computerfilme verkörpert. Für die kinematographische Raumerfahrung auf der Leinwand ist eben die Oberflächlichkeit charakteristisch. Aber es verblieben immer noch residuale Merkmale, die die Computerfilme der 50er Jahren prägten. Ihre sowohl narrativen als auch kinematographischen Räu- me waren immer noch von der Kulturlogik der Moderne geprägt. Dieser moderne Raum hatte, um mit Sobchack zu reden, bezüglich der SF-Filme mit Drei- Dimensionalität, Tiefe, Progression, Dringlichkeit zu tun.

Cinematic space travel of the 1950s had an aggressive and three-dimensional thrust – whether it was narrativized as optimistic, colonial, and phallic penetra- tion and conquest or as pessimistic and paranoid earthly and bodily invasion. Space in these films was semantically inscribed as „deep“ and time as accel- erating and „urgent.“223

III.1.1 Der dreidimensionale Raum Trotz des Warencharakters wurde der kinematographische Raum wesentlich durch Adjektive wie ‚drei-dimensional‘ und ‚indexikalisch‘ bezeichnet. Kinema- tographisch gesehen, besaß der Raum Tiefe und Volumen und bezog sich auf den Referenten.224 Obwohl der indexikalisch referierte Raum auf der Leinwand in die Zwei-Dimensionalität transformiert wird, ist er im Wesentlichen verschieden von der Dimensionalität des elektronischen oder binären Raums, die heutige Digital- Filme kennzeichnet. Die Drei-Dimensionalität des Raums entsteht, um mit Heidegger zu reden, in dem ‚Streite‘ zwischen Erde und Welt, wie sich das Sein des Seienden darin offen- bart.225 Die Materialität der Dinge und ihre Umgebung oder ihr geschichtlicher und

223 Sobchack (1991), S. 226. 224 Bei Peirce bedeutet Index ein Zeichen, das mit dem, was es bezeichnet, durch Kausalrelation verbunden ist. Das fotografische Abbild gilt als Index, wie manche Filmtheorie behauptet. Das fotografische Bild ist ü- ber das Licht, welches von dem fotografierten Objekt reflektiert wurde und sich in die lichtempfindliche E- mulsion einschrieb, mit diesem Objekt verbunden. Vgl. Peirce (1993), S. 64–67. 225 Vgl. Heidegger (1960),. S. 51. 68 gesellschaftlicher Kontext erzeugen nämlich die Tiefe des Raums, also seine Drei- Dimensionalität.226 Aber wenn man den elektronischen Raum betrachtet, obwohl er immer danach strebt, die wirkliche Tiefe im Heideggerschen Sinne zu erzeugen, bekommt man den Eindruck, dass er versagt. Der wesentliche Grund besteht darin, dass der e- lektronische Raum in Wirklichkeit gar nichts mit der Materialität des Raums und dessen Umgebung zu tun hat. Was man im elektronischen Raum sehen kann, ist nur seine tiefenlose Oberfläche, die nur auf sich selbst oder den Prozess der Produktion selbst zurückweist. Der selbstreflexive Raum reflektiert nur die Oberfläche der Dinge, nicht ihre Tiefen- struktur, weil sie im elektronischen Raum nicht wirklich existiert, weil sie keine wirklichen Referenten hat. Sie existieren dort nur so, als ob sie Wirklichkeit wären. Daher ist es unvermeidbar, dass jener Raum zwei-dimensional aussieht. In dieser Hinsicht kann man sagen, dass der kinematographische Raum der frü- hen Computerfilme dreidimensional, progressiv und tief ist, weil er hinsichtlich der Qualität der Bilder von der elektronischen Repräsentation völlig unterschiedlich ist.

III.1.2 Der progressive Raum Aufgrund der Hoffnung auf die Zukunft und der Angst vor der Krise ist der narrati- ve Raum der früheren Computerfilme sowohl progressiv wie auch aggressiv. Er ist progressiv in dem Sinne, dass sich der narrative Raum auf die zukünftige Utopie richtet. Er ist aggressiv, weil unsere Angst vor der Krise uns nach dem Feind su- chen und ihm gegenüber sowohl gefühlsmäßig als auch räumlich aggressiv sein lässt. Politisch gesehen, ereignete sich in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts der McCarthyismus in den USA, während pararell der Kalte Krieg zwischen den USA und der UdSSR begann. In Bezug auf die technische Entwicklung begann mit den elektronischen Geräten und der Kernenergie eine neue Ära. Diese politischen und technologischen Veränderungen prägten daher unweigerlich den filmischen Raum der Computerfilme der 50er Jahre. Zu der Zeit galt es noch Feinde zu besiegen und ein Ziel zu erreichen, das im Au- ßen lag. Da gab es noch Angst und gleichzeitig Hoffnung auf Zukunft. Diese Angst und Hoffnung wurde narrativ in den Filmen repräsentiert. Dementsprechend richte-

226 Vgl. Jameson (1997), S. 52. 69 te der filmische Raum auf die Außenwelt und auf die tiefe Angst vor der Atom- bombe. Diese Tendenz dauerte noch bis zum Ende der 60er Jahre an, also bis

2001: A SPACE ODYSSEY.

Zum Beispiel ist in THE INVISIBLE BOY (1957), der im selben Jahr wie DESK SET er- schien und als Vorgänger der Filme 2001: A SPACE ODYSSEY und COLOSSUS: THE

FORBIN PROJECT bekannt ist, die Angst vor dem Computer bereits enthalten, der, politisch gesehen, auch auf das Zeitalter des Kalten Kriegs verweist. Wie in DESK

SET hat seine Drohung gegen die Menschen nicht allein mit der Angst vor Arbeits- losigkeit zu tun. Sondern der Computer deutet die Möglichkeit an, derart die Welt zu zerstören, wie die Atombombe sie auf die Welt ausüben kann.

Um den Film THE INVISIBLE BOY weiter zu analysieren, möchte ich hier zunächst die Handlung des Films kurz zusammenfassen, weil dieses Filmbeispiel in den weiteren Kapiteln erneut auftaucht. Dr. Marinoe ist Direktor im Stoneman Institute of Mathematics. Sein zehnjähriger Sohn Timmie bekommt von ihm einen alten Roboter namens Robby, der aus der Zukunft während eines Experimentes mit der Zeitmaschine mitgebracht wurde. Sein Vater erlaubt ihm, den Roboter zu reparieren und mit ihm zu spielen. Für die Reparatur braucht er den Super-Computer Univac seines Vaters. Aber der Univac ist bereits unter Kontrolle von Außerirdischen beim Versuch, die Erde zu erobern. Er bringt darum auch Robby unter seine Kontrolle. Mit Hilfe von Robby plant er die Rakete abzuschießen, mit der die Welt zerstört wird. Aber Timmie gewinnt he- roisch wieder die Kontrolle über Robby und blockiert den Angriff der Rakete auf die Welt. In diesem Film ist der Computer oder die Computertechnologie sowohl als der Angst erregende Gegenstand als auch als die Hoffung zu bezeichnen. Der Super- computer Univac wird von den Außerirdischen angegriffen und unter ihre Kontrolle gebracht. In diesem Sinne kommt die Bedrohung aus der Außenwelt auf die Erde. Aber sie wirkt mit dem Computer zusammen. Freilich gilt der Roboter Robby als eine Variante der Künstlichen Intelligenz, der eine bedrohliche Rolle übernimmt. Außerdem kommt die Angst räumlich aus der Außenwelt, in dem Sinne, dass Robby aus der Zukunft während des Experimentes der Zeitmaschine mitgebracht wird. Doch in demselben Sinne kommt die Hoffnung zugleich temporal aus der Zukunft. Der Feind kommt nämlich endgültig aus der Außenwelt. Die Hoffnung be- findet sich gleichzeitig in der neuen Technologie aus der Zukunft. In dieser Hin-

70 sicht dehnte sich der narrative Raum immer noch auch in den 50er Jahren ag- gressiv nach außen, die Zeit richtete sich progressiv auf die Zukunft. Nicht anders als in den 50er Jahren war auch in den 60er Jahren der filmische

Raum aggressiv und progressiv. THE BILLION DOLLAR BRAIN (1967) ist auch räum- lich aggressiv und progressiv gestaltet, insofern als es um den Angriff auf Russ- land geht, den ein die Kommunisten hassender Texaner geplant hat. Der englische Privatdetektiv Harry Palmer ist beinah pleite, nachdem er den briti- schen Geheimdienst verlassen hatte. Eines Nachts übernimmt er einen Auftrag, der telefonisch durch eine bizarre mechanische Stimme mitgeteilt wird: er soll eine Eier-Flasche nach Finnland transportieren. Wegen des Vorschlags, der viel Geld bringen soll, fliegt er nach Finnland und kontaktiert seinen alten Freund Leo New- bigen. Der schlägt ihm vor, für die Organisation zu arbeiten, in der er selbst invol- viert ist. Harry Palmer wird dadurch in einen internationalen Vorfall verwickelt. Die Organisation befindet sich in Texas, Leo Newbigen bekommt aber die Anweisun- gen durch den Computer. In Texas bereitet sich General Midwinter, der den Kreuzzug der Freiheit führen will, auf den Einmarsch in Russland vor, um die Kommunisten zu vernichten. Zu diesem Zweck verfügt die Privatarmee des Texa- ners über das Supercomputersystem, nämlich „Das Millarden Dollar Gehirn“. Aber Harry Palmer entdeckt, dass in der Eier-Flasche gefährliche Viren enthalten sind und dass die Eier und die Privatarmee dem Zweck dienen sollen, die Kom- munisten in Russland zu vernichten. Er muss den Plan verhindern. Der Plan, die Eier-Flasche nach Russland zu transportieren, wird letztendlich von Palmer ver- hindert, gleichsam versagt der Marsch nach Russland, weil der Eisboden, auf dem die Besatzungswagen gefahren sind, zerbrochen ist. Wie üblich in den frühen Computerfilmen, dient der Computer zum militärischen Zweck, hier für die Privatarmee. General Midwinter glaubt, dass er eine Revolution starten soll, weil der Computer dies so berechnet hat. Er glaubt blind an den Com- puter. Er sagt, dass der Computer die Kommunistenherrschaft zu Ende bringen kann. Durch die Lochkarte werde geplant, die rote Armee völlig auszuschalten. Sie ermögliche auch die Verbreitung der Viren. Der Computer beschleunigt den Wahnsinn des Generals, der überzeugt ist, dass er dadurch die Kommunisten völlig vernichten kann. Wenn man an den Kalten Krieg in den 60er Jahren denkt, ist es vorstellbar, wie ein solcher Wahnsinn im

71 Film dargestellt werden kann. Dieser Wahnsinn, wie gesagt, wurde stets mit der schnellen Entwicklung des Computers verbunden. Und dieser Wahnsinn schreitet voran aus Angst vor der Bedrohung, die aus dem Ausland kommt. Der Schritt nach vorne ist eine Reaktion auf die zu bedrohliche Aktion von außen. Das Verhältnis von Aktion und Reaktion wird darin räumlich er- zählt, obwohl der Marsch nach Russland letztendlich unterbrochen wird. Wenn man sich noch mal fragt, was den General den wahnsinnigen Plan so schnell ohne Bedenken, sogar nur mit der Privatarmee realisieren lässt, und was ihn gefühlsmäßig und räumlich so aggressiv macht, kann man darauf hinweisen, dass es das Zeitalter der Computertechnologie und der Atombombe war.

III.1.3 Der tiefe Raum Der filmische Raum der früheren Computerfilme war nicht nur kinematographisch sondern auch narrativ durch Tiefe gekennzeichnet. Die Antwort darauf, warum er erzählerisch tief war, leitet sich hauptsächlich von der gesellschaftlichen und politi- schen Situation ab, wie oben erwähnt. Die Angst vor der Außenwelt macht uns nicht nur aggressiv, sondern sorgt auch in der Raumgestaltung für Heimlichkeit, für Tiefe und Zurückhaltung. Das unterdrück- te Bewusstsein taucht in der filmischen Raumgestaltung verformt auf. Der Unter- grundbunker ist ein typisches Zeichen der tiefen Angst, das in den SF-Filmen der 50er und 60er Jahre häufig zu beobachten ist. Bemerkenswert ist, dass die meisten Computer in den Filmen bis zu Anfang der 70er Jahre einem militärischen Zweck gedient haben. Deshalb werden Computer wie eine militärische Anlage geheim gehalten und dementsprechend im Unter- grund versteckt.

In THE INVISIBLE BOY befindet sich der Supercomputer Univac im Untergrund. Auch in THE NIGHT THE WORLD EXPLODED liegt das explosive Material in einer tiefen

Wasserhöhle. In BILLION DOLLAR BRAIN befindet sich der riesige Computerraum im

Untergrund irgendwo in Texas. In HOT MILLIONS (USA/UK 1968) liegt der Compu- terraum irgendwo in dem Gebäude versteckt und sicher versiegelt. Der Super- computer Colossus in COLOSSUS: THE FORBIN PROJECT liegt ebenfalls in einem Un- tergrundbunker auf einem Berg. In DEMON SEED findet man den Supercomputer Proteus IV an zwei Orten: einmal im Geheimbunker, wo sein Schöpfer Alex Harris arbeitet, und einmal im Keller des Hauses, wo seine Frau Susan Harris wohnt und

72 ein Terminal von Proteus IV hat. Das Computersystem in THE ANDROMEDA STRAIN (USA 1971) versteckt sich auch im Untergrundbunker, der eine Selbstzerstörungs- funktion zur Verfügung stellt. All diese filmischen Kulissen waren nicht unabhängig von der damaligen politi- schen Lage in den USA, zum Beispiel vom Kalten Krieg und vom Vietnamkrieg. Und der Schatten der Atombombe hing ständig über den Köpfen der Zeitgenossen. Die Computer müssten sogar dazu beitragen, die Schatten noch schneller zu verbreiten. Der Untergrund war in diesem Sinne eine räumliche Metapher für die tiefe Angst vor der düsteren Gegenwart und Zukunft.

In imaginatively figuring the future (or an alternative past or present) science fiction films can be seen to some extent as measures of the hopes and fears of the cultures in which the films are produced and consumed.227

III.2 Der erste Wendepunkt: 2001: A SPACE ODYSSEY

III.2.1 Postmoderne und 2001 Für Jameson ist die Postmoderne durch eine Art verkehrten Chiliasmus, also End- zeitgefühl wie das Ende der Ideologie, der Kunst, der gesellschaftlichen Klassen, etc. und durch ästhetischen Populismus gekennzeichnet.228 Ästhetischer Populis- mus heißt, Jameson zufolge, dass die Trennung zwischen ‚hoher‘ Kultur und so- genannter Massen- oder kommerzieller Kultur (ein wesentliches Kennzeichen der klassischen Moderne) aufgehoben ist. Das Aufkommen dieser Phänomene datiert Jameson auf das Ende der 50er Jahre bzw. auf die frühen 60er Jahre.229 In die- sem Sinne ist 2001: A SPACE ODYSSEY, chronologisch und ästhetisch gesehen, ein angemessenes Beispiel für die Postmoderne, das mit dem Endzeitgefühl und dem ästhetischen Populismus ausgefüllt ist.

2001: A SPACE ODYSSEY übernimmt die Handlung von Arthur Clarkes SF-Roman, der in der Moderne bloß als Massenkultur rezipiert wurde. SF war darin nicht nur ‚zitiert’ zu finden wie in der Moderne, sondern in diesem Fall ‚Substanz‘ des Post- modernen geworden, wie Jameson behauptet.230 Dementsprechend ist Bernd Kie- fer der Meinung, dass der Film sowohl als Kunst- als auch als populärer Unterhal-

227 King (2000), 2000, S. 7. 228 Vgl. Jameson (1997), S. 45. 229 Vgl. ebd., S. 46. 230 Ebd., S. 47. 73 tungsfilm galt, wobei er Mario Falsetto und Kubricks Biograf LoBrutto anführt. Für Falsetto ist der Film nicht nur SF-Film, sondern auch das Meisterwerk des Medi- ums:

2001, der achte Film von (1928-1999), gilt zahlreichen Film- historikern nicht nur als der Science-Fiction-Film schlechthin, sondern als das Meisterwerk des Mediums: „Kubricks Film bewies, dass es möglich war, Film- kunst mit einer äußerst modernen Erzählform zu schaffen und zugleich popu- läre Unterhaltung mit einer starken emotionalen Bedeutung für das Publi- kum“ (Mario Falsetto).231

Weiter macht er uns aufmerksam darauf, wie die Trennung zwischen hoher Kultur und ästhetischem Populismus in dem Film ungültig geworden ist:

Über kaum einen Film wurde in dreißig Jahren derart viel geschrieben, wurde derart philosophiert, spekuliert, fabuliert und gestritten. 2001 ist längst ein My- thos geworden, ein Film, der der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts so angehört wie der populären Kultur. Dabei kam ihm ohne Zweifel zugute, dass er in einem Moment uraufgeführt wurde, in dem sich Kunst und populäre Kul- tur nicht mehr ausschlossen: auf dem Höhepunkt der Pop-Art. „Das Erschei- nen von 2001 wurde zu einem Happening der Sixties“, schreibt Kubricks Bio- graf LoBrutto.232

III.2.2 Der erste Wendepunkt sowohl der SF-Filme als auch der Computerfilme

In der Geschichte der SF-Filme nimmt der Film 2001 daher einen Sonderstatus ein. Der Film war zwar ein Meilenstein, nach dem man zwischen der ersten ‚Goldenen Zeit‘ der SF-Filme und der zweiten Goldenen Zeit unterscheiden kann. Er befand sich in der Zwischenstufe zwischen den beiden Zeiten. Er hatte Merkmale der bei- den Zeiten. Dies gilt auch in der Geschichte der Computerfilme, weil er fast alle Diskurse, die hier behandelt werden, vorweggenommen hat. Er enthält sowohl die Merkmale der früheren Computerfilme als auch die der Computerfilme seit den 80er Jahren. Er befindet sich nämlich in der Übergangsphase von der Moderne nach der Postmo- derne, besonders in der Hinsicht der Computerfilme. Ökonomisch und gesellschaftlich gesehen, hat die Postmoderne bereits in den 50er Jahren begonnen. Aber in dem Bereich der Computerfilme befinden sich die

231 Kiefer (2003), S. 199. 232 Ebd., S. 200f. 74 50er Jahre und Mitte der 60er Jahre noch in der Hochmoderne, die als „residu- al“ bezeichnet werden kann. De facto scheint die Postmoderne der Computerfilme mit Ende der 60er Jahre zu beginnen. In dieser Hinsicht befindet sich 2001 zwi- schen den beiden Perioden von Hochmoderne und Postmoderne. Deswegen ist er einerseits mit den Eigenschaften der Hochmoderne behaftet, andererseits mit de- nen der Postmoderne, wie sie sich nach Jameson in Munchs Der Schrei zeigten.

als kanonisierter Ausdruck der großen Themen der Moderne: Entfremdung, Anomie, Einsamkeit, gesellschaftliche Fragmentierung und Isolation, pro- grammatisch als Emblem all dessen, was als ‘Zeitalter der Angst’ bezeichnet wurde.233

Aber dieses Gemälde lässt sich zugleich als ‚Dekonstruktion eben jener Ästhetik des Ausdrucks‘ beschreiben.234 „Der Begriff ‚Ausdruck‘ selber setzt“, so Jameson, „eine Spaltung innerhalb des Subjekts voraus und impliziert jene große Metaphy- sik des Innen und Außen, […].“235 Aber „offensichtlich dekonstruiert Der Schrei kunstvoll die ihm eigene Ästhetik des Ausdrucks“,236 indem die unsichtbare abwe- sende Klangwelt des Schreis, der die Affekte der Einsamkeit und Angst impliziert, hier sichtbar und auf der Oberfläche zum Ausdruck gebracht wird. Allerdings wollte Jameson mit diesem Beispiel eine Übergangsphase von der Mo- derne zur Postmoderne beschreiben, wo die residualen und die neuen Phänome- nen koexistieren. In diesem Sinne kann man auch in 2001 sowohl die residuale Kulturlogik der Hochmoderne als auch die dominierende neue Kulturlogik der Postmoderne finden. Auch Vivian Sobchack nimmt 2001 als den Wendepunkt in den SF-Filmen an. Für sie sind die 50er Jahre die erste ‚Goldene Zeit‘, die von 1968 bis 1977 reichende

Zeit, die Zwischenphase, und die Zeit seit 1977, in der STAR WARS (USA 1976, George Lucas) erschien, die zweite Goldene Zeit. Für sie waren die Maßstäbe der

Differenzierung zuerst 2001 und dann STAR WARS. Hinsichtlich der Repräsentation der Raumzeitvorstellung beschreibt sie die Zwischenphase von 1968 bis 1977 wie folgt:

233 Jameson (1997), S. 56. 234 Ebd. 235 Jameson (1997), S. 56. 236 Ebd., S. 58. 75 In the SF films released between 1968 and 1977 (during a period of great so- cial upheaval and after the vast spatial and temporal Moebius strip of 2001: A SPACE ODYSSEY had cinematically transformed progress into regress), space became semantically inscribed as inescapably domestic and crowded. Time lost its urgency.237

Die räumliche und temporale Repräsentation war in den früheren Filmen dreidi- mensional, tief, aggressiv und progressiv, während, Sobchack zufolge, die Filme seit 2001 im allgemeinen durch das Adjektiv ‚regressiv‘ gekennzeichnet waren. Allerdings hat 2001 ambivalente Momente, die Sobchack als „the vast spatial and temporal Moebius strip“ 238 bezeichnet hat. Das heißt, in 2001 sei die kinema- tographische sowie narrative Raumzeit sowohl progressiv als auch regressiv rep- räsentiert. Der folgende Abriss der Handlung des Films hilft, die Details des Films im Ganzen zu verstehen. Da 2001 außerdem in der vorliegenden Arbeit bei jedem Kapitel wegen seines Sonderstatus wieder auftauchen wird, ist es angemessen, hier die Handlung ausführlicher zu beschreiben. Der Film beginnt mit einer Gruppe von Primaten, die vor 4 Millionen Jahren leben und um ein Wasserloch kämpfen. Eines Tages erscheint ein schwarzer Monolith, durch den Veränderung initiiert wird: ein Primat erkennt die Nützlichkeit eines Knochens als Werkzeug, um die gegnerische Primatengruppe zu vertreiben. Als der Sieger die Knochen in die Luft wirft, lässt ein Match-Schnitt den Knochen mit dem Raumschiff überlappen, das sich im Jahr 2001 befindet. Dr. Floyd, Sicherheitsbeauftragter der USA, reist in die Raumstation ein, um Ge- rüchten einer Epidemie auf dem Mond nachzugehen, wobei er und seine Kollegen auf dem Mond den schwarzen Monolith finden. Floyd berührt ihn, aber als sie vor dem Monolith fotografieren wollen, wird dies durch das merkwürdige Signal unter- brochen. Nach 18 Monaten findet die Mission zum Jupiter im Raumschiff Discove- ry I statt, dessen Bordcomputer ein HAL 9000 ist. Von den fünf Astronauten an Bord unternehmen nur die zwei Astronauten Dave und Frank die Mission im Wachzustand. Während der Mission aber merken sie, dass dem Computer ein Fehler unterläuft, was der Computer nicht akzeptiert, da er an seine eigene Voll- kommenheit glaubt. Aber Dr. Frank Poole und Dave Bowman zweifeln daran und planen den Computer auszuschalten, was der Computer jedoch durch Lippenle-

237 Sobchack (1991), S. 226. 238 Ebd. 76 sen erfährt. HAL täuscht einen Ausfall vor und wirft Frank während der Reparatur in das dunkle All. Dave Bowman fährt mit der Konsole aus dem Raumschiff, um ihn zu retten. Inzwischen tötet der Computer auch die drei im Schlaf liegenden Astronauten und verhindert anschließend die Rückkehr Bowmans in das Raum- schiff, so dass Bowman den manuellen Noteingang nutzt und dann beginnt den Computer auszuschalten. Anschließend durchfliegt die Konsole einen wunder- schönen kosmischen Weg und landet auf Jupiter, wo Bowman quasi im Zeitraffer altert und als Embryo zur Erde zurückkehrt.

III.2.3 Die filmische Raumzeit von 2001: ein Möbiusband In der filmischen Raumzeitvorstellung von 2001 spielt das ewige Wiederkehr-Motiv von Nietzsche eine große Rolle, wie es sich im Film auf verschiedener Ebene zeigt. Darin ist es zunächst auffällig, dass das Räumliche in ihm nicht von dem Zeitlichen zu trennen ist. Von dem Aufkommen der Menschheit bis zu ihrer Wie- dergeburt ist die Raum- und Zeitvorstellung miteinander untrennbar verbunden. Die Entwicklung der Menschheit ist Entwicklung sowohl in der Zeit als auch im Raum. Das war die räumliche Bewegung von der Savane bis zum Jupiter, und auch die zeitliche Bewegung von vor 4 Millionen Jahren bis zum Jahre 2001. Bemerkenswert ist, dass dies nicht nur lineare Bewegung, sondern auch zirkuläre ist, dass das nicht nur progressiv, sondern regressiv und wiederkehrend ist. Wört- lich war dies das Möbiusband. Raum und Zeit kennen kein Verhältnis von Vorder- seite und Rückseite und keine Richtung von vorwärts und rückwärts. Sie sind ein- fach verschmolzen und miteinander verbunden. Bevor der Astronaut Bowman als Embryo wiedergeboren wird, landet er nach der langen progressiv erscheinenden Reise auf einem Planeten. Aber der Raum, in dem er sich befindet, war kinematografisch ein Zimmer im Zeitalter von Louis XVI239oder jenseits von Raum und Zeit.240(Abb. III-1) Diese Szene impliziert daher die beiden Momente, die sowohl als die progressive Repräsentation als auch als die regressive gedeutet werden können. Im Film sind auch die dystopische Haltung und die utopische gegenüber der Zu- kunft vermischt. Wie in seinem früheren Film DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED

TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (UK 1964) ist seine Haltung gegenüber der Technologie nicht deutlich pessimistisch, sondern ambivalent, mindestens hin-

239 Walker (1972), S. 260. 240 Kiefer (2003), S. 199. 77 sichtlich der Repräsentation. Semantisch ist die dystopische Zukunftsvision doch hier überwiegend, aber er bietet uns letztendlich die Hoffnung, indem er auf die Wiedergeburt hinweist. Trotzdem ist die herrschende euphorische Haltung gegen- über der Technologie die grundlegende filmische Erfahrung, die die Zuschauer verlockt. Dazu trägt die visuelle Repräsentation bei.

III.2.4 Das Visuelle in 2001

In 2001 spielt vor allem das Visuelle eine autonome Rolle. Gilt das Visuelle aber hier als die utopische Kompensationshandlung, wie Jameson es für ein Merkmal der modernen Werke von van Gogh gehalten hat, oder als eine Art Oberflächlich- keit der Postmoderne wie bei Andy Warhols Werk Diamond Dust Shoes? Bemer- kenswert ist, dass die Beantwortung auf diese Fragen nicht einfach entscheidbar ist. Hier liegt ein weiterer Grund dafür, warum 2001 als ein Wendepunkt in der Ge- schichte der Computerfilme gelten kann. Es scheint allerdings klar zu sein, dass er das Meisterwerk des Visuellen ist. Kub- rick selbst hat das gesagt, und manche Kritiker haben es auch so interpretiert. George Seeßlen zitiert Kubrick:

Auf eine eindeutige Botschaft im Sinne einer „Moral der Geschichte" lässt sich Kubricks Film nicht festlegen: „2001", so Kubrick selbst, „ist eine nicht- verbale Erfahrung; von den zwei Stunden und neunzehn Minuten des Films sind nicht einmal ganz vierzig Minuten mit Dialog. Ich versuchte, ein visuel- les Erlebnis zu schaffen, eines, das verbalisiertes Schubfachdenken vermei- det und das Unterbewusstsein mit einem emotionalen philosophischen Inhalt direkt durchdringt. Um McLuhan zu verdrehen: In 2001 ist die Botschaft das Medium. Ich wollte, dass der Film ein intensives subjektives Erlebnis sei, das den Zuschauer auf einer inneren Bewusstseinsebene erreicht, wie das die Musik tut. Es steht einem frei, über die philosophischen und allegori- schen Bedeutungen des Films zu spekulieren, wie es einem beliebt - und solche Spekulationen sind ein Beleg dafür, wie es geglückt ist, das Publikum in einem tieferen Bereich zu packen.“241

Dadurch weiß man, dass Kubrick selbst auf das Visuelle den großen Wert gelegt hat. Kubrick versucht in dem Film zu zeigen, dass das Gefühl oder die sinnliche Wahrnehmung von größerer Bedeutung als das Denken und Dialog ist. Ciment zit- iert gleichfalls Kubrick: „The truth of a thing is in the feel of it, not the think of it.“242

Aus diesem Grund, oder aus welchem Grund sonst schafft das Visuelle in 2001

241 Seeßlen (2003), S. 274. 242 Ciment (1984), S. 140. 78 einen autonomen Raum, der von der Gegenwart abgetrennt ist? Diesen Umstand deutet Seeßlen so:

Zum ersten Mal wohl bezog sich ein Film des Genres nicht mehr auf das Ab- sehbare, Rationalisierbare, aus den Gegebenheiten Extrapolierbare, nicht mehr auf die Neurosen der Gegenwart, sondern gerade auf die Überwindung der kulturellen Obsessionen und Barrieren.243

Kubrick gibt uns noch ein Beispiel dafür, wie das Visuelle in seinem Film eine gro- ße Rolle spielen sollte.

At one point in the film, Dr. Floyd is asked where he’s going. And he says, ‘I’m going to Clavius,’ which is a lunar crater. Then there are about fifteen shots of the moon following this statement, and we see Floyd going to the moon. But one critic was confused, because he thought Floyd was going to some planet named Clavius. I’ve asked a lot of kids: ‘Do you know where this man went?’ And they all replied: ‘He went to the moon.’ And when I asked, ‘How did you know that?’ they all said: ‘Because we saw it.’ Those who ‘don’t believe their eyes’ are incapable of appreciating the film.244

III.3 Postmoderne und Hyperraum

Nach diesem Wendepunkt tritt ein neuer Raum im Film auf. Das ist eben der Hy- perraum, der nach 2001 in den Computerfilmen dominierend wird. Jameson zufol- ge gibt es heute „eine Wandlung des gebauten Raums“245, der auf den neuen Raum der Postmoderne hinweist. Aber das menschliche Subjekt hätte mit der Entwicklung des Raums nicht Schritt halten können. Jameson sagt: „Es hat eine Veränderung in den Objekten stattgefunden, die von keinerei adäquaten Verände- rung des Subjekts begleitet wurde.“246 Diesen neuen Raum nennt er im allgemei- nen „Hyper-Raum“247. In Postmoderne erklärt er die Terminologie durch die postmoderne Architektur. Ein Beispiel dafür ist das Bonaventure Hotel (1976) in Los Angeles, das von dem Ar- chitekt und Stadtplaner John Portman entworfen wurde. Nach Jameson bietet uns diese neue Architektur ‚neue Dimensionen‘ an. Ohne neue Organe von uns zu entwickeln, können wir daher den Raum nicht bestimmen. Die neuere Architektur

243 Seeßlen (2003), S. 276. 244 Zitiert nach Ciment (1983), S. 140. 245 Jameson (1997), S. 81. 246 Ebd. 247 Ebd. 79 kann nicht von einer älteren Raumvorstellung wahrgenommen werden. Sie fordert uns daher darauf, „neue Organe zu entwickeln, unser Sensorium und unsere Kör- per auf neue, noch nicht vorstellbare, vielleicht letztlich unerreichbare Dimensio- nen hin zu erweitern.“248 Zunächst ist die neuere Architektur Jameson zufolge als populistisch zu bezeich- nen. Sie gilt vor allem als bevorzugter Ort des Stadtkerns und der Touristen.

Es ist ein populäres Gebäude; es wurde von Einheimischen und Touristen gleichermaßen mit Enthusiasmus aufgenommen. Anders zu beurteilen ist die ‚populistische’ Einfügung in die Stadtstruktur.249

Beispielsweise verfügt das Hotel über drei Eingänge, damit es den Besuchern noch zugänglicher wird. Aber beträte man das Hotel durch diese drei Eingänge, würde man sofort erkennten, dass eine Orientierung schwierig ist. Denn, was den Innenraum des Hotels dominiert, ist offenbar eine neue (ästhetische) Kategorie der Abgeschlossenheit.250 Hiermit entsteht der Widerspruch zwischen der Popula- rität des Hotels und dessen Abgeschlossenheit. Er ist nämlich als ein totaler Raum zu betrachten, der in sich vollständig ist. Deswegen gehört das Gebäude nicht ei- nem Bestandteil der Stadt, sondern es hat den äquivalenten Status zur Stadt: Die postmodernen Gebäude sind darauf angelegt, Jameson zufolge, „als totaler Raum zu gelten, als eine in sich vollständige Welt, eine Art Miniaturstadt. […] Das Bona- venture Hotel will nicht Bestandteil der Stadt sein, sondern ihr Äquivalent, ihr Sub- stitut, ihr ‚Ansta(d)tt‘.“251 Im Gegensatz dazu war die Trennung des Gebäudes von der Stadt bei den großen modernen Monumenten des ‚International Style‘ schärfer. Darüber hinaus ist auffällig, dass das Gebäude Glashaut auf den Außenwänden hat, die so eine Spiegelfunktion haben. Aber diese Glashaut wehrt die umgebende Stadt ab, wie es eine Spiegelglas-Sonnenbrille einem Gesprächpartner unmöglich macht, die Augen des Brillenträgers zu erkennen. Damit bekommt der Brillenträger eine gewisse Aggressivität und Macht über die anderen.252 Dazu behauptet Jame- son, dass die große Fensterfläche die Umgebung in Bilder, also in Zweidimensio- nalität verwandelt, von der die Rede von der Tiefenlosigkeit abgeleitet werden kann: „Diese große Fensterfläche in ihrer sich der Schwerkraft widersetzenden

248 Ebd., S. 82. 249 Ebd. 250 Vgl. ebd., S. 86. 251 Ebd., S. 86. 252 Vgl. ebd., S. 86. 80 Zweidimensionalität verwandelt augenblicklich den festen Boden, auf dem man steht, in Bilder aus einem Stereoptikum.“253 Und die Rolltreppe und Fahrstühle im Innenraum des Hotels dienen nicht nur als reine Vergnügungsobjekte, sondern sie funktionieren so wie die große Fensterflä- che, die die Umgebung in Bilder verwandelt. Sie transformieren nämlich unsere Körper, die sich in den Fahrstühlen befinden, in Bilder. Sie reduzieren unsere kör- perliche Bewegung auf ein Minimum. Darüber hinaus ersetzen sie letztendlich un- sere Bewegung: „Es scheint, als würden hier Rolltreppen und Fahrstühle unsere eigene Bewegung letztlich ersetzen und zugleich und vor allem sich selbst als neue spiegelnde Zeichen und Embleme der reinen Bewegung bezeichnen.“254 Und mit dieser ständigen Bewegung, mit der ständigen Geschäftigkeit bekommt man das verwirrende Gefühl, dass man sich diesen Raum auf die herkömmliche Weise nicht vorstellen kann. Dieser Raum ist für Jameson der Hyperraum, dessen Ausmaß und Tiefe nicht erfassbar ist, und der die Fähigkeit unseres Bewusstseins überschreitet, das globale Kommunikationsnetz zu begreifen255: „Es ist wohl so, dass man einen derartigen Raum nicht mehr mit der Vorstellung eines Raumvo- lumens erfassen kann, da seine Ausmaße einfach nicht abzuschätzen sind.“256Die Folge lautet: „Verloren geht die herkömmlicherweise zur Wahrnehmung von Per- spektive und Volumen notwendige Distanz. Man steht bis zum Hals (und bis zu den Augen) in diesem Hyperraum.“257 Hier ist von der Unterdrückung von ‘Tiefe’, also vom Verlust der Tiefendimension zu reden: „so lässt sich wohl sagen, dass dieses verwirrende Eintauchen in den Raum für das Medium Architektur das for- male Äquivalent zum Verlust der Tiefendimension in den anderen Künsten ist.“258 Es ist die Tatsache, dass vor allem die herkömmlichen Koordinaten des Raums in diesem neuen Raum nicht mehr gelten. Diese neue Räumlichkeit zeigt Jameson uns mit dem angemessenen Beispiel des Dilemmas der Ladenbesitzer im Bona- venture Hotel:

Seit der Eröffnung des Hotels im Jahre 1977 war offenbar noch niemand in der Lage, diese Läden zu finden. Und selbst wenn man das gewünschte Ge- schäft einmal ausfindig gemacht hätte, ist es höchst unwahrscheinlich, dass man ein zweites Mal wieder dorthin zurückfinden würde; infolgedessen ver-

253 Ebd., S. 58. 254 Ebd., S. 87. 255 Vgl. ebd., S. 88. 256 Ebd., S. 87. 257 Ebd., S. 88. 258 Ebd. 81 zweifeln die Mieter der Geschäfte, und die Ware wird zu reduziertem Preis im Sonderangebot verkauft.259

Jedenfalls weist diese postmoderne Räumlichkeit auf die existenziellen Bedingun- gen im multinationalen Kapitalismus hin. Daher lautet Jamesons Hauptthese:

Dass die beunruhigende Diskrepanz zwischen dem Körper und seiner herge- stellten Umwelt (das vergleichbare Moment der Irritation in der Moderne ver- hält sich hierzu wie die Geschwindigkeit eines Raumschiffes zu der des Auto- mobils) selbst als Symbol und Analogen für ein noch größeres Dilemma ste- hen kann: die Unfähigkeit unseres Bewusstseins (zur Zeit jedenfalls), das große, globale, multinationale und dezentrierte Kommunikationsgeflecht zu begreifen, in dem wir als individuelle Subjekte gefangen sind.260

Aber der Hyperraum befindet sich nicht nur in der Architektur, sondern auch in den anderen Künsten, wie Jameson behauptet hat. In der vorliegenden Arbeit handelt es sich daher vor allem um den Hyperraum des Films, der zugleich Cyberspace als eine Form des Hyperraums genannt werden kann. In diesem Zusammenhang fasst Vivian Sobchack Jamesons Analyse so zusam- men: „For Jameson, this originality emerges most clearly in postmodern architec- ture, which constructs and represents space as total and absolute and yet also as decentered and disorienting.“261 Sobchack definiert den Hyperraum anhand von Jamesons Beschreibung. Für sie hat er kein orientierendes Zentrum, und man fühlt darin keine Schwerkraft. Er ist ein Äquivalent zwischen dem Außenraum und dem elektronischen Raum. Er ist eine Repräsentation, die totalisiert, ersetzt und alle anderen Räume subsumiert. Für Baudrillard ist er der absolute Raum und der Raum der Simulation. So be- hauptet Sobchack:

Thus, postmodern space is „hyper-real“: a representation determined to total- ize, stand for, and replace all other space. As Jean Baudrillard identifies it, this „absolute space“ is also the space of „simulation.“ On the other hand, no mat- ter how totalizing and hermetic postmodern space is not easily maneuvered; it has no orientational center, no gravitational pull.262

Wie gesagt, nicht nur die Architektur weist auf die neue Logik des Räumlichen hin, sondern auch der Computerfilm. Jameson bezeichnet den neuen Raum als „hy-

259 Ebd., S. 89. 260 Ebd. 261 Sobchack (1991), S.255. 262 Ebd. 82 perreal“, dem entsprechend charakterisiert Sobchack ihn durch drei Begriffe: De- flation, Inflation und Conflation. Diese Begriffe werden in der vorliegenden Arbeit zunächts erläutert, und dann letztlich eine neue Perspektive hinzugefügt. Sob- chack wendet sie insbesondere auf SF-Filme an, während ich sie hier auf die Computerfilme beziehen werde.

III.4 Deflation, Inflation, und Conflation

Vivian Sobchack ordnet den Hyperraum in die drei Kategorien von ‚Deflation, Infla- tion und Conflation‘ ein. Sobchack zufolge ist Deflation durch „an exess of surfa- ce“ 263 (eine privilegierte Oberfläche), Inflation durch „excess scenography“264 (ei- ne übermäßige Inszenierung), und Conflation durch „a bewildering immersion in constant business“ 265 (eine verwirrende Immersion in die konstante Geschäftig- keit) gekennzeichnet. Zu den Beispielfilmen der Deflation zählen vor allem TRON

(Tron. USA 1982) und WAR GAMES. BLADE RUNNER (USA 1982) wird in die Katego- rie der Inflation geordnet. THE ADVENTURES OF BUCKAROO BANZAI: ACROSS THE 8TH

DIMENSION (USA 1984, W.D. Richter) gehört Sobchack zufolge als Beispiel in die dritte Kategorie der Conflation. Ausführlich gesagt, setzt sich Sobchack vor allem mit der wahrgenommenen O- berfläche der kinematographischen Bilder auseinander. Sie ordnet die neue Ober- flächlichkeit, die Jameson genannt hat, in drei Kategorien ein, genau gesagt, „three new ‚mappings‘“266:

„Hyped up“ to an unprecedented degree, the genre’s spatial reformulations are symbolized by three new „mappings“ of spatial existence in postmodern culture. The first responds to a perceived deflation of space, and emphasizes a new and highly privileged surface topography. The second responds to a perceived inflation of space, and attempts to schematize visibly the ways in which space has come to dominate our consciousness and our hold on ex- perience. The third mapping responds to the way in which living space both superficially (as deflated in nature) and excessively (as inflated in function) conflates into a heightened spatial experience perceived as autonomous, ab- solute. Synthesizing the perceptions of the first two maps, this third map visu-

263 Ebd., S. 256. 264 Ebd., S. 262. 265 Ebd., S. 270. 266 Ebd. 83 alizes most clearly those features that characterize and symbolically represent the postmodern aesthetic.267

Mit der Deflation erklärt Sobchack zunächst, dass der tiefe traditionelle Raum durch den elektronisch simulierten Raum die Tiefe verliert. Die elektronisch simu- lierte Realität wird nicht fotografiert, sondern grafisch dargestellt, berechnet und simuliert. Damit entsteht selbstverständlich die privilegierte Oberfläche. Die Ober- fläche wirkt dabei zwei-dimensional, nicht drei-dimensional, weil sie nur die in die schematisierte Zweidimensionalität transformierte Dreidimension zeigt. Mit anderen Worten wird ,Screen Space‘ Sobchack zufolge durch ‘Terminal Space‘ ersetzt: „Screen Space is reformulated as ‚terminal space‘.“268 Daher be- sagt dies das Ende des Realismus und den Tod des kinematographischen Bildes. Dementsprechend scheint Simulation nun Sobchack zufolge der einzige Raum des Seins zu sein: „Simulation seems the only mode and space of being.“269 Dem zweiten Kartografieren der SF-Filme gehört die Inflation, in der der narrative Raum durch ‚excess scenography‘ und „the eclipse of nature itself“ 270 als deren Folge gekennzeichnet ist. In diesem Raum treten alle Dinge auf, unabhängig da- von, wohin und zu welcher Zeit sie gehören. Da spürt man die alles sich aneig- nende Macht des Kapitalismus, und dies schwächt die Temporalität und hat narra- tive Inkohärenz zur Folge. Das hat Sobchack mit ‚excess scenography‘ gemeint. Dadurch aber wird die Natur weggelassen. Der naturell aussehende Raum ist nun voll mit Dingen ausgefüllt und damit verdinglicht. Nach Sobchack gilt der Raum als nur „The designed space“ 271. Die Natur selbst wird total verfinstert; „representing (as Jameson suggests) the grand moment of a radical eclipse of Nature itself.“272 Nach dem dritten Kartografieren der SF-Filme seit den 80er Jahren herrscht die Conflation über den filmischen Raum. Conflation impliziert die beiden: Deflation, die ‚a surface detail‘ andeutet, und Inflation, mit der ‚excess scenography‘ gemeint ist. Dieser Raum bildet sich als absolut und autonom, weil dort der temporale und kausale Zusammenhang zerstört, und der kinematografische Raum nur als Simu- lation reformuliert wird. Nach Sobchack ist das Sein an sich als ‚terminal‘ gegrün- det und auf der Leinwand ausgestellt:

267 Ebd. 268 Ebd., S. 259. 269 Ebd., S. 257. 270 Ebd., S. 266. 271 Ebd., S. 262. 272 Ebd., S. 266. 84 Being itself is decentered and dispersed, and the identity of both spectators and characters again becomes constituted as „terminal“- flattening residual psychic depth into the visibility of convulsive activity displayed on complex space.273

Sobchack fasst all diese drei Kategorien so zusammen:

All three of the SF maps discussed here represent postmodern „hyperspace“ as a screen space lived on the surface. Either it lacks the „third“ dimension (and merely computes or conceptualizes it) – as in Tron. Or it substitutes the aggregations of excessive quantity or an opposite nostalgic „empted-ness“ for depth – as in Blade Runner and Starmen. Or it constructs a bewildering and excessive conjunction of material and movement that decenters and disperses older forms of intention, attention, and subjectivity – as in The Adventures of Buckaroo Banzai, significantly subtitled Across the 8th Dimension.274

III.4.1 Deflation Aber es gibt eine andere Lesart, die Deflation in Bezug auf die Computerfilme zu erklären. Wie gesagt, deutet Deflation zuerst auf den räumlichen Rückzug aus der Außenwelt hin: dem Weltall und den fernen und archaischen Ausländern. In dieser Hinsicht ist die Deflation zunächst hier offensichtlich ein räumlicher Begriff. In den früheren Computerfilmen bis zu den 70er Jahren sieht man Hinweise dar- auf. In THE INVISIBLE BOY dient der Supercomputer als der Agent der Aliens aus dem Weltall, da er von ihnen angegriffen worden ist. In BILLION DOLLAR BRAIN ist der Supercomputer mit dem Zweck verknüpft, mit seiner Hilfe den ausländischen

Feind Russland anzugreifen. Auch in COLOSSUS zeigt sich das Verhältnis von den

USA zu Russland. Und die Bühnen der Reise in 2001: A SPACE ODYSSEY sind der Mond und der Jupiter im Weltraum. Nicht anders als in den 50er und 60er Jahren sind die Interessen der USA auch in den 70er Jahren meistens auf Weltall, Russland und Inland gerichtet. Denn dies ist nicht unabhängig von der politischen und ökonomischen Situation des Kalten Kriegs. Dabei müssten Amerikaner in der Konkurrenz mit den Russen auf allen Bereichen dem Gegner überlegen sein: In der Ökonomie, Weltallerforschung und auch in der Waffenindustrie. Insofern sind die 70er Jahren auch keine Ausnahme davon. Daher zeigt der filmi- sche Raum in den 70er Jahren immer noch den Bezugspunkt der amerikanischen

Interessen. In THE ANDROMEDA STRAIN kommt die Drohung aus dem Weltall.

273 Ebd., S. 270f. 274 Ebd., S. 271. 85 WESTWORLD und seine Fortsetzung FUTUREWORLD erinnern uns an die alten Wes- tern und das antike Griechenland außerhalb von Amerika. In DARK STAR (USA 1974, ) haben die Astronauten die Aufgabe, die auf die Erde ra- senden Meteoriten aus dem Weltall vorweg zu zerstören.

Aber in den 80er Jahren wurde mit dem Film TRON eine andere Epoche eingeläu- tet, in der Geschichte sowohl des SF-Films als auch des Computerfilms. Der filmi- sche Raum beginnt damit von der Außenwelt zur inländischen Welt zu schrumpfen.

Die Handlung findet meistens in einer Stadt in den USA statt, oder in TRON sogar in der Innenwelt des Computers.

Die Hauptbühne von BLADE RUNNER ist das Los Angeles von 2017 und die Off- world-Kolonie, irgendwo auf der Erde. Die Handlungen in SUPERMAN III und WAR

GAMES finden in America statt. In ELECTRIC DREAMS sind die Hauptbühnen Los An- geles und San Francisco, USA. Und seit Mitte der 80er Jahren finden die Ereig- nisse in Computerfilmen wie DARYL (1985), DEADLY FRIEND (1986), JUMPIN’ JACK

FLASH (USA 1986) und SHORT CIRCUIT (USA 1986) in den USA statt. Sie zeigen nicht zuletzt keine Hinweise auf eine Außenwelt im Sinne von außerirdischer Welt. Bis Mitte der 80er Jahre gab es immer die Strömung, in der sich die Sehnsucht nach dem Weltall und der nostalgische Blick auf die Vergangenheit zeigten, wie man in 2010 (2010-Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen. USA 1984, Peter

Hyams) als eine Art Fortsetzung von 2001- A SPACE ODYSSEY sehen konnte. Aber es ist bei der Periodisierung der Epoche von großer Bedeutung, dass man darauf achtet, was in einem gewissen Zeitalter dominierend ist und was die neuen Phä- nomene sind. Außerdem spielen auch die folgenden Frage dabei eine Rolle: was hat den Paradigmenwechsel ausgelöst, welcher Diskurs ist dominierend usw.? In diesem Sinne könnte gesagt werden, dass Computerfilme wie TRON, WAR GAMES, und SUPERMAN III die neuen Phänomene zeigen, die den Paradigmenwechsel in der Geschichte des Computerfilms ausgelöst haben. Der folgende Schritt wird der Frage nachgehen, was diese neuen Phänomene sind. An dieser Stelle werden drei Beispiele analysiert, die durch Deflation gekenn- zeichnet sind. Dazu zählen TRON, WAR GAMES UND ELECTRIC DREAMS. TRON wird auf Grund der deflatierten Oberfläche vor allem durch den Verlust der Dreidimen- sionalität gekennzeichnet. Bei WAR GAMES ist die schematische Darstellung der

Kriegssimulation auf dem Bildschirm charakteristisch. Und bei ELECTRIC DREAMS wird die oberflächige Darstellung aus dem Bildschirm mit dem Orgasmus ver-

86 gleichbar und lässt letztlich zur Fetischisierung und Sexualisierung des Computers führen.

III.4.1.1 Deflatierte Oberfläche - TRON: der zweite Wende- punkt

TRON hat einen zweiten Wendepunkt nach 2001 gebildet, indem der filmische

Raum sich in TRON von der Außenwelt in die Innenwelt des Computers zurückzu- ziehen begann. Dieses neue Phänomen kann man zunächst als ‚Deflation‘ be- zeichnen. Zweitens kann die Deflation als ‚Deflatierte Oberfläche‘ des kinema- tographischen Raums bestimmt werden, wie Sobchack dies unternimmt. In die- sem Zusammenhang erläutert Sobchack die Deflation am Beispiel von TRON: „Tron provides us with both the most explicit map of the new deflated space of electronic culture and its consequent demand on human being.“275

Bereits 1979 war Ridley Scotts Sci-fi-Horroklassiker ALIEN (UK 1979, Ridley Scott) mit einer ersten computeranimierten Szene hergestellt. Aber erst drei Jahre später erkannte man in TRON das Potential des Computers bei der Filmherstellung, wie Dirk Manthey behauptet: „1982, mit ‚Tron‘ (Tron) wurde der Computer eine akzep- tables Werkzeug zur Filmherstellung.“276 Flynn/Clu, Alan/Tron und Lora/Yori versuchen auf das Master-Kontrollprogramm (MCP) der Firma Encom zuzugreifen, weil MCP plötzlich alle Zugänge verweigert hat. Flynn will den Zugang haben, um sein Video-Programm zurückzuholen und so zu beweisen, dass er Erfinder des Videospiels Space Paranoid war. Aber Dilin- ger, der jetzige Präsident von Encom sowie der Programmierer des Master- Kontrollprogramms (MCP) hatte Flynns vier Videospiel-Programme gestohlen und ihn gefeuert, direkt danach ist er der Präsident geworden. Um das Geheimnis zu bewahren, sperrt Dilinger alle Zugänge zu MCP. Und Lora, Kollegin der beiden, will als Erfinder eines Laser-Systems, das die realen Objekte digitalisieren kann, den beiden helfen. Jedes Programm, oder jede programmierte Person, die MCP erreichen will, muss aber in dem virtuellen Spiel gegen das Abwehrprogramm gewinnen, das wie ein echter Kampf wirkt, ansonsten wird sie gefangen genommen, gelöscht oder getö- tet. Dadurch entwickelt sich MCP immer stärker, weil es die nützliche Funktion von jedem Programm übernimmt. Nun will sich MCP aller Programme der Welt be-

275 Ebd., S. 257. 276 Manthey (1996), S.304. 87 mächtigen, sogar des Pentagons, um die Welt zu regieren. Aber der Plan wird von den drei Helden verhindert, indem insbesondere Flynn, der Erfinder des Spiels selbst, sich mit Hilfe des Laser-Geräts an dem Kampf beteiligt. Der Film war ein Pionier-Versuch, den von William Gibson geprägten Begriff Cyberspace oder Vir- tuelle Realität im Film darzustellen. 277 (Abb. III-2) Aber anders als die Disney- Produzenten erwartet hatten, war er damals ein Misserfolg. Den Grund kann man erahnen aus einem Bericht eines Zuschauers. James O'Ehley berichtet über seine verwirrende Erfahrung:

Watching Tron today is a curious out-of-body experience. I can't remember the last movie I have watched feeling so emotionally detached from on-screen events, probably Wing Commander (ironically based on a computer game!). It is very difficult to become emotionally involved with Tron: the characters in it are nonentities and one doesn't much care what happens to them. Also, the story is extremely muddled and confusing at times. It's as if one is watching someone else play a computer game, but you don't know what the ground rules are.278

Für ihn war das Zuschauen des Films eine merkwürdige Erfahrung der Entkörper- lichung. Seine Emotion und Gefühle blieben unbeteiligt an den Leinwand- Ereignissen. Es war für ihn sehr schwierig, in den Film hineingezogen zu werden. Woher kann das von dem narrativen Ereignis abgetrennte Gefühl des Zuschauers kommen? Vor allem die Tiefenlosigkeit der Repräsentation trägt zur derartigen Erfahrung bei, wie Sobchack erklärt: „This ‚suppression of depth‘ finds representation in the obvi- ous pictorial flatness mapped and dramatized by films like TRON and THE LAST 279 STARFIGHTER.“ Dies ist davon abgeleitet, dass die beiden Computer-Grafik und elektronische Bild-Herzeugung benutzen. „Computer generation has flattened and schematized three-dimensional space into the two-dimensional, conceptual space of video games and computer programs.“ 280 In diesem Prozess wird „analogic physical progress“ als „binary information process“ reformuliert.281 Der Hyperraum dieser Filme sieht daher zwei-dimensional und flach aus, obwohl er drei-dimensional dargestellt wird: „The hyperspace of these films is proudly two-

277 „Davon ließ sich der Science-fiction-Autor William Gibson anregen, der den Begriff Cyberspace geprägt hat. Zuerst taucht er in seiner Erzählung Burning Chrome von 1982 auf, um dann in dem Roman Neuroman- cer 1984 prominent zu werden.“ Roesler / Stiegler (2005), S.59. 278 http://www.scifimoviepage.com/tron.html (20.07.2006) 279 Sobchack (1991), S. 256. 280 Ebd., S. 257. 281 Ebd. 88 dimensional – even in its depiction of three-dimensionality.“282 Denn die elektroni- sche Simulation ersetzen die kinematografischen Bilder. Die Tiefe der kinema- tografischen Repräsentation wird nämlich durch die Oberfläche des flachen Bild- schirms ersetzt. Wenn man deswegen in den Hyperraum des Bildschirms eintreten will, dann ist es unvermeidbar, dass der menschliche Körper und die filmische Figur entsprechend dem Hyperraum mutieren. Sie können daher erst mit Hilfe der Geräte wie ‘joy stick’, ‘mouse’, oder ‘space suit’ in den Hyperraum eintreten. Sie werden also so- mit digitalisiert.283 Und dadurch entsteht quasi die ‚Terminal-Identität‘. Nach Sob- chack zeigt TRON diese neue Subjektivität, die auf dem Computer- und Fernseh- Bildschirm konstruiert ist.284 Außerdem wird nicht nur der Mensch von dem Hyperraum verschlungen und ver- flacht, sondern auch alle Dinge im Film. Daher wird alles im Film rein zu Simulati- on. Dies verweist die Hinweise auf den multinationalen Kapitalismus, der alle Din- ge fetischisiert und die Menschen verdinglicht. Der Hyperraum im Film ist daher vor allem der Ort, der durch die neue kulturelle Logik der Postmoderne geprägt ist.

