Mitropa Mitropa 2010 2014 1 Jahresheft des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) Das Geisteswissenschaftliche Zentrum Geschichte 1916 in einer historischen Situation gegründet, und Kultur Ostmitteleuropas (GWZO) an der Uni­ in der auch Friedrich Naumanns geopolitische Vision versität Leipzig versteht seinen Forschungsgegenstand von »Mitteleuropa« entstand, war die Mitropa »Ostmitteleuropa« nicht als einen fest umrissenen seinerzeit ein imperiales Unternehmen. Später fuhr geographischen oder politischen Raum, sondern als es für die Nationalsozialisten – und beförderte die ein historisches Regionalkonzept: Wo Ostmitteleuropa Widerstandskämpfer der »Mitropa-Gruppe«. Es be- beginnt und endet, ist eine Frage der Betrachtungs­ diente SED-Funktionäre, polnische Dissidenten, weise, der Epoche und der Perspektive. Die Beweglich­ tschechische Underground-Künstler und manchen keit des Konzepts ist seine Stärke. Pionier des Nachwende-Kapitalismus: eine viel­ Beweglichkeit zeichnet auch die am GWZO schichtige, ambivalente Geschichte. betriebene Forschung aus, deren Projektstruktur es Der Name Mitropa steht also für die Dynamik erzwingt, konstant Neues zu entwickeln, vertraute des Forschungsspektrums, dem sich das GWZO Paradigmen zurückzulassen. Und mobil sind seit 1996 widmet: Geschichte und Kultur der Land­ schließlich die Mitarbeiter des Hauses, die zwischen striche zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Leipzig und den ostmitteleuropäischen Archiven, Adria vom Frühmittelalter bis zur Gegenwart, der Grabungsstätten und Museen pendeln, teils immer wieder neu zu erkundenden, neu zu unseren von dort stammen oder als Gastwissenschaftler in Europa-Imaginationen beitragenden Geschichts- »Specks Hof« arbeiten. region »Ostmitteleuropa«. Mitropa, das Akronym der Mitteleuropäischen Schlaf- und Speisewagen Aktiengesellschaft signa­lisiert Bewegung und Vernetzung; es steht für historischen Wandel wie Kontinuität. Mitropa 2014 1

2 Editorial Journal

40 Eisenbahn trifft Blutgräfin Mit eigenen Augen Impressionen aus dem Waagtal Ute Rassloff 4 Wetteifern um die Erinnerung Die Leipziger Völkerschlacht und ihre Denkmäler Christian Forster Fundstücke

48 Graffiti und Davidstern Leseproben Michael G. Esch

8 Ungarns neues »Familiensilber« 50 Eine rätselhafte Rundkirche Der Seuso-Schatz Marina Dmitrieva Orsolya Heinrich-Tamáska 53 Ein Kriegsfilm der anderen Art 13 »Silber, so wohlfeil wie Stroh« Lars Karl Der Reichtum der Piasten Matthias Hardt Wissenschaft & Öffentlichkeit 20 Instrumente imperialer Politik? Eisenbahnen in Ostmitteleuropa 55 Fantastische Welten im 19. Jahrhundert Albrecht Altdorfer und das Expressive Uwe Müller in der Kunst um 1500 Susanne Jäger 25 »Nichtphilosoph« und nicht einmal »Fasthistoriker« Über Jan Masaryk (1886–1948) Forschung 2013 Frank Hadler 60 Ziele 30 Wider die deutsche Barbarei 61 Ansätze Kunstgeschichte im besetzten Polen 64 Perspektiven während des Zweiten Weltkrieges 65 Oskar-Halecki-Vorlesung Agnieszka Gąsior 66 Projekte 68 Veranstaltungen 35 Fülkefor I. und das Land Marias 70 Publikationen Lajos Parti Nagy persifliert die Verhältnisse im Orbán-Staat Stephan Krause 72 Abbildungsnachweise Impressum 2

Editorial

en Forschungen des GWZO liegt die geschichts­ Klaus Zernack, Mathias Bernath oder Hans Lemberg­ Dregionale Konzeption »Ostmitteleuropa« zu- sind hier zu nennen. Diese in doppeltem Sinne grunde, die gleich »benachbarten« mesoregional- ost(mittel)europäische Genese hat lange Zeit eine historischen Analysemodellen wie »Südosteuropa«, Weiterentwicklung zu einer jetzt gleichsam ent­ »Nordosteuropa« und »Osteuropa« in den vergange- regionalisierten Theorie mittlerer Reichweite namens nen hundert Jahren im Rahmen der deutsch(spra- »Geschichtsregion« gebremst. Seit dem Epochen- chig)en historischen Teildisziplin der Osteuropäischen jahr 1989 aber greifen Ost(mittel)europahistoriker Geschichte entwickelt wurde. Der Untersuchungs­ zunehmend gesamteuropäische, transkontinentale rahmen »Geschichtsregion« ist dabei ein heuristischer und globale Fragestellungen auf, und vor allem Kunstgriff, mittels dessen nicht-territorialisierte, deutsche Sozial-, Regional-, Europa- und Welthistoriker aber epochal eingegrenzte historische Mesoregionen entdecken das analytische Potential des geschichts­ staaten-, gesellschaften-, nationen- oder gar zivilisa­ regionalen Ansatzes. Neuzeithistoriker wie Jürgen tionenübergreifender Art zur Arbeits­hypothese Kocka, Hannes Siegrist oder Jürgen Osterhammel tun vergleichender Forschung genommen werden, um dies, desgleichen Mediävisten wie Bernd Schneid­ spezifische Cluster von Struktur­merkmalen langer müller. Aber auch auf internationaler Ebene werden Dauer zu ermitteln und voneinander abzugrenzen. die Ergebnisse der Ostmitteleuropa-Historiographie Nicht die einzelnen Merkmale sind dabei einzigartig geschichtsregionaler Provenienz rezipiert. Der briti­ und somit clusterspezifisch, sondern ihre jeweilige sche Soziologe Gerard Delanty hat in seinem 2013 er- Kombination. schienenen Buch Formations of European Modernity. Die Konzeptualisierung des geschichtsregionalen A Historical and Political Sociology of Europe unter Ansatzes geschah dabei in intensivem Austausch Bezug auf etliche der genannten Autoren »eine sechs- mit den Nationalhistoriographien der Osthälfte teilige Klassifizierung zur Erfassung der Diversität Europas. Namen wie Oskar Halecki, Gheorghe Ion von Europas historischen Regionen« aufgestellt und Brătianu, Jenő Szűcs und Miroslav Hroch, desgleichen­ dabei neben »Nordwest-Europa, Mittelmeer-Europa und Zentraleuropa« auch »Ostmitteleuropa, Südost­ europa und Nordosteuropa« identifiziert. Was für Historiker gilt, gilt im selben Maße auch für Kunsthistoriker und Literaturwissenschaftler. So haben der aus Rumänien stammende Brite Marcel Cornis-Pope und der US-Ungar John Neubauer un- längst das vierbändige Kompendium History of the Literary Cultures of East-. Junctures and Disjuncture in the 19th and 20th Centuries vorgelegt, das sich nicht zufällig breit auf Forschungsergebnisse des GWZO stützt. Das GWZO, das von Klaus Zernack gegründet wurde, dessen Jahresvorlesung nach Oskar Halecki benannt ist und dem Hannes Siegrist seit Langem als Beirat verbunden ist, wird sich auch weiterhin dem »Export« der geschichtsregionalen Konzeption »Ost- mitteleuropa« im Besonderen wie dem inter­national- transdisziplinären Dialog über mesoregional-histo­ rische Analysemodelle im Allgemeinen widmen. Mitropa 2014 3

Die Transfererfolge der letzten Jahre sind dabei an den vor sechseinhalb Jahrzehnten zu Tode ge- Ermutigung und Bestätigung zugleich. kommenen tschechoslowakischen Außenminister Neben der Metaebene sei aber auch die Praxis Jan Masaryk erinnert, präsentiert Michael G. Esch beleuchtet. Dass historische Jubiläen sowohl die ganz jubiläumsfrei ein polnisches Hooligan-Graffito staatliche Geschichtspolitik als auch die zivilgesell- als »Fundstück«, das seiner exakten Datierung der- schaftliche Erinnerungskultur maßgeblich prägen, zeit noch harrt. Im systematischen Teil »Ansätze« ist ein Allgemeinplatz. Für etliche geisteswissen- schließlich zeichnet Christian Zschieschang die Leit­ schaftliche Disziplinen resultiert das häufig in einer linien der onomastischen Forschung am GWZO nach. Vereinnahmung, die deren Forschungsaufgaben Last but not least sei auf ein weiteres rundes nicht immer förderlich ist. Ja, in multiplen Gedenk­ Jubiläum verwiesen: Die vorliegende Mitropa-Ausgabe jahren wie 2014 kann es zu Überlastungserscheinun- ist die fünfte des GWZO-Jahresheftes, das auf die gen kommen. Im Vergleich dazu war das Jahr 2013 Initiative von Alfrun Kliems, heute Professorin für deutlich ruhiger – außer natürlich in Leipzig, wo Westslawische Literaturen und Kulturen in , nicht nur der 200. Jahrestag der Völkerschlacht, zurückgeht. Dass sich diese Publikation innerhalb sondern auch das hundertjährige Jubiläum der Ein­ wie gerade auch außerhalb der Ostmitteleuropa- weihung des diesem Ereignis gewidmeten Monu­ Forschung stark zunehmender Beliebtheit erfreut, mentaldenkmals begangen wurde. Seiner lokal­ ist vor allem der inhaltlichen Betreuung durch patriotischen Pflicht zum Mitfeiern hat sich das die GWZO-Fachkoordinatorin für Literaturwissen- GWZO unerschrocken gestellt und seine Jahrestagung schaft Christine Gölz und der professionellen 2013 dem Thema Das Jahr 1813, Ost­mitteleuropa Gestaltung durch den Designer Severin Wucher und Leipzig. Die Völkerschlacht als (trans)nationaler zu verdanken. Erinnerungsort gewidmet. Ein Ergebnis davon ist Christian Forsters Photostrecke Wetteifern um die Erinnerung. Die Leipziger Völkerschlacht und ihre Denkmäler in diesem Heft, ein weiteres wird ein die Jahrestagung dokumentierender Band sein. Stefan Troebst Während in der Rubrik »Leseproben« Frank Hadler Stellvertretender Direktor des GWZO 4 Mit eigenen gibt in weitgehend unkommentierter Form ausgewählte­ Stücke des reichen­ ­visuellen Materials wieder, das im Laufe eines Jahres­ am GWZO zu­sam­men- Augen kommt. Die Rubrik bietet Einblicke in die Unter­suchungs­region, bevor aus den Beobach­tungen analytische Texte werden. Wetteifern um die Erinnerung Die Leipziger Völkerschlacht und ihre Denkmäler Christian Forster

Es fällt schwer, die Symbolik des monumentalen Leipziger Völkerschlacht- denkmals nicht an den Worten der Häme und aggressiven Deutschtümelei zu messen, die in den Denkschriften des Erbauers und damaligen Eigen­tümers, des Deutschen Patriotenbundes, überliefert sind. Die Beton­pyramide mit Granit­porphyrverkleidung gibt vor, die Zigtausende und mehr Soldaten zu ehren, die bei den Kämpfen um Leipzig zwischen dem 14. und dem Abb. 1 Das Völker- 19. Oktober 1813 starben. Abb. 1 Doch die auftrumpfende Größe des Denk- schlachtdenkmal, mals gilt nicht der un­geheuren Menge der Gefallenen, sondern zielt auf davor Walter Arnolds Überwältigung der Besucher. Dass hinter dem Bauwerk der Anspruch Widerstandskämpfer, stand, der Toten zu gedenken, legen die Sonderausgaben der Zeitungen 1948. Leipzig am Einweihungstag nahe; sie druckten zeitgenössische Beschreibungen vom Elend in den Lazaretten, dem massen­haften Sterben und den Grabschändun- gen durch frierende Kriegsgefangene ab. Da jene Gefallenen aber stets zu Helden und Märtyrern­ für die deutsche Sache stilisiert werden, erscheint das Neben­ einander von Augenzeugenbericht und patrio­tischer Sinngebung aus heutiger Sicht keineswegs wie ein Appell an die Pietät der Nachgeborenen, sondern als redaktio­ neller Kniff. Mit ihm wurde beim Jubiläums­gast und Zeitungs­leser ein heiliger Schauder erzeugt und eine Stimmung angeheizt, die kaum ein Jahr darauf kriegs­ begeisterte Freiwillige hervorbringen sollte.

Abb. 2 (links) Gedenkstein für 1899 umgebettete Gefallene. Leipzig, Nordfriedhof Abb. 3 (rechts) Napoleonstein,­ 1857. Leipzig, An der Tabaksmühle/ Friedhofsweg Mitropa 2014 5

Die sogenannte Krypta wurde dem Denkmal dann auch erst nachträglich ein­ geplant. Anlass hierzu war die Umbettung von Toten auf den Nordfriedhof im Oktober 1899. Man war beim Bau des Gaswerks in Eutritzsch­ und nicht etwa beim Bau des Völkerschlacht­denkmals, an dessen Christian Forster bebilderte Standort keine Kämpfe getobt hatten,­ auf ein mit seinem Material den Vortrag Massengrab gestoßen. Abb. 2 Das Jahr 1813. Ostmitteleuropa Die Denkmalbauer werteten den Sieg über und Leipzig. Die Völkerschlacht Napoleon als Geburtsstunde der deutschen Nation. als (trans)nationaler Erinnerungs­ort Schon die Topographie wurde auf diese Interpre- auf der Jahres­tagung des GWZO tation verpflichtet, indem das Völkerschlachtdenkmal im Oktober 2013. Der Kunsthisto- mächtig hinter dem Napoleonstein aufragt, der zu riker ist Teil einer Projektgruppe, den ältesten Erinnerungsmalen an die Schlacht zählt. die das Repräsentations­verhalten Er zeigt an, wo sich der Befehlsstand Napoleons geistlicher und weltlicher Fürsten befand, bevor er den Rückzug anordnete. Abb. 3 in Ostmitteleuropa (13.—16. Jh.) Bis zum 100. Jahrestag waren in und um Leipzig untersucht. Mit Imre Takács gibt er Stadt nur solche steinerne Male aufgestellt worden, den 2. Band (1000–1350) des die an bedeutende Einzelgefechte, gefallene Offiziere Handbuchs zur Geschichte der oder Feldherrnposten erinnerten. Theodor Apel Kunst in Ostmitteleuropa heraus. hatte den Versuch unternommen,­ die Schlacht um 6 Mit eigenen Augen | Wetteifern um die Erinnerung

­Leipzig als Vorgang begreiflich Abb. 4 Apelstein zu machen und mit 44 Steinen Nr. 32. Leipzig, Truppenverbände Napoleons Monarchenhügel und der Verbündeten und die Orte ihres Aufeinander­treffens im Feld zu markieren. Abb. 4 Als man das Völkerschlachtdenkmal plante, hatte man wohl gehofft, dass der Koloss den Schlusspunkt baulicher Zeichen bilden würde, um die völkische Deutung des Geschehens von 1813/14 auch den kommen­den Gene­ratio­nen verbind- lich zu machen. Doch bis zu seiner Einweihung im Oktober 1913 hatte es eine zweifache Konkurrenz bekommen. Gegen die Neigung der Veranstalter,

Abb. 5 (links) Abb. 6 (oben) Die russische Sankt- Österreicher- Aleksij-Gedächtnis­ Denkmal. Leipzig, kirche. Leipzig Standort Holzhausen Mitropa 2014 7

die militärische Rolle Russlands und Österreichs im Nachhinein zu mar­ginali- sieren, trat im Zarenreich eine private Initiative auf, die einen nationalen Gedenkort in Leipzig forderte. In Österreich-Ungarn hingegen reagierte man in dieser Sache interessanterweise auf einen Vorschlag aus Sachsen. Binnen kürzester Frist ent­standen die St. Aleksij-Gedächtnis­kirche und die fünf Öster­ reicher-Denkmale. Abb. 5 ⁄ 6 Ein komplexes Ereignis wie die Völkerschlacht musste zwangsläufig eine ­vielfältige Erinnerungskultur in Gang setzen. Sie ist facettenreicher, als es das Völkerschlachtdenkmal, welches das Stadtbild so stark prägt, auf den ersten Blick vermuten lässt. Abb. 7—9

Abb. 6/7 Schloss- kapelle in Pürglitz (Křivoklát) mit hängen- dem Schlussstein

Abb. 7 Abb. 8 Findling auf Kolmberg-Denkmal, einem Gefallenen- 1856. Leipzig grab. Güldengossa bei Leipzig, Schlosspark

Abb. 9 Wegweiser »Süd­liches Schlachtfeld«. Leipzig- Liebertwolkwitz 8 geben Arbeits­ergebnisse der jüngeren­ Forschung am GWZO wieder. Die Bei­träge gehen auf Aufsätze Leseproben von Mit­arbeitern oder Gastwissenschaftlern zurück, auf Vorträge, Monographien oder Publikumstexte und stellen in lockerer Folge die vertretenen Disziplinen, Epochen, Themen und Methoden vor.

