Stefanie Fischer: Ökonomisches Vertrauen Und Antisemitische Gewalt
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Stefanie Fischer Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt Hamburger Beiträge zur Geschichte der deutschen Juden Für die Stiftung Institut für die Geschichte der deutschen Juden herausgegeben von Andreas Brämer und Miriam Rürup Bd. XLII Stefanie Fischer Ökonomisches Vertrauen und antisemitische Gewalt Jüdische Viehhändler in Mittelfranken 1919-1939 Gedruckt mit Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung, der Axel Springer Stiftung und der Behörde für Wissenschaft und Forschung, Hamburg Lektorat: Jutta Mühlenberg Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen 14 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond Umschlaggestaltung: Basta Werbeagentur, Steffi Riemann Umschlagbild unter Verwendung der folgenden Abbildung: Viehhändler beim Begutachten von Vieh auf dem Viehmarkt in Augsburg, um 193 (s. a. S. 13 in diesem Band). Druck: Hubert & Co, Göttingen Zugl.: Berlin, Technische Universität, Diss., 1 ISBN (Print) 978-3-353-139-5 ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-2413-8 Inhalt I. Einleitung . 9 II. »Der Viehhandel war fest in jüdischer Hand«? – Sozial- historische Untersuchungen der Viehhandelsgeschäfte . 31 1. Räumliche und quantitative Verteilung jüdischer und nichtjüdischer Viehhandelsbetriebe . 31 . Soziale Schichtung . 46 .1 Das kleine Schmusergeschäft . 47 . Der Großhandelsbetrieb . 50 .3 Das mittelständische Familiengeschäft . 51 Wohnungseinrichtungen 53 — Geschäftsausstattungen 60 — An- gestellte 67 3. Händlerfamilien – Analyse der am Viehhandel beteiligten Personen . 69 3.1 Innerfamiliäre Traditionen . 69 3. Eine konträre Entwicklung: die soziale und räumliche Mobilität von Frauen und Männern aus Viehhändlerfamilien . 72 Heiratspolitik zur Wahrung der jüdischen Tradition 73 — Nürn- berger Viehhändlerfrauen 76 — Von der dörflichen Viehhändlerfrau zur bürgerlichen Hausfrau 78 — Mitarbeitende und selbständige Händlerfrauen 79 — Hausfrauen 81 — Töchter – Ausbreche- rinnen aus der Familientradition 85 — Die Söhne – Bewahrer der Viehhandelstradition 88 — In Bewegung 92 III. »Der Viehhandel war und ist Vertrauenssache«: Vertrauen als konstitutives Element in Viehhandelsbeziehungen . 94 1. Die Funktion von Vertrauen in der Wirtschaftsgeschichte – ein Überblick . 94 Vertrauen als konstitutives Element in sozialen Beziehungen 96 . Vertrauensbildung im freien Viehhandel . 100 .1 Vertrauensbildung durch Kleidung . 100 inhalt . Vertrauenerweckende Gesten und Symbole . 105 Der Handschlag als Geste des Vertrauens 105 — Loben und Berüh- ren 106 — Bezahlpraktiken – Bargeldgeschäfte 109 .3 Grundlagen für Vertrauensgewährung – Handelstechniken . 112 .4 Das Vertrauen störende Handelspraktiken . 120 Vertrauensstörung durch Sprache? – Die Viehhändlersprache 120 – Die Handelspraxis der »Kuhverjüngung« 126 .5 Konfliktfälle – Vertrauenserosion . 129 Methodik 129 — Kränkungen der »Mannesehre« – Fragen der Potenz 131 — Wirtschaftliche Konflikte um Geldgeschäfte 136 3. Konstitution behördlichen Vertrauens . 140 3.1 Institutionalisierung von Vertrauen durch die Schaffung des »reellen Viehhändlers« . 