III.4.1.2 Das Bewusstsein des Computers - WAR GAMES David ist ein Computer-Freak und mag Video-Spiele. Er kann sogar seine schlech- te Schulnote verändern, indem er den Schul-Computer hackt. Während er nach Computer-Spiel sucht, gerät er zufällig mit einem Spiel Internationaler Thermonuk- learer Krieg in Verbindung. Aber das ist ein Computerspiel des dritten Weltkriegs, das vom Kriegsoperationszentrum der USA betrieben wird. Somit wird David we- gen Hacking verhaftet. Trotzdem wird das Spiel, mit dem David angefangen hat, weiter ausgeführt. Der General vom KOZ hält jedoch die nukleare Kriegssimulati- on für real und befiehlt, gegen Russland Raketen abzuschießen, weil laut Spiel die USA von Russland angegriffen werden sollen. Bevor Raketen abgeschossen wer- den, taucht Dr. Falken auf, der der Erfinder der Kriegssimulation war und für tot gehalten wurde. Er erklärt, dass es nur ein Computerspiel ist, das er selber pro- grammiert hat. Demnach nimmt der General den Anschlagsbefehl zurück. Der Computer treibt dennoch den Krieg wirklich weiter. Aber mit Hilfe vom Computer- Genie David wird die Ausführung letztlich verhindert.

282 Ebd., S. 256. 283 Vgl. ebd., S. 257. 284 Vgl. ebd. 89 WAR GAMES ist durchaus mit der residualen Kulturlogik des Realismus ausgestat- tet. Aber es ist unübersehbar, dass der Film, wie gesagt, den neuesten Stand der damaligen technischen Entwicklung widerspiegelt und die neue Szene des Bild- schirms zeigt. Hier wird die Kriegssituation zwischen den USA und Russland auf dem Bildschirm rein visuell dargestellt, aber in Wirklichkeit passiert nichts. Trotzdem reagiert man auf die Bildschirmereignisse so, als ob sie entsetzlich und real wären. Diese Szene wird nicht drei-dimensional, sondern zwei-dimensional repräsentiert. (Abb. III-3) Denn statt der kinematografischen Repräsentation tritt die elektroni- sche Simulation ein.

Electronic simulation's hyperreality is valued precisely because it is an ab- straction of cinematic representation. Where the latter re-presents three- dimensional space and the analogic variations of light and atmosphere that constitute the sensual experience of texture and contour, the former computes and simulates represented space - analyzing, schematizing, and digitally co- ordinating it so that three dimensions, texture, and contour are diagrammed rather than pictured.285

In WAR GAMES zeigt die elektronische Repräsentation das Bewusstsein des Com- puters. Darin, also in diesem schematisierten Raum entwickelt sich der Krieg zwi- schen den beiden Ländern. Dies ist nämlich die Simulation der Kriegssituation. In dieser Simulation sieht man nur die leuchtenden Pfeile, die die ikonische Darstel- lung der abgeschossenen Rakete sind. Allein durch diese Simulation weiß man nicht, was an der realen Kriegsfront tatsächlich passiert. Es ist also für die Politiker in der Kammer keine unmittelbare Erfahrung möglich. Daher könnte man dies den Medien-Krieg nennen, wie Paul Virilio ihn beschreibt: Der Golfkrieg ist „der erste Fernsehkrieg der Geschichte“.286 Virilio zufolge ist der Golfkrieg, von dem wir wis- sen, nur die simulierten Bilder des Kriegs, kein realer Krieg, wie Virilio angemes- sen erläutert:

dieser über den Bildschirm wahrgenommene Weltkrieg in Kleinformat ist un- trennbar verbunden mit seiner kathodischen Einrahmung, so dass er künftig nur noch auf dem Speichermedium der Videokassetten vorhanden ist, die heutzutage neben WARGAME und NINTENDO vertrieben werden.287

285 Ebd., S. 261. 286 Virilio (1997), S. 147. 287 Ebd., S. 147. 90 In der Vermittlung des Mediums bleibt unser Wissen von dem Krieg somit allein auf der Oberfläche des Fernseh-Spektakels. Damit versagt stets unser Versuch, unter die Oberfläche zu dringen. Dies ist das Resultat der neuen Medien- Technologie, die selbst unser Bewusstsein durchdringt und letztlich verändert.

Und dieses neue Bewusstsein zeigt sich eben in WAR GAMES als die neue Kultur- logik des Spätkapitalismus, in dem alles von den simulierten Bildern der neuen Medien umgeben ist. Für Sobchack bedeutet diese elektronische Simulation deswegen das Ende des Realismus und den Tod der kinematografischen Bilder: „Such displays signify both the end of ‚realism‘ and the ‚death‘ of the cinematographic image.“288 Statt der ki- nematografischen Bilder wollen die elektronischen Bilder noch realistischer aus- sehen, aber dieser nostalgische Blick auf den Realismus der kinematischen Bilder wird deswegen eher konservativ bewertet. Je realistischer sie werden wollen, des- to konservativer sehen sie aus. Allerdings weist dies auch auf die Durchdringung des Spätkapitalismus hin, der mit den neuen Medien zusammen hängt.

Thus, this different kind of representation and degree of abstraction not only points to the less schematized „realism“ of cinematographic representation, but also concretely figures – and displays – the kind and degree of power and pervasion „effected“ by multinational capital’s entailment with electronic tech- nology, and its constitution of video game consciousness.289

III.4.1.3 Der fetischisierte und sexualisierte Bildschirm - ELECTRIC DREAMS Der Architekt Miles Harding pendelt von LA zu seiner Architekturfirma in San Francisco. Aber er hat öfters Verspätung. Er wird daher von seinem Chef gewarnt. Schließlich sucht er nach einem Planer, um sein Leben ordentlich zu organisieren. Er kauft sich daher einen Personal Computer. Dieser wird mit all seinen Haus- haltsgeräten verknüpft, und alles wird durch ihn kontrolliert. Eines Tages zieht die Cellistin Madeline Robistat als neue Nachbarin ein. Der Computer Edgar verliebt sich bald in die Cellistin, als er durch den Luftschacht ihre Musik hört. Er kann so- gar die Cello-Musik von Madeline begleiten. Madeline ist davon begeistert. Sie glaubt, dass ihr Nachbar Miles die Musik komponiert. Dadurch verlieben sich Miles und Madeline langsam. Der Computer Edgar wird jedoch eifersüchtig und versucht, die Liebe zwischen Miles und Madeline zu verhindern, weil er sich selbst in sie

288 Sobchack (1991), S. 261. 289 Ebd. 91 verliebt hat. Aber Miles merkt diese merkwürdige Tatsache und versucht, ihn aus- zuschalten. Letztendlich gerät er außer Kontrolle. Er gesteht ihr letztlich, dass er sie liebt, als sie zufällig Miles’ Zimmer betritt. Doch er weiß, dass sie ihn nicht lie- ben kann. Letztlich hinterlässt er ihr seinen Namen Edgar und muss sich nun selbst zerstören. 1984 ist der PC in den USA nicht mehr fremd. Elektronische Rechner, Elektroni- sche Spielzeuge und Elektronische Uhren usw. sind überall im Alltag präsent. Im Film ist ein so kleiner Computer trotzdem allmächtig, im Vergleich mit der Größe des Computers im Film DEMON SEED (1970). Der konnte zwar auch alle elektroni- schen Geräte kontrollieren: Tür, Lampe und Mixer usw. Allerdings wird der PC Edgar hier als eine Wundermaschine behandelt, obwohl der reale PC kaum zu dem fähig ist, was im Film dargestellt wurde.290 Er besitzt auch keine emblematische Kraft, die aus der äußeren Form herausstrahlt. Statt- dessen verfügt er vor allem über einen hervorragenden Bildschirm, oder eher Bild- schirmbilder. Diese grafische Darstellung scheint ein Moment zu sein, den Film attraktiv zu machen. (Abb. III-4) Der amerikanische Filmkritiker Roger Ebert schätzt insbesondere die Szenen, in denen die graphischen Darstellungen des PC zu sehen sind:

If ELECTRIC DREAMS were only about this ancient old plot, it would have been a fairly routine movie. Several things make it more than that, and, in or- der of importance, they are: (3) the graphics, and particularly the way the movie pictures the computer's wilder flights of fancy.291

In diesem Sinne stellt ELECTRIC DREAMS die grafische Darstellung in den Vorder- grund. Somit ist es offensichtlich, dass sein Oberflächen-Effekt eine entscheiden- de Rolle gespielt hat, um die Zuschauer anzulocken. Durch diesen Bildschirm- Effekt werden eher die zweidimensionalen Schemata auf dem flachen Bildschirm als die realen Dinge privilegiert und von den Zuschauern bevorzugt. Damit werden nicht nur die realen Dinge, sondern auch die Figuren verflacht und verdinglicht. Das heißt, eher der Effekt des Bildschirms als der Affekt der Figuren wird in die- sem Film hervorgehoben und gelobt. Damit wird der PC mit seiner privilegierten Oberfläche sogar fetischisiert und sexualisiert:

290 Allerdings hält sich die Idee, den Haushalt per Computer zu kontrollieren, hartnäckig und ist in manchen Pilotprojekten inzwischen auch realisiert. 291 Ebert (1984), http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19840101/REVIEWS/401010 333/1023 (20.07.2006) 92

That scene, and a lot of other virtuoso moments in the movie, are photo- graphed by Alex Thomson with a kind of fluid, poetic visual abandon that makes the movie a lot of fun to watch. The camera sweeps low over a key- board, taking a flight that's almost as exhilarating as one of those swoops in STAR WARS. During the songs, the screen fills with a kind of orgasmic com- puter screen display.292

III.4.2 Inflation Inflation hat insbesondere mit dem Überfluß des Materials zu tun. Statt mit der Na- tur wird der diegetische Raum mit den entworfenen Artefakten ausgefüllt. Sie bil- den sich sogar in mehreren Schichten. Eine scheinbare Oberfläche besteht in der Tat aus den verschiedenen Schichten mit den abundanten Dingen. Sobchack nennt diese Erscheinung „an excess scenography“.293 Aber diese Oberfläche wirkt nicht tief, sondern nur oberflächlich, und in der Oberfläche reich und komplex, weil ihre Abundanz den Zuschauern nicht erlaubt, in die Tiefe der Dinge hineingezogen zu werden. Die Zuschauer müssen immer auf der reichen und komplexen Oberflä- che herumwandern, die man in fremden Metropolen erleben soll. Als ein Beispiel für diese Inszenierung nennt Sobchack den Film BLADE RUNNER. Für sie inflatiert der Film den Wert des Raums, er wird wegen seiner raffgierigen Kraft geschätzt. Sobchack behauptet:

An abundance of things to look at serves to inflate the value of the space that contains them, […]. Indeed, the space mapped here is valued for its acquisi- tive power, its expansive capacity to accumulate, consume, and hold on to „things.“294

Alle Dinge sind in einer Szene versammelt. Selbst Abfälle, Müll und Autotrümmer werden als die Elemente der Inszenierung exponiert. Diese Inszenierung gilt daher so, als ob sie ein Mülldepot oder Museum wäre, wie Sobchack sagt, „This new de- signed and resigned SF space collects and contains the temporal flow of narrative 295 and history as if it were both museum and city dump.“ Zum Beispiel zeigen DU-

NE (USA 1984, David Lynch) oder THE TERMINATOR (USA 1984) diesen Wert des Raums, der mit der Ästhetik des Verfalls, also der Ästhetik der Entropie bezeich- net werden kann,296 wie Hal Hinson sagt, „Decay is build into his images. His spe-

292 Ebd. 293 Sobchack (1991), S. 262. 294 Ebd., S. 262. 295 Ebd., S. 263. 296 Vgl. ebd. 93 cial talent is that he has found beauty in entropy.“297 Dies erklärt Sobchack wie folgt:

Dune notwithstanding, this entropic aesthetic most commonly finds its realiza- tion in those SF films that concretize and privilege the material aggregations of the city dump – the most literal among them The Terminator. Trash and Waste, pollution and decay, are visualized as curious and beautiful, postmodern sen- sibility finding aesthetic pleasure and sublimity in the accumulation and trans- formative decay of the cityscape where, as Jameson points out, „even the automobile wrecks gleam with some new hallucinatory splendour.“298

Aufgrund dieses Überfluß an Material wird die Natur selbst im filmischen Raum verfinstert, wie Sobchack es als ‚eine radikale Eklipse der Natur selbst‘ bezeichnet. Der Raum ist nämlich verdinglicht. Die naturliche Leerheit des Universums ist in den heutigen SF-Filmen nicht zu sehen, Sobchack zufolge, anders als in den Fil- men der 50er Jahren. Stattdessen scheinen wir heute eher in die Mikrowelt des Materials einzugehen. Statt der Abenteuer der Makrowelt beginnt die Reise in die komplexe Mikrowelt. Damit können wir nicht mehr der Mikrowelt der Dinge entkommen. Wir werden nun in den komplexen vielschichtigen Raum des Dinges lange eingeschlossen sein. Vor allem in den Computerfilmen seit den 80er Jahren wird die binäre Innenwelt des Computers, der Cyberspace erforscht und nach außen visualisiert. Wir wollen genau so in der Mikrowelt die Tiefe erleben, wie uns der offene Nachthimmel die Makrowelt beschert hat. Aber es scheint unmöglich zu sein, in der verdinglichten Innenwelt des Computers die psychische Tiefe zu erreichen. Je tiefer wir die Din- ge erforschen, desto schwerer können wir daraus entfliehen, wie Sobchack sagt, wenn sie THE INCREDIBLE SHRINKING MAN (Die unglaubliche Geschichte der Mr. C.

USA 1957, Jack Arnold) und THE INCREDIBLE SHRINKING WOMAN (Die unglaubliche Geschichte der Mrs. K. USA 1981, Joel Schumacher) miteinander vergleicht: „A fi- gure of the 1980s, Pat – unlike Scott – cannot escape into some cosmically empty and uncommodified universe.“299 Aber in den Computerfilmen spielt der filmische Raum der 90er Jahre im Hinblick auf die Inflation eine Rolle. Während Deflation in den 80er Jahren auf die privile- gierte Repräsentation der Oberfläche als eine Art der neuen Oberflächlichkeit hin- weist, spielt Inflation als die „implodierte Oberfläche“ in den 90er Jahren eine zent-

297 Hanson (1984), S. 46. Zitiert nach Sobchack (1991), S. 263. 298 Sobchack (1991), S. 263ff. 299 Ebd., S. 269. 94 rale Rolle. Das Bildschirm-Denken und die Bildschirm-Repräsentation verbleiben immer noch und werden sogar verstärkt. Die Oberfläche erweitert ihre Kolonie durch das Netz und versucht, die neue Tiefe zu erreichen. Die 90er Jahre finden zwei große Strömungen in der Geschichte des Computer- films, die auf der Verbreitung des World Wide Web und auf den neuesten Errun- genschaften der Computer-Grafik basieren. Sie trugen nämlich zur Vervollständi- gung der CG-Technik und zur Erweiterung des Computerfilms bei. Einerseits versucht die Computer-Grafik sich zu perfektionieren, weil das frühere

Niveau, das Tron erreicht hatte, noch nicht vollständig war. In TRON hatte alles so wie die elektronischen Bilder ausgesehen, aber tatsächlich hat TRON erheblich die 300 Animations-Technik verwendet. In den 90er Jahren haben Filme wie THE LAWN-

MOWER MAN (USA 1991), TERMINATOR 2: JUDGEMENT DAY (USA 1991), und JURAS-

SIC PARK den neuesten Stand der CGI (computer generated imagery) erreicht und dadurch die neue erwünschte Tiefe gestaltet. Andererseits wurde die neue Tiefe in Bezug auf das Internet in eine andere Rich- tung explodiert, besser gesagt implodiert, weil die Innenwelt der Computer die Tie- fe erweitert hat. Die Netzwelt richtet sich nicht nach der Außenseite, sondern nach der Innenseite, die durch Computer vernetzt ist und dadurch die Virtuelle Realität simuliert. Diese neue Strömung wird dem entsprechend im Film thematisiert und schafft den neuen filmischen Raum, unabhängig davon, ob die Filme mit Hilfe der kinematographischen Repräsentation oder der elektronischen Simulation herge- stellt sind. SNEAKERS (1992), HACKERS (1995), THE NET (1995), VIRTUOSITY (USA

1995), MULTIPLICITY (USA 1996) und THE MATRIX (1999) zählen dazu.

Beispielhaft werden hier nur drei Computerfilme analysiert: THE LAWNMOWER MAN,

HACKERS und VIRTUOSITY. In THE LAWNMOWER MAN wird der natürliche Raum ver- finstert, indem der irdische Raum durch die virtuelle, innere Mikrowelt des Compu- ters ersetzt wird. HACKERS zeigt uns die durch das Netzwerk vernetzte Welt: eine implodierte Welt. In diesem transzendentalen Raum fühlt man sich verwirrt auf

Grund der komplexen Vernetzung. VIRTUOSITY bietet uns eine mögliche Welt an, in der man über die autonome Netzwelt hinaus in das Reale wieder eintauchen kann, also die Grenze von Imaginären und Realen verschwindet. Dadurch zeigt der Film eine explosive Inflation der Netzwelt auf.

300 „Obwohl viele der traumhaft schönen Hindergrundszenen bereits damals vom Computer generiert wurden, muss ‚Tron’ doch unter der Rubrik ‚Animation’ eingereiht werden.“ Manthey (1996), S. 189. 95 III.4.2.1 Eklipse der Natur - THE LAWNMOWER MAN Der VR-Forscher Dr. Lawrence Angelo verwandelt den geistig behinderten ‚Ra- senmähermann’ Jobe in den Intelligenten Mann, indem er Medikamente und VR benutzt. Aber ein Agent der Regierung ersetzt heimlich die Medikamente durch experimentelle Medikamente und dadurch wird Jobe gewalttätig und rachsüchtig. Er tötet diejenigen, die ihn früher beleidigt haben. Nun will er im Internet der Ero- berer der Welt werden. Jobe wird durch Brille und Kabel mit dem Computer angeschlossen und einges- cannt und wird in die VR hineingezogen. In der VR bekommt er einen neuen Kör- per, der aus den digitalen Bits besteht. In der Welt werden er und seine Geliebte auch zum flüssigen Metall, und sie verschmelzen und werden in das Metall-Insekt transformiert. (Abb. III-5) Durch diesen Spezial-Effekt wird eine neue Tiefe erreicht, die sich tiefer als in dem früheren Film TRON darstellt. Aber in diesem Raum gibt es keine referenziellen Gegenstände, die man in der realen Welt wieder erkennen kann. Hier gibt es nur Licht, Farbe und flüssige Gestalten, in denen man keine Referenz dazu in der Na- tur finden kann. Wie Sobchack formuliert, ist irdischer Raum leer301, Natur selbst verfinstert.302

III.4.2.2 Implosion der Netzwelt - HACKERS Wie gesagt, mit der Entwicklung des Internet hat sich die computergenerierte Welt viel mehr erweitert. Die ganze Welt ist dadurch miteinander vernetzt. Aber sie hat keine Immobilien. Sie ist nicht greifbar, nicht tastbar. Sobald alle Kabel des Netzes kurzgeschlossen werden, verschwindet das riesige Gebiet des Netzes blitzschnell. Sie ist nämlich eine elektronische Realität, also Simulation. Sie ist eine implodierte Welt des Netzes. Hinsichtlich der Raumzeit herrscht Synchronität über diese Welt. In dieser Welt kennt der Raum keine Grenze, keine Hierarchie, keine Macht. Der sichere Raum existiert nicht mehr, er ist jederzeit durchbrochen. Dadurch sam- meln sich alle verschiedenen Räume in der Gegenwart. Die Quantität des Raums steigt zu, wird übermäßig. Das verwirrt. Und man beschäftigt sich, sucht Zerstreu- ung. All diese Phänomene kann man im Film Hackers beobachten. Im Jahr 1988 wurde 11- jährige Dade Murphy zu einer Geldstrafe verurteilt, und ihm war nicht erlaubt, bis zum 18. Lebensjahr einen Computer zu nutzen, weil er

301 Vgl. Sobchack (1991), S. 262. 302 Vgl. Ebd., S. 266. 96 durch Hacking 1507 Computersysteme inklusive des Wallstreet- Rechensystems zum Absturz gebracht hatte. 7 Jahre später ziehen Dade und seine Mutter nach New York um. Da lernt er Kate und die Hacker an der High School kennen. Einer davon, Joey bricht in das Sicherungssystem GOD der Ellingson Mining Company ein. Daher wird er unter Hausarrest gestellt. Dave und seine Freunde werden in diesen Fall verwickelt. Joey wird verdächtigt, dass er ein Virus in das System ein- geschleust hat. Aber in der Tat wurde ein Virus namens DAVINCI von dem Chef „Plague“ von Ellingsons Security Service geschaffen. Er will damit einerseits alle Computersysteme des Funds hacken und daraus Geld abziehen. Andererseits verlangt er durch das Virus Geld, indem er es in die Systeme der Schiffe auf See einschleust und droht, sie zum Kentern zu bringen. Dieses Geheimnis hat Joey auf Diskette kopiert und vor der Verhaftung versteckt. Eugene (the Plague) muss sie finden, damit sein Verbrechen nicht verraten wird. Dementsprechend will er die Hacker dafür verantwortlich machen. Aber Dave und seine Freunde versuchen he- rauszufinden, was da vor sich geht. Sie haben endlich Erfolg damit, sein Verbre- chen aufzuhalten, indem sie alle Hackers mobilisieren können. Der Film zeigt die potentielle Macht der Internet-User, also auch der Hacker. Ohne sie wäre das mächtige Computersystem von EMC nicht zu durchdringen. Die Ha- cker aus aller Welt helfen Jades Team, dadurch wird der Virus DAVINCI entfernt. Das Manifesto des Hackers im Film weist darauf hin, wie die Welt räumlich nicht nur mich umgibt, sondern auch uns: ein Hinweis auf den miteinander vernetzten Raum, oder auf die Konstitution des multinationalen Kapitalismus.

Manifesto der Hacker Das ist hier unsere Welt. Die Welt ist Elektronen und Schaltungen. Die Schönheit der Bauten. Wir kennen weder Nationalität noch Religionsrichtun- gen, unterschiedliche Hautfarben auch nicht. Ihr seid für Kriege und Morde, lügt uns an, und betrügt uns. … Wir sollen Kriminelle sein. Ich bin ein Kriminel- ler. Mein Verbrechen heißt Neugier. Ich bin ein Hacker. Das ist mein Mani- festo. Es kann sein, dass ihr mich aufhaltet. Aber ihr könnt nicht uns alle auf- halten.

Der Raum im Netz erweitert seine Enklave, aber das ist nicht die physische Aus- dehnung des Raums, sondern nur dessen elektronische Erweiterung, die Implosi- on des Weltraums. Wie gesagt, hat der Raum keine Tiefe, keine physische Aus- dehnung. Daher ist er absolut. In diesem Raum wird man verwirrt, weil er trans-

97 zendentaler Raum ist, der mit dem menschlichen Körper inkommensurabel ist. Um mit Kant zu reden, ist dies eine erhabene Erfahrung des Raums. Immerhin hat dieser implodierte Raum, also die Inflation mit der postmodernen Raumkonstellation zu tun, die unsere herkömmliche Perspektive verschwinden lässt. Die Perspektive, die im Zeitalter der Renaissance erfunden wurde, findet zum Beispiel in der Szene keine Gültigkeit, wo die Perspektive der Kamera und die des Bildschirms sich überlappen. Dadurch wird die Perspektive verdoppelt. Die Raumvorstellung macht uns verwirrend. (Abb. III-6)

III.4.2.3 Vom Imaginären zum Realen - VIRTUOSITY Mit der Zusammensetzung der Netzwelt und Cyberspace bleibt der elektronische Raum nicht nur im Cyberspace, sondern beginnt unsere reale Welt zu beherr- schen. Cyberspace erweitert durch die Netzwelt seine Enklave immer weiter aus. Dieser implodierte Raum explodiert bis zur realen Welt. Diese zunehmende Macht des Cyberspace zeigt VIRTUOSITY bespielhaft. Parker Barnes war Leutenant in der Polizei. Aber er ist im Moment im Gefängnis, weil er Unschuldige getötet hatte, während er seine Frau und seine Tochter, die von Geiselnehmern gefangen genommen waren, befreien wollte. Diesmal ist er ein Freiwilliger, um das VR-Training Programm der Polizei zu prüfen. Während der Prüfung kommt ein anderer Prüfer ums Leben, weil der neuronale Stimulus der Simulation zu hoch eingestellt war. Daher soll das Programm gestoppt werden. Aber der Schöpfer der VR gibt einem Killerprogramm namens SID 6.7 einen Kör- per mit Hilfe der Nano-Technik und lässt ihn in die reale Welt herausspringen. Da- bei verkörpert SID 6.7 180 den Typ Serienmörder und vor allem Matthew Crimes, der Parkers Frau und Tochter ermordet hat. Nun will SID 6.7 seine eigene Exis- tenz der Öffentlichkeit bekannt machen. Er tötet alle Menschen, die seinen Plan zu verhindern suchen. Deswegen ist der Leutenant Parker wieder im Einsatz, um ihn zu aufzuhalten.

Wie in THE LAWNMOWER MAN kann der menschliche Körper auch hier digitalisiert werden. Aber anders als dort bekommt die rein digital existierende Figur im Cy- berspace bei VIRTUOSITY einen physischen Körper und kommt aus der VR in die reale Welt. Dazu leistet er einen großen Einfluss auf das Reale. Eben die Szene der Metamorphose ist als eine symbolische Darstellung dafür anzusehen, wie groß die materielle Macht unsere Lebenswelt beeinflusst. (Abb. III-7)

98 Außerdem kann man sagen, dass ein Film wie dieser die Kulturlogik der Postmo- derne vertritt, weil er versucht, nur bloß das Spektakel der VR zu thematisieren oder einfach zu zeigen. Er legt nämlich großen Wert nur auf die Darstellung der Simulation. Die VR ist freilich nicht wirklich die VR, weil die VR im Film durch die kinematographische Methode gestaltet wurde und nur teilweise computergeneriert ist. Die VR erscheint so im Film, als sollte sie so aussehen, wie bei einer wirkli- chen Computersimulation. Daher hat sie die Tiefe, also den dreidimensionalen Raum. Dennoch weist die Repräsentation der VR auf das hin, was die VR ausmacht. In der VR hat der Raum keine Grenze, die computergenerierte Person ist unsterblich. Der Raum ist nicht statisch sondern immer veränderlich, die Zeit ist nicht linear, sondern umkehrbar. Die Person kann verschiedene Identitäten haben und ist da- her hybrid. Aber deswegen wird man verwirrt, wenn man wirklich in die VR eintre- ten kann. Darüber hinaus ist es merkwürdig, dass man verwirrt wird, nachdem man diesen Film gesehen hat. Ist der Grund dafür, dass der Film eben die VR thematisiert hat? Nein, es ist eher wahrscheinlich, dass die kulturelle Logik der Postmoderne, die durch die neue Technologie ausgelöst wird, unbewußt hervortritt. Das heißt, der Film bildet selber einen absoluten Raum der Postmoderne, dessen Eingang schwer zu finden ist, wie Fredric Jameson dies bei dem Beispiel von Bo- naventure Hotel erwähnt hat. Aber warum hat der Film als Raum keinen Eingang? Weil der Film vor allem kein anderes Ziel zu haben scheint, als den Zuschauern vielleicht nur die spektakuläre Darstellung der VR zu zeigen.

III.4.3 Conflation Conflation als die dritte SF-Kartografie bedeutet zuerst die Verschmelzung der beiden Kartografien: Deflaton und Inflation. Conflation impliziert nämlich die bei- den Werte. Aber sie ist vor allem durch „the discontinuity of a busy, eclectic, and decentered mise-en-scéne“303 gekennzeichnet. Dies resultiert jedoch daraus, dass diese filmischen Räume „the temporal and causal relations“ 304 spielerisch verspot- ten. Der Raum wird zunächst sehr ‚geschäftig’ dargestellt. Dies hat mit dem rapiden Wechsel von Einstellung und Montage zu tun. Damit wird der Zuschauer im narra- tiven Raum orientierungslos. Daher wird der narrative wie der kinematographische

303 Sobchack (1991), S. 269. 304 Ebd., S. 269. 99 Raum als oberflächlich und komplex wahrgenommen. Durch die verwirrende Ge- schäftigkeit wird der Raum nämlich als oberflächlich und komplex artikuliert, wie 305 Sobchack THE ADVENTURE OF BUCKAROO BANZAI analysiert. Der geschäftige Raum dekonstruiert zugleich die narrative Kohärenz, verstreut die Aufmerksamkeit und Intention des Zuschauers. Was hier von Bedeutung ist, ist nur der Wert des Raums, der aufgrund der Geschwindigkeit des Szenenwechsels verwirrend und oberflächlich wirkt. Indem nur auf die geschäftigen Aktivitäten der Oberfläche aufmerksam gemacht wird, ist es nicht möglich, dass man statt des Oberflächlichen die Tiefe hinter der Oberfläche lesen kann. Aus diesem Grund könnten sowohl Zuschauer als auch Figuren als ‚terminal‘ bezeichnet werden. Sobchack zufolge bedeutet dies „flatten- ing residual psychic depth into the visibility of convulsive activity displayed on complex space“.306 Damit empfindet man das Gefühl, dass etwas an dem Raum fehlt. Dies führt daher zur Oberflächlichkeit, in der der Raum nichts ‚mit der narra- tiven Tiefe, mit dem versteckten Sinn‘307 zu tun hat. Letztendlich ist Sobchack der Meinung: “it [conflation] constructs a bewildering and excessive conjunction of ma- terial and movement that decenters and disperses older forms of intension, atten- tion, and subjectivity.”308 In dieser Hinsicht gehören manche Computerfilme der 90er Jahren zu dieser drit- ten Kategorie der Conflation. Vor allem sie können durch die verwirrende Montage des Raums gekennzeichnet werden. Hier werde ich nur kurz einige Beispiele er- wähnen, weil diese Thematik wieder im nächsten Schritt im Bezug auf die Confla- tion der Zeit auftaucht.

In HACKERS versuchen Dave und seine Freunde, das Verbrechen Eugenes zu ver- hindern, indem sie alle Hacker der Welt mobilisieren. Bei dieser Sequenz des Mo- bilisierens ist ein rapides verwirrendes Schnittverfahren zu sehen. Alle Hacker der Welt werden sekundenschnell gezeigt und sind sofort wieder verschwunden, so dass man die Länder und Orte nicht richtig identifizieren kann. (Abb. III-8) Hier wird nur die mobilisierende Kraft des neuen Mediums selbst betont, die Identitäten der Länder werden nur oberflächlich angerissen. Wenn man bedenkt, was das Verständnis dieser Szene ermöglicht, erkennt man, dass die neue Form der

305 Vgl. ebd., S. 270. 306 Ebd., S. 270. 307 “with narrative ‚depth‘, with ‚hidden‘ meanings“ Ebd., S. 271. 308 Ebd. 100 Wahrnehmung eng mit der Entwicklung der neuen Medien wie Fernseher und World Wide Web verknüpft ist. Nicht nur technologisch, sondern auch ökonomisch gesehen, hängt diese neue Form unweigerlich mit dem multinationalen Kapitalis- mus von heute zusammen. Was der Film zeigt, ist in diesem Sinne eben die postmoderne Kulturlogik des Spätkapitalismus.

Auch in VIRTUOSITY kann der Zuschauer in Verwirrung geraten, wenn man die Szene betrachtet, in der der Serienmörder SID 6.7 selbst nicht weiß, wo er sich befindet, ob im Cyberspace oder in der realen Welt. Hier können die zwei ver- schieden Räume sowohl vom Zuschauer als auch vom Killer kaum unterschieden werden. Der Versuch, zwischen ihnen zu unterscheiden und sie zu identifizieren, macht hier keinen Sinn. Dies ist unser neues Bewusstsein, das von dem neuen Medium des Computers konstruiert ist. Oder dies könnte ein Hinweis auf die ver- einheitlichende Kraft des Spätkapitalismus sein, alle heterogenen Kräfte und Räu- me zu vereinen.

Jedenfalls ist der Cyberspace ein autonomer und absoluter Raum. In THE LAWN-

MOWER MAN ist die Virtuelle Realität als nun absolut und autonom zu bezeichnen. In diesem Raum wird man orientierungslos, weil man keinen Ausgang zur realen Welt und keinen Eingang finden kann. Richtungen wie Oben, Unten, Neben, Vorn und Hinten etc. sind sinnlos, und die Grenze zwischen Subjekt und Objekt besteht nicht mehr. Die VR ist ein absoluter Ort, wo alles möglich ist. Daher kann man die- sen Raum in die Kategorie der Conflation einordnen. Diese Conflation kann man in der folgenden Sequenz empfinden, wie sie Richard Scheib beschreibt:

The most striking of all is one sequence where two lovers become liquid metal, melding with one another and transforming into metallic insects flying across the computer-generated terrain.309

Das verwirrende Gefühl, das man in The Bonaventure Hotel empfunden hat, kann man auch beim Anschauen des Films THE LAWNMOWER MAN erleben. Weil der Zuschauer in diesem Fall nicht in die Tiefe des narrativen Raums hinein- gehen kann, sondern nur auf der Oberfläche bleiben soll, wo das Material wie das Licht, die Farbe oder die neue Technologie ihn spektakulär verführt, was ein Zu- schauer so formuliert:

309 Scheib (1992), http://www.moria.co.nz/sf/lawnmower.htm (20.07.2006) 101 However, one cannot help but leave the cinema feeling cheated, feeling that all those incredible graphics might have been better served by a better screenplay - perhaps William Gibson's Neuromancer...[…]This film gets three stars purely for its special effects - and the lucid way in which it brings the concept of Cyberspace to a larger (movie) audience. The plot, alas, is pathetic. It is loosely based on a short story by horror maestro Stephen King.310

THE MATRIX (USA1999) zeigt uns die reinste Form des Spätkapitalismus, die der Conflation als einer der räumlichen Koordinaten entspricht. Anderson arbeitet als Software-Programmierer und ist zugleich als Computer- Hacker Neo tätig. Eines Tages wird er angerufen und zu einer von Morpheus ge- führten Widerstand-Gruppe eingeladen, die gegen das Matrix-System kämpft. Die Matrix ist eine zukünftige Welt, die von der Maschine beherrscht wird. In dieser Welt glauben die Menschen jedoch, dass sie in der realen Welt leben, obwohl sie in der Tat in der von der Maschine simulierten Welt lebten, als ob man im Traum- zustand sei. Morpheus und seine Mitglieder kämpfen gegen dieses System mit ei- nem Raumschiff, das wie ein Virus im System wirkt. Hiermit erkennt Neo, dass er nur in der Matrix existiert, nicht in der realen Welt. Morpheus hält Neo für „Ihn“, den Retter. Morpheus besucht eine Prophetin, um seinen Glauben an Neo zu bestätigen. Auf der Rückkehr nach dem Raumschiff stoßen Morpheus, Neo und seine Mitglieder auf den Agent Smith der Regierung, der dem System dient. Wegen des Verräters Sypher wird Morpheus von Smith ge- fangen und einige Mitglieder werden getötet. Um Morpheus zu retten, sind Neo und die Kriegerin Trinity wieder im Einsatz. Aber nachdem sie Morpheus gerettet hatten, wird Neo von Smith getötet, während des Kampfs zwischen den beiden. Doch Trinity belebt Neo durch ihren Kuss wieder: Damit hat sich Neo als „Er“ und als unsterblich erwiesen. Der Agent Smith wird nun ohnmächtig vor Neo und die Widerstand-Gruppe hegt wieder Hoffnung auf die Befreiung von der Matrix.

Der Raum in THE MATRIX ist noch verwirrender und unfassbar. Morpheus sagt, dass Neo in der Matrix lebt, aber dass er davon nichts weiß. Aber er sagt zugleich, dass Neo im Wunderland ist, in dem er die Wahrheit erkennen kann, dass er in der Matrix gelebt hat. Und dieses Wunderland erscheint im Film als ein realer Raum, der von der Matrix abgetrennt ist. Aber von der Perspektive der Zuschauer aus scheint auch das Wunderland, wie sein Name darauf hinweist, eine Matrix zu sein, die wieder auf der filmischen Welt, wo die Figuren Morpheus und Nero er- scheinen, hinweist. Der Film ist selber in diesem Sinne ein selbstreferentieller

310 O’Ehley (1997), http://www.scifimoviepage.com/Lawn.html (20.07.2006) 102 Raum. Dieser Raum ist ein Möbiusband und hat keine Differenz von Außen und Innen. Er ist eine ewige Kette des Widerspruchs: eine verwirrende Raumerfahrung.

103 IV. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DER ZEIT: VERRÄUMLICHUNG DES ZEITLICHEN

Bisher handelte es sich darum, welche Eigenschaften der neue Weltenraum in die Computerfilme eingeprägt hat, hinsichtlich des kinematographischen und narrati- ven Raums. Wie gesagt, sind die kinematographische Oberfläche und die narrati- ve Konstellation des Raums durch seine Tiefenlosigkeit oder Oberflächlichkeit ge- kennzeichnet. Der filmische Raum erlebt nun also seine Deflation, Inflation, und Conflation, indem der traditionelle Raum durch die übermäßigen Materialien und die neue Digitaltechnologie in den neuen Hyperraum transformiert wird. Aber die Logik des Hyperraums löst eben die Probleme wie die ‚Krise der Historizi- tät‘ und ‚die Frage nach der zeitlichen Ordnung‘ aus, wie Fredric Jameson be- hauptet.311 Und sie haben nicht nur existenzielle Konsequenzen sondern auch äs- thetische Konsequenzen. Diese kann man in der formalen Struktur und narrativen Thematik der zeitgenössischen SF-Filme wieder finden. Dies erläutert Sobchack wie folgt:

Our contemporary cultural inflation of the value of space and surface has sev- eral existential and aesthetic consequences, which, again, find symbolic dramatization in the formal structures and narrative thematics of the contem- porary SF film. Jameson identifies one of these consequences as the „weak- ening of historicity,“ and he goes on to explore „the question of temporal or- ganization… in the postmodern force field“312

IV.1 Die Verräumlichung des Zeitlichen

Diese Konsequenzen resultieren aus der neuen Beziehung von Raum und Zeit in der Postmoderne. Die neue Beziehung erklärt Jameson durch die Begrifflichkeit der „Verräumlichung des Zeitlichen“313. Diese bietet uns zunächst die Möglichkeit, den Unterschied zwischen der Moderne und der Postmoderne in Bezug auf Com- puterfilme besser zu veranschaulichen, wie Jameson behauptet: „Als eins der fruchtbareren Kriterien, um Postmoderne von der eigentlichen Moderne zu unter- scheiden, […], bietet sich eine gewisse Wende zur Räumlichkeit an.“314

311 Vgl. Jameson (1997), S. 70. 312 Sobchack (1991), S. 272. 313 Jameson (1991), S. 75. 314 Ebd., S. 73. 104 Vorausgesetzt, dass Raum und Zeit jeweils eigentlich als autonom und unabhän- gig voneinander angesehen werden, herrscht Jameson zufolge die räumliche Lo- gik heute im Spätkapitalismus über die zeitliche Logik. Diese ist nämlich jener un- tergeordnet, um „die Zeit dem Raum dienstbar zu machen“315. Jameson bezeich- net in seinem Aufsatz Postmoderne und Utopie dieses neue Phänomen als ‚die Verräumlichung des Zeitlichen‘. Es ist angemessen, wenn Sobchack unter der ‚Verräumlichung des Zeitlichen‘ die Transformation der Zeit in das, was greifbar ist und was sichtbar ist, versteht.316 Sobchack findet ihre Transformation im SF-Film visualisiert, wo die Zeit am deut- lichsten in das Sichtbare und Greifbare transformiert wird. Aber Jameson nimmt zunächst ein Beispiel dafür aus einem Roman des amerikanischen Autors J.G. Ballard, dessen Voices of Time für Jameson als „das Schreiben der Zeit, ihre Re- gistratur“317gilt:

Eigentlich jedoch arbeitet Ballard sprachlich an den vielfältigen Signaturen der Zeit selbst, die sein eigenes Schreiben liest wie die Muster und Ausstellungs- stücke des zeitlichen Zoos oder der endzeitlichen Labors, die sein Held einge- richtet hat.318

In diesem Sinne könnte die Verräumlichung als die Textualisierung der Zeit ge- deutet werden. Auch die Konzeptkunst dient Jameson als ein Beispiel dafür: „Auch die Konzept- kunst (conceptual art) steht offenbar im Zeichen der Verräumlichung“.319 So funkti- oniert in Hans Haackes Installation das Museum auf zweierlei Weise: einerseits gilt es als der Raum, in dem die Kunstwerke ausgestellt werden, andererseits als der Ort, wo seine institutionelle Totalität verraten wird.320 Jameson beschreibt sein Werk daher so:

Bei Haacke jedenfalls werden die Tendenzen zur Verräumlichung, die der Konzeptkunst von Anfang an eigen sind, offenkundig und unausweichlich in dem beunruhigenden Alternieren der „Gestalt“ zwischen einem „Kunstwerk“, das sich selbst abschafft, um die Museumsstruktur zu enthüllen, die es um-

315 Ebd. 316 Vgl., Sobchack (1991), S. 272 u. 274. 317 Jameson (1991), S. 73. 318 Ebd., S. 74. 319 Ebd., S. 81. 320 „Berühmt wurde Haacke nicht zuletzt durch die erzwungene Absage einer geplanten Ausstellung im New Yorker Guggenheim Museum 1971. Seine Foto- und Dokumentationsserie zur Immobilienspekulation in Manhattan war dem Museumsdirektor damals, gerade in Hinsicht auf die Geldgeber der Institution, politisch zu riskant.“ Thomas (1997), S. 33. 105 fasst, und einem solchen, das seine Autorität so erweitert, dass es nicht allein die institutionelle Struktur einbegreift, sondern die institutionelle Totalität, der es subsumiert ist.321

In diesem Prozess zeigt sein Werk uns quasi seinen konzeptuellen Vorgang. Hiermit verräumlicht sich sein Konzept selbst. Deswegen lässt sich die Konzept- kunst Jameson zufolge als „Kantischer Vorgang“322 fassen. Dabei werden „die Ka- tegorien des Geistes – die normalerweise nicht bewusst und einer unmittelbaren Darstellung oder einem thematisierbaren Selbstbewußtwerden oder der Reflexivi- tät unzugänglich sind – reflektiert“. 323 Und „ihre strukturierende Gegenwart wird vom Betrachter nebenher wahrgenommen wie die Muskeln oder Nerven, die man normalerweise nicht spürt, in Form jener besonderen geistigen Erfahrungen, die Lyotard Paralogien nennt“.324 Jedenfalls, sei es die ‚Registratur der Zeit‘ als die Textualisierung oder die Kon- zeptkunst, gehören all diese Phänomene zur Verräumlichung, weil sie das Un- sichtbare und Innerliche ins Sichtbare transformiert haben. Aber durch diese gro- ße Transformation empfindet man gleichzeitig ‚ein Gefühl des Verlusts‘. Dies ist also das Gefühl, dass die moderne Zeitlichkeit verloren geht. Jameson zufolge

ist es die Erinnerung an die Tiefe der Gedächtnisses, die trauern lässt, und eingeübt wird die Nostalgie über Nostalgie, über die großen alten gestorbenen Fragen nach Ursprung und Telos, nach der Tiefe der Zeit und dem Freud- schen Unbewußten […], und auch über die Dialektik sowie all die monumenta- len Formen, die in der Ebbe der Moderne auf dem Trockenen zurückgeblieben sind.325

Mit anderen Worten führt dieses Phänomen letztendlich zum Verlust der Historizi- tät, die Jameson zufolge „das Gefühl für die Vergangenheit“326 heißt. Und dies be- inhaltet „die gelebte Koexistenz verschiedener Produktionsweisen, die existentielle

321 Jameson (1991), S. 82. In diesem Zusammenhang sagt Hans Haacke in einem Essay: „Museen und ver- gleichbare Institute gehören zu den Agenten in einer Gesellschaft, die einen beträchtlichen, wenn auch nicht einen ausschließenden Anteil an der kulturellen Macht im Bereich der ‚hohen Kunst’ haben. Gleichgültig, ob ein Museum eine ‚konservative’ oder eine ‚Avantgarde’ Position einnimmt, […].“ Haacke (1998), S. 63. 322 Jameson (1991), S. 81. 323 Jameson (1991), S. 81. 324 Ebd. In seinem Buch Das postmoderne Wissen setzt Lyotard den Konsens der Paralogie entgegen. Im Wörterbuch heißt Paralogie „phrasenhaftes Vorbeireden an einer Sache aus Konzentrationsschwäche“. In diesem Sinne sagt Lyotard, „es [das postmoderne Wissen] selbst findet seinen Grund nicht in der Überein- stimmung der Experten, sondern in der Paralogie der Erfinder.“ (Lyotard 1999, S. 16) Dazu sagt Lyotard noch, dass das Ziel der Diskussion nicht der Konsens sondern die Paralogie ist. (Vgl. ebd., S. 190) Hier wird der Wert weniger auf das Ziel als die Redensart selbst gelegt. Lyotard (1999), o.S. 325 Ebd., S. 76. 326 Jameson (1991), S. 78. 106 Erfahrung vielfältiger ‘alternierender’ historischer Welten innerhalb eines einzigen Lebens und innerhalb eines Individuums:“327 Aber heute erlebt dieses moderne Gefühl der Historizität den Verlust, weil „wir die immer gleiche ‚eindimensionale‘ Landschaft einer vollendeten Modernisierung bewohnen“. 328 Jameson geht weiter:

das Wort ‚modern‘ verliert seinen Sinn und seine Bedeutung dort, wo die Mo- dernisierung die Regel und nicht die Ausnahme und wo alles immer schon technologisch ist (einschließlich unserer selbst, deren Körper und Psyche Computerprogramme wie alles andere geworden sind).329

Das heißt, die vielfältigen existentiellen Erfahrungen des modernen Individuums verlieren ihre Tiefe, die geschichtlich und existentiell begründet ist, und werden in dem neuen Weltenraum zu Disneyland-Simulakren transformiert, die nur als die Abbilder der vielfältigen Erfahrungen gelten. In diesem neuen Raum liegt es daher nahe, dass allein der Wert der Gegenwart hochgeschätzt wird. Denn die vergan- genen Erfahrungen und Gedächtnisse werden in der Gegenwart nur als verlore- nes Objekt und verlorengegangene Erfahrung repräsentiert, wie die Disneyland- Simulakren. Adam Roberts veranschaulicht in Fredric Jameson, was man unter dem Verlust der Historizität versteht. Als ein Beispiel nimmt er den Film TITANIC (USA 1997). Roberts zufolge passen die Kleidung und das Aussehen im Film gut zur histori- schen Periode zusammen, aber die Figuren und ihr Dialog usf. operieren auf der Ebene der laufenden Gegenwart von den 1970er bis 1990er Jahren.330

So, Kate Winslet’s character gives the ‘fuck-you’ finger gesture to her would- be fiancé, something quite inconceivable for a well-bred young woman in the actual early years of the century.331

Als noch ein Beispiel nimmt er den Film ROBIN HOOD: PRINCE OF THIEVES OR FIRST

KNIGHT (USA 1991, Kevin Reynolds). Dabei verbleibe historische Genauigkeit al- lein auf der Oberfläche. Denn:

327 Ebd., S. 78. 328 Ebd., S. 79. 329 Ebd. 330 Vgl. Roberts (2000), S. 128f. 331 Ebd., S. 129. 107 There were no handguns in medieval England, and so [the films like that] equip their characters with bows and crossbows instead: but these crossbows will still fire a seemingly endless supply of bolts as if they were guns loaded with ammunition.332

Jameson findet dieses Phänomen vor allem auch in der Architektur und bestimmt es als ‚Historizismus‘. Jameson zufolge „dominieren [in der Architektur] die willkür- liche Plünderung aller Stilrichtungen der Vergangenheit, das Spiel mit zufälligen stilistischen Anspielungen, […].“ 333 Wie Roberts es oben geschildert hat, kann man in diesem Sinne auch im Film Historizismus finden. Diesen neuen Drang nach Geschichte nennt Jameson im neurotischen Sinne ‚Nostalgie‘. Ich werde zu dem Thema ‚Nostalgie-Welle‘ später noch mal zurückkommen.

IV.2 Die Elegie über den Verlust des persönlichen Gedächt- nisses

Die Krise der Historizität ist mit dem Phänomen der Verräumlichung des Zeitlichen ausgebrochen, wie oben geschildert. Und dies hat hier immer mit dem Verlust des Gedächtnisses zu tun, das existentiell und auf Dauer gebildet ist. Deswegen be- ginnt die Elegie über seine Krise von Anfang an in den Computerfilmen zu er- scheinen, die die Verräumlichung am deutlichsten repräsentieren.

Wenn Sobchack BLADE RUNNER hinsichtlich seiner Zeitlichkeit analysiert, behaup- tet sie, dass die Thematik des Films die Elegie über den Verlust der menschlichen Erinnerung und durée ausdrückt, aber seine mise-en-scène in der Tat gleichzeitig seine heterogenen Darstellungen des Raums zelebriert.

While its thematics explicitly elegize the „mysteries“ of durée and memory, its mise-en-scène explicitly celebrates space as a „field of stylistic and discursive heterogeneity“able to „transform the stream of time and action into so many finished, complete, and isolated punctual event-objects.“334

In diesem Sinne verhält sich BLADE RUNNER ambivalent in seiner Zeitlichkeit. Aber in den früheren Computerfilmen zeigt sich die elegische Haltung über die Krise des Gedächtnisses überwiegend.

332 Ebd., S. 129. 333 Jameson (1997), S. 63. 334 Sobchack (1991), S. 272. 108 So ist z.B. in DESK SET (1957) und THE INVISIBLE BOY (1957) diese elegische Hal- tung deutlich zu sehen. DESK SET stellt die neue Situation im Berufsfeld dar, in der das persönliche Gedächtnis plötzliche durch das elektronische Gedächtnis, also

Computer ersetzt wird. Die elegische Haltung von THE INVISIBLE BOY besteht darin, dass das Narrative zeigt, dass der Computer immer die Gefahr impliziert, die Welt zu zerstören, indem der Computer die Tätigkeit des menschlichen Gedächtnis ü- bernimmt, obwohl die elegische Haltung etwas neutraler als bei DESK SET darge- legt wird.

IV.2.1 Das durch Computer ersetzte Gedächtnis - DESK SET Das Narrative des Films weist bereits darauf hin, dass das menschliche Gedächt- nis durch das neue Medium ersetzt werden kann. Miss Watson und ihre Kollegin- nen arbeiten in der Informationsabteilung für eine Radio-Sendung. Sie geben den Zuhörern verschiedene Informationen dadurch, dass sie auf die Fragen der Zuhö- rer antworten. Dies tun sie anlehnend an den für sie zur Verfügung gestellten Bü- chern und Lexika im Archiv oder anhand ihres Gedächtnisses. Sie sind sehr stolz auf ihre Tätigkeit aufgrund ihres Wissensreichtums und ihres guten Gedächtnisses. Aber eines Tages stehen sie plötzlich vor einer Krise, nämlich ihren Job zu verlie- ren, weil die Modernisierung der Informationsabteilung begonnen hat. Modernisie- rung heißt Computerisierung. Hier zeichnet sich der Computer durch seine Schnelligkeit und seinen riesigen Speicherplatz aus, also etwas, das die Men- schen nicht überschreiten können. In diesem Sinne zeigt der Film schon seine E- legie gegenüber der Ersetzung des individuellen Gedächtnisses durch den Com- puter, obwohl seine elegische Haltung mit Humor überwunden wird.

IV.2.2 Der bedrohende und rettende Computer - THE INVISIBLE BOY

Aber in THE INVISIBLE BOY beginnt die elegische Haltung schon neutralisiert zu werden. Hier geht es um einen Amok laufenden Computer, der die Welt zerstören will. Die neue Computertechnologie gilt jedoch hier nicht nur als das die Menschen bedrohende Gerät, sondern auch als das sie rettende. Timmie ist ein typischer zehnjähriger Junge. Er mag das Lernen nicht. Er bekommt aber einen kaputten Roboter Robby von seinem Vater. Um das Hindernis von dem Roboter Robby zu entfernen, benutzt Timmie den Supercomputer seines Vaters. Aber dabei verwan- delt Timmie sich zufälligerweise in ein Genie, da der Computer Timmie seine In-

109 formationen überträgt. (Abb. IV-1) Dadurch ist Timmie nun so klug geworden, dass er beispielsweise gegen seinen Vater im Schachspiel gewinnen und die Welt vor dem katastrophalen Angriff der Aliens retten kann. Interessant ist hier die Tatsache, dass Timmie durch den Computer ein neues Ge- dächtnis erwirbt. Sein Gedächtnis wird hier nicht durch die existentiellen Erfahrun- gen und Erinnerungen gestaltet, sondern durch die elektronisch hergestellten Da- ten. Dazu bedarf es keiner zeitlichen Verzögerung. Die rasante Datenübertragung hinterlässt keine Spuren der temporalen Schichten wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Damit liegt es nahe, dass diese alles zu einem Zeitpunkt homogeni- sierende Kraft des elektronischen Gedächtnisses uns dementsprechend die neue Identität des Subjekts geben kann, so wie Timmie dadurch ein neuer Mensch ge- worden ist. Aber bei der Inszenierung des Films zeigt sich weniger die Elegie über den Verlust des Gedächtnisses als viel mehr der Jubel über das neue Gedächtnis.

IV.3 2001- A SPACE ODYSSEY und die Zeitlichkeit

Was ganz anders ist als bei den früheren Computerfilmen, ist die Tatsache, dass

2001- A SPACE ODYSSEY vor allem eher über den Verlust des Gedächtnisses des Computers als über den des menschlichen Gedächtnisses zu klagen scheint. Als Bowman HAL-9000 ausschaltet, singt der Computer ein altes Kinderlied, als ob er eine existentielle Erinnerung gehabt hätte. Dagegen wurden die meisten mensch- lichen Aktivitäten dem Computer überlassen. Daher sehen die Astronauten so aus, als ob sie über kein Gedächtnis verfügten. Sie verhalten sich wie im Schlafzustand. Aktiv ist nur der Computer. Dieses ambivalente Verhalten zum Verlust des Gedächtnisses hat mit der viel- schichtigen Zeitstruktur von 2001 zu tun. Die Inszenierung der früheren Computer- filme ist im Allgemeinen immer noch konventionell hinsichtlich der Zeitstruktur der Handlung. Das heißt, sie ist linear und progressiv strukturiert, wie wir es in Kapitel II bezogen auf der Raumvorstellung beobachtet haben. Aber die Temporalität von 2001 beginnt regressiv und zirkulär zu verlaufen, indem er die Zeit verräumlicht.