Orsolya Heinrich-Tamáska

Ungarns neues »Familiensilber« Der Seuso-Schatz

ls »Ungarns Familiensilber« bezeichnete Viktor Ergebnisse einer polizeilichen Spurensuche vor­ AOrbán einen Satz römischen Tafel­geschirrs gebracht, die belegen sollten, der Fundort habe aus Silber,1 den er auf einer Pressekon­ferenz am ­innerhalb der eigenen Landesgrenzen gelegen. 26. März 2014 – kurz vor den Parlamentswahlen – Der Libanon zog seine Forderungen noch während der Öffentlichkeit präsentierte. Die acht durch die der Verhandlungen zurück, den Argumenten ungarische Regierung angekauften Exemplare Ungarns und Kroatiens wurde beim Prozess kaum gehören zum sogenannten­ Seuso-Schatz aus dem 4. Jahrhundert, Abb. 1 um dessen Auffindungsort und den damit verbundenen Rechtsanspruch seit den frühen 1990er Jahren ein heftiger juristischer Streit geführt wird. Als umstritten gilt die Her- kunft der Silberfunde. Mit der Provenienzfrage ist auch der Anspruch verbunden zu beweisen, dass es sich bei diesem Fundkomplex um eine Neu­ entdeckung handelt. Ungereimtheiten waren bereits 1984 in Los Angeles­ aufgefallen, als die im internationa- len Kunsthandel aufgetauchten Funde an das dortige Getty-Museum veräußert werden sollten. Deshalb deponierte man die Stücke – insgesamt 14 Gefäße und Platten sowie ein Kupferkessel – vorübergehend bei einer Stiftung und bot sie erst 1990 erneut zum Kauf an. Kaum waren die Bilder für die Sotheby’s-Auktion in New York veröffentlicht,2 erklärten zuerst der Libanon,­ danach Jugo­slawien (nach 1993 Kroatien)­ und schließlich Ungarn ihren Anspruch auf diese besondere­ Ent- deckung. Aus Ungarn Abb. 1 A Seuso-kincs és wurden sowohl archäo­ Pannónia (Der Seuso- logisch-wissenschaft- Schatz und Pannonien, liche Argumente als auch 2012), Deckblatt Mitropa 2014 9

Abb. 2 Das spät­ Vorfall wurde zehn Jahre römische Pannonien, später erneut untersucht, 4. Jahrhundert. um eine mögliche gewalt- Der vermutete Fundort same Einwirkung Dritter des Silberschatzes bei diesem Todesfall zu bei Polgárdi sowie der klären. Dabei dokumen- Grabungsort Szabad­ tierte man am Boden des battyán Kellers eine kreisförmige Ver­färbung, die genau der Größe des Kupferkessels entsprach, der mit den Silber­gefäßen zusammen in den USA zum Verkauf stand. Die Erdpartikel am Kessel, die man bei den Ge- richtsverhandlungen untersuchen ließ, zeigten zudem Übereinstimmungen mit der Bodenprobe aus der Grube.4 Die pannonische Provenienz des Seuso-Schatzes konnte zusätzlich durch archäologische Analysen untermauert werden, deren Ergebnisse vor Kurzem in dem hier abgebildeten Band zusammengefasst worden sind.5 Auf dem Mittelmedaillon der sogenann- ten Seuso-Platte befindet sich die Aufschrift »Pelso«, Beachtung geschenkt, vielmehr räumte das Gericht die lateinische Bezeichnung für den Plattensee. Abb. 3 die Rechte auf den Schatz zunächst der erwähnten Darüber hinaus umfasst eine Inschrift das Medaillon, Stiftung ein.3 die einen Personennamen keltischen Ursprungs als Die krimireifen Ermittlungen der ungarischen Teil einer Widmung enthält. Der dort genannte Seuso Polizei zu den Umständen der Auffindung liefern dürfte demnach der einstige Besitzer dieses und der nun allerdings wichtige Beweise dafür, dass der Schatz weiteren Gefäße gewesen sein.6 in Ungarn, in der ehemaligen römischen Provinz Der Fundort ließ sich mithilfe archäologischer Pannonien, nordöstlich des Plattensees entdeckt Untersuchungen zudem weiter eingrenzen. Bereits worden sein muss. Abb. 2 Der vermutliche Finder Pál 1878 hatte man bei Polgárdi – in der Nähe des Wein­ ­Sümegh hatte den Schatz kellers von Sümegh­ – ein Silberobjekt entdeckt: einen Orsolya Heinrich-Tamáska offensichtlich in seinem Ständer, einen sogenannten quadripus. Er muss forscht als Archäologin in der Wein­keller bei Polgárdi ursprünglich zu einem Satz römischen Tafelgeschirrs GWZO-Projektgruppe »Kontinu­ versteckt gehalten, wo gehört haben, seine stilistischen Merkmale verbinden ität und Diskontinuität des er selbst 1980 erhängt ihn in mehrfacher Hinsicht mit den heute bekannten Christentums an der mittleren aufgefunden wurde. Funden des Seuso-Schatzes.7 (s. Kasten auf S. 11) und unteren Donau zwischen Nachbarn und Freunde Etwa 5 km nordöstlich der Fundstelle des Stän- Spät­antike und hohem Mittel­ bei der Armee – Sümegh ders, in Szabadbattyán, Abb. 2 werden außerdem seit alter«. Ihre letzte, gemeinsam leistete damals gerade 1993 die Überreste einer römischen Siedlung bzw. mit Péter Straub heraus­ seinen Wehrdienst ab – Villa ausgegraben. Den Kern bildet ein etwa 13.000 m2 gegebene Buchpublikation konnten sich an Äuße­ großer Peristylbau, errichtet zu Beginn des 4. Jahr­ versammelt neue archäologische rungen erinnern, die auf hunderts, der mit Heizanlagen, Wandmalereien und Forschungsergebnisse die Entdeckung »eines Glasfenstern ausgestattet war; ein möglicher und über Mensch, Siedlung und besonderen Fundes« ­würdiger Wohnort für den Besitzer eines Silber­ Landschaft im Wechsel der hinweisen. geschirrs wie der Seuso-Schatz. Vom Ende der Villa Jahr­tausende am Balaton Der zunächst als und ihrer Nutzung zeugen Schuttschichten, ver- (2014). Selbstmord verbuchte scharrte menschliche Überreste und verkohltes 10 Leseproben | Orsolya Heinrich-Tamáska

Getreide. Die gewaltsame Zerstörung datiert in das letzte Viertel des 4. Jahrhunderts und wird mit dem quadisch-sarmatischen Barbareneinfall im Jahre 374 in Verbindung gebracht. Im Zuge dieses Militärzugs könnte also der Seuso-Schatz vergraben worden sein.8 Spätantike Silberschätze sind auch aus an- deren Teilen Europas bekannt, z. B. aus Kaiseraugst (Augusta Raurica/Schweiz) oder aus Vinkovci (Cibalae/­ Kroatien),9 auch sie wurden teilweise aufgrund feindlicher Überfälle deponiert und versteckt. Die Bestandteile des Seuso-Schatzes umfassen neben Service­platten, Kannen und Amphoren auch situlae (Eimer) und Toiletten­bestandteile, es fehlen aber Löffel, Becher und Schüsseln sowie Münzen.10 Neben der Seuso-Platte selbst sind drei weitere Service- platten bekannt, die nach den Darstellungen in kulturellen und geistigen Abb. 3 Umzeichnung ihren Mittelmedallions als geometrische, Meleagros- Wurzeln der spätrömischen des Mittelmedaillons und Archilles-Platte bezeichnet werden und zwi- Gesellschaft wider.12 der Seuso-Platte schen 7,2 und 11,8 kg wiegen. Vergleichsweise schwer Nach langen Jahren des (SEVSO, Pelso: beide rot also, hat doch die Meerstadtplatte aus Kaiseraugst Verschlusses ist ein Teil des hervorgehoben) lediglich ein Gewicht von 4,6 kg. Darüber hinaus sind Seuso-Schatzes nun in Ungarn fünf Kannen über­liefert, die ebenfalls nach ihrer und damit hoffent­lich künftig der Öffentlichkeit Verzierung benannt wurden: geometrische (ein Paar), und der Forschung zugänglich. Es bleibt aber zu Dionysos-, tierverzierte­ und Hippolytus-Kanne. fragen, welche identitätsstiftende­ Bedeutung dieser Sie bringen zwischen 2,6 und 4 kg auf die Waage und Schatz für das heutige Ungarn besitzt, warum man lassen damit ebenfalls die Vergleichsbeispiele weit ihn so einfach als »Familiensilber« bezeichnen kann? hinter sich. Zudem gehören eine Amphora, ein Da die 15 Millionen Euro für den Ankauf der acht Toilettenkästchen und ein Handwaschbecken sowie Exemplare aus Steuer­geldern bezahlt wurden, muss zwei situlae, die formal und stilistisch ein Paar wohl die Bedeutung des Schatzes der Öffentlichkeit bilden, zum Schatz.11 entsprechend ver­mittelt werden, zumal auch der Alle sind sie aus hochwertigem Silber her- Ankauf der restlichen noch bekann­ten Stücke geplant gestellt, ihre Ornamentik ist durch Repoussé-Technik ist. Bemerkenswert ist auch die »Strategie« der (die Amphora und die situlae), durch Punzierung ungari­schen Regierung, die Ankaufsverhand­lungen (die Meleagros-Platte) oder Niello (die Seuso- und bis zur Präsentation der Stücke vollkommen geheim geometrische Platte) herausgearbeitet. Partiell feuer­ zu halten, selbst archäologische Expertise wurde vergoldete Bereiche akzentuieren die Oberfläche nicht hinzu­gezogen. Der Termin für die »Heimkehr« der einzelnen Exemplare. Sie zeugen ausnahmslos der Funde eine Woche vor den Parlamentswahlen von hohem feinschmiedetechnischem Niveau, war perfekt gewählt, die öffentliche Wirkung ent- auch wenn sie in verschiedenen Werkstätten des sprechend groß. Um die im ungari­schen Parlament Römischen Reiches hergestellt worden sein müssen. vorüber­gehend ausgestellten Funde be­sichtigen Silbergeschirr stellte in der Spätantike nicht zu können, standen die Menschen Schlange. Viktor nur ein begehrtes Luxusgut dar, sondern war für Orbán ver­kündete, ein Land, das Kraft und Ansehen seinen Besitzer auch eine finanzielle Investition in habe, sei in der Lage wieder­zu­be­kom­men, was die Zukunft. Bisweilen diente es als kaiserliches ihm gehöre: »Falls es unser ist, ist es besser bei uns, Geschenk an die Anhänger oder als Mittel des Gaben- als anderswo.«13 Gleichzeitig wurden­ Pläne laut, tausches unter den Eliten. In der reichen Bilder- die Funde künftig in einem neu zu errichtenden sprache der Gefäße spiegeln sich die vielseitigen Museums­komplex in ­Népliget aus­zustellen. Mitropa 2014 11

Handbuch zur Geschichte der Kunst in Ostmitteleuropa

Das Beispiel des Seuso-Schatzes in­dem sie historische Befunde einer »Kunstregion Ostmittel­ verdeutlicht, wie sehr die und Objekte von vornherein europa« sprechen. Um ein histo- künstlerischen­ Hinterlassen- festgelegten Konzepten unter­ risch möglichst getreues Bild schaften in Ostmitteleuropa ordneten. Diese Konzepte waren, der Kunst in jenem Gebiet zu auch heute noch politisch was man durchaus als einen zeichnen, ist nicht nur der motivierten­ Vereinnahmungen­ Geburtsfehler des Faches Kunst- jeweilige Bestand vor Ort genau ausgesetzt sein können. Die geschichte bezeichnen könnte, zu erfassen, es ist auch nach Verortung des eigenen kultu­ aus dem Gedanken des Nationa­ den Wegen und »Agenten« des rellen Erbes im gesamt­euro­ len geboren: so die Idee des künstlerischen Austausches päischen Rahmen und die Be- Kulturraumes, der Menta­lität zu fragen. Was bedeutet es, stimmung einer nationalen­ und Kultur einer Volks­gruppe wenn sich verwandte Züge bei kulturellen Identität sind An- spiegele, aber auch die Idee Kunstwerken konstatieren liegen nicht nur zur Zeit der ­kultureller Fortschrittlichkeit lassen, die oft mehrere hundert Nationenbildung am Ende des und Rückständigkeit, die a priori Kilometer voneinander ent- 19. Jahrhunderts. Sie charak­ ein Gefälle konstruierte. fernt existieren? Wie lief damals terisieren die Staaten im neuen Um die vielfältigen kultu­ eine solche Kommunikation ab, Europa auch nach 1989. In der rellen Verflechtungen und wer waren ihre aktiven Träger? Vergangenheit ließen sich Transferprozesse im östlichen Mit der für Ende 2014 die Geisteswissenschaften all- Mitteleuropa darzustellen, anvisierten Veröffentlichung des zu bereitwillig in diesem entsteht am GWZO seit einigen­ ersten Bandes Vom spät­antiken Sinne instrumentalisieren, Jahren ein auf neun Bände Erbe zur Frühzeit des Christen­ angelegtes Handbuch der Ge­ tums, herausgegeben von schichte der Kunst zwischen Christian Lübke und Matthias dem Baltikum und der Adria, Hardt, wird eine Publikation das die Zeit von der Spätantike ­vorliegen, welche die Epoche bis heute umfassen wird. vor der Formierung der Bei den Überlegungen, wie sich ostmittel­europäischen Kern- eine solche, bislang fehlende länder (Böhmen, Polen, Ungarn) umfassende Darstellung metho- und damit die oft wenig be­ disch und methodologisch be- achteten spät­antiken und früh- wältigen ließe, sahen sich die mittelalterlichen Wurzeln der Kunst­historiker am GWZO aller- Kunst in dieser Region in den dings mit einem ähnlichen­ Blick nimmt. Vorgestellt wird Grundproblem­ konfron­ tiert,­ unter anderem auch der bei dem sich auch auf einen National- Polgárdi gefundene quadripus, ­staat fokussierte Überblicks- ein kunstvoll gearbeiteter werke stellen müssen: Ebenso silberner Ständer aus dem spä- wenig wie es z. B. möglich ist, ten 4. Jahrhundert, der wahr- Abb. 4 Quadripus aus eine »Kunstlandschaft Ungarn« scheinlich dem Seuso-Schatz Polgárdi, römische Werkstatt, ohne ahisto­ri­sche ­Verkürzungen zuzuordnen ist. Abb. 4 4. Jahr­hundert. Rekonstruktion zu ­definieren, lässt sich von Wilfried Franzen 12 Leseproben | Orsolya Heinrich-Tamáska Ungarns neues »Familiensilber«

Nicht nur die zweideutigen Worte des Minister- Erbes bemühen, sollte sie die bestehenden Struktu- präsidenten stimmen skeptisch. Hat doch bislang, ren erhalten und nicht durch neue Pläne schwächen. zumindest das sollte in Erinne­rung gerufen werden, Schließlich bleibt zu betonen: Der Seuso-Schatz keine juristische Instanz den Anspruch Ungarns ist ein römerzeitlicher Fund. Auch wenn er in ­darauf bestätigt, das Herkunftsland des Seuso- Ungarn entdeckt wurde, erstreckte sich die einstige Schatzes zu sein, selbst wenn die oben skizzierten Provinz Pannonien über die heutigen Ländergrenzen Argumente deutlich dafür sprechen. Läge eine solche hinweg bis nach Österreich, Kroatien und Serbien. Anerkennung vor, hätte man im Übrigen eine Aus­- Das römische Kulturerbe bildet somit eine gemein- händigung ohne Bezahlung verlangen können. same Tradition dieser Staaten. Der Seuso-Schatz Zudem muss man sich fragen, warum die Funde in sollte also nicht als »unser Familien­silber«, ­sondern einem neuen Museum ausgestellt werden sollen. viel eher transnational und als Ausdruck spät­ Mit dem Ungarischen Nationalmuseum besitzt römischer Kunst und Lebenskultur bewertet werden. der Staat bereits eine Einrichtung, die für Aufbewah-­ Deren »Schätze« sind es allemal wert, bewahrt rung, Repräsentation, aber auch fachliche Betreu- und an­gemessen präsentiert zu werden, unabhän- ung bestens­ geeignet ist. Will sich die ungarische gig davon, wo sie ans Tageslicht gelangten. Regierung um Schutz und Förderung des kulturellen