141 Maßnahmen zur Schaffung des »reellen Viehhändlers« 146 — Anti- semitische Rhetorik in der Debatte um den »reellen Viehhändler« 154 3. Konstitution behördlichen Vertrauens durch staatlich subventionierte Viehverwertungsgenossenschaften . 156 Entstehung der Viehverwertungsgenossenschaften 156 — Ambitio- niertes Ziel der Viehverwertungsgenossenschaften: Die Senkung der Schlachtviehpreise 159 — Mangelndes Vertrauen in die Vertrauens- männer der Viehverwertungsgenossenschaften 167 3.3 Die Viehmarktpolitik der Kleinstädte: Vertrauen in den Mittelstand 171 Bedeutungsverlust der dezentralen Viehmärkte 171 — Das Ringen mit dem Bedeutungsverlust: Die Wiedereinführung der dezentralen Viehmärkte 175 3.4 Störung der Vertrauensbeziehungen durch rassistische Attacken . 180 Die Ausgangsposition der NSDAP in Mittelfranken 181 — Beginn der rassistischen Hetze gegen jüdische Viehhändler 186 — Ver- breitung des Rassenantisemitismus 187 — Boykottandrohungen und erste Existenzvernichtungen durch das bayerische Schächtver- bot 190 — Einbruch der Vertrauensbeziehungen 195 I V. Zerstörung der Vertrauensbeziehungen durch Gewalt: Die Verdrängung von Juden aus dem Viehhandel unter nationalsozialistischer Gewaltherrschaft . 200 1. Gewalt und Terror als Instrumente zur Herstellung sozialer Distanz (1933-1935) . 200 . Rassistische Viehhandelspolitik versus ökonomisches Vertrauen . 210 6 inhalt .1 Exklusion aus dem öffentlichen Raum . 212 Ausschluss aus dem Berufsverband 213 — Aprilboykott 1933: Mar- kierung der Gegner und Verunsicherung der Kunden 214 — Re- aktionen der Bauern auf die rassistische Boykottpolitik 216 — Eine »fränkische Spezialität«: Ausschluss von Juden aus den Or- ten 217 — Reaktionen jüdischer Viehhändler auf die Ausgrenzung aus den Ortschaften 219 — Der Ausschluss der jüdischen Vieh- händler von den Viehmärkten 220 — Das Verbot der »jüdischen Geschäftspraktiken« 229 — Reaktionen der jüdischen Viehhändler auf die Ausgrenzung von den Märkten 230 — Nationalsozialistische Bauern halten an bestehenden Handelsbeziehungen fest 231 . Behördlicher Vertrauensentzug – Verwehrung der Handelserlaubnis 234 Verschärfter Druck von oben 241 — Die Kreisbauernschaften for- cieren die Ausgrenzung von jüdischen Viehhändlern 243 — Wach- sendes Misstrauen: »… und traut ein Bauer dem andern nicht.« 245 — Das Terrorinstrument der »Schutzhaft« zur Durch- setzung persönlicher Verfügungsgewalt 249 — Auswirkungen auf die jüdischen Händler 253 .3 Vorbereitung und Durchsetzung des Berufsverbots . 256 Die Suche nach Ausschlussmöglichkeiten 256 — Die Bezirksämter drängen auf eine Weisung der Reichsregierung 258 — Erodierendes Vertrauen zwischen jüdischen Viehhändlern und Bauern 261 — End- gültiges Berufsverbot und »Arisierung« der jüdischen Betriebe 270 3. Zerbrochenes Vertrauen – Raub und Ausplünderung vertrauter Handelspartner . 275 Antisemitische Gewalt im Frühjahr und Spätsommer 1938 276 — Ausschreitungen während dem Novemberpogrom 279 — Flucht und Auflösung der jüdischen Gemeinden 287 — Weiterleben in der Emigration 289 V. Schluss . 292 Abkürzungsverzeichnis . 304 Literatur- und Quellenverzeichnis . 