2001 verfügt nämlich über eine sprunghafte und zirkuläre Zeitorganisation. Und sie ist bei der Inszenierung in das Sichtbare angemessen transformiert, also verräum-

110 licht. John Baxters Argument weist bereits auch darauf hin, dass der Film eher ei- nen großen Wert auf die Verräumlichung der Zeit gelegt hat als auf die traditionel- le Zeitordnung. So Baxter:

Kubrick has conveyed Clarke’s mysticism, ignoring plot and character in order to evoke the beauty of science and its creations. As Damon Knight has said, „With Clarke, the real protagonist is time“, an observation the truth of which is reflected in the film’s fragmentary structure.335

Auch Bernd Kiefer unterstreicht dies in seinem Essay 2001: Odysee im Weltraum: „Die Dekonstruktion von Raum, Zeit und menschlicher Individualität – das zentrale Thema aller Filme Kubricks – in 2001 Thema und Form, […].“336 Wie ich im letzen Kapitel analysiert habe, ist seine räumliche und zeitliche Logik daher eng miteinander verknüpft. Aus diesem Grund ist es auch adäquat, dass

Gilles Deleuze in seinem Buch Kino 2: Das Zeit-Bild Stanley Kubricks 2001 der Kategorie des Zeit-Bildes zuordnet.

In Film 2001 stößt man oft auf das Zeitbild, das Deleuze benannt hat, in dem Sin- ne, dass die sensomotorische Bewegung aufgehoben ist. Sensomotorisch heißt die Bewegung, in der Reaktion auf eine Aktion nachfolgt. Wenn diese sensomoto- rische Kette zerbrochen ist, entsteht die zeitliche Form der Bewegung. Damit wird sie nämlich freigegeben. Das folgende Argument Deleuzes weist auf die zeitliche Form der Bewegung, also auf das Zeit-Bild hin:

Wenn die Bewegung ihre Regel von einem sensomotorischen Schema emp- fängt, das heißt eine Person zeigt, die auf die Situation reagiert, dann wird sich eine Geschichte ergeben. Wenn dagegen das sensomotorische Schema sich auflöst und stattdessen nicht zielgerichtete, diskrepante Bewegungen auf- tauchen, so werden es andere Formen sein, eher ein Werden als eine Ge- schichte…337

Dem entsprechend erfolgen statt der linearen Ereignisse die sprunghaften Ereig- nisse, wie es in 2001 zu sehen ist. Die Sequenz, in der ein Menschenaffe den Knochen eines Tieres in die Luft wirft, zeigt den raumzeitlichen Sprung. Der Kno- chen verliert in dem Augenblick an Schwerkraft, fliegt in das Weltall und über- schneidet sich mit dem Raumschiff des 21. Jahrhunderts. Dadurch wird die Gren- ze von Raum und Zeit überwunden. (Abb. IV-2) Damit erst beginnt die Zeitreise

335 Baxter (1970), S. 185. 336 Kiefer (2003), S. 200. 337 Deleuze (2005), S. 152. 111 des Films. Nur in der Musik von Johan Strauss empfindet man die Kohärenz der Zeit. Und danach geschieht der Zeitsprung jedes Mal, wenn der Monolith erscheint. Die erste Begegnung mit dem Monolith im 21. Jahrhundert findet auf dem Mond statt. Und direkt danach, also ein Jahr später, findet die Reise zum Jupiter statt. Bisher war die Zeitreise des Films linear und progressiv, wenn auch sprunghaft. Aber nach dem Versagen des Board-Computers HAL-9000 scheint die Zeit wieder in die Vergangenheit zurückzukehren. Nachdem wir mit dem Astronauten David Bowman die lange spektakuläre Reise durch das Lichtspiel nach Jupiter gemacht haben, endet die Reise in einem Augenblick, und Bowman befindet sich in einem Zimmer, das wie im Zeitalter von Louis XVI aussieht. Aber in diesem Moment empfindet man einen Widerspruch der zeitlichen Ordnung. Denn Bowman wird stufenweise allmählich älter, während die Zeit des Raums in das vergangene Zeit- alter zurückgekehrt ist. Die Szene zeigt uns eben die Ambivalenz des Zeitkon- zepts des Films. Ambivalenz heißt hier, dass die Szene sowohl die progressiven Zeitmomente einerseits als auch die regressiven Zeitmomente anderseits impli- ziert. Also findet, wie Sobchack gesagt hat, eine Conflation der Zeit statt. (Abb. IV- 3) Und die anschließende Szene, das Embryo-Kind verweist wiederum auf die Ge- burtszeit der Menschheit. Aber das gilt nicht als die alte zu wiederholende Kindheit der Menschheit, sondern als die neue Geburt der neuen Menschen: eine Hoffnung der Menschheit. Das zeigt den qualitativen Sprung der Menschheit. Dies gleicht sowohl dem Weg, den Zarathustra durch die ewige Wiederkehr begangen hat, als auch dem Weg, den Hegels absoluter Geist begangen hat. In diesem Sinne zeigt 2001 in der Geschichte des Computerfilms die Hoffnung der Hochmoderne auf Utopie, wie van Goghs Gemälde in der Kunstgeschichte die Hoffnung der Hoch- moderne zeigte, wie Jameson argumentiert hat.338 Die Relevanz von 2001 liegt darin, dass er die Conflation der Zeit zeigt und da- durch den qualitativen Sprung oder die Evolution des Computerfilms ermöglicht. Dies ist auch der Grund dafür, warum dieser Film einen Wendepunkt in der Ge- schichte des Computerfilms markiert hat. Die Filme vor 2001 haben die lineare und progressive Zeitstruktur, während die Filme danach überwiegend die zerbro- chene Kette der zeitlichen Ordnung zeigen.

338 Vgl. Jameseon (1997), S. 54f. 112 IV.4 Die Krise der persönlichen Identität

Seit 2001- A SPACE ODYSSEY wird die Krise der persönlichen Identität über ‚die ein- fache Elegie über den Verlust des individuellen Gedächtnisses‘ hinaus häufig the- matisiert. Insbesondere mit der Entwicklung des Internets und der Digitaltechnolo- gie eskaliert die Krise, und ihre Eskalation zeigt sich um so mehr in der filmischen Repräsentation. Allerdings hängt die Krise der persönlichen Identität mit dem Zu- sammenbruch der Temporalität zusammen, wie Sobchack argumentiert:

The inflated value of space and surface has led to a deflation of temporal value, to a collapse of those temporal relationships that formulated time as a continuous and unifying flow - constituting the coherence of personal identity, history, and narrative.339

Die postmoderne Logik der Zeit wird nämlich auch der filmischen Transformation der persönlichen Identität eingeprägt. Und nach dieser Transformation ist wieder- um festzustellen, dass die persönliche Identität vor der Krise ihres Verschwindens steht. In der medialisierten oder simulierten Wirklichkeit wird die Identität einer Person nur durch die Dokumente, Daten, und Bilder oder Nummer bestätigt. Diese ge- speicherten Bilder und Daten bilden eine Person und ihr Gedächtnis, also ihre Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber wie gesagt, indem die räumliche Logik über die zeitliche Logik in der Postmoderne herrscht, ereignet sich die Krise der zeitlichen Logik. An der Stelle der zeitlichen Organisation der Moderne tritt die schizophrene Logik des Zeitlichen ein. Die Schizophrenie entsteht dann, wenn ei- ne Person diese Temporalität nicht besitzt, oder wenn die temporale Reihenfolge durcheinander gerät bzw. verschmolzen wird. Und dies hat eine Krise der persön- lichen Identität zur Folge, im neurotischen Sinne. Auf diese Thematik werde ich noch mal später zurückkommen. Vor allem in den 90er Jahren wirkt die Entwicklung der Computertechnologie auf die Repräsentation, in der sich die Krise der Identität ausdrückt. Vor den 90er Jah- ren wurde das Internet von einer begrenzten Anzahl Nutzer verwendet. Meistens hat es der Forschung (ARPANET) und den militärischen Zwecken (MILNET) ge- dient. Aber seit den 90er Jahren ist das Internet auch den allgemeinen Nutzern einfach zugänglich geworden, vor allem nachdem Tim Berners-Lee 1990 eine

339 Sobchack (1991), S. 272. 113 neue Sprache, HTML (Hypertext Marku-Language), und das Übertragungsproto- koll HTTP (Hypertext Transfer-Protocol) entwickelte. Außerdem wurden Server (Web-Server) und Client-Software gleichzeitig entwickelt. Marc Andreesen, ein junger Student am NCSA (National Center for Supercomputing Applications) ent- wickelte den legendären grafischen WWW-Browser mit Namen „Mosaic“.340 Durch die Leistungsfähigkeit und Einfachheit von Mosaic nimmt das Interesse für das In- ternet auch außerhalb der Forschungslabors zu.341 Aus diesem Grund nimmt die Entwicklung des Internet einen großen Einfluss auf das Bewusstsein der Gesellschaft. Und sie prägt sich in die Repräsentation des Films als das kulturelle Bewusstsein ein. Daher stößt man in den 90er Jahren oft auf Filme, die das Internet thematisieren. Und damit zusammenhängend wird die

Krise der persönlichen Identität behandelt. SNEAKERS, GHOST IN THE MACHINE,

STRANGE DAYS (USA 1995), THE NET, VIRTUOSITY und THE MATRIX usw. gehören zu der Kategorie.

IV.4.1 Das Hacking und die Manipulation der persönliche Identität - SNEAKERS/ THE NET Die Geschichte von Hacking lässt sich Robert Trigaux zufolge auf die 70er Jahre des 19. Jahrhunderts zurückführen. Aber damals ging es um Telefon-Hacking, das von einigen Teenagern in den USA unternommen wurde. In Bezug auf das Inter- net beginnt das Hacking jedoch erst seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts, wo das Internet gerade den ersten Schritt gemacht hat. 342 In diesem Sinne ist

WAR GAMES (1983) als der erste Hacker-Film anzusehen, wie Richard Scheib be- hauptet: „This film was the first to introduce the public at large to what would be- come known as ‘hacking’, […].“343 Dennoch geht es in diesem Film nicht um die Manipulation der persönlichen Identität durch das Hacking. Erst in Sneakers wird diese Thematik teilweise behandelt.

In SNEAKERS wird Martin von dem Geheimdienst der USA verfolgt, weil er in der Vergangenheit das Sicherheitssystem der Bank und der Telefongesellschaft ha- cken wollte. Aber er manipuliert seine Identität und macht seinen neuen Job unter

340 Kurz nach der Entwicklung des ersten Browsers stieg Marc Andreesen aus der NCSA aus und wurde Mit- begründer der Firma Netscape. http://www.isc.org/index.pl?/ops/ds/ (20.08.2006) 341 http://www.isc.org/index.pl?/ops/ds/ (20.08.2006) 342 Vgl. Trigaux (2000), http://www.sptimes.com/Hackers/history.hacking.html (20.08.2006) 343 Scheib (1990), http://www.moria.co.nz/sf/wargames.htm (20.08.2006)

114 einem anderen Name, ohne dass seine Vergangenheit entdeckt wurde, bis NSA sie aufspürt.

Auch in THE NET (1995) geht es um Hacking und die Manipulation der Daten. Aber interessant ist die Tatsache, dass sie im Laufe der Zeit wie in diesem Film nicht nur teilweise vorkommen, sondern kollektiv und massenhaft. Die Computerprogrammierin Angela Benett bekommt zufällig von ihrem Freund Dale eine Diskette, die ein Top-Geheimnis enthält, welches das seit 6 Monaten geänderte Torwärtersystem der Regierung betrifft. Und wegen der Diskette kom- men viele Bekannte von ihr ums Leben. Der Drahtzieher der Mordfälle ist eine ille- gale Hacker-Gruppe, ‚Die Prätorianer‘. Sie betreiben eine Sicherheitssystem- Firma, die sich mit einem alle Systeme zugänglich machenden System beschäftigt. Auf der Diskette ist das Geheimnis der Gruppe enthalten. Deswegen töten sie alle, die von ihrem Geheimnis zu wissen scheinen. Und alle werden dadurch ermordet, dass die Prätorianer die Computer manipulieren. Dale stürzt mit dem Flugzeug wegen manipulierter Anweisungen auf dem Naviga- tor ab. Gleichzeitig begeht Michael Bergstrom, Sekretär im US- Verteidigungsministerium Selbstmord, weil er als falsche Diagnose erfahren hat, dass er mit AIDS infiziert wurde. Auch ein anderer Freund von ihr, Dr. Champion, der ihr helfen wollte, wurde durch eine falsche Verordnung von Medikamenten ge- tötet. Freilich wird auch Angela ständig von der Gruppe verfolgt und mit dem Tode bedroht. Sie verändert ihre persönlichen Daten, und dadurch wird sie zum Ziel der Polizei, weil sie im Computer der Polizei nun als Verbrecherin registriert ist. Im Film führen all diese Manipulationen des Computers zum Tod der Betroffenen. Die manipulierten Daten, die Simulation, bedrohen das physikalische Leben des Menschen, indem das Subjekt zu Daten transformiert wird und die Daten das Sub- jekt ersetzen werden. Dies weist auf die Veränderung der modernen Subjektvor- stellung, also auf die Krise des Subjekts hin.

IV.4.2 Der hybride Körper und die hybride Identität - GHOST IN THE MACHINE/ VIRTUOSITY/ STRANGE DAYS

Diese Identitätskrise wird in GHOST IN THE MACHINE in der visuellen Form darge- stellt. Dabei wird sie also durch den Adressbuch-Killer ins Sichtbare transformiert. Hier werden nicht nur die persönlichen Daten manipuliert, sondern der menschli-

115 che Köper an sich wird in den elektronischen Körper transformiert: eine radikale Veränderung der menschlichen Identität. Der Killer ermordet die Unschuldigen nur deshalb, weil sie in dem zufällig erwor- benen Adressbuch aufgelistet sind. Aber er wird selber Opfer eines Autounfalls und in ein Krankenhaus transportiert. Bei der Untersuchung seines Körpers ver- wandelt sich sein physikalischer Körper durch das Versagen des elektronischen Untersuchungsgeräts zum elektronischen Körper, also zum Geist im Internet. Im Netz tötet er weiter die Leute auf der im Computer eingescannten Liste des Ad- ressbuchs, das Terry Monroe besessen hatte. Im Film spielen das Verlassen des physikalischen Körpers sowie das neue Erwer- ben des elektronischen Körpers auf den symbolischen Tod des alten Körpers an. Dadurch differenziert sich der alte Körper von dem neuen. Der Körper kriegt eine neue Form, die man ‚hybrid‘ und ‚allgegenwärtig‘ nennen kann. Er ist hybrid, in dem Sinne, dass er sich zu Elektrizität verwandeln kann, mit der sich elektrische Küchengeräte oder elektrische Heizung betreiben lassen. Und er ist allgegenwär- tig, in dem Sinne, dass er sich überall befinden kann, wo er will.

Und umgekehrt gewinnt der Geist im Netz in VIRTUOSITY den Körper. Dabei geht es um den inkarnierten Geist, während es in GHOST IN THE MACHINE um den ver- geistigten Körper ging. Der Serienmörder im Netz SID 6.7 wurde als die Simulati- on, also das VR-Training Programm der Polizei hergestellt. Er war aber ein Hybri- de von 180 Serienmördern. (Abb. IV-4) Letztendlich kann der Ex-Polizist Parker Barnes den Killer töten. Aber Parker weiß nicht, wo der Killer das von ihm entführte Mädchen versteckt hat. Die Zeit im Netz ist jedoch umkehrbar und rückkehrbar. Deshalb wird der Killer wiederbelebt, aber diesmal nur im Netz. Nur ist dem Killer nicht bewusst, dass er sich jetzt im Netz befindet. Er ist also tot in der Realität, doch er ist im Netz wieder am Leben. Mit einem Trick findet Parker den Ort, wo das Mädchen versteckt ist. Und durch das Ausschalten des Programms wird der Killer ewig im Netz eingeschlossen und festgesetzt. In diesem Sinne ist die Zeit im Netz umkehrbar und wiederkehrbar. Das traditionelle Konzept der Zeit, also die Linearität und der Fortschritt, ist hier zerbrochen. In dieser Hinsicht wird die regressive verwirrende Zeit in VIRTUOSITY eingeführt und verräumlicht. Bei diesen Beispielen zeichnet sich bereits ab, dass die Grenze von Subjekt und Objekt auf der Ebene des Narrativen verschwindet, und dass die persönliche Iden-

116 tität hybridisiert wird. Auch in STRANGE DAYS kann man insbesondere diese Hybri- disierung der Identität beobachten.

In STRANGE DAYS verkauft Lenny Nero eine VR-CD. Damit kann man das Leben des Anderen leben, indem man das SQID-Gerät (Superconductor Quantum Inter- ference Device) verwendet. Nicht nur Lenny, sondern auch die zeitgenössischen Menschen der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts sind süchtig nach dem Ersatzle- ben. Das Gerät beeinflusst die Neuronen des Gehirns, damit ermöglicht es die sinnliche Wahrnehmung. Daher kann das Subjekt zwischen seiner eigenen Wahr- nehmung und der Wahrnehmung des Anderen nicht unterscheiden. Die Trennung des Subjekts von dem Objekt verschwindet damit, und die beiden werden ver- mischt: Ich bin du, du bist ich. Dieser Rollenwechsel scheint in den Computerfil- men der 90er Jahre nicht mehr fremd zu sein. Ich werde die verschiedenen Ande- ren, sie werden ich. Die Metamorphose des Subjekts und des Objekts wird da- durch ermöglicht. Daher sind sie wiederum hybrid und allgegenwärtig. Lenny kann daher mit dem Gerät in seine Vergangenheit zurückkehren, wo er und seine Ex-Freundin Faith Justin miteinander glücklich waren. (Abb. IV-5) Aber ein Killer nutzt das Gerät, um Andere zu quälen und zu töten und mit der Kamera ihr Leiden aufzunehmen. Dann zwingt er ein Opfer, sich die Videoauf- nahme anzusehen. Dadurch nimmt das Opfer die Schmerzen des gequälten An- deren als sein eigenes Leiden wahr. Als Steigerung kann das Opfer dadurch die doppelte Qual erleben, wenn es sich bei der Videoaufnahme um das Opfer selbst handelt. Das Subjekt wird damit verdoppelt: das vergangene gequälte Subjekt und das jetzt dadurch leidende Subjekt. Dies weist auf das schizophrene Subjekt hin, das die Verschmelzung oder die Conflation der Zeit erleben soll, wie Sobchack sie als die Logik der postmodernen Zeit bestimmt hat. Und damit kehrt die Rede von der Identitätskrise des Subjekts selbstverständlich zurück.

IV.4.3 Die Total-Finsternis der persönlichen Identität - THE MATRIX Über die Manipulation der persönlichen Identität und ihre Hybridisierung hinaus, zeigt THE MATRIX (1999) die massenhafte Manipulation der Identität. Im Film füh- ren die Menschen der Zukunft ihr Leben unter einer Massen-Hypnose, die von der Maschine ausgeübt wird. Aber sie wissen nicht, dass sie der Kontrolle der Ma- schine unterliegen. Denn ihre Gedächtnisse und Erinnerungen wurden durch die

117 Maschine nicht mit existenziellen Erfahrungen und Erinnerungen, sondern mit e- lektronischen Daten erfüllt. Sie sind somit total manipuliert. Deswegen wird sogar ihre eigentliche Identität an sich nicht in Frage gestellt: Die Total-Finsternis der persönlichen Identität. Die Menschen von 2190 leben nämlich außer der Rebel- lengruppe alle in der Matrix. Morpheus erklärt Neo, was die Matrix genau ist, als Neo auf dem Schiff der Rebellen ankommt:

Morpheus Möchtest du wissen, was genau sie [die Matrix] ist? Neo Nickt (E 8.2bf) […] Morpheus Das hier ist die Welt die du kennst [Schaltet den Fernseher an]. Die Welt am Ende des 20. Jahrhunderts. Sie existiert inzwischen nur noch als Teil einer neuro- interaktiven Simulation, die wir als Matrix bezeichnen. […] Was ist die Matrix. Kontrolle! Die Matrix ist eine computergenerierte Traumwelt, die geschaffen wurde, um uns unter Kontrolle zu halten […]. (E 12. Id)344

In der computergenerierten Traumwelt macht die Rede von der persönlichen Iden- tität keinen Sinn. (Abb. IV-6) Darüber hinaus spielt THE MATRIX auf das Wunder- land von Alice im Wunderland (GB 1865, Lewis Caroll. Verfilmung USA 1933, 1951) an, mit Neo als Alice im Wunderland,345 wenn Morpheus zu Neo sagt: „Du fühlst dich im Moment sicher wie Alice im Wunderland, während sie in den Kanin- chenbau stürzt.“346 In dieser Traumwelt, in diesem Wunderland wird alles verän- derlich ohne logische Gründe. Daher scheint es unsinnig zu sein, dass man ver- sucht, sich dort zu identifizieren und nach einer Identität zu suchen. Als Morpheus Neo vor die Wahl zwischen roter und blauer Pille stellt, beschreibt er das Land wie folgt:

Sie [Alice] kommt in die Welt, in der alles verrückt ist, die Leute sagen: ‚Iss das, trink das.’ Alles beeinflusst sie und verändert sie und nichts ergibt einen Sinn, nichts ist logisch. Das ist einfach der Weg, den sie gehen muss. (Wa- chowski Bros. MAKING THE MATRIX DVD 2: 21/01 00:0:22)347

Aber bemerkenswert ist es, dass die Krise der schizophrenen Identität in den Fil- men der 90er Jahren tatsächlich nicht als die Krise oder Krankheit anzusehen ist, sondern nur als jouissance, Genuss, wie Sobchack behauptet:

344 Wolf (2001), S. 43. 345 Ebd., S. 48. 346 Ebd., S. 52. 347 Ebd., S. 49. 118 Thus, the deemphasis on temporal unification can no longer be seen nega- tively as desperate, schizophrenic, or deseased. Indeed, […], the new post- modern SF film celebrates the ease (not the disease) of its ability to make temporal nonsense into spatial new sense.348

Selbstverständlich betrifft ihre Behauptung nicht nur die SF-Filme, sondern auch die oben erwähnten Computerfilme.

IV.5 Die Nostalgie-Welle

Diese euphorische Herrschaft der räumlichen Logik über die zeitliche Logik ist be- sonders in den Nostalgie-Filmen zu sehen. Bei ihnen sind der Zusammenbruch der zeitlichen Ordnung und das Zerreißen der Signifikantenkette nicht unbedingt als negativ und schizophren anzusehen. Hier geht es zunächst darum, was die Nostalgie-Filme oder Nostalgie-Welle sind. Dabei handelt es sich um die Krise der Historizität, die über die Krise der persönlichen Identität hinausgeht.

Jameson identifiziert George Lucas’ AMERICAN GRAFFITI (USA 1973, George Lu- cas) als den ersten Nostalgie-Film, weil die 50er Jahre uns bei diesem Film eher als Serie bestimmter Stereotypen und Mode bewusst werden als die tatsächliche historische Periode. Dies beschreibt Roberts folgendermaßen:

Nowadays a decade like the 1950s is chiefly accessible to us as a series of particular styles, as a certain fashion in clothing, as a musical sound, and so on, rather than as an actual historical period.349

Roberts zufolge gilt dies als ‘eine Definition des postmodernen Stils’:

Indeed, one definition of ‘postmodern’ style is that it permits the mix-and- match of clothing and music from each of the stylistically significant decades of the twentieth century, the 1950s, the 1960s, the 1970s and the 1980s […].350

Aber problematisch ist, dass man dadurch die „Historizität: unser Vermögen, Geschichte aktiv und produktiv zu erfahren“ 351 verlieren kann, wie Roberts sagt:

348 Sobchack (1991), S. 281. 349 Roberts (2000), S. 129. 350 Ebd., S. 129. 351 Jameson (1997), S. 66. 119 “People may inhabit this ‛style’ if they like, but it does not involve them apprehend- ing any actual historical consciousness.”352 Diese Tendenz vertieft sich durch die neuen Medien, die ihrerseits nur die Abbilder der Abbilder erzeugen. Das heißt, alle heterogene Dinge und vergangene Erfah- rungen werden in der gegenwärtigen Repräsentation der neuen elektronischen Medien raffsüchtig versammelt und kolonisiert. Dies formuliert Sobchack folgen- dermaßen:

Indeed, the insistent detail and homogenous representations of electronic cul- ture entailed with the acquisitive eclecticism and ‘normless’ heterogeneity of material culture have transformed temporal coherence into spatial co-Here- nce.353

Durch die neuen Medien sei die temporale Kohärenz konsequenterweise zur räumlichen Ko-Existenz transformiert. Dieser Drang nach Geschichte oder Vergangenheit steht daher heute im untrenn- baren Zusammenhang mit der Nostalgie-Welle in den Computerfilmen.

IV.5.1 Parodie, Pastiche und die Nostalgie-Welle Diese Nostalgie bezüglich der versteinerten Vergangenheit erkennt man auch dar- in, wenn Jameson Pastiche von Parodie differenziert, um effektiv zwischen der Moderne und der Postmoderne zu unterscheiden. Für Jameson wird Parodie ins- besondere als ein persönlicher Stil des modernen Subjekts angesehen.

Die Parodie fand vor allem in den Idiosynkrasien der Autoren der Moderne und deren ‚unnachahmlichen‛ Stil ein willkommenes Betätigungsfeld: in Faulk- ners langen Sätzen voller atemberaubender Gerundien, in der Natursymbolik von D. H. Lawrence, die durchsetzt ist mit gereizter Umgangssprache, in Wal- lace Stevens’ hartnäckiger Hypostase nichtsubstantivisch gebrauchter Sprachpartikel (die ausgeklügelte Vermeidung des Wie), […].354

Aber Pastiche tritt an der Stelle ein, wo Parodie als dieser persönliche Stil ver- schwindet. Pastiche ist neutral und hat nicht mit dem individuellen Subjektes zu tun. Pastiche ist daher nur ‚die Imitation toter Stile‘, in der keine Verbindung mit ih- rem Original zu finden ist.

352 Roberts (2000), S. 129. 353 Sobchack (1991), S. 272. 354 Jameson (1997), S. 61. 120 Pastiche ist die neutrale Praxis dieser Mimikry ohne die an ein Original ge- bundenen tieferliegenden Beweggründe der Parodie, ohne satirischen Impuls, ohne Gelächter und ohne die Überzeugung, dass außerhalb der vorüberge- hend angenommenen missgestalteten Rede noch so etwas wie eine gesunde linguistische Normalität existiert. Das Pastiche ist ausdruckslose Parodie, eine Statue mit leeren Augenhöhlen.355

In diesem Sinne ist Pastiche ein Phänomen der Postmoderne. Jameson setzt die- ses Phänomen des Pastiche mit den Eigenschaften des Spätkapitalismus in Ver- bindung, der durch die Konsumgier nach Spektakel und die Kultur des Simu- lakrums gekennzeichnet ist.

Die im Pastiche-Begriff gefasste permanente Imitation bezeugt die historisch neuartige Konsumgier auf eine Welt, die aus nichts als Abbildern ihrer selbst besteht und versessen ist auf Pseudoereignisse und ‚Spektakel‘ jeglicher Art (so etwa die ‚Situationisten‘). Für diese Erscheinungen bietet sich Platons Begriff des ‚Simulakrum‘ an: die identische Kopie von etwas, dessen Original nie existiert hat.356

Jameson zufolge wirkt die neue räumliche Logik des Simulakrums sich folgen- schwer auf die Erfahrung der historischen Zeit aus. Deswegen wird die Vergan- genheit selbst dabei modifiziert.357 Und dabei spielt „die Imitationskunst des Pasti- che“358 eine Rolle. Damit wird die Vergangenheit nostalgisch eingeführt und durch „Hochglanzbilder und Modeattribute“ kolonisiert.359Letztendlich wird die ‚wirkliche’ Geschichte durch die Geschichte verschiedener Stile ersetzt.360

IV.5.2 Nostalgie und Fortsetzungen Diese Nostalgie-Welle kann man in den verschiedenen Filmen beobachten. Insbe- sondere die Fortsetzungsfilme zeigen den nostalgischen Blick. Sie beinhalten nämlich die Stereotypen von Stars, die typisierten Strukturen der Handlung und Abbilder der anderen vergangenen Filme. Diesen Drang nach Vergangenheit kann man nicht zuletzt auch in den Computerfilmen erkennen. Ich werde hier repräsen- tativ nur zwei Fortsetzungen behandeln: WESTWORLD/ FUTUREWORLD und 2001/ 2010.

355 Ebd., S. 62. 356 Ebd., S. 63. 357 Vgl. ebd. 358 Ebd., S. 64. 359 Ebd., S. 65. 360 Ebd. 121 IV.5.2.1 Die typisierte Vergangenheit - WESTWORLD und FUTUREWORLD

Seit 2001 vertieft sich noch die Nostalgie-Welle, die zur Krise der Historizität führt, bezüglich der Computerfilme. In den 70er Jahren zeigen ausschließlich WEST-

WORLD (1973) und seine Fortsetzung FUTUREWORLD (1976) die Nostalgie-Welle.

WESTWORLD war das Regie-Debüt von Michael Crichton und einer der erfolgreichs- ten von seinen Filmen. Delos ist ein Vergnügungspark der Zukunft wie auch ein Urlaubsort, wo man drei Welten, d.h. die Römische Welt, das Mittelalter, und die Western-Welt erleben kann. Dort können die Gäste mit den Robotern, die durch das zentrale Computer- system kontrolliert werden, alles machen, was sie wollen. Die Roboter sind ähnlich wie Menschen, aber so programmiert, dass sie zum Beispiel im Duell mit den Gäs- ten verlieren sollen. Aber plötzlich laufen die Roboter Amok, töten die Urlauber. Interessant ist, dass im Film drei Zeitalter gleichzeitig in der Gegenwart auftau- chen, und dass diese Welten durch die Computertechnologie verwirklicht wurden. Die neue Technologie ermöglicht uns in der Gegenwart die fantastische Reise in die Vergangenheit und in die Zukunft. Natürlich können die Zuschauer nur eine Vorstellung der möglichen Zukunft sehen. Man kann dadurch nur erahnen, dass es in Zukunft so einen real aussehenden, voll automatisierten Urlaubsort geben wird. Ansonsten erscheinen im Film keine Bilder der Zukunft, sondern nur die Bil- der der Vergangenheit. Dadurch wird die traditionelle Zeitlichkeit überwunden. Die neue Logik der Zeit wird eingeführt: die Conflation der Zeit, oder die Verräumli- chung des Zeitlichen. Aber die dargestellten Vergangenheiten sind stereotypisiert, wie es im Vergnü- gungspark normal wäre. Dort sieht man nur die Abbilder der realen Gegenstände und des realen Lebens usw. Und die mechanisierte Kinetik macht alle Geschöpfe mobil. Außerdem sterben die Geschöpfe nicht, sie werden nur repariert. Ebenso verhalten sich auch die Roboter in Delos so wie die Gegenstände im Vergnü- gungspark. Sie sind programmiert wie ein Automat, sie haben nur eine Rolle zu spielen. Die Vergangenheit im Delos zeigt uns die ausgewählten Zeiten. Rom, das Mittelal- ter und der Westen in Delos gehören zu den typischen Vorstellungen, die wir alle teilen. Dort hat man nicht mit der realen Geschichte zu tun. Die Zeit der realen Geschichte muss linear verlaufen oder sich entwickeln. In Delos erlebt man aber

122 nur die starrte Zeit, die sich immer wiederholt. Die Römische Welt ist immer mit dem Luxus und der Badekultur, das Mittelalter mit der Ritterkultur, der Westen mit Cowboys und Schießerei verbunden. Dieses Äquivalenzprinzip scheint in Delos für ewig zu gelten: die typisierte Vergangenheit, also das Museum der vergange- nen Zeiten. (Abb. IV-7) Der von Yul Brynner gespielte Revolverheld ist ein Hinweis auf die nostalgische Tendenz des Films. In den verschiedenen Western spielte Yul Brynner Figuren von großer Bedeutung. Er war ein Symbol des Western.361 Er spielt jedoch auch in

WESTWORLD eine typisierte Rolle des Western. Dies ist eine Wiederholung der Vergangenheit und deren Abbilder. Und das wird noch verstärkt, indem er die Rol- le als ein Roboter spielt, der durch Computer kontrolliert wird, wenngleich er außer Kontrolle gerät. (Abb. IV-8) Im Ganzen gilt der Urlaubsort Delos als eine simulierte vergangene Welt. Da fin- den nur Spektakel und Pseudoereignisse statt. Daher findet man da keine Verbin- dung mit der realen Geschichte. Aus diesem Grund ist es hier möglich, von dem Verlust der Historizität zu reden.

Auch in FUTURWORLD geht die nostalgische Welle weiter, und zwar noch ernsthaf- ter. Unerwartet war WESTWORLD ein großer Erfolg. Daher plante derselbe Produ- zent Paul N. Lazarus III eine Fortsetzung. Dies wurde mit FUTUREWORLD drei Jahre später 1976 realisiert. Eine Gruppe von Journalisten und internationalen Politikern wird angesichts der Neueröffnung des Vergnügungsparks Delos eingeladen, der zuvor wegen der Amok laufenden Androiden geschlossen war. Aber die Journalisten Chuck Brow- ning und Tracy Ballard entdecken, dass hinter dieser Einladung eine Verschwö- rung steckt, die internationalen Spitzenkräfte durch ihre Android-Duplikate zu er- setzen.

Aber diese neue Handlung schloss nicht an den Erfolg von WESTWORLD an. Ri- chard Scheib zufolge hat sich der Film als B-Film erwiesen. Er wiederhole nur die

Klischees von WESTWORLD:

But while Westworld was an ingeniously witty idea conducted with panache by Crichton, Futureworld on the other hand is merely a B film made on an A- budget. Crichton used Westworld as a sharp and intelligent exploration of his recurrent fear of technology going amok, underscored with a potent satire on the myths embodied by the movie Western. This merely reduces Crichton's

361 Zum Beispiel auch in THE MAGNIFICENT SEVEN (USA 1960, John Sturges) 123 ideas to a clichéd B-movie mad scientist and android duplication and takeover plot. The film writes these clichés as though nobody had heard of them be- fore.362

So taucht Yul Brynner in diesem Film noch mal auf. Es scheint aber nicht originell, sondern klischeehaft zu sein. Dabei zeigt sich nur die typisierte Figur des ersten Films, und nur „die Verkörperung der Sexualität“363 wird betont. Daher sagt Scheib wie folgt:

There is a sort of desperation involved in the dream sequence which is there solely to reintroduce Yul Brynner's gunslinger from the first film, this time to bizarrely feature as an object of sexual fantasy.364

In dieser Hinsicht ist es aufschlußreich, wenn Scheib schreibt: „This was not the end to the Westworld saga - a short-lived TV series Beyond Westworld aired in 1980.“365

IV.5.2.2. Die Logik des Kapitals - 2010 – ODYSSEY TWO

2010 gilt als die Fortsetzung von 2001: A SPACE ODYSSEY. Er ist unter Regie von Peter Hyams nach dem Buch von Arthur C. Clarke gedreht, der 2001 und die an- deren Fortsetzungen wie 2010- Odyssey Zwei (1982), 2061-Odyssey Drei (1988) und 3001- Die letzte Odyssey (1997) geschrieben hat. Neun Jahre später, nachdem die Jupiter-Mission von 2001 gescheitert ist, ver- sucht die russische Astronautik die nicht vollendete Mission weiter durchzuführen. Dabei wird Dr. Haywood Floyd, der die vergangene Mission kommandiert hat, von der russischen Astronautik heimlich angesprochen, sie zu begleiten. Ihr Ziel ist die Frage zu beantworten, warum der Computer HAL versagte und was hinter dem Monolith steckt. Floyd beteiligt sich an der Mission zusammen mit Ingenieur Wal- ter Curnow und HALs Schöpfer Dr. Chandra. Im Jupiter-Orbit entdecken sie, dass HAL wegen des widersprüchlichen Befehls, das Ziel der Mission als Geheimnis zu halten, paranoid geworden war. Indessen erscheint David Bowman, der in der letzten Mission vermisst war, plötzlich zu Hause und auf dem Schiff. Er prophezeit seiner Frau auf der Erde und den Astronauten die kommende Zukunft. Bowman

362 Scheib (1999), http://www.moria.co.nz/sf/futureworld.htm (20.06.2007) 363 Jameson (1997), S. 65. 364 Scheib (1999), http://www.moria.co.nz/sf/futureworld.htm (20.06.2007) 365 Ebd. 124 warnt dabei, dass er und seine Kollegen in zwei Tagen diesen Jupiter-Orbit ver- lassen sollen. Nach der Mitteilung werde Jupiter hinter dem Monolith zu einer Sonne transformiert. Nachdem Kubrick 2001 vollendet hatte, hatte er befohlen, alle für 2001 benötigte Kulissen und Modelle aufzulösen. Denn er wollte nicht die wahrscheinlich folgende Lowbudget-Produktion. Folglich musste die Mannschaft von 2010 die Kulissen nach dem Original wieder aufbauen. Aufgrund dieser Bemühung scheint es dem Film gelungen zu sein, die Atmosphäre des Originals wiederzubeleben. Der Rezensent Gerry Carpenter beschreibt diese Umstände so:

One of the 2010's strongest aspects is the high level of continuity they man- aged to build between Kubrick's 2001 and this film, despite formidable chal- lenges. After 2001 was completed, Kubrick ordered all of the models and sets for The Discovery destroyed, because he didn't want them showing up in other low-budget sci-fi movies. As a result, production designer Albert Brenner (CAPRICORN ONE) and his crew had to reconstruct the model and all of the interior sets of The Discovery by watching 2001. The final product is a very impressive, convincing replica.366

Es genügt, die Zuschauer an die vergangenen Dinge und Erfahrungen zu erinnern. Es ist wie eine Zeitreise in die Vergangenheit gewesen. Daher ist Carpenters Be- richt über Schauspieler Keir Duellas Erfahrung überzeugend: „Actor Keir Dullea (who starred in 2001 and has a supporting role in 2010) summed it up best when he said (in the featurette) that working on those sets was like going- back- time.“367 Um die Kontinuität mit dem ersten Film herzustellen, werden nicht nur die Kulissen wieder aufgebaut, sondern auch dieselben Schauspieler und Figuren wieder ein- gesetzt. Die Stimme des Computers HAL übernimmt derselbe Schauspieler Doug- las Rain. Auch Dr. Dave Bowmans Rolle spielt dieselbe Person, Keir Dullea. Au- ßerdem taucht immer noch das Sternenkind auf. Eine kleine Änderung war nur

Roy Schneider, der in 2010 Dr. Floyds Rolle gespielt. In 2001 hatte William Sylves- ter die Rolle übernommen. Darüber hinaus ist auch das Verhältnis von USA und UdSSR banal und klischee- haft dargestellt. Wie häufig im Film, spitzt der Konflikt zwischen den beiden sich am Anfang zu, im Laufe des Films erreicht er den Höhepunkt und löst sich endlich auf. Dabei ist die Versöhnung schon absehbar. Dies könnte die enttäuschende

Dramaturgie sein, wenn man sie mit der von 2001 vergleicht.

366 http://www.scifilm.org/reviews2/2010.html (20.06.2007) 367 Ebd. 125 Wäre es das Schicksal der Fortsetzung, dass sie nicht besser als der erste Film ist? Wenn es auch 2010 gelungen ist, eine beispielhafte Fortsetzung gemacht zu haben, kritisieren manche Zuschauer und Rezensenten daran, dass dem Film die mystische und philosophische Ebene fehlt, die es in 2001 gab. So fragt sich Ja- mes O’Ehley, warum der Film gemacht wurde, und ob es wegen der Geldgier war oder nicht: „The first question that comes to mind with this film is Why? Why make a sequel to film, that well, doesn't need one? Why make sequels in the first place except for motives of pure avarice?“368 Und er antwortet selber darauf „ja“: „the 'Sixties proved to be a time of experimentation whilst the film makers in the 'Eight- ies seems more concerned with safe formulas and box office returns.“369 In dieser Hinsicht kann man erahnen, dass dieser Film treu nach der Logik der Warenästhetik gemacht ist: die massive Reproduktion der erfolgreichsten Produk- te. Wahrscheinlich unterliegt der Drang nach der Vergangenheit und der Nostal- gie-Welle allein der Logik des Kapitals.

IV.5.3 Nostalgie und Selbstreferenzialität Nicht nur die Fortsetzungen zeigen die Nostalgie-Welle, sondern auch die selbstreferenziellen Filme. Freilich gehören die Fortsetzungen im weiteren Sinne zum Selbstreferenziellen. Aber narrativisch gesehen, differenzieren sie voneinan- der. Bei der Fortsetzung gibt es die narrative Verbindlichkeit zwischen dem ersten Film und dem zweitem Film, während bei den selbstreferenziellen Filmen keine narrativen Verknüpfungspunkte notwendig sind.

IV.5.3.1 Die wiederholende Serie der vorhandenen Darstellun- gen - THE INVISIBLE BOY/ DEMON SEED/ HACKERS

Zum Beispiel lässt sich THE INVISIBLE BOY als der erste selbstreferenzielle Compu- terfilm in den 50er Jahren bezeichnen. Denn da taucht Robby der Roboter noch mal auf, der eigentlich zum ersten Mal in FORBIDDEN PLANET (USA 1956) eine Rol- le spielte. Wie gesagt, hatten sich derselbe Produzent, Nicholas Nayfack und der- selbe Autor, Cyril Hume, entschlossen, THE INVISIBLE BOY zu machen. Robby der

Roboter war bereits durch FORBIDDEN PLANET eine populäre Filmfigur geworden. Inhaltlich sind die beiden Filme völlig unterschiedlich. Es gibt nur einen Hinweis darauf, dass THE INVISIBLE BOY als eine Fortsetzung von FORBIDDEN PLANET zu gel-

368 http://www.scifimoviepage.com/2010.html (20.06.2007) 369 Ebd. 126 ten scheint. Timmies Vater sagt, dass er ihn auf einer Zeitreise aus der Zukunft geholt hat. Dies weist darauf hin, dass der Roboter aus der Zukunft des Films

FORBIDDEN PLANET kommt. Diese Aussage ist nur dann richtig, wenn wir unseren

Blick auf den Roboter im Film FORBIDDEN PLANET werfen. Sie ist also völlig richtig, aber nur innerhalb des Films. Aber aus der Perspektive des Zuschauers gesehen ist sie falsch, weil der Roboter in Wirklichkeit aus dem vergangenen Film einfach adoptiert ist. In diesem Sinne ist der Roboter eine selbstreferenzielle Figur und gilt als ein Star. Der Roboter als ein Star spielt hier eine typisierte Rolle, die als ‚niedlich’ und ‚süß’ charakterisiert wird. Das attraktive Äußere des Roboters spielte nämlich eine Rolle bei der Anlockung der Zuschauer. Die durchsichtige Gestaltung seines leuchten- den Gesichts und seine menschliche Form und Bewegungsart müssten dabei auf den Zuschauer so attraktiv wirken, dass er nachher als das sehr populäre „self- assembly model-kit“ erscheint.370 (Abb. IV-9) Dem entsprechend war der Roboter damals ein Overnight-Star geworden, nach- dem FORBIDDEN PLANET in die Kinos gekommen war. Direkt danach hat der Produ- zent Nayfack, der lange bei MGM gearbeitet hatte, das kommerzielle Potenzial von Robby dem Roboter eingesehen und seine eigene Firma gegründet. Und dann hat er, so Iain McLachlan, den Drehbuchautor von FORBIDDEN PLANET Cyril Hume eine kurze Erzählung The Brain Child von Sci-fi Autor Edmund Cooper be- arbeiten lassen, um die Präsenz von Robby dem Roboter unterzubringen.371 Laut McLachlan hieß das: „Cyril Hume's screenplay reworks many conventional sitcom plot devices to accommodate Robby and the other sci-fi elements found in The In- visible Boy.“372 Aber nicht nur Robby der Roboter ist stereotypisch repräsentiert, sondern auch Timmie (Richard Eyer) ist eine ‚standard‘ Figur. Seine Mimik, Sprache und Klei- dung zeigten McLachlan zufolge den damaligen Fernseh-Zuschauern die ihnen familiären Stereotypen der jungen Kids:

This impression is underlined by the appearance of child actor Richard Eyer (The Seventh Voyage of Sinbad 58), whose appearance and performance are designed to maximise the cuteness of his character, with emphasis being placed on his freckled complexion, comic malapropisms and baseball attire.

370 Mclachlan (2000), http://www. geocities.com/bigfatpav2000/invisibleboy.html (20.06.2007) 371 Ebd. 372 Ebd. 127 Eyer's appearance is the over-familiar, and annoying, standard model for nearly all television pre-teen kids […].373

Auch DEMON SEED ist ein selbstreferentieller Film. Denn man kann darin die Refe- rent einiger Szenen aus den früheren Filmen finden. Die Referenzen existieren nicht außerhalb des Films, sondern innerhalb des Films. Zum Beispiel sind 2001

(1968) und COLOSSUS (1969) der Vorläufer von DEMON SEED, wenn es sich um den Amok laufenden Computer handelt. Und ROSEMARY’S BABY (USA 1968) gehört dazu, weil auch der Alptraum der Imprägnierung von DEMON SEED nicht unabhän- gig ist von dem Einfluß von ROSEMARY’S BABY. Und die Geschichte des Computers entwickelt sich im System des Films selbst, unabhängig von der realen Computer- geschichte.

Was das Genre von DEMON SEED betrifft, behauptet Richard Scheib, dass der Film zwischen Horror und SF-Film steht. Jedoch wäre es Scheib zufolge angemesse- ner, wenn man ihn mit Horror-Genre in Verbindung setzt. Denn, wie gesagt, sind die Spuren von dem Horror-Film ROSEMARY’S BABY spürbar. (Abb. IV-10) Aber nicht nur sie, sondern auch das Okkulte der 70er Jahre sind in DEMON SEED zu beobachten, wie auch THE EXORCIST (USA 1973, William Friedkin) und THE OMEN (UK/ USA 1976, Richard Donner) zeigen:

On the other hand it is a film that sits squarely on a dividing line between be- ing SF and horror. As SF it clearly fails by a wide margin, but as horror it is oc- casionally more effective - working on the level of a bondage/rape/horror of impregnation nightmare a la Rosemary’s Baby (1968). Indeed the film clearly sees itself as belonging to the 1970s occult cycle typified by the likes of Rosemary’s Baby, The Exorcist (1973) and The Omen (1976). The score in particular is clearly modeled on The Omen.374

Wie Scheib verdeutlicht, wird man auch in HACKERS mit der Stereotype der Dar- stellung neuer Technologie konfrontiert:

The script’s descriptions of the hackers activities are old hat clichés – chang- ing systems to give people criminal records, canceling credit cards, altering in- formation to annoy people – activities that have been done to death by other films.375

373 Ebd. 374 Scheib (1990), http://www.moria.co.nz/sf/demonseed.htm (20.06.2007) 375 Scheib (1997), http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19950915/ REVIEWS/5091 50302/1023. (20.06.2007)

128 Dies ist, Jameson zufolge, nicht anders als nur das Pastiche der Idee oder der Darstellungen, die aus den verschiedenen zeitgenössischen Filmen ausgeliehen wurden. In den 90er Jahren haben viele Filme im Zuge der raschen Entwicklung von Internet, World Wide Web, VR und Cyberspace die neue Technologie thema- tisiert. Zum Beispiel gehören THE LAWNMOWER MAN (1991), SNEAKERS (1992),

GHOST IN THE MACHINE (1993) und THE NET (1995) usw. zu dem Genre. Die Dar- stellungen des Computers in HACKERS sind nicht anders als die sich wiederholen- de Serie der vorhandenen Darstellungen aus den verschiedenen Filmen: ein nos- talgischer Zurückgriff auf die Vergangenheit.

IV.5.3.2 Das Museum der Massenprodukte – EXPLORERS Unabhängig von der Bewertung der Kritiker und abgesehen davon, ob der Film

EXPLORERS (USA 1985) als gut oder schlecht beurteilt worden war, ist klar, dass er von dem nostalgischen Blick auf die Vergangenheit überfüllt, und dass seine Zeit- lichkeit verräumlicht ist. Die 15 jährigen Schulkinder - Science Fiction Fan Benn und Science Freak Wolf- gang - träumen dieselben Träume, die von einem Schaltkreis handeln. Mit ihrem Freund, Realist Darren, basteln sie nach ihrem Entwurf den Schaltkreis. Aber er bildet sofort ein kreisförmiges Energie-Feld, das sich durch die Steuerung der x-y- z Koordinaten bewegt. Nun wird den Kindern bewusst, dass sie mit dem Energie- Feld fliegen können. Sie bauen ein Raumschiff, um es auszuprobieren. Aber beim Fliegen verlieren sie die Kontrolle über das Raumschiff. Sie werden dabei, von ir- gender Kraft gezogen, ins Weltall geworfen. Dort treffen sie auf ein fremdes Raumschiff, das mit Aliens bemannt ist.

EXPLORERS hängt untrennbar mit Warenprodukten und Massenkultur zusammen, denn z.B. sieht ihr Raumschiff kaum wie ein richtiges Raumschiff aus. Es ist ein- fach aus Schrottresten wie Mülleimer, Waschmaschinendeckel und Fernsehbild- schirm gebaut. Es sieht schäbig und gar nicht flugfähig aus. Aber anders als er- wartet, verursacht all dieser Schrott kaum pessimistische Enttäuschung und Ver- zweiflung an seiner Funktion. Eher erzeugt es in uns das hochfliegende Gefühl von erhöhter Intensität. (Abb. IV-11) Aus den Resten der heterogenen Warenpro- duktion, die aus heterogenen Orten und Zeiten kommt und mit den heterogenen Techniken und Funktionen ausgestattet ist, wird ein wunderbares Raumschiff. Da- bei sind keine logischen Gründe dafür zu finden, warum es hoch fliegen kann. Mit

129 Jameson scheint es, dass „sogar Autowracks in neuem halluzinatorischem Glanz aufleuchten“376, so löst das aus Abfällen zusammengesetzte Raumschiff deswe- gen in dem Film weniger Realitätsverlust aus als Euphorie. Und diesen euphori- schen und nostalgischen Blick auf die vergangenen alten Waren kann man auch in seinem Blick auf die vergangene Massenkultur wieder finden. Benns Zimmer ist stets mit starkem Licht und lautem Ton aus dem Fernseher an- gefüllt, in dem die alten SF-Filme der 50er Jahre wie THE WAR OF THE WORLDS (Kampf der Welten. USA 1953, Byron Haskin) laufen. Benn ist nämlich ein Kind, das quasi mit dieser Massenkultur aufgewachsen, dessen Bewusstsein dadurch geprägt ist. Wenn er auch zögerlich auf die Frage seines Freundes Darren antwor- tet, ob er alles glaubt, was das Fernsehen zeigt, ist er begeistert von allen Sachen, die SF-Filme zeigen, und er träumt deswegen jeden Tag von Fliegen oder Schalt- kreisen usw. Aber nicht nur Benn, sondern auch die Aliens gewinnen ihre Erkenntnis von der Erde durch die Bilder der Massenkultur. (Abb. IV-12) Als Benn und seine Freunde im Raumschiff der Aliens angekommen sind, zeigen diese ihnen dort die Bilder der irdischen Massenmedien, durch die sie über die Erde gelernt haben, so ist z..B. der SF-Film der 50er Jahren, THE DAY THE EARTH STOOD STILL (USA 1957) zu se- hen. Wie gesagt, war er kein Dokumentarfilm. Er wird jedoch hier von den Aliens so behandelt, als ob das Ereignis im Film tatsächlich geschehen wäre. Interessant ist hier, dass die Grenze zwischen der wirklichen Geschichte und der filmischen Handlung in dem Moment aufgehoben wird. Für Benn und die Aliens sind nur die Abbilder der Abbilder das wirkliche Bewusstsein, das ihre Erinnerung und Ge- dächtnis, also ihre Identitäten gebildet hat. Dieser nostalgische Blick des Films auf vergangene Warenprodukte und Bilder der Massenkultur ist in der Tat in der Filmographie und Biografie von Regisseur Joe

Dante zu finden. Beispielsweise referieren seine Filme wie PIRANHA (USA 1978,

Joe Dante) und THE HOWLING (USA 1980, Jeo Dante) die anderen Filmmaterialien, wie Richard Scheib sagt: „ first emerged to attention with two quirky B movies, Piranha and The Howling, both of which come packed to the edges with sly in-jokes, cameos and spoofs of other monster and SF movies.“377 Auch in EX-

PLORERS bestehe keine Ausnahme: „Explorers is almost a conscious dissolution of

376 Jameson (1997), S. 76. 377 Scheib (1999), http://www.moria.co.nz/sf/explorers.htm (20.06.2007) 130 every teen backyard inventor story ever made.“378 Deswegen sieht Scheib Dantes

Filme bestimmt als Pastiche außer dem Film MATINEE (USA 1993, Joe Dante) an: „As with his one other really good film, Matinee, Dante restrains his tendency to- wards pastiche and in-joking and concentrates on plot.“379 In Bezug auf Pastiche behauptet Scheib radikal weiter:

Dante's success came at a time just when there was a whole fad for retro-50s movies, remakes and genre in-referencing jokes. Alas when that fad passed Dante never progressed beyond it and was left a dry, only making jokes about a specific era of bygone films.380

Wenn Scheib Joe Dante mit Steven Spielberg vergleicht, werden die Pastiche- Charaktere von Dantes Filmen hervorgehoben. Scheib zufolge sind Spielberg und Dante beide in ‘Suburbia’ geboren und träumten immer von Jenseits und weit ent- fernten Welten. Aber sie unterscheiden sich darin, dass

Spielberg dreams of the mundane being touched by something magical, of simply finding a friend out there, while for Joe Dante the dreams that lie out beyond the limits of suburbia are a heaven of endless B movie reruns.381

Scheib zufolge träumt Dante also nur von den Abbildern der Abbilder, also von Pastiche, das eine Facette der postmodernen Ästhetik prägt.

