BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks Sendung vom 20.04.2005, 20.15 Uhr Holger Obermann Sportreporter im Gespräch mit Dr. Wolfgang Habermeyer Habermeyer: Lieber Zuschauerinnen und Zuschauer, ich begrüße Sie zum heutigen alpha-forum und zu einem, wie ich denke, wirklich interessanten Gespräch. Ich deute mal kurz an, um was es heute gehen wird: Wir werden über Nepal, über Afghanistan, über Amerika, über Kamerun, über Gambia usw. sprechen. Sie denken, wir haben heute einen Weltreisenden zu Gast? Ja, wir haben einen Weltreisenden zu Gast. Allerdings wird es heute in unserem Gespräch um den Fußball gehen. Die für mich prägnanteste Aussage unseres Gastes lautet: "Der Fußball ist eine humanitäre Leistung." Ich begrüße bei uns im Studio Holger Obermann. Obermann: Vielen Dank. Habermeyer: Schön, dass Sie zu uns gekommen sind. Obermann: Ich freue mich auch darüber. Habermeyer: Sie sind dem Publikum in Deutschland eigentlich als Sportreporter bekannt, aber Sie sind seit vielen, vielen Jahren in der Welt unterwegs und machen Fußballentwicklungshilfe. Kann man das so sagen? Obermann: Ja, das kann man pauschal durchaus so sagen. Habermeyer: Seit wann machen Sie das denn schon? Obermann: Eigentlich seit 1975. Damals war ich noch bei der ARD: Da gab es in regelmäßigen Abständen immer mal wieder Nachfragen der Bundesregierung und auch des deutschen Fußballbundes, ob ich nicht mal Lust hätte, für vier Wochen Seminare in Westafrika oder Asien zu leiten. Ich habe das gemacht, so oft das meine Zeit zuließ. Und dann kam ein einschneidendes Erlebnis: Die ARD hat nämlich im Jahr 1989/90 die Übertragungsrechte für die deutsche Fußballbundesliga verloren. Die Bundesregierung sagte damals zu mir: "Das wäre doch jetzt ein Grund für Sie, um auch mal länger ins Ausland zu gehen. Sie haben für uns in der Zwischenzeit an die 20 Kurzzeiteinsätze gemacht. Wir möchten Sie jetzt gerne mal für einen längeren Einsatz in die Welt schicken, damit Sie dort für uns auch mal kontinuierliche Arbeit machen können." Ich sollte nach Nepal geschickt werden; das war kurz nach den damaligen blutigen Unruhen im Jahr 1990. Ich besprach das mit meiner Frau und sagte: "Ich bin jetzt 25 Jahre bei der ARD und habe eigentlich unglaublich viel erlebt dabei. Ich bin aufgrund meiner Arbeit für die ARD viel um die Welt gereist, habe vier Fußballweltmeisterschaften mitgemacht, war vier Mal bei den Olympischen Spielen usw. Das ist doch jetzt eine gute Möglichkeit, um einen Absprung zu machen. Diese 25 Jahre waren wunderschön, aber irgendwann möchte ich doch noch einmal eine andere Herausforderung suchen." Und so habe ich dieses Nepal-Angebot über vier Jahre angenommen. Eigentlich wollte ich dann anschließend wieder zum damaligen Süddeutschen Rundfunk zurückkehren. Aber daraus ist nie mehr etwas geworden, weil ich seit 1989/90 nun quasi in einem Stück in Asien gewesen bin. Habermeyer: Ich habe im Zuge der Recherche viele Artikel über Sie gelesen und ich habe dabei über viele Jahre hinweg immer wieder folgende Bemerkung über Sie gefunden: "Jetzt kommt er nach Hause zurück und wird bleiben!" Wenn man sich dann aber den nächsten Artikel ansieht, dann stellt man fest, dass dieser Holger Obermann bereits kurz danach erneut unterwegs ist. Stimmt es eigentlich, dass das damals, als Sie diese Kurzzeiteinsätze gemacht haben, immer Ihre Urlaubszeit gewesen ist? Obermann: Ja, es war meine Urlaubszeit, aber zuweilen wurde ich auch "befreit", wie das so schön heißt bei den öffentlich-rechtlichen Anstalten. Ich bekam also acht Wochen unbezahlte Freistellung: In dieser Zeit bekam ich natürlich von der ARD kein Gehalt, aber dieses Gehalt hat dann für diese Zeit das Auswärtige Amt übernommen. Ich habe das also entweder wirklich in meinem Urlaub gemacht; das bekam mir aber auf die Dauer nicht so gut, denn das war doch jedes Mal eine sehr harte Arbeit draußen in der so genannten “Dritten Welt”. Als ich dann wieder zurück in die doch recht stressige Arbeit beim Fernsehen gekommen bin, habe ich mir doch oft gedacht, dass ich den Urlaub schon auch für mich und meine Familie brauche. Es war dann also besser, wenn ich dafür unbezahlten Urlaub genommen habe. So hat sich das eben von 1975 bis 1989 hingezogen: Ich habe immer wieder diese Kurzzeiteinsätze draußen in der "Dritten Welt" gemacht. Die ARD hat dazu immer gesagt: "So lange dieser unser Mann draußen auch Medienarbeit macht, den Menschen in den Drittweltländern also auch so ein bisschen erklärt, wie man vor und hinter der Kamera arbeitet, so lange ist das schon in Ordnung für uns." Ich habe ja z. B. auch das Fernsehteam in Kamerun auf die WM in Italien vorbereitet. Weil ich das gemacht habe, hat der Süddeutsche Rundfunk natürlich auch immer sagen können: "Wir können das verantworten! Er hat zwar hier bei uns auch eine verantwortungsvolle Position, aber wir