1 Viktor Orbán bei der Pressekonferenz nian Connection? In: Miverva 1,7 (1990), der Spätantike/Römerstadt Augusta am 26. März 2014 laut: http://feol.hu/ 4–11. Raurica. Hg. v. Martin A. ­Guggisberg hirek/magyarorszag-visszaszerezte- 7 Mráv, Zsolt: A polgárdi összecsukható unter Mitarbeit von Annemarie Kauf­ a-felbecsulhetetlen-erteku-seuso-kinc- ezüstállvány és a Seuso-kincs [Der mann-Heinimann. Augst 2003. – Die seket-1612277 (02.05.2014). silberne Klappständer aus Polgárdi und Funde von Vinkovci sind eine Neuent­ 2 Siehe dazu Mango, Marlia Mundell: der Seuso-Schatz]. In: A Seuso-kincs deckung aus dem Jahre 2012 und The Sevso Treasure. A Collection from és Pannonia (wie Anm. 5), 80–106. noch unpubliziert. Sie waren in einem Late Antiquity. In: Sotheby’s Mundell 8 Nádorfi , Gabriella: Előzetes jelentés a Keramikgefäß deponiert gewesen. Illustrated Catalogue. Zürich 1990, szabadbattyáni késő római kori épület Vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/ 4–60. feltárásáról [Vorläufiger Bericht über Vinkovci_Treasure (03.05.2014). – 3 Hajdú, Éva: A Seuso kincs és Magyar- die Ausgrabung des spätrömischen Zu weiteren Funden vgl. Baratte, ország [Der Seuso-Schatz und Ungarn]. Gebäudes in Szabadbattyán]. In: François: Silbergeschirr, Kultur und In: A Seuso-kincs és Pannonia. Magyar- A Seuso-kincs és Pannonia (wie Anm. 5), Luxus in der römischen Gesellschaft. országi tanulmányok a Seuso-kincsro. 112–138, bes. Abb. 3. – Zur historischen Mainz 1998. Hg. v. Zsolt Visy und Zsolt Mráv. Bd. 1. Interpretation vgl. Visy, Zsolt: Ge- 10 Zur ersten Vorlage und wissenschaft- Pécs 2012, 23–34. schichtliche Probleme des Seuso- lichen Auswertung des Schatzes vgl. 4 Ebd. Schatzes. In: Macht des Goldes, Gold Mango, Marlia Mundell/Bennett, 5 A Seuso-kincs és Pannónia. Magyar­ der Macht. Herrschafts- und Jenseits­ Anna: The Sevso Treasure. Part One. országi tanulmányok a Seuso-kincsro repräsentation zwischen Antike und Ann Arbor 1994. – Zu den weiteren [Der Seuso-Schatz und Pannonien: Frühmittelalter im mittleren Donau- Funden vgl. Visy (wie Anm. 8), 56 f. Wissenschaftliche Beiträge zum raum. Hg. v. Matthias Hardt und 11 Die Zusammenstellung der Gewichts- Seuso-Schatz aus Ungarn]. Hg. v. Zsolt Orsolya Heinrich-Tamáska. Weinstadt angaben bei Nagy, Mihály: A Seuso- Visy und Zsolt Mráv. Bd. 1. Pécs 2012. 2013, 55–62. kincs pannoniai kapcsolatai [Die Ver- 6 Mócsy , András: Pannonia törzsi 9 Der spätrömische Silberschatz von bindungen des Seuso-Schatzes zu arisztrokráciája a késő római korban Kaiseraugst. Hg. v. Herbert A. Cahn Pannonien]. In: A Seuso-kincs és [Die keltische Stammesaristokratie in und Annemarie Kaufmann-Heinimann. Pannonia (wie Anm. 5), 49–63. Pannonien in spätrömischer Zeit]. Derendingen 1984; Der spätrömische 12 Baratte (wie Anm. 9). – Vgl. auch den In: A Seuso-kincs és Pannonia (wie Silberschatz von Kaiseraugst – die Beitrag von Matthias Hardt in diesem Anm. 5), 107–111. – Nagy, Mihály/Tóth, neuen Funde. Silber im Spannungsfeld Heft. Endre: The Sevso Treasure. The Panno- von Geschichte, Politik und Gesellschaft 13 Orbán (wie Anm. 1). Mitropa 2014 13

Matthias Hardt

»Silber, so wohlfeil wie Stroh« Der Reichtum der Piasten

m Dezember des Jahres 999 begab sich der junge Bonifacio auf dem Aventin in Rom aufhielt. Ottos III. IKaiser Otto III. mit seiner Entourage aus zahlrei- Reise war eine Pilgerfahrt ebenso wie ein »Staats- chen weltlichen Größen und Geistlichen von Rom aus besuch«, denn auch der Hof des Fürsten Bolesław auf den Weg zu einem außergewöhnlichen Reiseziel. Chrobry, des Repräsentanten der in diesen Jahren Seine Destination war das Grab des bei der Mission erstmals erwähnten »Polanen«, war das Ziel der Reise­ der Prußen­ östlich der Weichselmündung umgekom- gesellschaft, die sich in Eilmärschen über Ravenna, menen Prager Bischofs Adalbert (tschech. Vojtěch, Verona, die verschneiten Alpen nach Regensburg poln. Wojciech). Ihn hatte Otto III. kennengelernt, und von dort über Jena-Kirchberg, Zeitz und Meißen als sich Adalbert von Prag nach Gnesen begab. Abb. 1 Abb. 1 Otto III., zur Vorbereitung seines Mehr als einhundert Jahre später schilderte der Evangeliar, vor 1000. ­missionarischen Wirkens Chronist Gallus Anonymus (gest. nach 1116) den im Früh- Reichenau im Kloster San Alessio e jahr des Jahres 1000 am Hof Bolesław Chrobrys zu Ehren Ottos III. veranstalteten Empfang und das folgende Ge- lage als Demonstration des Reichtums Bolesławs, die im Rahmen des üblichen Gaben­tausches zu dessen Rang­ erhöhung durch den Kaiser führen sollte: »Auch das halten wir für erwähnenswert«, so Gallus Anonymus, »dass zu seiner Zeit der Kaiser Otto zum heiligen Adalbert kam, um zu beten […] und zugleich den Ruhm des glorreichen Bolesław kennenzulernen […]. Bolesław nahm ihn so ehren- voll und großartig auf, wie es sich für einen König ziemte, einen römischen Kaiser und so hohen Gast aufzunehmen. […] Und es gab dort nicht irgendeine billige Buntheit der Ausstattung, sondern alles, was man überhaupt unter den Völkern als das Wert­ vollere finden kann. Denn zur Zeit Bolesławs trugen alle Ritter und Frauen des Hofes Mäntel anstatt Leinen- und Wollkleider, und auch noch so kost- bare Pelze, auch wenn sie neu waren, trug man an seinem Hof nicht ohne Unterbesatz und Goldbrokat. Gold wurde nämlich zu seiner Zeit von allen für so gemein gehalten wie Silber, Silber aber hielt man für so wohlfeil wie sonst Stroh. Als der römische Kaiser seinen Ruhm, seine Macht und seinen Reich- tum betrachtete, sprach er voller Bewunderung: ›Bei der Krone meines Reiches, was ich sehe, ist größer, als ich durch Erzählen vernommen habe‹.«1 14 Leseproben | Matthias Hardt »Silber, so wohlfeil wie Stroh«

Nahezu wie ein völkerwanderungs­zeitlicher Abb. 2a Bronze- ­König nutzte Bolesław demnach im Rahmen tür des Gnesener des Kaiserbesuches seine Schätze zur Visualisierung Doms, 1. Hälfte seiner Herrschaft. Aber gab es diesen Reichtum 12. Jahrhundert­ wirklich? Mag der Münsteraner Mediävist Gerd Althoff (Ausschnitt) auch an der Ernsthaftigkeit der von Gallus erzählten Geschichte zweifeln,2 lassen sich doch weitere Be- lege für den besonderen Reichtum der piastischen Fürsten des 10. und 11. Jahrhunderts anführen. Erste Hinweise finden sich schon in den beiden Lebens­ beschreibungen des Märtyrers Adalbert und in einer Bildergeschichte, die auf den in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts an­gefertigten Bronzetüren des Gnesener Doms abgebildet ist: Abb. 2a Nachdem der Glaubensbote um­gebracht worden war, kaufte Bolesław den Prußen die Leiche des Missionars ab, indem er sie mit Edel­metall aufwiegen ließ. Das Relief auf der Bronzetür zeigt diesen Vorgang ganz ­realistisch: Eine Person wiegt mit einer Feinwaage nach der Art heutiger Apotheker­waagen Münzen und Barren, die Bolesław zur Verfügung stellen lässt, und füllt sie in ein daneben stehendes Metallgefäß ab. Hier wird ein Procedere dargestellt, auf das später noch zurückzukommen sein wird. Abb. 2b Aber nicht erst Bolesław Chrobry standen Abb. 2b Bronzetür – wie hier zur Auslösung des toten Körpers Adal- des Gnesener berts – große Mengen an Edelmetall zur Ver­fügung. Doms, Detail Schon sein Vater Mieszko I. war für seinen Reichtum (Adalberts Leich- bekannt. So reiste um das Jahr 965 der jüdisch- nam wird arabische Kaufmann Ibrahim ibn Jaqub al-Tartuschi aufgewogen)­ im Auftrag des Kalifen von Córdoba als Gesandter durch das östliche Mitteleuropa. Sein Bericht wurde ­überliefert durch den um 1200 im nordwestlichen Iran geborenen und 1283 verstorbenen Zakariya bin Muhammad al-Qazwini. Bei ihm kann man nach- lesen, dass sich Ibrahim von Mainz aus nach Magde- Monat bekommt ein jeder eine bestimmte Summe burg begab, wo er Kaiser Otto den Großen traf, um davon. Er hat 3.000 Gepanzerte, und das sind von dort aus in nicht sicher rekonstruier­barer Krieger, von denen das Hundert 10.000 andere Abfolge zu den slawischen Abodriten im heutigen aufwiegt. Er gibt den Mannen Kleider, Rosse, Mecklenburg und zu den Böhmen nach Prag zu Waffen und alles, was sie brauchen […]«.3 reisen. Von einem »König des Nordens« wusste er Folgendes zu berichten: Der von Ibrahim beschriebene Herrscher, der »Was nun das Land des Mescheqqo anlangt, so ist seine Gefolgschaft, im Slawischen als družina be- es das ausgedehnteste ihrer Länder, und es ist reich zeichnet, mit Geld und Gaben versorgte, war niemand an Getreide, Fleisch, Honig und Fischen. Er zieht anderer als eben Mieszko I., der früheste sicher über- die Abgaben in gemünztem Geld ein, und dieses lieferte Fürst in Polen. bildet den Unterhalt seiner Mannen; in jedem Mitropa 2014 15

Angesichts des hier hervorgehobenen Potentials ver­borgen in Ton- oder Abb. 3 Der Mieszkos I. und Bolesław Chrobrys ist zu fragen, woher Metallgefäßen, aber Cortnitz-Schatz der z. B. von Gallus geschilderte Reichtum in den sla- auch in textilen oder wischen Ländern des frühen und hohen Mittelalters ­Lederbehältnissen, be­stehen aus Silber, aus voll­ gekommen sein könnte? Anders als bei den völker- ständigem und fragmentiertem Schmuck sowie aus wanderungszeitlichen Königen gab es in der Nachbar- Münzen vieler­ und differenzierter Herkunftsorte, schaft Bolesławs kein Römisches Reich mehr, in dessen darunter sowohl vollständige als auch bis in kleinste Schatz­kammern man sich im Rahmen groß angelegter Teile zerschnittene­ Exemplare. Diese Zusammen- Plünderungszüge an dem aus Steuereintreibungen setzung der Hortfunde zeigt den Kontext, in den stammenden Gold und Silber nur hätte zu bedienen sie wirtschaftsgeschichtlich einzuordnen sind. Die brauchen. Doch gibt es weitere Informationsquellen, gemeinsame Aufbewahrung und Hortung von um diese Fragen zu beantworten? Edel­metallschmuck und Münzen verschiedenster In einer überlieferungsarmen Zeit wie dem 10. Monetar­systeme und die vielfachen Fragmentie- und 11. Jahrhundert erhalten bestimmte Bereiche der rungen weisen auf eine sogenannte Gewichtsgeld­ Sachkultur besondere Bedeutung beim Zugang zu währung, in der Münzen oder andere Währungs­träger wirtschaftsgeschichtlichen Fragestellungen. Dies gilt nicht gezählt, sondern unter Zuhilfenahme von besonders für das weite Feld der Zahlungsmittel, Probiersteinen in ihrem Reinheitsgehalt und ihrer des Geldes also. Große Mengen davon finden sich in Legierung geprüft und mit Fein­waagen abgewogen den slawenzeitlichen Hortfunden Ostmittel­europas wurden. wie z. B. demjenigen aus dem oberlausitzischen Seit der Zeit um 800 und im Verlauf des 9. und Cortnitz nahe Bautzen.4 Abb. 3 Solche Schätze sind weit 10. Jahrhunderts war der weitaus überwiegende Teil gestreut in der östlichen Hälfte des Kontinents, der in solchen Deponierungen aufbewahrtenMünzen ­ be­sonders dicht im Ostseeraum. Die Horte, meist orientalischer Herkunft. Es handelt sich, an den 16 Leseproben | Matthias Hardt »Silber, so wohlfeil wie Stroh«

Abb. 4 Herkunftsorte der 5 Magdeburg, 6 Dortmund, 13 Mainz, 14 Worms, 15 Speyer, Prägungen vom Cortnitzer Hack- 7 Köln, 8 Quedlinburg, 9 Halle, 16 Würzburg, 17 Nabburg, 18 Re- silberfund: 1 Haithabu, 2 Bremen, Burg Giebichenstein, 10 Merse- gensburg, 19 Prag, 20 Olmütz, 3 Bardowick, 4 Lüneburg, burg, 11 Naumburg, 12 Meißen, 21 Esslingen, 22 Augsburg.

arabischen Inschriften religiösen Inhalts sowie dem artig, dass der Freiburger Archäologe Heiko Steuer aus Prägeort und Prägezeitpunkt unschwer zu erkennen, der Tatsache der allgemeinen Anerkennung dieser um bisher etwa 250.000 gefundene Dirham aus Gewichtssätze den Schluss zog, der Osten Europas sei Bagdad, Taschkent, Samarkand und Buchara. Zum im 9./10. Jahrhundert auf dem Weg in die »islamische Beispiel stammten die Münzen des in der Mitte des Wirtschaftsgemeinschaft« gewesen.5 Tatsächlich ist 11. Jahrhunderts verborgenen und dann nicht wieder diese Ausrichtung auf die vorder- und mittelasiati- gehobenen, fast 900 g schweren Schatzes aus Cortnitz schen Prägungen erstaunlich, genauso wie die plöt­z­ etwa zu einem Drittel aus dem Zweistromland und liche Umorientierung etwa um die Jahr­tausendwende, dem heutigen Iran sowie aus Afghanistan und Mittel­ seit der zunehmend zunächst angelsächsische und asien. Abb. 4 Allerdings wird man keinen unmittelbaren dann Prägungen aus dem später deutschen Gebiet Weg vom Prägeort zum Ort der Verbergung voraus- in den Horten der slawischen Welt auftauchen, was setzen dürfen, sondern in Rechnung stellen müssen, sich auch im Hortfund von Cortnitz widerspiegelt. dass das Silber durch verschiedene Hände ging und Zu erklären ist dies mit der durch den Niedergang des auf unbekannten Zwischenstationen seine schließlich Sāmānidenreiches politisch bedingten, plötzlich ein- feststellbare Mischung erhielt. tretenden Verschlechterung des arabischen Silbers, Aber nicht nur das Silber, sondern auch die zum dem nun zunehmend Kupfer zugemengt wurde. Seit Betrieb der Feinwaagen unumgänglichen und genorm- dem 11. Jahrhundert übernahmen aus dem östlichen ten Gewichtssätze kamen aus der arabischen Welt Sachsen kommende Münzen wie die Otto-Adelheid- und wurden offensichtlich in ganz Ostmitteleuropa Prägungen, Münzen Ottos III. und seiner Großmutter, respektiert und benutzt. Ihre Verbreitung ist so gleich- der zweiten Gattin Ottos des Großen, die Funktion Mitropa 2014 17

Abb. 5 Früh- und hochmittelalter- licher Sklavenhandel (nach Maurice Lombard)

der Dirham. So sind auch diese frühen ottonisch-­ Die Slawen Ostmitteleuropas versorgten die salischen Denare hauptsächlich aus Hortfunden der arabische Welt ebenso wie Mittel- und Westeuropa slawischen und skandinavischen Welt bekannt. mit Honig und Wachs aus einer spezialisierten Wald­ Silber, in Form von Münzen, Barren, komplettem bienen­wirtschaft sowie mit den Fellen von Zobel, oder zerhacktem Schmuck, zunächst aus arabisch ­Marder und Wildkatze, die auf den Märkten der süd­ beherrschten, nahöstlich-mittelasiatischen Ländern, lichen und westlichen Metropolen hohe Gewinne später aus dem angelsächsischen und ottonisch-sali- erzielten. Abb. 5 Und wenn die schriftlichen Überliefe­ schen Westen, bestimmte, soviel zeigten die archäo- rungen auch nicht eben auskunftsfreudig sind, so logischen Funde auf jeden Fall, die Austausch- und wird doch deutlich, dass es oft ein Handel auch mit Handelsbeziehungen der slawischen Welt zwischen mensch­licher Ware war, an dem z. B. Bolesław Chrobry Ostsee, Schwarzem Meer und Adria im frühen und ho- nicht allein durch den Einzug von Zöllen, sondern hen Mittelalter. Dieses Metall kam in großen Mengen sogar aktiv beteiligt gewesen sein muss. Nicht nur der in die slawischen Fürstentümer und diente dort wohl Bedeutungswandel der gentilen Eigenbezeichnung nicht zuletzt zur Repräsentation einer hohen Zahl der Slawen zum in ganz Europa und dem Mittelmeer- von Personen, deren gesellschaftliche Spitzen sich raum ebenso wie in der arabischen Welt (Saqaliba) mehr und mehr bemühten, die Hofhaltungen ihrer ge­bräuchlichen Begriff für unfreie Personen, Sklaven älteren Nachbarn in Ost und West, in Byzanz, Bagdad nämlich,6 zeigt, dass der Handel mit Menschen im oder den Pfalzen des westlichen Römischen Reiches, frühen und hohen Mittelalter eine nahezu unendlich also etwa Magdeburg, Quedlinburg, Merse­burg oder sprudelnde Quelle von Einkünften war. Bereits ganz Aachen, nachzuahmen. Weil sie aber keine eigenen am Beginn der Beziehungen der slawischen Welt mit Silbervorkommen ausbeuten konnten, mussten die dem Westen steht die Aktivität jenes fränkischen slawischen Fürsten Silber abschöpfen, das, wie die Her- ­Sklavenhändlers namens Samo, der um das Jahr 630 kunft der Münzen zeigt, aus weitreichenden Handels­ einen slawischen Aufstand gegen die Awaren an- beziehungen stammte. Wofür aber war insbesondere führte und nach dessen Erfolg zum König erhoben die arabische Welt des hohen Mittelalters bereit, so wurde. Mit großer Wahrscheinlichkeit war Samo eine viel Silber auszugeben? jener Personen, die erstmals den Transfer slawischer 18 Leseproben | Matthias Hardt »Silber, so wohlfeil wie Stroh«