306 Bildnachweis . 356 Dank . 357 Register . 360 7 I. Einleitung Nachdem der Gemeinderat Gunzenhausen seit 1933 mit allen Mitteln versucht hatte, Juden aus der lokalen Viehwirtschaft auszuschließen, räumte ein Mitglied im Jahr 1934 ein: »Die Juden brauchen wir, weil ich noch heute mein Vieh ohne Juden nicht an den Mann bringen kann. Die christlichen Viehhändler wollen nämlich das Vieh stets unter dem Preis kaufen, was bei den Juden nicht der Fall ist.«1 In diesem Zitat klingt ein historisches Phänomen an, dessen Analyse im Mittelpunkt der vorliegen- den Studie steht, nämlich die Bedeutung der »jüdischen Viehhändler« für den ländlichen Raum. Obwohl gemeinhin davon ausgegangen wird, dass Juden ein Monopol im Viehhandel innehatten – laut einer Legende waren die Mehrzahl der deutschen Juden Nachkommen einer Viehhänd- lerfamilie – wurde diese Berufsgruppe von der Geschichtswissenschaft bisher sträflich vernachlässigt.3 1 Bericht der Polizeistation Heidenheim, 15.11.1934, in: Staatsarchiv Nürnberg (StAN), BA Gunzenhausen 441, zitiert nach: Ian Kershaw, Antisemitismus und Volksmeinung. Reaktionen auf die Judenverfolgung, in: Martin Broszat / Elke Fröhlich (Hrsg.), Bayern in der NS-Zeit. Herrschaft und Gesellschaft im Konflikt, München / Wien 1979, S. 281-34, hier S. 3. Der Begriff »jüdische Viehhändler« birgt Sprengkraft in sich, da er nicht selten von Antisemiten als Synonym für Betrüger und »Wucherer« benutzt wurde. In der vorliegenden Studie sind mit »jüdischen Viehhändlern« Personen gemeint, die ein Viehhandelsgeschäft betrieben haben und im Sinne der nationalsozialistischen Rassengesetze als »Juden« galten. Es wird – aufgrund einer leichteren Lesbarkeit – darauf verzichtet, den Begriff »jüdische Viehhändler« in Anführungszeichen zu setzen. Im ersten Kapitel wird aufgezeigt, welche unterschiedlichen Akteure – vom Schmuser bis zum Großhändler – unter dem Begriff »jüdische Viehhändler« zusammengefasst sind. 3 Die Pionierstudie von Monika Richarz beschäftigt sich ausschließlich mit jüdi- schen Viehhändlern im 19. Jahrhundert und streift diese Aspekte nur am Rande, siehe: dies., Viehhandel und Landjuden im 19. Jahrhundert. Eine symbiotische Wirtschaftsbeziehung in Südwestdeutschland, in: Julius H. Schoeps (Hrsg.), Me- nora. Jahrbuch für deutsch-jüdische Geschichte, München 199, S. 66-; einen guten historischen Überblick über diese Berufsgruppe bieten verschiedene Ar- beiten von Robert Uri Kaufmann, unter anderem: ders., Die Behejmeshändler. Oder der Alltag der jüdischen Viehhändler in Zentraleuropa vor und nach der rechtlichen Gleichstellung und dem Ausbau des Eisenbahnnetzes, in: Geschichts- werkstatt (19), H. 15, S. 7-1; ders., Zum Viehhandel der Juden in Deutschland und der Schweiz – bisherige Ergebnisse und offene Fragen, in: ders. / Carsten Kohlmann (Hrsg.), Jüdische Viehhändler zwischen Schwarzwald und Schwäbi- scher Alb. Vorträge der Tagung der Arbeitsgemeinschaft Jüdische Gedenkstät- 9 einleitung Über Jahrhunderte nahmen jüdische Viehhändler als klassische Mittels- männer zwischen Stadt und Land eine zentrale Position in der deutschen Agrargeschichte ein. Als Viehein- und Viehverkäufer sowie als Kredit- geber prägten sie