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Sendung vom 20.04.2005, 20.15 Uhr

Holger Obermann Sportreporter im Gespräch mit Dr. Wolfgang Habermeyer

Habermeyer: Lieber Zuschauerinnen und Zuschauer, ich begrüße Sie zum heutigen alpha-forum und zu einem, wie ich denke, wirklich interessanten Gespräch. Ich deute mal kurz an, um was es heute gehen wird: Wir werden über , über , über Amerika, über Kamerun, über Gambia usw. sprechen. Sie denken, wir haben heute einen Weltreisenden zu Gast? Ja, wir haben einen Weltreisenden zu Gast. Allerdings wird es heute in unserem Gespräch um den Fußball gehen. Die für mich prägnanteste Aussage unseres Gastes lautet: "Der Fußball ist eine humanitäre Leistung." Ich begrüße bei uns im Studio Holger Obermann. Obermann: Vielen Dank. Habermeyer: Schön, dass Sie zu uns gekommen sind. Obermann: Ich freue mich auch darüber. Habermeyer: Sie sind dem Publikum in Deutschland eigentlich als Sportreporter bekannt, aber Sie sind seit vielen, vielen Jahren in der Welt unterwegs und machen Fußballentwicklungshilfe. Kann man das so sagen? Obermann: Ja, das kann man pauschal durchaus so sagen. Habermeyer: Seit wann machen Sie das denn schon? Obermann: Eigentlich seit 1975. Damals war ich noch bei der ARD: Da gab es in regelmäßigen Abständen immer mal wieder Nachfragen der Bundesregierung und auch des deutschen Fußballbundes, ob ich nicht mal Lust hätte, für vier Wochen Seminare in Westafrika oder Asien zu leiten. Ich habe das gemacht, so oft das meine Zeit zuließ. Und dann kam ein einschneidendes Erlebnis: Die ARD hat nämlich im Jahr 1989/90 die Übertragungsrechte für die deutsche Fußballbundesliga verloren. Die Bundesregierung sagte damals zu mir: "Das wäre doch jetzt ein Grund für Sie, um auch mal länger ins Ausland zu gehen. Sie haben für uns in der Zwischenzeit an die 20 Kurzzeiteinsätze gemacht. Wir möchten Sie jetzt gerne mal für einen längeren Einsatz in die Welt schicken, damit Sie dort für uns auch mal kontinuierliche Arbeit machen können." Ich sollte nach Nepal geschickt werden; das war kurz nach den damaligen blutigen Unruhen im Jahr 1990. Ich besprach das mit meiner Frau und sagte: "Ich bin jetzt 25 Jahre bei der ARD und habe eigentlich unglaublich viel erlebt dabei. Ich bin aufgrund meiner Arbeit für die ARD viel um die Welt gereist, habe vier Fußballweltmeisterschaften mitgemacht, war vier Mal bei den Olympischen Spielen usw. Das ist doch jetzt eine gute Möglichkeit, um einen Absprung zu machen. Diese 25 Jahre waren wunderschön, aber irgendwann möchte ich doch noch einmal eine andere Herausforderung suchen." Und so habe ich dieses Nepal-Angebot über vier Jahre angenommen. Eigentlich wollte ich dann anschließend wieder zum damaligen Süddeutschen Rundfunk zurückkehren. Aber daraus ist nie mehr etwas geworden, weil ich seit 1989/90 nun quasi in einem Stück in Asien gewesen bin. Habermeyer: Ich habe im Zuge der Recherche viele Artikel über Sie gelesen und ich habe dabei über viele Jahre hinweg immer wieder folgende Bemerkung über Sie gefunden: "Jetzt kommt er nach Hause zurück und wird bleiben!" Wenn man sich dann aber den nächsten Artikel ansieht, dann stellt man fest, dass dieser Holger Obermann bereits kurz danach erneut unterwegs ist. Stimmt es eigentlich, dass das damals, als Sie diese Kurzzeiteinsätze gemacht haben, immer Ihre Urlaubszeit gewesen ist? Obermann: Ja, es war meine Urlaubszeit, aber zuweilen wurde ich auch "befreit", wie das so schön heißt bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ich bekam also acht Wochen unbezahlte Freistellung: In dieser Zeit bekam ich natürlich von der ARD kein Gehalt, aber dieses Gehalt hat dann für diese Zeit das Auswärtige Amt übernommen. Ich habe das also entweder wirklich in meinem Urlaub gemacht; das bekam mir aber auf die Dauer nicht so gut, denn das war doch jedes Mal eine sehr harte Arbeit draußen in der so genannten “Dritten Welt”. Als ich dann wieder zurück in die doch recht stressige Arbeit beim Fernsehen gekommen bin, habe ich mir doch oft gedacht, dass ich den Urlaub schon auch für mich und meine Familie brauche. Es war dann also besser, wenn ich dafür unbezahlten Urlaub genommen habe. So hat sich das eben von 1975 bis 1989 hingezogen: Ich habe immer wieder diese Kurzzeiteinsätze draußen in der "Dritten Welt" gemacht. Die ARD hat dazu immer gesagt: "So lange dieser unser Mann draußen auch Medienarbeit macht, den Menschen in den Drittweltländern also auch so ein bisschen erklärt, wie man vor und hinter der Kamera arbeitet, so lange ist das schon in Ordnung für uns." Ich habe ja z. B. auch das Fernsehteam in Kamerun auf die WM in Italien vorbereitet. Weil ich das gemacht habe, hat der Süddeutsche Rundfunk natürlich auch immer sagen können: "Wir können das verantworten! Er hat zwar hier bei uns auch eine verantwortungsvolle Position, aber wir schicken ihn hinaus, weil er dort eben auch Medienarbeit macht und sein Wissen, das, was er bei uns in der ARD gelernt hat, ein bisschen weitergibt." Das war also immer so eine Kombination aus Medienberatung und Fußball. Habermeyer: Ich würde gerne noch einmal auf meinen Eingangssatz zurückkommen. Ich habe diesen Satz von Ihnen in einem Interview mit einer Zeitung gelesen: "Fußball ist eine humanitäre Leistung." Sie kamen im letzten Jahr aus einem Land zurück, bei dem man sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass dort Fußball gespielt wird. Sie haben dort den Fußball aber tatsächlich wieder aufgebaut, Sie kamen nämlich im letzten Jahr aus Afghanistan zurück. Wie lange waren Sie in Afghanistan? Obermann: Wenn man alles zusammenzählt - mal ein Vierteljahr, mal fast ein halbes Jahr, dann wieder ein Vierteljahr usw. -, dann war ich seit 2002 fast eineinhalb Jahre in Afghanistan. Ich bin auch nach wie vor Berater des afghanischen Fußballverbandes und stehe damit nicht mehr in Diensten der Bundesregierung, also des Auswärtigen Amtes: Ich stehe damit heute in Diensten des Fußballweltverbandes. Ich berate dieses Land also nach wie vor. Wir haben dort erst kürzlich einen Sportplatz eingeweiht, der von dem sehr bekannten Präsidenten des Deutschen Sportbundes, nämlich von Manfred von Richthofen, finanziert worden ist. Er hatte nämlich anlässlich seines 70. Geburtstages gesagt: "Ich möchte keine Geschenke, ich habe ohnehin alles. Ich möchte nur eines, ich möchte den Herrn Obermann bei seiner Arbeit in Afghanistan unterstützen. Bitte, liebe Geburtstagsgäste, bringt mir statt Geschenken einen Scheck mit." So sind 20000 Euro zusammengekommen und wir haben damit kürzlich abseits von Kabul in der Provinz einen wunderschönen Sportplatz gebaut. Denn wir sind der Ansicht, dass