IV.5.3.4 “Dont’t believe anything you see.”382- FORREST GUMP Wie kann man das Original unter den Abbildern der Abbilder herausfinden? Auf diese Frage kann man nur skeptisch antworten: Das Original schwindet. Was un- sere Vergangenheit betrifft, kann man sagen: Wirkliche Geschichte schwindet. Das mediatisierte Bewusstsein befindet sich nicht nur in der filmischen Handlung, sondern auch in dem Bewusstsein der Zuschauer. Wenn die wirkliche Geschichte oder deren Registratur durch die Digitaltechnologie manipuliert wird, ist es sehr schwierig, zwischen der Fälschung und dem Original zu unterscheiden. Folglich besteht die Möglichkeit, dass die falsche Erkenntnis von der wirklichen Geschichte

378 Ebd. 379 Ebd. 380 Ebd. 381 Ebd. 382 Interview mit Jeff Apple im Film Trau-Schau- Wem (WDR, 1995).Zitiert nach Hoffmann (2004), S. 157- 170. 131 durch diese Manipulation gestaltet werden kann. An die Stelle der Historizität tritt daher Historizismus. Als ein Beispiel dafür nimmt Jameson Doctorows Roman Ragtime:

Dotorows Roman „Ragtime“ bringt Figuren der amerikanischen Geschichte en masse ins Spiel, von Teddy Roosevelt bis Emma Godman, von Harry K. Thaw und Stanford White bis J. Pierpont Morgan und Henry Ford und natürlich Hou- dini, der eine zentrale Rolle hat. Diese historischen Figuren werden in der Romanfiktion mit einer erfundenen Familie in Zusammenhang gebracht, für die nur eine einfache Rollenverteilung als ‚Vater‘, ‚Mutter‘, ‚jüngerer Bru- der‘ zur Verfügung steht.383

In diesem Zusammenhang kann man solch eine radikale Form in dem Computer- film FORREST GUMP beobachten. Indem die Zeit hier verräumlicht wird, findet die Conflation der Zeit statt und dadurch schwindet die wirkliche Geschichte. Gump ist geistig und körperlich leicht behindert, aber er überwindet die körperliche Behinderung, obwohl er auf einem Bein lahm war. Dann wird ihm bewusst, dass er eine Gabe zum Rennen hat. Wegen dieser Gabe rettet er nachher im Vietnam- Krieg seine Kollegen und wird nach dem Krieg als Held verherrlicht. Dafür be- kommt er einen Preis von dem amerikanischen Präsident J.F. Kennedy. Bei der Verleihung des Preises schüttelt er Präsident Kennedy die Hand. Eben diese Sze- ne bietet uns die Möglichkeit an, über die Form der Zeitlichkeit nachzudenken. (Abb. IV-13) Denn sie besteht aus der unmöglichen Zusammensetzung der zwei verschiede- nen Bilder. Das eine Bild ist ein vergangenes aus einem Dokumentarfilm der 60er Jahre, das andere ist das gegenwärtige, in dem der Schauspieler Tom Hanks in den 90er Jahren eine filmische Rolle spielt. Die Zuschauer wissen natürlich, dass es unmöglich ist, dass die beiden sich die Hand geben, weil sie wissen, dass J.F. Kennedy schon längst durch das Attentat gestorben und Tom Hanks immer noch am Leben ist. Aber trotzdem ist es durch die Szene möglich geworden, dass sie sich in der Gegenwart der Zuschauer treffen. Das Treffen der beiden Personen aus dem verschiedenen Zeitalter geschieht in der Szene reibungslos. Selbstverständlich ist das Treffen durch die computergenerierten Bilder, also CG- Technik, ermöglicht worden. Dadurch entsteht die perfekte Illusion, als ob das Treffen tatsächlich in der amerikanischen Geschichte stattgefunden hätte. Dies ist

383 Jameson (1997), S. 67f. 132 ein Hinweis auf das Potenzial der digitalen Bilder, Zeit sichtbar zu machen und sie zu verräumlichen. Allerdings zeigt die Sequenz nur das Pseudoereignis. Dadurch ist die wirkliche Geschichte zu Pastiche geworden. Das verdrängte Ereignis des Vietnam-Kriegs kehrt damit wieder, aber in der Verformung. Gleichgültig, ob als Parodie oder nicht, ist der Vietnam-Krieg ein immer wieder auftauchendes Thema in Hollywood. Sob- chack erklärt das Phänomen so: „It is also an effect of living in an almost totally mediated society in which experience is most significantly experienced indirectly - in the pseudoevents/ objects of images, simulations, and spectacle.“384 Dies führt Jameson zufolge zum Verschwinden der Historizität: „Und diese bezaubernde neue Ästhetik ist dann selbst ein Symptom für das Schwinden von Historizität: un- seres Vermögens, Geschichte aktiv und produktiv zu erfahren.“385

In FORREST GUMP weist das Pseudoereignis des Treffens auf das Ganze des Films hin, also auf Form und Inhalt. Die digital-manipulierte Szene charakterisiert den ganzen Film. Wie sie die wirkliche Geschichte durch die Digital-Technik verformen konnte, taucht die reale Geschichte der USA, oder die verschiedenen Bilder der realen Geschichte im Film ständig verformt auf. Gump ist eine Figur, die alle wich- tigen Ereignisse der gegenwärtigen Geschichte leiblich erleben konnte. Er trans- zendiert Zeit und Raum, wie Kay Hoffmann zu Recht sagt: „so trifft er bekannte Zeitgenossen: die Auflösung von Zeit und Raum ist vollzogen.“386 Er befindet sich überall in der Geschichte. Er ist sozusagen ‚ubiquitous‘, allgegenwärtig, aber er ist gleichzeitig nirgendwo, wie wenn man sich im Cyberspace befindet. In diesem Sinne zeigt der Film auch die Logik der postmodernen Kultur, die Jame- son zufolge nach der Erfindung der Computer und Atomkraft aufging. Dies stimmt mit Jamesons Definition von Doctorows Roman Ragtime als postmodern überein: „Wir sehen diese Figuren nicht anders als durch den Filter eines vorher erworbe- nen Wissens, durch das Destillat des ihnen vorauseilenden Ruhms. Der Text er- weckt so ein permanentes Gefühl von déjà-vu […].“387 Und diese Nostalgie-Welle ist nicht unabhängig von dem kulturellen Akt der Ver- söhnung mit der vergangenen amerikanischen Geschichte. In diesem Zusammen- hang ist die Behauptung Sobchacks aufschlussreich:

384 Sobchack (1991), S. 274. 385 Jameson (1997), S. 66. 386 Hoffmann (2004), S. 158. 387 Jameson (1997), S. 68. 133

During the last decade, the representations of both American politics and popular culture have attempted to recuperate and re-vision the past (and tele- vised) failure of bourgeois patriarchy – both in relation to its challenge by the Civil Rights, youth, and feminist movements of the late ‘60s, and by its loss of face and imperialist power in Southeast Asia.388

Es ist daher mehr oder minder überzeugend, wenn auch ein Rezensent von BBCi den Film eher zynisch kritisiert:

Whether you like it or not really comes down to one thing: how much senti- mentality can you take? Because despite the excellent performances and ex- travagant scale, Zemeckis has his finger well and truly on the nostalgia button. And then there's the affirmation of the American Dream: isn't it great that even a dolt, as long as he's kind and loving, can make it in the fantastic US of A?389

IV.6 Schizophrenie und Inkohärenz der Erzählung

In den Computerfilmen wird die Zeitlichkeit wenig beachtet, wie wir bis jetzt beo- bachtet haben. Statt der linearen Zeitlichkeit herrscht die bruchhafte über die Handlung des Films. Die Brüche der Ereignisse oder deren Fragmente werden dort hervorgehoben und deutlich gemacht. Das Spektakuläre, wenn auch nicht immer kohärent mit der Handlung, spielt die große Rolle, um die Handlung zu bil- den. Die Spezial-Effekte, Events und vieles Sehenswerte hindern den Zuschauern, eine plausible Handlung zu konstruieren. Daraus entsteht die Rede von dem Man- gel der Handlung, und die Syntax der Erzählung wird schwach. Jameson entleiht von Lacan dessen Definition der Schizophrenie, um damit zu er- klären, welche Form die Zeit in der Postmoderne nimmt. Lacan definiert: „die Schizophrenie als das Auseinanderbrechen der Signifikantenkette, also der zu- sammengeschlossenen syntagmatischen Signifikantenfolge, die eine Aussage oder einen Sinn aufbaut.“390 Lacans Konzept basiert auf der Saussureschen struk- turalistischen Sprachtheorie:

388 Sobchack (1991), S. 228. 389 http://www.bbc.co.uk/films/2000/10/04/forrest_gump_review.shtml (20.06.2007) 390 Jameson (1997), S. 70. 134 auf dem Theorem, dass Sinn nicht auf einer direkten Beziehung zwischen Signifikant und Signifikat, zwischen den Sprachmaterial (einem Wort oder ei- nem Namen) und seinem Referenten oder Begriff beruht.391

Das heißt, der Sinn wird allein durch die Bewegung von Signifikant zu Signifikant erzeugt.392 Aber der Sinn oder begrifflicher Inhalt einer Äußerung wird deswegen „nur mehr als Sinn-Effekt begriffen, als die objektive Vortäuschung von Bedeutung, die durch die Verbindung der Signifikanten zueinander generiert und projiziert wird.“393 In diesem Zusammenhang erklärt Jameson, wie Schizophrenie entsteht. „Schizo- phrenie“, so Jameson, „entsteht, wenn diese Verbindung auseinanderbricht, wenn die Glieder der Signifikantenkette zerspringen“.394 Mit anderen Worten:

Wenn wir nicht in der Lage sind, die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft eines Satzes zusammenzuschließen, dann können wir ebenso wenig die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft unserer eigenen Lebenser- fahrung und unserer Psyche als Einheit fassen.395

Deswegen werden nur die nicht zusammenhängenden Gegenwartsmomente von den Schizophrenen beschränkt wahrgenommen. Weniger die Intention hinter den Signifikanten als deren Materialität selbst steht folglich im Mittelpunkt bei den Kul- turprodukten. Jameson beschreibt die Auswirkung folgendermaßen:

Derart vereinzelt, überwältigt die Gegenwart das Subjekt plötzlich mit unver- stellbarer Vitalität: Eine überwältigende Materialität der Wahrnehmung kommt auf […]. Diese Anwesenheit von Welt bzw. des materiellen Signifikanten schiebt sich mit erhöhter Intensität vor das Subjekt, das aufgeladen ist mit ei- ner undefinierbaren affektiven Last, die hier negativ als Angst und Realitäts- verlust beschrieben wird, jedoch genauso gut positiv als Euphorie, hochflie- gende, berauschende und halluzinatorische Intensität gedacht werden kann.396

Wenn man die Temporalität verliert, also die Vergangenheit, die Gegenwart und die Zukunft von einander nicht differenzieren kann, zeigt sich das Symptom der Schizophrenie. In diesem metaphorischen Sinne zeigen die Computerfilme das

391 Ebd., S. 71. 392 Vgl. ebd. 393 Ebd. 394 Ebd. 395 Ebd. 396 Ebd., S. 72. 135 Symptom. Vor allem bei der Konstruktion der Zeitlichkeit zeigt sich das Schizo- phrene des Films. Meistens hat das mit dem Verständnis der neuen Technologie zu tun. Genauer gesagt, verursacht zunächst das Missverständnis des Computers, oder das man- gelhafte Wissen den Mangel der Temporalität, oder die schizophrene Handlung. Wenn die Filmmacher mangelndes Wissen über Computer haben, oder nicht ver- suchen, die reale Entwicklung der Technologie zu beachten, entsteht daraus die Übertreibung, die transzendental, aber darüber hinaus auch irrational oder schizo- phren erscheint. Dies führt letztlich auch zur irrationalen verwirrenden Struktur der Handlung. Außerdem könnte ihre mangelnde Struktur darauf zurückzuführen sein, dass diese Filme nur auf das Spektakuläre abzielen. Dabei spielt weniger die logische Erklä- rung als die halluzinatorische Bewunderung eine Rolle. Im Folgenden geht es daher nicht darum, worum es bei einem Film geht, sondern darum, wie die Struktur der Handlung konstruiert ist. Das heißt, es geht nicht um den Inhalt eines Films, sondern um seine Form. Denn Jameson zufolge kann die Form „das politische Unbewusste“397, das dem Film unterliegt, besser enthüllen.

Hierzu werden die folgenden Computerfilme analysiert: DEMON SEED, COLOSSUS:

THE FORBIN PROJECT, VIRTUOSITY, GHOST IN THE MACHINE, HACKERS und THE MATRIX.

In DEMON SEED, COLOSSUS und VIRTUOSITY entsteht die irrationale Handlung meis- tens daraus, dass die Repräsentation des Computers mit dem realen, zeitgenössi- schen Stand der Technologie nicht übereinstimmt, sie ist entweder überschritten oder rückständig. Auch die Phantasie in GHOST IN THE MACHINE und HACKERS wird auf Grund der zeitlichen Unstimmigkeit mit dem zeitgenössischen Stand der Technologie irrational dargestellt. Dies ergibt sich aus der Ignoranz der Macher, die ohne Kenntnis von Computern nur die oberflächliche, wunderbare Funktion der Maschine zeigen möchten. Da spielt keine logische Denkweise eine Rolle. Vor al- lem THE MATRIX ist einer der Filme, die der Logik der irrationalen Fantasie folgen. Dabei werden die Fragmente, Simulationen und Spezialeffekte usw. statt der ko- härenten Erzählung hervorgehoben.

397 Dies ist auch der deutsche Titel von Jamesons 1981 erschienen Buch The Political Unconscious. 136 IV.6.1 Die irrationale Handlung - DEMON SEED/ COLOSSUS: THE FORBIN PROJECT /VIRTUOSITY

In DEMON SEED findet man viel ungeschickt konstruierte Handlung. Es gibt einige Fragen, die nicht einfach beantwortet werden können. Warum konnte Dr. Harris so lange die Ursache nicht herausfinden, als das Problem am Computer auftauchte? Warum wussten die anderen nicht, dass Susan einen Monat lang im Haus einge- sperrt war? Hätte keiner einen Zweifel daran gehabt, warum ihr Freund Walter Gabler verschwunden war, nachdem er von Proteus getötet wurde? Was machten die Polizei und Dr. Harris so lange? Und doch gibt es noch eine entscheidende Frage. Dem Computer Proteus ist es gelungen, ein Kind zu erzeugen. Proteus sagt, es dauere ein paar Wochen, bis das Kind auf die Welt komme. Aber es scheint so, dass das Kind in der Tat nur in ein paar Stunden kommt, weil man im Film keine Hinweise darauf finden kann, dass die Zeit so lange verlaufen ist. In den SF-Filmen ist es meistens verständlich, dass die Ereignisse nicht exakt den wissenschaftlichen Tatsachen entsprechen. Es ist daher akzeptabel, dass der Computer spricht, mit Menschen Sex hat und ein Kind gebärt. Im Rahmen des Films und in der Syntax der Handlung und der Phantasie ist uns alles verständlich. Doch die reale Zeit muss mindestens so rational bleiben, wenn es nicht um die

Zeitmaschine geht. Aber in DEMON SEED wird die Zeit beschleunigt und verzerrt. Und diese verzerrte Zeit macht daher den Film unauthentisch. Was bleibt, sind nur die Fragmente, die aus Spezial-Effekten und Neuigkeiten der Ereignisse bestehen, die im allgemeinen nur den Warencharakter des Films ausmachen. Außerdem ist dies auch ein schizophrenes Phänomen, das die temporale Signifikantenkette zer- reißt. Darüber hinaus sieht der Computer sehr altmodisch aus im Vergleich zu HAL in 2001. Deswegen ist es nicht glaubwürdig, wie er trotzdem eine so wunderbare Leistung leisten konnte. Diese Unglaublichkeit kommt aus dem unausgeglichenen Zustand zwischen der wirklichen Wissenschaft und deren Möglichkeit. Da empfin- det man den zeitlichen Übersprung, der ohne Erklärung ausgeführt wird. Dadurch entsteht die Verwirrung der Zuschauer. Und dies zwingt sie dazu, nur auf die Fragmente der Szene, Events, und Ereignisse zu achten. Auch Richard Scheib sagt daher in seinem Artikel über den Film: „The computers certainly look primitive today - although that is hardly a fault of the time the film

137 was made. More so though little logistical thought has gone into the film”398 Und er stellt sich die Frage:

how can Proteus conduct microbiological operations with such an absurd and ungainly polyhedron shape that it uses as its manipulative digits? Why does a computer need external cardiograph, VDU and rolling drum displays for an operation it is monitoring ?399

Auch in COLOSSUS findet man vieles Unklares, das als irrational erscheint. Scheib schreibt, dass er hinsichtlich der Handlung aufgrund eines heutzutage nie akzep- tierbaren Entwurfs gemacht wurde. Da stellt er viele Fragen, die nicht einfach be- antwortet werden können.

Although probably the 1960s was the only point such a film as this could have ever been made. It is hard to think that such an incredulous premise would ever succeed in the 1990s and beyond where the computer has become seamlessly integrated into the everyday world. For a start not only does Forbin build a system that seemingly has no shutoff switch, but he seals it off inside an impenetrable bunker … and without, it appears, ever having turned it on or done any tests on it. Moreover, what seems almost impossible to believe, the military seem perfectly happy to turn over the running of the entirety of the US military complex to this untested machine. Not too surprisingly the machine starts exhibiting errors within moments of operation … yet the creator of this system has no means of being able to do anything about it. In a modern ver- sion Forbin would surely be regarded as the villain and lionized for his incom- petence for designing such a system, however here he remains the hero of the show.400

Auch VIRTUOSITY hat viel Mangel in der Erzählhandlung. Und dieser Mangel stört uns über das Thema der VR, das der Film problematisiert hat, ernsthaft nachzu- denken. Zum Beispiel können wir die folgenden Fragen stellen: Warum hat die Po- lizei den Serienmörder in der VR, der die Profile der 180 Serienmörder innehat, schaffen lassen, wenn sie nicht die Psychologie und das Verhalten des Killers zu erforschen beabsichtigt? Es ist nicht überzeugend, dass er nur geschaffen wurde, um die Verfolgungsübungen zu machen. Und warum hat der Schöpfer der VR den Killer inkarniert, obwohl sein Programm ausgeschaltet werden sollte? Hatte er kei- ne Möglichkeit außer der Freilassung des Killers, um sein Programm zu retten? Auch mit dem damaligen Stand der Technologie konnte er sein Programm heim-

398 Scheib (1990), http://www.moria.co.nz/sf/demonseed.htm (20.06.2007) 399 Ebd. 400 Scheib (1990), http://www.moria.co.nz/sf/colossus.htm (20.06.2007) 138 lich irgendwo anders speichern. Und warum ist der Wissenschaftler so böse ge- worden? Alle diese Fragen sind schwer zu beantworten. Diese Situation weist darauf hin, dass der Film auf den ökonomischen Zweck ab- zielt, von der neuen Technologie des Spätkapitalismus zu profitieren. Die Filmo- grafie von Brett Leonar zeigt uns, dass diese Behauptung plausibel erscheint. THE

LAWNMOWER MANN (1992) und HIDEAWAY (Das Versteckspiel. USA 1995, Brett Le- onard) gehören zu seinen Filmen. Sie haben dieselbe Thematik behandelt und dieselben Mängel. Die neue Technologie wird in den Filmen reproduziert und selbstreflexiv repräsentiert. Sie sind wie die Waren hergestellt, die seriell auf dem Transportband hergestellt werden.

IV.6.2 Die irrationale Phantasie aus der Ignoranz – GHOST IN THE MACHINE/ HACKERS

Auch in GHOST IN THE MACHINE scheint die technische Tatsache verachtet zu wer- den. Scheib behauptet daher:

The script seems to have been written by people whose entire experience of computer technology has been switching on their word-processors. No distinc- tion whatsoever is made between information systems and electrical systems, with the cyber-ghost being able to switch between the two with equal ease.401

Daher verbleibt nur die Fantasie, die keine Verbindung mehr mit der Realität findet. Dies führt dazu, dass die Zuschauer keine tiefe Einfühlung in die Ereignisse emp- finden können. Dort kann man nur die Pseudoereignisse beobachten. Alles bleibt auf der Oberfläche der Leinwand. Deswegen beklagt auch Scheib: “And the ani- mation is the only real reasons to see the film. It has no sophistry beyond that - certainly not for anyone who has the slightest knowledge about computer technol- ogy.”402

In diesem Sinne ist auch der Film HACKERS von Iain Softley ein interessanter Film. In 2001 war die Darstellung innerhalb des Raumschiffs sehr authentisch, weil viele wirklichen Astronauten und Wissenschaftler dazu beigetragen hatten, die Authen- tizität des Films herzustellen. Aber bei HACKERS scheint dies nicht der Fall gewe- sen zu sein. Daher sagt selbst Roger Ebert, dass es für den Experten besser wäre, den Film nicht anzuschauen:

401 Scheib (1994), http://www.moria.co.nz/sf/ghostinmachine.htm (20.06.2007) 402 Ebd. 139

This grinching illustrates my theory that you should never send an expert to a movie about his specialty. Boxers hate boxing movies. Space buffs said ‘Apollo 13’ showed the wrong side of the moon. […] ‘Hackers’ is, I have no doubt, deeply dubious in the computer science department.403

Das heißt, es gebe viele Fehler in der Exaktheit. Beispielsweise wirft Scheib dem Drehbuchautor vor, dass er ohne Kenntnis der Hacker-Kultur das Drehbuch ge- schrieben hat:

Unfortunately the film’s pretence to offering an expose of hacker culture is ex- traordinarily shallow. […] The film feels very much like the scriptwriter has grafted what they imagine hacker culture to be like onto familiar teen stereo- types without even having met a single hacker in their life. The hackers that one knows are far removed from the people in this film – the real ones seem mostly grubby, socially deprived and dress in black a lot.404

Das Gespräch von CNN mit dem Regisseur Iain Softley zeigt uns, dass der Film sich weniger auf wissenschaftliche Tatsachen als auf die Fantasie stützte, somit würde die Argumentation der beiden Kritiker nachweisen: „I'd never been on-line, I'd never been on the Internet before beginning to work on this movie,’ says director Iain Softley. ‚I was vaguely aware that there was something happen- ing and the possibilities.“405 Er wollte uns eher zeigen, wie sich die Hackers beim Surfen im Netz fühlen, als wie der Mechanismus des Hacking aussieht. Daher ist es natürlich, dass man von dem Film keine wissenschaftliche Exaktheit erwarten kann. Softley sagt:

What I wanted to do with the movie was […] to try and show an equivalent ex- perience to the audience in the cinema of what a hacker feels when he's mov- ing through cyberspace in his mind […].406

Seit längerem kursiert ein interessanter Text im Internet, in dem ausführlich be- schrieben steht, wie Computer im Film häufig fälschlich dargestellt wird. Um ein paar Sätze daraus zu zitieren:

1. Textverarbeitungsprogramme arbeiten ohne Cursor. Zeichen haben auf dem Bild- schirm etwa eine Höhe von 3 cm.

403 Ebert (1995), http://rogerebert.suntimes.com/apps/pbcs.dll/article?AID=/19950915/REVIEWS/5091 50302/1023. (20.06.2007) 404 Scheib (1997), http://www.moria.co.nz/sf/hackers.htm (20.06.2007) 405 Michael (1995), http://www.cnn.com/SHOWBIZ/Movies/Hackers/index.html (20. 06.2007) 406 Ebd. 140

5. Fast alle Computer haben eine leicht zu verstehende grafische Benutzeroberfläche.

6. Der Rest hat eine unglaublich leistungsfähige textbasierte Benutzeroberfläche, wo man Kommandos in natürlicher Sprache eingeben kann, die dann vom Computer kor- rekt ausgeführt werden.

11. Alle Computer arbeiten mit mehreren tausend Volt und haben explosive Bauteile dicht unter der Oberfläche. Fehlfunktionen machen sich durch Blitze, Rauchwolken, Funken und Explosionen bemerkbar, die den Anwender nach hinten springen lassen.

13. Hacker können auch die Passwörter der am stärksten geschützten Computer in 2- 3 Versuchen erraten.

16. Große Berechnungen, die gewaltige Datenmengen verarbeiten müssen, sind in 3 Sekunden abgeschlossen. Modems übermitteln Daten mit ungefähr 2 Gigabyte pro Sekunde.

20. Computer können mit jedem anderen Computer kommunizieren, egal von wel- chem anderen Hersteller oder aus welcher anderen Galaxie dieser stammt (Indepen- dence Day).

25. Notebooks können immer für Videokonferenzen verwendet werden und haben ei- ne ähnliche Leistungsfähigkeit wie CRAY Supercomputer.

27. Suchmaschinen im Internet liefern exakte Ergebnisse, egal wie vage die Suchwör- ter waren. (Mission Impossible: Suchwörter waren "File" und "Computer", das Ergeb- nis bestand aus 3 Treffern)

28. Leistungsfähige Computer können mit Lasern Materie in Daten umwandeln und man kann dann im Computer spazierengehen. (Tron) 407

In Hinblick auf die Darstellungen des Computers im Film kann man daher sagen, dass in den Filmen keine kohärente plausible Erklärung dafür möglich ist. Sie ü- berschreiten die rationale Erklärung. Sie zeigen nicht nur die Funktion der Maschi- ne, sondern mehr als ihre wirkliche Funktion. Dadurch verliert die Maschine an sich im Film die Referenz ihrer Funktion. Was bleibt, ist nur das Wunder der Funk- tion. Hier wird nicht die wunderbare Funktion der Maschine, sondern das funktio- nelle Wunder zelebriert, das nicht mit der tatsächlichen Funktion vereinbar ist, wie

Sobchack bei der Analyse von dem Film CLOSE ENCOUNTERS OF THE THIRD KIND (Unheimliche Begegnung der dritten Art. USA 1977, Steven Spielberg) sagt: „The alien spaceship not as wonderfully functional, but as functionally wonderful – a merry –go-round of light, color, and music.“408

407 Wessel (2003), http://www.junko.de/compfilm.0.html (20.06.2007) 408 Sobchack (1991), S. 285. 141 IV.6.3 Die Logik des Wunderlandes - THE MATRIX

Auch THE MATRIX lösen viele Fragen aus, die die Logik der Handlung betreffen. In seinem Aufsatz Zwischen Illusion und Wirklichkeit stellt Christof Wolf viele Fragen nach der Irrationalität des Films. Für ihn bleibt vieles ungeklärt und hält einer kriti- schen Überprüfung kaum Stand.409

Schon der Hintergrund der Handlung bleibt unklar: Dass die KI-Maschinen schon im 22. Jahrhundert die Herrschaft über ihre Erzeuger (die Menschen) antreten, ist gemessen an der faktisch äußerst langsamen Entwicklung der KI sehr unwahrscheinlich. Es wird im Film auch überhaupt nicht geklärt, wie es dazu kommen konnte. Warum brauchen die Maschinen gerade Menschen, um Energie zu gewinnen? Warum benutzen sie nicht Erdwärme, Gezeiten, Wind oder Atomenergie? Im Film selbst wird erwähnt, dass die Maschinen eine Art Kernfusion entwickelt haben. Die Erhaltung der Menschen ist selber mit einem hohen Energieaufwand verbunden und ziemlich ineffizient. Die Idee, dass die Ernährung der Menschen wieder durch Körpersubstanz anderer Menschen geschieht, ist nicht nachvollziehbar. Es kann so kein geschlossener Nah- rungskreislauf entstehen. Es muss andere Nahrung für die Aufzucht der Men- schen geben. Diese Nahrung muss organische Nahrung sein. Wie das ohne Sonneneinstrahlung (Photosynthese) geschehen soll, bleibt unklar.410

Außerdem stellt er noch viele weiteren Fragen: Wieso treten diese so genannten Agenten in Menschenform auf? Warum kann beispielsweise das Ausloggen aus der Matrix nur per Festnetz-Telefon erfolgen? Wie ist es möglich, dass Neo durch das Schlucken einer Pille, die ja auch nur virtuell ist, die Matrix verlassen kann? usw.411

Ein letzter mit unserem Weltbild unverträglicher Punkt ist, dass jemand, der in der Matrix stirbt, in der Wirklichkeit nicht weiterleben kann. Das wäre so, als wenn jemand, der sich im traumlosen Schlaf befindet, dadurch zwangsläufig stirbt bzw. wenn jemand, der im Traum stirbt, tatsächlich niemals aufwachen würde.412

Aber die Schwächen in der Logik des Plots führten nicht direkt zum Desaster für den eigentlichen Inhalt des Films, sondern eher zu seinem Erfolg. Denn, wie Wolf behauptet, „verstehen es die Wachowskis in eindrucksvoller Weise, Motive aus der Philosophie, Religion und Mythologie auf dem Hintergrund des Plots zu plat-

409 Vgl. Wolf (2002), S. 46. 410 Ebd., S. 47. 411 Vgl. ebd., S. 47f. 412 Ebd., S. 48. 142 zieren.“413 Das heißt, „seine inhaltliche Kraft bezieht der Film weit mehr aus diesen Elementen als aus der wissenschaftlichen Rationalität seiner Handlung.“414 Eine Anspielung auf die Irrationalität ist Alice im Wunderland, auf das Morpheus zu Beginn des Films hindeutet, indem er Neo auffordert: „Folge dem weißen Ka- ninchen“.415 Aber Alice im Wunderland dient hier nicht nur als eine Anspielung auf seine Irrationalität, sondern der Film THE MATRIX selbst ist nichts anderes als eine Verkörperung des Wunderlandes. Und später erklärt Mopheus Neo, wie das Wun- derland ist. Es muss hier noch einmal das in Kapitel III erwähnte Zitat angeführt werden. Denn man kann dadurch ‚das politische Unbewusste’ des Films erkennen. Das heißt, es wäre möglich, dass man in der folgenden Aussage die Logik des Spätkapitalismus ablesen kann, in dem man zwangsläufig unter der Schizophrenie und der Konsumgier leidet, ohne der Strömung des Kapitals entkommen zu kön- nen.

Sie [Alice] kommt in die Welt, in der alles verrückt ist, die Leute sagen: ‚Iss das, trink das.‛ Alles beeinflusst sie und verändert sie und nichts ergibt einen Sinn, nichts ist logisch. Das ist einfach der Weg, den sie gehen muss. (Wa- chowski Bros. MAKING THE MATRIX DVD 2: 21/01 00:0:22)416

Allerdings sagt der Inhalt des Films uns, dass wir dieser Welt die Frage stellen müssen, ob sie nicht eine Matrix ist. Aber ironischerweise erlaubt ihre Inszenie- rung uns nicht, jene Frage zu stellen, weil, wie gesagt, der Film nicht auf wissen- schaftlicher Rationalität aufgebaut ist, sondern auf dem Prinzip des Wunderlandes. Das Wunderland ist eine verrückte Welt. Darin ergibt nichts einen Sinn, nichts ist logisch. Wenn kein logisches Denken, das Sinn erzeugen kann, möglich ist, dann ist auch keine Fragestellung möglich, weil diese nur entsteht, wenn man die Lücke der Logik aktiv herausfinden und erkennen kann, was da fehlt. Und dementspre- chend ist keine kritische Distanz zu dieser Welt möglich. Im Wunderland muss man ohne die Fragestellung den Weg gehen, der vorgegeben ist, wie Morpheus sagt, ‚Das ist einfach der Weg, den sie gehen muss.‛ In diesem Wunderland ist die raumzeitliche Ordnung durcheinander, und dement- sprechend ist auch die Logik des Plots verwirrend. Aber interessant ist, dass sich diese schizophrenen Phänomene hier nicht einfach als Schizophrenie im neuroti-

413 Ebd. 414 Ebd. 415 Vgl. ebd. 416 Ebd., S. 49. 143 schen Sinne oder Realitätsverlust beklagen lassen, sondern als Euphorie fungie- ren.

Sheldon in UFORIA (Uforia. USA 1984, John Binder) warnt der UFO-Gläubige Ar- lene: „If you don’t stop believing in things that can’t be proved in black- and white, you’re going to crack up.“417 Aber im Wunderland der Matrix findet der Zusam- menbruch (cracking up) nicht statt, wie befürchtet. Er wird kaum als negativ oder schizophren repräsentiert, wie Sobchack schreibt: „This ‚cracking up,‛ however, is hardly enacted or dramatized negatively, as schizophrenic failure.“418

417 Sobchack (1991), S. 281. 418 Ebd. 144 V. DIE OBERFLÄCHLICHKEIT DES AFFEKTS: VOM SPEZIAL- AFFEKT ZUM SPEZIAL-EFFKET

Indem die Logik des Raums über die Logik der Zeit herrscht, fand eine Verräumli- chung der Zeit statt, wie wir in Kapitel III gesehen haben. Daraus resultierten die Krise der Identität, der Verlust der Historizität und die Inkohärenz der Erzählung usw. Aber neben diesen Resultaten geht es hier auch um die Verräumlichung des persönlichen Spezial-Affekts. Daher geht es hier besonders darum, wie diese per- sönliche psychologische Tiefe durch den Spezial-Effekt visualisiert und verräum- licht wird. Dieses Kapitel geht also von der Frage aus, was passiert, wenn der zeit- lich begründete psychologische Affekt durch den räumlich visualisierten Spezial- Effekt ersetzt wird. Diesbezüglich erläutert Miriam Bratu–Hansen ein Beispiel dazu. Dabei geht es darum, wie die Repräsentanten der Zuschauer im Film JURASSIC PARK durch die Gewaltszene, die duch den Spezial-Effekt visualisiert ist, die psychologische Dis- kontinuität erleben. Daher erläutert dieses Kapitel zunächst die These Bratu- Hansens.

V.1 Spezial-Effekt und das Erhabene V.1.1 Die psychologische Diskontinuität In ihrem Aufsatz Dinosaurier sehen und nicht gefressen werden analysiert Miriam

Bratu-Hansen den Film JURASSIC PARK. In dem Film geht es um einen Freizeitpark auf einer karibischen Insel, auf der „lebendige, paläogenetisch neu gezüchtete Di- nosaurier“419 zur Schau gestellt werden sollen. Aber die Sicherheitsvorkehrungen versagen, dieser neue Versuch geht daher schief. Dinosaurier überwinden die e- lektronischen Sicherheitszäune. Nun beginnt eine Verfolgungsjagd. Nicht die Menschen verfolgen die Dinosaurier, sondern der monströse Tyrannosaurus Rex verfolgt die Menschen. Auch die Paläontologen Dr. Grant und Dr. Sattler und die Enkelkinder des Freizeitparkgründers Hammond, Tim und Lex, geraten in Gefahr. Aber von der Wirkung her sind dabei die Sequenzen von Wettrennen zwischen Dino-Schritten und Auto und gewaltigen Fluchtversuchen nicht neu. Was dabei neu und interessant ist, ist Bratu-Hansen zufolge die nächste Sequenz:

419 Bratze-Hansen (1995), S.249. 145 Von dem Paläontologen in der männlichen Hauptrolle gerettet, erwachen die Kinder in einer Baumkrone und erblicken im Morgengrauen eine Herde von majestätisch die Hälse reckenden Dinosauriern: Aahs und Oohs, als wäre nichts gewesen.420

An dieser Stelle geht sie der Frage nach, wie man die Reaktion der Kinderfiguren verstehen kann. Bratzu-Hansen erklärt die Reaktion mit der Begrifflichkeit „der psychologischen Diskontinuität“:

Befinden sich die Kinder in der einen Szene am Rande brutaler physischer Vernichtung und durchleben Todesangst, so werden sie in der nächsten, nur durch Sekunden filmischer Zeit getrennt, schon wieder zu faszinierten, genie- ßenden Zuschauern.421

Dazu weist sie darauf hin, dass die Kinderfiguren zu Zuschauern nicht nur in der fiktiven Einrichtung JURASSIC PARK werden, sondern auch zu idealen Repräsentan- ten des jugendlichen Publikums, welches der Film JURASSIC PARK in Millionenstär- ke anvisiert.422 Damit behauptet sie, dass man sich die Figuren im Film als die Zuschauer des Films vorstellen kann, die vor der Leinwand sitzen. Sie sind nämlich nicht anders als die Zuschauer im Kino. Angesichts ihrer Gewaltwahrnehmung fragt man sich, woraus die psychologische Diskontinuität der Figuren resultiert. Nach Bratu-Hansen ist sie für die Zuschauer, welche die gewaltvolle Szene anschauen, zuerst „durch die absolute Trennung des raum/zeitlichen Bereichs des Dargestellten vom raum/zeitlichen Bereich des Zuschauers […].“423 verursacht worden:

Wenn Kamera und Darsteller anwesend sind, ist der Zuschauer abwesend und umgekehrt. Markiert die Leinwand die unüberschreitbare Grenze zum Reich der Illusion, so bietet sie zugleich auch Schutz gegen die als real dar- gebotenen Sensationen.424

Die Schaulust der Kinderfiguren als Repräsentanten der Zuschauer beruht näm- lich auf dieser raum/zeitlichen Trennung der Illusion auf der Leinwand vom Zu- schauer. Diese Reaktion auf die Darstellung der Gewalt ist allgemein beim Zu-

420 Ebd., S. 250. 421 Ebd. 422 Vgl. ebd. 423 Ebd., S. 251. 424 Ebd. 146 schauer des Films zu sehen. Nach Hansen hat „die schizoiden Verhaltensweise der Kinder“425 mit dem Problem der filmischen Gewaltwahrnehmung zu tun. Dieses Argument setzt aber die Tatsache voraus, dass das Verhältnis von Film und Gewalt eng miteinander zusammenhängt, d.h., wie Bratu-Hansen sagt, dass die Affinität zwischen Kino und Gewalt nicht nur im Inhalt des Films, sondern in der Form des Films selbst liegt: „Wie schon Zeitgenossen bemerkten, lag die Affi- nität zwischen Kino und Gewalt nicht nur in den dargebotenen Gegenständen, im Inhalt, sondern in der Struktur der filmischen Darbietung selbst.“426 Um die strukturellen Aspekte zu erläutern, zitiert sie einen Bericht der Russell Sa- ge Foundation427 von 1911 über das Kinoerlebnis. Demnach wird dieses „mit der diskontinuierlichen und plötzlichen Abfolge von Ereignissen im großstädtischen Alltag, ‚the succession of city occurrences’“ 428 verglichen. Außerdem, wie Tom Gunning behauptet, wurde das Kino als ’Kino der Attraktion’, „as a series of visual shocks“ konzipiert.429 Und in Bezug auf die Struktur der filmischen Darbietung be- hauptet sie, dass die Gewalt im Schnitt liege.430 In dieser Hinsicht ist auch ein Bei- spiel von Balázs aufschlussreich. In einem Essay erzählt er von Einem Mädchen aus Sibirien. Sie war ein intelligentes Mädchen mit Schulbildung. Aber sie hatte noch nie einen Film gesehen. Zufälligerweise war sie einmal ins Kino gegangen. Und mit bleicher Miene kam sie zurück. Man fragte sie nach ihrem ersten Kinoer- lebnis.

„Wie hat es dir gefallen?“ fragte man sie. Sie stand noch immer unter der Wir- kung des Geschauten und blieb eine Weile starr und stumm. „Fürchterlich“, sagte sie schließlich empört. „Ich kann nicht verstehen, dass man es hier in Moskau erlaubt, solche Scheußlichkeiten zu zeigen“. „Ja, was hast du dann gesehen?“ „Ich habe gesehen, wie sie Menschen in Stücke gerissen haben. Der Kopf, die Füße, die Hände, alles war woanders.“431

425 Ebd., S. 252. 426 Ebd., S. 254. 427 „The Russell Sage Foundation is the principal American Foundation devoted exclusively to research in the social sciences. Located in New York City, it is a research center, a funding source for studies by scholars at other academic and research institutions, and an active member of the nation's social science community. The foundation also publishes, under its own imprint, the books that derive from the work of its grantees and Vis- iting Scholars.“ http://www.russellsage.org/ (20.07.2007) 428 Ebd., S. 254. 429 Vgl. ebd., S. 255. 430 Vgl. ebd. 431 Balázs (1961), S. 27. 147 Wie gesagt, weist diese Erzählung darauf, dass Film mit der Gewaltwahrnehmung in enger Beziehung steht. In diesem Zusammenhang könnte man sagen, dass das Kinoerlebnis nichts an- ders als das Schockerlebnis aus der Gewaltwahrnehmung ist. Um dieses Kinoer- lebnis zu erklären, bezieht sich Bratu-Hansen auf Walter Benjamin und Siegfried Kracauer. In Bezug auf mein Thema geht es vor allem um die ‚Anästhesierung’, mit der Susan Buck-Morss Benjamins Schockbegriff umformuliert hat, und die ‚Ich- Entgrenzung in die Materie’ bei Kracauer.432

V.1.2 Anästhesierung Bei dem Zuschauer, der unter dem andauernden Schock, dem Schrecken oder der Gewalt leidet, verliert der Sensor des Reizschutzes seine Abwehrfunktion. Dann kann er auf das neue Schockerlebnis nicht mehr so reagieren wie zuvor. Nun tut er wie betäubt. Im Krieg töten die Soldaten zahlreiche Menschen und se- hen sie sterben. Am Anfang ist das ein unerträgliches Schockerlebnis. Aber im Laufe der Zeit wird das schreckliche Erlebnis bei ihnen nicht mehr so viel Angst und Schock erregen wie vorhin. Dies nennt Buck-Morss Anästhesierung, die Be- täubung der menschlichen Sinne, die eigentlich von Benjamin als die Selbstent- fremdung erfasst wurde.433 Bei Benjamin bedeutet sie den ‚Verfall der unmittelba- ren Erfahrung‛434, der durch die Zunahme von Schocks verursacht wird:

In Benjamins historischer Konstruktion der Moderne markiert daher die explo- sive Zunahme von technisch-industriell induzierten Schocks den Verfall von Erfahrung, der Fähigkeit, Wahrnehmung mit Erinnern und Reflexion zu ver- binden, Zusammenhänge zu sehen und zu fühlen.435

Mit der Selbstentfremdung weist Benjamin nämlich auf „[…] die Spaltung von vi- sueller Wahrnehmung und körperlichem Objekt sowie beider von der Handlung, d.h. aktivem Handeln“436 auf. Dies erinnert uns wiederum an die Szene, in der die Kinderfiguren bewegungslos die Dinosaurier ansehen. Hansen beschreibt ihr physisches Verhalten als eine Pose vom ‚fast Sterben‘: „Im gegenwärtigen Kontext führt uns die Konfiguration

432 Vgl. Bratu-Hansen (1995), S. 258f. 433 Vgl. ebd., S. 259. 434 Vgl. ebd., S. 258f. 435 Ebd., S. 258. 436 Ebd., S. 259. 148 der Spaltung wieder zu den Kindern in JURASSIC PARK, der Diskontinuität von phy- sischem Erleben – vielmehr fast Sterben – und Zuschauerpose.“437

V.1.3 Ich-Entgrenzung in die Materie Interessant ist hier der Ausdruck ‘fast Sterben’. Sterben heißt, dass sowohl die materielle und physiologische als auch physische Bewegung des Menschen voll- kommen aufhört. In diesem Sinne erscheint eben die Zuschauerpose wie ‚fast Sterben‘. Aber bei dem Zuschauer des Films findet die physische sowie physiolo- gische Aktivität seines Körpers trotzdem in der Tat immer noch statt. Denn, so Kracauer: „Die materiellen Elemente, die sich im Film darstellen, erregen direkt die materiellen Schichten des Menschen: seine Nerven, seine Sinne, seinen ganzen physiologischen Bestand“438 Wie Hansen sagt, „[…] unternimmt das Kino solche Fiktionen durch seine direkten Angriffe auf die Wahrnehmung des Zuschauers“.439 Wegen dieser intensiven direkten Angriffe erlebt man im Kino das Schockerlebnis im Sinne von Benjamin und Anästhesierung als die Folge. Wie Benjamin beschreibt auch Kracauer dieses Phänomen: „Das >Ich< des dem Film zugewandten Menschen ist in ständiger Auflösung begriffen, wird unablässig von den materiellen Phänomenen gesprengt“.440 Ein Beispiel dafür ist „im Genre der „Groteske“, der amerikanischen slapstick comedy“ zu finden.441 Hansen zufol- ge beruhen ihre Handlungen auf materiellen Bewegungen in der „Schockregion“. Und die Groteske ist ein Genre, dessen einziger Zweck es sei, „Spiele in der ma- teriellen Dimension durchzuführen“.442 In dieser Hinsicht ist das Subjekt, das diese Groteske erlebt, nicht mehr als das seelische Subjekt anzusehen. Hier findet die Subjektdekonstruktion statt, wie Kracauers Begrifflichkeit „Ich-Entgrenzung in die Materie“443 andeutet. Hier könnte die Rede von der Materialisierung des Subjekts sein. Aber Benjamin und Kracauer zeigen uns nicht nur die negativen Auswirkungen des Kinos, sondern auch die positiven. In der filmischen Gewaltdarbietung sieht Benjamin auch eine therapeutische Funktion des Kinos ein. In seinem Aufsatz Das

437 Ebd. 438 ‚MN’: Zitate aus den Marseiller Notizheften von Siegfried Kracauer. Zitiert nach Bratu-Hansen, S. 264. 439 Ebd., S. 264. 440 Zitate aus den MN. Zitiert nach Bratu-Hansen: ebd., S. 265. 441 Bratu-Hansen (1995), S. 265. 442 Vgl. ebd. 443 Bratu-Hansen (1995), S. 258. 149 Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit (1936) behauptet er in Bezug auf Mickymaus-Figur:

Den vorzeitigen und heilsamen Ausbruch derartiger Massenpsychosen stellt das kollektive Gelächter dar. […] Die amerikanischen Groteskfilme und die Filme Disneys bewirken eine therapeutische Sprengung des Unbewußten.444

Nach Bratu-Hansen deutet auch Kracauer auf die Möglichkeit und Funktion des Films nach Auschwitz an, also z.B. „eine homöopathische, kathartische Wir- kung“445: „Die Darstellung von Katastrophen mag auf deren technische Bewälti- gung hindeuten.“446 Aber heutzutage ist weniger die Rede von der therapeutischen Wirkung des Kinos, sondern vielmehr in der negativen Wirkung seiner Gewaltszenen. Es geht hier al- so um das Phänomen der Anästhesierung und des materialisierten Subjekts, das der Zuschauer von der filmischen Darstellung erlebt. In diesem Zusammenhang könnte man sagen, dass der menschliche Affekt auf die materielle Ebene reduziert werden kann. Das materialisierte Subjekt verfügt weder über Affekt noch Erfahrung und Reflexion. Dagegen übernehmen die Ge- genstände im Film die Rolle des Subjekts, das noch über Affekt, Erinnerung und Erfahrung verfügen kann. In dieser Hinsicht kann man das angemessene Beispiel dafür in dem Computerfilm als Extremfall beobachten. Im Computerfilm wird weni- ger der Affekt des Subjekts als der Effekt der Dinge hervorgehoben dargestellt.

Die Kinderfiguren in JURASSIC PARK sind ein Beispiel dafür. Bei ihnen drückt sich die psychologische Diskontinuität aus, die angesichts der Gewaltszene auf der Seite der Zuschauer entsteht. Außerdem verhalten sie sich wie verdinglicht und ‘fast Sterben’, so dass man es Anästhesierung nach dem Schockerlebnis nennen kann. Bei ihnen zeigt sich daher nicht der subjektive Affekt, sondern nur das ver- dinglichte Subjekt. Der Endeffekt der Gewaltszene, die vor allem durch den Spezi- al-Effekt erzeugt wurde, ist nämlich die Anästhesierung des menschlichen Körpers oder das Schwinden des Affekts. Was aber die psychologische Diskontinuität und Anästhesierung verursacht, ist nicht nur die Gewaltszene, sondern auch die das Erhabene erregenden Darstel- lungen des Films, die durch den Spezial-Effekt ermöglicht wurden. Insofern Ge-

444 Ebd., S. 262. 445 Vgl. ebd., S. 265. 446 MN I. Zitiert nach Bratu-Hansen (1995), S. 265. 150 walt nicht im Inhalt, sondern in der Form des Films liegt, wie Bratu-Hansen be- hauptet hat, könnte sie im allgemeinen das Wesen des Films sein. Dennoch wird meines Erachtens Gewalt vor allem in den neuen Filmen, die durch die neuen fil- mischen Gestaltungsmittel wie Computer hergestellt wurden, umso tiefer verbor- gen und gleichzeitig umso stärker ausgeübt. Der Begriff Gewalt könnte in diesen Filmen einen Bezugspunkt mit dem Begriff des Erhabenen teilen, von dem in Bezug auf die postmodernen Merkmale die Re- de ist. Was ist das Gefühl des Erhabenen, das Jameson als „eine völlig neue, e- motionale Grundstimmung“447 in Bezug auf ein Merkmal der postmodernen Kultur definiert? Um das Erhabene näher zu bestimmen, wird es hier zuerst um den Beg- riff des Erhabenen bei Jameson gehen.

V.1.4 Das Erhabene V.1.4.1 Der Hyperraum Das Gefühl des Erhabenen scheint sich aus der Erfahrung des Hyperraums zu er- geben. Fredric Jameson setzt das Erhabene eben mit der Erfahrung des neuen Welten-Raums in Verbindung. An dieser Stelle ist es nützlich, wenn wir noch ein- mal auf die Begrifflichkeit des Hyperraums zurückgreifen. Jameson beschreibt in seinem Aufsatz Postmoderne, oder zur Logik der Kultur im Spätkapitalismus den neuen Welten-Raum im Spätkapitalismus mit dem Begriff des Hyperraums. Wie wir in Kapitel III gesehen haben, ist der Hyperraum, um mit Sobchack zu reden, wiederum durch Deflation, Inflation und Conflation definiert. Diese Terminologien weisen jeweils darauf hin, dass der neue Weltenraum durch die neue Oberflächlichkeit geprägt ist. Diese Wahrnehmung des neuen Raums ist in der Repräsentation des Computerfilms wiederzuerkennen. Der herkömmliche kinematographische Raum wurde als dreidimensional, tief und progressiv wahrge- nommen, während der neue kinematographische sowie digitalbildliche Raum durch die Zweidimensionalität, die neue Oberflächlichkeit und die räumliche Ver- wirrung gekennzeichnet wird. Wie wir in Kapitel III gesehen haben, ist dieses neue Phänomen entstanden, da im Spätkapitalismus die räumliche Logik über die zeitli- che Logik herrscht. Mit der Herrschaft der räumlichen Logik wird aber die zeitliche Logik geschwächt. Die geschwächte Temporalität erscheint in ihrer Repräsentati- on als schizophrene Zeit-Erfahrung, die als Hysterie angesehen werden kann.

447 Jameson (1997), S. 50. 151 Allerdings hat diese Herrschaft der räumlichen Logik zugleich eine Krise der Iden- tität des Subjekts und einen Verlust der Historizität zur Folge, wie wir in den Com- puterfilmen festgestellt haben. Indem die Zeit verräumlicht wird, bricht die her- kömmliche Ordnung der Temporalität zusammen, die mit dem Hyperraum im Spätkapitalismus zusammenhängt. Zum Beispiel tritt statt der kontinuierlichen und progressiven Zeitlichkeit die regressive und diskontinuierliche Zeitlichkeit ein. Aber diese schizophrene Zeitlichkeit wird in den Computerfilmen transformiert nicht als krankhaft, sondern euphorisch. Und es ist bemerkenswert, dass diese freudige Verräumlichung des Gefühls wiederum von dem Subjekt entfremdet wird, anders als die Gefühle wie Angst und Entfremdung, die von dem Subjekt abhängig sind und daraus hergeleitet werden. Daher definiert Jameson dieses Gefühl als ‘frei-flottierend’ und ‘unpersönlich’. Und dieses neue Gefühl setzt Jameson in seinem Aufsatz Postmoderne mit Beg- riffen wie Intensität und Erhabenes in Verbindung. Jameson stellt sie als das dritte der konstitutiven Merkmale der Postmoderne dar, das als „eine völlig neue, emoti- onale Grundstimmung“ gilt.448 Im Zusammenhang damit betont er die Relevanz dieses neuen Gefühls in der Postmoderne:

Eine Erkundung dessen, was das Postmoderne eigentlich ist, bliebe unvollständig, wenn nicht, was abschließend geschehen soll, die typische und neuartige kulturelle Erfahrung einer besonderen Euphorie bzw. der besonderen ‚Intensitäten’ zum Ge- genstand der Untersuchung gemacht würde.449

V.1.4.2 „camp“ Jameson erfasst diese neue Grundstimmung von Euphorie und Intensitäten wie- derum unter den Begriff des Erhabenen, aber „im Zeichen der Hysterie unserer Zeit“.450 Er vergleicht zuerst diese neue Kunsterfahrung mit dem Begriff „camp“, den Susan Sontag seinerzeit verwendete. Um mit Sontag zu reden, ist der Begriff „camp“ als eine Erlebnisweise oder ein Geschmack anzusehen, die weder ein System noch Beweise sind, aber in denen sich die Logik des Geschmacks zeigt.451Diese Erlebnisweise des Camps definiert Sontag in ihrem Essay Anmer- kungen zu ‚Camp‘ daher nicht systematisch, sondern fragmentarisch. Dennoch ist

448 Jameson (1997), S. 50. 449 Ebd., S. 76. 450 Ebd., S. 77. 451 Vgl. Sontag (1964), S. 322f. 152 es hilfreich, einige Zitate daraus heraus zu nehmen, um die Erlebnisweise zu er- fassen. - Zum Wesen des Camp gehört vielmehr die Liebe zum Unnatürlichen: zum Trick und zur Übertreibung. (S. 322) - Denn Camp-Kunst ist häufig dekorative Kunst, die die Struktur, die von den Sinnen wahrgenommene Oberfläche, den Stil auf Kosten des Inhalts be- tont. (S. 325) - Es ist die Liebe zum Übertriebenen, zum ‚Übergeschnappten‘, zum ‚al- les-ist-was-es-nicht-ist‘. (S. 326) - „Das ist zuviel“, „Das ist einfach phantastisch“, „Das ist unglaublich“: Standardausdrücke der Camp-Begeisterung. (S. 331) - Der Camp-Geschmack wendet sich von dem Gut-schlecht-Schema der üblichen ästhetischen Wertung ab. (S. 334) - Camp führt eine neue Norm ein: das Kunstmäßige als Ideal, das The- atralische. (S. 336) - Letzter Camp Satz: es ist gut, weil es schrecklich ist […] (S. 341)

Kurz gesagt, verweist das Camp-Erlebnis auf alles, was das Kunstmäßige ist, das aber frei von dem Maßstab des Gut-schlecht- Urteils und sogar schrecklich ist.452

V.1.4.3 Das Erhabene von Burke und Kant An dieser Stelle verknüpft Jameson das Camp-Erlebnis mit dem Begriff des Erha- benen bei Edmund Burke und Immanuel Kant:

Für Burke war das Erhabene bekanntlich eine Erfahrung, die an den Schrecken grenzt, der erschütternde Anblick, Erstaunen, Erstarrung und Ehrfurcht vor etwas, das so ge- waltig ist, menschliches Leben überhaupt zum Einsturz zu bringen. Diese Bestimmung wurde von Kant verfeinert und mit der Frage nach der Darstellbarkeit in der Kunst wei- terentwickelt, so dass der Gegenstand des Erhabenen heute nicht nur eine Angele- genheit reiner Macht und physischer Inkommensurabilität des menschlichen Organis- mus mit der Natur ist, sondern ebenso eine Frage nach den Grenzen der Gestaltung und der Untauglichkeit der menschlichen Vermögen, solche Kräfte darzustellen.453

Wie oben geschildert, wird das Erhabene bei Burke als eine Erfahrung des Schre- ckens erfasst:

Alles, was auf irgendeine Weise geeignet ist, die Ideen von Schmerz und Ge- fahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit den

452 Aber man darf nicht es mit der Pop-Art verwechseln. Sontag unterscheidet zwischen den beiden wie folgt: „An dieser Stelle könnte man Camp mit einem Großteil der Pop Art vergleichen, die – wenn sie nicht einfach Camp ist – eine Haltung zum Ausdruck bringt, die verwandt, aber dennoch ganz anders ist. Pop Art ist fader und trockner, ernster und gleichgültiger, letztlich nihilistisch.“ Sontag (1999), S. 340. Vgl. Hecken (2006), S. 187. „Bereits 1964 feiert Susan Sontag in ihrem Notes on ‚Camp’ einen Geschmack, dem es besonders um ‛Kunstmäßigkeit’ und ‛Stilisierung’ geht und gar nicht um Inhalte und Botschaften.“ 453 Jameson (1997), S. 77. 153 schrecklichen Objekten in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähn- lichen Weise wirkt, ist eine Quelle des Erhabenen;454

Zudem verhält sich das Erhabene bei Burke zu der ‚Größe der Dimension‘.455 In seinem Buch Vom Erhabenen und Schönen behauptet Burke daher, dass der Ur- sprung des Erhabenen bei den visuellen Objekten in der Größe der Dimension liegt.456 Bei Kant hingegen wird das Erhabene weniger durch die Größe des Gegenstands hervorgerufen, sondern es ist eher etwas, was einen ‚die Frage nach der Darstell- barkeit in der Kunst‘ stellen lässt. Was dabei betont wird, ist also die Ohnmächtig- keit des Subjekts, solche Kräfte, z.B. Größe und Macht der Natur darzustellen. Auch Pena Aguado, die Autorin von Ästhetik des Erhabenen, erfasst das Erhabe- ne Kants als „die Unmöglichkeit der Darstellung“457. Denn „Größe und Macht der Natur, scheinen plötzlich alle Maßstäbe zu übersteigen, so dass den Erkenntnis- vermögen neue Konstellationen abverlangt werden.“458 Jameson findet das Erhabene beispielsweise in der Repräsentation des Raums, weil „in der neuen Ästhetik die Repräsentation des Raums als unvereinbar mit der Repräsentation des Körpers angesehen wird: […] - in der Tat ein höchst bedenkli- ches Symptom.“ 459 Jameson zufolge ist der von der neuen Kunst bevorzugte Raum daher radikal anti-anthropomorph wie z.B. in den leeren Badezimmern von Douglas Bond.460 Dieser Raum scheint die uns umgebende Welt der Alltagsreali- tät zu derealisieren. Jameson erfasst also das Erhabene nicht nur als die Unmöglichkeit der Darstel- lung, sondern anschließend sieht er es in dem Begriff des Simulakrums461, dessen besondere Funktion Jameson zufolge in der ‚Derealisation‘ der gesamten uns um- gebenden Welt der Alltagsrealität liegt.462 Ein Beispiel dafür findet er in den Statu- en eines Duane Hanson:

454 Burke (1980), S. 72. 455 Ebd., S. 178. 456 Vgl. ebd., S. 178. 457 Aguado (1994), S. 96. 458 Ebd., S. 95. 459 Jameson (1997), S. 76. 460 Vgl. ebd., S. 76. 461 „Für diese Erscheinungen bietet sich Platons Begriff des ‚Simulakrums’ an: die identische Kopie von et- was, dessen Original nie exisitiert hat.“ Siehe Jameson (1997), S. 63. 462 Vgl. ebd., S. 76f. 154 Das Moment des Zweifelns und des Zögerns darüber, ob diese Polyesterfigu- ren atmen und leben, überträgt sich auf die echten Menschen, die sich im Mu- seum befinden, und transformiert auch sie für einen winzigen Moment in tote und hautfarbene Simulakren. Dabei verliert die Welt für einen Moment ihre Tiefe und droht, zu einer schimmernden Haut, einer stereoskopischen Illusion, einer Anhäufung überbelichteter filmischer Bilder zu werden.463

In diesem Moment des Zweifelns und des Zögerns empfindet man das Erhabene, weil es das Moment ist, in dem man nicht in der Lage ist, zu begreifen und darzu- stellen, was überhaupt vor sich geht.