schicken ihn hinaus, weil er dort eben auch Medienarbeit macht und sein Wissen, das, was er bei uns in der ARD gelernt hat, ein bisschen weitergibt." Das war also immer so eine Kombination aus Medienberatung und Fußball. Habermeyer: Ich würde gerne noch einmal auf meinen Eingangssatz zurückkommen. Ich habe diesen Satz von Ihnen in einem Interview mit einer Zeitung gelesen: "Fußball ist eine humanitäre Leistung." Sie kamen im letzten Jahr aus einem Land zurück, bei dem man sich überhaupt nicht vorstellen kann, dass dort Fußball gespielt wird. Sie haben dort den Fußball aber tatsächlich wieder aufgebaut, Sie kamen nämlich im letzten Jahr aus Afghanistan zurück. Wie lange waren Sie in Afghanistan? Obermann: Wenn man alles zusammenzählt - mal ein Vierteljahr, mal fast ein halbes Jahr, dann wieder ein Vierteljahr usw. -, dann war ich seit 2002 fast eineinhalb Jahre in Afghanistan. Ich bin auch nach wie vor Berater des afghanischen Fußballverbandes und stehe damit nicht mehr in Diensten der Bundesregierung, also des Auswärtigen Amtes: Ich stehe damit heute in Diensten des Fußballweltverbandes. Ich berate dieses Land also nach wie vor. Wir haben dort erst kürzlich einen Sportplatz eingeweiht, der von dem sehr bekannten Präsidenten des Deutschen Sportbundes, nämlich von Manfred von Richthofen, finanziert worden ist. Er hatte nämlich anlässlich seines 70. Geburtstages gesagt: "Ich möchte keine Geschenke, ich habe ohnehin alles. Ich möchte nur eines, ich möchte den Herrn Obermann bei seiner Arbeit in Afghanistan unterstützen. Bitte, liebe Geburtstagsgäste, bringt mir statt Geschenken einen Scheck mit." So sind 20000 Euro zusammengekommen und wir haben damit kürzlich abseits von Kabul in der Provinz einen wunderschönen Sportplatz gebaut. Denn wir sind der Ansicht, dass wir bei diesen Einsätzen auch immer wieder raus aus den Großstädten müssen: Wir dürfen diese Arbeit nicht nur auf die Großstädte konzentrieren. Wir haben einen Platz gebaut, der eigentlich eine Art von Multifunktionsanlage darstellt, sodass ihn Jungen und Mädchen gleichermaßen nutzen können. Man kann dort Handball, Fußball, Basketball und Volleyball spielen. Das war wirklich eine wunderschöne Sache und es kamen auch Tausende von Menschen zur Einweihung: und dies gerade in einer Gegend, die nach wie vor sehr gefährlich ist, weil dort in dieser Gegend immer noch sehr viele Landminen liegen. Denn dort hat damals dieser entscheidende Kampf zwischen den Taliban und der Nordallianz stattgefunden. Wir haben das aber trotzdem in dieser Gegend gemacht, weil wir wussten, dass gerade dort die Kinder so unglaublich viel gelitten haben. Und damit bin ich fast schon bei Ihrer Frage nach der humanitären Aufgabenstellung angelangt. Gerade dort konnten die Kinder nämlich über fünf, sechs Jahre noch nicht einmal vor die Tür gehen, weil das Spielen auf der Straße verboten war, weil das Musikmachen verboten war. Auch die Schulen konnten sie fast gar nicht mehr besuchen, denn die Schulen dort waren durch den Bürgerkrieg fast alle zerstört worden. Ich finde, dass eben gerade dort der Sport so phantastisch gut greift. Wir hatten wirklich das Gefühl, dass die Kinder dort so enorm viel nachzuholen haben: Sie wollten einfach auch ihren Freiheitsdrang mal wieder richtig zur Geltung bringen! Die Kinder kamen wirklich zu Tausenden auf uns zu! Ich übertreibe hier nicht. Sie wollten einfach nur gerne Fußball spielen. Wenn wir von Handball, Volleyball und Basketball sprechen, dann muss man sagen, dass damit die Mädchen zu ihrem Recht gekommen sind. Beim Fußball kamen vor allem die Buben und männlichen Jugendlichen – obwohl die doch den Fußball gar nicht groß gekannt haben. Habermeyer: Das wollte ich gerade fragen. Woher wussten diese Kinder denn vom Fußball? Sie hatten und haben keinen Fernseher, durften in den Jahren davor selbst nicht spielen: Woher wussten sie dann davon? Obermann: Das ist eine gute Frage: Sie wussten am ehesten noch von ihren Väter etwas über den Fußball. Man muss hier wirklich bedenken, dass in Afghanistan 23 Jahre lang blutigster Krieg geherrscht hat: Zuerst hatte es diese russische Invasion gegeben und dann diesen langen Bürgerkrieg, der wirklich viel Unheil über dieses Land gebracht hat. Und dann kam dieses doch sehr barbarische Regime der Taliban. Die Menschen hatten in all diesen Jahren so viele Sorgen, dass sie sich ihre Lebensfreude kaum noch erhalten konnten: Dazu gab es einfach keinen Grund mehr. Und genau hier setzt eben der Fußball an. Er hat nämlich meiner Meinung nach sehr, sehr viele soziale Komponenten und auch Möglichkeiten: Er gibt den Kindern zuerst einmal wieder eine Beschäftigung, sodass sie wieder etwas tun können. Es hatte in all den Jahren ja noch nicht einmal Schulen gegeben. Erst jetzt beginnt so langsam der Schulaufbau
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