wir bei diesen Einsätzen auch immer wieder raus aus den Großstädten müssen: Wir dürfen diese Arbeit nicht nur auf die Großstädte konzentrieren. Wir haben einen Platz gebaut, der eigentlich eine Art von Multifunktionsanlage darstellt, sodass ihn Jungen und Mädchen gleichermaßen nutzen können. Man kann dort Handball, Fußball, Basketball und Volleyball spielen. Das war wirklich eine wunderschöne Sache und es kamen auch Tausende von Menschen zur Einweihung: und dies gerade in einer Gegend, die nach wie vor sehr gefährlich ist, weil dort in dieser Gegend immer noch sehr viele Landminen liegen. Denn dort hat damals dieser entscheidende Kampf zwischen den Taliban und der Nordallianz stattgefunden. Wir haben das aber trotzdem in dieser Gegend gemacht, weil wir wussten, dass gerade dort die Kinder so unglaublich viel gelitten haben. Und damit bin ich fast schon bei Ihrer Frage nach der humanitären Aufgabenstellung angelangt. Gerade dort konnten die Kinder nämlich über fünf, sechs Jahre noch nicht einmal vor die Tür gehen, weil das Spielen auf der Straße verboten war, weil das Musikmachen verboten war. Auch die Schulen konnten sie fast gar nicht mehr besuchen, denn die Schulen dort waren durch den Bürgerkrieg fast alle zerstört worden. Ich finde, dass eben gerade dort der Sport so phantastisch gut greift. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass die Kinder dort so enorm viel nachzuholen haben: Sie wollten einfach auch ihren Freiheitsdrang mal wieder richtig zur Geltung bringen! Die Kinder kamen wirklich zu Tausenden auf uns zu! Ich übertreibe hier nicht. Sie wollten einfach nur gerne Fußball spielen. Wenn wir von Handball, Volleyball und Basketball sprechen, dann muss man sagen, dass damit die Mädchen zu ihrem Recht gekommen sind. Beim Fußball kamen vor allem die Buben und männlichen Jugendlichen – obwohl die doch den Fußball gar nicht groß gekannt haben. Habermeyer: Das wollte ich gerade fragen. Woher wussten diese Kinder denn vom Fußball? Sie hatten und haben keinen Fernseher, durften in den Jahren davor selbst nicht spielen: Woher wussten sie dann davon? Obermann: Das ist eine gute Frage: Sie wussten am ehesten noch von ihren Väter etwas über den Fußball. Man muss hier wirklich bedenken, dass in Afghanistan 23 Jahre lang blutigster Krieg geherrscht hat: Zuerst hatte es diese russische Invasion gegeben und dann diesen langen Bürgerkrieg, der wirklich viel Unheil über dieses Land gebracht hat. Und dann kam dieses doch sehr barbarische Regime der Taliban. Die Menschen hatten in all diesen Jahren so viele Sorgen, dass sie sich ihre Lebensfreude kaum noch erhalten konnten: Dazu gab es einfach keinen Grund mehr. Und genau hier setzt eben der Fußball an. Er hat nämlich meiner Meinung nach sehr, sehr viele soziale Komponenten und auch Möglichkeiten: Er gibt den Kindern zuerst einmal wieder eine Beschäftigung, sodass sie wieder etwas tun können. Es hatte in all den Jahren ja noch nicht einmal Schulen gegeben. Erst jetzt beginnt so langsam der Schulaufbau Früchte zu tragen. Die Kinder finden zueinander, sie kommunizieren wieder miteinander, sie treffen sich wieder usw. Sie lebten ja völlig zerstreut und vereinzelt: Die eigenen Freunde waren in alle Himmelsrichtungen zerstreut worden. Und sie lernen z. B. Fairplay untereinander kennen, ebenso wie Rücksichtnahme usw. Und es kommt noch etwas hinzu, das man meiner Meinung nach eigentlich allen Kindern der Welt selbstverständlich zubilligen und verschaffen muss: Sie gewinnen wieder Lebensfreude. Denn Lebensfreude hatten diese Kinder in all den Jahren davor so gut wie überhaupt keine mehr. Wenn sie dann Fußball spielen, merkt man als Beobachter, wie da auf einmal nach einem gelungen Torschuss wieder Jubel aufkommt, wie da mit großer Freude ein Sieg gefeiert wird. Ich denke, die Kinder lernen dabei, dass sie in dieser Zeit des Aufschwungs, den Afghanistan momentan erlebt, dennoch auch immer wieder mit Niederlagen fertig werden müssen. Denn so etwas kann man ja gar nicht verhindern... Habermeyer: Wenn einer gewinnt, verliert ein anderer. Obermann: Ja, im Fußball sind die Gesetze nun einmal so. Ich sage immer, dass der Fußball mit seiner relativ einfachen "Gesetzgebung" ein gutes Beispiel für andere Bereiche des Lebens vorgibt: An diese Gesetze bzw. Regeln muss man sich halten. Da gibt es einen Schiedsrichter, der zu entscheiden hat und dessen Entscheidung respektiert werden muss – so weit man davon ausgehen kann, dass die Schiedsrichter... Habermeyer: ... korrekt pfeifen. Aber davon gehen wir jetzt mal aus. Obermann: Ja, aber manchmal ist gerade das dort ein sehr heikles Thema. Die Kinder lernen jedenfalls, dass sie sich an gewisse Spielregeln zu halten haben. In meinen 25 Jahren draußen in der Welt in der Entwicklungshilfe habe ich in der Tat gelernt, dass durch diese Spielregeln bei den Kindern auch ein ganz anderes Verständnis entsteht für die Regeln, die man ihnen später in der Schule und dann auch in der Gesellschaft schlechthin auferlegt. Ich glaube, damit habe ich ein bisschen angedeutet, was ich unter humanitären Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Fußball verstehe. Natürlich kommen da noch solche Dinge wie z. B. der Frauenfußball mit dazu. Wir haben mit dem Start zum Mädchenfußball doch ein ganz kleines Tor aufgestoßen, um das weibliche Geschlecht wirklich in die Gesellschaft zurückzubringen. Ich sage immer wieder: Der Frauenfußball war nur ein winziges Tor, aber immerhin. Eine weitere humanitäre Maßnahme war z. B. unsere Arbeit mit den Behinderten. Habermeyer: Das wollte ich gerade fragen. Denn es gibt in Afghanistan ja unglaublich viele Menschen, die als Minenopfer mit Behinderungen leben müssen. Denn diese Minen liegen ja bis heute nicht entschärft in vielen Gegenden Afghanistans herum. Obermann: Ich würde sagen, zwei Dritteln der Behinderten, die heute in Afghanistan leben, sind Opfer von Landminen, ein Drittel hat die Behinderung im Krieg selbst erlebt. Wir haben dort in Afghanistan u. a. eine Behinderteninteressengemeinschaft gegründet. Wenn ich hier "wir" sage, dann muss ich immer wieder betonen, dass das kein Alleingang von mir gewesen ist, denn an meiner Seite war Ali Askar Lali, ein ehemaliger Afghane, der inzwischen deutscher Staatsbürger geworden ist. Er ist damals mit der gesamten afghanischen Fußballnationalmannschaft nach dem Einmarsch der Russen nach Deutschland emigriert: Fast diese gesamte Mannschaft lebt heute noch in Paderborn und viele der Spieler haben deutsch-afghanische Familien gegründet. Er ist mir zur Seite gestellt worden und er hat wirklich eine tolle Arbeit gemacht. Er hat mir wirklich unglaublich