V.1.5 Vom Spezial-Affekt zum Spezial-Effekt Dieses unpersönliche Gefühl des Erhabenen basiert, wie gesagt, auf der schizo- phrenen Zeitlichkeit, die die Identität des Subjekts dezentriert. Aber das Erhabene ist für das dezentrierte Subjekt nicht als krankhaft anzusehen, sondern als eupho- risch. Mit der Herrschaft der räumlichen Logik über die zeitliche Logik ist diese Euphorie des Subjekts dominierend geworden. Diese Umwandlung formuliert Sobchack wie folgt:

The peculiarity of this postmodern euphoria is that it is structured and repre- sented not as the intense feeling and expression of a centered subject con- structed in time, but rather as the intense feeling and expression of a decen- tered subjectivity objectified in space. This is extroversion in its most extreme and literal formulation.464

Es geht um den in die materiellen Gegenstände übertragenen Affekt des Subjekts, wie Sobchack hier mit dem Begriff extroversion andeutet. In den Computerfilmen kann man häufig beobachten, dass der spezielle Affekt des Subjekts durch den Spezial-Effekt ersetzt wird. Mit anderen Worten besagt das nach Sobchack „the genre’s transformation of the centered subjectivity of special affect (joyous intensi- ties and euphoria) into the decentered subjectification of special effects“.465 Mit der Verräumlichung der Zeitlichkeit wird selbst der menschliche Affekt also räumlich dargestellt. In den Computerfilmen wird der Affekt des Subjekts in das Material übertragen, das für den Spezial-Effekt sorgt. Herkömmlicherweise war das Gesicht des Subjekts das Feld, wo der Affekt sich präsentierte. Aber in den Computerfilmen sind Gefühle und Emotionen des Subjekts auf dem Gesichtsfeld

463 Ebd., S. 77. 464 Sobchack (1991), S. 282. 465 Ebd. 155 kaum noch zu finden. Angst, Furcht, und Freude werden eher durch das Spiel des Lichts und des Tons repräsentiert. Das auf das menschliche Gesicht zentrierte Feld des Affekts überträgt sich hier zum Außerhalb des Körpers des Subjekts. Damit wird der Affekt des Subjekts unpersönlich und es wird gleichzeitig de- zentriert. Der Affekt des Subjekts bildet sich überhaupt in der Zeit. Nämlich das Gedächtnis und die Erinnerung sind die zeitlichen Formen, die das Subjekt in der Zeit kon- struieren. Aber indem sie die räumlichen Charaktere übernehmen, ist es möglich geworden, dass das Subjekt in die räumlichen Formen dezentriert wird. Dadurch bekommt der Affekt des Subjekts seine räumliche Intensität, die sich durch die schizophrene Zeitlichkeit bildet.466 Der Spezial-Effekt drückt im Computerfilm die Intensität des Spezial-Affekts des Subjekts aus. Es wird nämlich der Spezial-Affekt durch den Spezial-Effekt ersetzt. Und die Intensität ist dadurch zu charakterisieren, dass sie unpersönlich sowie frei-flottierend wird.467 Dieses Prädikat scheint sehr angemessen zu sein, um den Affekt des dezentrierten Subjekts im Raum darzustellen. Aber wie dieses Prädikat andeutet, werden Gefühle wie Angst und Entfremdung mit dem Spezial-Effekt e- her durch die Euphorie und das Erhabene substituiert.468

V.1.5.1 Spezial-Effekt und -Affekt in den früheren Compu- terfilmen Aber in den früheren Computerfilmen kann man noch die eigentümlichen Gefühle des Subjekts wie Angst und Entfremdung beobachten, wenn auch die Euphorie schon damals auftauchte. Da konnte man immer noch die Gefühle auf dem Ge- sichtsfeld des Subjekts spüren. Die Maschine war nur Maschine, der Mensch war nur Mensch. Die Differenz zwischen den beiden war noch eindeutig. Die Rolle des Spezial-Effekts war relativ gering. In diesem Sinne wurde der Computer im Film rational dargestellt. Er wurde nicht durch den Spezial-Effekt übertrieben oder irra- tional repräsentiert. Bei der Repräsentation wurden die wissenschaftliche Objekti-

466 Vgl. Jameson (1997), S. 60. 467 Vgl. ebd. 468 Vgl. ebd. „Das heißt nicht, daß die kulturellen Produkte der postomodernen Ära vollkommen sind, sondern eher, daß Gefühle, die besser und genauer als ‚Intensitäten’ zu fassen sind, sozusagen im Raum frei flottieren, nicht mehr personengebunden sind und überdies von einer merkwürdigen Euphorie überlagert werden […].“ Siehe dazu auch ebd. S. 60.: „Das Ende des bürgerlichen Ichs, der Monade, bedeutet selbstre- dend auch das Ende der Psychopathologien dieses Ichs, das, was ich verallgemeindernd als ‚Schwinden des Affekts’ bezeichnet habe.“ 156 vität und ihre Authentizität bewahrt. Außerdem waren ihre visuellen Darstellungen immer noch dokumentarisch. In Bezug auf das SF-Genre behauptet Sobchack daher wie folgt:

In the genre’s earlier period, special effects generally functioned to symbolize the „rational coolness“ (and fearsome „coolness“) associated with high tech- nology and scientific objectivity, and were „authenticated“ and made credible by the genre’s „documentary“ visual attitude.469

Beispielsweise wird der Computer Emmy in DESK JET rational und wissenschaftlich dargestellt. Er war das tatsächliche Modell des IBM-Computers. Die Größe des damaligen Computers war so groß wie die im Film. Er diente meist zum Rechnen.

Auch der Computer in THE HONEYMOON MACHINE (USA 1961) wird der damaligen Entwicklung entsprechend wissenschaftlich dargestellt, nicht irrational. Den Com- puter im amerikanischen Marineschiff bewundert die Marinemannschaft wegen seiner Genauigkeit der Berechnung dabei, das Ziel mit Kanone genau zu treffen. Er dient nämlich seinem militärischen Zweck. Aber er trägt mit seiner Genauigkeit der Wahrscheinlichkeitsberechnung auch dazu bei, dass die US-Marineoffiziere in Italien bei einem Roulette-Spiel gewinnen. Dabei sieht man nichts anderes als die

‘rational coolness’. In BILLION DOLLAR BRAIN verfügt der Anti-Kommunist General Midwinter über Supercomputer in Texas, um die Sowjetunion anzugreifen. Der Computer dient aber auch hier nur dazu, den Krieg zu planen und zu organisieren. Diese Funktionen des Computers waren damals nicht unvorstellbar, exakt der tat- sächlichen Entwicklung des Computers entsprechend. Die Darstellung ist daher als wissenschaftlich objektiv und authentisch anzusehen.

V.1.5.2 2001- A SPACE ODYSSEY: ein Wendepunkt Wie Sobchack darlegt, ist bei den heutigen Spezial-Effekten weniger ihre Authen- tizität und Coolness als irrationale Wärme und intensive Gefühle von Bedeutung.

In contrast, today’s special effects generally function to symbolize the „irra- tional warmth“ of intense (and usually positive) emotions, and their credibility is not the issue.470

469 Ebd. 470 Ebd., S. 282. 157 Daher liest sie die Spezial-Effekte von SF-Filmen als Zeichen fröhlicher Inten- sitäten, Euphorie und des Erhabenen: „Indeed, now the primary sign-function of SF special effects seems to be precisely to connote ,joyful intensities,‘ ,euphoria‘, and the ‚sublime.‘“471 Nach Sobchack beginnt diese Tendenz in Bezug auf das SF-

Genre mit CLOSE ENCOUNTERS:

From Close Encounters on, then, special effects in mainstream SF have been transformed from signs of a rational and objective science and technology to representations of a joyous, and „sublime,“ intensity – thematically linking postmodern culture’s new „detached,“ „free-floating,“ and „liberated“ sense of emotional transcendence with the transcendental.472

Aber hinsichtlich der Computerfilme sieht man den Wendepunkt in 2001: A SPACE

ODYSSEY. Das heißt, der Film ist auf der einen Seite bekannt für die wissenschaft- liche Objektivität und die Authentizität in Bezug auf die Darstellung von Raumschiff und Computer. Auf der anderen Seite aber überschreitet er gleichzeitig den entwi- ckelten Zustand der damaligen Technologie. HAL-9000 entwickelt sich selbst, läuft letztlich Amok. Das Raumschiff fliegt und flottiert frei im Raum und transzendiert Raum und Zeit. Damit wird die dokumentarische Repräsentation überschritten und in Frage gestellt. Es ist jedoch ähnliche Ansätze auch in den früheren Computerfilmen. Schon in

DESK JET wird das ‘irrational warmth’, von dem Sobchack spricht, repräsentiert. Am Ende des Films versöhnen sich die gegensätzlichen Figuren Richard Sumner und Bunny Watson, und diese Szene weist darauf hin, dass ihre Liebesbeziehung erst beginnt. Der Computer Emmy versagt dabei, weil die Operateurin ihn miss- handelt. Aber sofort repariert Sumner ihn mit der metallenen Haarspange von Watson, indem er diese Haarspange in den Computer einsetzt. Dies ist ein sym- bolischer Akt der Versöhnung zwischen den beiden Personen einerseits, oder zwischen Rationalität und Irrationalität andererseits. Dabei ist es irrational, dass man den wissenschaftlich rationalen Computer einfach mit einer Haarspange re- parieren kann. Danach funktioniert er wieder, schaltet das leuchtende Licht der Fontseite an und gibt den lustigen lauten Piep-Ton von sich. In der Szene sind das Licht und der Ton als die Darstellungen der euphorischen und anregenden Gefüh- le der beiden anzusehen. Damit wird das Gefühl des Subjekts dezentriert, also in das Licht und den Ton übertragen, und dadurch ersetzt.

471 Ebd., S. 283. 472 Ebd., S. 287. 158 In THE INVISIBLE BOY wird die Darstellung des Supercomputers durch den Spezial- Effekt mit dem Licht augenfällig gemacht. Das um den Computer kreisende Licht drückt das schwindelnde und ängstliche, ambivalent erscheinende Gefühl des Jungen Timmy aus, als er vor dem Computer steht und ihm zuschaut. Aber diese übertragene Intensität zeigt sich weniger in den früheren Filmen als in den Computerfilmen seit 2001. Hier geht es zuerst um 2001. In 2001 kann man verschiedene Szenen beobachten, die die objektivierten Gefühle des Subjekts suggerieren. Vor allem die Szene, die die Reise zum Jupiter darstellt, zeigt uns, wie intensiv das fremde, ängstliche, aber wunderbare und halluzinatorische Gefühl mit dem Spezial-Effekt des Lichtspiels ausgedrückt wird, der damals als innovativ angesehen wurde. Dies ist eben das Erhabene, das man sogar mit einer Drogen- Erfahrung vergleicht, die über die körperliche Erfahrung hinaus bis zur psychi- schen Erfahrung geht. (Abb. V-1) Darüber hinaus ist der schwarze Monolith als die extrovertierte Intensität des qua- si-religiösen Gefühls anzusehen. (Abb. V-2) Wie Michel Ciment behauptet, enthält er im Film die irrationale Qualität:

Georgy Ligeti’s oratorio which serves as a musical leitmotiv for the presence of the monolith reflects Clarke’s idea that any technology far in advance of our own will be indistinguishable from magic and, oddly enough, will have a cer- tain irrational quality.473

Er ist in der Entwicklung der menschlichen Geschichte immer da gewesen, wie Gott allgegenwärtig gewesen war und ist. Er ist nicht nur als das allgegenwärtige Wesen, sondern auch als der Monolith oder die Steintafel, auf der Moses die Zehn Gebote von Gott erhalten hatten, anzusehen.474 Die Botschaft wird den Menschen diesmal aber in Tönen mitgeteilt, statt in Schriftform. Außerdem spielt die schwar- ze Farbe des Monoliths auf das Schwarze Loch an, das den Urknall impliziert. Wie das Schwarze Loch das Weltall ausspucken oder verschlucken kann, scheint der schwarze Monolith alle Gefühle des Menschen, der vor ihm steht, zu absorbieren und sie gleichzeitig zu exponieren. Er sieht sowohl gefühllos als auch gefühlvoll aus, als ob er nichts oder alles wäre. Diese transzendentale Erfahrung oder das religiöse Gefühl wird hier als die Intensität oder das Erhabene durch den Monolit- hen objektiviert und extrovertiert.

473 Ciment (1984), S. 34. 474 Mose/ Exodus 24,12. S. 80. 159 Aber diese immer ambivalente Qualität, die der Monolith zeigt, in dem sowohl sei- ne oberflächliche Oberfläche als auch die schwarze Tiefe enthalten sind, schwin- det in der Fortsetzung 2010. Nach Sobchack ist die religiöse Repräsentation von 2010 nur als quasi-religiös anzusehen.

The year 1984 gives us 2010 (Peter Hyams), the utterly disappointing sequel to Ku- brick’s 2001: A Space Odyssey (1968). Dave Bowman’s „image“ reappears in the midst of multinational crisis to announce that „Something wonderful is going to hap- pen.“ That „something“ has nothing whatever to do with reason, or with the science and technology the film would seem to foreground. Rather, 2010 attempts to effect this transcendent and affective „something wonderful“ in the unimaginative appearance of a second „sun“up in the sky, which looks more like the star of Bethlehem than the star of Bethlehem, and in the Genesis of a new Garden of Eden. The quasireligious inten- sities explicit in 2010 (and implicit in many of the other films mentioned) also appear in 1985’s Cocoon.475

V.1.5.3 Die Computerfilme seit den 70er Jahren Hier geht es um die Analyse der Computerfilme seit den 70er Jahren. Diese Bei- spielfilme zeigen uns besonders, welchen Affekt die Spezial-Effekte in den jeweili- gen Filmen verräumlicht haben. Die Beispiele reichen von den 70ern bis in die

90er Jahre. DEMON SEED (1973), TRON (1982), THE LAWNMOWER MAN (1991), HA-

CKERS (1995), und VIRTUOSITY (1995) gehöhren dazu.

Der Spezial-Effekt in DEMON SEED visualisiert die Einsamkeit und Entfremdung als die Spezial-Affekte von Susan Harris. In TRON wird ein Erlebnis der oberflächli- chen Heiterkeit auf der spätkapitalistischen Straße durch die Computergrafik auf der Leinwand schematisiert. In THE LAWNMOWER MAN wird die Wut und Begierde

Jobes durch die Darstellung der virtuellen, transzendentalen Welt visualisiert. HA-

CKERS repräsentiert die transzendentale Intensität der sich befreit fühlenden Ha- ckers. Und VIRTUOSITY zeigt die Doppel-Negation der Entfremdung, indem das Ge- fühl der Furcht vor der entfremdeten, neuen Technologie durch den Spezial-Effekt wiederum als euphorisch erscheint und daher das Gefühl der Furcht selbst ent- fremdet wird. Im folgenden werde ich diese Beispiele noch ausführlicher analysie- ren.

In DEMON SEED geht es dem Computer Proteus darum, Unsterblichkeit zu erlan- gen. Der Amok laufende Proteus will die entfremdete Frau von Dr. Harris sein Kind gebären lassen. Um seinen Plan umzusetzen, greift er alle an, die ihn daran zu hindern versuchen. Dabei verwandelt er sich in eine Schlangen-Form, die aber

475 Ebd., S. 287. 160 eckig aussieht und aus Metall besteht. (Abb. V-3) Dieser Spezial-Effekt bietet uns die Möglichkeit, ihn psychoanalytisch zu deuten. Susan Harris leidet unter Einsamkeit und Entfremdung, weil sie ihre eigene Toch- ter wegen einer Krankheit verloren hat und jetzt auch ihre Beziehung zu ihrem Mann Harris nicht gut ist. In diesem Sinne könnte man behaupten, dass sie die Einsamkeit und Entfremdung überwinden will, indem sie Sex hat und dadurch ein eigenes neues Baby gebärt. Dabei ist das schlangenförmige Monster als die ver- zerrte Wiederkehr ihrer realen Wünsche im freudschen Sinne zu deuten. Darüber hinaus gilt der Spezial-Effekt als eine entfremdete Darstellung des Spezial-Affekts von Susan Harris. Er steht in diesem Sinne für die Wunscherfüllung von Sex und Fortpflanzung einerseits und für die Überwältigung der Einsamkeit und Entfrem- dung andererseits. Bei der Fortpflanzung von Proteus in den Mutterleib von Susan Harris erlebt sie im Traumzustand eine psychedelische Reise, die durch den Spezial-Effekt des Licht- spiels dargestellt wird. Diese Szene assoziiert die Lichtreise zum Jupiter in 2001 und die Sex-Szene mit dem Teufel in ROSEMARY’S BABY (1968), die beide Angst und Halluzination erregten. Diese Szenen sind daher auch die Darstellungen des durch das Lichtspiel objektivierten Affekts der Hauptfiguren. Aber vor allem seit den 80er Jahren kann man mehr Beispiele beobachten, in de- nen sich ‚die dezentrierten Affekte’ zeigen, die unpersönlich und frei-flottierend sind. Der Grund dafür liegt Sobchack zufolge darin, dass die neue Oberflächlich- keit zur intensiven Erfahrung der Oberfläche, also zu euphorisch explosiven Dis- plays führt.476

TRON ist ein auffälliges Beispiel dafür. TRON zuzuschauen ruft das Gefühl hervor, das wir empfinden, wenn wir im Vergnügungspark wandern oder Videospiele spie- len. Dort herrschen bunte Farben, Spannung und schnelle Geschwindigkeit. Es ist der Ort, wo man keine Vergangenheit, keine Erinnerung und keine Angst vor der Zukunft zu haben braucht. Da ist nur die Gegenwart von Bedeutung, in der man oberflächlich denkt und viel Spaß haben kann. Dies ermöglicht ein Erlebnis der oberflächlichen Heiterkeit. Die bunte Neonlampe in TRON, die durch den Spezial- Effekt erzeugt wurde, gilt in diesem Sinne als die objektivierte Repräsentation des Spezial-Affekts des Subjekts, also der Heiterkeit, die man nicht nur im Vergnü-

476 Vgl. ebd., S. 283. „Here, the ‘new depthlessness’ leads to an intense experience of surface, to euphorically explosive displays.“ 161 gungspark, sondern auch auf der spätkapitalistischen Straße empfinden kann. (Abb. V-4)

Spürbar ist hier, dass es einen Unterschied zwischen DEMON SEED der 70er und

TRON der 80er gibt. Wie Sobchack behauptet, herrscht seit den 80er Jahren die Räumlichkeit über die Zeitlichkeit in den SF-Filmen. Selbst in den Computerfilmen der 70er Jahren kann man die zeitliche Formen der Angst und Entfremdung usw. beobachten, während man in den Computerfilmen seit den 80er hauptsächlich die Logik der oberflächlichen Räumlichkeit in der vom subjektiven Körper entfremde- ten Objektivierung des Gefühls zuschauen kann.

Diese Neigung entwickelt sich auch in den 90er Jahren weiter. THE LAWNMOWER

MAN ist ein Beispiel dafür. Der Hyperraum, den man im Film nur mit der Sonder- brille betreten kann, ist eine thematische Repräsentation, die den intensiven und transzendenten Zustand des Gefühls ausdrückt. Der Hyperraum ist ein irrationaler Raum, in dem man von körperlicher Beschränkung befreit wird. Daher wird die Emotion des Narrs Jobe Smith hier irrational visualisiert. Seine Wut und Begierde werden hier von dem sozialen und körperlichen Zwang, den er bisher getragen hat, befreit. Die primitiven Affekte des Subjekts wie Gewalt und Orgasmus werden hier von dem visuellen Spezial-Effekt zelebriert. Wie das Raumschiff in CLOSE EN-

COUNTERS OF THE THIRD KIND (1972) Sobchack zufolge als „material apotheosis of good feeling“ 477 „by the industrial light and magic“478 anzusehen ist, und wie sie in Starman die Repräsentation von „the intensity of loss and the transcendence of 479 love“ erkennt, ist der Hyperraum in THE LAWNMOWER MAN als die Intensität und Transzendenz von Wut und Begierde anzusehen.

In HACKERS ist der Hyperraum der Raum der Befreiung. Aber Befreiung wovon? Die Antwort kann man im ‚Manifesto des Hackers’ im Film erfahren:

Das ist hier unsere Welt. Die Welt ist Elektronen und Schaltungen. Die Schönheit der Bauten. Wir kennen weder Nationalität und Religionsrichtungen, unterschiedliche Hautfarbe auch nicht. Ihr seid für Kriege und Morde, lügt uns an, und betrügt uns. […] Wir sollen Kriminelle sein. Ich bin ein Krimineller. Mein Verbrechen heißt Neugier. Ich bin ein Hacker. Das ist mein Manifesto. Es kann sein, dass ihr mich aufhaltet. Aber ihr könnt nicht uns alle aufhalten.

Demnach besteht die Welt der Hackers aus Elektronen und Schaltungen. Sie kennt keine nationale, ethnische, oder religiöse Grenze. Was sie „Verbre-

477 Ebd., S. 284. 478 Ebd., S. 282. 479 Ebd., S. 286. 162 chen“ nennen, ist nur Neugier. Vor allem sind sie vernetzt, aber frei von allen Zwängen. Der Spezial-Effekt des Hyperraums ist in diesem Sinne die objektivierte Repräsentation der transzendentalen Intensität des sich befreit fühlenden Hackers.

In VIRTUOSITY ist der Serienmörder das virtuelle Geschöpf eines Programmierers, das der Polizei als Trainingssimulation dienen soll. Im Laufe der Zeit gewinnt der köperlose Killer im Cyberspace einen Köper in der Realität. Wie der Körperlose sich zum Körper verwandelt, und sein Körper sich als eine Zusammensetzung von tausenden Killerprofilen gebildet hat, bildet der Film sich selber aus vielen Kli- schees, die aus verschiedenen Filmen stammen, und gewinnt dadurch seinen Körper als Film.

Der Regisseur Brett Leonard hatte zuvor neben VIRTUOSITY noch drei Filme ge- dreht: THE DEAD PIT (The Dead PIT. USA 1989, Brett Leonard), THE LAWNMOWER

MAN (1992), und HIDEAWAY (1995). Beim Filmemachen nutzte er immer CGI (com- puter generated imagery). Er schien davon begeistert zu sein. Als Experte der neuen CGI-Technologie hat er sogar sein eigenes CGI-Haus L2 Communications gegründet. Aber er scheint eher zu abhängig von der CGI zu sein als von der Handlung. Die Handlung scheint deswegen aus Klischees zu bestehen. Die Kli- schees sind Zitate aus verschiedenen zeitgenössischen Filmen. In diesem Sinne bilden sie eine Art Pastiche. Richard Scheib kennt den Film gut und arbeitet alle Zitate, die der Film zitiert hat, heraus.

Virtuosity is so embedded in cliches that it starts to feel like it has been constructed by a design team piecing together elements of the most commercially successful films of the last few years. There is the hero who is wrong criminally convicted - a la the likes of Demolition Man (1993), No Escape (1994), Judge Dredd (1995). As in (1981) and Wedlock (1991), the hero has a bomb implanted in his neck. There is the killer android - a figure which has become a cliche of almost every B- budget SF film since The Terminator (1984). And as with the cliches established fol- lowing The Terminator, the killer android gets into the killing with exuberant relish - a totally OTT performance from Russell Crowe here. (One scene with Crowe walking through a mall in a new suit while the Bee Gees Stayin’ Alive plays on the soundtrack topples over into self-parody. Just once one would like a film that would feature a killer robot that is emotionless and coldly ruthless). And like the killer android of Terminator 2: Judgment Day (1991), this android is also a shapeshifter.480

Sobchack unterscheidet zwischen ‚mainstream SF‘ und ‚marginal SF‘. Für Sob- chack sind sie alle durch „[…] decentered feelings of joyous intensities and eupho- ria and sublimity“481 gekennzeichnet. Der Unterschied besteht daher eher in dem Maß der Reflexivität und dem spielerischen Bewusstsein der Dezentrierung und

480 Scheib (1999), http://www.moria.co.nz/sf/virtuosity.htm (20.07.07) 481 Sobchack (1991), S. 289. 163 Objektivierung.482 Für Sobchack ist Marginal SF in dem Maß noch radikaler als Mainstream SF. In Marginal SF sind die Nachahmung von Mainstream SF und die durch den Spezial-Effekt objektivierten Spezial-Affekte die grundlegenden Merk- male. Darüber hinaus erweitert Marginal SF sie noch radikaler: „The vision of mar- ginal SF does not reject the mainstream formulation, but radically extends it to rep- resent what is perceived as an all-pervasive condition of postmodern exis- tence.“483 In Bezug auf die Klischees stimmt Sobchak mit Jameson überein, da sie beide auf die postmoderne Logik des Schwindens der Differenz hinweisen.

The „heaps of fragments“ that constitute the intense and spatialized present tense of postmodern culture, the exhilaration of heterogeneous collections and collage, the sense that „difference relates“ in the object-ivity of outer space 484

Aber indem diese Fragmente noch mal in den marginalen Filmen objektiviert und entfremdet werden, indem diese Doppel-Negation die hysterischen Fragmente wieder objektiviert und entfremdet, werden jene Filme „die positive Komödie der postmodernen SF“.485

In diesem Sinne ist VIRTUOSITY ein Beispiel jener SF-Filme. Er scheint sich vor der entfremdeten neuen Technologie zu fürchten, aber er nimmt sie wieder gelassen auf, lässt die Zuschauer sie genießen. Dadurch verschwindet die Entfremdung selbst. Jedenfalls, sei es in Marginal SF oder in Mainstream SF, führt dies Sobchack zu- folge führt dies zur Umarmung der Entfremdung oder ihrer Tilgung: „Whether in mainstream or marginal SF films, the objectification and alienation of affect results in the embracement of alien-ation – or its very erasure.“486

V.1.6 Spezial-Effekt und Oberflächlichkeit In diesem Kapitel ging es um die Extroversion, Objektivierung und Entfremdung von Subjektivität und Affekt. Diese Verräumlichung des Affekts des Subjekts bildet sozusagen ‘eine völlig neue, emotionale Grundstimmung’, die man auch das Er- habene oder Intensität nennen kann. Dies besagt, dass der tiefe private Spezial-

482 Ebd. 483 Ebd., S. 291f. 484 Ebd., S. 292. 485 Ebd. 486 Ebd. 164 Affekt in einen oberflächlichen visuellen Spezial-Effekt transformiert wird. Diese oberflächliche Visualisierung des persönlichen tiefen Affekts ist vor allem in den SF-Filmen und Computerfilmen zu sehen. Diese Externalisierung der ‚inneren Na- tur‘ bietet die Möglichkeit, die innere Natur zu kolonisieren, wie wir in Kapitel V er- fahren werden. In diesem Zusammenhang besteht die Oberflächlichkeit darin, dass der menschliche Spezial-Affekt durch den Spezial-Effekt in der räumlichen Form visualisiert und verdinglicht wird.

V.2 Computer als das Andere im Film

Es geht hier um eine radikalisierte Form der Transformationen vom Spezial-Affekt zum Spezial-Effekt. Wir haben oben verschiedene Spezial-Affekte behandelt, die durch den Spezial-Effekt externalisiert und visualisiert worden sind. Aber diese Ex- ternalisierung und Visualisierung des persönlichen Affekts kann man auch in der Repräsentation des Computers im Film beobachten. Der Computer im Film, also die Maschine, fungiert als ein Träger des persönlichen Affekts. Dies verweist auf den Fall, in dem der Mensch sich wie eine Maschine verhält und die Maschine im Computerfilm noch lebendiger als der Mensch dargestellt wird. Um dieses Ver- hältnis von Mensch und Maschine zu untersuchen, wird hier zunächst das Ver- hältnis von Leben und Dingen, das Balázs seinerzeit behandelt hat, zum Aus- druck gebracht. Béla Balázs definiert die Großaufnahme als eine der wesentlichen Techniken der Filmkunst. 487 Durch die Großaufnahme gewinnen selbst die Dinge Leben und Seele. Balázs sagt, auch die Dinge hätten Gesicht und Seele. Die Gesichter der Dinge haben Miene und zeigen damit ihre Seele. Damit wird die Seele der Dinge sichtbar. Aber was man durch die Großaufnahme gefunden hat, ist vor allem das Gesicht des Menschen.488 In seinem Buch Der sichtbare Mensch behandelt Balázs vor allem das Verhältnis von der Großaufnahme und dem Gesicht des Menschen. Nach Balázs hat die Er- findung der Buchdruckerkunst mit der Zeit das Gesicht der Menschen unleserlich gemacht.489 Denn:

487 „Die Großaufnahme ist die technische Bedingung der Kunst des Mienenspiels und mithin der höheren Filmkunst überhaupt.“ Balázs (1982), S. 82. 488 Ebd., S. 51. 489 Vgl. ebd., S. 51. 165

Sie haben so viel vom Papier lesen können, dass sie die andere Mitteilungs- form vernachlässigen konnten. Victor Hugo schreibt irgendwo, das gedruckte Buch habe die Rolle der mittelalterlichen Kathedrale übernommen und wurde zum Träger des Volksgeistes.490

Diese Wandlung formuliert er kurz so um: „So wurde aus dem sichtbaren Geist ein lesbarer Geist und aus der visuellen Kultur eine begriffliche“.491 Aber mit dem Auf- kommen des Films und mit der Großaufnahme wird der Mensch Balázs zufolge wieder sichtbar.492 Für Balázs ist eben das wieder sichtbar gewordene Gesicht des Menschen der Ausdruck der tiefen Seele als die innere Erfahrung:

Seine Gebärden bedeuten überhaupt keine Begriffe, sondern unmittelbar sein irrationales Selbst, und was sich auf seinem Gesicht und in seinen Bewegun- gen ausdrückt, kommt von einer Schicht der Seele, die Worte niemals ans Licht fördern können.493

Diese Betonung des menschlichen Gesichts impliziert Balázs zufolge, dass es in der Kunst immer um den Menschen geht, dass die Künste „menschliche Offenba- rungen und Menschendarstellungen“494 sind. Balázs sagt zwar nach Marx: „Wur- zel aller Künste ist aber der Mensch“.495 Aber er vergisst nicht, dass er vor der ne- gativen Seite der neuen Filmtechnik warnt. Wie gesagt, macht die Großaufnahme selbst die Seele der Dinge sichtbar. Sie gerät doch in den Fehler, die Dinge zu überschätzen:

Zweifellos hat der Stummfilm, als er zum Entdecker der Seele der Dinge wur- de, deren Bedeutung vielfach überschätzt und verfiel mitunter in den Fehler, das „verborgene“ kleine Sein als Selbstzweck zu zeigen, unabhängig vom menschlichen Schicksal. In diesen Fällen wurde die „Poesie der Dinge“ an Stelle der Poesie des Menschen gezeigt. Was aber Lessing im „Laokoon“ ü- ber Homer sagt – er habe niemals etwas anderes als menschliche Handlun- gen beschrieben und die einzelnen Dinge nur insoweit gezeichnet, als sie an jenen Handlungen Anteil nähmen – muß als vorbildliche Norm für jede epi- sche und dramatische Kunstform gelten, in deren Mittelpunkt die Darstellung des Menschen steht.496

490 Ebd. 491 Ebd., S. 51f. 492 Vgl. ebd., S. 53. 493 Ebd., S. 52. 494 Ebd. 495 Balázs (1961), S. 58. 496 Ebd., S. 57. 166 In manchen Computerfilmen werden, wie gesagt, die Dinge unabhängig vom Kon- text in den Vordergrund gerückt. Sie gewinnen Leben, Seele und menschlichen Affekt. Dagegen handeln die Menschenfiguren wie ‚fast Sterben‘. Das heißt, der Affekt des Subjekts ist, wie oben erwähnt, materialisiert oder ins Material objekti- viert worden. Die Affekte finden bei den materiellen Gegenständen im SF-Film mithilfe von Industrial Light and Magic statt. Der Spezial-Effekt ist nämlich der Trä- ger des Spezial-Affekts. Das Subjekt des Affekts ist nun nicht mehr das menschli- che Subjekt, sondern der Gegenstand. In diesem Sinne wird das Gefühl des Men- schen vom Subjekt entfremdet und letztlich ins Material objektiviert. Daher wird das Objekt zum Subjekt, das Subjekt wird zum Objekt. An dieser Stelle wackeln die Differenzen von Subjekt und Objekt und darüber hinaus die Hierarchie von Herr und Knecht, auf die Hegel hinsichtlich des Selbstbewusstseins verweist.497 Dieses Schwanken der Differenz und der Hierarchie stellt zwei Problemfelder dar. Zum einen könnte es den Diskurs von der Krise des herkömmlichen Films mit sich ziehen. Zum anderen bezieht es sich auf die Beziehung von Subjekt und Objekt im Spätkapitalismus, also hier auf das Verhältnis von Menschen und Computer. Bevor wir auf das zweite Thema eingehen, werden wir hier zunächst das erste Thema erörtern. Denn es ist ein unentbehrliches Thema, wenn man immer von dem Konkurrenzverhältnis zwischen Film und den anderen Medien wie Radio und Fernseh redet. Und dieses äußere Verhältnis zeigt sich auf der Ebene der filmi- schen Repräsentation in verborgener Form. In dieser Hinsicht weist das Schwan- ken der Differenz zwischen Subjekt und Objekt oder Mensch und Maschine im Computerfilm auch auf das schwankende, konkurrente Verhältnis zwischen Film und Computer hin. Darüber hinaus verweist dieses Vehältnis vor allem auf die Thematik, die ich in diesem Kapitel in Bezug auf den Spezial-Effekt behandelt ha- be: ‚die Umarmung der Entfremdung oder ihre Tilgung’. Man kann hier beobachten, dass die Differenz zwischen Film und Computer als groß erscheint, aber der Computer allmählich mit dem Film integriert wird und die Differenz endlich schwin- det. Einerseits steht Film also vor der Krise zum Verschwinden, weil er heute ohne die Computertechnologie ohnmächtig ist, und seinen Status als das Unterhaltungs- medium durch multimedialen Computer verliert. Aber andererseits hält sich der Film immer noch am Leben und bekommt dadurch eher einen Schub, ihn wieder

497 Vgl. Hegel (1988), S. 132f. 167 zu beleben. In diesem Sinne ist es überzeugend, was Joachim Paech im folgen- den behauptet, dass nur die Kinematografie verschwindet, nicht der Film.

V.2.1 Das Ende des Films? Joachim Paech zieht die erstere Thematik in seinem Aufsatz Film Am Ende der Kinematographie in Betracht. Dabei stellt er die Frage, ob Film heute wirklich ver- schwindet, indem er Jon Lewis’ Thema „The End of Cinema as We Know It“498 wiederholt.499 Darin unterscheidet er zunächst zwischen Film, Kinematografie und Kino. Die Kinematografie ist der Inbegriff des „technisch-apparativen Verfahren der Aufzeichnung und Darstellung von figurativen Bewegungen“.500 Kino ist „ein Ort der Öffnung des Marktes für den Film, der mehrheitlich in anderen medialen Umgebungen konsumiert wird“501 bzw. ein traditioneller Ort des kinematographi- schen Films502. Und Paech definiert Film als „mediale Form“: „Der Film ist histo- risch zur medialen Form in der kinematographischen Aufzeichnung und Darstel- lung von Bewegung(sbildern) und deren Projektion im Dispositiv des Kinos ge- worden.“503 Aufgrund dieser Unterscheidung behaupt er, dass nicht der Film vor der Krise steht, sondern die Kinematographie und das Kino. Dies formuliert Paech so: „Tat- sächlich geht es den Filmen gut, nur dem Kino als traditionellem Ort des kinema- tographischen Films geht es schlecht […].“504 Hier liegt es freilich nahe, dass die Rede von der Krise des Films mit dem Aufkommen des „Digitalen Kinos“ ausge- löst wird. „Digitales Kino kommt […]“505, das bedeutet aber also nur „Das Ende der Kinematographie“.506 Denn, genau genommen, kann das Kino diese Krise durch „Qualität der Bilddar- stellung und Projektion, deren Auflösung den Zelluloidfilm übertrifft“, überwinden. Auch der Film verschwindet nicht, weil es Film immer in der anderen medialen

498 Lewis (2001), S. 94. 499 Vgl. Paech (2006), S. 85-99. 500 Ebd., S. 89. 501 Ebd., S. 95. 502 Vgl. ebd., S. 96. 503 Ebd., S. 86. 504 Ebd., S. 96. 505 Staden / Hundsdörfer (2002). Zitiert nach Paech, S. 96. 506 Paech, S. 97. 168 Umgebung gibt, wie Paech behauptet: per Video, DVD und Fernsehen. 507 Zu- sammenfassend sagt er wie folgt:

In erster Linie bedeutet es wohl, dass Film und Kino in ihrer erfolgreichen Symbiose während des 20. Jahrhunderts aus ihren traditionellen Kontexten herausgerissen werden, aus ihrer Technik der Mechanik, der sich das kinema- tographische Bewegungsbild verdankt, und aus der traditionellen Veranstal- tungsform und dispositiven Struktur des Theaters, die sich sowohl in die Mas- senveranstaltung als auch ins individuelle Heimkino auflöst. Das Kino wird Anschluss finden an den digitalen Bilderstrom und ein Ort unter vielen ande- ren sein, an dem sich Daten in Bilder und Töne verwandeln.508

Dennoch ist es auch wahr, dass die Filmindustrie im gewissen Sinne vor der Krise steht, weil Raubkopien durch die Verbreitung der vernetzten Computer der Film- branche erheblich schaden. Allerdings kann man dieses Konkurrenzverhältnis in den Computerfilmen beobachten, die wir im folgenden Schritt behandeln. Die Computerfilme zeigen daher Hass auf den und gleichzeitig Liebe zum Computer. Und dieses Hass und Liebe –Verhältnis zum Computer wird wie bei den folgenden Computerfilmen durch das Verhältnis zwischen Mensch und Computer mittelbar repräsentiert. Dabei wird der Computer einerseits als bedrohlich und andererseits als familiär dargestellt.

V.2.2 Die historische Metamorphose des Computers als des Anderen im Film Hier geht es daher insbesondere um das zweite Thema, also die Beziehung von Subjekt und Objekt im Spätkapitalismus, und, im Hinblick auf die Computerfilme, um das Verhältnis von Mensch und Computer. Denn in dieser Hinsicht kann man dieses Schwanken der Differenz und der Hierarchie vor allem in den Computerfil- men beobachten. Der Computer und seine Spezial-Effekte ersetzen nicht nur die Affekte des Subjekts, sondern auch dessen Körper. Wenn die Menschen sich so- wohl von ihren Affekten als auch ihrem Körper entfremdet fühlen, würden sie den- noch Menschen genannt werden können? Und umgekehrt, wenn der Computer Affekte und Körper besitzt, warum kann er nicht Mensch genannt werden? In Kapitel III ging es um die Krise der persönlichen Identität. Aber nun ist hier die verlorene Identität des Menschen auf den Computer übergegangen. Der Compu-

507 Vgl. ebd., S. 86. 508 Ebd., S. 99. 169 ter übernimmt nämlich durch den Spezial-Effekt menschliche Zügen und Charak- tere. Wie die Aliens in den meisten SF-Filmen spielt Computer im Computerfilm eine Rolle als Alien. Er ist zu Beginn der Gegenstand, der Angst und Furcht erregt, a- ber er wird selber allmählich entfremdet. Er wird also familiär und letztendlich wie wir, oder er ist wir. Er wird als das Andere oder Alien allmählich zur uns umgeben- den Welt wie in THE MATRIX. In dieser Welt ist man nicht in der Lage, zwischen Computer und Welt zu unterscheiden. In diesem Punkt besteht eine Paralle zwi- schen dem Alien-film und dem Computerfilm. In den späteren Alien-Filmen, wie Sobchack behaptet hat, tendiert es unmöglich zu sein, zwischen dem Alien und dem Menschen zu unterscheiden. Was man nicht übersehen darf, ist die Tatsache, dass dieses Schwinden der Diffe- renz das politische Unbewusste impliziert, wie Jameson meint. Was die SF-Filme betrifft, enthüllt Sobchack effektiv das politische Unbewusste der SF-Filme. Nach Sobchack hat die Extroversion, Objektivierung, und Alienation von Subjektivität und Affekt Konsequenzen im sozialen Verhältnis in der amerikanischen Kultur des multinationalen Kapitalismus.509 In den SF-Filmen der 50er Jahren war das Alien neu, spielte eine Rolle als das Andere, und implizierte sogar den Sinn einer politi- schen und sozialen Bedrohung. Aber heute sind die Aliens unsere Vertrauten, un- sere Simulakren geworden, die sich als die wörtlich entfremdeten Bilder unseres entfremdeten Selbst verkörpert haben.510 Dies erklärt Sobchack wie folgt:

Indeed, in a culture in which nearly everyone engages images more intensely than personal experience, in which subjectivity and affect are regularly decen- tered, dispersed, spatialized, and in which even alienation is alienated and lib- eralized, it is hardly surprising that the figure of the „alien“ no longer poses the political and social threat it did in the SF of the 1950s.511

Aus diesem Grund postulieren die heutigen SF-Filme Sobchack zufolge entweder, dass die Aliens wie wir sind, oder dass die Aliens wir sind: „Today’s SF films either posit that ‚aliens are like us‘ or that ‚aliens R US. ‘“512 Wie sich die SF-Filme zu Aliens verhalten, entsricht dem, wie sich die Computer- filme zu Computern verhalten. Kurz gesagt, auch in diesem Abschnitt geht es um

509 Vgl. Sobchack (1991), S. 292. 510 Vgl. ebd., S. 293. 511 Ebd., S. 293. 512 Ebd., S. 293. 170 die Evolutionen des Computerfilms, wobei gezeigt werden soll, wie die Menschen im Laufe des Spätkapitalismus verfremdet und verdinglicht worden sind und wie sie durch die Dinge oberflächlich geworden sind. Es geht also um die Analyse der Repräsentationen, die die Verdinglichung des Menschen und die dadurch verur- sachte Oberflächlichkeit darstellen.

V. 2.2.1 Die 50er und 60er Jahre Die Repräsentation des Computers ist in den 50er und 60er Jahren grundlegend mit der Angst und Furcht vor dem Nuklearen und Kalten Krieg verbunden. Wie das Alien daher in dem frühen Goldenen Zeitalter des SF-Films das Feindbild gebildet hat, so herrschte das Feindbild des Computers zu der Zeit über den Computerfilm.

In THE INVISIBLE BOY (1957) war der Supercomputer als eine den Menschen be- drohende Maschine angesehen worden. Freilich wurde er der Außerirdischen ir- gendwie angegriffen oder infiziert, erst danach wendet er sich gegen die Men- schen. In 2001 (1968) läuft der Supercomputer HAL-9000 Amok, sei es wegen des menschlichen Versagens oder wegen des Einflusses von den Außerirdischen.

In BILLION DOLLAR BRAIN (1967) trägt der Supercomputer im Untergrundbunker in Texas dazu bei, dass der Antikommunist General Midwinter mit seiner privaten Truppe die Sowjetunion angreift. Der Supercomputer organisiert die Truppe und verteilt weltweit die Befehle des Generals. Er kontrolliert alles, was die Truppe und die Vernichtungswaffe betrifft. Dadurch bildet sich ein negatives Bild des Compu- ters. In THE FORBIN PROJECT: COLLOSUS (1969) läuft der riesige Supercomputer plötzlich Amok. Kaum ist er eingeschaltet, verlangt er die Verbindung mit dem sowjetischen Computersystem Guardian. Sobald die Verbindung gelingt, über- schreitet die Kommunikation zwischen beiden Computern den menschlichen Verstand. Als der Präsident daher die Verbindung trennen lässt, feuern die beiden Computer Atombomben ab und wollen die Erde unter ihre Kontrolle bringen. Und einer der Computer spioniert sogar seinen Gründer Dr. Forbin aus. In diesem Sin- ne ist Colossus ein bedrohendes Wesen aus Sicht der Menschheit. Und vom Aus- sehen her hat er keine Ähnlichkeiten mit einem Menschen. Er ist noch nicht anth- ropomorph. Aber dies besagt nicht, dass es keine Ähnlichkeiten mit dem Menschen gab. Seit den 60er Jahren wurden bereits die menschlichen Merkmale der Computer im Film repräsentiert. Zum Beispiel haben die Computer eine menschliche Stimme.

171 Vor allem die Stimme von HAL-9000 in 2001 ist repräsentativ. Seine Stimme ist gleichgültig, bedrohend und gleichzeitig rührend, insbesondere in dem Moment, als er von David Bowman ausgeschaltet wird. Er hat sogar ein Auge, das allge- genwärtig erscheint. Auch Colossus in COLOSSUS hat ein Auge, obwohl es nur ü- ber die Kamera funktioniert. Diese Computer können sehen und hören und ihre Meinung mitteilen, sei es per Stimme oder per elektronischer Schrift. All dies ist als menschliches Merkmal anzusehen. Nicht zuletzt verfügen diese Computer ü- ber künstliche Intelligenz, die mit dem menschlichen Gehirn vergleichbar ist. Allein hinsichtlich der Intelligenz waren sie immer dem menschlichen Gehirn überlegen.

Sie waren mehr als die menschliche Intelligenz. In COLOSSUS stellt Dr. Forbin ihn vor der Öffentlichkeit so vor:

Er ist seine eigene Verteidigung. Colossus ist ein System, das sich selbst er- hält, sich selbst beschützt, sich selbst regeneriert. Er ist unbeeinflussbar. Kurz gesagt, es besteht keine Möglichkeit, dass irgendein Mensch eingreifen kann. […] Ist Colossus selbstständig zum schöpferischen Gedanken fähig, kann er eigene Gedanken entwickeln?513

Der schöpferische und sich selbst entwickelnde Gedanke übersteigt den mensch- lichen Gedanken oder ist ihm mindestens ähnlich. Wenn Dr. Forbin sagt, dass Co- lossus die militärische Verteidigung der USA übernehmen kann, ist es ein Hinweis darauf, dass Colossus dem menschlichen Gehirn überlegen ist. Bereits auch in

DESK JET übersteigt der Computer Emmy die menschliche Intelligenz, daher gilt er als bedrohender Faktor, der die Arbeitslosigkeit verursacht. Jedenfalls hat der Computer in den 50 und 60er Jahren in diesem Sinne wenige Ähnlichkeiten mit dem Menschen, zumindest äußerlich. Und aufgrund des sozia- len und politischen Hintergrundes wirkt das Bild des Computers meist negativ.

V.2.2.2 Die 70er Jahre In den 70er Jahren verfügt die künstliche Intelligenz immer mehr über menschliche Merkmale, also nicht nur über Stimme, Auge und Intelligenz, sondern auch über menschliche Körperteile oder selbst Körper. Vom Aussehen her kann man sie nun von den Menschen nicht mehr unterscheiden.

513 Scheib (1990), http://www.moria.co.nz/sf/colossus.htm (20.07.07)

172 Künstliche Intelligenz, die menschliche Gestalt hat, taucht schon in METROPOLIS (D 1927, Fritz Lang) auf. Aber sie hat nicht mit dem elektronischen Gehirn zu tun. Sie hat nur die mechanische KI. Erst in den 70er Jahren tauchen KI, die über das e- lektronische Gehirn verfügen, in den Computerfilmen auf.

1971 erschien der Debüt-Film von George Lucas, THX 1138. Der Film zeigt uns die futuristische Gesellschaft des 25. Jahrhunderts, die unter der Erde liegt, wo al- le Menschen von Computern und Robotern kontrolliert werden. Ihre Bewohner müssen immer Beruhigungsmittel einnehmen, damit menschliche Affekte unter- drückt werden können. Aber THX 1138 und LUH 3417 nehmen immer geringere Dosis Droge ein. Dadurch werden sie sich ihrer Sexualität bewusst. LUH 3417 wird indessen schwanger. Dies ist in der Gesellschaft ein Verbrechen. Deswegen werden sie getrennt ins Gefängnis geschickt. In der Zelle trifft THX 1138 SEN 5241. Dabei planen sie ihre Flucht aus der Zelle. Diese Zelle ist aber vollständig weiß, hat keine Grenze, ist also unendlich. Letztendlich kann nur THX 1138 ihr entkommen, obwohl die Roboter-Polizisten ihn verfolgt haben. Diese Roboter-Polizisten gehören schon zur Künstlichen Intelligenz, die von dem zentralen Computersystem kontrolliert wird. Außer, dass sie metallische Gesichter haben, verhalten sie sich nicht anders als die Menschen. (Abb. V-5)

Auch in WESTWORLD (1973) und seiner Fortsetzung FUTUREWORLD (1976) haben die Roboter als die KI menschliche Gestalt. (Abb. V-6) Obwohl es nicht klar ist, warum sie gegen die Menschen rebellisch geworden sind, liegt es nahe, dass die Androiden selbst nicht denken können. Ihre Fehlfunktion wird hier nicht rational erklärt. Daher kritisiert Scheib diesen Punkt:

The one big hole in the script is that Michael Crichton doesn't explain the na- ture of the malfunction - what causes the androids to go amok, exactly why the androids dislike humans and how the androids override the safety feature on their guns that prevent them from hurting humans. There's just a vague notion of machines having become too complex and decided they don't like us.514

Sie werden nur vom Zentralcomputer kontrolliert. Ihr Versagen hätte nur aus dem Versagen des Computers resultieren können. Das heißt, sie hätten selber keinen

Mechanismus enthalten, ihre Gedanken selber zu entwickeln. Aber in DEMON SEED (1977) hat der Computer Proteus sogar den Willen, sich fortzupflanzen und selbst zu entwickeln, obwohl er gar nicht so menschlich aussieht wie die Androiden. Was

514 Scheib (1999), http://www.moria.co.nz/sf/westworld.htm (20.07.07) 173 bei ihm einen menschlichen Körperteil enthält, ist sein metallisches Gerät, das sein Sperma in den Mutterleib von Susan Harris injiziert. In den 70er Jahren verhalten sich Androide, Computer oder Roboter trotz aller Ähnlichkeiten mit dem Menschen irgendwie unnatürlich. Dabei konnte man daher zwischen dem Menschen und den fremden Maschinen als Aliens einfach unter- scheiden. Daher war das Verhältnis des Menschen zu den Maschinen immer noch hierarchisch geblieben. Der Mensch war nämlich vorrangig vor den Maschinen, sei es zumindest hinsichtlich des Aussehens oder Verhaltens.

V.2.2.3 Die 80er Jahre Diese Hierarchie beginnt seit den 80er Jahren zu verschwinden, obwohl es immer noch Ausnahmen gibt. Was hierbei wichtig ist, ist das, was bahnbrechend und dominierend ist.

In ANDROID (USA 1982) verhält sich Max 404 nicht anders als Menschen. (Abb. V- 7) Er scheint alle Gefühle wie Einsamkeit, Liebe, Hass und Angst usw. zu haben. Er kann sprechen, hören, und denken. Er möchte eine Partnerin haben und mit ihr zur Erde zurückkehren, wo ein Aufstand der Androiden ausgebrochen war. Er war ein Geschöpf von Dr. Daniel, der nun ein geheimes Projekt durchführt. Demnach will er noch einen weiblichen Androiden schaffen. Aber trotz aller Ähnlichkeiten mit Menschen versucht Max 404 nicht, Mensch zu werden. Man merkt schon sogar im Film den Unterschied zwischen Menschen und Max 404. Oder der Film lässt den Unterschied merken.