­Gefangener durch das Frankenreich in den Mittel- barn in der Kiewer Rus vielfach Gelegenheit gehabt meerraum organisierten. Etwa einhundert Jahre haben, Menschen zu erbeuten, wie die gelegentliche später, um 740, traf der Abt Sturm auf der Suche nach Schilderung von deren Verteilung unter den Angehöri- einem geeigneten Platz für die Errichtung des Klos- gen der Heere zeigt. Ein Sklave kostete mit etwa 300 g ters Fulda am gleichnamigen Fluss auf eine Gruppe Silber etwa so viel wie ein Pferd; ein Schwert oder von Slawen, die in Begleitung eines »Dolmetschers« ein Ochse waren für 125 g zu haben; eine Kuh kostete wohl auf dem Weg nach Westen war, vielleicht nach demnach 100 g Silber. Verdun, einer Stadt, die trotz der häufigen Verbote der Es ist nach den vorgestellten Quellen nicht un- Konzilien durch Sklavenhandel reich wurde. Es waren wahrscheinlich, dass der Handel mit Menschen schon schließlich keine Christen, die verkauft wurden, und in der Karolingerzeit die wirtschaftliche Entwicklung auch die arabischen Empfänger im Emirat von Cór- nicht nur in den sich bildenden slawischen Fürsten- doba nicht, und auch nicht die oft jüdischen Händler, tümern, sondern in ganz die diese Transfers organisierten. Kein Grund also für Europa bestimmte. Die Matthias Hardt ist Fach­ die Könige der Franken, gegen diesen Handel vorzuge- frühe Bedeutung Magde­ koordinator für mittel­alterliche hen, der, wie die Zollordnungen von Raffelstetten an burgs und der dort die Geschichte und Archäologie der Donau und Walenstatt in der heutigen Schweiz zei- Elbe überquerenden am GWZO und lehrt als Honorar­ gen, große Silbermengen auch in deren Schätze spülte. Ost-West-Verbindung, professor für frühe Geschichte Charles Verlinden hat die Wege der Sklaven­kara­ der Fortsetzung des Hell- und Archäologie Mitteleuropas wanen und die Schicksale der häufig zu Eunuchen ­weges von Köln über an der Universität Leipzig. Er inte­ verschnittenen Männer nachgezeichnet, an denen Dortmund und Pader- ressiert sich besonders für in den arabischen Ländern ein so großes Interesse born nach Osten, zeigt den Einfluss von Gold und Silber bestand, und Heinrich Koller hat darauf hingewiesen, sich schon im Dieden- auf die Politik im frühen und dass es junge Mädchen waren, für die auf den Märkten hofener Kapitular Karls hohen­ Mittelalter. der Mährer die höchsten Preise erzielt wurden und des Großen aus dem an den Zollstellen die höchsten Abgaben zu zahlen Jahr 805, in dem Magdeburg ersterwähnt­ wird als waren. Nicht nur das spanische Córdoba, sondern über ein Grenzkontrollort, in dem der Handel mit Slawen die Vermittlung Venedigs der ganze östliche Mittel- und Awaren überwacht werden sollte, insbesondere, meerraum, über das ostmitteleuropäische Flusssystem um die Ausfuhr von Waffen zu unter­binden. Neben auch das Schwarzmeergebiet, das Zweistromland und Magde­burg werden Bardowick, Schezla, wohl an Mittelasien waren Ziele von Sklavenhändlern und ver- der Elbe bei Meetschow im Hannoverschen Wendland, sklavten Menschen aus den slawischen Gebieten. Mög- Erfurt, Hallstatt­ am Main nahe Bamberg, Forch- licherweise gab es sogar einen kontinentalen Transit­ heim, Premberg, Regensburg und Lorch an der Enns handel aus dem wolgabulgarischen Gebiet durch genannt; offenbar alles Orte, an denen bedeu­tendere Ostmitteleuropa ins moslemische Spanien. Liest man Handelswege ihren Weg aus dem Frankenreich nach hochmittelalterliche Historiographie unter diesem Osten nahmen, auf Flüssen und auf Landwegen. Aspekt, so wird verständlich, was aus den immer wie- Zur gleichen Zeit eröffneten die erst in den letzten der erwähnten Hunderten und Tausenden Gefangenen Jahrzehnten bekannter gewordenen emporia oder wurde, welche die slawischen Fürsten in den Kriegen Seehandelsplätze an der Ostseeküste das Binnenland gegen die Nachbarn erbeuteten. ­Methodios, dem dem Ostsee­handel, genannt seien Haithabu, Groß- Apostel Mährens, gelang es z. B. um das Jahr 867, die Strömken­dorf an der Wismarer Bucht, Rostock- Befreiung von neunhundert Sklaven aus der Gewalt Dierkow, Menzlin an der Peene, Ralswiek auf Rügen, des pannonischen Fürsten Chozil zu er­reichen. Der Wolin und schließlich Truso bei Elbing. An den Missionar und spätere Märtyrer Adalbert kaufte, was Schnittpunkten von Fernverkehrswegen oder deren ebenfalls auf den Gnesener Bronzetüren gezeigt wird, Übergängen über die großen Flüsse, aber auch in Gefangene frei; und Bolesław Chrobry wird während­ der Nachbarschaft der Fürstenburgen bildeten sich der Kriege gegen König Heinrich II. und vielleicht erste Märkte und Siedlungsagglomerationen, in denen mehr noch bei seinen Zügen gegen die östlichen Nach- spezialisierte Handwerker den Bedarf sowohl der Mitropa 2014 19

örtlichen Eliten und ihrer militärischen Gefolg­ Mittelalters, aber auch schon des Mährerreiches, schaften als auch der durchreisenden und ansässigen verfügten also über große Schätze vor allem aus Silber, Händler bedienten. Am bedeutendsten war offenbar die sie der Abschöpfung oder der eigenen Beteili- Prag am Sitz der Přemysliden, über dessen Sklaven- gung an einem Fernhandel verdankten, der Mittel­ markt, damals noch auf der Kleinseite, Ibrahim ibn europa mit Mittelasien und Nordafrika verband. Jaqub im Jahr 965 berichtete; aber auch in Posen, Dabei wurden in großem Umfang auch Menschen Breslau und Krakau entstanden diese multifunktio­ gehandelt, die entweder in den zahlreichen Kriegen nalen Siedlungen. Wahrscheinlich partizipierten der slawischen Fürsten untereinander erbeutet auch die kleineren Stammeszentren und Burgplätze worden waren oder aber den »eigenen« Gesellschaften im Verlauf der Fernwege von den durchziehenden entstammten, deren demographischem Überschuss ­Karawanen, so etwa Lebus, Köpenick, Spandau und also. Mit Dušan Třeštík muss somit festgehalten Brandenburg an der Havel an der eben angespro­ werden, dass »auf dem schmutzigen Handel mit un- chenen West-Ost-­Magistrale von Magdeburg nach glücklichen Menschen letzten Endes alle Staaten Posen, aber auch Leipzig und Erfurt an der südlicher Mitteleuropas (einschließlich des neuen Staates verlaufenden via regia. Es entwickelten sich soge- der Sachsen, des späteren Ottonenreiches) auf­b auten; nannte Burgstädte, die in vielen Fällen dann auch zu es war der Sklavenhandel, der die Triebkraft des Rechtsstädten der kommenden­ Zeit werden sollten. säkularen Prozesses der Herausbildung Mittel- Die slawischen Fürsten insbesondere des hohen­ europas war«.7

1 Maleczynski, Karol: Galli anonymi Bodendenkmalpflege 50 (2008), Herbert Jankuhn, Harald Siems und Cronicae et Gesta Ducum sive ­Principum 211–229. Dieter Timpe. Göttingen 1987, 405–527, Polonorum. Krakau 1952, c. 6, 18 f. – 5 Steuer, Heiko/Stern, Willem B./ hier 479. – Ders.: Münzprägung, Silber- übersetzt nach Bujnoch, Josef: Polens Golden­berg, Gert: Der Wechsel von der ströme und Bergbau um das Jahr 1000 Anfänge. Gallus Anonymus: Chronik Münzgeld- zur Gewichtsgeldwirtschaft in Europa – wirtschaftlicher Aufbruch und Taten der Herzöge und Fürsten von in Haithabu um 900 und die Herkunft und technische Innovation. In: Aufbruch Polen. Graz–Wien–Köln 1978, 57. des Münzsilbers im 9. und 10. Jahr­ ins zweite Jahrtausend. Innovation 2 Althoff , Gerd: Symbolische Kommuni- hundert. In: Haithabu und die frühe und Kontinuität in der Mitte des Mittel- kation zwischen Piasten und Ottonen. Stadtentwicklung im nördlichen Europa. alters. Hg. v. Achim Hubel und Bernd In: Polen und Deutschland vor 1000 Jah- Hg. v. Klaus Brandt, Michael Müller- Schneidmüller. Ostfildern 2004, ren. Die Berliner Tagung über den Akt Wille und Christian Radtke. Neu- 117–149, hier 123 f. von Gnesen. Hg. v. Michael Borgolte. münster 2002, 133–166, hier 140. – Vgl. 6 Lombard, Maurice: Blütezeit des Islam. Berlin 2002, 293–308, hier 302–306. auch Steuer, Heiko: Geldgeschäfte und Eine Wirtschafts- und Kulturgeschichte. 3 Jacob, Georg: Arabische Berichte von Hoheitsrechte im Vergleich zwischen 8.–11. Jahrhundert. Frankfurt/Main Gesandten an germanische Fürstenhöfe Ostseeländern und islamischer Welt. 1992, 198–200. aus dem 9. und 10. Jahrhundert. In: Zeitschrift für Archäologie 12 (1978), 7 Třeštík , Dušan: Eine große Stadt der Berlin–Leipzig 1927, 13 f. 255–260, hier 258 f.; Ders.: Gewichts- Slawen namens Prag. Staaten und 4 Friedland, Sarah Nelly/Hollstein, geldwirtschaften im frühgeschichtlichen Sklaven in Mitteleuropa im 10. Jahr­ Wilhelm: Der Schatz im Acker – Ein Europa. In: Untersuchungen zu Handel hundert. In: Boleslav II. Der tschechische Hacksilberfund des 11. Jahrhunderts und Verkehr der vor- und frühgeschicht- Staat um das Jahr 1000. Hg. v. Petr aus Cortnitz, Stadt Weißenberg lichen Zeit in Mittel- und Nordeuropa. Sommer. Prag 2001, 93–138, hier 133. (Lkr. Bautzen). In: Arbeits- und For- Teil 4: Der Handel der Karolinger- und schungsberichte zur sächsischen Wikingerzeit. Hg. v. Klaus Düwel, 20 Leseproben | Uwe müller Instrumente imperialer Politik?

Uwe müller

Instrumente imperialer Politik? Eisenbahnen in Ostmitteleuropa im 19. Jahrhundert

ie Renaissance der Globalgeschichte seit der bundenen Visionen betrachtet sowie die Spielräume DJahrtausendwende hat die Rolle des Eisenbahn- der Eisenbahn­politik bestimmt. baus im Wechselspiel von »Zivilisierung« und »Be- Vergleicht man das Tempo des Eisen­bahnbaus herrschung« außereuropäischer Räume im Rahmen in den ver­schiedenen Teilen Europas, so erhält man der Imperien in den Fokus der historischen Forschung zunächst das – sicher nicht unerwartete – Bild eines gerückt.1 Ausgehend vom russischen Beispiel sind West-Ost-Gefälles. Tab. 1 Allerdings ist insbesondere in jüngst vier Motive imperialer Eisenbahnpolitik be- der ungarischen Reichshälfte – trotz eines Rück­standes stimmt worden: innere Konsolidierung, Kolonisierung, in der Frühzeit – bis zum Ende des Jahrhunderts ein Sicherung der Reichsgrenzen, Vorbereitung weiterer auch im gesamt­europäischen Maßstab durchaus leis- Expansionen.2 Es ergibt sich die Frage, inwieweit tungsfähiges Eisenbahnnetz entstanden. dieser Befund auf die ost­mitteleuropäischen Reiche Auffallend ist außerdem, dass die Periphe­ übertragen werden rien des Habsburger Reiches, wie Galizien und Trans­ Tab. 1 Eisenbahn­ kann. Dazu werden im silvanien, im Vergleich zu den westlichen Grenz- netzdichten ostmittel­ Folgenden das Ausmaß gebieten des Russländischen Imperiums sowie zu europäischer Staaten des Eisenbahnbaus in den südosteuropäischen Nationalstaaten besser mit und Regionen im den jeweiligen Staaten Eisenbahnen ausgestattet waren.3 Da nach dem Ersten Vergleich zu West- und ermittelt, die mit dem Weltkrieg die Eisenbahnnetze in den neuen ost- Mitteleuropa Eisenbahnbau ver­ mittel­europäischen Nationalstaaten zwar an die

1850 1896/97 km pro 100.000 km pro 100 km2 km pro 100.000 km pro 100 km2 Einwohner Fläche Einwohner Fläche Großbritannien 39,3 3,4 86,0 10,8 Deutschland 16,6 1,1 91,0 8,8 Frankreich 8,5 0,6 106,0 7,6 Österreich und böhmische Länder 7,8 0,5 70,0 5,8 Ungarn 1,7 0,1 86,6 4,8 Königreich Polen 0 0 29,3 2,9 Rumänien 0 0 46,3 2,2 Serbien 0 0 25,0 1,2 Bulgarien 0 0 29,0 1,0 Russland 1 0,01 33,3 0,8

Quelle: Berend, Tibor Iván / Ránki, György: Economic Development in East-Central Europe in the 19th and 20th Centuries. New York–London 1974, 78. Mitropa 2014 21

veränder­ten Territorialstrukturen angepasst, jedoch Eisenbahn­politik bestanden, die nicht allein auf die nicht mehr wesentlich verdichtet wurden, wirken unter­schiedlichen ökonomischen Potenzen zurück­ derartige Unterschiede mitunter bis heute fort. So geführt werden können. Dies wäre auch insofern widerspiegeln Karten des polnischen Eisenbahn­netzes ein interessanter Befund, da man davon ausgehen in der Zwischen­kriegszeit, aber auch noch für die kann, dass Eisenbahnen gerade in multiethnischen Volks­republik Polen in den 1945 gezogenen Grenzen, Imperien nicht allein der Marktintegration, sondern dass es in den östlichen Provinzen­ Preußens einen auch – und in einigen Fällen sogar vorrangig – sehr intensiven­ Eisenbahnbau gegeben hat, das öster­ dem Ausbau und der Sicherung politischer und reichische Galizien noch relativ gut mit Eisenbahnen militärischer Herrschaft dienen sollten. Diese Politik ausgestattet wurde, im russischen Teilungsgebiet war gegen die von den Nationalismen­ ausgehenden jedoch nur einige Hauptstrecken existierten. Abb. 1/2 Zentrifugalkräfte gerichtet, zielte also in einem Dieser Unterschied ist auch deshalb sehr umfassenden Sinne ebenfalls auf Integration. bemerkenswert, da der Industrialisierungsgrad im In der Frühzeit der Eisenbahnen spielten Königreich Polen vor dem Ersten Weltkrieg nationale Fragen in Mitteleuropa noch eine ganz an- mindestens das Niveau des preußischen Teilungs­ dere Rolle. So erhofften Eisenbahnpioniere aus den gebietes erreicht haben dürfte und deutlich deutschen Ländern, wie etwa Friedrich List mit größer war als in Galizien.­ Tab. 2 Berlin, Wien und ­seinem Entwurf zu einem Deutschen Eisenbahnsystem St. Petersburg haben also – zumindest in ihren aus dem Jahre 1833, dass das neue Verkehrsmittel die Grenzgebieten – offen­kundig unterschiedliche nationale Einigung vorantreiben würde. Nachdem Eisenbahnpolitiken verfolgt. die anfäng­liche Skepsis aufgrund der unternehmeri­ Daraus lässt sich schlussfolgern, dass nicht schen Erfolge der ersten Privatbahngesellschaften nur die Imperien generell ein leistungsfähigeres gewichen war, herrschte unter den Regierungen der Eisenbahnnetz errichteten als die Nationalstaaten, deutschen Staaten,­ vor allem aber im Bürgertum sondern dass auch zwischen den ostmitteleuropäi- der meisten Städte die Auffassung vor, dass ein schen Reichen­ deutliche An­schluss an das Eisen­ Abb. 1 Eisenbahn- Differenzen in Bezug Abb. 2 Eisenbahn- bahnnetz nicht nur karte Polens (Zweite auf die Konzeption­ und karte der Volksrepublik ökonomisch sinnvoll, ­Republik), 1938 die Durchführung der Polen, 1953 sondern im Wettbewerb 22 Leseproben | Uwe müller Instrumente imperialer Politik?