viele Türen geöffnet in Afghanistan: auch mit seiner Lebensphilosophie, mit seiner Kenntnis all der islamischen Regularien usw. Er hat mir sehr viel geholfen. Mit ihm zusammen haben wir also diesen Behindertenfußball aufgebaut. Daneben haben wir den Schulfußball wieder aktiviert: Es war sehr wichtig, dass die Kinder heute in den Schulpausen auch wieder Fußball spielen können. Denn in den Schulen in Afghanistan gibt es jetzt in der Aufbauphase natürlich immer noch sehr viele und große Pausen für die Kinder. Da hat eine Klasse meinetwegen von acht Uhr bis neun Uhr Unterricht und dann wieder eine lange Pause. Warum? Weil an einer Schule oft bis zu 4000 Kinder unterrichtet werden. Aus diesem Grund entstehen jeweils sehr große Pausen für sie, in denen sie warten müssen, bis die nächste Unterrichtstunde für sie beginnt. Es war daher sehr wichtig, dass wir sie da mit dem Fußball beschäftigen konnten. Und daneben haben wir natürlich auch noch an den Straßenfußball gedacht, also an das, was ich selbst noch in meiner Kinder- und Jugendzeit erlebt habe. Uns hat damals der Straßenfußball in Kassel – dort, in dieser vom Krieg sehr zerstörten Stadt bin ich nämlich aufgewachsen – sehr viel gegeben: Wir hatten auch keine Lebensfreude mehr, wir hatten auch keine Perspektiven mehr. Aber der Fußball hat uns die Lebensfreude und die Perspektive zurückgebracht, wenn eine Straße gegen die andere Straße gespielt hat. Und diese positiven Erfahrungen aus meiner eigenen Jugend habe ich mitgenommen dorthin und mir gedacht, dass das doch auch etwas für Afghanistan wäre. Und so haben wir über das Radio einen Aufruf gemacht, dass sich Straßenfußballmannschaften gründen sollten. Sie sollten dann einfach beim Fußballverband im Stadion vorbeikommen und sich als eine Mannschaft aus dem und dem Stadtteil registrieren lassen. Und da kamen dann 80000 Fußballer zusammen. Ich habe mir gedacht, dass wir da eine Lawine ins Rollen gebracht haben. Habermeyer: 80000 Mannschaften oder Spieler? Obermann: Oh, habe ich soeben 80000 gesagt? Nein, 80 Mannschaften waren es, denn 80000 wären dann schon wirklich eine weltweit beachtetes Ereignis. Es kamen also 80 Straßenfußballmannschaften zusammen: Diese mussten wir dann natürlich auch mit Bällen und Schuhen versorgen. Und wir mussten ihnen auch unsere Trainer an die Hand geben, die wir freilich inzwischen ausgebildet hatten. Das waren viele ehemalige afghanische Fußballspieler, die noch vor der russischen Invasion tätig gewesen waren. Damals war Afghanistan übrigens eine gute Fußballnation gewesen. Wir haben dort also den Fußball keineswegs neu erfunden. Ich denke, es war wirklich ein ganz wichtiger Meilenstein, dass wir diese Trainer ausgebildet haben: Nach zwei Jahren waren es fast 400 Trainer. 200 davon haben wir nach B-Lizenz-Kriterien ausgebildet und die anderen 200 haben wir immerhin motiviert. Denn in diesem kurzen Zeitraum kann man einfach nicht 400 Trainer auf diesem Niveau ausbilden. Aber wir haben auch diese anderen 200 motiviert und ihnen gesagt, worum es geht. Danach dann haben wir sie vor allem in die Schulen geschickt. Die besten Trainer, die wir in unseren Seminaren kennen gelernt haben, haben wir dann zum Mädchenfußball geschickt, um dort Frauentrainerinnen anzulernen. Habermeyer: Sie haben die besten Trainer dorthin geschickt? Obermann: Ja, wir haben die besten Trainer dorthin geschickt, diejenigen, die eben auch mit der notwendigen Sensibilität an diese Aufgabe herangehen konnten. Die Mädchen durften nämlich zunächst einmal nur in Turnhallen trainieren und die Türen der Hallen wurden zugesperrt. Das ist alles gerade mal zwei Jahre her! Es durften keine Männer zusehen: Der einzige Mann, der da mit dabei war, war der Trainer. Die Mädchen spielten dabei alle in Trainingsanzügen, die wir ebenfalls aus unseren Projektmitteln bezahlt haben. Diese Projektmittel bei unseren Einsätzen sind allerdings immer nur sehr beschränkt: Wir können dabei keineswegs aus dem Vollen schöpfen, sondern brauchen schon auch immer wieder Sponsoren. Ich hatte aber in Afghanistan auch wirklich Sponsoren – vielleicht können wir später noch kurz auf sie eingehen. Die Mädchen trugen also zu Beginn alle Trainingsanzüge und darüber hinaus auch alle Kopftücher. Mittlerweile hat sich das jedoch alles sehr gelockert. Fußballspielende Mädchen sind inzwischen in Kabul überall zu finden. Wir begannen mit zwölf Mädchen und waren schon alleine wegen dieser Zahl sehr stolz. Heute sind es, wenn ich mich nicht irre, 400 Mädchen. Frauen gibt es jedoch noch nicht: Die Frauen tragen nach wie vor Burkas und entziehen sich eigentlich immer noch der Gesellschaft schlechthin, wie ich finde. Sie wirken auch sehr bedrückt und haben immer noch Angst vor irgendwelchen Anfeindungen oder auch Angriffen, wie das ja in der Taliban-Zeit tatsächlich so geschehen war. Der Mädchenfußball in Afghanistan ist ja vor zwei Jahren noch von sehr vielen sehr kritisch beäugt worden – auch von vielen hier in Deutschland. Aber ich würde schon sagen, dass auch das wieder eine echte humanitäre Aufgabe gewesen ist. Den Anlass, mit Mädchenfußball zu starten, haben wir selbst gar nicht gegeben. Eines Tages gab es einen Empfang beim deutschen Botschafter in Kabul, der übrigens unser Projekt in jeder Beziehung sehr unterstützt hat. Er hat durchaus auch mal zu uns gesagt: "Jetzt fahren Sie doch auch mal in die Provinz. Aber nicht nach Herat, weil es dort gerade Unruhen gegeben hat. Fahren Sie lieber nach Kundus, weil es dort im Augenblick friedlich ist." Bei einem solchen Empfang des Botschafters lernten wir die Frauenministerin kennen. Wir sprachen dabei auch über die allmähliche Rückkehr des Sports an die Mädchenschulen. Sie sagte zu uns, dass dort an diesen Schulen mittlerweile auch wieder Basketball und Handball gespielt würde und dass es daneben auch Sportarten wie Karate, Taekwondo oder Judo gäbe, weil auch diese Sportarten immer mehr Anerkennung fänden. Sie fragte uns: "Warum sollten die Mädchen eigentlich nicht auch Fußball spielen?" Habermeyer: Der Vorschlag kam also von ihr? Obermann: Ja, der kam von ihr. Ali und ich waren darüber natürlich völlig erstaunt. Aber wir haben uns sofort gesagt: "Eigentlich kann uns doch nichts Besseres passieren als dieser Ratschlag der Ministerin." Habiba Sarabi ist eine sehr angesehene Frau und eine sehr wichtige Ministerin in Afghanistan. Und so kam eben dieser Kontakt zustande: Sie nannte uns Schulen und Lehrerinnen, die aufgeschlossen waren für dieses Projekt. Wir haben auch wirklich beste Erfahrungen gemacht mit den Lehrerinnen dort, die allerdings zum großen Teil aus dem Asyl zurückgekehrt waren: vor allem aus dem Iran, aus