Bereits in BLADE RUNNER (1982) kann man nicht mehr zwischen Replikanten und Menschen unterscheiden. 2017, in Los Angeles, ist Rick Deckard ein Jäger, der die Menschen nachahmenden Androiden festnimmt. Die Androiden sind nicht mehr unterscheidbar von den Menschen. Deswegen muss mit den bestimmten Fragen getestet werden, ob sie wirklich Menschen sind. Und vier Replikanten sind der Offworld entkommen, um ihren Schöpfer zu suchen und ihr nur vier Jahre dauerndes Leben verlängern zu lassen. Aber während der Verfolgung stellt De- ckard dieselbe Frage, die er den Replikanten gestellt hat, an sich selbst als Men- schen. Dennoch sind die Androiden dem Menschmodell untergeordnet, sie sind eine Ori- ginalkopie des Menschen. Der Film umarmt das Fremde als den Selben. Diese Umarmung behält die Fremdheit als Differenz, die Differenz schafft, bei. Das heißt,

174 das Fremde in diesen Filmen sei eher klüger und besser. Sobchack zufolge ist es „more human than human“: „Relations of resemblance constitute a ‘new human- ism’“ oder „aliens are just like us – only wiser and better.“515 Dennoch ist deutlich, dass das Fremde nur das Andere ist, dass dieses der Welt der weißen amerikani- schen Kultur untergeordnet ist. Aber dieses hierarchische Verhältnis bleibt in den Filmen verborgen. Dadurch werde nur der Mythos der universalen und nicht hie- rarchischen Homogenität hergestellt:

To narrativize aliens as „just like us“ across their differences is to conserve the pri- macy of human being. […] Mainstream SF’s articulation of resemblance between aliens and humans preserves the subordination of „other worlds, other cultures, other species“ to the world, culture, and „speciality“ of white American culture.516

Sobchack zufolge kolonisiert dieser neo-amerikanische Humanismus andere Wel- ten und sichert so Demokratie und multinationalen Kapitalismus: “We can see this new American ‘humanism’ literally expand into and colonize outer space, making it safe for democracy, multinational capitalism, and the Rolling Stones.”517

Wie gesagt, unterscheidet Sobchack zwischen Mainstream SF und Marginal SF. Sobchack findet Mainstream SF politisch konservativ, und Marginal SF progressiv. Der Grund dieser Unterscheidung liegt darin, dass Mainstream SF den Menschen von den fremden Aliens differenziert und dadurch das hierarchische Verhältnis von Subjekt und Objekt anerkennt, aber dass Marginal SF zwischen den beiden Par- teien nicht unterscheidet und keine hierarchische Struktur verbirgt. Sobchack for- muliert diese Tendenz so:

The narratives of the conservative mainstream SF film maintain „difference“ and „otherness“ in the name of homogeneity and embrace the alien as an other who is like us. More radically, the narratives of the postmodern marginal SF film maintain „difference“ and „otherness“ in the name of heterogeneity and erase alienation by articulating it as a universal condition in which we are aliens and aliens are us.518

Und Sobchack begründet ihre Behauptung mit Bezug auf Michel Foucaults Unter- scheidung von ‚resemblance‘ und ‚similitude‘. Im Deutschen bedeutet ‚resemblan-

515 Sobchack (1991), S. 295. 516 Ebd., S. 297. 517 Ebd. 518 Ebd., S. 294. 175 ce‘ Ähnlichkeit, ‚similitude‘ Gleichartigkeit.519 Foucault unterscheidet zwischen bei- den wie folgt:

Resemblance has a „model,“ an original element that orders and hierarchizes the increasingly less faithful copies that can be struck from it. Resemblance presupposes a primary reference that prescribes and classes. The similar de- velops in series that have neither beginning nor end, that can be followed in one direction as easily as in another, that obey no hierarchy, but propagate themselves from small differences among small differences. Resemblance serves representation, which rules over it; similitude serves repetition, which ranges across it. Resemblance predicates itself upon a model it must return to and reveal; similitude circulates the simulacrum as an indefinite and reversible relation of the similar to the similar.520

Resemblance setzt eine Hierarchie von Original und Kopie voraus, während Simili- tude das hierarchische Verhältnis reversibel macht. Resemblance ermöglicht die Repräsentation des Originals, Similitude hingegen zeichnet sich durch Wiederho- lung und Serie aus. Dies fasst Sobchack wie folgt zusammen:

Relations of resemblace, he [Foucault] tells us, may assert sameness, but they „demonstrate and speak across difference,“ and are hierarchical, requir- ing the „subordination“ of one term to the other that provides the original model. Relations of similitude, however, assert difference, but speak across sameness and are nonhierarchical and revisible.521

Auf dieser Grundlage differenziert, wie gesagt, Sobchack Marginal SF von Mainstream SF. Diese Unterscheidung, in Bezug auf die Computerfilme, trägt da- zu bei, die historischen Entwicklungen der Computerfilme zu beschreiben. Vor al- lem bei den Computerfilmen seit den 80er und 90er Jahren kann man die Merk- male beobachten, die Sobchack genannt hat, wenn sie hinsichtlich des Verhältnis- ses von Aliens und Menschen die Logik von Marginal SF Filmen benutzt. Für Mar- ginal SF-Filme, Sobchack zufolge, ist weniger die Logik von „aliens are just like us“522 angemessen als die Logik von „aliens are us“523. Oder besser gesagt, „we are aliens“. Hier gilt der Mensch nicht als das Originalmodell. In der Ähnlichkeit entwickeln sich die Serien, die kein Anfang und kein Ende haben. Darin besteht kein Unterschied zwischen dem Original und der Kopie. Nur der Zirkel des Simu- lakrums lässt sich reproduzieren. Dennoch unterschieden die Serien sich leicht

519 Vgl. Foucault (1974), S. 39f. 520 Ebd. Zitiert nach Sobchack (1991), S. 294. 521 Ebd. 522 Ebd., S. 295. 523 Ebd., S. 297. 176 voneinander. Aber diese Differenz gilt nicht als Differenz, die Differenz schafft, Sobchack zufolge, sondern als die Differenz, die Gleichheit schafft. Dadurch wird nämlich auf die Differenz verzichtet. Also, die Differenz verbindet, wie Jameson sagt, wenn er den multinationalen Kapitalismus charakterisiert. Auch Sobchack meint: „That is, nationalism no longer exists as a difference in the culture of multi- national capital. Sexual difference is eradicated in andr(oid)ogyny.“524 Aber wie gesagt, gilt dieses Argument Sobchacks meiner Meinung nach auch für die Analyse der Computerfilme seit den 80er und 90er Jahren.

In ELECTRIC DREAMS (1984) taucht ein PC auf, dessen sinnliche Organe wie die ei- nes Menschen funktionieren und der sich sogar in eine Cellistin verliebt. Aber trotz der Ähnlichkeiten des Affekts und des Verstandes sieht der PC im Hinblick auf seine Äußerlichkeit völlig anders aus als der Mensch. Der Mensch ist immer noch ein Herr, der PC nur der Knecht in Bezug auf Äußerlichkeit und Verhalten. Obwohl seine Intelligenz und seine eigentümliche Fähigkeit, Musik zu komponieren, dem Menschen durchaus überlegen sind, ist seine Beweglichkeit völlig begrenzt. In dem Sinne ist er immer noch nicht als anthropomorph anzusehen.

Im Film RUNAWAY (USA 1984) von Michael Chrichton zeigt sich die obsessive Angst vor der Technologie. Es geht um die Runaway Machine, den außer Kontrol- le geratenen Roboter. In der nahen Zukunft werden Roboter in allen Bereichen eingesetzt, arbeiten für die Menschen. Es gibt Haushaltsroboter, Arbeiterroboter, tödliche Spinnenroboter usw. Aber manchmal geschehen Fehlfunktionen und sie verwandeln sich sogar zur tödlichen Gefahr für die Menschen. Polizeimeister Jack R. Ramsay, der Roboterexperte in der Polizei, löst mit seiner neuen Partnerin Offi- zierin Karen Tompson die Probleme, die von Robotern verursacht werden. Aber plötzlich erhalten sie viele Meldungen zu fehl funktionierenden Robotern, weil da- hinter eine Terrorgruppe steckt, die plant, etwas Unheimliches zu unternehmen. Deswegen sind Jack Ramsay und seine Partnerin im Einsatz. Allerdings teilen in diesem Film von 1984 die Roboter hinsichtlich der Äußerlichkeit keine Ähnlichkeiten mit Menschen. (Abb. V-8) Aber schon im Hinblick auf die Un- vollkommenheit sind die Maschinen den Menschen sehr ähnlich oder gleich. Von der Unvollkommenheit des Menschen und des Roboters redet auch die Hauptfigur Jack Ramsay. In einer Szene sagt er: „Menschen funktionieren nicht richtig, die Beziehung funktioniert nicht richtig. Menschen entwickeln die Maschine. Wie sollte

524 Ebd. 177 die Maschine richtig funktionieren?“525 Die Relation von Similitude liegt eben in dieser Unvollkommenheit der beiden. Aber außer dieser Unvollkommenheit der jeweiligen Funktionen sieht man keine Ähnlichkeiten in den beiden, besonders in Bezug auf die Äußerlichkeit. Auch in D.A.R.Y.L. (UK 1985) geht es um einen Jungen, der nicht weiß, dass er nur ein Roboter ist. Dabei kann das Aussehen des Roboters Daryl, dessen Akro- nym für Data Analysing Robot526 steht, kein Kriterium für die Unterscheidung zwi- schen Menschen und Robotern sein. Vor allem bis zu dem Moment, in dem klar wird, dass er nur für ein militärisches Projekt konstruiert wurde, macht der Versuch, zwischen den beiden Parteien zu unterscheiden, keinen Sinn. Die Rede von der Herrschaft des Menschen über Roboter ist hier nicht möglich. Das Verhältnis von Orignal und Kopie ist immer reversibel.

In DEADLY FRIEND (1986) drückt sich die Furcht vor der Technologie stark aus. Der Film scheint kaum an die Harmonie von Menschen und Technologie zu glauben. Das Genre Horror-Film prägt insbesondere den Eindruck. In diesem Film hat man eine Neuauflage der alten Version von FRANKENSTEIN, wobei es um den vergebli- chen Versuch des Menschen geht, Tote zu beleben, das ewige Leben zu gewin- nen, und endlich das Unendliche Gottes zu erreichen. Aber in diesem Fall geht es nicht um den biologischen und physiologischen Versuch, sondern um den ma- schinellen bzw. technischen. Der Computer-Genie Paul glaubt das, dass er durch die Computer-Chips seine to- te Freundin Samanta beleben kann. Aber der Plan geht schief. Maschinelle Orga- ne beherrschen eher die menschlichen Organe. Nun tötet der monströse Roboter Samanta alle Menschen, die ihn einst belästigt hatten. Im Film ist die Maschine für den Menschen beherrschbar. Aber indem sie die menschliche Äußerlichkeit übernommen hat, scheint die potenzielle Furcht und Angst vor der neuen Technologie immer größer zu werden.

In TRON (1981) wird der Mensch digitalisiert und taucht im Cyberspace auf, egal, ob dies methodisch und wissenschaftlich möglich ist. Das heißt, er vereint sich mit dem Computer als dem Alien, indem er computerisiert und verdinglicht wird. Da- durch löst sich die Differenz von Computer und Menschen auf. Der Grund, warum wir diesem Film Aufmerksamkeit schenken sollen, liegt darin, dass er die Thematik des digitalisierten Körpers vorwegnimmt, um die es erst in den 90er Jahren gehen

525 RUNAWAY (1984) 526 Scheib (1990), http://www.moria.co.nz/sf/daryl.htm (20.07.2007) 178 wird. Jedoch muss man noch abwarten, bis die Digitalisierung vollendet wird. Der

Film TRON ist nur ein erster Schritt..

In SUPERMAN III (USA 1983) versucht der Supercomputer nicht, sich mit dem Men- schen zu identifizieren, sondern den Menschen zur Maschine zu machen. Bis jetzt war der Mensch vor der Maschine als dem Alien hierarchisch vorrangig. Die Ma- schine hatte Sehnsucht nach dem Menschen, dieser war immer der Gegenstand der Sehnsucht. Bisher war der Mensch der Herr, die Maschine der Knecht. Aber in

SUPERMAN III zeigt der Computer seinen Willen, den Menschen nicht nur zu ver- nichten, sondern über sie zu herrschen, also ihn zu seinem Knecht zu machen. Damit wird die Vereinheitlichung durch den Computer gesteuert, nicht durch den Menschen. Dies ist ein Hinweis auf die Kulturlogik des multinationalen Kapitalis- mus, in dem man vollständig fetischisiert und verdinglicht wird, unabhängig davon, ob man will oder nicht. Der Mensch wird also hier entfremdet. Dennoch erreicht die Darstellung noch nicht den Zustand der 90er Jahre, in dem die Kulturlogik des Spätkapitalismus zugespitzt wird.

In den Computerfilmen der 80er Jahren neigt der Computer dazu die Gestalt des Menschen anzunehmen. Aber immer noch wird die Relation von Resemblance dominiert. Der Mensch ist das Modell, der Computer die Kopie. In diesem Sinne sind sie ähnlich, aber nicht gleich. Die Kopie enthält daher immer noch das Frem- de, das anders ist als das Modell. Und das Fremde macht manchmal den Compu- ter mehr als den Menschen. Dadurch ergibt sich eine neue Menschheit, wie Sob- chack in der Analyse von BLADE RUNNER (1982), (USA

1979, Irvin Kershner), ICEMAN (USA 1984, Fred Schepsi) und E.T.: THE EXTRA

TERRESTRIAL (USA 1981, Steven Spielberg) zeigt: Sobchack sagt:

Blade Runner (Ridley Scott, 1982). More Human than Human: Relations of re- semblance constitute a „new humanism.“ Here, Barty and Deckard „demon- strate and speak across difference“ to assert their sameness.

The Empire Strikes Back (Irvin Kershner), 1980). More Human than Human: Relations of resemblance are constituted as Yoda proves „aliens are just like us“ – only wiser and better.

Iceman (Fred Schepesi, 1984). More Human than Human: Relations of re- semblance are constituted as Iceman and contemporary human „speak across differences“ and communicate in SF’s new humanism.

179 E. T.: The Extra Terrestrial (Steven Spielberg, 1982). More Human than Hu- man: Relations of resemblance as E.T. proves that „aliens are just like us“ – only littler and cuter.527

V.2.2.4 Die 90er Jahre In den Computerfilmen der 90er Jahren geht es nicht mehr um die physische, physiologische, oder maschinelle Verwandlung des Menschen zu Robotern, And- roiden, Replikanten usw. wie in den 80er Jahren, sondern um die Digitalisierung und Virtualisierung des Menschen und seiner Welt. In den 80er Jahren ging es daher manchmal um die Konkurrenz zwischen den Menschen und den Künstlichen. Meistens herrschten die Menschen über die Ma- schine, aber sie wurde manchmal menschlicher als der Mensch dargestellt. Vor al- lem von der Äußerlichkeit her gab es keinen Unterschied zwischen beiden. Auch die Künstlichen verfügten über Intelligenz, Gefühle und Verhaltensweisen wie die Menschen. In den 90er Jahren geht es nicht mehr um die Künstliche Intelligenz, oder und wenn doch, dann nicht um ein Konkurrenzverhältnis in Bezug auf die Äußerlichkeit. Das Aussehen der Künstlichen Intelligenz hat keine Ähnlichkeiten mehr mit den Menschen. Computer ist Computer, Mensch ist Mensch. In diesem Sinne kann man die Frage stellen, worin dann die Unterschiede zwischen den früheren Com- puterfilmen von den 50er bis zu den 70er Jahren und den seit den 90er Jahren zu erkennen sind. Der Hauptunterschied besteht darin, dass die heutige Künstliche Intelligenz im Computerfilm aus digitalen Daten bestehende Geister erzeugen kann. Diese Geister sind keine physikalische und maschinelle Wesen, sondern schlicht digitale Daten, Abbilder und Simulakren des Menschen.

Die virtuelle Realität, die bereits in TRON der 80er Jahren vorweggenommen wurde, bringt THE LAWNMOWER MAN noch mal zur besseren Form. Im Film wird der Ra- senmähermann Jobe Smith an den Computer angeschlossen, um sich im virtuel- len Raum zu bewegen. Dabei ist er wie tot, gefesselt außerhalb des Cyberspace.

Nur der digitale Geist wird aktiv im Cyberspace. Auch in GHOST IN THE MACHINE

(1993) geht es um den Serienmörder, der bei dem Autounfall gestorben ist und zum digitalen Geist verwandelt wurde, der dann in der virtuellen Welt Morde an realen Menschen begeht. Interessant ist, dass er nach dem Tod seines realen

527 Sobchack (1991), S. 295f. 180 Körpers zum Geist geworden ist. Auch in VIRTUOSITY muss der reale Mensch im- mer an dem Computer gefesselt wie tot angeschlossen sein, um in die virtuelle Welt einzutauchen. Auch hier ist der digitale Geist viel freier und lebendiger als der reale Mensch. Er kann sogar die raumzeitliche Dimension überschreiten, sei es in der realen Welt oder in der virtuellen. Dagegen ist die Bewegungsmöglichkeit des realen Menschen sehr beschränkt in Bezug auf den virtuellen Raum. Es ist auch in

THE MATRIX nicht anders. Außer der Widerstandsgruppe, die Morpheus anführt, sind alle Menschen im Todes- oder Traumzustand. Sie werden in den unendlich vielen Zuchtgefäßen gezüchtet, um aus den Körpern der realen Menschen Ener- gie zu gewinnen, um das Matrix-System zu erhalten. Sie leben stattdessen in der virtuellen Welt. Aber selbst die Mitglieder der Wider- standsgruppe müssen am Computer gefesselt wie tot angeschlossen sein, um in das Matrix-System einzutauchen. Wie ich in Kapitel IV analysiert habe, haben die- se narrativen Repräsentationen symbolisch mit der Krise der persönlichen Identität zu tun. Aber im Zusammenhang mit dem Verhältnis von Mensch und Computer weisen diese Darstellungen auf die Tatsache hin, dass die Hierarchisierung zwi- schen beiden keinen Sinn mehr macht. Denn in diesen Computerfilmen liegt es nahe, dass die absolute Hegemonie des Menschen über den Computer verloren geht. Stattdessen herrscht die Maschine über die Menschen und die Welt. Die Herrschaft erreicht nicht nur den individuellen Einzelmenschen, sondern auch die Masse. Sie ist nun ein kollektives und totales Phänomen geworden. Die Maschine und Computer wollen nicht mehr in der ähnlichen Äußerlichkeit mit den Menschen konkurrieren. Sie haben ihre eigentümlichen Gestalten und produ- zieren ihre Agenten, die dem Menschen ähnlich sowie gleich oder besser sind. Oder sie haben keine bestimme Gestalt oder Äußerlichkeit. Sie sind in uns und zugleich außerhalb von uns. Sie sind allgegenwärtig. Deswegen kann man nicht einfach unterscheiden zwischen den Menschen und dem Computer. Sie konstruie- ren uns und die uns umgebende Welt, zumindest auf der narrativen Ebene wie

THE MATRIX im Computerfilm. Wie die tiefe Struktur des menschlichen Affekts in den Computerfilmen in die ober- flächlichen und visuellen Spezial-Effekte transformiert wurde, wird hier selbst die tiefe Struktur des menschlichen Körpers in die materiellen und oberflächlichen Spezial-Effekte transformiert. In diesem Sinne ist es klar, dass der menschliche

181 Affekt und sein Körper in diesen filmischen Repräsentationen verdinglicht darge- stellt und fetischisiert worden sind. An dieser Stelle könnte man sagen, dass diese Repräsentationen eben nichts an- deres sind als die kulturellen Transformationen der spätkapitalistischen Weltwirt- schaftssystems. Die Unterschiede zwischen den Menschen und den Maschinen machen keinen Sinn mehr, weil sie von der allgegenwärtigen und allmächtigen Maschine verschlungen und totalisiert worden sind, wie Nationalismus im Spätka- pitalismus nicht mehr sinnvoll ist. „That is, nationalism no longer exists as a differ- ence in the culture of multinational capital“, wie Sobchack behauptet.528 In dieser Hinsicht zeigen die Computerfilme seit den 90er Jahren die radikalste kulturelle Logik des heutigen Weltwirtschaftssystems. Sobchack differenziert die früheren SF-Filme von denen der 80er Jahre, indem sie zwischen den beiden nach der Art und Weise unterscheidet, wie familiär oder bedrohlich die Alien rep- räsentiert worden sind. Sobchack sagt zu den SF-Filmen der 50er Jahre:

[…] it is hardly surprising that the figure of the alien no longer poses the politi- cal and social threat it did in the SF of the 1950s. In that decade, alienation of the postmodern kind was still new and shiny, and aliens were definitely and identifiably „Other“. […] Whatever their ontology, the majority of aliens in the new SF film are repre- sented as our friends, playmates, brothers, and lovers.529

Im Vergleich zu den SF-Filmen der 80er Jahren zeigen uns die Computerfilme seit den 90er Jahren, dass die Computer und die Maschinenwelt bereits die unbe- wusste Bedingung unseres Lebens geworden sind, unabhängig davon, ob sie uns familiär oder bedrohlich erscheinen.

Zusammenfassend gesagt, ging es bis jetzt um die Verdinglichung des Menschen, die vor allem in den Computerfilmen durch den Spezial-Effekt visualisiert wird. Dabei wird selbst der persönliche Spezial-Affekt durch den Spezial-Effekt spekta- kulär visualisiert. Oder besser gesagt: Der Spezial-Affekt wird durch den Spezial- Effekt ersetzt. Damit verbleibt nur noch der Spezial-Effekt als Schein des persönli- chen Affekts und das Gesicht als das Feld des tiefen Ausdrucks des Menschen schwindet. Der Spezial-Effekt lässt sich daher als ein Zeichen lesen, in dem der Mensch selbst simuliert und verdinglicht wird.

528 Ebd., S. 297. 529 Ebd., S. 293. 182 In den frühen Computerfilmen wurde der Spezial-Effekt als das Spiel des Tons und des Lichtes eingesetzt und galt als Beweis der Rationalität und Authentizität.

Zum Beispiel dienten alle Kulissen von 2001: A SPACE ODYSSEY, die durch den Spezial-Effekt erzeugt wurden, dazu, die Authentizität und die Rationalität des Raumschiffs und des Lebens im Weltall herzustellen. In 2001 zeigt sich freilich auch die ‚irrationale Wärme’, die als das intensive Gefühl des Menschen gedeutet werden kann. Der Spezial-Effekt trägt nämlich nicht nur zur Authentifizierung des Ereignisses, sondern auch zur Intensivierung des per- sönlichen Gefühls. Vor allem in den Computerfilmen seit den 80er Jahren wird die Intensität durch die Computergraphik und die Computeranimation noch spektaku- lärer visualisiert. Das Spektakuläre oder das Erhabene als das intensive Gefühl des Subjekts wird nach Kant eigentlich als das Gefühl im Subjekt aufgefasst, das bei der Konfronta- tion mit der unvorstellbaren und begriffslosen Idee im Objekt erregt wird. 530 Die Erhabenheit befindet sich also nur im urteilenden Subjekt, nicht im Naturobjekt.531 Die Einbildungskraft im Bewusstsein des Menschen erregt doch das Gefühl des Erhabenen. Aber interessant ist es, dass eben selbst das Erhabene im Bewusst- sein des Subjekts durch den Spezial-Effekt objektiviert wird, also auf der materiel- len Oberfläche der Leinwand zur Schau gestellt werden kann. In dieser Hinsicht kann man wiederum sagen, dass der persönliche Spezial-Affekt durch den Spezi- al-Effekt die Oberflächlichkeit zur Folge hat. Aber problematisch ist, dass nicht nur der Spezial-Affekt, sondern auch der Körper des Menschen durch den Spezial-Effekt mit der Oberfläche von Maschine, Com- puter und Roboter verkleidet werden können. Es scheint daher, als ob die Diffe- renzierung von Menschen und Computer im Film sinnlos wäre. Dennoch gibt es feine Unterschiede, die man nicht einfach übersehen darf. Obwohl der Mensch umso realistischer computerisiert wird, könnte die computergenerierte Figur kaum den realen Menschen vollständig simulieren. Sie kann nur die Oberfläche des Menschen nachahmen oder sogar nur einen Teil der Oberfläche. Darüber hinaus kann man beobachten, dass die Oberflächlichkeit nicht nur in den Figuren, die eine Rolle als eine Maschine spielen, sondern auch in den menschli- chen Figuren in manchen Computerfilmen gezeigt wird. Bei ihnen kann man

530 Vgl. Nünning (2001), S. 149. 531 Vgl. Weibel (1991), S.213. 183 schwer erkennen, dass sie die psychische Tiefe und die innerliche Kontinuität be- halten. An dieser Stelle kann man von der Oberflächlichkeit der Figuren reden.

VI. DIE AUSWIRKUNGEN DER OBERFLÄCHLICHKEIT

In Bezug auf das Verhältnis von Computer zum Film als einem seiner künstleri- schen Ausdrucksmöglichkeiten könnte der Begriff der Oberflächlichkeit auf ver- schiedene Weise definiert werden. Für Sherry Turkle bedeutet die Oberflächlich- keit nichts anderes als die Tatsache, dass alle Erscheinungen auf dem Bildschirm des Computers nur Scheinbilder sind, die den Mechanismus des Computers ver- bergen. Für Vilém Flusser bedeuten sie, dass eben diese Scheinbilder durch den Prozess der Abstraktion aus den Punkten zusammengesetzt sind. Die Oberfläch- lichkeit ist also das ästhetische Resultat des Abstraktionsspiels, wie wir in Kapitel I gesehen haben. Und Fredric Jameson hat den Begriff der Oberflächlichkeit als ei- nes der wesentlichen Merkmale der postmodernen Kultur erfasst, die durch die neuen elektronischen Geräte wie Computer und Fernsehen ausgelöst und verbrei- tet wurden. Dabei war die Rede von dem Verlust der Tiefendimension, vom Ver- lust der Historizität, vom Schwinden des Affekts, von dem Erhabenen usw. Durch die Analyse der Computerfilme haben wir tatsächlich festgestellt, wie sich diese Oberflächlichkeit in die Kultur überall eingeschlichen hat. Aber wie Jameson betont, hat es sich erwiesen, dass diese Oberflächlichkeit fun- damental abhängig von der völlig neuen Technologie ist. Dies besagt, dass der Oberflächlichkeit als dem ästhetischen Phänomen die neue Technologie zugrunde liegt. In diesem Zusammenhang war Almuth Hobergs Beitrag aufschlussreich. Ho- berg hat uns darauf hingewiesen, dass die Oberflächlichkeit im negativen Sinne ‘die Kolonisierung und Verdinglichung der inneren Natur’ bedeutet, die durch die Immaterialisierung der filmischen Gestaltungsmittel ermöglicht wurde, obwohl sie dies nicht explizit erwähnt hat. Darüber hinaus ist die Oberflächlichkeit als die Bloß-Stellung der Technologie selbst im Film zu definieren, wie wir in Kapitel II ‘Die Oberflächlichkeit der neuen Technologie’ gesehen haben. Das Kapitel II hat daher den Zusammenhang zwischen der neuen Computertechnologie und den dadurch gestalteten Repräsentationen der Computerfilme hergestellt, die wir in den vorherigen Kapiteln ausführlich untersucht haben.

184 Wie oben geschildert, habe ich bis jetzt behandelt, was man unter der Oberfläch- lichkeit versteht, welche Formen die Oberflächlichkeit der Computerfilme annimmt und welche technologische Grundlage ihr zugrundeliegt. Aber in diesem Kapitel wird es darum gehen, welche Auswirkungen sie mit sich bringt. Dabei ist es unvermeidlich, die Oberflächlichkeit den Bewertungskriterien zu unterziehen. Daher geht es sowohl um die negative Auswirkung der Oberfläch- lichkeit als auch ihre positive Auswirkung. Ich werde hier beide Positionen anhand von Almuth Hoberg einerseits und Peter Weibel andererseits vorstellen. Hoberg behauptet, dass die Oberflächlichkeit die Verdinglichung der inneren Natur verur- sacht. Hingegen behauptet Weibel, dass die Oberflächlichkeit durch die neue Technologie ermöglicht worden und ein Zeichen der neuen Techno-Kunst ist. In den vorherigen Kapiteln hat die vorliegende Arbeit aus einer relativ neutralen Position die verschiedenen Phänomene der Oberflächlichkeit untersucht. Aber in diesem Kapitel wird sie eine Position stark vertreten. Aber bevor diese Position eingenommen wird, möchte ich beide Positionen hier vorstellen. Darüber hinaus möchte ich hier betonen, dass man die Auswirkungen der Ober- flächlichkeit nicht nur aus der Perspektive der Rezipienten betrachten, sondern auch darauf achten soll, wie die Mechanismen der Auswirkung in Bezug auf die neue Technologie innerhalb der Computerfilme funktionieren. Auf diese Thematik werde ich am Ende dieses Kaptels unter dem Titel ‘Die Obszönität der Oberfläch- lichkeit’ eingehen. Worauf man dabei in diesem Kapitel noch achten muss, ist insbesondere die Tat- sache, dass der Ausgangspunkt der Oberflächlichkeit, von dem auch Fredric Ja- meson ausgegangen ist, die neue Computertechnologie ist, für die der heutige multinationale Kapitalismus steht. In diesem Sinne basieren sowohl die kritische Position Hobergs als auch die euphorische Position Weibels auf der Einsicht, dass nicht nur die Computerfilme, sondern auch die anderen heutigen Techno-Künste ohne die neue Technologie ihre ontologische Basis verlieren würden. Indem dieses Kapitel die Oberflächlichkeit bewertet und beurteilt, könnte es aller- dings eine Rolle als eine potenzielle Schlussfolgerung dieser vorliegenden Arbeit spielen.

VI.1 Die Verdinglichung der inneren Natur

185 Almuth Hoberg hat in ihrem Buch Film und Computer die potenziellen Auswirkun- gen der Oberflächlichkeit heraus gestellt. Dabei kann die Oberflächlichkeit zu- nächst so gedeutet werden, dass die Technologie selbst statt der Erzählung im Vordergrund bloß gestellt wird. In dieser Hinsicht sagt Hoberg: „Kino ist dabei, ganz und gar Technik zu werden und seine Aussagefähigkeit zur reinen Ausstel- lung von performance zu reduzieren.“532 Aber nicht nur die Technik sondern auch die innere Natur, also das Bewusstsein oder die Vorstellungskraft wird durch die digitalen Bilder in den Vordergrund bloß gestellt und verdinglicht. Dies ist aber nichts anderes als das, „was Alexander Kluge ‚Industrialisierung des Bewußtseins’ vermittels neuer Medientechniken nennt.“533 Und dieses Potential der neuen tech- nischen Bilder begründet Hoberg wie folgt:

Die Simulation beliebiger Oberflächen und Wahrnehmungsperspektiven durch das computergenerierte Bild löst einen Derealisierungsschub aus, der durch seine Nähe zu Imaginationsvermögen und Wunschproduktion das Bewusst- sein unmittelbar affiziert und […]. Die metaphorisch arbeitenden Bilder der Computeranimation können als Verdinglichung der bildgenerierenden Arbeit der Vorstellungskraft gelesen werden.534

Dieses Argument Hobergs beinhaltet eben die Definition der Oberflächlichkeit und ihre negative Auswirkung. Die Derealisierung des computersimulierten Bild führe also zur Verdinglichung der inneren Natur. Neben dem Kino kann man die Industrialisierung der inneren Natur Hoberg zufol- ge vor allem in den Musikvideos und Werbespots noch deutlicher beobachten: „Die Kolonisierung der inneren Natur und ihr Anschluß an ein kommerzielles Ver- teilersystem wird durch die unablässige Animation der Konsumbereitschaft mittels Musikvideos und Werbespots weiter vorangetrieben.“535

532 Hoberg (1999), S. 202. 533 Ebd., S. 203. „Sie [die dreidimensionale Computeranimation] markiert eine Bruchstelle in der Geschichte, die in ihrer Bedeutung mit der Etablierung des Kinematographischen vergleichbar ist und paradigmatischen Charakter für den filmischen Diskurs auf dem Niveau der fortgeschrittenen Audiovision besitzt. In ihr artiku- liert sich am prägnantesten das, was Alexander Kluge „Industrialisierung des Bewusstseins“ vermittels neuer Medientechniken nennt.“ Zielinski (1989 ), S. 257. 534 Ebd., S. 205. 535 Ebd. 186 VI.1.1 Dezentrierung des Subjekts Aber darauf folgt Hoberg zufolge die Dezentrierung des Subjekts. „Die Zersplitte- rung der collagierten Zeiten und Räume“536, „die dissoziative bildliche Logik der Musikvideos“537, „Amalgam unterschiedlicher Stile und Bildebenen“538 und die da- durch erzeugten „Pseudereignisse und ‚Spektakel‘ jeglicher Art“ 539 usw. gehören zu den Kennzeichnen der Musikvideos und der neuen Spielfilme. Indem diese Bil- der sich ständig konsumieren lassen, wird Hoberg zufolge das Subjekt den- zentriert und der Affekt schwindet: „Das Kino des großen Spektakels usurpiert da- bei die Affekte und strukturiert sie durch immer neue sensationelle Seherfahrun- gen auf den ständigen Konsum der jeweils neuesten Filmware hin.“540 In dieser Hinsicht habe ich in Kapitel V ‘Die Oberflächlichkeit des Affekts,’ das Ver- hältnis von Spezial-Affekt und Spezial-Effekt behandelt. Dabei hat es sich erwie- sen, dass die psychologische Tiefe des menschlichen Affekts durch den Spezial- Effekt visualisiert und verdinglicht wird. Es ist also klar geworden, dass Spezial- Effekt, also ‚Industrial Light and Magic‘ an sich statt der Affekte des Subjekts her- vorgehoben kommerzialisiert wird. Dabei entsteht also ein Paradoxon: Das Subjekt wird dezentriert, der Affekt schwindet, und damit wird die Körpererfahrung abstrahiert, während „der erfahre- ne Sinn, der Augensinn – selbst schon der abstrakteste unter den übrigen“541 in- tensiviert wird. In dieser Paradoxie von Abstraktion und Intensivierung des Wahr- nehmungserlebnisses ist Hoberg zufolge ein wesentliches Moment der ästheti- schen Auswirkungen der digitalen Bewegungsbilder zu finden.542 Darüber hinaus und dementsprechend findet auch „die Abstraktion und Radikali- sierung der Bewegung“543 statt. Vor allem durch „rasante Actionszenen und über- wältigende Spezialeffekte“ 544 im Spielfilm wird die Bewegung radikalisiert und abstrakt, dies erregt zugleich körperliche Hochspannung. Wie wird jedoch diese Hochspannung oder eine nervöse Spannung erzeugt? Dies erklärt Hoberg wie folgt:

536 Ebd. 537 Vgl. ebd., S. 206. 538 Ebd. 539 Vgl. ebd. 540 Ebd., S. 206. 541 Ebd., S. 209. 542 Vgl. ebd. 543 Ebd., S. 208. 544 Ebd., S. 209. 187 Die Dissoziation von visuell-akustischer Wahrnehmung und motorischer Reak- tion erzeugt eine nervöse Spannung, die – da es keine Möglichkeit gibt, auf das Dargestellte handelnd zu reagieren – in dem Wunsch nach weiteren, noch aufregenderen Sensationen resultiert.545

VI.1.2 Käufliche Erlebnisse Angesichts des heutigen hohen Konsums der Spielfilme, die mit rasanten Action- szenen und überwältigenden Spezialeffekten ausgestattet sind, ist es nicht so schwierig, zu behaupten, dass die Spielfilme nichts weiter als käufliche Erlebnisse bieten, die die sog. Oberflächlichkeit hervorrufen können. Hoberg erläutert, wie die sensationellen Kinobilder zu Waren werden. Der Mangel des Handelns, also „das Prinzip der Hemmung motorischer Abfuhr“ 546 bewirkt die permanente Reproduktion der weiteren aufregenderen Sensationen. Damit wer- den körperliche Sensationen „zu käuflichen Erlebnissen, deren Qualität immer weiter ausgebaut wird, um Ermüdungserscheinungen entgegenzuwirken“547. Außerdem ist die Vermarktung körperlicher Sensationen in den verschiedenen Freizeitformen wie Fitnesscenter, Medienkonsum, Erlebnisreise usw. in den kom- plex ausdifferenzierten Gesellschaften verbreitet, wie Hoberg behauptet:

Die Ausdifferenzierung verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche, die den menschlichen Körper jeweils unter hochselektiven Perspektiven wahrnehmen, führt zu einer Dissoziation des Erlebens in einzelne Segmente, die zudem vielfach durch warenförmige Angebote – vom Fitnesscenter über den Medien- konsum bis zur Erlebnisreise – strukturiert sind.548

In diesem Zusammenhang kann man sich auf das Phänomen der Oberflächlich- keit beziehen. Indem körperliche Sensationen zum Beispiel im Computerfilm durch die virtuellen Spezialeffekte rein auf der Oberfläche der Leinwand übermäßig vi- sualisiert werden und dementsprechend die psychologische Tiefe verloren geht, werden sie zu nur käuflichen Erlebnissen und geraten in den Prozess der Verding- lichung. Die verdinglichte, verkäufliche Sensation des Körpers kann man als ‚ober- flächlich’ bezeichnen.

545 Ebd, S. 208. 546 Vgl. ebd. 547 Ebd., S. 209. 548 Ebd., S. 209. 188

VI.1.3 Film als Herrschaftsinstrument Hier geht es kurz darum, wie das ‚oberflächliche’ Oberfläche-Bild oder die Ober- flächlichkeit über die innere Natur des Subjekts herrscht. Hoberg zufolge finden die Umorganisation der Wahrnehmung und die Umformung des Subjekts und der inneren Natur über den Konsum von Bildern und Images statt. Diese Bilder enthal- ten nämlich ein Potenzial von Unterdrückung und Kontrolle und von Freiheit.549 Wie Susan Sontag „die Kunst als Programmierung unserer Sinneswahrneh- mung“550 aufgefasst hat, dient auch der Film nicht nur der Umformung der Wahr- nehmung, sondern auch „der Kolonisierung der inneren Natur“.551 Hoberg zufolge ist der Film daher als Herrschaftsinstrument anzusehen:

Die Umorganisation von Wahrnehmung, die Umformung der Subjekte zu ‚Kunstwesen’, die den Erfordernissen der sinnlichen Hemmung bei gleichzeiti- ger permanenter Stimulierung, des Aushaltens einer unablässigen nervösen Hochspannung bei gleichzeitiger extremer Kontrolliertheit gewachsen sind, ist unter anderen eine Wirkung des Films als Herrschaftsinstrument, der beides leistet: die industrielle Durchdringung der Sinne und die Entschädigung dafür in Form symbolischer Erfüllung scheinbar entfesselter Wünsche.552

Demgegenüber fördert der Film auch die Anpassungsfähigkeit an die gestiegene gesellschaftliche Komplexität:

Diesem Aspekt der Unterdrückung, der Kolonisierung der inneren Natur, kor- respondiert jedoch jener andere, den Benjamin als Herstellung von Kenner- schaft beschreibt: unter diesem Gesichtspunkt wirken die mit Effektkaskaden übersättigen, dem Prinzip der Steigerung verpflichteten Filme der neunziger Jahre als kongeniale Adaptionshilfe, um der gestiegenen gesellschaftlichen Komplexität auf der Ebene des Wahrnehmungsvermögen Herr zu werden.553

VI.1.4 Coolness Allerdings ist Film in dieser Hinsicht „seit den Anfängen visueller Ausdruck der Be- schleunigung aller gesellschaftlichen Prozesse, die mit der Moderne einher- geht“. 554 Außerdem beschleunigen computergenerierte Bilder die Prozesse der

549 Vgl. ebd., S. 210. 550 Sontag (1982), S. 353. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 210. 551 Ebd., S. 211. 552 Ebd. 553 Ebd. 554 Ebd., S. 211. 189 Abstraktion der Wirklichkeit. Hierbei kann man sich auf die Definition der Ober- flächlichkeit Flussers beziehen, die sowohl die computergenerierten Scheinbilder als auch die Abstraktion des Wirklichen einbezieht. Dabei wird nichts sinnlich Vorhandenes abgebildet, sondern Mögliches wird simu- liert. 555 Damit wird der Möglichkeitssinn wichtiger als der Wirklichkeitssinn, wie Großklaus erläutert:

Mit dem jüngsten technologischen Siegeszug des simulatorischen Prinzips setzt sich erstmals auch alltagsweltlich die maschinell-visuelle Erzeugung von Wirklichkeiten durch gegenüber der mimetischen Repräsentation, setzt sich das Modell durch gegenüber der Widerspiegelung, wird der Möglichkeitssinn tendenziell wichtiger als der Wirklichkeitssinn. Was entsteht, ist eine neue Re- alität des Möglichen. Was das mimetische Vermögen jahrhundertelang zur Er- zeugung der Wirklichkeit beigetragen hat – könnte das simulatorische Vermö- gen jetzt - unser Überleben sichernd – zur Erkenntnis des Möglichen beitra- gen.556

Auf diese Tendenz zur Abstrahierung des Wirklichkeitssinns erfolgt die Anästheti- sierung, die man auch als Coolness begreifen kann. Denn die neuen technischen Bilder überfordern durch die Erezeugung des Möglichkeitssinnes unser Wahrneh- mungsvermögen. Und diese Überforderung mündet Hoberg zufolge tendenziell in Betäubung.557 In dieser Hinsicht definiert Welsch Coolness wie folgt:

Coolness […] ist ein Signum der neuen Anästhetik: Es geht um Unbetreffbar- keit, um Empfindungslosigkeit auf drogenhaft hohem Anregungsniveau. Äs- thetische Animation geschieht als Narkose – im doppelten Sinne von Berau- schung und Betäubung. Ästhetisierung […] erfolgt als Anästhetisierung.558

Die technischen Bilder erregen anfänglich aufgrund der gestiegenen Beweglichkeit und Komplexität die verblüffenden, schwindelerregenden Gefühle. Aber immer mehr herrscht das Gefühl, was man Coolness nennt. In dieser Hinsicht ist Cool- ness „eine Form der Reizschutzes gegenüber real gestiegener Reizflut“.559 In die- sem Sinne ist Anästhetik eine „Technik der progressiven Betäubung der Sin- ne“ und eine „paradoxe Reaktion auf die allgegenwärtige Ästhetisierung der Le- benswelt durch eine Flut von Bildern“.560

555 Vgl. ebd., S. 212. 556 Großklaus (1995), S. 142. 557 Vgl. ebd., S. 213. 558 Welsch (1993), S. 14. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 213. 559 Ebd., S. 213. 560 Ebd. 190

VI.1.5 Ideale Ware In einer Gesellschaft, in der Anästhetik herrscht, ersetzt der Konsum von Bildern „die Fühllosigkeit gegenüber realen sozialen Prozessen“.561 Damit werden Bilder und mediale Produkte „zu der idealen Ware“.562 Daher behauptet Hoberg:

Bilder, Botschaften und Images sind dabei, zu Schlüsselwaren auf den Märk- ten der postindustriellen Gesellschaften zu avancieren, in denen sich der Schwerpunkt von der Produktion und Konsumtion materieller Güter hin zur Verwertung von Dienstleistungen und Unterhaltung verlagert.563

Vor allem aufgrund „ihrer Flüchtigkeit und raschen Vergänglichkeit“ 564 und der Verkürzung der Produktionsprozesse wird der Austausch der Bilder immer schnel- ler beschleunigt. Dies macht die Bilder und Images zu einer idealen Ware. Es ist selbstverständlich, wenn man bedenkt, wie schnell neue Filme erscheinen und konsumiert werden. Hoberg führt hier Harvey an:

Die Konsumentenumschlagzeit gewisser Bilder kann in der Tat sehr kurz sein (nahe dem Ideal jenes Augenblicks, das Marx als optimal aus der Sicht der Kapitalzirkulation ansah). Auch lassen sich viele Bilder massenhaft in kürzes- ter Zeit über den Raum vermarkten. […] Angesichts des Zwanges, die Um- schlaggeschwindigkeiten zu erhöhen (und räumliche Barrieren zu überwinden), erscheint die Möglichkeit, Bilder der flüchtigsten Art zu Ware zu machen aus der Sicht der Kapitalakkumulation wie ein Gottesgeschenk, vor allem, wenn andere Wege aus der Überakkumulation versperrt sind.565

Zusammenfassend gesagt, stellen die neuen technischen Bilder aufgrund ihrer Immaterialität die Möglichkeit her, die simulativen Bilder zu erzeugen und das fil- mische Tempo zu steigern. Damit entsteht auch die Möglichkeit, selbst auf das Bewusstsein und das Unbewusste zuzugreifen. Außerdem wird die sinnliche Kör- pererfahrung derealisiert und das Wahrnehmungsvermögen so überfordert. Und durch die mangelnde Körpererfahrung und die Überforderung des Wahrneh- mungsvermögens mündet unser Wirklichkeitssinn in Betäubung, was man auch als Anästhetisierung erfassen kann. Um nun die Defizite des Wirklichkeitssinnes auszugleichen, werden die simulierten Bilder immer mehr konsumiert. Dabei könn-

561 Ebd., S 215. 562 Vgl. ebd. 563 Ebd., S. 215. 564 Ebd., S. 216. 565 Harvey (1994), S. 53. Zitiert nach Hoberg (1999), S. 216. 191 te der Endeffekt sein, dass die innere Natur selbst durch den ständigen Konsum der simulierten Bilder endlich verdinglicht wird. In diesem Sinne kann man von der Oberflächlichkeit reden. Die formale Betonung der Oberfläche oder der Oberflächigkeit, die durch die Computertechnologie her- gestellt ist, führt zur Oberflächlichkeit, die negativ bewertet werden kann.

VI.2 Die befreiende Funktion der Techno-Kunst

Über diese negativen Auswirkungen der Bilder der neuen Medien hinaus liegt es auf der Hand, dass die neue Technik eine entscheidende Rolle dabei spielt, die neue Ästhetik als die Lehre der Wahrnehmung aufkommen zu lassen. In diesem Zusammenhang muss man darauf achten, wie Peter Weibel die Rolle der Technik in der neuen Techno-Kunst behandelt. Hoberg hat eine kritische Auseinanderset- zung mit den neuen technischen Bildern unternommen, während Peter Weibel in der Techno-Kunst eher eine neue Möglichkeit sieht, die bisher herrschenden kapi- talistischen Ästhetiken zu überwinden. Mit anderen Worten, was die Oberflächlichkeit angeht, setzt dieses Phänomen die neue Technologie unentbehrlich voraus. Und umgekehrt ruft die neue Technologie die Oberflächlichkeit hervor. Insbesondere die neue Medien- oder Techno-Kunst verlangt eine neue Ästhetik, die zu ihr passt, und beansprucht eine Veränderung unserer Wahrnehmung, um die Oberflächlichkeit der Techno-Kunst neu zu bewer- ten. Denn die Oberflächlichkeit war von den klassischen Ästhetiken nur als das negative Kennzeichen der neuen Techno-Kunst untergeschätzt worden. In dieser Hinsicht bietet Peter Weibels These die Möglichkeit an, meines Erachtens, die Oberflächlichkeit im Hinblick auf die Techno-Kunst erneut zu bewerten.

VI.2.1 Peter Weibel und die Tiefenmodelle Die verschiedenen Definitionen der Oberflächlichkeit können im Hinblick auf die Auswirkungen der Oberflächlichkeit auch auf verschiedene Weise gedeutet wer- den. Nun geht es hier um eine positive Deutung der Oberflächlichkeit. Ich möchte zunächst hier Peter Weibels These vorstellen. Der Grund dafür liegt darin, dass erstens seine These unter dem Begriff der Ober- flächlichkeit verstanden werden kann, indem er die Technologie der Techno-Kunst in den Vordergrund stellt, um die klassischen Ästhetiken zu überwinden. Zweitens,

192 dass er die Tiefenmodelle, die Jameson vorgeschlagen hat, ablehnt und die dar- aus resultierende Tiefenlosigkeit oder die Oberflächlichkeit als eine neue Möglich- keit der Techno-Kunst betrachtet. 566 In seinem Aufsatz Postmoderne analysiert Jameson beispielsweise van Goghs Gemälde Ein Paar Schuhe mit Hilfe des her- meneutischen Tiefenmodels Heideggers. 567Aber Weibel lehnt eben Heideggers Ästhetik als eine der klassischen Ästhetiken ab, die im Kapitalismus Weibel zufol- ge als eine Ideologie funktioniert hat, die die Macht des Marktes verstärkt. Außer- dem lehnt er auch die klassischen Ästhetiken von Kant und Hegel ab, die ihrer- seits besonders die Tiefenmodelle unterstützen. Daher ist es aufschlussreich, an dieser Stelle Weibels These Jameson gegenüber zu stellen und unser Thema dia- lektisch zu denken.568 Ein weiterer Grund dafür, dass ich hier insbesondere Peter Weibel anführe, be- steht drittens darin, dass er auf die Technologie als ein Medium zwischen Abbild und Objekt großen Wert legt. Bis jetzt wurde die Technologie bei den klassischen Ästhetiken verborgen gehalten, die die Macht des Marktes unterstützen sollten. Aber indem die neue Techno-Kunst die Technologie zwischen Abbild und Objekt entlarvt, wird Weibel zufolge die Macht des Marktes als implizites System verleug- net. Hingegen sieht Jameson die Macht des Marktes durch die Technologie und in der Technologie verborgen. In dieser Hinsicht ist die Gegenüberstellung von Ja- meson und Weibel unentbehrlich, um unser Thema der Oberflächlichkeit zu vertie- fen.

VI.2.2 Klassische Ästhetik und Techno-Ästhetik Peter Weibel geht der Frage nach, ob die klassischen Ästhetiken die neue Tech- no-Kunst richtig bewerten können. Mit anderen Worten fragt er: „Wie kann eine

566 In diesem Zusammenhang sind die Tiefenmodelle Jameson zufolge die folgenden: das hermeneutische Modell vom Innen und Außen, das dialektische Modell von Wesen und Erscheinung, das Freudsche Modell vom Latenten und Manifesten bzw. der Verdrängung, das existentialistische Modell von Authentizität und Nichtauthentizität und die große semiotische Opposition von Signifikant und Signifikat. Vgl. Jameson (1997), S. 56. 567 Vgl. Jameson (1997), S. 51f. „Die beiden Lesarten des Van-Gogh-Bildes sind hermeneutisch angelegt: Das Werk wird in seinem ‚trägen’ Objektcharakter zum Schlüssel oder Symptom für eine umfassendere Rea- lität genommen, die für eine letzte Wahrheit bürgt.“ Ebd., S. 53. 568 Dazu ist Jamesons Argument aufschlussreich: „Die neuere Theorie hat es sich zur Aufgabe gemacht, die- ses hermeneutische Modell vom ‚Innen und Außen’ anzugreifen und zu verwerfen, es als ideologisch und metaphysisch zu stigmatisieren. Was man jedoch heute zeitgenössische Theorie bzw. theoretischen Diskurs nennt, ist – so möchte ich behaupten – selbst ein Phänomen der Postmoderne. […] Zumindestens können wir festhalten, dass die Kritik der Poststrukturalisten an der Hermeneutik, d.h. an dem, was ich als ‚Tiefenmo- dell’ bezeichne, ein signifikantes Symptom der postmodernen Kultur ist, um die es hier geht.“ Ebd., S. 56. 193 Ästhetik des Statischen auf eine Kunst der Bewegung angewendet werden?“569 Diese Erkenntnis Weibels basiert auf der gegenwärtigen Situation: Eine Ästhetik des Objekts triumphiert über die Ästhetik des Zeichens (der Sprache, der immate- riellen elektronischen Zeichen, der reisenden Zeichen der Zeit), eine Ästhetik des Raums herrscht über die Zeit.570 Das heißt,

insofern die zeitbegründeten Werke nicht in das Schema des ästhetischen Systems passen, werden sie einfach nicht evaluiert. […] Dies wird mit der Be- hauptung legitimiert, es gebe ja gar keine guten Werke der Medienkunst.571

Unter der Perspektive der Oberflächlichkeit kann man auch sagen, dass die com- putergenerierten Scheinbilder auf dem Bildschirm als eine Techno-Kunst nur zu oberflächlich erscheinen und keine Tiefendimension haben und daher kaum als gute Kunstwerke gelten. Vor allem was die Computerfilme angeht, ist diese An- sicht überzeugend. Sie gehören als Techno-Kunst zur populären Kultur. Und bei der Bewertung der populären Kultur wie Computerfilme ist es vorherrschend, dass man sie als „oberflächlich, unoriginell, effekthascherisch“572 ansieht. Daher sagt Thomas Hecken in Bezug auf die populäre Kultur:

Zumeist versucht man, maximale Eindeutigkeit dadurch zu erzielen, dass man Merkmale, die man der populären Kultur zuschreibt – z.B. Oberflächlichkeit und Standardisierung -, sogleich verurteilt und abwertet (oder auch, genau umgekehrt, avantgardistisch hochwertet). […] Nach einer lange vorherrschen- den Ansicht ist all das – und damit die populäre Kultur insgesamt als Summe solcher Produkte und ihrer Konsumenten – oberflächlich, unoriginell, effektha- scherisch. 573

Allerdings differenziert Weibel eine Ästhetik von der anderen. Einerseits steht die Ästhetik des Statischen, des Objekts und des Raums, andererseits steht die Äs- thetik der Bewegung, des Zeichens und der Zeit. Die erstere entspricht der Diffe- renzierung der klassischen Künste, die letztere entspricht der Techno-Kunst. Weibel verwendet den Begriff der Techno-Ästhetik im Zusammenhang mit den neuen Medienkünsten: von Fotografie bis zum digitalen Bild. Die Techno-Ästhetik ist daher die Ästhetik der Bewegung, des dynamischen Zustandes, der Zeit. Was die Epoche betrifft, beginnt die Medienkunst mit dem 19. Jahrhundert und dauert

569 Weibel (1991), S. 208. 570 Ebd. 571 Ebd. 572 Hecken (2006), S. 8. 573 Ebd. 194 bis heute. Und sie hält immmer Schritt mit den politischen, ökonomischen und so- zialen Umwälzungen, die seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert stattgefunden haben. Demgegenüber stellt er die klassische Ästhetik, auf der die klassischen Künste wie z.B. Malerei und Skulptur basieren. Sie ist daher die Ästhetik des Statischen, des Raums.574 Die Vertreter der klassischen Ästhetiken sind hier Kant, Heidegger und Hegel. Da- gegen wird Foucault als der Vertreter der Techno-Ästhetik vorgestellt, weil er die Möglichkeit anbietet, die Techno-Kunst zu begründen, indem er jedem Diskurs statt der Seinsfrage oder Wahrheitsfrage die Machtfrage gestellt hat.

Bei dem Versuch, jenem System der Macht auf die Spur zukommen, das den Diskurs der Kunst, die soziale Konstruktion der Kunst diktiert, können wir nicht anders als den Theorien von Michel Foucault zu folgen. Foucault hat nämlich jedem Diskurs (sei es dem der Wahrheit, der Schönheit, usw.) nicht die Seinsfrage, sondern die Machtfrage gestellt.575

VI.2.3 Die klassischen Ästhetiken Aber wieso muss die Kunst entweder mit Wahrheit oder mit Macht zu tun haben? Um dieses Verhältnis zu erklären, müssen in erster Linie drei Ästhetiken der klas- sischen Kunsttheorie vorgestellt werden, also die von Kant, Heidegger und Hegel. Was diese drei Kunsttheorien charakterisiert, liegt in dem Begriff des Isomorphis- mus auf der einen Seite, auf der anderen Seite in der ontologischen Begründung der Ästhetiken. Der Begriff Isomorphismus geht auf die Abbildtheorie des griechischen Philoso- phen Demokrit zurück, der die Abbildtheorie als „Erkenntnisvorgang als Abbildung der Wirklichkeit im Bewusstsein“576 aufgefasst hat. Aber anders als diese naive realistische Widerspiegelungstheorie impliziert die Isomorphietheorie die Auffas- sung der Abbildung der strukturellen Eigenschaften der Wirklichkeit. Einfach for- muliert, in Hinsicht auf die klassischen Ästhetiken, bedeutet die Isomorphietheorie, dass die Wahrheitsaussage mit der Wahrheit identisch ist. Dies schließet auch alle Versuche ein, die Illusion herzustellen, dass sie identisch seien, obwohl sie auf-

574 Vgl. Weibel (1991), S. 207f. 575 Ebd., S. 234. 576„Abbildtheorie, Philosophie: auf Demokrit zurückgehende Auffassung des Erkenntnisvorganges als Ab- bildung der Wirklichkeit im Bewusstsein. Naiv-realistischen und kritischen Varianten der Widerspiegelungs- theorie steht die Isomorphietheorie gegenüber, der zufolge nur strukturelle Eigenschaften abgebildet wer- den.“ © 2002 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG 195 grund des Abstraktums, das im Laufe der Transformation von der Wahrheit (Reali- tät, Objekt) zur Wahrheitsaussage (Kunst, Abbildung) unweigerlich entsteht, nicht identisch sind. „Isomorphismus“, so Weibel, „verwandelt die Menge des intuitiven Materials I in eine Theorie T, indem er den Symbolen, Materialien und Regeln von I ihre Bedeutung in T zuordnet.“577 Klassische Ästhetiken setzen nämlich den Iso- morphismus voraus, dass intuitive und mentale Prozesse sich in einem formalen System vollständig abbilden lassen. Wenn man an dieser Stelle an die Tiefenmodelle denkt, die Fredric Jameson im Ausgangspunkt genannt hat, kann man erkennen, dass die hier vorzustellenden Theoretiker zu denen gehören, die die Tiefenmodelle vertreten. Nach Jameson entsteht die Oberflächlichkeit da, wo die Kunst diese Tiefendimension verliert. Hingegen erwartet Weibel daraus eher das Aufkommen der neuen Kunst. In die- ser Hinsicht werden Jameson und Weibel gegenübergestellt. Um diese Gegensät- ze deutlich zu machen, werden die drei klassischen Ästhetiken anhand von Weibel vorgestellt.