mit benachbarten Staaten und Städten geradezu über­ schreitender Verbindungen, die bis Kalisch bzw. lebensnotwendig war. Die Umsetzung dieser Pläne Tschenstochau führten, an das polnische Netz an­ hing in erster Linie von der Mobilisierbarkeit des geschlossen wurden.7 regio­nal vorhandenen Kapitals ab, das in den 1840er So wie List für das Gebiet des Deutschen Bundes­ sowie in den 1860er und frühen 1870er Jahren vor- ein multizentrales, die wichtigsten Handels- und rangig in private Aktiengesell­schaften, in den 1850er Residenzstädte verbindendes Eisenbahnnetz vorsah, Jahren sowie ab 1880 überwiegend in steuer- und entwickelten bereits 1825 Erzherzog Johann, der in anleihen­finanzierte Staatseisenbahnen floss.4 vielerlei Hinsicht an technischem und ökonomischem Im Russländischen Reich ging es angesichts Fortschritt interessierte Bruder von Kaiser Franz I., grundlegend anderer ökonomischer und geographi- sowie 1829 Franz Xaver Riepl, Mineraloge und Er- scher Voraussetzungen zunächst weniger um ein Netz bauer des Puddel- und Walzwerkes von Witkowitz, von Eisenbahnen, sondern um die Überwindung Vorschläge für den Bau der ihrer Meinung nach für der enormen Distanzen und die Erschließung des wei- die Habsburgermonarchie wichtigsten Eisenbahn­ ten Landes durch einzelne Linien.5 Außerdem lehnte linien. Johann hatte die Vision einer modernen trans­ das russische Militär seit den 1870er Jahren den Bau kontinentalen Verkehrsachse zwischen Hamburg und weiterer Eisenbahnlinien im westlichen Grenzgebiet Triest. Diese sollte die seit der Schifffahrtsakte von 1821 ab.6 Man befürchtete, dass anderenfalls deutsche und der Entwicklung von Dampfschiffen aufblühende Truppen im Kriegsfall zu schnell die Weichsel er­ Elbschifffahrt ebenso einbinden wie eine Eisenbahn reichen würden. Ähnlich begründete Einsprüche von Böhmen über Graz nach Triest. Die eher an der durch das deutsche bzw. preußische Militär, dessen Einbindung der Monarchie in die Weltwirtschaft Zustimmung natürlich ebenfalls vor der Erteilung und der Modernisierung der von Johann auch sonst von Konzessionen für einzelne Eisenbahnstrecken ­geförderten Steiermark als an der binnenwirtschaft­ oder vor dem Bau einer Eisenbahnlinie durch den lichen Integration orientierte Stoßrichtung des Kon- Staat eingeholt wurde, sind nicht bekannt. So baute zepts wird sowohl durch die Umgehung der Haupt- Preußen bis 1900 vier stadt Wien als auch durch die Kombination einer Tab. 2 Dichte der Stichbahnen an die Ost- Anbindung an die Nordsee mit der Stärkung von Triest Eisenbahnnetze und grenze, von denen für den Handel mit dem Orient und Indien deutlich.­ Bedeutung der nicht­ ­zunächst keine und Während Johanns Idee bis heute nicht umgesetzt agrarischen Wirtschaft zwischen 1900 und 1914 wurde – wie jeder, der mit der Bahn von Prag oder Linz in den polnischen nur zwei durch die Er- nach Graz oder Triest reisen will, erfahren wird –, Teilungsgebieten­ richtung grenzüber- bildete Riepls Idee einer Eisenbahn, die das Imperium­

Territorium Provinz Posen Galizien Königreich Polen Staatliche Zugehörigkeit Preußen/ Zisleithanien/ Russisches Reich Deutsches Reich Habsburgermonarchie­ Länge der Eisenbahnstrecken (km) 1912 2890 4120 3596 Eisenbahnnetzdichte 99 52 28 (km pro 1.000 km2) Eisenbahnnetzdichte 135 51 30 (km pro 100.000 Einwohner) Anteil der Beschäftigten im 46 23 43 sekundären und tertiären Sektor (%) Jahr der Volkszählung 1907 1900 1897

Quelle: Economic History of Poland in Numbers. Warszawa 1994, 80, 110. Mitropa 2014 23

von Nordosten nach Südwesten durchziehen sollte, den Güterverkehr, sondern wurde fast ausschließlich indem sie Brody an der russischen Grenze mit den von den Petersburgern für Tagesausflüge genutzt. galizischen Salzgruben um Bochnia, den Kohlegruben­ Die erste Ferneisenbahn des Russischen Reiches des Ostrauer Reviers, der Hauptstadt Wien und dem berührte dann weder Moskau noch St. Petersburg, Hafen Triest verband, die Grundlage für die erste sondern führte von Warschau in den schlesischen ausschließlich mit einer Dampflokomotive betriebene Grenzort Sosnowitz (poln. Sosnowiec), wo Anschluss Ferneisenbahn der Monarchie: die Kaiser-Ferdinand- an die Kaiser-Ferdinand-Nordbahn hergestellt wurde. Nordbahn, die Wien Im Konzessionsvertrag für die Warschau-Wiener Uwe Müller hat sich bereits bereits 1838 mit Brünn Eisenbahn von 1839 garantierte die russische Regie- mit verschiedenen Aspekten der und in den 1840er Jahren rung den Aktionären eine Dividende von 4 % und ­Verkehrsinfrastrukturgeschichte auch mit Olmütz, Ostrau, entwickelte damit ein Subventionsinstrument, das beschäftigt, von den ersten Oderberg und schließlich später vielfach auch in Mittel- und Westeuropa Chausseebauten im 18. Jahr­ Krakau verband. In den angewendet wurde. Trotzdem ging der Bahngesell- hundert bis zur Verkehrspolitik 1850er Jahren folgte die schaft 1842 das Geld aus, sodass der Staat den Bau der DDR. Der hier präsentierte Südbahn, also die Ver- selbst übernahm und die Linie bis 1848 fertigstellte. Artikel geht auf die GWZO- bindung zwischen Wien Noch im gleichen Jahr wurde die Eisenbahn für den Ringvorlesung Eisenbahn in Ost- und Triest. Der Bau dieser Transport von Truppen zur Niederschlagung des mitteleuropa zwischen Utopie ältesten normalspurigen ungarischen Aufstandes genutzt. Außerdem erfolgte und Nostalgie zurück. Unlängst Gebirgsbahn der Welt nun der Bau der Eisenbahn von St. Petersburg nach hat der Wirtschaftshistoriker über den Semmering­ Moskau (1848–1851) durch den Staat. Das nächste aus der Projektgruppe »Ost­ war technisch sehr an- Bahnprojekt St. Petersburg—Warschau musste jedoch mitteleuropa. Transnational« spruchsvoll.8 beim Ausbruch des Krimkrieges 1853 unterbrochen das Themenheft Economic Mitinitiator einer werden. Der Weiterbau der 1.330 km langen Strecke Entanglements of East Central anderen österreichischen erfolgte von 1857 bis 1862 nicht mehr durch den auch and Southeast Europe in the Pionierleistung, des 1825 finanziell angeschlagenen Staat, sondern durch die 19th and 20s Centuries (Jahr- begonnenen Baus der von französischem Kapital dominierte Grande Société buch für Wirtschafts­geschichte, ersten Eisenbahnfern- des chemins de fer russes.9 2014) herausgegeben. strecke auf dem euro- Von den späten 1850er Jahren bis 1873 dominierte päischen Kontinent von also auch in Ostmitteleuropa der private Eisenbahn- Budweis nach Linz, die nach ihrer Fertigstellung im bau. Dies führte hier seit 1866 – wie in fast allen Jahre 1832 allerdings mit Pferden betrieben wurde, anderen europäischen Ländern – zu einem wahren war Franz Anton Gerstner. Gerstner war Professor für Eisenbahnbauboom. In dieser Zeit fungierte die Vermessungswesen am Polytechnikum in Wien und Eisenbahn auch in der Habsburgermonarchie und im ist 1834 nach Russland eingeladen worden, um dort Russländischen Reich als Führungssektor der Indust- die Uralbergwerke zu besuchen. Er legte anschließend­ rialisierung, beförderte also wirtschaftliches Wachs- dem Zaren eine Denkschrift vor, in der er die vor­ tum und Strukturwandel und stabilisierte dadurch gefundenen Verkehrsverhältnisse kritisierte und indirekt auch die imperiale Herrschaft. Die Nutzung Eisenbahnbauten zwischen Moskau und Petersburg der Eisenbahnen für konkrete imperiale Ziele war sowie nach Nischni-Nowgorod und Kasan vorschlug. jedoch in einem Privatbahnsystem nur möglich, wenn Der ansonsten konservative Zar Nikolai I. verstand diese mit den kommerziellen Interessen der – in der sehr schnell die militärstrategischen Vorteile einer Habsburgermonarchie wie auch im Russländischen Verbindung der beiden russischen Hauptstädte Reich meist ausländischen – Investoren harmonierten. mit der Wolga. Gerstner bekam daher die Erlaubnis, Der Boom endete im Mai 1873 mit dem Wiener eine Versuchsstrecke zwischen St. Petersburg und Börsenkrach. Dessen psychologische Folgen – der Zarskoje Selo zu bauen, die später bis Pawlowsk Verlust des Vertrauens in das liberale Wirtschafts­ verlängert wurde. Diese Strecke wurde bereits 1838 modell – waren mindestens ebenso gravierend wie die eröffnet, hatte allerdings keinerlei Bedeutung für realwirtschaftlichen Konsequenzen der Depression. 24 Leseproben | Uwe müller Instrumente imperialer Politik?

Die folgende sozialkonservative Wende bestand im Be- Das Eisenbahnnetz, mit dem insbesondere der reich der Eisenbahnpolitik zunächst in der staat­lichen ­preußische und der ungarische Staat ihre Territorien Übernahme von in wirtschaftliche Schwierig­keiten überzogen hatten, diente nicht nur dem Güter- und geratenen Unternehmen. Später wurden weitere Eisen­ Personentransport, sondern auch als Symbol für bahngesellschaften aufgekauft und neue Strecken die Stärke und Modernität des Staates sowie zur hauptsächlich durch den Staat gebaut. Vor allem Un- administrativen und militärischen Beherrschung garn praktizierte eine auch im europäischen Vergleich des Raumes. In allen Imperien wurde die Eisen- sehr systematische Verkehrspolitik. Dies betraf sowohl bahnpolitik außerdem in zunehmendem­ Maße von den Ausbau des Eisenbahnnetzes als auch die Gestal- nationalitäten­politischen Zielen beeinflusst. Dies tung der Transporttarife. Beides zielte auf die Förde- betraf etwa die Festlegung einer einheitlichen Ver- rung eines auf Budapest ausgerichteten Zentralismus kehrssprache, die Umwandlung der Bahnangestellten sowie die Unterstützung der Landwirtschaft und der in Staatsbeamte sowie die Personalpolitik in den Mühlenindustrie.10 In ähnlicher Weise war Preußen ­ethnisch gemischten Randgebieten. Der Zisleithani- durch eine sehr konsequente Verstaatlichung in der sche Ministerpräsident Ernest von Koerber­ versuchte Lage, mithilfe der auf den Hauptstrecken er­zielten 1900 sogar, durch ein groß angelegtes Infrastruktur- Gewinne den Ausbau des Eisenbahnnetzes in den programm für die böhmischen Länder und Galizien strukturschwachen Regionen zu finanzieren. Im Russ- die tschechische Obstruktion im Reichsrat zu be- ländischen Reich und in Zisleithanien blieben­ jedoch enden. Die russländische Eisenbahn­tarifpolitik – auch aus Rücksicht auf ausländische Anleger – pro- bevorzugte seit etwa 1890 die russischen Industrie­ fitable Unternehmen, wie die Kaiser-Ferdinand-Nord- zentren gegenüber den polnischen und lenkte bahn und die Warschau-Wiener Bahn unangetastet, auch die Getreideexporte über die eigenen Ostsee­ was die Möglichkeit des Einsatzes von Eisenbahnen als häfen, indem sie Transporte nach Danzig und Instrumente regionaler Struktur­politik verringerte. Königsberg verteuerte. Der über die Grenzen der Mit der Einführung des Staatsbahnsystems Imperien hinausgehende Verkehr war weitgehend ­waren also die Möglichkeiten, eine imperiale Eisen- auf die bereits vor 1875 errichteten Eisenbahnstrecken bahnpolitik zu betreiben, wesentlich gewachsen. Unter angewiesen. Einen expansionistischen Charakter den eingangs erwähnten vier Funktionen der impe- hatten daher allenfalls die österreichisch-ungarische rialen Eisenbahnpolitik war in Ostmitteleuropa die Eisenbahnpolitik auf dem Balkan und die russische innere Konsolidierung sicher die wichtigste. in Asien.

1 Vgl. exemplarisch Osterhammel, und Weltpolitik (IWVWW) – Berichte lung. Hg. v. Alois Brusatti. Wien 1973, Jürgen: Die Verwandlung der Welt. Eine 21/190–191 (2011), 95–110. 278–322, hier 278–291. – Klenner, Geschichte des 19. Jahrhunderts. Bonn 5 Schenk (wie Anm. 2), 16. ­Markus: Eisenbahnen und Politik 2010, 1018–1023. 6 Die Befestigung und Vertheidigung 1758–1914. Vom Verhältnis der europä- 2 Schenk , Frithjof Benjamin: Russlands der deutsch-russischen Grenze. Dem ischen Staaten zu ihren Eisenbahnen. Fahrt in die Moderne. Mobilität und deutschen Volke dargestellt von einem Wien 2002, 113–156. sozialer Raum im Eisenbahnzeitalter. deutschen Offizier. Berlin3 1887, 9. 9 Westwood, John Norton: Geschichte Stuttgart 2014, 37 f. 7 Müller, Uwe: Der deutsch-russische der russischen Eisenbahnen. Zürich 3 Lampe, John/Jackson, Marvin: Balkan Handelsverkehr und seine Auswirkun- 1966, 15–40. – Klenner (wie Anm. 8), Economic History, 1550–1950. Bloo- gen auf die Wirtschaft in den östlichen 58–66. mington 1982, 382. Grenzgebieten des Kaiserreiches. 10 Jordan, Peter: Die Entwicklung des 4 Then, Volker: Eisenbahnen und Eisen- In: Natürliche und politische Grenzen Eisenbahnnetzes auf dem Gebiet bahnunternehmer in der Industriellen als soziale und wirtschaftliche Heraus­ des heutigen Jugoslawien (bis 1918). Revolution. Ein preußisch/deutsch- forderung. Referate der 19. Arbeits­ In: Eisenbahnbau und Kapitalinteressen englischer Vergleich. Göttingen 1997. – tagung der Gesellschaft für Sozial- und in den Beziehungen der österreichi- Müller, Uwe: Die Bedeutung des Eisen- Wirtschaftsgeschichte vom 18. bis schen mit den südslawischen Ländern. bahnbaus und des Eisenbahnnetzes für 20. April 2001 in Aachen. Hg. v. Jürgen Hg. v. Richard G. Plaschka, Anna M. das Wirtschaftswachstum sowie den ­Schneider. Stuttgart 2003, 129–150, Drabek und Birgitta Zaar. Wien 1993, sektoralen und regionalen Strukturwan- hier 139 f. 13–30, hier 16–21. – Kaposi, Zoltán: del im deutschen Industrialisierungs- 8 Bachinger, Karl: Das Verkehrswesen. Die Entwicklung der Wirtschaft und prozess. In: Internationale Wissen- In: Die Habsburgermonarchie 1848– Gesellschaft in Ungarn 1700–2000. schaftliche Vereinigung Weltwirtschaft 1918. Bd. I: Die wirtschaftliche Entwick- Passau 2007, 67–72. Mitropa 2014 25

Frank Hadler

»Nichtphilosoph« und nicht einmal »Fasthistoriker« Über Jan Masaryk (1886–1948)

us einer Verleihung der Ehrendoktorwürde an Aden Außenminister eines Staates auf außer- wissenschaftliche Beweggründe zu schließen, liegt doppelt nahe, wenn es sich um den Sohn des Namens- patrons der betreffenden Universität handelt und dieser einst selbst Staatspräsident war. Nimmt der zu ehrende Sohn den angebotenen Titel eines Doktors honoris causa der Philosophischen Fakultät entgegen und erklärt: »Es scheint mir, dass aus mir statt eines Nichtphilosophen ein Fasthistoriker wird, und auch dort gehöre ich nicht hin«, ist der politische Gehalt einer solchen Ehrenpromotion geradezu mit Händen zu greifen. So geschehen am 20. Januar 1948 in Brünn an der Masaryk-Universität. Abb. 1 Hier hielt Jan Masaryk die letzte große Rede seines Lebens, das wenige Wochen später abrupt endete. In seine Dankesworte stieg er ein mit einer Anspielung auf den Präsidenten- Vater Tomáš G. Masaryk: »[…] ich weiß, dass der, dessen Namen die Brünner Universität trägt, wäre er noch am Leben, nachsichtsvoll milde lächeln würde«, und endete mit einem Hochruf auf den Präsidenten- Freund: »Vivat Praeses Rei Publicae nostrae, Eduardus Beneš.«1 oder Jenik gerufen – diesen Abb. 1 Ver­leihung Doch nicht das dramatische Prager Schlusskapitel Einstieg in den auswärtigen der Ehrendoktor­ der Lebensgeschichte von Jan Masaryk soll hier be- Dienst später so: »Nach dem würde der Masaryk- handelt werden. Im Zentrum stehen vielmehr Wahr- Ersten Weltkrieg sagte man Universität Brünn nehmungen seiner Person als Präsidentensohn und mir, ich könnte Diplomat sein. an Jan Masaryk, Diplomat im Dienste der Tschechoslowakei. Zu Erstem Und dies nur, weil ich Spra- 10. Januar 1948 war er mit etwas über dreißig durch die Tatsache ge- chen kannte, mich jeden Tag worden, dass sein Vater seit Ende 1918 das Präsidenten- rasierte und die Mädels gern hatte.«2 amt bekleidete; zu Letztem ein Jahr später, zunächst Die folgenden Ausführungen über Jan Masaryk­ kurzfristig als tschechoslowakischer chargé d’affaires basieren auf z. T. sehr persönlichen Reflexionen in Washington D. C. und dann ab 1925 als langjähriger von Zeitgenossen, die ihn in ganz unterschiedlichen Botschafter in London. Mit einigem Augenzwinkern Zusammenhängen erlebt hatten. Zum Ersten sind kommentiert Jan – von Familie und Freunden Jenda das die Erinnerungen der slowakischen Historikerin 26 Leseproben | Frank Hadler