Pakistan, aus Europa usw. Aus diesem Grund waren diese Frauen ohnehin etwas moderner in ihrer ganzen pädagogischen Auffassung. Wir haben mit ihnen zusammen einen Arbeitskreis gebildet: So entstand dieses Projekt Mädchenfußball. Inzwischen gibt es dieses Projekt auch in den Provinzen und auch in diesem Projekt bzw. an dieser Sportstätte, die ich zu Beginn erwähnt hatte. Diese Sportstätte heißt übrigens "von Richthofen-Playground". Wir hatten uns nämlich gesagt, dass wir genau dort ein Zentrum für Mädchenfußball gründen werden. Und dann kam mir eben der Jürgen Klinsmann sehr entgegen. Das wird nun für viele Zuschauer vielleicht sehr überraschend klingen, aber ich muss einfach dazusagen, dass ich den Jürgen Klinsmann schon seit vielen Jahren kenne. Habermeyer: Aus Ihrer Stuttgarter Zeit? Obermann: Ja, auch, und natürlich aus meiner Zeit als Kommentator von Länderspielen. Wir haben ganz einfach ähnliche Ansichten über die Förderung von Jugendlichen im Fußball. Er leitet jedenfalls eine Institution, die sich "streetfootballworld" nennt und in Berlin sitzt. Diese Einrichtung fördert den Straßenfußball sehr und aus diesem Grund will man im Jahr 2006 während der Fußballweltmeisterschaft in Deutschland eine Straßenfußball-WM durchführen. Dabei werden dann viele Mannschaften auch aus Drittweltländern teilnehmen. Er hat mich durch sein Team mal ganz spontan anschreiben lassen und mich gefragt: "Wäre es nicht eine Idee, hier mal eine Achse zwischen Berlin und Kabul aufzubauen? Wir stellen die Sportkleidung zur Verfügung, wir sind bereit, mit Rat und Tat zu helfen. Und wir möchten dann im Jahr 2006 eine Frauenfußballmannschaft oder eine Jugendmannschaft zu dieser Straßenfußball-WM nach Berlin einladen." Ich denke, für den Frauenfußball in Afghanistan ist das noch zu früh, aber wir werden eine Straßenfußballmannschaft mit Jungs nach Deutschland schicken: 20 junge Burschen unter 15 Jahre alt. Das wird nicht nur für sie eine ganz große Sache werden. In Afghanistan ist man natürlich noch nicht so weit, um sich mit der eigentlichen Nationalmannschaft für so eine Weltmeisterschaft qualifizieren zu können. Aber dort sagt man sich eben jetzt: "So, das machen nun unsere jungen Leute! Wir nehmen nämlich auf diese Weise doch an der Fußball-WM teil!" So, das war jetzt natürlich sehr viel geredet von mir... Habermeyer: Überhaupt kein Problem, denn das ist ja alles hoch interessant, was Sie erzählen. Ist es denn so, dass die Mädchen, wenn sie in Afghanistan Fußball spielen, von ihren Müttern dabei akzeptiert werden? Oder stellt das ein Problem dar? Obermann: Das ist kein Problem, weil eigentlich nur diejenigen Mädchen Fußball spielen, die von ihrer Mutter oder von ihrem Vater – so weit beide noch vorhanden sind, denn viele Kinder haben ja in diesem Krieg ihre Eltern oder einen Elternteil verloren – die Erlaubnis dafür bekommen haben. Wir haben darauf wirklich großen Wert gelegt: Wir haben von jedem Mädchen eine Bescheinigung bekommen, auf der die Eltern erklärt haben, dass sie einverstanden sind damit, dass ihre Tochter Fußball spielen darf. Es wurde uns dabei auch immer wieder schriftlich mitgeteilt, dass das aber bitte schön nicht in der Öffentlichkeit stattfinden dürfe. Im ersten Jahr haben die Mädchen also nur in diesen Hallen gespielt: Es wurde wirklich sehr streng darauf geachtet, dass diese Hallen verschlossen waren, dass draußen Wachposten aufgestellt waren. Die Mädchen fühlten sich dadurch zunächst einmal doch wohler. Aber das hat sich gelegt. Bei den Mädchen hat sich nämlich recht schnell eine gewisse Flexibilität bemerkbar gemacht. Und sie hatten natürlich auch das Bemühen und den Willen: "Wir möchten endlich auch mal rauskommen!” Denn früher war es ja auch schon so gewesen, sie hatten auch früher Sport treiben können, aber es bestand eben dabei immer die Gefahr, dass die Taliban ganz fürchterlich dazwischen gegangen sind. Die Mädchen mussten also, egal welchen Sport sie ausgeübt haben, heimlich spielen. Sie sagten sich daher: "Wenn wir heute in der Halle spielen, dann ist das ja das Gleiche! Da spielen wir ja auch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Nein, wir möchten endlich mal raus!" Auch dieser Vorschlag kam also nicht von uns. Wir haben nicht gesagt, dass sie jetzt endlich auch mal in diesem Stadion von Kabul spielen sollten, in diesem Stadion mit dieser schrecklichen Vergangenheit, weil dort eben auch Hinrichtungen stattgefunden haben. Aber das ist nun einmal der einzige Sportplatz in ganz Kabul. Nein, die Mädchen haben uns von sich aus über ihre Eltern sagen lassen, dass sie endlich raus möchten. Die Eltern meinten, wenn die Mädchen weiterhin in Trainingsanzügen und mit Kopftüchern spielen, dann ist das kein Problem, dann dürfen sie auch Turniere austragen. Und so haben wir das dann eben auch gemacht. Ich bin ja erst vor kurzem von dieser Sportplatzeinweihung zurückgekommen: Dabei fand parallel das erste Mädchenfußballturnier mit sage und schreibe 14 Mannschaften statt. Ich sage Ihnen: In dieser kleinen Halle herrschte eine Begeisterung, die kaum beschreibbar ist. Rein spieltechnisch war das natürlich noch nichts, das ist klar. Dort in der Halle spielten sieben Mädchen gegen sieben Mädchen und alle, wirklich alle sprangen immer gleichzeitig auf den Ball zu. Das sah eigentlich eher aus wie auf einer Hühnerfarm mit der Mutterhenne mittendrin und den kleinen Küken drum herum. Es war also nicht gerade ein erhebender Anblick für Fußballästheten. Aber diese Freude! Diese Freude, um den Ball zu kämpfen! Diese Lebensfreude hätten Sie miterleben müssen, die diese Mädchen ausgestrahlt haben! Für uns war das wirklich ein ganz tolles Erlebnis. Und da spielte dann auch die Frage, wer denn eigentlich gewonnen hat, überhaupt keine Rolle mehr. Habermeyer: Immer dann, wenn Sie im Ausland Trainer gewesen sind, wenn Sie selbst Trainer ausgebildet haben – Sie dürften wahrscheinlich in Ihrem Leben mehrere Tausend Trainer ausgebildet haben... Obermann: Ja, weltweit bestimmt. Habermeyer: ... wenn Sie also Trainer waren und selbst Trainer ausgebildet haben, dann ging es Ihnen eigentlich immer mehr darum, den Fußball von unten nach oben, von der Basis her zu organisieren. Sie haben nicht so sehr als berühmter deutscher Startrainer agiert und dort jeweils nur die Nationalmannschaft trainiert, um sie durch die Qualifikation zur Olympiade oder zur Weltmeisterschaft zu bringen. Nein, Ihnen war es immer wichtiger, darauf zu achten, dass die Strukturen darunter, dass der Kinder- und Jugendfußball gut funktionieren. Obermann: Ja, das ist auch die Strategie des Auswärtigen Amtes. Das AA führt ja diese Entwicklungshilfe durch