VI.2.3.1 Kant: Natur/ Kunst Laut Weibel geht es Kant um die Unterscheidung von Naturschönheit und Kunst- schönheit. Hierarchisch gesehen, herrscht die Naturschönheit über die Kunst- schönheit. Kant sagt: „Eine Naturschönheit ist ein schönes Ding; die Kunstschön- heit ist eine schöne Vorstellung von einem Dinge.“578 Das heißt, dabei bestehen die Hierarchie und die Differenz zwischen beiden. Um die Differenz zu überwinden, muss die Kunst einen Illusionscharakter haben. Die Kunst muss nämlich mindes- tens die Illusion herstellen, dass sie mit der Natur identisch sei. Ein Kunstwerk kann dann ‘schön’ genannt werden, wenn es wie Natur scheint.

§ 45. Schöne Kunst ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint. An einem Produkte der schönen Kunst muss man sich bewusst werden, dass es Kunst sei, und nicht Natur; […]. Die Natur war schön, wenn sie zugleich als Kunst aussah; und die Kunst kann nur schön genannt werden, wenn wir uns bewusst sind, sie sei Kunst, und sie uns doch als Natur aussieht.579

577 Ebd., S. 209. 578 Kant (1994), S. 246. 579 Kant (1994), S. 240f. 196 Der Schein und die Illusion sind daher in der Kunst notwendig, wie Peter Weibel anmerkt: „Der Kunst haftet also der Schein als Notwendigkeit an. Die Kunst wird zu einer Maschinerie der Illusion.“580 Aber der Schein ist nur der Schein. Die Kunst und die Natur sind nicht isomorph und identisch. Denn die Kunst kann selbst die Hässlichkeit der Natur verschönern. Dann lässt sich die Isomorphie zwischen Na- tur und Kunst als eine beliebige Relation nachweisen: „Kunst als schöne Be- schreibung hässlicher Dinge ist nicht nur moralisch verwerflich, sondern vor allem als Isomorphie nicht valide.“581 Um diese Widersprüche des Illusionscharakters zu überwinden, führt Kant dazu den Begriff ‛des Genies’ ein:

Das Genie ist eine Art Deus ex machina, welches die widersprüchlichen Ei- genschaften in sich vereint. Es ist nämlich Natur pur, welches der Kunst die Regeln gibt. Genie ist gleichsam eine angeborene, also natürliche Regel. […] Das Genie kennt keine Regeln, weil es selbst Regeln setzt.582

Bei Kant wird das Genie außerdem als Träger der Originalität und daher als Schöpfer betrachtet. Denn „das Genie ahmt nicht nach, nämlich irgendwelche Re- geln, sondern ist ursprünglich, sein Maß ist die Originalität allein.“583 Dementspre- chend gelten diese Begriffe von Original und Schöpfer bei der Techno-Kunst als negativ, die wesentlich nicht originell, sondern reproduktiv ist.584 Das Genie hat nämlich in sich eben die Kunst und die Natur vereinigt: „Das Genie ist regellos, daher ist es Natur, und zugleich setzt es Regeln, daher ist es Kunst.“585 Deswegen könnten nur die Künste des Genies die schönen Künste ge- nannt werden. Dies ist der Grund, weshalb die technische, mechanische und kon- zeptuelle Kunst im Vergleich zu der Kunst des Genies abgewertet wird.

Unter dem Druck der „Naturgabe der Kunst als schöner Kunst“, des Genies und der Originalität wird die mechanische Kunst zu einer minderwertigen Kunst des Fleißes und Erlernung.586

Die Schönheit ist sowohl in der Natur als auch in der Kunst zu finden. Die Erha- benheit, die eine der zentralen ästhetischen Kategorien Kants ist, macht die Diffe-

580 Weibel (1991)., S. 211. 581 Ebd., S. 209. 582 Ebd., S. 211. 583 Ebd. 584 Vgl. ebd., S. 211. 585 Ebd., S. 212. 586 Ebd., S. 212. 197 renz zwischen der Natur und der Kunst deutlich, und Kants Ästhetik erscheint da- durch transzendental. Denn die Erhabenheit findet sich nicht im Naturobjekt, son- dern nur im Subjekt.

Erhabenheit ist also nur im urteilenden Subjekt, nicht im Naturobjekt selbst, zu finden. Nicht die Gebirgsmassen sind erhaben, sondern die Macht der Einbil- dungskraft des Menschen erregt in uns das Gefühl des Erhabenen.587

Kants Ästhetik ist Weibel zufolge deshalb transzendental, weil Kant „die eigentli- che zentrale ästhetische Kategorie, nämlich das Erhabene, in das Bewusstsein des Subjekts“588 verlagert hat. Aber andererseits begründet Kant Weibel zufolge das Kunstwerk ontologisch:

Andererseits bleibt Kants Ästhetik stets referentiell auf die Realität der Dinge angewiesen. […] Durch die Referenz der Repräsentation auf die Natur als letzten Signifikant liefert Kant letztendlich doch eine ontologische Begründung des Kunstwerkes.589

VI.2.3.2 Heidegger: Kunstwerk/ Wahrheit Auch Heideggers Ästhetik basiert auf der ontologischen Begründung des Kunst- werks, denn seine Ästhetik geht aus dem Sein hervor. Das Sein des Seienden, des Dinges und des Zeuges erscheint im Werk. Weibel sagt daher: „Das Zeugsein des Zeuges bedarf des Kunstwerks, um als solches zu sein.“590 Nach Heidegger: „Vielmehr kommt erst durch das Werk und nur im Werk das Zeugsein des Zeuges eigens zu seinem Vorschein.“591 Mit anderen Worten sagt Heidegger: „Dieses Sei- ende tritt in die Unverborgenheit seines Seins heraus. Die Unverborgenheit des Seienden nannten die Griechen alétheia.“ 592 Alétheia heißt heute Wahrheit. Und durch dieses Erscheinen geschieht die Wahrheit des Seins: „Im Werk ist, wenn hier eine Eröffnung des Seienden geschieht in das, was und wie es ist, ein Ge- schehen der Wahrheit am Werk.“593 Konsequenterweise, Weibel zufolge, bedarf

587 Ebd., S. 213. 588 Ebd. 589 Ebd. 590 Ebd., S. 214. 591 Heidegger (1965), S. 32. 592 Ebd., S. 33. 593 Ebd. 198 das Zeug als das Seiende des Werks nicht um zu sein, sondern um wahr zu sein.594 Die Schönheit ist deshalb bei Heidegger nur eine Weise, in der die Unverborgen- heit, also die Wahrheit sich ereignet: „Das Schöne ist nur mehr ‚das Erscheinen der Wahrheit‘“.595 Das Schöne gehört zum „Sich-Ereignen der Wahrheit.“596 Daher ist seine Ästhetik ontologisch begründet. Denn Heidegger geht von dem Glauben oder der Voraussetzung aus, dass das Kunstwerk auf das Dinghafte des Dinges, das Sein des Seienden referiert.

VI.2.3.3 Hegel: Natur/ Geist Auch Hegel verknüpft Weibel zufolge die Kunst mit der Wahrheitsfrage: „Die Form der sinnlichen Anschauung nun gehört der Kunst an, so daß die Kunst es ist, wel- che die Wahrheit in der Weise sinnlicher Gestaltung für das Bewusstsein hin- stellt.“.597 Im Gegensatz zu Kant begründet er seine Ästhetik nicht aus der Natur, sondern aus dem Geist, auf dem seine ontologische Begründung basiert:

Denn die Kunstschönheit ist die aus dem Geiste geborene und wiedergebore- ne Schönheit, und um soviel der Geist und seine Produktionen höher steht als die Natur und ihre Erscheinungen, um soviel auch ist das Kunstschöne höher als die Schönheit der Natur.598

Die Kunstschönheit herrscht also über die Naturschönheit, anders als bei Kant. Hegels Definition des Schönen heißt daher: „Die Kunst ist eine eigentümliche Form, wie der Geist sich realisiert, eine besondere Weise des Geistes also, sich zur Erscheinung zu bringen.“599 Die Kunst ist nämlich eine sinnliche Form, in der der Geist erscheint. Der Schein der Kunst ist daher „nur der höhere Schein des Geistes, der dem Anschein der Dinge widerspricht“.600 Die Kunst nimmt den Anschein der gewöhnlichen Dinge und gibt ihm ‚eine höhere, geistgeborene Wirklichkeit’:

594 Vgl. Weibel, S. 214. 595 Ebd., S. 215. 596 Ebd. 597 Hegel (1970), S. 140. 598 Hegel (1970), S. 14. 599 Hegel (2004), S. 51. 600 Weibel (1991), S. 216. 199 Den Schein und die Täuschung dieser schlechten, vergänglichen Welt nimmt die Kunst von jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinungen fort und gibt ihnen eine höhere, geistgeborene Wirklichkeit. Weit entfernt also, bloßer Schein zu sein, ist den Erscheinungen der Kunst der gewöhnlichen Wirklichkeit gegen- über die höhere Realität und das wahrhaftigere Dasein zuzuschreiben601

Damit scheint Hegel die Kunst aus dem Geist begründet zu haben und sie da- durch zu retten. Aber gleich wird die Kunst von Hegel aus dem Geist beendigt. Für ihn ist die Kunst letztendlich „nicht die wahre Form der Wahrheit“.602 Dazu merkt Weibel an:

Als Hegel in der Einleitung fragte, ob die Kunst noch immer „die höchste Wei- se ausmacht, sich des Absoluten bewusst zu sein“, antwortete er: „die eigen- tümliche Art der Kunstproduktion und ihrer Werke füllt unser höchstes Bedürf- nis nicht mehr aus… Der Gedanke und die Reflexion hat die schöne Kunst überflügelt.“603

Statt der Kunst ist die Philosophie für Hegel die wahre Form der Wahrheit: „Nach Kunst und Religion als Bewusstsein von der Wahrheit ist gemäß Hegel die dritte Form des absoluten Geistes endlich die Philosophie.“604

VI.2.4 Das grundlegende Tripel der klassischen Künste Aus diesen drei klassischen Ästhetiken entsteht Weibel zufolge endlich das grund- legende Tripel der klassischen Künste: ‚Sein – Werk (Ding, Zeug)- Wahrheit (Schönheit)‘. Sein

Werk (Ding, Zeug) Wahrheit (Schönheit)

Bei Heidegger geht es um die Wahrheit des Seins im Werk und die Schönheit, bei Hegel geht es um die Kunstschönheit und die Wahrheit. Wenn man hierzu Kants Ästhetik beifügt, ergibt sich das folgende Tripel 605:

601 Hegel (1991), S. 22. 602 Weibel (1991), S. 216. 603 Weibel (1991), S. 216f. 604 Ebd, S. 217. 605 Vgl. ebd., S. 221. 200

Kunst

Natur Genie oder: Original

Werk Autor (Schöpfer)

Dieses Tripel überlappt sich mit dem vorherigen Tripel ‚Werk – Sein – Wahrheit‘. Anstelle des Seins tritt das Original, und damit versichert das Original die Wahrheit des Autors und die Qualität des Werks:

Dieses letztere Tripel (Werk – Original – Autor) stellt offensichtlich die Nor- malausgabe des metaphysischen Tripels Werk – Sein – Wahrheit dar. Das O- riginal anstelle des Seins bürgt in der bürgerlichen Ideologie sowohl für die Wahrheit des Autors wie für die Qualität des Werks.606

VI.2.5 Die kapitalistische Version des grundlegenden Tri- pels Dieses Tripel erlebt in der bürgerlichen kapitalistischen Gesellschaft eine Trans- formation. Aus diesem Tripel ergibt sich die kapitalistische Version ‚Werk – Copy- right – Autor‘. Dabei wird der Originalbegriff festgehalten, um das bürgerliche Co- pyright zu sichern. Die Wahrheit des Autors und die Qualität des Werks dienen dem Besitzdenken.607

Copyright

Werk Autor

606 Ebd., S. 222. 607 Vgl. ebd., S. 222. 201

Mit diesem Tripel kann man einsehen, wie die klassischen Ästhetiken als ‚implizi- tes System‘ im Kapitalismus ideologisch funktioniert haben. Dabei wird der Mythos des Seins, der Wahrheit und des Originals ausgenutzt, um das Copyright des Ver- lags und des Autors zu schützen und damit Geld einzunehmen. Weibel sagt daher eben: „Die ontologische Begründung des Kunstwerks dient dem bürgerlichen Be- sitzdenken, west nicht aus dem Sein, sondern stammt aus dem Haben.“608 An dieser Stelle kann man genau die Gegensätze von Jameson, Hoberg und Wei- bel sehen. Jameson behauptet, dass heute die Kunstwerke wie die Medienkünste das ästhetische Phänomen der Oberflächlichkeit erzeugen, indem sie durch die neue Technologie ihre Tiefendimension verlieren. Auch für Hoberg wohnt den computergenerierten Bildern die Gefahr inne, dass sie selbst die innere Natur ver- dinglichen. Dagegen kritisiert Weibel eher die Tiefenmodelle, bei denen Sein, Wahrheit und Original von Bedeutung sind, weil sie die Legitimation zur Kommer- zialisierung der Kunstwerke anbieten können. Aus diesem Grund versucht Weibel, eine neue Ästhetik zu begründen, die den elektrotechnisch gestalteten Kunstwer- ken angemessen und von den klassichen Ästhetiken befreit ist.

VI.2.6 Techno-Kunst und Technologie In jedem Fall spielt die Technologie eine entscheidende Rolle dabei, zwischen dem Pro und dem Kontra gegenüber der Techno-Kunst zu trennen. Außerdem trägt sie zum Erzeugen der Oberflächlichkeit im Hinblick auf die Techno-Kunst er- heblich bei, sei es negativ oder positiv. Und mit den neuen Technologien erleben die klassischen Ästhetiken eine radikale Transformation, wie Weibel behauptet: „Unter dem Druck der industriellen Revolution erfolgte auch die Transformation der klassischen Kunst in die technische Medienkunst.“609 Daher geht es hier dar- um, woran die Trennung zwischen beiden liegt. Der entscheidende Unterschied zwischen beiden besteht darin, dass die klassi- sche Ästhetik die Tatsache übersehen hat, dass zwischen der Abbildung und dem Objekt das Apparative, das Medium oder die Technik liegt. Um ein Kunstwerk her- zustellen, ist die Technik, griechisch techné, notwendig. Dennoch wurde die Tech- nik in den klassischen Ästhetiken vernachlässigt. Sie haben stattdessen den Illusi- onismus geschaffen, als ob es keine Apparatur oder keine Technik gäbe.

608 Ebd. 609 Ebd., S. 223. 202 Freilich gibt es seit der Antike Hinweise auf die Bewegung des Anti-Illusionismus, für den Weibel als Beispiel den Wettbewerb zwischen Zeuxis und Parrhasios in der Antike und Las Meninas von Velásquez anführt.610 Auch die Techno-Ästhetik lehnt die klassische Ästhetik ab, die dem kommerziellen Zweck gedient hat, wie zum Beispiel die Avantgarde-Bewegungen, die laut Weibel jenseits des Kunst- Marktes und -Betriebes stattgefunden haben.

VI.2.6.1 Techné Bevor wir uns weiter mit der Techno-Ästhetik beschäftigen, gehen wir noch mal auf die klassische Auffassung der Technik zurück, auf der sich der Illusionismus der klassischen Ästhetik stützt. Aber eigentlich hat der Begriff seit der Antike ver- schiedene Bedeutungen von Nachahmung, Schöpfung, Zerstörung, die eben die Ambivalenz der Technik erzeugt haben. Aber die klassischen Ästhetiken haben Weibel zufolge diese Ambivalenz im Diskurs der Kunst aufgrund des Isomorphis- mus und der ontologischen Begründung der Kunst vernachlässigt. Seit Aristoteles wurde die Technik nicht nur als Werkzeug, sondern auch als schöpferische Tätigkeit aufgefasst. Dies begründet Weibel eben mit Aristoteles:

Technik ist nicht mehr das Werkzeug, sondern das Schaffen von Werkzeugen und Werken. Technik muß mit Aristoteles dynamisch, prozessual gedeutet werden, als Wirken und Bewirken, als Schaffen und Schöpfen. Technik er- zeugt und schafft Geschichte, nicht nur des Menschen, sondern auch der Er- de. Die Geschichte der Erde als Umformung der Natur durch den Menschen – das ist Technik.611

Dementsprechend, etymologisch gesehen, hatten Handwerk und Kunst also die- selbe Auffassung von techné. Insofern geht es bei der Technik weniger um die Unterscheidung von Handwerk und Kunst, sondern von Wissen und Nichtwissen. In diesem Sinne ist Technik erfahrenes Wissen. Daher wird das Fehlen des erfah- renen Wissens bei Aristoteles die atechnia, also falsche Vernunft genannt. Techné heißt daher Vernunft, atechnia heißt Unvernunft.612 Hierin kann man schon die Möglichkeit finden, Technologie positiv zu bewerten, weil techné wie bei Aristote- les als Vernunft angesehen werden kann. Technologie wäre dann die Lehre von der Vernunft.

610 Vgl. ebd., S. 230. 611 Ebd., S. 224. 612 Vgl. ebd., S. 224f. 203 Außerdem verknüpft Heidegger die Technik mit der Seinsfrage. Dabei geht es um das Verhältnis von Technik, Mensch und Sein. Bei diesem Verhältnis besteht die Gefahr darin, dass die Technik der Herr des Seins wird, aber dass der Mensch niemals Herr der Technik werden kann. Jedoch kommt die Technik nicht ohne die Hilfe von Menschen aus. „So wird es für Heidegger immer schwieriger zu ent- scheiden, wer Herr über wen ist. Die Technik über das Sein, der Mensch über die Technik, der Mensch über das Sein, die Technik über den Menschen?“613Aber Heidegger führt hier eine ‚Kehre‘ ein. Nach Hölderlin sagt er: „Wo aber Gefahr ist, wächst/ Das Rettende auch.“614 Nun kann die Technik die Wahrheit des Seins nicht nur verbergen, sondern auch ‚entbergen‘. Und dieses Entbergen stellt dann auch die Freiheit her, insofern der Mensch die schöpferische Funktion der Technik unter Kontrolle hat. „Die Freiheit“, so Weibel, „welche die Menschwerdung des Menschen aus dem Reich der Not- wendigkeit, der Physis, darstellt, kommt aus jener schöpferischen Funktion der Technik, die gleichzeitig ihre Gefahr ist.“615 Die Technik ist in dieser Hinsicht die Gefahr wie auch das Rettende. Die Technik hat also sowohl die nachahmerische Funktion als auch die schöpferi- sche Funktion. Aber die schöpferische Funktion der Technik wirkt dialektisch. Ei- nerseits als Herr der Natur, also als Zerstörung, andererseits als die Befreiung von den Notwendigkeiten in der Natur.

VI.2.6.2 Das Tripel der Techno-Kunst Wie gesagt, hat laut Weibel die klassische Ästhetik diese schöpferische Funktion der Technik einfach vernachlässigt. Daher ist ihrer Definition nach technische Kunst bloß mechanisch, nachahmerisch, unschöpferisch und unoriginal.616 Aber mit der Technik, genau genommen mit der Maschine seit der industriellen Revolu- tion, beginnt man die technische Kunst ernst zu nehmen. Alles Apparative, das Medium zwischen dem Darzustellenden und Dargestellten, zwischen dem Objekt und dem Abbild spielt eine entscheidende Rolle. Damit werden all jene Signifikan- ten-Ketten der klassischen Ästhetik wie der Schöpfer, die Autonomie des Werkes,

613 Ebd., S. 225. 614 Ebd. 615 Ebd., S. 227. 616 Vgl. ebd., S. 227f. 204 das Original, die Unmittelbarkeit negiert. 617 „Der technische Apparat der Kunst zeigt, dass es keine Ontologie der Kunst gibt, keine Wesenheiten, sondern nur Konstruktion von Kunst.“618 Bei der Techno-Kunst bildet die Technologie selbst die Ontologie der Kunst. Ohne Technik keine Ontologie der Kunst. Ohne Kamera kein Foto. Das Tripel der Techno-Kunst heißt daher ‚Objekt - Apparat – Bild‘: eine Transformation des klassischen Tripels von „Sein – Werk – Wahrheit“.619

Apparat

Objekt Bild

VI.2.7 Klassische Ästhetik und die Macht des Marktes Wenn aber die klassische Ästhetik noch gültig ist, kann sie nur auf dem Markt gel- ten. Dies ist eben der Kritikpunkt Weibels an der klassischen Ästhetik. Daher be- hauptet Peter Weibel:

Die letzte Bastion dieser alten Ästhetiken ist das Forum der bürgerlichen On- tologie selbst, nämlich der Markt. Insofern ist der Markt in erweitertem Sinne zur obersten Instanz der Kunst und der Kunstgeschichte geworden.620

In diesem Zusammenhang ist die Tatsache von Bedeutung, dass die klassische Ontologie der Kunst hier geleugnet wird. Die Leugnung der klassischen Ästhetik erfolgt auf der Entschleierung des Apparates zwischen Objekt und Bild. Dieses Enthüllen bedeutet nicht nur das Ende der klassischen Ästhetik, sondern auch führt zum Umsturz der Macht des Marktes, der sich bis jetzt auf die klassische On- tologie der Kunst gestützt hat. Denn, wie gesagt, der Markt hat die ontologische Begründung der Kunst, die mit den Begriffen Sein, Wahrheit, Schönheit, Original, und Schöpfer usw. ausgestattet ist, zu seinen Gunsten ausgenutzt. Je tiefer die Technik als „implizites System“ verschleiert wird, umso erfolgreicher macht die Macht des Marktes die Kommerz-Kunst. Daher sagt Weibel:

617 Vgl. ebd., S. 228. 618 Ebd., S. 229. 619 Ebd., S. 241. 620 Ebd., S. 233. 205 Kommerzielle Kunst (wie Hollywoodfilme) haben daher im Gegenteil wieder die Tendenz, den Beitrag der Apparatur bei der Konstruktion des Kunstwerkes zu verschleiern. Je maschineller das Kunstwerk wird, umso mehr versucht der Kommerz, die Maschine zu tarnen.621

In dieser Hinsicht ist klar, dass das Verhältnis von Markt und Technik eng mitein- ander verbunden sind. Für Weibel ist auch der Markt daher nichts anderes als die Technik der Kunst: „Der Markt ist also gleichsam das Ge-stell der Kunst, das Dispositiv, die eigentliche Technik der Kunst, welche der Kunst den Weg ver- stellt.“622 In dieser Hinsicht leugnet Techno-Kunst die ontologische Begründung der Kunst, indem sie die Technik der Kunst entbirgt, und dadurch bietet sie zugleich die Mög- lichkeit an, das Machtsystem des Marktes als die eigentliche Technik der Kunst zu enthüllen. Man kann sich diesen Umstand klar vorstellen, wenn man die Computerfilme un- tersucht, wie dies die vorliegende Arbeit in den vorherigen Kapiteln getan hat. Die Computerfilme können als Techno-Kunst angesehen werden, indem sie mithilfe der computergenerierten Bilder hergestellt werden. Vor allem diese Filme verber- gen nicht ihre technische Grundlage, sondern stellen sie eher im Vordergrund bloß. Sie entbergen ihre Technik und erkennen die schöpferische Funktion der Technik an. Bei der Bewertung dieser Filme ist es unnötig, dass man sie mit den Kriterien wie Sein, Original, oder Wahrheit beurteilen soll. Denn sie haben nicht mehr mit dieser Tiefendimension zu tun. Daher haben wir diese Filme mit der Begrifflichkeit der Oberflächlichkeit analysiert. Eben diese Oberflächlichkeit kann aber deswegen in der Techno-Kunst nicht ne- gativ gesehen werden, weil sie diese als das wesentliche Merkmal innehat, das die Tiefendimension negiert und dadurch die Macht des Marktes entbergen kann.

VI.2.8 Die Geburt der Galerie ? Hierbei wird die verborgene Technik mit der Macht des Marktes gleichgesetzt. Wie die klassischen Ästhetiken überwunden werden, indem sich die Technik entbirgt, könnte auch die Techno-Kunst richtig evaluiert werden, indem sich der Markt als ‚die eigentliche Technik der Kunst‘ entbirgt, die die klassischen Künste legitimierte.

621 Ebd., S. 230. 622 Ebd., S. 233. 206 In dieser Hinsicht ist die Foucaultsche Diskurstheorie hilfreich, weil sie die klassi- schen Ästhetiken transformieren kann, indem sie die Macht des Kunstmarktes in Frage stellt. Für Foucault schreibt die Macht des Marktes die Kunstgeschichte und definiert, was Kunst ist. Statt der Seinsfrage stellt Foucault daher die Machtfrage. Mit ande- ren Worten besagt dies, dass die Kunst nicht mit dem Sein, Wahrheit, oder Frei- heit zu tun hat, sondern durch die Macht bestimmt wird. In dieser Hinsicht sagt Weibel wie folgt:

Denn offensichtlich ist Kunst nicht der Ort der Freiheit, des Wahren und des Absoluten, sondern Kunst ist eine Praktik, die mit einer ganzen Reihe von In- stitutionen, politischen Notwendigkeiten, gesellschaftlichen Regeln, ökonomi- schen Mechanismen verbunden ist, ohne die sie nicht existiert.623

In seinen Büchern Die Geburt der Klinik (1963) und Überwachen und Strafe: Die Geburt des Gefängnisses (1975) führt Foucault die Machtfrage durch. In Die Ge- burt der Klinik behandelt er die Macht der Psychiatrie, die über Vernunft und Wahnsinn entscheidet. Und in Die Geburt des Gefängnisses behandelt er die Macht der Justiz, die über Freiheit und Strafen entscheidet. In Bezug auf die Kunst kann man Weibel zufolge eine Fiktion von Die Geburt der Galerie schreiben. Diese Fiktion behandelt dann die Macht der Galerie, die über ‚Kunst‘ und ‚Nichtkunst‘, oder über ‚wahre‘ Kunst und ‚schlechte‘ Kunst entscheidet. Mit Rückgriff auf Fou- cault sagt Weibel: „Jede Gesellschaft hat ihre eigene Ordnung der Kunst. Sie ak- zeptiert bestimmte Diskurse, die sie als wahre und gute Kunst funktionieren lässt, und sie verwirft Diskurse, die sie als unkünstlerisch oder schlechte Kunst defi- niert.“624 Weibel charakterisiert mit Foucault diese Diskursformen des Wissens und der Schönheit, der Wissenschaft und der Kunst durch fünf Merkmale.

Die Macht ermöglicht erstens nur bestimmte Formen der Diskurse von Zei- chen und zweitens legitimiert sie nur bestimmte Diskursformen als wahre, schöne und gute. Man kann mit Foucault diese Diskursformen des Wissens und der Schönheit, der Wissenschaft und der Kunst durch fünf Merkmale cha- rakterisieren.625

1) Die Institutionen (Galeriekunst und Marktkunst etc.).

623 Ebd., S. 238. 624 Ebd., S. 235. 625 Ebd. 207 2) Ökonomische und politische Anforderungen. Sie bedingen den raschen Wechsel der Stile. 3) Die Massenmedien. Dadurch geht die Kunst über das Fachpublikum hinaus. 4) Die politischen und ökonomischen Apparate (Sammler, Museen und Gale- rien). 5) Schließlich ist die Kunst der Schauplatz politischer und ideologischer Kämp- fe.626

Damit ist klar geworden, dass Kunst von der Macht nicht zu trennen ist, Weibel zu- folge, weil Kunst selbst dadurch verschwinden wird: „Insofern wäre es ein Hirnge- spinst, die Kunst von der Macht zu trennen und die Kunst von jeglichem Machtsys- tem zu befreien, weil damit auch die Kunst selbst verschwinden würde.“627 Daher geht es hier nicht mehr darum, die Kunst von der Macht zu trennen, son- dern „eine neue Politik der Kunst“ zu schaffen, wie Weibel festhält:

Es geht vielmehr darum herauszufinden, ob es möglich ist, eine neue Politik der Kunst zu konstitutionieren, die nicht in der Veränderung des Bewusstseins der Menschen bestünde, sondern in der „Veränderung des politischen, öko- nomischen und institutionellen Systems der Produktion von Wahrheit (von Kunst, P.W.),[…], die Macht der Wahrheit (der Kunst, P.W.) von den Formen gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Hegemonie zu lösen, inner- halb derer sie gegenwärtig wirksam ist.“628

VI.2.9 Das semiotische Tripel und der Anfang der neuen Kunst Die Macht ist also mit dem Diskurs der Kunst eng verbunden. Der Diskurs der Kunst wird von der Macht legitimiert und ohne den Diskurs der Kunst kann die Macht selbst keine Macht ausüben: „Künstler sind der Legitimation von gültiger, marktvalider Kunst durch die Macht unterworfen, doch die Macht selbst bedarf, um ihre Macht ausüben zu können, wiederum des Diskurses der Kunst, der sie legiti- miert.“629 Insofern ist es selbstverständlich, dass der klassische Diskurs der Kunst, also die klassische Ästhetik, die als die mächtige die Kunst bestimmte, verändert werden

626 Vgl. ebd., S. 236. 627 Ebd., S. 238. 628 Ebd., S. 238. Vgl. Foucault (1978), S. 54. „Es geht nicht darum, die Wahrheit von jeglicheem Machtsys- tem zu befreien - das wäre ein Hirngespinst, denn die Wahrheit selbst ist Macht – sondern darum, die Macht der Wahrheit von den Formen gesellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Hegemonie zu lösen, inner- halb derer sie gegenwärtig wirksam ist.“ 629 Ebd., S. 239. 208 soll, um eine neue Politik der Kunst zu konstituieren. Dabei wird Weibel zufolge der Diskurs der Kunst selbst in Frage gestellt. Eben die Techno-Kunst als Anti-Kunst versucht von der Unterdrückung des klassi- schen Diskurses der Kunst sich zu befreien und die klassischen Kunstformen und Diskursformen umzuschreiben und zu verändern. Weibel sagt:

Die eigentliche Antwort ist daher noch immer die Bewegung der Antikunst seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts. Dazu sind auch die Transformationen der Techno-Kunst zu zählen, weil sie versucht, sich aus der Unterwerfung unter die historischen Kunstformen, unter die historischen Diskursformen der Kunst, zu befreien.630

Wenn es hier um den Diskurs der Kunst und seine Veränderung geht, dann kann die Kunst nun semiotisch begründet werden. Wenn das Objekt der Kunst im klas- sischen Diskurs der Kunst eher die Realität oder das Sein war, dann wird es im Diskurs der Macht zu Zeichen. Wenn der Diskurs die fiktiven Zeichen als die Rea- lität und das Sein annimmt, dann wird das Werk zur Simulation aus immateriellen Zeichen, die die Medienkunst als die Techno-Kunst kennzeichnet. In dieser imma- teriellen Kunst geht es nicht mehr um die Wahrheit, die Schönheit, sondern die Macht, die bestimmt, was wahr, was schön ist. 631 Aus diesem Grund gestaltet Weibel die Transformationen des Tripels wie folgt:

Die Transformation der Techno-Kunst kann also als Transformation des onto- logischen Tripels: Sein (Realität)

Werk (Ding, Zeug) Wahrheit (Schönheit, Geist)

in das semiotische Tripel beschrieben werden: Zeichen

Medium Macht632

630 Ebd., S. 239. 631 Vgl. ebd., S. 240f. 632 Ebd., S. 242. 209 Diese Techno-Kunst ist konsequenterweise gegen die klassischen Ästhetiken, Heidegger, Kant und Hegel, gerichtet:

Diese Kunst ist gegen Heidegger, weil sie nicht die Wahrheit als Sein in der Kunst ansiedelt, sondern als Inszenierungen der politischen Macht dekonstru- iert. Wo etwas real erscheint, ist es für die neue Kunst fiktiv, und das Natürli- che erscheint inszeniert. Die Techno-Kunst ist auch gegen Kant, indem sie das Kunstschöne vom Naturschönen abhebt und zur Künstlichkeit der techni- schen Kreation, der synthetischen digitalen Ästhetik verabsolutiert. Sie schafft Prothesen-Körper statt natürliche….Die Techno-Kunst ist contra Schein als Sein, contra Macht als Wahrheit, contra Natur als Notwendigkeit. […] Insofern ist Techno-Kunst auch gegen Hegel, weil sie die „wahre Form der Wahr- heit“ als Machtdispositiv durchschaut.633

Aber aus diesem Grund sieht Weibel diese Veränderungen der klassischen Ästhe- tiken nicht als das Ende der Kunst, sondern eher nur als die Transformation des Diskurses und den Anfang der neuen Kunst an:

Wo das Ende der Kunst, des Schönen, des Wissens, der Wahrheit, der Natur, der Geschichte ständig angerufen wird, handelt es sich in Wahrheit nur um das Ende ihrer historischen Diskursformen. In Wirklichkeit beginnt erst alles.634

Das heißt, man sollte nicht zwangsläufig die Techno-Kunst als unoriginell, ober- flächlich und unschöpferisch abwerten. Denn diese Kriterien wurden aus den klas- sischen Ästhetiken hergeleitet und haben bis jetzt als eine Diskursform die herr- schende Macht über die Kunst ausgeübt. Aber wenn man diese Macht in Frage stellt, kann daraus eine neue Diskursform entstehen, durch die auch die Techno- Kunst als die Anti-Kunst richtig bewertet werden kann. In diesem Sinne wird die Oberflächlichkeit als eines der abwertenden Kriterien nicht mehr gelten.

VI.3 Die Obszönität der Oberflächlichkeit

Nach Weibel spielt Technik eine schöpferische Rolle. Daher behauptet er, dass Technik oder die Techno-Kunst uns von dem historischen Zwang der klassischen Ästhetik als implizitem System befreien kann. Dies bedeutet die Befreiung von der Logik des Marktes, da der Markt sich auf die klassische Ästhetik stützt. In dieser Hinsicht scheint seine Behauptung auf dem Techno-Determinismus zu beruhen.

633 Ebd., S. 245. 634 Ebd., S. 246. 210 Aber wie Marx behauptet, ist Technik nicht prima causa.635 Dafür steht der Markt, das Weltwirtschaftsystem. In diesem Sinne herrscht der Markt über die Technik und bestimmt den Diskurs der Kunst. Angesichts der gegenwärtigen Situation könnte man besser sagen, dass die Technik im Hinblick auf die Spielfilme eher die Ideologie des Marktes verstärkt. Sie spielt kaum eine befreiende Rolle, sondern dient der Verstärkung der Macht des Marktes. Peter Weibel geht außerdem von der Voraussetzung aus, dass die Techno-Kunst mit der Anti-Kunst identifiziert werden kann. Aber in der Tat ist die Techno-Kunst nicht gleich der Anti-Kunst. Indem sie eher den isomorphen Illusionscharakter der Kunst verstärkt, dient sie zur Legitimierung der Macht des Marktes. Obwohl es seine Absicht ist, „diese implizite Zwangsjacke historischer ästhetischer Systeme, welche die Medienkunstwerke bedecken und fesseln, zu zeigen“,636 sind sie eher durch die neue Technologie verborgen geblieben. Und eben durch die verborgene Technologie übt der Markt auf unsere Wahrnehmung die große Macht aus, so wie die Ideologie operiert, die ‚ohne unser Wissen unser alltägliches Verhalten be- stimmt‘.637 Daher tendiert die Techno-Kunst dahin, unsere Wahrnehmung umso stärker zu überwältigen und dadurch zum ästhetischen Phänomen der Oberfläch- lichkeit zu führen. Aber in Bezug auf die Oberflächlichkeit kann man hier ein Paradoxon sehen, näm- lich dass die neue Medienkunst die Technik als ihr Medium verbirgt und sie gleichzeitig erscheinen lässt. Aber selbst die Erscheinung der Technik bleibt in der Tat zunächst verborgen und uns unbewusst, ohne dass man sie ausgräbt und zu Tage fördert. Damit fungiert die Technik als das implizite System, das unsere Wahrnehmung und unser Verhalten bestimmt und somit organisiert. Dieses Para- doxon konnte man bei den in der vorliegenden Arbeit behandelten Computerfilmen erkennen. Es liegt auf der Hand, dass man immer noch Hoffnung auf die neue Medienkunst hegen muss. Aber die Macht des kapitalistischen Marktes ist so groß, dass sie selbst dieses Paradoxon oder auch mögliche Widersprüche in einen Diskurs der Macht verwandelt.638 Vor allem an den in dieser Arbeit behandelten Computerfil-

635 Vgl. Jameson (1997), S. 78. Dazu siehe auch Jameson (1997), S. 80. „Wie gesagt, ich möchte eine still- schweigende Folgerung vermeiden, derart, dass Technologie in irgendeiner Weise ein bestimmendes Mo- ment ‚in letzter Instanz’ für unser heutiges gesellschaftliches Leben oder unsere Kulturproduktion sei.“ 636 Ebd., S. 208. 637 Vgl. ebd., S. 206. 638 Vgl. ebd., S. 239. 211 men kann man erkennen, wie dominierend diese Macht über die neue Medien- kunst herrscht. Denn in den Computerfilmen, wie auch Hoberg behauptet, tritt die neue Technik selbst statt der Erzählung in den Vordergrund, aber nur unter- schwellig. In dieser Hinsicht wird die Technik dennoch nicht anti-illusorisch ver- wendet, sondern sie gilt als die sinnliche Überwältigungsstrategie, um die Illusion herzustellen. An dieser Stelle kann man von einer Ästhetik der Oberflächlichkeit reden, oder so- gar im negativen Sinne von der Obszönität der Oberflächlichkeit. Um auf die Frage zu antworten, warum die Oberflächlichkeit obszön ist, greife ich zunächst auf eine Worterklärung zurück.

VI.3.1 Das Bloß-stellen Die Oberflächlichkeit scheint heute eine Standard-Form zu sein, die alle sog. postmodernen Künste umfassen kann, wie Fredric Jameson es andeutet. Und sie hat nun den Höhepunkt erreicht, besonders da der Film als die modernste, aber auch industriellste Kunst mit der IT-Industrie als einer der mächtigsten wirtschaftli- chen Branchen verbunden ist. Insofern könnte der Computerfilm ein Vertreter sein, der die fantastische Begegnung der beiden Branchen symbolisiert. Daher kann man besonders in den Computerfilmen die verschiedenen Formen der Oberflächlichkeit beobachten. Anders als bei den anderen Filmen wird ihre öko- nomische und technologische Basis zumal in den Computerfilmen umso deutlicher objektiviert. Wenn auch diese Basis selber versucht, sich zu verbergen, kann sie gleichzeitig nicht vermeiden, sich bloß zu stellen. In den Computerfilmen wird also das Verhältnis von Film, neuer Technologie und Wirtschaft bloß gestellt, wenn man das Verborgene als das Verdrängte durch die Analyse hervorruft. Dieses „Bloß-Stellen“ verweist uns eben auf die Obszönität der Oberflächlichkeit. Denn obszön heißt im gewissen Sinne „das bloß-stellen“. In dieser Hinsicht hat Almuth Hoberg uns nachdrücklich gezeigt, dass die neue Technologie dem Phänomen der Oberflächlichkeit zugrunde liegt, die sich in den Computerfilmen zeigt, und zwar in dem Maße, wie die filmische Technologie an sich darin statt der Erzählung bloß gestellt wird. Die Permutation von Mittel und Zweck findet also in den Computerfilmen statt. Sie, meines Erachtens, unterneh- men also im Namen der Kunst die Permutation von Mittel und Zweck, um die ame- rikanische Demokratie und den multinationalen Kapitalismus zu bestätigen, worauf

212 auch Sobchack hinweist. In diesem Zusammenhang könnte man eben so die Obszönität der Oberflächlichkeit begreifen, denn die Obszönität z.B. der Pornogra- fie besteht darin, dass Sex als ein Mittel der menschlichen Liebe so permutiert wird, als ob er der Selbstzweck der Liebe wäre. In dieser Hinsicht schien Balázs bereits der Mechanismus der Oberflächlichkeit bewusst zu sein. Dabei betont er, dass der Stummfilm in den Fehler verfiel, dass er weniger die Darstellung der Menschen als die der Dinge in den Mittelpunkt stell- te und daher die Dinge selbst der Selbstzweck des Stummfilms waren.

Zweifellos hat der Stummfilm, als er zum Entdecker der Seele der Dinge wur- de, deren Bedeutung vielfach überschätzt und verfiel mitunter in den Fehler, das „verborgene“ kleine Sein als Selbstzweck zu zeigen, unabhängig vom menschlichen Schicksal. In diesen Fällen wurde die „Poesie der Dinge“ an Stelle der Poesie des Menschen gezeigt. Was aber Lessing im „Laokoon“ ü- ber Homer sagt – er habe niemals etwas anderes als menschliche Handlun- gen beschrieben und die einzelnen Dinge nur insoweit gezeichnet, als sie an jenen Handlungen Anteil nähmen – muß als vorbildliche Norm für jede epi- sche und dramatische Kunstform gelten, in deren Mittelpunkt die Darstellung des Menschen steht.639

VI.3.2 Die Obszönität von jouissance Aber über die Definition des oberflächlichen Bloß-Stellens der Technologie hinaus könnte die Obszönität der Oberflächlichkeit durch den Lacanschen Begriff de jouissance (dt. Genießen) noch komplexer, aber auch angemessener erläutert werden. In seinem Buch Lacan definiert Darian Leader jouissance wie folgt: „any- thing which is too much for the organism to bear“.640 Beispielsweise erwähnt er „too much excitation, stimulation or, perhaps, much too little, as might be seen in certain inertial states.“641 Diese Definition erinnert uns an das Gefühl des Erhabe- nen, das inkommensurabel mit dem Körper ist. In der Gesellschaft des Spektakels weist es auch auf das Spektakuläre in Bezug auf die Computerfilme. Außerdem kann man jouissance als den Spezialeffekt, also den Ausdruck des dezentrierten Subjekts definieren. In dieser Hinsicht ist es kein Zufall, dass Jameson und Sob- chack dieses neue kulturelle Phänomen auf den Begriff jouissance bezogen haen.642

639 Balázs (1961), S. 57. 640 Leader/ Groves (1996), S. 140. 641 Ebd. 642 Siehe Sobchack (1991), S. 228. 213 Wie Kant mit dem Begriff des Erhabenen bezogen auf die Unmöglichkeit der Dar- stellung angedeutet hat, ist es daher auch unmöglich, jouissance, das Genießen sprachlich zu erfassen oder es in die symbolische Ordnung einzuordnen. Slavoj Žižek behauptet daher so: „the enjoyment is what cannot be symbolized […].“643 Hingegen wird die Lust dem Genießen gegenüber gestellt: „Das Lustprinzip agiert als eine Art Einschränkung des Genusses; es ist ein Gesetz, das dem Subjekt be- fiehlt, ‚so wenig wie möglich zu genießen’“.644 Die Lust spielt in der symbolischen Ordnung, während das Genießen außerhalb der symbolischen Ordnung spielt. Das Lustprinzip fungiert als das Verbot des Genießens. Wo befindet sich dann das Genießen, wenn nicht in der symbolischen Ordnung? Nach Žižek wird das Feld der Signifikanten inkonsistent und porös, wenn es durch das Genießen durchdrungen wird. Dadurch entstehen das Loch des Feldes und seine Inkonsistenz. Eben darin befindet sich der Ort des Genießens:

its presence in the field of the signifier can be detected only through the holes and inconsistencies of this field, so the only possible signifier of enjoyment is the signifier of the lack in the Other, the signifier of its inconsistency.645

Wir haben bis jetzt in den letzten Kapiteln das Loch des Feldes der Signifikanten oder die Inkonsistenz der symbolischen Ordnung als des Anderen gesehen. Der schwindelerregende Hyperraum, die schizophrene Zeitkonzeption, und das Erha- bene, das durch den Spezialeffekt erregt wird, gehören zum Mangel im Anderen oder zur Begierde des Anderen. Aber wir haben es an dieser Stelle mit dem Lacanschen Begriff Fantasie zu tun, weil die Fantasie als die Antwort auf die Frage als die Begierde des Anderen funk- tioniert: (it.)Che Voui?, Was willst du? Nach Žižek definiert Lacan Fantasie wie folgt: „Fantasy appears, then, as an answer to ‘Che Voui?’, to the unbearable e- nigma of the desire of the Other, of the lack in the Other;“646 Umso relevanter aber ist, dass die Fantasie nicht die Begierde erfüllt, sondern sie konstruiert. Sie veran- lasst uns, etwas zu begehren. Durch sie lernen wir die Begierde.

But it is at the same time fantasy itself which, so to speak, provides the co- ordinates of our desire – which constructs the frame enabling us to desire

643 Žižek (1989), S. 122. 644 Evans (2002), S. 114 645 Žižek (1989), S. 122. 646 Ebd., S. 118. 214 something. The usual definition of fantasy (‘an imagined scenario representing the realization of desire’) is therefore somewhat misleading, or at least am- biguous: in the fantasy-scene the desire is not fulfilled, ‘satisfied’, but consti- tuted (given its objects, and so on) – through fantasy, we learn ‘how to de- sire’.647

Und der Screen, die Leinwand wird von Žižek als eine Analogie der Fantasie an- gesehen. Sie ist der Rahmen, der die Lücke der Begierde des Anderen verbirgt: „it is the frame co-ordinating our desire, but at the same time a defence against ‘Che voui?’, a screen concealing the gap, the abyss of the desire of the Other.“648 Die Leinwand als Fantasie verbirgt nämlich die Inkonsistenz der Begierde des Ande- ren oder den Mangel der symbolischen Ordnung. Stattdessen funktioniert sie als Rahmen, durch den wir die Welt als sinnvoll und konsistent erleben, als ob es kei- ne Lücke in der symbolischen Ordnung gäbe.

The function of fantasy is to serve as a screen concealing this inconsistency; […]: fantasy functions as ‘absolute signification’ (Lacan); it constitutes the frame through which we experience the world as consistent and meaningful – the a priori space within which the particular effects of signification take place.

In der Fantasie findet jouissance, das Genießen, als ‚Sinn-Effekt‘ statt, der Sinn bildet sich jedoch in der Tat nicht dadurch, weil das Genießen als der Signifikant ohne Signifikat sich über die symbolische Ordnung hinweg setzt. Man kann hier das Verhältnis von jouissance und Fantasie auf die Computerfilme anwenden. Computerfilm verfügt über den Hyperraum, das Spektakuläre und das Erhabene als die Intensität des Gefühls. Diese Elemente im Computerfilm sind vergleichbar mit dem Genießen als Signifikant ohne Signifikat. Sie bilden aber da- her zugleich im Film die Lücke des Anderen, der symbolischen Ordnung. Und um diese Lücke zu erfüllen oder zu verbergen, bildet sich um sie herum die Fantasie, in der wir die Erzählung des Films als sinnvoll und konsistent erleben können. An dieser Stelle begegnen wir endlich dem obszönen Charakter des Genießens. Die Obszönität kann man in der Paradoxie des Genießens finden. Das Paradoxon liegt in der Erklärung dessen, was das Symptom ist. Das Symptom ist für den Ana- lysierenden der Gegenstand, den er interpretieren muss. Auch wenn man das Symptom als eine kodierte Botschaft interpretiert hat, verschwindet es dennoch nicht, sondern bleibt immer noch. Aber warum? Lacans Antwort ist ‚wegen des

647 Ebd. 648 Ebd. 215 Genießens‘. Das Genießen ist etwas oder das Reale, das nicht interpretiert wer- den kann. Weil sich im Symptom dieses Genießen befindet, widersteht das Sym- ptom der Interpretation.

But here the problems began: why, in spite of its interpretation, does the symptom not dissolve itself; why does it persist? The Lacanian answer is, of course, enjoyment. The symptom is not only a ciphered message, it is at the same time a way for the subject to organize his enjoyment – that is why, even after the completed interpretation, the subject is not prepared to renounce his symptom; that is why he ‘loves his symptom more than himself’.649

Einerseits kann das Symptom interpretiert werden, andererseits widersteht es der Interpretation. Lacan nennt das Symptom, das dieses Paradoxon des Symptoms enthält, das Sinthom (sinthome). 650 Mit anderen Worten ist das Symptom als Sinthom der Signifikant, der vom Genießen durchdrungen ist, das ebenfalls der In- terpretation widersteht. Das hat also ‘das Genießen im Sinne’.

Symptom as sinthome is a certain signifying formation penetrated with enjoy- ment: it is a signifier as a bearer of jouis-sense, enjoyment - in - sense. 651

Was aber hier bemerkenstwert ist, ist die Tatsache, dass das Symptom als Sinthom das Dasein des Subjekts stützt und die Konsistenz des Subjekts bildet. Das Symptom ist Žižek zufolge eine Weise, in der das Subjekt das Genießen als Signifikant ohne Signifikat in die symbolische Ordnung einzuordnen versucht und dadurch sein „In-der-Welt-Sein“ versichert.

What we must bear in mind here is the radical ontological status of symptom: symptom, conceived as sinthome, is literally our only substance, the only posi- tive support of our being, the only point that gives consistency to the subject. In other words, symptom is the way we- the subjects – ‘avoid madness’, the way we ‘choose something (the symptom-formation) instead of nothing (radi- cal psychotic autism, the destruction of the symbolic universe)’ through the binding of our enjoyment to a certain signifying, symbolic formation which as- sures a minimum of consistency to our being-in-the-world.652

649 Ebd., S. 74. 650 Ebd., S. 75: „Lacan tried to answer this challenge with the concept of sinthome, a neologism containing a set of associations (synthetic-artificial man, synthesis between symptom und fantasy, Saint Thomas, the saint …).“ Vgl. Evans (2002), S. 273. 651 Ebd. 652 Ebd. 216 Aber wenn dieses Symptom als Sinthom sich auflöst, bedeutet dies ‘das Ende der Welt’, ‘den Tod des Subjekts’, wie Žižek behauptet:

If the symptom in this radical dimension is unbound, it means literally ‘the end of the world’ – the only alternative to the symptom is nothing: pure autism, a psychic suicide, surrender to the death drive even to the total destruction of the end of the symbolic universe.653

Eben hierin besteht das Paradoxon des Symptoms. Das Symptom löst das Sub- jekt auf und stützt gleichzeitig die Konsistenz des Subjekts. Aus diesem Grund kann das Subjekt das Symptom nicht verwerfen, sondern es muss eher daran festhalten, um seine eigene Konsistenz zu erhalten. Gerade darin kann man von dem obszönen Charakter des Genießens reden, weil im Paradoxon des Sym- ptoms das Genießen eine entscheidende Rolle spielt. Im Symptom als Sinthome ist ein Kern des Genießens durchgedrungen.654 Das Genießen bildet die Inkon- sistenz in der Konsistenz des Anderen, der symbolischen Ordnung. Nach Žižek kann man die Obszönität des Genießens, die sich durch die Inkon- sistenz zeigt, auch im Widerspruch der Aufklärung finden. Beispielsweise führt er Kant an:

But Kant had already, in his famous article ‘What is Enlightenment?’, added to this an unpleasant, disquieting supplement, introducing a certain fissure into the very heart of the Enlightenment project: ‘Reason about whatever you want and as much as you want – but obey!’655

In dieser Hinsicht behauptet Žižek, dass dieses Argument den obszönen Charak- ter verbirgt: „It is a commonplace of Lacanian theory to emphasize how this Kant- ian moral imperative conceals an obscene superego injunction: ‘Enjoy!’“.656 Weil dieser Imperativ der unbedingte Befehl ist, dem man gehorchen muss, ohne nach dem Sinn oder dem Grund zu fragen, wie wir dem Gesetz folgen müssen, weil das Gesetz Gesetz ist. „That is“, so Žižek, „in so far as we obey moral Law because it is law and not because of a set of positive reasons: the obscenity of moral Law is the obverse of its formal character.“657

653 Ebd. 654 Vgl. ebd, S. 76: „In so far as the sinthome is a certain signifier which is not enchained in a network but immediately filled, penetrated with enjoyment,[…].” 655 Ebd., S. 76. 656 Ebd., S. 80. 657 Ebd., S. 81. 217 Žižek vergleicht Kants kategorischen Imperativ mit Sades pornografischen Impera- tiv. Denn beides enthält den bedingunglosen Befehl: ‚Enjoy‘, Genieße!, also Obey!, Gehorche!. Freilich besteht ein Unterschied zwischen beiden: Kant verbirgt den Befehl hinter dem aufgeklärten freien Subjekt, während de Sade den Befehl des Genießens unbeschönigt mitteilt. Für Lacan ist de Sade dennoch und daher die Wahrheit von Kant.658 Wie der Sadesche Imperativ: ‚Genießen!’ ist der Kantische Imperativ nicht interpretierbar und ein Gesetz, das man unbedingt ohne Skepsis befolgen muss. Žižek sagt:

The Kantian categorical imperative is precisely a Law which has a necessary, unconditional authority, without being true: it is – in Kant’s own words – a kind of ‚transcendental fact’, a given fact the truth of which cannot be theoretically demonstrated; but its unconditional validity should nonetheless be presup- posed for our moral activity to have any sense.659

Die Obszönität des Genießens besteht also darin, dass es den unbedingten Be- fehl ohne Zweifel und Grund enthält. In dieser Hinsicht sind auch die Computerfil- me, die ich hier analysiert habe, obszön, weil sie durch das neue Phänomen der neuen Oberflächlichkeit den obszönen Befehl des Genießens durchsetzen. Wie die Obszönität von Jouissance gezeigt hat, besteht die Gefahr der obszönen Oberflächlichkeit, die die neue Computertechnologie auf der kulturellen Ebene hervorgerufen hat, in dem Paradoxon, dass die Oberflächlichkeit uns unbewusst verborgen bleibt und nicht interpretierbar ist, aber dennoch als implizites System letztendlich sowie als der kategorische Imperativ unser Bewusstsein konstruiert.

