Kultur Und Politik Des Nahen Ostens Herausgeber
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Di/Visions: Kultur und Politik des Nahen Ostens Herausgeber: Catherine David, Georges Khalil, Bernd M. Scherer Wallstein Verlag, Göttingen, 2009 ISBN-13: 978-3-8353-0445-1 Copyright Das Digitalisat wird Ihnen von perspectivia.net, der Online-Publikationsplattform der Max Weber Stiftung – Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland, zur Verfügung gestellt. Bitte beachten Sie, dass das Digitalisat urheberrechtlich geschützt ist. Erlaubt ist aber das Lesen, das Ausdrucken des Textes, das Herunterladen, das Speichern der Daten auf einem eigenen Datenträger soweit die vorgenannten Handlungen ausschließlich zu privaten und nicht-kommerziellen Zwecken erfolgen. Eine darüber hinausgehende unerlaubte Verwendung, Reproduktion oder Weitergabe einzelner Inhalte oder Bilder können sowohl zivil- als auch strafrechtlich verfolgt werden. Di/Visions 1 DiiVisions Kultur und Politik des Nahen Ostens Herausgegeben von Catherine David (Video-Gespräche und Filmprogramm), Georges Khalil und Bernd M. Scherer (Essays und Diskussionen) WALLSTEIN VERLAG Redaktion: Martin Hager Bibliografische Information der Deutschen Nationalbiliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Wallstein Verlag, Göttingen 2009 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Adobe Garamond und Frutiger Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf Druck: Hubert & Co, Göttingen ISBN 978-3-8353-0445-1 Inhalt Samah Selim Di/Visions – eine Einführung . 9 Sami Zubaida Klasse, Religion, Ethnie: Bruchstücke einer Nation. 14 Exil und Rückkehr im israelischen und palästinensischen Diskurs Amnon Raz-Krakotzkin Die bi-nationale Option . 25 Sari Hanafi Die Flüchtlinge und das Problem des Nationalstaates. 35 Meron Benvenisti Es ist ein Land – Warum die Zweistaatenlösung nicht funktioniert 40 Nadim Rouhana Von der Notwendigkeit der Dekolonisierung Israels . 46 Diskussion: »Die Palästinenser haben ein Recht darauf, ihre Rechte einzufordern« . 52 Die politische Teilung des Raumes: Konfessionalismus, Mauern, regionale und urbane Neuvermessungen Sinan Antoon Die Erfindung des Konfessionalismus im Irak . 63 5 Meron Benvenisti Kolonialistische Grenzziehungen und die Bedeutung des Landes . 69 Mona Abaza Markt und Religion in Ägypten . 73 Emmanuelle Demoris Mafrouza – ein Viertel in Alexandria . 75 Medien, Staat und Gesellschaft: Zwischen Zensur und Besatzung As’ad Abu Khalil Die (imperialistische) Globalisierung der Medien und der Widerstand gegen die Monopolisierung des Denkens . 81 Mona Anis Medien, Staat und Zivilgesellschaft: Die Situation in Ägypten . 95 Pierre Abi-Saab Die Feinheiten der Zensur im Libanon . 101 As’ad Abu Khalil Der Einfluss Saudi-Arabiens auf die arabischen Medien . 105 Sherif Younis Das Wesen der ägyptischen Zivilgesellschaft . 112 Kultur, Repräsentation und Widerstand Radwa Ashour Arabesken: Polyphonie in Emil Habibis Roman Sarâja, das Dämonenkind . 119 Samah Selim Die Aussichten des Kulturkampfs in den Zeiten der Globalisierung 127 6 Pierre Abi-Saab Kultur ist Widerstand. Der Fall Libanon . 132 Radwa Ashour Opposition und Initiativen von Akademikern in Ägypten . 137 Fawwaz Traboulsi Gelenkte Kultur – Stiftungen zur Förderung der Bildung im arabischen Raum . 141 Gil Anidjar Juden, Araber und die semitische Spaltung . 146 Kultur, Repräsentation und Widerstand: Der Fall Irak Sinan Antoon Ein Assyrer auf Wanderschaft. Erinnerung an Sargon Boulus (1944 -2007) . 161 Sargon Boulus Das Porträt eines Irakers am Ende der Zeit . 168 Sargon Boulus Gefallen . 169 Kasim Abid und Maysoon Pachachi Drehen unter Lebensgefahr. Die unabhängige Hochschule für Film und Fernsehen in Bagdad . 170 Filme des Independent Film & Television College in Bagdad (Auswahl) . 177 Sinan Antoon Kultur und Widerstand im Kontext nationaler und religiöser Identitäten . 180 7 Identitäten und Wandel: Exil, Diaspora und die Poetik der Globalisierung Abdul-Rahim Al-Shaikh Palästina: Leben im Tunnel . 191 Tamim Al Barghouti In Jerusalem . 215 Tamim Al Barghouti Die Ziege . 219 Sinan Antoon Krieg . 224 Sinan Antoon Runzeln; auf der Stirn des Windes . 225 »Improvisation, das heißt Neuerfindung aus dem Geist der Tradition heraus«. Ein Gespräch mit dem ägyptischen Musiker Tarek Abdallah . 230 Di/Visions – ein Filmprogramm von Catherine David Dokumentation des Filmprogramms . 237 Gefilmte Gespräche – Catherine David spricht mit Künstlern und Intellektuellen Kurzporträts der Gesprächspartner . 259 Biografische Notizen Die Herausgeber . 267 Die Autorinnen und Autoren . 