und uns wird dabei immer wieder gesagt: "Arbeitet vor allem an der Basis!" Wenn deutsche Kollegen von mir irgendwo in der Welt Nationalmannschaften trainieren, dann sind das keine Trainer, die im Auftrag der Bundesregierung in diese Länder reisen. Das sind Trainer, die von den Ländern selbst bezahlt werden. Ich denke hier z. B. an den Rudi Gutendorf, an diese schillernde Figur des deutschen Fußballs. Habermeyer: Ist Rudi Gutendorf momentan noch auf Samoa? Obermann: Ich glaube schon, er ist jedenfalls irgendwo weit weg mit seinen 76 Jahren, die er inzwischen alt ist. Ich finde es schon sehr anerkennenswert, dass er immer noch sagt: "Ich kann einfach nicht lassen vom Fußball!" Er hat ja ein sehr buntes und farbenfrohes Leben hinter sich gebracht, aber er ist meistens von den Ländern bzw. dem dortigen Fußballverband bezahlt worden. Er hat dabei auch weniger an der Basis gearbeitet. Er sagte auch einmal zu mir: "Das liegt mir nicht so, ich möchte vielmehr in der Spitze des Fußballs arbeiten." Und das hat er früher ja auch in Deutschland sehr erfolgreich getan. Daneben aber gibt es einige andere Trainer, die ausschließlich Entwicklungshilfe leisten: Sie dürfen den Titel "Nationalmannschaftstrainer" eigentlich gar nicht annehmen – obwohl wir natürlich oft so genannt werden, weil wir daneben eben auch noch hin und wieder die Nationalmannschaften trainieren. So war das auch in Afghanistan: Dort haben Ali und ich und noch viele andere Trainer an unserer Seite nach 23 Jahren die Nationalmannschaft ebenfalls wieder aufgebaut. Wir haben dabei das Ganze mittlerweile in die Provinz ausdehnen können und Spieler auch von dort eingeladen. So haben wir z. B. inzwischen auch die erste landesweite Meisterschaft von Afghanistan ausgetragen. Wir haben hier zwar eine recht lange Sendezeit, aber es würde jetzt doch zu weit führen, das nun alles ausführlich zu berichten. Habermeyer: Wir könnten unser Gespräch bestimmt auf mehrere Stunden ausdehnen. Obermann: Es war jedenfalls ein ganz wichtiger Schritt für Afghanistan, nun plötzlich zum ersten Mal wieder eine Meisterschaft auszutragen. Es waren allerdings immer noch nicht alle Provinzen mit dabei, denn das geht einfach nicht. Für die Spieler aus der Provinz Kandahar wäre es z. B. viel zu gefährlich, nur wegen der Spiele nach Norden, also nach Kabul zu reisen. Es war auch für uns selbst immer zu gefährlich, nach Kandahar zu fahren. Wir hatten einmal auf der halben Strecke dorthin wirklich großes Glück, einem Anschlag zu entkommen. Es war also immer gefährlich in die Provinz zu fahren. Wir haben daher gesagt, dass es uns lieber ist, wenn die Provinz nach Kabul kommt. Zu den gesamten Spielen im Zeitraum von zehn Tagen kamen jeden Tag 25000 Besucher! Das lässt schon darauf schließen, wie groß die Fußballbegeisterung in diesem Land ist. Inzwischen – und das muss man natürlich auch immer wieder einfügen – gibt es natürlich auch Fernsehen: Man kann über Satellit doch viele Sender empfangen mittlerweile, auch viel Sender, die Fußball bringen. Ich hatte in meiner kleinen Behausung in Afghanistan einen einzigen kleinen Luxus: Ich lebte dort in einem ehemaligen Hotel, das vollkommen niedergebrannt war und von dem nur noch ein Stockwerk bewohnbar war. Ich wohnte dort irgendwo hinten in einem kleinen Stübchen und das reichte mir für diese Zeit auch vollkommen aus. Aber ich hatte eben den Luxus, dass der Besitzer zu mir gesagt hat: "Wenn Sie hier bei uns schon so ein karges Leben führen müssen, dann besorge ich Ihnen eine Satellitenschüssel und ich werde es so lange probieren, bis ich einen deutschen Sender hereinbekomme!" Und er hat es tatsächlich geschafft: Ich habe ARD und ZDF gesehen und auch RTL, wenn ich mich nicht täusche. So konnte ich mich natürlich nicht nur über den deutschen Fußball informieren, sondern ich wusste dadurch eben auch, was in meinem eigenen Land vor sich geht, politisch, gesellschaftlich und auch sonst. Das war für mich schon recht wichtig. Und so geht es den jungen Leuten in Kabul auch: Wenn da einer mal diese Möglichkeit hat, so einen Sender wie z. B. von der BBC oder aus Frankreich daheim zu empfangen, dann zieht das natürlich viele andere an. Ich glaube, Afghanistan liegt, was den Satellitenempfang betrifft, überhaupt recht günstig. Inzwischen wissen die Menschen dort auch, wer Oliver Kahn ist, wer Michael Ballack ist usw. Hinzu kam natürlich, dass die Weltmeisterschaft 2002 mitten in der Stadt Kabul auf einer riesengroßen Leinwand live übertragen worden ist. Die UN hatte das möglich gemacht. Ich glaube, da waren jedes Mal bei den Spielen 50000 Menschen auf den Beinen, um etwas mitzubekommen auf diesem riesengroßen Bildschirm. Und die anderen saßen zu Hause und schauten sich die Spiele selbst im Fernsehen an, wenn sie das Glück hatten, bereits einen Fernseher zu besitzen. Seit dieser Zeit hat man also in Afghanistan nicht nur hinsichtlich des Fußballs wieder ein bisschen Anschluss gefunden. Habermeyer: Sie erzählen mit großer Begeisterung von Ihrer Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Ich habe in all den Artikeln immer wieder lesen können, welche Freude es Ihnen bereitet, diese leuchtenden Kinderaugen zu erleben: Wenn Sie mit einem Ball irgendwo in ein Dorf gekommen sind, dann haben sich immer sofort Kinder um Sie geschart, um mit diesem Ball Fußball zu spielen. Wie ist das denn jetzt? Sie sind ja sehr lange in Asien gewesen, haben von 1995 an für ein paar Jahre in Malaysia gelebt und haben von dort aus Ihre Einsätze angesteuert. Es hat ja nach Weihnachten in Asien diese große Flutkatastrophe gegeben. Gibt es da eventuell Überlegungen von der FIFA, auch hier etwas zu machen, um z. B. die Kinder, die bei dieser Flutwelle ihre Eltern verloren haben, ein wenig aus dem Elend, in dem sie seitdem leben, herauszuholen, um ihnen nicht materiell zu helfen, sondern um ihnen wieder ein wenig Lebensfreude vermitteln zu können? Obermann: Ich sehe da schon eine Parallele zu Afghanistan, ich sehe eine Parallele zu Nepal nach den blutigen Unruhen und ich sehe hier vor allem eine Parallele zu meiner Arbeit in Ost-Timor. Ich war ja unmittelbar nach diesem Bürgerkrieg in Ost-Timor, nach diesem Bürgerkrieg mit 100000 Toten durch den Einmarsch der indonesischen Truppen, die wirklich alles verwüstet haben in diesem Land, das dann später wie bekannt doch unabhängig geworden ist. Dort habe ich wirklich Schreckliches mit ansehen müssen. Diese Dinge waren für mich noch einschneidender als alles, was ich in Afghanistan erlebt habe. Denn in Afghanistan war ja eine gewisse Zeit vergangen, manches hatte sich in der Zwischenzeit dann doch reguliert. Es gab ja auch schon