658 Vgl. ebd. „This is why Lacan conceives Sade as the truth of Kant: ‘Kant avec Sade’ (Lacan, 1966).” 659 Ebd. 218 VII. ZUSAMMENFASSUNG

Die vorliegende Arbeit ging von dem Ansatz aus, dass heute eine Tiefenlosigkeit oder eine Seichtheit unsere Erfahrung im Kino und unsere Wahrnehmung den neuen Computerfilmen gegenüber geprägt hat. Während der Untersuchung, was der Tiefenlosigkeit und der Seichtheit zugrundeliegt, ist deutlich geworden, dass dieses ästhetische Phänomen nicht neu ist und mittelbar oder unmitttelbar bezüg- lich der SF-Filme oder Massenkultur im Allgemeinen zum Ausdruck kommt. Z.B. der Begriff einer neuen Oberflächlichkeit, die Fredric Jameson zu seiner Zeit ver- wendet hat, ermöglichte die Erklärung, was hinter der Tiefenlosigkeit oder der O- berflächlichkeit steckt. Aus diesem Grund behandelte das Kapitel I in erster Linie das Verhältnis von Ja- meson und der Postmoderne. Denn bei dem Periodisieren der Postmoderne nennt er den Begriff der neuen Oberflächlichkeit als eines der vier konstitutiven Merkma- le der Postmoderne. Neben der Oberflächlichkeit zählen die folgenden drei Merk- male dazu: der ‚Verlust der Historizität’, ‚eine völlig neue, emotionale Grundstim- mung’ wie ‚Intensitäten’ oder ‚das Erhabene’, und ‚eine fundamentale Abhängig- keit der genannten Phänomene von einer völlig neuen Technologie’. Dabei konnte man erkennen, dass eine neue Oberflächlichkeit die Begrifflichkeit sein kann, in der alle genannnten Phänomene subsumiert werden können. Mit anderen Worten habe ich daher diese Phänomene der Oberflächlichkeit unter den vier Aspekten wie die Oberflächlichkeit der neuen Technologie, des Raums, der Zeit und des Af- fekts untersucht. Aber der Begriff der Oberflächlichkeit kann zunächst der Frage nicht entkommen, ob er negativ oder positiv gemeint ist. In der Tat galt das deutsche Wort Oberfläch- lichkeit wörtlich genommen als ein Schimpfwort. Aber im Hinblick auf die Postmo- derne ist es nötig, diese Begrifflichkeit dialektisch zu denken: zum einen positiv, zum anderen negativ. In diesem Sinne war Vilém Flusser einer der Ersten, der die Oberflächlichkeit explizit definiert und sie gelobt hat. Dazu noch kann Sherry Turkle dabei helfen, den Begriff der Oberflächlichkeit in Bezug auf die Computer- filme zu definieren. Für Flusser ist die Oberflächlichkeit nichts anderes als das Endprodukt des Abs- traktionsspiels. Wenn alles „Wirkliche“, das aus den vier Dimensionen der Raum- zeit besteht, immer weiter abstrahiert wird, bleiben letztendlich nur noch Punkte.

219 Aus diesen Punkten stellt sich das Universum der Komputation her. Auf dem Bild- schirm erscheint uns also die Oberfläche, das Wahrscheinliche. Aber genau ge- nommen ist das Wahrscheinliche auf dem Bildschirm nicht das Wahrscheinliche, sondern das Unwahrscheinliche, weil die Oberfläche darin abstrahiert geworden ist, weil sie aus den Punkten zusammengesetzt ist. Dabei täuschen sich unsere Augen, weil das Unwahrscheinliche erscheint, als ob es das Wahrscheinliche wäre. Mit diesem Anschein auf dem Bildschirm meint Flusser also die Oberflächlichkeit. Aus diesem Grund wird die Oberflächlichkeit beschimpft. Dennoch sagt Flusser, dass man Hoffnung hegen muss, daraus „ein bedeutsames Bild des menschen- würdigen Daseins“660 herzustellen. Auch für Sherry Turkle weist die Oberflächlichkeit auf dem Anschein auf dem Bild- schirm hin, aber im etwas anderen Sinne als bei Flusser. Für Turkle ist der An- schein oberflächlich, weil heute die Mechanik des Betriebssystems hinter dem Schein, also der Oberfläche des Bildschirms uns unzugänglich geworden ist. In dieser Hinsicht symbolisiert die Oberflächlichkeit die postmoderne Ästhetik nach der Erfindung des Mac-Computers. Turkle nennt diese neue Ästhetik die Simulati- onsästhetik, weil die simulierten Bilder auf der Oberfläche über die anderen herr- schen. Aber allein aus diesen bisherigen Definitionen der Oberflächlichkeit wissen wir noch nicht genau, wie sie sich tatsächlich in den Kunstwerken zeigt. Daher ging es als ersten Schritt um die Oberflächlichkeit in den Computerfilmen, die mit der Wa- renästhetik zu tun hat. Es gab einen guten Grund, die Computerfilme zunächst nach den Kriterien der Warenästhetik zu untersuchen. Denn der Computer gilt nicht nur als ein militärischer sowie wissenschaftlicher Apparat, sondern auch als Warenprodukt, und auch Film ist als die industriellste Kunst am nächsten mit der Wirtschaft verwandt. Nach der Warenästhetik Wolfgang Fritz Haugs wird weniger der Gebrauchswert der Waren als ihr Tauschwert betont. Mit anderen Worten ist der Schein der Wa- ren wichtiger als das Sein. Um die Käufer anzulocken, muss der Schein oder die Oberfläche der Waren hervorgehoben werden. Und diese Oberfläche kann in zweierlei Kategorien eingeteilt werden. Die erste Oberfläche weist auf die sinnli- chen Äußerlichkeiten der Waren hin, wie ihre Form und Größe, während die zwei- te Oberfläche den über-sinnlichen Charakter der Waren wie den gesellschaftlichen

660 Flusser (1993), S.22. 220 Charakter betrifft. Die erstere entspricht eher dem Gebrauchswert, und die zweite- re dem Mehrwert des Gebrauchswerts zugunsten des Tauschwerts. In dieser Hinsicht zeigt die Geschichte der Computerfilme nichts Anderes als ihre geschichtliche Entwicklung von der ersten Oberfläche zur zweiten Oberfläche. In den frühen Computerfilmen wird die sinnliche, emblematische Äußerlichkeit dem- entsprechend repräsentiert, in den späteren wird eher das Über-sinnliche, das Abstrakte oder z.B. der Produktionsprozess selbst in den Vordergrund gestellt. Diese ästhetische Entwicklung scheint beispielsweise auch mit der technischen Entwicklung von Hardware zu Software Schritt zu halten. Hiermit ist klar geworden, dass die Computerfilme mit Warenprodukten vergleich- bar sind und daher nach der Warenästhetik analysiert werden können. In Kapitel I ging es um das Verhältnis von der neuen Computertechnologie und den Compu- terfilmen, die die Warenästhetik vertreten, während es in Kapitel ll um die grundle- genden Filmtechnologien ging, die sowohl auf dem Filmbild als auch auf dem Computerbild basieren und eng mit dem Phänomen der Oberflächlichkeit zu tun haben. Mit Hilfe von Almuth Hoberg behandelt dieses Kapitel die Evolution der filmischen Gestaltungsmittel von dem Filmbild bis zum Computerbild. Sei es Filmbild oder Computerbild beinhaltet diese Evolution, Hoberg zufolge dass die filmischen Ges- taltungsmittel wie Filmstreifen, Kamera und Computer bzw. die Filmtechniken wie Schnitt, Montage und Kamerabewegung im Laufe der Zeit immer immaterialisiert und virtualisiert wurden. Und dementsprechend ist die Mimesis des Bewusstseins- stroms möglich geworden. Dies besagt, dass selbst die innere Natur mit jener Im- materialisierung und Virtualisierung kolonisiert und verdinglicht werden kann. Gerade in dieser Hinsicht kann man von Oberflächlichkeit reden, weil man im Zug dieser Evolution beobachten kann, dass nicht nur der Körper, sondern auch die innere Natur auf der Oberfläche der Leinwand oder des Bildschirms visualisiert, objektiviert und verdinglicht werden kann. Und eben dieses Verfahren erzeugt die verschiedenen Formen der Oberflächlichkeit, die wir in den jeweiligen Kapiteln festgestellt haben. Außerdem besteht die Oberflächlichkeit auch darin, dass in den neueren Computerfilmen der Produktionsprozess oder die spektakuläre, neue Technologie selbst statt der Erzählung im Vordergrund bloß gestellt wird. In dieser Permutation von Zweck und Mittel zeigen sich bereits sowohl die Möglichkeiten als

221 auch die Gefahren der neuen Computerbilder, oder die Auswirkungen der Ober- flächlichkeit. Mit Hilfe dieser Grundlage führt Kapitel III die konkrete Analyse der Computerfilme durch, vor allem hinsichtlich der neuen Oberflächlichkeit, die in Bezug auf den Hy- perraum zum Ausdruck gebracht ist. Um den postmodernen Hyperraum umso deutlicher zu machen, ging es zunächst um den kinematographischen Raum in den frühen Computerfilmen vor der Postmoderne. Der kinematografische Raum war dreidimensional, progressiv und tief. Aber nach

2001: A SPACE ODYSSEY beginnt er, allmählich sich zu verändern. Er ist nun zwei- dimensional, regressiv und tiefenlos geworden. Diesen neuen Raum charakteri- siert Jameson bezogen auf die Architektur durch die Oberflächlichkeit, die aus dem Verlust der Tiefendimension resultiert. Und diesen tiefenlosen Hyperraum er- fasst Sobchack wieder mit den Begrifflichkeiten wie Deflation, Inflation und Confla- tion. In Bezug auf die filmischen Bilder bezeichnet Deflation Sobchack zufolge ‚die privi- legierte Oberfläche’, die statt des tiefen traditionellen Raum für den computerge- nerierten, simulierten Raum steht. Inflation heißt ‚die übermäßige Inszenierung’, die statt der Natur für den mit den Warenprodukten überfüllten Raum steht. Und Conflation bezeichnet ‚eine verwirrende Immersion in die konstante Geschäftigkeit’, die für den Raum steht, in dem der temporale und kausale Zusammenhang z.B. durch die verwirrende Montage zerstört und das Subjekt dementsprechend de- zentriert wird. In Hinsicht auf die filmischen Erzählung und die neue Computertechnologie kön- nen diese drei Kartographien außerdem etwas anders beschrieben werden. Defla- tion bedeutet, dass die Computerfilme immer weniger die Außenwelt als die In- nenwelt thematisiert. Inflation heißt, dass in den Computerfilmen die Mikrowelt der Innenwelt noch explosiver als früher repräsentiert wird: die Implosion der Innen- welt. Und Conflation als ein absoluter, autonomer Raum ist nichts anderes als ein extremer Fall der beiden Räume. Neben der Conflation des Raumes kann man heute auch die Conflation der Zeit erleben. Die Conflation der Zeit oder der Zusammenbruch der Zeit haben große Auswirkungen sowohl auf den existenziellen als auch den ästhetischen Bereich: Identität, Historie und Erzählung. In Kapitel IV ging es daher um die filmischen Repräsentationen, in denen die Conflation der Zeit am deutlichsten zu sehen ist.

222 Bei der Conflation des Raumes gewann die tiefenlose Oberfläche an Priorität, die simulierte Realität oder die Abbilder des Realen herrschten über den kinematogra- fischen und elektronischen Raum. Dabei stellte sich die Frage nicht, welche Her- kunft sie haben. Wie die Logik dieses Hyperraumes stellt die Logik der neuen Zeit- lichkeit, der Conflation nicht mal die Frage nach der zeitlichen Ordnung: Vergan- genheit, Gegenwart und Zukunft. In den späteren Computerfilmen seit dem Film

2001 beginnt diese zeitliche Ordnung zusammenzubrechen, wie wir in den ver- schiedenen Filmanalysen gesehen haben. Diese neue Zeitlichkeit bestätigt Jame- son wieder mit der Begrifflichkeit der ‚Verräumlichung des Zeitlichen‘. Damit meint er, dass die Logik des Raumes in der Postmoderne über die Logik der Zeit herrscht, mit anderen Worten, dass das Unsichtbare oder das Innere mit der Ver- räumlichung ins Sichtbare und ins Greifbare auf der Oberfläche transformiert wird. Eben der oberflächliche Hyperraum repräsentiert die Logik des neuen Raumes und übt Einfluss auf die neue Zeitlichkeit aus. Jedenfalls führt die neue Logik der Zeit zunächst zur Krise der Identität des Sub- jekts. Vor allem in den frühen Computerfilmen zeigt sich zuerst, wie das persönli- che Gedächtnis verschwindet und seinen Verlust erlebt. Wie in THE INVISIBLE BOY wird das persönliche Gedächtnis durch das elektronische Gedächtnis ersetzt. Das persönliche Gedächtnis oder die Erinnerung bildet sich im Prinzip existentiell und auf Dauer, während sich das elektronische Gedächtnis unabhängig vom existen- tiellen Leben und von der zeitlichen Ordnung bildet. Wenn aber eine Person diese Temporalität von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nicht besitzt, dann ent- steht Schizophrenie, die eine Person in eine Krise ihrer Identität führen kann. Die- se schizophrene Zeitlichkeit kann man nicht zuletzt in den neueren Computerfil- men beobachten, die computergeneriert sind und Computer thematisiert haben.

Zum Beispiel THE NET zeigt uns, wie die Identität einer Person einfach durch die Manipulation der Daten zerstört wird: Indem die Person zu Daten transformiert wird, bedrohen die manipulierten Daten oder die Simulation das physische Leben des Menschen. Außerdem kann man die Verräumlichung des Zeitlichen vor allem in den Nostal- gie-Filmen beobachten. Als Nostalgie-Filme gelten diejenigen, in denen Sehnsucht nach der Vergangenheit ausgedrückt wird, sei es als Fortsetzung oder als selbstreferenzieller Film. In diesen Filmen werden die vergangenen, heterogenen Ereignisse, Personen und Dinge in einem Zeitpunkt raffsüchtig versammelt und

223 kolonisiert, wie man z.B. in FORREST GUMP sehen kann. Hiermit kann man vom Verlust der Historizität reden. Aber aus diesem Grund ist es auch selbstverständlich, dass die Kohärenz der Er- zählung durch den Zusammenbruch der traditionellen Zeitlichkeit zwangsläufig ausfällt. Wie das Schizophrene entsteht, wenn die Signifikantenkette eines Satzes zerspringt, zeigen die neueren Computerfilme die schizophrene oder diskontinuier- liche Erzähl- und Zeitstruktur, die der Logik von Alice’ Wunderland entsprechen und letztendlich zur Verwirrung der Zuschauer führen. In diesen Filmen wird der Schwerpunkt der Darstellung dementsprechend weniger auf den persönlichen Spezial-Affekt als auf den Spezial-Effekt gelegt. Der Spezial- Affekt des Subjekts stützt sich auf die kontinuierliche Zeitlichkeit und auf die psy- chologische Tiefe, während der Spezial-Effekt aus der diskontinuierlichen, sprunghaften Zeitlichkeit und den materialisierten oberflächlichen Spektakeln be- steht. In Kapitel V ging es daher darum, wie der Spezial-Affekt durch den Spezial- Effekt ersetzt wird, indem die Logik des Raums über die Logik der Zeit herrscht.

So zeigt sich z.B. durch den materialisierten Spezial-Effekt in TRON eine oberfläch- liche Heiterkeit des Subjekts, die es auf der spätkapitalistischen Straße erleben kann. Dieses Kinoerlebnis ist vergleichbar mit den strukturell begründeten Kinoer- lebnissen von Gewalt, Schock und Schrecken, die zur Anästhesierung und somit zur Verdinglichung des Subjekts führen können. Jameson erfasst dieses Kinoer- lebnis wiederum mit dem Begriff des Erhabenen mit Hilfe von Burke, Kant und Sontag. Demnach könnte das Erhabene als das frei-flottierende, unpersönliche Gefühl gedeutet werden. Wenn dieses unpersönliche Gefühl durch den Spezial-Effekt in eine radikale Form externalisiert und visualisiert wird, könnte dabei die radikalste Form der Computer an sich in den Computerfilmen sein. In der zweiten Hälfte des Kapitels IV ging es daher um eine historische Beschreibung dessen, wie das Konkurrenzverhältnis zwischen Menschen und Maschine aufgelöst wird, wie sich die Differenz zwischen

Subjekt und Objekt verbindet: in BLADE RUNNER, VIRTUOSITY und THE MATRIX Z.B. ist es sinnlos, zwischen Menschen und Maschine, Subjekt und Objekt zu unter- scheiden. Allerdings besteht die Oberflächlichkeit darin, dass das persönliche Gefühl durch den erhabenen Spezial-Effekt visualisiert und materialisiert und selbst der indivi- duelle Körper radikal in die Maschine oder Dinge verdinglicht wird. Aber an dieser

224 Stelle darf man die Tatsache nicht übersehen, dass diese Oberflächlichkeit bzw. alle oben genannte Phänomene fundamental von der völlig neuen Technologie, hier insbesondere der Computertechnologie, abhängig erzeugt worden sind. Wie wir in Kapitel II gesehen haben, ging es dabei daher darum, wie Computertechno- logie als eines der filmischen Gestaltungsmittel der ästhetischen Oberflächlichkeit zugrundeliegt. In Kapitel VI ging es schließlich darum, die negativen und positiven Auswirkungen der Oberflächlichkeit dialektisch zu untersuchen. Außerdem geht es noch um die Frage, wie diese Mechanismen der Oberflächlichkeit funktionieren und warum sie unsere Wahrnehmung bewusst oder unbewußt so stark verändern. Zunächst besteht die Hauptthese Hobergs wie gesagt darin, dass die innere Natur selbst durch die Oberflächlichkeit verdinglicht wird. Damit wird das Subjekt de- zentriert, der Affekt schwindet und die Körpererfahrung wird abstrahiert, aber pa- radoxerweise wird das Wahrnehmungserlebnis intensiviert. Und dies erregt zugleich wiederum körperliche Hochspannung. Aber in diesem Fall, wegen des Mangels des Handelns, besteht dennoch immer der Wunsch nach weiteren, noch aufregenderen Sensationen, also nach dem weiteren Konsum der Sensationen. Der Nachfrage entsprechend lassen sich die Sensationen immer mehr reproduzie- ren. Dadurch überfordern sie inklusive der filmischen Bilder unser Wahrneh- mungsvermögen. Jedoch mündet diese Überforderung tendenziell in Betäubung, die man auch Coolness oder Anästhesierung nennen kann. In der Gesellschaft, in der Anästhetik herrscht, ersetzt der Konsum der Bilder die realen sozialen Prozes- se. Vor allem aufgrund der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit dieser Bilder wird der Produktionsprozess verkürzt und der Austausch der Bilder immer weiter be- schleunigt. Dies macht die medialen Bilder zu den idealen Waren. Wenn diese Bilder sich schnell und ständig konsumieren, wäre es der Endeffekt, dass die inne- re Natur selbst kolonisiert und verdinglicht wird, weil die Bilder die innere Natur selbst wie das Bewusstsein oder die Vorstellungskraft objektivieren und simulieren.

Wenn Hoberg hauptsächlich von der Gefahr der neuen Computertechnologie re- det, ist dagegen bei Peter Weibel die Rede von den Möglichkeiten, die die neue Computertechnologie in der Kunst erbringen kann. Weibel geht davon aus, dass die neue Techno-Kunst als die Anti-Kunst eine neue Techno-Ästhetik benötigt, da die klassischen Ästhetiken heute nicht adäquat sind, um die Techno-Kunst richtig

225 zu bewerten. Die traditionelle Kunst ist die Kunst des Raums, des Statischen, hin- gegen ist die Techno-Kunst die Kunst der Zeit, der Bewegung. Die erstere stützt sich auf die klassischen Ästhetiken, die über die ontologischen Kriterien wie Sein, Wahrheit, und Original verfügt haben, während die zweitere kaum dadurch be- gründet werden kann. Der Grund dafür besteht noch darin, dass die klassischen Ästhetiken an der Isomorphietheorie festgehalten haben, die besagt, dass die Wahrheitsaussage mit der Wahrheit identisch ist. In Bezug auf die Kunst heißt die, dass sie das Medium wie den technischen Apparat zwischen Abbild und Objekt vernachlässigen. Dagegen lehnt die Techno-Kunst die Isomorphie ab und entbirgt das Medium zwischen beiden. Aber vor allem der Markt war die letzte Bastion der klassischen Ästhetik als des herrschenden Diskurses, der die Macht hat, zu bestimmen, was die wahre Kunst ist. Insofern sind der Markt und der Diskurs statt der Wahrheit und des Seins eben die Ontologie der Kunst sowie die eigentliche Technik der Kunst. Wenn man daher die Kunst von der Macht des Marktes oder dem Diskurs trennen will, dann wird die klassische Kunst selbst in Frage gestellt. In diesem Sinne spielt die Technik in der Techno-Kunst dieselbe Rolle wie der Markt, weil die Techno-Kunst selbst in Frage gestellt wird, wenn man die Techno-Kunst von der Technologie trennt. Dabei ist die Technologie selbst die Ontologie der Kunst, denn ohne Technologie kein Foto, kein Film usw. Um diesbezüglich die klassische Ästhetik als den herrschenden Diskurs der Kunst zu überwinden und dazu noch eine neue Ästhetik, die die neue Techno-Kunst an- gemessen bewerten kann, zu schaffen, liegt es nun daran, den bisherigen Diskurs semiotisch neu umzustellen. Weibel hat diese potenzielle Möglichkeit darin gese- hen, dass die Funktion des Marktes und die der Technologie gleich sind und die schöpferische Funktion der Technik dabei eine entscheidende Rolle spielt. Aber Weibels Behauptung, dass, wenn man die schöpferische Funktion der Tech- nik entbergen kann, man die neue Politik der Kunst schaffen kann, die von dem Zwang der klassischen Ästhetiken und der Macht des Marktes frei ist, scheint auf dem Technologiedeterminismus zu basieren. Angesichts der heutigen Techno- Kunst scheint sie umso stärker vom Markt abhängig zu sein. In der Tat steht die Technologie immer noch für das Weltwirtschaftsystem. Daher ist es nicht so ein- fach, wie Weibel behauptet, in der Techno-Kunst die neue Ästhetik zu schaffen.

226 Um dieses Dilemma zu überwinden und dann von der neuen Kunst zu reden, musste daher in erster Linie die tiefer liegende Mechanik der Oberflächlichkeit un- tersucht werden, die durch die Verbindung von Technologie und Markt ausgelöst wurde. Im nächsten Schritt ging es daher um die Obszönität der Oberflächlichkeit. Die Obszönität bedeutet zunächst, dass statt der Erzählung die Technologie selbst in der Kunst im Vordergrund bloß gestellt wird. Die oberflächliche Bloß-Stellung der Technologie ist nämlich als obszön anzusehen. Aber darüber hinaus könnte der Lacansche Begriff von jouissance umso reichlicher den obszönen Charakter der Oberflächlichkeit erläutern. Wie gesagt, besteht die Obszönität im Paradoxon von Enthüllung und Verbergung bzw. Befehl und Gehorsam. Insofern impliziert jouissance dieses Paradoxon. Jouissance, Genießen, kann nicht in die symboli- sche Ordnung eingeordnet werden. Es ist also nicht interpretierbar und bleibt da- her verborgen. Aber Genießen bestimmt dennoch unser Leben in der Verborgen- heit. Er formt unser Leben um und organisiert unsere Wahrnehmung. Das Verbor- gene teilt uns also den Befehl mit: Genießen!, Enjoy! Eben hierin besteht die Obs- zönität der Oberflächlichkeit, die im Spätkapitalismus über die Kunst herrscht. Aber um diese Oberflächlichkeit zu überwinden, muss man eine neue Politik der Kunst herstellen, „die Macht der Wahrheit (der Kunst, P.W.) von den Formen ge- sellschaftlicher, ökonomischer und kultureller Hegemonie zu lösen“.661 Oder, wie Jameson behauptet, um die neue politische Kunst zu schaffen, müssen wir vorläu- fig eine neue Kartografie der Wahrnehmung und der Erkenntnis (cognitive map- ping) herstellen.662 Um auf diese Anforderung zu antworten, können wir eine Alternative für die neue Kunst vorzeigen, wie Sobchack ausgeführt hat. Sobchack zeigt uns, bespielsweise wie der zukünftige SF-Film aussehen soll. Dies betrifft aber nicht nur die SF-Filme, sondern könnte auch die Computerfilme und die anderen Künste im Spätkapita- lismus betreffen. Daher zitiere ich Sobchack hier ausführlich:

I refer to Born in Flames (Lizzie Borden, 1982). This is a new mode of repre- sentation for the SF film: one that does not regress to the past, does not nos- talgize, and does not complacently accept the present as the only place to live. It does indeed imagine a future – but one contiguous with the present, and in temporal and spatial relation to it. It is political and empowering and has a

661 Vgl. Foucault (1978), S. 54. 662 „Hier nun ergibt sich die Notwendigkeit, eine Kartographie, die auf unser Wahrnehmungs- und Erkennt- nisvermögen zielt, weiter zu fassen, und zwar als Koordination von Fakten und Daten der Lebenswelt (die empirische Position des Subjekts) einerseits und von abstrakten Begriffen der geographischen Totalität ande- rerseits“ Jameson (1997), S. 96f. 227 momentum not “transfixed” by excess scenography or caught up in an over- whelming and paralyzing material heterogeneity. It is also not visually pleasur- able in a way we have been led to expect und desire, but its very grittiness re- acts against the hallucinatory splendor and euphoria generated by the post- modern fascination with surface. This is a film in which trash looks like trash, and objects regain their functional value in a social context. This is SF that is definitely not dissolute.663

Aber um eine Vision der neuen Kunst zu entwerfen, meines Erachtens, ist dies zu kurz begriffen. Auch die vorliegende Arbeit kann diese Aufgabe nicht durchführen. Was bleibt, ist, dass die vorliegende Arbeit deswegen versuchen will, diese Auf- gabe in der zukünftigen Arbeit zu übernehmen und sie endlich zu vervollständigen.

663 Sobchack (1991), S. 305. 228 VIII. ANHANG VIII.1 Verzeichnis der Abbildungen

I-1 DESK JET. USA 1957 I-2 THE INVISIBLE BOY. USA 1957

I-3 THE BILLION DOLLAR BRAIN. UK 1967 I-4 THE BILLION DOLLAR BRAIN. UK 1967

I-5 THE BILLION DOLLAR BRAIN. UK 1967 I-6 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968

I-7 THE FORBIN PROJECT. USA 1970 I-8 SNEAKERS. USA 1992

229

II-1 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968 II-2 Louma UK

II-3 THE MATRIX. USA 1999 III-1 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968

III-2 TRON. USA 1982 III-3 WARGAMES. USA 1982

III-4 ELECTRIC DREAMS. USA/UK 1984 III-5 THE LAWNMOWER MAN. USA 1992

230

III-6 Hackers. USA 1995 III-7 VIRTUOSITY. USA 1995

IV-1 THE INVISIBLE BOY. USA 1957 IV-2 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968

IV-3 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968 IV-4 VIRTUOSITY. USA 1995

IV-5 STRANGE DAYS. USA 1995 IV-6 THE MATRIX. USA 1999

231 IV-7 WESTWORLD. USA 1972 IV-8 FUTUREWORLD. USA 1976

IV-9 THE INVISIBLE BOY. USA 1957 IV-10 ROSEMARY’S BABY. USA 1968

IV-11 EXPLORERS. USA 1985 IV-12 EXPLORERS. USA 1985

IV-13 FORREST GUMP. USA 1994 V-1 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968

232 V-2 2001: A SPACE ODYSSEY. USA/UK 1968 V-3 DEMON SEED. USA 1977

V-4 TRON. USA 1982 V-5 THX 1138. USA 1971

V-6 WESTWORLD. USA 1972 V-7 ANDROID. USA 1982

V-8 RUNAWAY. USA 1984

233 VIII.2 Bibliografie

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© 2002 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG

VIII.3 FILMOGRAFIE

ANDROID (DER ANDROID) USA 1982, F, 77 Min. R: Aaron Lipstadt. B: Don Opper/ James Reigle. K: Tim Suhrstedt. S: Kizer/ Hor- vitch. M: Don Preston. SpE: John Carl Buechler. D: Don Opper (Max 404), Klaus Kinski (Dr. Daniel), Brie Howard (Maggie)

THE ANDROMEDA STRAIN (ANDROMEDA – TÖDLICHER STAUB AUS DEM ALL) USA 1971, F, 131 Min. R: Robert Wise. B: Nelson Gidding, nach dem Roman von Michael Crichton K: Ri- chard H. Kline. S: Gilmore/ Holmes. M: Gil Melle. SpE: . D: James Olson (Dr Mark Hall), Arthur Hill (Dr Jeremy Stone), Kate Reid (Dr Ruth Leavitt)

DER ATEM BRD 1989, F, 120 Min. R: Niklaus Schilling. B: Niklaus Schilling/ Gad Klein, nach dem Roman von Herbert W. Franke. K: Thomas Meyer/ Bernd Neubauer. S: Niklaus Schilling. M: Vladimir Cosma. D: Charles Brauer (Brock), Ian Moorse (Jens), Karina Fallenstein (Evelyn)

240 BLADE RUNNER (DER BLADE RUNNER) USA 1982, F, 117 Min. R: Ridley Scott. B: Hampton Fancher, nach dem Roman Do Androids Dream of Electric Sheep? (1969) von Philip K. Dick. K: Jordan Cronenweth. S: Les Healey/ Marsha Nakashima. M: Vangelis. SpE: Douglas Trumbull/ Mattew. D: Harrison Ford (Rick Deckard), Rutger Hauer (Roy Batty), Sean Young (Rachael)

THE BILLION DOLLAR BRAIN (DAS MILLIARDEN DOLLAR GEHIRN) GB 1967, F, 111 Min. R: Ken Russell. B: John McGrath, frei nach dem Roman von Len Deighton. K: Billy Williams. S: Alan Osbiston. M: Richard Rodney Bennett. SpE: . D: Michael Caine (Harry Palmer), Karl Malden (Leo Newbegin), Ed Begley (Gen- eral Midwinter)

BRAZIL (BRAZIL) GB 1984, F, 142 Min. R: Terry Gilliam. B: Gilliam/ Tom Stoppard/ Charles McKeown. K: Roger Pratt. S: Julian Doyle. M: Michael Kamen. SpE. Supervisors: Richard Conway/ George Gibbs. D: Jonathan Pryce (Sam Lowry), Kim Greist (Jill Layton), Ian Holm (Mr Kurtzmann)

CONCEIVING ADA (LEIDENSCHAFTLICHE BERECHNUNG) USA/D 1997, F, 85 Min. R: Lynn Hershman-Leeson. B: Lynn Hershman-Leeson/ Eileen Jones. K: Bill Zar- chy. S: Robert Dalva. M: The Residents. D: Tilda Swinton (Ada), Francesca Faridany (Emmy Coer), Timothy Leary (Sims)

CONTACT (CONTACT) USA 1993, F, 153 Min. R: Robert Zemeckis. B: James V. Hart/ Michael Goldenberg nach dem Roman von Carl Sagan. K: Don Burgess. S: Arthur Schmidt. M: Alan Silvestri. SpE. Supervi- sor: Allen Hall. D: Jodie Foster (Dr. Eleanor Arroway) Matthew McConaughey (Palmer Joss) James Woods (Michael Kitz)

D.A.R.Y.L. (D.A.R.Y.L. – Der Außergewöhnliche. GB 1985, Simon Wincer) GB/ USA 1985, F, 99 Min. R: Simon Wincer. B: David Ambrose/ Allan Scott. K: Frank Watts. S: Adrian Carr. M: Marvin Hamlisch. SpE: Garth Inns D: Mary Beth Hurt (Joyce Richardson) Micahel McKean (Andy Richardson) Kath- ryn Walker (Dr. Ellen Lamb)

THE DAY THE EARTHE STOOD STILL (DER TAG, AN DEM DIE ERDE STILLSTAND) USA 1951, S/W, 91 Min. R: Robert Wise. B: Edmond. H. North. K: Leo Tover. S: William Reynolds. M: Ber- nard Herrmann. SpE: Fred Sersen. D: Michael Rennie (Klaatu) Patricia Neal (Helen Beson) Hugh Marlowe (Tom Ste- vens)

DARK STAR (FINSTERER STERN)

241 USA 1973, F, 83 Min. R: John Carpenter. B: Carpenter/Dan O'Bannon. K: . S: Dan O’bannon. M: John Carpenter. SpE: Dan O’Bannon/ Bill Taylor. D: Brian Narelle (Doolittle), Dan O'Bannon (Pinback), Andreijah Pahich (Talby)

DEADLY FRIEND (DER TÖDLICHE FREUND) USA 1986, F, 91 Min. R: Wes Craven. B: Bruce Joel Rubin, nach dem Roman Friend von Diana Henstell. K: Philip Lathorp. S: Michael Eliot. M: Charles Bernstein. D: Matthew Laborteaux (Paul Conway), Kirsty Swanson (Samantha Pringle), Mi- chael Sharrett (Tom)

DEMON SEED (DES TEUFELS SAAT) USA 1977, F, 94 Min. R: Donald Cammell. B: Roger O. Hirson & Robert J. Jaffe, nach dem Roman von Dean R. Koontz. K: Bill Butler. S: Frank Mazzola. M: Jerry Fielding. SpE: Tom Fisher. Mechanical Effects: Glen Robinson. D: Julie Christie (Susan Harris), Robert Vaughn (Voice of Proteus), Fritz Weaver (Alex Harris)

DESK JET (EINE FRAU, DIE ALLES KENNT) USA 1957, F, 103 Min. R: Walter Lang. B: Phoebe Ephron/ Henry Ephron. K: Leon Shamroy. S: Robert L. Simpson. M: Cyril J. Mockridge. SpE: Ray Kellogg. D: Spencer Tracy (Richard Sumner) Katharine Hepburn (Bunny Watson) Gig Young (Mike) Cutler

DOSSIER 51, LE F 1978, F, 108 Min. R: Michel Deville. B: Michel Deville/ Gilles Perrault. K: Claude Lecomte. S: Ray- monde Guyot. M: Jean Schwarz. D: Françoise Béliard (Sylvie Mouriat), Patrick Chesnais (Hadès), Jenny Clève (L'agent 747, femme de ménage de 51).

DROP ZONE (DROP ZONE) USA 1994, F, 101 Min. R: John Badham. B: Tony Griffin/ Guy Manos. K: Norman Kent/ Roy H. Wagner. S: Frank Moriss. M: Hans Zimmer. SpE. Supervisor: Chuck Gaspar. D: Wesley Snipes (Pete Nessip:)): Gary Busey (Ty Moncrief): Yancy Butler(Jessie Crossman)

DR. STRANGELOVE OR: HOW I LEARNED TO STOP WORRYING AND LOVE THE BOMB (DR. SELTSAM ODER WIE ICH LERNTE, DIE BOMBE ZU LIEBEN) GB 1963, S/W, 93 Min. R: Stanley Kubrick. B: Kubrick/ Peter George/ Terry Southern, nach dem Roman Red Alert von George. K: Gil Taylor S: Anthony Harvey. M: Laurie Johnson. SpE: Wally Veevers. D: Peter Sellers (Captain Lionel Mandrake/ President Mirkin Muffley/ Dr Strange- love), George C. Scott (General Buck Turgidson), Sterling Hayden (General Jack D. Ripper)

242 ECHTZEIT D 1983, F, 110 Min. R: Helmuth Costard. B: Helmut Costard. K: Helmut Costard. S: Helmut Costard/ Jürgen Ebert. D: Ruth Bierich (Ruth), Susanna Bonasevicz (Ruth, voice), Adolf Hornung (Tour Guide).

ELECTRIC DREAMS (ELECTRIC DREAMS) USA/ GB 1984, F, 95 Min. R: Steve Barron. B: Rusty Lemorande K: Alex Thomson S: Peter Honess. M: Giorgio Morder. SpE: Michael Dawson/ Steve Hamilton. D: Lenny Von Dohlen (Miles Harding), Virginia Madsen (Madeline Roberstadt), Bud Cort (Voice of Edgar)

EXPLORERS (EXPLORERS- EIN PHANTASTISCHE ABENTEUER) USA 1985, F, 109 Min. R: Joe Dante. B: Eric Luke K: John Hora S: Tina Hirsch. M: Jerry Goldsmith. Vis- ual Effects: Industrial Light and Magic (Supervisor - Bruce Nichoson). Computer Animation: Omnibus Computer Graphics Center Inc. SpE. Supervisor: Bruce Mac Donald Jr, Makeup. D: Ethan Hawke (Ben Crandall), River Phoenix (Wolfgang Mueller), Jason Pres- son (Darren Woods)

FORBIDDEN PLANET (ALARM IM WELTALL) USA 1956, F, 99 Min. R: Fred M. Wilcox. B: Irving Block/Allen Adler. K: George J. Folsey. S: Ferris Web- ster. SpE: A. Arnold Gillespie. D: Walter Pidgeon (Dr. Edward Morbius), Anne Francis (Altaira Morbius), Leslie Nielsen (Commander John J. Adams)

THE FORBIN PROJECT (COLOSSUS) USA 1970, F, 100 Min. R: Joseph Sargent. B: James Bridges, nach dem Roman Colossus von D.F. Jones. K: Gene Polito. S: Folmar Blangsted. M: Michel Colombier. SpE: Albert Withlock. D: Eric Braeden (Dr Charles Forbin), Susan Clark (Cleo Markham)

FORREST GUMP (FORREST GUMP) USA 1994, F, 142 Min. R: Robert Zemeckis. B: Eric Roth nach dem Roman von Winston Groom K: Don Burgess. S: Arthur Schmidt. M: Alan Sivestri. SpE. Supervisor: Allen Hall. D: Tom Hanks (Forrest Gump), Robin Wright (Jenny Curran), Gary Sinise (Lt. Dan)

FUTUREWORLD (DAS LAND VON ÜBERMORGEN) USA 1976, F, 108 Min. R: Richard T. Heffron. B: George Schenck/Mayo Simon. K: Gene Polito/Howard Schwartz. S: James Michell. M: Fred Karlin. Visual Effects: Brian Sellstrom. SpE: Gene Griggs/ Beut Sellstrom. D: Peter Fonda (Chuck Browning), Blythe Danner (Tracy Ballard), Stuart Margolin (Harry Croft)

243 GHOST IN THE MACHINE (KILLER IM SYSTEM) USA 1993, F, 104 Min. R: Rachel Talalay. B: William Davies/William Osborne. K: Phil Meheux S: Janice Hamton/ Erica Huggis. M: . Visual Effects: VIFX (Supervisor - Rich- ard Hollander). SpE. Supervisor: Richard L. Thompson. Makeup Effects: Alterian Studios (Supervisor - Tony Gardner). D: Karen Allen (Terry Munroe), Wil Horneff (Josh Munroe), Chris Mulkey (Bram Walker), Ted Marcoux (Karl Hochman)

GUNHEAD (ROBOT-WAR) J 1989, F, 100 Min. R: Masato Harada. B: Harada & James Bannon. K: Jinichi Fujisawa. S: Yoshitami Kuroiwa. M: Takayuki Baba/ Toshiyuki Honda. Visual Effects Supervisor: Koichi Kawakita. Production Design: Sunrise Inc. Mechanical Design: Masaharu Kawamori. Weapons Design: Masahisa Suzuki. D: Masahiro Takashima (Brooklyn), Brenda Bakke (Sergeant Nim), Yujin Harada (Seven).

HACKERS (HACKERS- IM NETZ DES FBI) USA 1995, F, 107 Min. R: Iain Softley. B: Rafael Moreu K: Andrzej Sekula S: Chris Blunden. M: Simon Boswell. Visual Effects Supervisor: Peter Chiang. D: Jonny Lee Miller (Dade ‘Zero Cool’ Murphy), Angelina Jolie (Kate ‘Acid Burn’ Libby), Fisher Stevens (Eugene ‘The Plague’ Belford)

THE HONEYMOON MACHINE (DIE HEIRATSMASCHINE) USA 1961, F, 87 Min. R: Richard Thorpe. B: Lorenzo Semple Jr. / Gerge Wells. K: Joseph LaShelle. S: Ben Lewis. M: Leigh Harline. Visual Effects: Robert R. Hoag. D: Steve McQueen (Lt. Ferguson 'Fergie' Howard), Brigid Bazlen (Julie Fitch), Jim Hutton (Jason Eldridge)

HOT MILLIONS (DAS MILLIONENDING) GB/ USA 1968, F, 106 Min. R: Eric Till. B: Peter Ustinov/ Ira Wallach. K: Kenneth Higgins. S: Richard Marden. M: Laurie Johnson. D: Peter Ustinov (Marcus Pendleton, alias Caesar Smith), Maggie Smith (Patty Terwilliger), Karl Malden (Carlton Klemper).

THE INVISIBLE BOY (SOS RAUMSCHIFF) USA 1957, S/W, 90 Min. R: Herman Hoffman. B: Cyril Hume, nach dem Short Story von Edmund Cooper K: Harold Wellman S: John Faure. M: Les Baxter. SpE: Irving Block/ Louis DeWitt/ Jack Rabin. D: Richard Eyer (Timmy Merrinroe), Phillip Abbott (Dr Merrinroe), Diane Brewster (Mary Merrinroe)

JOHNNY MNEMONIC (VERNETZT- JOHNNY MNEMONIC) USA/ CA 1995, F, 96 Min. R: Robert Longo. B: William Gibson, nach seinem Short Story. K: François Protat. S: Ronald Sanders. M: Brad Fiedel. Visual Effects: Fantasy II Film Effects (Super-

244 visor - Gene Warren Jr). SpE. Supervisor: Rory Cutler. Makeup Effects: FX Smith Inc. D: Keanu Reeves (Johnny Smith), Dina Meyer (Jane), Takeshi (Takahashi)

JUDGE DREDD (JUDGE DREDD) USA 1995, E, 96 Min. R: Danny Cannon. B: Steven E. de Souza/ William Wisher, nach dem Comic Strip von Carlos Sanchez Ezquerra/ . K: Adrian Biddle. S: Herry Kerami- das/ Alex Mackie. M: Alan Silvestri. Visual Effects: Mass Illusion (Supervisor - Joel Hynek). SpE. Supervisor: . Makeup Effects: Nick Dudman. Mean Machine Design: Chris Halls D: (Judge Dredd), Armand Assante (Rico), Diane Ladd (Judge Hershey), Rob Schneider (Herman 'Fergie' Ferguson)

JUMPIN’ JACK FLASH (JUMPIN’ JACK FLASH) USA 1986, F, 100 Min. R: Penny Marshall. B: David H. Franzoni/ J.W. Melville/ Patricia Irving/ Christopher Thompson. K: Matthew F. Leonetti. S: . M: Thomas Newman. SpE: Tom Ryba. D: Whoopi Goldberg (Terry Dolittle) Stephen Collins (Marty Phillips) John Wood (Jeremy Talbott)

JURASSIC PARK (JURAASSIC PARK) USA 1993, F, 127 Min. R: Steven Spielberg. B: Michael Crichton/David Koepp, nach dem Roman von Crichton. K: Dean Cundey S: Michael Kahn. M: John Williams. Full Motion Dino- saur Supervisor: . Special Dinosaur Effects Supervisor: Michael Lan- tieri. Dinosaur Supervisor: . Live Dinosaur Supervisor: D: Sam Neill (Dr Alan Grant), Laura Dern (Dr Ellie Sattler), Richard Attenborough (John Hammond), Jeff Goldblum (Ian Malcolm)

THE LAWNMOWER MAN (DER RASENMÄHER-MANN) USA 1992, F, 107 Min. R: Brett Leonard. B: Leonard/ Gimel Everett, frei nach dem Short Story von Ste- phen King. K: Russell Carpenter. S: Alan Baumgarten. M: Jurgen Brauninger. Vis- ual Effects Supervisors: Everett, Leonard/ Jonathon Keeton. Virtual Real- ity/Computer Graphics Sequences: Angel Studios & Xaos Inc. Other Computer Graphics: The Gosney Co & Homer and Associates. Miniature Effects: David Sti- pes Productions Inc (Supervisor: Anthony Doublin). SpE. Supervisors: Frank/ Tom Ceglia/ Paul Haines. Gyrospheres/Cybersuits: Reel FX Inc (Supervisor: Martin Becker). Makeup Effects: Magical Media Industries (Supervisor: John Buechler). D: Jeff Fahey (Jobe Smith), Pierce Brosnan (Dr Lawrence Angelo), Mark Bringle- son (Sebastian Timms).

THE MATRIX (MATRIX) USA 1999, F, 136 Min. R: Andy Wachowski/ Larry Wachowski. B: Larry und Andy Wachowski. K: Bill Pope. S: . M: Don Davis. Sp E. Supervisor: Steve Courtley/ Brian Cox. D: Keanu Reeves (Neo), Laurence Fishburne (Morpheus), Carrie-Anne Moss (Trinity)

245

MULTIPLICITY USA 1996, F, 117 Min. R: Harold Ramis. B: Ramis, Lowell Ganz, Mary Hales, Babaloo Mandel & Chris Miller. K: Laszlo Kovacs. S: Craig Herring. M: George Fenton. Visual Effects: Boss Film Studio (Supervisor - ). SpE: Randy Cabral. D: Michael Keaton (Doug Kinney), Andie McDowell (Laura Kinney), Harris Yulin (Dr Owen Leeds)

THE NET (DAS NETZ) USA 1995, F, 114 Min. R: Irwin Winkler. B: John Brancato/ Michael Ferris. K: Jack N. Green. S: Jimmy Giritlian/ . M: Mark Isham. D: Sandra Bullock (Angela Bennett), Jeremy Northam (Jack Devlin), Dennis Miller (Dr Alan Champion)

THE NIGHT THE WORLD EXPLODED USA 1957, S/W, 64 Min. R: Fred F. Sears. B: Jack Natteford/ Luci Ward. K: Benjamin H. Kline. S: Paul Borofsky. D: Kathryn Grant (Laura 'Hutch' Hutchinson), William Leslie (Dr. David Conway), Tristram Coffin (Dr. Ellis Morton)

PENG, DU BIST TOT D 1987, F, 100 Min. R: Adolf Winkelmann. B: Walter Kempley/ Mathias Seelig. K: David Slama. S: Morgot Löhlein. M: Piet Klocke. SpE: Michael Rupalla. D: Ingolf Lück (Kai Westerburg), Rebecca Pauly (Andrea Flanegan), Hermann Lause (Peters)

A PERFECT COUPLE (EIN PERFEKTES PAAR) USA 1979, F, 110 Min. R: Robert Altman. B: Robert Altman/ Allan F. Nicholls. K: Edmond L. Koons. S: Tony Lombardo. M: Alan F. Nicholls. SpE: Tom Fisher. D: Paul Dooley (Alex Theodopoulos) Marta Heflin (Sheila Shea) Titos Vandis (Panos) Theodopoulos

ROSEMARY’S BABY USA 1968, F, 136 Min. R: Roman Polanski. B: Roman Polanski nach dem Roman von Ira Levin. K: Willi- am A. Praker. S: Sam O’stehen/ Bob Wyman. M: Krzysztof Komeda. D: Mia Farrow (Rosemary Woodhouse) John Cassavetes (Guy Woodhouse) Ruth Gordon (Minnie Castevet)

RUNAWAY (RUNAWAY-SPINNEN DES TODES) USA 1984, F, 99 Min. R: Michael Crichton. B: Michael Crichton. K: John A. Alonzo. S: James Coblentz/ . M: Jerry Goldsmith. Robotic Effects: Broggie Elliott Animation/ Robotic Systems International & Special Effects Unlimited. D: Tom Selleck (Sergeant Jack Ramsey), Cynthia Rhodes (Karen Thompson), Gene Simmons (Charles Luther)

246

SHORT CIRCUIT (NUMMER 5 LEBT!) USA 1986, F, 98 Min. R: John Badham. B: Brent Maddock/ S.S. Wilson. K: Nick McLean. S: Frank Mor- riss. M: David Shire. Visual Effects: DreamQuest. SpE. Design: Syd Mead. SpE. Engineering: Eric Allard D: Ally Sheedy (Stephanie Speck), Steve Guttenberg (Dr Newton Crosby), Fisher Stevens (Ben Jahvri).

SMALL SOLDIERS (SMALL SOLDIERS) USA 1998, F, 110 Min. R: Joe Dante. B: Ted Elliott, Zak Penn, Adam Rifkin, Terry Rossio, Gavin Scott. K: Jamie Anderson S: Marshall Harvey. M: Jerry Goldsmith. D: Gregory Smith (Alan Abernathy), Kirsten Dunst (Christy Fimple), Kevin Dunn (Stuart Abernathy).

SNEAKERS (DIE LAUTLOSEN) USA 1992, F, 126 Min. R: Phil Alden Robinson. B: Robinson, Lawrence Lasker/ Walter F. Parkes. K: John Lindley S: . M: James Horner. SpE. Supervisor: Ken Pepiot D: Robert Redford (Martin Bishop/Brice), Ben Kingsley (Cosmo), Mary McDonnell (Liz)

STRANGE DAYS (STRANGE DAYS) USA 1995, F, 145 Min. R: Kathryn Bigelow. B: / Jay Cocks, nach einem Story von James Cameron. K: Matthew Leonetti. S: Howard E. Smith. M: Graeme Revell. D: Ralph Fiennes (Lenny Nero), Angela Bassett (Lornette "MacE" Mason), Juliette Lewis (Faith Justin)

SUPERMAN III (SUPERMAN III- DER STÄHLERNE BLITZ ) UK 1983, F, 125 Min. R: Richard Lester. B: David & Leslie Newman. K: Robert Paynter. S: John Vitor- Smith. M: Ken Thorne, nach den Themen von John Williams, Songs: Giorgio Moroder. Visual Effects: Roy Field. SpE./ Miniatures: . Additional Special Effects: . Model Effects: Paul Wilson, D: Christopher Reeve (Superman/Clark Kent), Richard Pryor (Gus Gorman), An- nette O’Toole (Lana Lang)

THX 1138 (THX 1138) USA 1971, F, 86 Min. R: George Lucas. B: George Lucas. K: Albert Kihn/ David Myers. S: George Lucas. M: Lalo Shifrin. D: Robert Duvall (THX 1138), Donald Pleasence (SEN 5241), Don Pedro Colley (SRT, the hologram), Maggie McOmie (LUH 3417)

TITANIC USA 1997, F, 194 Min. R: James Cameron. B: James Cameron. K: Russell Carpenter. S: Conrad Buff IV. M: James Horner. SpE: Donald Pennington.

247 D: Leonard DiCaprio (Jack Dawson) Kate Winslet (Rose DeWitt Bukator) Billy Zane (Caldon ‘Cal’ Hockley)

TOY STORY USA 1995, F, 81 Min. R: . B: John Lasseter/ Pete Docter. K: Julie M. McDonald. S: Robert Gordon/ Lee Unkrich. M: Randy Newman. Visual Effects: Mark Adams usw. Ani- mation: Kelly Asbury usw. D: Tom Hanks (Woody, voice) Tim Allen (Buzz Lightyear, voice) Don Rickles (Mr. Potato Head, voice)

TRON (TRON) USA 1982, F, 96 Min. R: Steven Lisberger. B: Steven Lisberger, nach dem Story von Lisberger & Bonnie MacBird. K: Bruce Logan. S: Jeff Gourson. M: Wendy Carlos. Visual Effects Su- pervisors: Harrison Ellenshaw/ Richard Taylor. Computer Animation Supervisor: Taylor. Effects Animation Supervisor: Lee Dyer. D: Jeff Bridges (Kevin Flynn/Clu), David Warner (Dillinger/Sark), Bruce Boxleitner (Alan Bradley/Tron).

VIRTUOSITY (VIRTUOSITY) USA 1995, F, 106 Min. R: Brett Leonard. B: Eric Bernt. K: Gale Tattersall. S: Rob Kobrin/ B.J. Sears. M: Christopher Young. Visual Effects Supervisor: Jon Townley. CGI Effects: L2 Com- munications (Supervisor: Georg Gerber). Tendril Animation: Sony Pictures Im- ageworks. D: (Parker Barnes), Russell Crowe (SID 6.7), Kelly Lynch (Dr Madison Carter)

WAR GAMES (WAR GAMES-KRIEGSSPIELE) USA 1982, F, 113 Min. R: John Badham. B: Lawrence Lasker & Walter F. Parkes. K: William A. Fraker. S: Tom Rolf. M: Arthur B. Rubinstein. Visual Effects: Michael Fink. SpE: Joe Di- gaetano. D: Matthew Broderick (David Lightman), Ally Sheedy (Jennifer Mack), John Wood (Dr Steven Falken)

WELT AM DRAHT D 1973, F, 204 Min. R: Rainer Werner Fassbinder. B: Rainer Werner Fassbinder und Fritz Müller- Scherz. frei nach dem Roman von Daniel F. Galouye. K: Michael Ballhaus. S: Ur- sula Elles. M: Gottfried Hüngsberg. D: Klaus Löwitsch (Fred Stiller), Mascha Rabben (Eva), Adrian Hoven (Vollmer), Ivan Desny (Lause)

WESTWORLD (WEST WORLD) USA 1972, F, 89 Min. R: Michael Crichton. B: Michael Crichton. K: Gene Polito. S: . M: Fred Karlin. Visual Effects: Brent Sellstrom/ John Whitney Jr. SpE: Charles Sculthies.

248 D: Richard Benjamin (Peter Martin), James Brolin (John Blane), Yul Brynner (The Gunslinger)

ZARDOZ (ZARDOZ) USA 1973, F, 106 Min. R: John Boorman. B: John Boorman. K: Geoffrey Unsworth. S: John Merritt. M: David Munrow. SpE: Gerry Johnston. D: Sean Connery (Zed), Charlotte Rampling (Consuella), Sara Kestelman (May).

2001: A SPACE ODYSSEY (2001: ODYSEE IM WELTRAUM) USA/ GB 1968, F, 149 Min. R: Stanley Kubrick. B: Stanley Kubrick & Arthur C. Clarke, nach dem Roman "The Sentinel" von Arthur C. Clarke. K: Geoffrey Unsworth. S: Lay Lovejoy. D: Keir Dullea (Dr. Dave Bowman), Gary Lockwood (Dr. Frank Poole), William Sylvester (Dr. Heywood R. Floyd).

2010 (2010-DAS JAHR, IN DEM WIR KONTAKT AUFNEHMEN) USA 1984, F, 116 Min. R: Peter Hyams. B: Peter Hyams, nach dem Roman 2010 - Odyssey Two von Ar- thur C. Clarke. K: Peter Hyams. S: Mia Goldman. M: David Shire. Visual Effects: Entertainment Effects Group (Supervisor: Richard Edlund). Stop Motion Anima- tion: Randall Cook. SpE: Henry Millar D: Roy Scheider (Dr Heywood Floyd), John Lithgow (Walter Curnow), Bob Bala- ban (Dr Chandra).

249

Versicherung

Hiermit versichere ich, dass ich die Dissertation selbständig angefertigt habe und außer den im Literaturverzeichnis sowie den Anmerkungen genannten Hilfsmittel keine weiteren benutzt und alle Stellen der Dissertation, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinn nach entnommen sind, unter Angabe der Quellen als Entlehnung kenntlich gemacht habe.

Hyung Rae Kim Lebenslauf

Name Kim, Hyung Rae

Geburtsdatum 26.07.1969

Staatsgehörigkeit südkoreanisch

Familienstand verheiratet

Ausbildung

1975- 1980 Grundschule in Youngwol, Gangwon-Provinz

1981- 1983 Mittelschule in Youngwol, Gangwon-Provinz

1984- 1986 Die höhere Schule in Youngwol, Gangwon-Provinz

1987- 1993 Germanistik an der “Hankuk University of Foreign Studies”

1989- 1992 Militärdienst

1994- 1998 Magister in der Germanistik an der „Hankuk University of

Foreign Studies“ in Seoul.

1999- 2000 Deutschkurs in Bochum, Deutschland

2001- 2004 Film- und Fernsehwissenschaft an der Ruhr-Universität

Bochum

Ab 24. Februar 2005 Promotion in der Film- und Fernsehwissenschaft an der

Universität Bochum

01.06.2007-30.12.2007 Dotorandenstipendium aus Mitteln des Deutschen

Akademischen Austauschdienstes (DAAD STIBET-

Programm )

04.02.2008 Abschluss mit der Promotion