269 8 Samah Selim Di/Visions – eine Einführung Die Ereignisse der letzten Zeit – von den Kriegen im Irak und in Afgha- nistan über die Konflikte in Israel, Palästina und dem Libanon bis hin zum sogenannten »Krieg gegen den Terror« – haben zu einem zuneh- mend eindimensionalen öffentlichen Diskurs über den Nahen Osten geführt, der in einen Teufelskreis aus Angst und Unverständnis mündet. Der dreiwöchige Krieg gegen Gaza, die Operation »Gegossenes Blei« zur Jahreswende 2008/2009, war der jüngste Ausbruch zyklisch auftretender Gewalt, die vielen Außenstehenden das Wesen der Region widerzuspie- geln scheint, egal wie verabscheuungswürdig die Auseinandersetzung war. Ganz abgesehen von den tausenden Toten und Verletzten war das Schauspiel der Zerstörung, dem die eingeschlossene Bevölkerung von Gaza ausgeliefert war und das von Fernsehstationen in der ganzen Welt verbreitet wurde, schockierend und doch seltsam vertraut. Die Gewalt hat sich nicht nur als die beherrschende ›Realität‹ des Nahen Ostens eta- bliert, sondern auch als der Hintergrund, vor dem die sozialen wie kul- turellen Belange der Region gesehen werden. Die Medien sind voll von Horrorgeschichten über so unablässige wie unnachvollziehbare Bürger- kriege und sektiererische Konflikte. Militanter islamischer Fundamen- talismus, brutale diktatorische Regime, verschleierte und unterdrückte Frauen bestimmen das Bild der gesamten Region und drohen, auch auf Europa überzugreifen und dessen Gesellschaft und Identität für immer zu zerstören. Aber Identitäten – wie auch Gesellschaften – sind komplexe und fragile Konstrukte: vielschichtig, verhandelbar, von Bruchlinien und konkurrierenden Zugehörigkeiten durchzogen, geschichtlich bedingt. Und genau hier setzt Di/Visions an: Die Betrachtung der historischen und sozialen Dimensionen ist unabdingbar für ein wirkliches Verständ- nis von Kultur und Politik. Teilung ist eines der zentralen geopolitischen Merkmale des modernen Nahen Ostens. Vom Sykes-Picot-Abkommen zu Beginn des 20. Jahr- hunderts bis zur potenziellen Zerstückelung des Irak zu Beginn des 21. Jahrhunderts stand die Erfahrung sich verschiebender Grenzen im Mittelpunkt des gesellschaftlichen und politischen Lebens. Nirgendwo ist das offensichtlicher als in Palästina, wo die Grenze einerseits als flüch- tige Hoffnung (»zwei Staaten Seite an Seite in Frieden und Sicherheit«), 9 Samah Selim andererseits als schierer Alptraum (Mauern, Straßensperren, Siedlungen, für Palästinenser gesperrte Umgehungsstraßen) einen nahezu surrealen Zustand geschaffen hat. Sechzehn Jahre nach den Oslo-Abkommen von 1993, die die Palästinensische Autonomiebehörde hervorbrachten und – zumindest in der Theorie – einen fünfjährigen Rahmenplan für direkte und ständige Verhandlungen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde ins Leben riefen, ist die Vorstellung eines lebensfähi- gen palästinensischen Staates praktisch undenkbar. Zu schwer wiegen die israelischen Siedlungsaktivitäten und die faktische Zersplitterung des Staates in unzusammenhängende Teilstücke, zwischen denen die Palästi- nenser sich kaum hin- und herbewegen können. Der Gaza-Krieg hat eine Bedeutung der Grenze in diesem Zusammenhang deutlich herausgestellt: Anderthalb Millionen Palästinenser waren eingeschlossen in einem Ge- biet, das etwas kleiner ist als Bremen, während Bomben und Raketen vom Himmel, vom Meer und vom Land auf sie niederregneten. Nation, Ethnizität, Klasse, Geschlechterrollen, Religion und Konfes- sion werden unter dem Einfluss des Kolonialismus in periodisch auf- tretenden Formen politischer Gewalt neu definiert – sei es im Bürger- krieg, im Befreiungskampf, in der Unterdrückung oder dem Widerstand der Zivilgesellschaft. Die systematische Demontage des Irak unter ameri- kanischer Besatzung ist ein treffendes Beispiel. Die bewusste Einführung einer ethnisierenden Politik hat neue und blutige Formen der Bigotterie und Frauenfeindlichkeit hervorgerufen. Mauern wurden hochgezogen, wo vorher keine waren, und der Widerstand gegen den Eindringling wird innerhalb rigoros kontrollierter Geschlechtergrenzen erprobt. Aber diese radikale Grenz-Erfahrung reproduziert sich auch unter den Bedin- gungen des Exils und der Immigration und an Orten wie dem Flücht- lingslager, dem Gefängnis und dem Elendsviertel. Hier treffen Befrei- ungskampf und Flüchtlingsstrom aufeinander und geben Anlass zu alternativen Formen des Widerstands: der verborgene Tunnel, der weit unter die verbotene Grenze reicht, die offenen Meere, die sich einer An- erkennung durch die »Festung Europa« entziehen. In den postkolonialen Staaten der Region – vollgültigen Mitgliedern der »internationalen Ge- meinschaft« und Verbündeten im »Krieg gegen den Terror« – bilden Neoliberalismus und Globalisierung die materiellen Bedingungen der Kulturproduktion und des sozialen Raumes. In Architektur und Stadt- planung, in Medien und Erziehung, in Literatur und Kunst werden alte Grenzziehungen neu artikuliert: Das Elendsviertel,