wieder die ersten Schulen, als ich nach Afghanistan gekommen bin. Ost-Timor jedoch war dem Erdboden gleich gemacht worden. Dort saßen die Kinder wirklich auf der Straße. Das klingt immer sehr nach Pathos, wenn ich das erzähle, aber es war wirklich so: Man hätte dort die Kinder wirklich einfach von der Straße auflesen können, um sie mit zum Fußballspielen zu nehmen – sofern man einen Platz dafür gefunden hätte. Es war wirklich alles zerstört: Die Häuser waren niedergebrannt, Schulen gab es nicht mehr usw. Dort haben wir dann eben auch mit Hilfe des Deutschen Fußballbundes und des deutschen Nationalen Olympischen Komitees, die ja ebenfalls immer mit integriert sind – das sind die Auftraggeber, die das letztlich alles ausführen –, eine ähnliche Arbeit gemacht wie später in Afghanistan. Wir haben versucht, das Leben der Kinder einfach wieder ein wenig zu normalisieren. Ich will das gar nicht größer machen, als es war und wir sollten uns bei dem, was wir getan haben, selbst auch gar nicht so wichtig nehmen. Aber ich denke schon, dass wir etwas erreicht haben. Wenn man heute, also drei Jahre später, nach Ost-Timor kommt und sieht, was sich da entwickelt hat, dann ist man einfach nur glücklich. Dort gibt es mittlerweile wieder Schulen, in denen z. B. auch wieder Fußball gespielt wird. Es gibt mittlerweile auch wieder so genannte Ganztagsschulen, in denen vormittags und nachmittags unterrichtet wird und in denen natürlich auch viel Sport getrieben wird. Ich habe dort in Ost-Timor in vielen Schulen festgestellt, dass die Lehrer das angenommen haben, was wir ihnen damals vermittelt haben. Das Ganze hat also schon auch ein wenig zu dieser Rückkehr in die Normalität beigetragen. Etwas Ähnliches würde ich daher schon auch für und mit Sicherheit auch für Indonesien sehr bejahen – weniger vielleicht für Thailand und für Indien, weil die Schäden dort nicht so groß gewesen sind. Man müsste auch dort den Kindern wieder dabei helfen, in die Gesellschaft zurückzukehren: mit der sozialen Kraft, die ihnen der Sport vermitteln kann. Ich glaube, ich habe vorhin ja schon einiges zu dem gesagt, was ich damit meine und was wir in Afghanistan gemacht haben und wirklich umsetzen konnten. Ich könnte mir also gut vorstellen, wenn der Ruf der FIFA an mich ergehen sollte, hier noch einmal meine Erfahrung zur Verfügung zu stellen. Ich will hier jedoch auf keinen Fall mit Geldern arbeiten, die aufgrund von Spenden eingenommen worden sind. Das möchte ich nicht machen, ich will auch keine Spendengelder von UNICEF usw. dort ausgeben. Wenn, dann würde die FIFA das aus eigenen Mitteln bezahlen: über Fernseheinnahmen bei Länderspielen usw. Wenn das so wäre, dann hätte ich dabei auch wirklich ein gutes Gefühl. Das wären dann Gelder der FIFA. Und ich glaube, ich habe schon davon gehört, dass die FIFA vor allem in Sri Lanka diese Hilfsaktionen plant. Wenn es dazu kommt, dann würde ich mich in der Tat dazu bereit erklären, noch einmal für eine geraume Zeit nach Sri Lanka zu gehen, um dort unter ähnlichen Bedingungen wie in Afghanistan zu arbeiten. Afghanistan war zwar viel gefährlicher, aber so ganz ungefährlich wird es dort wahrscheinlich auch nicht sein. Wenn es dazu kommen sollte, dann würden wir natürlich auch in die betroffenen Gebiete selbst gehen: Und dort gibt es eben immer noch Seuchengefahren wie Typhus, Malaria usw. Wir sollten dann auch in die Gebiete gehen, in denen die Tamilen leben. Es gibt ja nach wie vor diese Spannungen zwischen der Regierung und den Tamilen. Das ist zwar kein offener Bürgerkrieg, aber dort brodelte es doch immer wieder. Das ist übrigens etwas, das mir immer wieder aufgefallen ist, wenn ich zu FIFA-Lehrgängen nach Sri Lanka gekommen bin: Die Verhältnisse dort sind schwelend, die offene Konfrontation könnte jeden Tag wieder ausbrechen. Vielleicht könnte man jetzt in Sri Lanka die riesengroße Chance wahrnehmen, hier mit dem Sport ein bisschen beruhigend zu wirken: indem man eben Kinder beider Bevölkerungsgruppen zusammenbringt. Das wäre auch wieder so eine Aufgabe, die diesen humanitären Charakter hat, von dem wir vorhin gesprochen haben. Habermeyer: Ich würde gerne mal eine philosophisch angehauchte Frage zum Fußball stellen wollen, aber vielleicht ist sie gar nicht so philosophisch. Einerseits hat der Fußball etwas unglaublich Verbindendes: Er fördert die Kinder in ihrem Selbstbewusstsein, bringt ihnen u. U. die Lebensfreude zurück und in einer Mannschaft spielt es irgendwann keine Rolle mehr, welche Hautfarbe jemand hat, wo er oder sie herkommt, sondern es kommt nur noch darauf an, ob die betreffende Person gut Fußball spielen kann, ob sie sich in die Mannschaft integrieren kann. Das ist letztlich das Einzige, was zählt. Das ist die eine Seite des Fußballs. Auf der anderen Seite kann der Fußball aber nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch bereits auf Vereinsebene unglaubliche Aggressionen auslösen. Sie haben das ja selbst erlebt, Sie waren mal in den siebziger, achtziger Jahren auf einer Ihrer früheren Stationen Trainer in Gambia, also in Afrika. Es ist wohl schon so, dass der Fußball auch Konflikte ausbrechen lässt, die man eigentlich besser unter dem Deckel halten sollte. Wie sehen Sie dieses Spannungsverhältnis zwischen dem Fußball einerseits als Spiel, also der Möglichkeit, Selbstbewusstsein und Lebensfreude zu gewinnen, und andererseits der Möglichkeit, dass es durch den Fußball auch zu Katastrophen kommen kann, weil die Menschen dabei so aufgeheizt sind, dass Dinge geschehen können, die wirklich fürchterlich sind? Obermann: Ja, das ist mir damals in Gambia tatsächlich so begegnet, um gleich mal das Beispiel aufzugreifen, das Sie angesprochen haben. Ich glaube, an diesem Beispiel kann man das wohl am besten zeigen. Es gab damals das Senegambische Abkommen. Ich weiß nicht, ob dieses Abkommen in dieser Form heute noch besteht. Dieses Abkommen war mit sehr viel Spannungen verbunden. Habermeyer: Das war ein Abkommen zwischen den Nachbarstaaten Senegal und Gambia. Obermann: Ja. Dieses kleine Land Gambia windet sich wie so eine Art von Blinddarm, wie ich immer sage, in dieses große Land Senegal hinein und ist auch komplett von Senegal umschlossen. Dass das automatisch zu Spannungen führt, das ist schon seit Jahrzehnten klar. Gambia besitzt nämlich diesen Gambia-Fluss und wir wissen ja alle, wie wichtig in dieser Region der Welt das Wasser ist. Es gab also immer schon sehr starke Spannungen zwischen diesen beiden Ländern. Ich könnte das später vielleicht noch genauer ausführen, aber ein gutes Beispiel zur Beantwortung Ihrer Frage ist folgende Geschichte. Als ich damals nach Gambia geholt worden