Anna Gašparíková-Horáková, die nach ihrem Stu- dium in Prag ab 1929 mit den Masaryks in Lány, dem hauptstadtnahen Präsidentensitz, lebte. Zum Zweiten kommt mit Viktor Fischl ein 1912 geborener jüdischer Schriftsteller zu Wort, der 1948 nach Israel ging, den Namen Avigdor Dagan annahm und später unter anderem Botschafter in Polen und Jugoslawien wurde. Als dritter Zeitzeuge bietet sich der britische Journalist, Geheimagent und Diplomat Sir Robert Bruce Lockhart an, der mit Jan Masaryk eng befreundet war. Frau Gašparíková-Horáková war von Tomáš G. Masaryk als persönliche Archivarin und Biblio­ thekarin angestellt worden. Während der Jahre ihres Abb. 2 Umschlag Wirkens in der Präsidentenfamilie machte sie sich der Prager Aus- unregelmäßige Tagebuchnotizen, aus denen das gabe von 1991 Manu­skript eines Buches mit dem Titel U ­Masarykovcov (Bei den Masaryks) entstand. Es erschien 1995 posthum, Ein halbes Jahr später hatte Italien Äthiopien nachdem die Autorin 1987 hoch betagt mit 91 Jahren überfallen und die Kriegsgefahr stieg. Der Noch- verstorben war. In ihren Aufzeichnungen tauchte Präsident Masaryk (bis Ende 1935) erkundigte sich bei Jan Masaryk immer dann auf, wenn er seinen Londo­ seinem Sohn nach der Haltung Deutschlands und ner Botschafterarbeitsplatz verlassen hatte, um in bekam als Antwort: »Hitler sagt jetzt, dass er nichts Böhmen seinen alten Herrn zu besuchen. Bei diesen unternimmt, aber wer weiß, was ihm im Hirn herum- seltenen Gelegenheiten notierte sie sich einerseits geistert. Krieg? – Ich hoffe, dazu kommt es nicht.«3 Beobachtungen zum Vater-Sohn-Verhältnis, anderer- Es kam dazu. Und in dem Jahr, als er begann, seits schnappte sie den einen oder anderen Spruch traf Viktor Fischl in London erstmals auf Jan Masaryk. des »Botschafters« zur internationalen Lage auf. Fischl hatte Prag Ende März 1939, vierzehn Tage Für die Korrespondenz mit dem Sohn gab es nach dem deutschen Einmarsch, verlassen, um im in Lány kein eigenes Postfach. Der Vater ordnete Auftrag einer zionistischen Organisation britische dessen Schreiben höchst selbst den jeweiligen poli­ti- Visa für tschechoslowakische Juden zu besorgen. schen Vorgängen zu und leitete sie an den entspre- Rebecca Sieff, die Tochter einer reichen jüdischen chenden Bearbeiter weiter. In den Erinnerungen von Familie in Manchester, brachte ihn mit dem nun ehe- Gašparíková-Horáková finden sich Kommentare maligen Botschafter der Tschecho­slowakei zusammen. Jan Masaryks zur internationalen Politik Mitte der Bei diesem ersten Treffen soll er gesagt haben: 1930er Jahre, aus denen man auf die mitunter unkon- »Beky, Du hast ja schon viele Juden zu mir geführt, ventionelle Art seines Denkens als Diplomat schließen aber dieser ist anders als die anderen. Er lächelt. kann. Als im Oktober 1934 der jugoslawische König Einen Juden zu sehen, der nicht aufgehört hat zu Alexander zusammen mit dem fran­zösischen lächeln, stimmt einen Menschen heute froh. Keep Außenminister Louis Barthou in Marseille bei einem smiling, mein Freund! Das ist wichtiger als alles Attentat ermordet worden war, soll er gesagt haben: andere.«4 »Die Auswirkungen sind nicht auszudenken, nicht erahnbar […]. In einem Moment, da es schien, Dieses Zitat findet sich in den Aufzeichnun- dass sich die Welt zum Besseren wendet, nach gen Fischls, die er 1952 erstmals unter dem Titel dem Ausgleich mit Bulgarien, auf dem Weg zum Hovory s Janem Masarykem (Gespräche mit Jan Ausgleich mit Italien, verschwindet auf einmal Masaryk) in Israel veröffentlicht hatte. Bis 1982 er- alles im Nebel. In Marseille haben sie auch auf schienen vier Auflagen dieser Gespräche, unter uns gezielt.« ­anderem in Chicago, 1986 dann auch in deutscher Übersetzung. Hier wird nach der ersten Prager Aus- 27

Abb. 3 a, b, c Titelseiten der von Ruth Klinger herausgegebenen Publikation mit handschriftlicher Widmung gabe zitiert, die erst 1991 vom Verlag Mladá Fronta beiden von Edvard Beneš geführten Londoner Exil­ realisiert wurde. Abb. 2 Das Büchlein ist in thematische regierungen, ab 1945 der drei Prager Nachkriegs­ Abschnitte gegliedert, die mit weiter nicht belegten regierungen – von seiner letzten Auslandsreise nach Masaryk-Aussagen zum jeweiligen Fragenkomplex Prag zurückgekehrt. Ob und bei welcher Gelegenheit­ gefüllt sind. Eines der Kapitel bezieht sich auf das fragliche Exemplar des englisch-hebräisch ge­ das Verhältnis zu den Juden, für die Jan Masaryk nach druckten Handbuches in die Hände des Ministers Fischls Eindruck »eine gewisse Schwäche hatte«.5 gelangt ist, lässt sich nicht mit Bestimmtheit sagen. Der Botschafter glaubte an die Kraft des internatio­ Wohl aber, dass dieses Exemplar seit einem nalen Judentums, wofür sich auch in den Erinne­ Vierteljahrhundert in der Bibliothek des Autors dieses rungen von Gašparíková-Horáková Anzeichen finden. Beitrags steht. Ein Kollege hatte es 1989 in einem Im März 1933 soll er bei einem Besuch in Lány zu Prager Antiquariat für 16 Kronen erstanden und ihm ­erkennen gegeben haben, er freue sich, dass Adolf anlässlich der Verteidigung seiner Doktorarbeit über- Hitler eine Kampagne gegen die Juden begonnen habe: reicht. Das war an einem 14. September, und mithin »Dies wird er sicher verlieren. Die Juden in der Welt an einem Datum, das Sohn und Vater Masaryk durch haben schon begonnen aufzuschreien.« Und auf den Geburtstag des einen und den Todestag des die Frage, ob die deutschen Juden dann Asyl bekom- anderen verband … men könnten, habe er im Spaß geantwortet: »[D]ie Doch zurück ins Jahr 1947, auf das Bruce Lockhart, Reichen nehmen wir dankbar auf«.6 der dritte Zeitzeuge, besonders ausführlich eingeht. Ein solcher ex post geradezu makaber zu nen­ Er hatte nach dem Ersten Weltkrieg in der britischen nender Spaß war dann aber rasch verflogen. Ihn er- Botschaft in Prag gearbeitet und war während des setzte die persönliche diplomatische Unterstützung Zweiten Krieges als British Liaison Officer für die von Juden. Dafür dankend, versah Ruth Klinger ein tschecho­slowakische Exilregierung in London zu­ Exemplar des von ihr 1946 in Tel Aviv edierten Hand­ ständig. Seine 1952 als My Europe veröffentlichten Er- buchs Arts and Artists in Palestine7 mit folgender hand- innerungen, auf die sich die folgenden Passagen schrift­lichen Widmung: »Panu Ministru Masarykovi, gründen, erschienen ein Jahr später auf Deutsch. příteli židovského národa. Oddaně Ruth Klingerová, Hier findet sich der Bericht eines Pragbesuches vom Praha, v prosinci 1947«. Die Herausgeberin hatte es Mai 1947: also »Dem Herrn Minister Jan Masaryk, dem Freund »Es war längst dunkel, als wir in Prag ankamen der jüdischen Nation« im Dezember 1947 in Prag und auf dem Bahnsteig stand Jan Masaryk, »ergeben« dediziert. Abb. 3a, b, c Zu genau diesem Zeit- um mich ins Palais Czernin zu bringen, das den punkt war Jan Masaryk – seit 1940 Außenminister der Loretto­platz in Altprag [sic!], hoch über der 28 Leseproben | Frank Hadler »Nichtphilosoph« und nicht einmal »Fasthistoriker«

Neustadt liegend, beherrscht. Kein Auswärtiges heit auch an, um wenigstens ein Beispiel des Humors Amt in der ganzen Welt ist so schön gelegen. zu geben, den man Jan Masaryk nachsagte. So wusste Hier hatte Jan über den Kanzleiräumen seine der Freund davon zu berichten, der für den sowjeti- Amts­wohnung als Außenminister […].« schen Außenminister Molotov gebrauchte Spitzname sei »steinerner Hintern«, denn »je stärker man ihn Lockhart verband mit dem nahezu gleichaltrigen­ trete, desto mehr schmerze einem der Fuß«. Masaryk eine aufrichtige Freundschaft – was sich Im Dezember 1947 fanden in London Beratungen sehr schön in der Herausgabe eines kleinen, 1951 in der Vereinten Nationen statt, an denen neben dem London als bibliophile Ausgabe gedruckten, Ende 1952 verulkten Moskauer ebenda auch tschechisch erschienenen Büchleins Chefdiplomaten Molo- Frank Hadler ist Fach- mit Erinnerungen spiegelt.Abb. 4 Er hatte daher keine tov auch Jan Masaryk koordi­nator Geschichte des Scheu, auch auf die problematischen Seiten seines als sein tschechoslo- 19./20. Jahrhunderts und Fellows zu verweisen: »Abgesehen davon, dass er zu wakischer Amtskollege Projekt­leiter am GWZO. Seine keiner politischen Partei gehörte, lag seine Haupt- teilnahm. Von vielen Aus­führungen basieren auf schwäche als Politiker darin, dass er nicht nein sagen Seiten wurde er damals Vorträgen zum 125. Geburtstag konnte. Er gab mehr Versprechungen, als ein Mensch gedrängt, nicht nach von Jan Masaryk, die er 2011 hätte halten können.« Die Konsequenzen bekam Prag zurückzugehen. und später in Berlin, München Lockhart zu sehen: »Wenn aber jemals ein Mann an Auch Lockhart insis- und Leipzig gehalten hat. 2013 körperlicher und geistiger Erschöpfung litt, so war tierte, bekam aber beim erschien der zusammen mit es in jenem Sommer 1947 Jan Masaryk.« Dennoch letzten Treffen der Krzysztof Makowski heraus­ beschreibt Lockhart auch Momente der Ausgelassen- beiden am 3. Dezember gegebene Band Approaches heit, wie einen Abend­empfang, bei dem er Jan Masa- 1947 zu hören: »Man to Slavic Unity. Austro-Slavism, ryk mit viel Wodka dazu überredete, sich ans Klavier kann sein Land zwei- Pan-Slavism, Neo-Slavism zu setzen. Dabei soll er sowohl slawische Volkslieder mal, ja oft verlassen, and Solidarity Among the intoniert als auch Kompositionen des kurz zuvor in wenn es gilt, einen Slavs Today. Prag gewesenen Sergej Prokof’ev improvisiert haben. auswärtigen Feind zu Schließlich bietet sich die bekämpfen. Man kann es nicht, um seine eigenen Abb. 4 Titelseite Lockhart’sche Zeitzeu- Landsleute zu bekämpfen.«8 Einer von Masaryks der tschechischen Aus- genschaft bei aller quel- Mitarbeitern überlieferte den Satz: »Und auch wenn gabe von 1952 lenkritischer Reserviert- alles verloren wäre, ich muss zurückkehren, ich Mitropa 2014 29

kann doch den schwer kranken Beneš nicht im Stich slowakischen Republik bereits damals vielfach zum lassen.«9 Und so fuhr er. Idealbild eines philo­sopher king in der Demokratie Über die Gründe, warum Jan Masaryk den Kom- stilisiert wurde, hatte sich der Sohn wenige Wochen munisten unter Klement Gottwald, die 1946 die zuvor öffentlich als »Nichtphilosoph« bezeichnet. Wahlen gewonnen hatten, nicht stärker misstraute, ist Mit seinen jahrzehntelangen Erfahrungen­ als welt­ viel gerätselt worden. Der Germanist Eduard Gold­ gängiger Politiker schloss er es zwar nicht aus, stücker, damals Mitarbeiter der von Masaryk geleite- »Fasthistoriker« zu werden, fühlte sich aber – wie ten tschechoslowakischen Delegation zur UNO- eingangs beschrieben – dabei eigentlich nicht wohl. Gründung, meinte 1996 (mit dem zeitlichen Abstand Niemand weiß, welche Gedanken­ ihn an jenem eines halben Jahrhunderts!) aus der Reaktion des 7. März 1948 an seines Vaters Grab bewegten. Nur eine Außenministers auf ein Telegramm, das ihm 1946 zu Woche später wusste die ganze Welt, dass er direkt seinem 60. Geburtstag von Gottwald nach London daneben nach einem Staatsbegräbnis zur letzten Ruhe gesandt wurde, Zeichen einer »persönlichen Freund- gebettet wurde. schaft« ableiten zu müssen.10 Erklärt wäre mit der Zur Klärung der Todesursache von Jan Masaryk Freundschaftsthese gleichwohl gar nichts. Ebenso gab es inzwischen vier offizielle Untersuchungen unbelegt ist die These, der parteilose Jan Masaryk habe in den Jahren 1948, 1968/69, 1993–1996 und 2001– Ambitionen auf das Präsidentenamt gehabt, welche 2003. Ihre Ergebnisse sind 2010 in Prag in einem Buch die tschechische Nachwendepolitikerin Dagmar Bure­š- mit dem Untertitel Erwägungen über seinen Tod 12 ová auf der großen Prager Tagung zum 110. Geburts- zu­sammengetragen worden. Die in Zusammenarbeit tag von Jan Masaryk Mitte September 1996 vertrat. mit dem Úřad dokumentace a vyšetřování zločinců Damals hatte der Autor dieses Beitrags die Gelegen- ­komunismu (Amt für die Dokumentation und Ver­ heit, im Czernin-Palais die inzwischen für Besucher folgung der Verbrechen des Kommunismus) heraus­ zugängliche Wohnung Jan Masaryks zu besichtigen. gegebene Publikation wartet mit kriminaltechnischen Unvergesslich blieb der Blick aus dem Badezimmer- Details, Photos und Zeichnungen auf – nicht aber fenster, von dem aus dieser in den Morgenstunden des mit einer abschließenden Antwort auf die Frage nach 10. März 1948 in den Tod stürzte. Selbstmord oder Mord. Damit werden die Spekulatio- Drei Tage vor seinem Tod nahm Masaryk auf dem nen sicher weitergehen und hoffentlich auch das Nach- Altstädter Ring an den jährlichen Feierlichkeiten zum denken über Jan Masaryk, dessen Lebensgeschichte Geburtstag des Staatsgründers Tomáš G. Masaryk teil, reichlich Stoff bereit hält für Reflexionen, die weit über die er vorzeitig verließ, um nach Lány zu fahren.11 den Rahmen der tschechoslowakischen Geschichte Dort besuchte er das Grab des Vaters. Während dessen hinausreichen. Werk und Wirken als Präsident der Ersten Tschecho-

1 Zitate aus der Rede übersetzt nach Sum, 5 O židovské otázce [Über die jüdische Londýna 1938. Hg. v. Ders. Praha Antonín: Osudný krok Jana Masaryka Frage]. In: Fischl (wie Anm. 4), 60–66, 1996, 6. [Der schicksalshafte Schritt des Jan hier 60. 10 Goldstücker, Eduard: O Janu Masa­ Masaryk]. Praha 1996, 21, 26. 6 Notiz vom 12.03.1933, in: Gašparíková- rykovi [Über Jan Masaryk]. In: Jan 2 Zastaveníčka s Janem Masarykem Horáková (wie Anm. 3), 194. Masaryk. Diplomat, státnik, humanista. [Stelldichein mit Jan Masaryk]. 7 The Handbook Arts and Artists in Praha 1996, 17–22, hier 21. Hg. v. Jiří Jirotka. Praha 1948, 18 f. Palestine. Comprises Theatre, Music, 11 Nach Sum, Antonín: Otec a syn. II. díl. 3 Alle Zitate aus Gašparíková-Horáková, Dance, Painting and Sculptural Art. Syn Jan [Vater und Sohn. 2. Teil. Anna: U Masarykovcov. Spomienky Hg. v. Ruth Klinger. Tel Aviv 1946. Sohn Jan]. Praha 2003, 86. osobnej archivárky T. G. Masaryka 8 Alle Zitate aus Lockhart, Robert Bruce: 12 Jan Masaryk: Úvahy o jeho smrti [Bei den Masaryks. Erinnerungen der Mich rief Europa. Begegnungen auf [Jan Masaryk: Erwägungen über persönlichen Archivarin von T. G. dem Kontinent. Stuttgart 1953, 118, seinen Tod]. Praha 2010. Masaryk]. Bratislava 1995, 235, 243. 156 f., 116, 163. 4 Fischl, Viktor: Hovory s Janem 9 Zitiert nach Olivová, Věra: Svědectví Masarykem [Gespräche mit Jan Masa- Jana Masaryka [Die Zeugenschaft Jan ryk]. Praha 1991, 12. Masaryks]. In: Jan Masaryk. Depeše z 30 Leseproben | Agnieszka Gąsior Wider die deutsche Barbarei