bin, war das, wenn ich mich nicht täusche, das einzige Mal, dass ich auch die Aufgabenstellung hatte, die dortige Nationalmannschaft zu trainieren. Das hat damals auch die Bundesregierung bejaht, wobei ich sagen muss, dass das alles schon gut 20 Jahre her ist. Ich sollte also die Mannschaft von Gambia auf den Westafrika-Cup vorbereiten. Es war das erste Mal, dass Gambia die Chance bekommen hat, dieses Turnier im eigenen Stadion auszutragen. Das war ein Stadion, das damals von den Chinesen gebaut worden war: Ein herrliches Stadion. Damals haben die Chinesen ja sehr großen Wert darauf gelegt, sich im Sport ein bisschen einen guten Namen zu machen. Es war alles vorhanden: von den Umkleidekabinen bis zu den Duschen usw. Ich bin vor dem Turnier mit meiner Mannschaft 100 Kilometer weit ins Landesinnere gereist: Wir wollten uns ganz fern ab von der Öffentlichkeit vorbereiten. Wir lebten damals also in der Nähe der Grenze zu Guinea. Ich habe dort mit meiner Mannschaft ein Vierteljahr quasi im Busch gearbeitet. Danach dann kamen wir wieder zurück und haben eigentlich toll Fußball gespielt. Wir haben so gut Fußball gespielt, dass wir im Endspiel auf Senegal trafen. Senegal kam zu diesem Spiel mit seinen Profis aus Portugal, aus Frankreich, aus Spanien usw. Eigentlich hatten wir überhaupt keine Chance gegen Senegal. Aber in Gambia wuchs während des Turniers sehr stark das Selbstbewusstsein und es hieß: "Wir haben Mali besiegt, wir haben Sierra-Leone besiegt, wir haben Guinea- Conakry besiegt und jetzt wollen wir auch den Senegal schlagen!" Und dazu gab es eben noch diese ohnehin schon vorhandenen Spannungen zwischen Gambia und Senegal. Ich wusste, dass ich damit quasi zwischen zwei Stühlen sitzen würde. Ich wollte mit meiner Mannschaft natürlich gerne gewinnen, um diese Erfolgsserie fortzusetzen, alleine schon wegen der Zuschauermassen und den damit verbundenen Einnahmen, denn für dieses relativ arme Land Gambia war das bereits ein Riesenerfolg. Es war ein Riesenerfolg, dass Gambia selbst in diesem Turnier so weit gekommen war und die Spiele nicht in einem leeren Stadion ausgetragen werden mussten. Und nun kam dieses Endspiel, dieses Endspiel, das wir mit 1:0 verloren. Es herrschte eine fast unerträgliche Spannung im Stadion damals. Am nächsten Tag wurde ich zum Minister eingeladen und anschließend zum Staatspräsidenten. Beide haben mir die Hand gegeben und zu mir gesagt: "Coach, Sie haben verloren, aber Sie haben uns einen riesigen Gefallen getan! Wir haben eigentlich gehofft, dass unser Land verliert." Ich war im ersten Augenblick natürlich sehr, sehr erstaunt über diese Aussage, denn ich hatte mir doch gedacht, dass so ein Staatspräsident eigentlich zu mir sagen müsste: "Wir haben einen großen Prestigeerfolg erzielt, wir werden weiterwachsen und beim nächsten Mal werden wir sie besiegen!" Er sagte, er könne mir auch erklären, warum er froh darüber sei, dass Gambia verloren hat: "Es gibt doch diese Spannungen zwischen unserem Land und dem Senegal. Und einen Tag vor dem Endspiel haben wir Unruhen an der Grenze festgestellt!" Gambische Bauern, bewaffnet nur mit Hacken und Messern und Schaufeln, waren an die Grenze gezogen. Dies hat dazu geführt, dass der Senegal das Militär auf seiner Seite hat auffahren lassen, um eingreifen zu können, wenn es da zu einem Zusammenprall gekommen wäre. Er sagte mir: "Wenn Gambia das Spiel gewonnen hätte, dann hätte das der Beginn eines Krieges sein können!" Und das hat nun in der Tat nichts mehr mit der sozialen Kraft des Fußballs, sondern mit seiner umgekehrten Kraft zu tun: Da hätte es auf der einen Seite diese wirklich grenzenlose Euphorie des Underdogs und auf der anderen Seite diese große Depression der haushohen Favoriten gegeben, eine wirklich hoch explosive Mischung. Das ist ein Beispiel, mit dem ich ausdrücken möchte, wie nahe diese beiden Potentiale des Fußballs beieinander liegen können. Diese Spannungen beim Fußball habe ich eigentlich immer gespürt. Wenn man sagt, der Fußball sei die schönste Nebensache der Welt, dann muss ich sagen: So ganz kann man den Sport nicht von politischen Ereignissen trennen bzw. von dem Druck, den die Politik auf den Sport ausübt. Habermeyer: Es ist ja auch wirklich gewissermaßen eine Emanzipationsleistung, wenn sich der Sport in einem einzelnen Land von diesem nationalen Druck befreien kann, wenn der Sport nicht nur für nationales Prestige usw. steht, wenn man also auch verlieren darf, ohne dass man dadurch eine nationale Schande bereitet. Wenn es so ist, dann ist bzw. wäre man wohl in der Tat bereits eine erheblichen Schritt weiter. Obermann: Wobei ich sagen muss, dass das 1:0 auch ein bisschen gnädig gewesen ist. Freilich, wir selbst hatten schon auch ein bisschen Pech. Habermeyer: Sie hätten auch gewinnen können. Obermann: Ja, schon, aber wir hätten auch 10:0 verlieren können. Dann hätte der Minister das wohl nicht mehr ganz so entspannt gesehen. Dann hätte er wahrscheinlich gesagt: "Es war gut, dass Sie verloren haben, aber Sie hätten ja nicht gleich 10:0 verlieren und auf diese Weise unseren guten Ruf, den wir uns erarbeitet haben, zerstören müssen." Aber so war es ja nicht und Gambia durfte im Anschluss an dieses Turnier als Zweiter dennoch am großen Afrika-Cup teilnehmen. Aber dort sind wir dann natürlich irgendwann ausgeschieden. In Gambia ist dieses große Erfolgserlebnis des zweiten Platzes beim Westafrika-Cup bis heute im Gedächtnis hängen geblieben. Immer wenn ich nach Gambia komme, dann treffe ich mich mit den Spielern dieser damaligen Mannschaft. Diese Herren sind mittlerweile natürlich auch alle 20, 25 Jahre älter geworden, aber sie bilden immer noch eine sehr enge Familie. Das ist überhaupt sehr schön an meiner Arbeit: Wenn ich nach Jahren wieder einmal in ein Land komme, in dem ich mal länger und nicht nur für vier Wochen gearbeitet habe, dann empfangen mich die Menschen so, als wäre ich nie weggegangen. Ich werde dann so oft eingeladen, dass ich überhaupt keine Zeit mehr habe, um meine eigenen Interessen in diesem Land wahrzunehmen, um das zu tun, was ich damals ohnehin nicht machen konnte, weil ich eingespannt war in einen wirklichen 24-Stunden-Arbeitstag. Ich würde mir in Indien z. B. auch ganz gerne mal diese alten Kulturstätten usw. ansehen. Habermeyer: Das haben Sie damals alles nicht sehen können. Obermann: Ja, ich würde das alles gerne machen, um auch mal etwas für meine Bildung zu tun. Aber ich bin dann immer eingebunden in Festlichkeiten usw. Nun, das heißt natürlich auch, dass man damals mit seiner Arbeit, mit seiner Strategie und mit seiner eigenen Menschlichkeit so falsch nicht gelegen hat. Denn darauf habe ich immer sehr viel Wert gelegt. Ich habe immer versucht, human zu arbeiten und die Kritik eher mal ein wenig zurückzunehmen, eher mal ein Lob auszusprechen. Es hat z. B. den Afghanen auch so gut getan nach diesen Jahren der Erniedrigung, wenn sie von mir gehört haben: "Das habt ihr gut gemacht!" Man muss jede Leistung, auch dann, wenn sie nicht absolut überragend ist, so honorieren, dass man sagt: "Dafür, was wir in diesen knapp zweieinhalb Jahren getan haben, seid ihr toll! Das habt ihr gut gemacht!" Das kommt eben an. Aber ich glaube, das ist nicht nur in den Entwicklungsländern so: Ich glaube, auch in unseren Breiten tut ein Lob hin und wieder ganz gut. Aber die politischen Verhältnisse bei uns schließen es eben scheinbar aus, dass man sich gegenseitig auch mal etwas Angenehmes sagt und nicht nur aufeinander einhackt, wie das momentan in Deutschland der Fall ist. Habermeyer: Sie werden es nicht glauben, aber wir haben jetzt noch vier Minuten. Wir haben z. B. nicht darüber gesprochen, wie Sie überhaupt zum Fußball gekommen sind. Sie waren Profi, sind nach Amerika gegangen und haben dort Ihr Studium abgeschlossen. Oder hatten Sie Ihr Studium bereits in Deutschland beendet? Obermann: Ich habe Sport studiert und war dann in Amerika. In dieser Zeit verspürte ich bereits diesen Drang nach Fernsehen und Journalismus in mir. Ich war daher in den USA bei ABC, dem größten Sender damals. Danach dann hat mich der Hessische Rundfunk aufgrund dieser Tatsache zurück nach Deutschland geholt: Ich habe also bei meiner Rückkehr beim Hessischen Rundfunk angefangen und wurde dort irgendwann total in den Sport hineingeworfen. Es ging dann sehr schnell bergauf mit mir: mit Bundesliga und ARD-Sportsschau und mit Berufungen als Reporter zu Länderspielen. Ich war, wie gesagt, vier Mal bei einer Fußballweltmeisterschaft: Das waren wunderschöne Erlebnisse, die ich nicht missen möchte. Ich hatte davor während meiner Studienzeit in Hamburg selbst bei Concordia Hamburg gespielt: Das war damals die höchste Liga in Deutschland. Viele meinen heute, das sei nur irgendwie Kreisklasse gewesen. Nein, nein, Concordia Hamburg hat damals in der höchsten deutschen Liga gespielt: zusammen mit dem HSV, Werder Bremen, Eintracht Braunschweig usw. Uwe Seeler und ich sind z. B. ähnliche Jahrgänge. Das war eigentlich sozusagen der Beginn meiner Laufbahn gewesen, denn von dort aus bin ich nach Amerika ausgewandert. Ich war, um dort mein Studium bezahlen zu können, einer der ersten deutschen Profis in den USA und habe damals im Raum New York gespielt. So war das. Da uns die Sendezeit davonläuft, habe ich das jetzt ein wenig gerafft. Habermeyer: Ich hatte hier vor einigen Monaten einen Kollegen von Ihnen, den Rudi Michel. Wir haben dabei über das Fernsehen von heute gesprochen und auch darüber, warum er heute als Moderator nicht mehr hineinpassen würde in die Fernsehlandschaft, warum er das auch gar nicht mehr machen wollen würde, weil er selbst der Ansicht ist, dass sein Moderations-Stil heute nicht mehr adäquat wäre. Sie selbst sind raus aus dem Fernsehen: Sie haben das ganz bleiben lassen. Sie haben sich freistellen lassen und sind nie wieder zum Fernsehen zurückgekehrt. Wie schätzen Sie denn das Fernsehen von heute ein? Bekommen Sie überhaupt mit, was für ein großes Brimborium gemacht wird bei Länderspielen oder Champions- League-Spielen? Ist das etwas, von dem Sie sagen, dass Sie das vor 25 Jahren selbst auch gerne gemacht hätten? Obermann: Ich glaube nicht. Ich stamme aus einer ganz anderen Generation, fast noch aus der Generation von Rudi Michel, obwohl er doch einige Jahre älter ist als ich. Ich glaube, wir haben damals den Sport einfach nicht so sehr im Bereich der Unterhaltung angesiedelt: Wir waren diese sachlichen Informanten und haben genau darin unsere Hauptaufgabe gesehen. Aber ich möchte nun nicht sagen, dass die heutige Generation, die das Gegenteil macht, deswegen schlechter ankäme beim Publikum. Nein, die Zeit hat sich geändert. Und der Sport ist nun einmal schlechthin Unterhaltung: Er hat, wie ich meine, sogar einen absolut hohen Unterhaltungswert. Aber der Sport ist heutzutage leider zu sehr in den Kommerz verwickelt. Ich denke auch, dass den Spielern heute viel zu viel bezahlt wird. Eines Tages, und das ist das Schlimme daran, wird das alles zusammenbrechen. Es gibt ja heute schon nicht mehr diese irrsinnig hohen Spielergehälter und auch die Transfersummen sind nicht mehr derart hoch wie noch vor ein paar Jahren. Das ist also alles schon wieder ein bisschen besser geworden in jüngster Zeit. Aber ich denke dennoch, dass der Fußball nach wie vor überbezahlt ist. Eine Anpassung an die eigentliche wirtschaftliche Lage in Deutschland mit all diesen Problemen wäre daher ganz gut. Je eher man damit beginnt, den Fußball wieder ein bisschen auf den Boden der Tatsachen zu holen, umso größere Chancen gibt es dafür, dass der Fußball noch möglichst lange Bestand hat. Habermeyer: Das ist sicherlich die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass aufgrund der Tatsache, dass der Fußball so sehr Entertainment geworden ist, er mittels der Technik auch die Möglichkeit erhalten hat, überall auf der Welt wirklich anzukommen, wie man bei der WM 2002 in Japan und Südkorea gesehen hat. Vor 30 Jahren, als der Fußball noch nicht diesen Stellenwert hatte, wäre das nicht der Fall gewesen: Damals hat man in Malaysia, in Indonesien usw. über die Fußballweltmeisterschaft 1974 in Deutschland noch nichts mitbekommen. Obermann: Klar. Habermeyer: Diese Entwicklung hat also immer zwei Seiten. Obermann: Ja, das ist die andere Seite. Habermeyer: Wir sind am Ende unserer Sendung angekommen. Obermann: Schade. Habermeyer: Wie gesagt, wir könnten bestimmt noch stundenlang reden. Wir hätten darüber reden können, dass Sie natürlich auch ausgezeichnet worden sind für Ihre Arbeit; wir hätten darüber reden können, wie Sie das alles mit Ihrer Gesundheit auf die Reihe bekommen, denn Sie werden demnächst 70 Jahre alt... Obermann: Noch nicht ganz. Ich bin jetzt 68 Jahre alt – man "kämpft" halt um jedes Jahr, wenn man mal über 60 ist. Habermeyer: In den verschiedenen Zeitungsartikeln finden sich nämlich durchaus unterschiedliche Altersangaben zu Ihnen. Ich kann nur sagen, dass mir das Gespräch großen Spaß gemacht hat. Obermann: Ja, mir auch. Habermeyer: Ich bedanke mich dafür, dass Sie bei uns waren. Und ich bedanke mich bei Ihnen, liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, für Ihre Aufmerksamkeit bei unserem heutigen alpha-forum. Unser Gast war Holger Obermann, Fußballentwicklungshelfer. Danke schön.

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