Agnieszka Gąsior

Wider die deutsche Barbarei Kunstgeschichte im besetzten Polen während des Zweiten Weltkrieges

ie Verhaftung von 183 Professoren und Mitarbei­ ten und diese geistige Führungssendung als wichtigste Dtern der Krakauer Jagiellonen-Universität am Waffe gegen die Feinde Deutschlands dem Führer zur 6. November 1939 und ihre anschließende Verschlep- Verfügung [zu] stellen«.2 pung in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dieses Ziel realisierte auch die im Januar 1941 ge­ Dachau machte die prekäre Lage der Bildungseliten im gründete Sektion der Kunstgeschichte,3 an der Ewald kurz zuvor besetzten Polen auf einen Schlag deut­lich. Behrens, ein ausgewiesener Ostexperte mit Forschungs- Mit dem Ziel, das Generalgouvernement mit der Haupt- schwerpunkt in der deutschen Ostkolonisierung, als stadt Krakau in ein rein deutsches Siedlungsgebiet zu Leiter und Dorette Richter als Assistentin tätig waren. verwandeln, wurde von Anfang an eine vehemente Die erklärte Aufgabenstellung der Sektions­arbeit Dekulturation der polnischen Nation be­trieben. Die war es, »Deutsche Kunst der mittelalterlichen­ deut- Maßnahmen reichten von der Eliminierung der polni- schen Besiedlung des jetzigen Raumes des General­ schen Intelligenz über die Liquidierung aller Theater, gouvernements […] wiederzuentdecken, fachlich und Museen und Denkmäler sowie der Presse bis hin zu kultur­politisch sowie als Beweis der deutschen Ost- der Zerstörung höherer Bildungseinrichtungen und kolonisation zum Zwecke des deutschen kultu­rellen einem generellen Bildungsverbot ab der 4. Grundschul- Führungs­anspruches im Generalgouvernement klasse. Dennoch wurde auch weiterhin Wissenschaft auszuwerten«.4 Behrens und Richter setzten diese Vor- betrieben, allerdings auf besondere Weise – national- gaben in ihren Schriften um, ohne sie jedoch auf sozialistische Einrichtungen ersetzten die polnischen ein ideologisches Postulat zuzuspitzen. Erst im Kon- Institutionen, und auch viele polnische Wissenschaftler text der besonders öffentlichkeitswirksamen Aus­ nahmen ihre berufliche Tätigkeit unter den extremen stellungsprojekte sollte sich dieser Anspruch deut­ Bedingungen mit neuen »Schwerpunkten« wieder auf. licher herauskristallisieren. Abb. 1 Die Stellung der geräumten Jagiellonen-Univer­ 1941 trat das Institut mit einer Schau zu Veit Stoß sität nahm schon bald eine neue deutsche Forschungs- zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung. Der goti- einrichtung ein: Im Herbst 1940 wurde in den Räumen sche Bildhauer war bereits in der Zwischenkriegszeit des Collegium Maius, des repräsentativen Gründungs­ Gegenstand eines deutsch-polnischen Kunsthisto- baus der Jagiellonen-Universität, das Institut für rikerstreites gewesen. Die leichte Zugänglichkeit der deutsche Ostarbeit (IDO) eröffnet. Ein weitreichendes, Kunstobjekte vor Ort machte es möglich, die zunächst jedoch nie realisiertes Ziel war die Schaffung einer als photographische Wanderausstellung von der deutschen Kopernikus-Universität. Am IDO entstan- Publikationsstelle Dahlem konzipierte Schau nun den unter Direktor Dr. Wilhelm Coblitz sieben geistes­ in Krakau um Originalwerke zu ergänzen. Darunter wissenschaftliche und vier naturwissenschaftliche befand sich auch der riesige Marienaltar, der an­ Sektionen mit insgesamt 195 Mitarbeiterstellen, von schließend ins Reich verbracht wurde. Veit Stoß und denen aus Personalmangel 127 mit Nichtdeutschen, seine Zeit­genossen, in denen man einsame Kämpfer überwiegend Polen, besetzt werden mussten.1 Die Ein- mitten im fremden Element zu sehen vermeinte, soll- richtung hatte zum Ziel, so Generalgouverneur Hans ten Vorbild­charakter haben und den deutschen Sied- Frank in seiner Eröffnungsrede, »Kulturarbeit [zu] leis- lern, die sich in Krakau einer feindlichen Atmosphäre Mitropa 2014 31

ausgesetzt sahen, den Rücken stärken. Eine noch der »Sicherstellung«, eigentlich Plünderung und Be- deutlichere Stoßrichtung attestierte 1942 Hans Frank schlagnahmung von Kunstwerken aus Museen und der Ausstellung Altdeutsche Kunst aus Krakau und dem privaten Sammlungen. 1943, mit Einsetzen des »totalen Karpatenland in seiner Eröffnungsrede. Die präsen­ Krieges«, verlagerte sich jedoch der Schwerpunkt der tierten Werke seien »­unvergängliche Dokumente deut- Institutsarbeit auf die militärisch wichti­geren Natur- scher Leistung und deutschen Vor­ ­stoßenwollens«.5 wissenschaften. Gleichzeitig wurden die geisteswissen- Sie seien die histo­rische Begründung der deutschen schaftlichen Sektionen abgebaut. Behrens Einziehung Führungsrolle in der Region, woraus sich der An- zur im selben Jahr ließ die Aktivitäten spruch auf die Wiederbesetzung der Gebiete ableite. der Abteilung Kunstgeschichte zusätzlich erlahmen. Ihre Breitenwirkung hatten die Ausstellungen im Die Schließung der polnischen Universitäten traf gesamten Reich durch Rezensionen, Filmberichte in die zentralpolnische Region Großpolen mit der Haupt-­ Lichtspielhäusern und nicht zuletzt durch Besuche stadt Posen besonders empfindlich. Das Gebiet wurde renommierter Gäste, darunter der Berliner Ordinarius als Reichsgau Wartheland dem Reichsgebiet direkt Wilhelm Pinder, die ihnen zusätzlich wissenschaft­ einverleibt und die polnische Bevölkerung von dort, liche Autorität und Legitimität verliehen und von wie auch aus Pommern und Schlesien, vertrieben.­ der Presse dankbar begleitet­ wurden. Auch Dorette Die intellektuellen Eliten fanden insbesondere in ­Richters Kunstführer zu Krakau zielten auf ein breites Warschau Zuflucht. Die drastischen Maßnahmen der Publikum ab. Sie belegten die kulturelle Verwurzelung kulturellen Unterdrückung ließen verschiedene der Deutschen im besetzten Gebiet und sollten den Formen des Widerstands entstehen. Zu ihnen gehörte Leser von der moralischen Rechtmäßigkeit der Besat- auch eine geheime Universitätsgründung durch zungspolitik überzeugen. die Posener Professoren zu Beginn des Jahres 1940. Die Tätigkeit des IDO und seiner Kunstsektion Die Gründungsinitiative ging von den Geisteswissen­ wurde nach der Eroberung Lembergs durch die Wehr- schaften aus, aber auch Fächer wie Medizin oder macht auch auf diese Stadt ausgedehnt. Dort unter-­ ­Chemie waren vertreten. stützte insbesondere Behrens tatkräftig den Sonder­ In Reminiszenz an alte Abb. 1 Ausstellungs­ beauftragten für die Sicherstellung der Kunstschätze ­Wider­standstraditionen ankündigung auf im Generalgouvernement Kajetan Mühlmann bei aus der Zeit der Teilungen­ dem Krakauer Markt 32 Leseproben | Agnieszka Gąsior Wider die deutsche Barbarei

kamen Begriff und Geist der »fliegenden Univer- die Gründung einer Untergrunduniversität in Angriff. sität« wieder auf. In der in Warschau gegründeten Ihre Struktur war in Form eines Betriebes organisiert.­ Untergrunduniversität der Westgebiete gehörten Fakultäten und größere Fachbereiche erhielten Firmen- Dezentralisierung und Selbstverantwortung zu den bezeichnungen als Decknamen, die Univer­sität selbst leitenden Prinzipien. Die Geheimhaltung wurde durch wurde zur »Genossen­schaft« mitVorstand, ­ Haupt­ ein von Studenten wie Lehrkräften abzulegendes versammlung und Arbeitsgruppen. Man bediente sich, Schweigegelübde und ein ausgeklügeltes System von auch im Schriftverkehr, einer eigenen Untergrund­ Deck­namen gewährleistet. Die Verteilung der Semi- sprache, z. B. hieß der Professor »Meister«, der Assis­- nare auf verschiedene Privatwohnungen sollte den tent »Geselle«, während der Leiter der Uni­versität zufälligen Begegnungen ihrer Teilnehmer vorbeugen. mit »Chef der Genossenschaft« bezeichnet wurde. Als Wie notwendig diese Maßnahmen waren, zeigte sich dieser fungierte der Sprachwissenschaftler Professor bei­spielsweise am 17. Oktober 1943, als 19 Chemie­ Mieczysław Małecki. Ihn an die Spitze zu setzen war studenten der Untergrunduniversität »aufflogen« und Wagnis und Schachzug zugleich. Denn Małecki, der unter dem Vorwurf der Spionage an Ort und Stelle im Zuge der Verhaftung der Krakauer Universitäts­ hingerichtet wurden. professoren in verschiedenen Gefängnissen sowie den Im Lehrprogramm, insbesondere dem der Geis- KZ Sachsenhausen und Dachau in­haftiert gewesen teswissenschaften, sollte sich auch der Kampf um war, hatte nach seiner Rückkehr 1941 eine Anstellung den Erhalt der polnischen Kultur niederschlagen. So am Institut für Deutsche Ostarbeit erhalten. Er war hatte die kunsthistorische Fakultät, die Teil des 1943 ­einer der etwa 70 Etatmitarbeiter, denen man auf- gegründeten Ablegers der Untergrunduniversität grund ihrer­ besonders nütz­lichen wissenschaftlichen in Tschenstochau war, ein dezidiert polnisches Profil.­ Kompetenzen sogar ein eigenes Büro zuwies. Dort Die kleine Gruppe von anfangs fünf Studenten richtete er die Kanzlei der Untergrund­universität ein wurde vom Posener Professor und Museumsdirektor und hielt – unter dem Vorwand, jungen Assistenten Szczęsny Dettloff geleitet und von Zdzisław Kępiński Hilfestellung zu leisten – unterrichtet. Beide Hochschullehrer galten auch in Abb. 2 Deutsche Trans- seine geheimen Semi- der Nachkriegszeit als führende polnische Experten portkisten mit Kunst- nare ab. Diese paradoxe für Veit Stoß. werken des Warschauer Situation war in gewisser An der zweiten Warschauer Untergrunduniver­ Nationalmuseums Weise eine direkte Folge sität, der Józef-Piłsudski-Universität, war u. a. Jan Zachwatowicz, der spätere Generalkonservator Polens, als Leiter der Abteilung Polnische Architektur tätig. Professor Zygmunt Batowski vertrat dort in ganzer Breite die polnische, schlesische und ukrainische Kunst und Architektur der Frühen Neuzeit. Offiziell war Batowski als Übersetzer im Nationalmuseum beschäftigt, wo sein ehemaliger Student, Stanisław Lorentz, als Direktor fungierte. Lorentz habilitierte sich in den Kriegsjahren mit einem Buch zur Kunst der polnischen Aufklärung, während sein Assistent, Zygmunt Miechowski, 1944 seinen Magister über die Warschauer Schlossarchitektur ablegte, nur wenige Wochen bevor er im Warschauer Aufstand fiel. Während in Warschau die Repressalien des Okku- pationsregimes, allein schon wegen der hohen­ Ver- luste unter den Lehrenden, die Tätigkeit der Unter- grunduniversität empfindlich beeinträchtigen, war die Lage in Krakau günstiger. Auch hier nahm man 1941 Mitropa 2014 33

der Okkupationspolitik. Denn eine Einstellung bei seiner Deportation ins KZ Płaszów bei Krakau 1944 deutschen Institutionen und eine gültige Arbeits- ein jähes Ende. Obwohl im selben Jahr noch Dr. Rudolf karte stellten für die Betroffenen die beste Form des Jamkas als Dozent rekrutiert werden konnte, sprangen Schutzes vor den gefürchteten »łapanki« (Fangen) in der Folge 15 Studenten ab, fünf weitere wurden dar, den auf den Straßen nach dem Zufallsprinzip am Tag des so­genannten »großen Fangens« verhaftet­ ver­anstalteten Razzien, die ein alltägliches Risiko und zum Bau von Verteidigungsanlagen an die Ost- bedeuteten. Wo aber verlief die Grenze zur Kollabo- front abtransportiert. Somit musste die kunsthistori- ration? Einige Intellektuelle tauchten völlig unter, sche Gruppe im Jargon der »Firma« Ende 1944 »Kon- andere wiederum sicherten sich bei den Autoritäten kurs anmelden«. des politischen Unter- Das vielleicht wichtigste Betätigungsfeld der Die Kunsthistorikerin ­Agnieszka grunds ab und betrieben polnischen Kunsthistoriker während des Zweiten Welt- Gąsior hat sich anlässlich ihrer­ ein Doppelspiel von krieges stellten jedoch nicht die Ausbildung, sondern mit Kolleginnen der TU und Spionage und Alltags- der Schutz und die Dokumentation von Kulturgütern HU Berlin veranstalteten ­Tagung Kollaboration, indem sie dar. Die in ihren Ausmaßen unvorstellbare, nahezu Kunst in den besetzten ­Gebieten als Angestellte deutscher vollständige Zerstörung polnischer Kulturgüter war (1939–1945) mit der Kunst­ Einrichtungen interne durch einen Sonderbefehl Adolf Hitlers eingeleitet geschichte im besetzten Polen Informationen über die worden, den Hans Frank am 19. Januar 1940 folgender- beschäftigt. Bis Ende 2013 in Besatzer an den Wider- maßen in seinem Diensttagebuch dokumentierte: der Projektgruppe »Post­ stand weitergaben. Es gelte, so Frank, das Generalgouvernement als Panslawismus« tätig, leitet sie Das Fach Kunst- »Kriegsgebiet und Beuteland rücksichtslos auszu­ aktuell das Projekt »Bellum, geschichte verbarg sich powern und es in seiner wirtschaftlichen, sozialen, commercia et artes (1554–1721)«. in Krakau hinter dem kulturellen und politischen Struktur sozusagen zu ­Unlängst ist der unter Mitarbeit Pseudonym »kobierzec« einem Trümmer­haufen zu machen«.6 Bereitwillig und von Stefan Samerski heraus­ (Webteppich) und war zu- wortgetreu wurde diese Richtlinie in Akte rücksichts- gegebene Band Maria in der Krise nächst unter dem Dozen- loser Barbarei umgesetzt, die sich besonders gegen (2014) erschienen. ten Tadeusz Dobrowolski Objekte mit nationalem Identifikationspotential und auf die prähistorische hohem historischem Wert richteten. Der Kunstraub Kunst ausgerichtet. Im Zuge der Professorenverhaf- erscheint im Lichte dieser Dokumente beinahe als tung 1939 wurde Dobrowolski im KZ Sachsenhausen Segen. Abb. 2 interniert und trug schwere Gesundheitsschäden Das Ausmaß der Zerstörung war so groß, dass davon. Außerdem verlor er seine Wohnung samt allen sich schon kurz nach der Machtübernahme der Forschungsunterlagen und einer umfangreichen Nationalsozialisten im polnischen Untergrund Ein- Bibliothek. Beides beeinträchtigte seine universitäre richtungen formierten, in denen Informationen zu Lehre. Wann genau dann Dr. Adam Bochnak, ein betroffe­nen oder gefährdeten Objekten zusammen- Experte für Lemberger Barock- und Rokokoplastik, flossen. Eine Schlüsselrolle spielte in diesem Zu­ an der Untergrunduniversität Krakau tätig war, sammenhang der Direktor des Warschauer National­ ist bis heute unklar. In den Jahren 1943 bis 1944 kam museums Lorentz, Professor Batowskis bereits ge- als Verstärkung noch Dr. Guido Chmarzyński hinzu, nannter Habilitant. ­Lorentz wirkte am Kultusminis- ein Kenner der pommerischen und schlesischen terium der Unter­grund­vertretung der polnischen­ Kunst und dereinst Absolvent der Universität Posen Exilregierung in ­Warschau, wo er zuständig war für bei Professor Szczęsny Dettloff. Seine Abhandlung Museen und Sammlungen; der ebenfalls erwähnte zur Kunstgeschichte Schlesiens, die kurz nach dem Jan Zachwatowicz­ übernahm die Sparte »Denkmal«. Krieg 1948 erschien, übersetzte übrigens 1953 aus­ Gemeinsam orga­nisierten sie auch eine Aktion zur gerechnet Behrens, der ehemalige Leiter der Kunst­ Sicherung von Fragmenten des später gesprengten geschichte am IDO, ins Deutsche. Chmarzyńskis Warschauer Königs­schlosses, die in den Jahren 1971 bis Tätigkeit an der Untergrunduniversität nahm mit 1984 der Rekonstruktion als Grundlage dienen sollten.­ 34

Abb. 3 Karol Estreicher Denn schon am 10. Okto- Einzelfällen genau Abb. 4 Stanisław Lorentz mit rückgeführter ber 1939 waren der Bres- nachverfolgen. beim Gemäldetransport Dame mit dem Hermelin lauer Kunst­historiker Adolf Szyszko- in Przesieka, 1945 (Leonardo da Vinci), Dagobert Frey zusammen Bochusz beispiels- nach 1945 mit dem Direktor der weise, ein Architekturhistoriker, der auf dem Krakauer Breslauer Museen Gustav Wawelschloss als Konservator tätig war und beinahe Barth und dem Wiener Kunsthistoriker Joseph Mühl- als einziger Pole Zutritt hatte, informierte die Zentrale mann, einem Halbbruder des Sonderbeauftragten über die verheerenden Umbaumaßnahmen durch Kajetan Mühlmann, im Schloss zugegen gewesen, um Hans Frank, der sich dort eine wahrlich könig­liche die Demontage­ der gesamten Ausstattung zu koordi- Residenz einrichtete. nieren. Die im Anschluss in die Wände eingebrachten Die Zerstörungen wurden nach einem klaren Mus- tausenden ­Dynamitladungen wurden allerdings erst ter klassifiziert: entweder als Schäden durch Kriegs- 1944 ge­ ­zündet. Die Gruppe um Lorentz versuchte handlungen oder als Akte mutwilliger Zerstörung, für damals, nicht nur das Gebäude selbst, sondern auch deren Wiedergutmachung Ersatzforderungen an deut- das Vorgehen­ der Deutschen, die für die Räumungs­ sche Sammlungen gestellt werden sollten.­ Die Infor- tätigkeit Juden einsetzten, photographisch zu doku- mationen wurden an eine Gruppe von acht Personen mentieren. übermittelt, die unter der Leitung des Krakauer­ Kunst- Auch nach der Machtübernahme durch die historikers Karol Estreicher im »Büro für kulturelle National­sozialisten war Lorentz auf seinem Direk­to- Erstattungsforderungen« der polnischen Exilregierung ren­posten im Nationalmuseum verblieben, aller- zunächst in Frankreich und später in London tätig war. ­dings unter der Aufsicht Alfred Schellenbergs, seines­ Die erste Veröffentlichung des aus­gewerteten Materials deutschen Vorgesetzten. Ähnlich wie Małecki in erfolgte bereits 1944 auf Englisch, in einer Publikation Krakau nutzte auch Lorentz sein Büro nicht nur für von 300seitigem Umfang. Allerdings fand diese in die vorgesehene Arbeit, sondern gleichzeitig als der politischen Nachkriegs­konstellation keine direkte Dokumentationszentrale zur Erfassung von Schäden, ­Verwendung mehr. Immer­hin diente sie später als auf die sich nach dem Krieg Erstattungsforderungen Hilfe bei der Suche nach geraubten Kunstwerken, die stützen sollten. Informationen trafen aus dem Estreicher nach Kriegsende mit großem Engagement ganzen Land ein, jedoch lassen sich ihre Wege nur in betrieb. Abb. 3 ⁄ 4

1 Rybicka, Anetta: Instytut Niemieckiej arbeit im besetzten Krakau (1940–1945). Natio­nales Gedenken], Warschau, Pracy Wschodniej: Kraków 1940–1945 r. In: Die Etablierung und Entwicklung des Regierung des Generalgouvernement. [Institut für Deutsche Ostarbeit: Krakau Faches Kunstgeschichte in Deutsch- Personalamt, [Dr. W. Coblitz], b. d. 1940–1945]. Warszawa 2002. land, Polen und Mitteleuropa. Hg. v. 94/I/5948, k. 12. 2 Das Diensttagebuch des deutschen Ge- ­Wojciech Bałus und Joanna Wolańska. 5 Ansprache Hans Franks anlässlich der neralgouverneurs in Polen, 1939–1945. ­Warszawa 2010, 491–519. Ausstellungseröffnung. In: Bundesarchiv Hg. v. Werner Präg und Wolfgang 4 Undatiertes Fragment, vermutlich von Berlin, R 52 IV/141, Bl. 42–46, hier Bl. 42. ­Jacobmeyer. Stuttgart 1975, 173–175. Wilhelm Coblitz anlässlich der ­Eröffnung 6 Das Diensttagebuch (wie Anm. 2), 91 3 Arend , Sabine: Die Kunsthistorische des IDO am 20. April 1940. In: Instytut­ (Abteilungsleitersitzung, Krakau, am Sektion am Institut für Deutsche Ost­ Pamięci Narodowej IPN [Institut für 19. Januar 1940). Mitropa 2014 35

Stephan Krause

Fülkefor I. und das Land Marias Lajos Parti Nagy persifliert die Verhältnisse im Orbán-Staat

n der renommierten Wochenzeitung Élet és Irodalom sie von ihm wollten, wenn doch die ungarische I(kurz: ÉS; Leben und Literatur) erschien am 11. April Zukunft mit einem echt ungarischen Wort benannt 2014 unter der Überschrift Magyar mesék (Ungarische werden kann: weiter so, Potemkin ad astra.«4 Märchen) die letzte Glosse dieser Reihe von aktuellen »Märchen«.1 Sie behandelt den Ausgang der ungari- Die von 2011 bis 2014 wöchentlich im ÉS er­ schen Parlamentswahlen vom 6. April 2014: Abb. 1 schienenen Ungarischen Märchen des Schriftstellers »Aus den fünfundvierzig Prozent wankelmütiger Lajos Parti Nagy sind Ereignissen aus Politik und Ungarn windet sich nirgends eine solche starke Gesellschaft in Ungarn gewidmet, die in eine Mehrheit hervor, es sei denn in der Kabineuphorie2, märchen­artige Realität transponiert werden. Mit wo die unorthodoxen Wahlregeln im Vorhinein den einer ganz eigenen literarisierenden, glossenhaft- nachherigen Willen absichern. Wer die Urne hat, politischen Kolumnenpoetik kommentiert Parti Nagy nimmt deren Inhalt. Wer was abbekommt, nimmt’s, in diesen etwa vierhundert Wörter langen Prosa­ wer nichts abbekommt, muss nehmen, was er miniaturen auf schelmi- schlucken muss, eben das. Die Wahlzahlenlehre ist sche Weise und aus einer Abb. 1 Mitglieder kein Maskenball. Fülkefor I.,3 als die […] Weltpresse Froschperspektive eine des Frauenchors ihn am Tag nach dem Weltereignis zu fragen be- Gegenwart, die alles andere in Veresegyház in gann, verstand überhaupt nicht, was zum Henker als – im prosaischen Sinne – der Wahlkabine 36 Leseproben | Stephan Krause Fülkefor I. und das Land Marias

märchenhaft ist. Die Ungarischen Märchen ­zeigen die seine weithin sichtbare Unterschrift, mit der er Verwerfungen dieser Gegenwart, ihre tumbe Alltags- sogleich Ungarns Verfassung unterzeichnet, die gestalt und politische Charaktermaskerade gerade mit der Stephans des Heiligen wetteifern wird. durch ihre Form. Über das Gesicht von Pál Schmitt huschte hinweg, In einem der ersten Texte geht es um die neue was darüber hinweghuschte und er sagte: Verfassung, unter die der Staatspräsident seine ›Liebes Ungarisches Volk, ich habe sie von links Unter­schrift setzen muss, damit sie in Kraft treten betrachtet, habe sie von rechts außen betrachtet, kann. Dieses Märchen imaginiert einen zweifeln- sie ist noch nicht fertig. Auch ist dies nicht die den Präsidenten, der die großen Unzulänglichkeiten Verfassung der Mehrheit der Wahlbürger, vielleicht des Gesetzeswerkes5 erkennt und seine Unterschrift gerade so eines Drittels, wenn überhaupt. Da ich verweigert: die Bedeutung des Momentes erspüre, werde ich »Es war einmal, dass das Königliche Ungarische dies als ungarischer Patriot nicht unterschreiben.‹ Fernsehen in die Budaer Burg hinaufging, damit­ Damit stand er auf und zog durch die Säle es nicht genau dann nicht dort wäre, wenn der hinaus. Da brach in die dichte Stille hinein ein Staatspräsident Pál Schmitt6 die Verfassung unter­ Klatschen; dann zwei, drei, neun, siebenund- schreibt. Es war dort alles aufgetischt, ungarische­ siebzig. So großer Beifall, wie es ihn bei Olympia Fahne, EU-Fahne, Schinken, Eier, die Heilige Krone, noch nicht gegeben hatte. Er lebte dann glück- denn die hatte man als Brief­ eschwerer dort lich und zu­frieden, bis dass das Telefon klingelte. hinauf gebracht. Das hatte man mit einem So ging’s zu End’ und war vorbei.«7 Kronen­lift gemacht, ja. Da waren zwei Reporter, der eine kniete, der andere dito. Der, der kniete, Die Darstellungsmodi der Märchen wechseln sagte, es sei keine Übertreibung, als Bulle zu be- zwischen Satire, literarischer Karikatur und politisie- zeichnen, was dort auf dem Tisch des Herrn render Hyperbel. Das Märchenhafte des Geschehens Präsidenten liege, weil das so gut ausgearbeitet sei entsteht durch die reale Unmöglichkeit des Erzählten. wie der österlichste ungarische Schinken oder Sie erscheint sogar als Undenkbarkeit und weist auf auch der ungarischste österliche, Hauptsache, ein ob der allseits herrschenden politischen Paralyse­ dass es so reif sei. Der da kniete, ergriff das Wort: Nicht-Gedachtes hin. Neben diesen inhaltlichen Es erlitt für uns den Tod am Kreuz, unser Jesus Merkmalen fällt an den Originaltexten die dialektale Christus, am Jahrestag von dessen Auferstehung Abweichung von der ungarischen Standardsprache nun diese Neue Zeit­rechnung anbeginnt. Es ist auf. Die Orthographie der Texte transportiert dies, indem vielfach der Versuch unternommen wird, ein dialek­tales Lautbild zu verschriftlichen. Der Vorgang ist als poetisch-ästhetisches Mittel nichts Unbekanntes. Dennoch wären die Termini »­Dialekt-« oder »Mundartdichtung« nicht treffend. Parti Nagys Texte sind in einem Dialekt verfasst, der sich als vidéki dialektus (ländlicher Dialekt) oder tájszólás (Mundart) beschreiben lässt. Es handelt sich um einen stilisierten und ästhetisierten Dialekt, der mit Ad-hoc-Bildungen, neologistisch erscheinenden Kompositionen oder Ableitungen und umsemanti- sierten Wörtern (oft Substantiven und Eigennamen) gespickt ist. Regional einzuordnen wäre er am ehesten Abb. 2 Fülkefor und Abb. 3 Fülkeufória (und im Székelyföld, in dem Szeklerland, einem Teil von sein Land, 2012 sein Land, einhundert- Siebenbürgen. Damit transportieren die Märchen undein neue ungarische ein Moment von Ursprünglichkeit und von etwas Märchen), 2014 originärauthentisch Ungarischem.8 Abb. 2 ⁄ 3 Mitropa 2014 37

Die durch den Dialekt und die (groteske) waren, schon nach dem Abb. 4 Györgyi Kari. Szene­rie erzeugten Effekte sanktionieren nun aber Kosa’schen Gesetz der Szenischer Märchen- keinesfalls einen Patriotismus, der als nationales ­großen Zahlen nicht. vortrag, begleitet ­Großsprechertum auftritt. Sie persiflieren vielmehr Aber wo Freiheitskampf von György Lányi zentrale Figuren des politischen Lebens in Ungarn ist, da ist Freiheitskampf, sowie nationalistisches Gehabe und dessen Prota- eben so, wie es in dem berühmten Gedicht gonisten. Zum Beispiel erschien, nachdem der Jüdi- von Albert Illyés heißt. Aber es hätte auch sche Weltkongress für den 6. Mai 2013 Budapest als noch andere schollengebundene Rassenaufgaben Tagungs­ort gewählt hatte, das folgende Märchen. Als für den König der Ungarn ge­geben, der trotzdem Kontext wird dabei die Neuvergabe der Verkaufs­ gastlich die Juden empfing, die ihn eigentlich im lizenzen für Tabak angesprochen, die in großer Mehr- Rahmen ihres Weltkongresses gastlich empfingen.­ heit an FIDESZ-treue Bewerber gingen. Der hier in Und zwar auch die, die hier wohnen und nur seiner Gänze wiedergegebene Text lässt den König insofern keine Ungarn sind, als sie Juden sind, und (gemeint ist Orbán) sprechen und entlarvt den auch die noch, die nur zum Von-hier-Stammen latenten Antisemitismus in seinen rhetorischen nach Hunnia ge­kommen waren. Natürlich auch Schleifen und Verbrämungen: die anderen, wenn sie hungrig sind und wenn »Es war einmal und es war nachdem der Herr die Erkenntnis ist, dass sie sich in Marias Land Staatssekretär János Lázár in seiner großen Gegen- versammeln, weil dort der Anti­semitis­mus wächst. das-Rauchen-Kampagne das Angenehme mit Ja, nur wächst der in ganz Europa, wenn be- dem Nützlichen verband; er tütete die ungarische stimmte ziemlich beschränkte Jemande die Frage Rauchpartei, die die Gesundheit bis ins Mark so stellen! Ist denn die Duldung, mal als Beispiel, schädigt, ein in die ›Gesundheitsschützende Ver- etwa sowas? Oder die vollmundig laute Be- einigung der Nationalen Trafikbesitzer‹ der Partei- schimpfung als Fremd­herzige vielleicht? Oder familie. Da war Freude in der Preisspanne-­Republik, die Auszeichnung von Kulturnazis für ihre es wogte kräftig die nationale Trafäkalia, so aus- Leistungen etwa? […] Die von sämtlichen Regie- gelassen war der Schwung, dass selbst einige klein- rungsblättern angeführte Wirwissen­wer-Hetze königliche Dummheiten nicht auszuschließen gegen Imrekertésze und liberale Philosophen, 38 Leseproben | Stephan Krause Fülkefor I. und das Land Marias

das soll ein Anwachsen sein? Das Auschwitzeln historisch-politische Konstellation, die sich (weiter- des Parteisitzverteidigers vielleicht? Oder was hin) als politisches Thema in Ungarn hält. So sehr ist die heimatweite richtig gefasste Zusammen­ der dialektale­ Klang auf ein sentimental-nationales arbeit mit der Neonazipartei denn!? Man kann in ­hungarikum anspielt, so sehr wird genau dieses in- jeder Suppe ein Haar finden, aber das merke er haltlich gebrochen. Die Texte geben die (politischen) an, merkte der König an: Wenn denn der geehrte Figuren und ihr Tun der Lächerlichkeit preis, indem weltmächtige Kongress ihm eine Garantie gäbe, sie sie im Dialekt inszenieren. Abb. 4 dass auch ohne die Rechtsradikalen die königliche Eine Entsprechung hierfür zu finden, ist das Parteifamilie die Wahl mit Zweid­rittelmehrheit Problem für eine deutsche Übersetzung. Eine hoch- gewinnt, dann grenze er sich so sehr von denen ab, deutsche Variante, gar mit Lösungen für einzelne Ad- dass er an die Wand stoße. Nicht er sei der Anti­ hoc-Bildungen, lässt sich erstellen, die vorkommenden semit, sondern die Zustände seien so, wo, wenn er Namen etc. erklären. Eine dialektale Variante aber ist nicht gewinne, die Heimat in die Hand der schlechterdings nicht machbar. Weder beim Berlini- Opposition gerate und die Wirwissenwers kämen.­ schen, Plattdeutschen oder Sächsischen noch beim Und dann ist nicht sicher, ob diesseits und jen- Bairischen lässt sich eine seits des Sió das Gastrecht so sehr zählt, dass der Vorstellung des »archa- Der Literaturwissenschaftler Gast auch noch sagen kann, was ihm nicht isch-echt Deutschen« Stephan Krause hat im Projekt gefällt. Das ist hier und jetzt noch zu danken, assoziieren. Würde ein »Spielplätze der Verweigerung« ja jede hirnlose Erkenntnis hilft im Kampf Dialekt wie Schlesisch, zu aktuellen Positionen und gegen die inakzeptablen und unduldbaren Et- Niederpreußisch oder ­Poetiken ungarischer Schrift­ ceteras, an dessen Spitze der König Fülkefor I. Ostpommersch gewählt, steller gearbeitet, nachzulesen steht, und zwar so, dass er sich sogar noch so führte dies umso u. a. im 2014 erschienenen Band gegen geltende Gesetze wandte und die anti­ mehr in die Irre, nicht Spielplätze der Verweigerung. zionistische Demons­tration der anderen Partei­ nur dürften wohl nur Gegenkulturen im östlichen familie verbot, damit die Fassade gewahrt wenige deutschspra- ­Europa nach 1956. Aktuell befasst bleibe. Nur ein Abendessen lang! chige Leser einen dieser er sich mit Körpern der Roman- Welcher König tut so etwas? Keiner! Welcher Dialekte identifizieren, tik, ihrer Ikonisierung und König macht ein neues Grundgesetz nur, damit es verbände sich mit Ästhetisierung­ in der Literatur er das Ethnikum des Fideszungartums, die Juden, ihnen auch keine der Ostmittel­europas. die Zigeuner und wen sonst noch besser schützen­ genannten Assoziatio- kann. Mit Feuer, Eisen, Präambel! Nicht so wie nen. Die (höchstproblematische!) historische Analogie anderswo, im geehrten Drüben mit zweierlei Maß, (zwischen nicht mehr zu Ungarn und nicht mehr wo Synagogen gesprengt werden und es kein zu Deutschland gehörigen Gebieten), auf der diese Wallenberg-Gedenkjahr gibt. Auf dem Boden von Auswahl aufbaute, ist demnach letztlich keine. Für ein Vater Árpád ist Anti-berger und wem so viele deutschsprachiges Publikum böte sich der Vortrag Gut-Faschos zu wenig sind, den strafe Tadel und eines Textes mit ungarischem Akzent im Deutschen Schmach, solange er noch trafikiert.«9 an. Auf diese Weise würde (vielleicht) die Parallel­ verschiebung der Assoziationskette ermöglicht, Bei muttersprachlichen Lesern wird der zugleich könnte doch der – im Vortrag ebenso unernst nach­ politisierende und nicht-politisierende Dialekt der geäffte – Akzent etwa die mit angelerntem ungari- Ungarischen Märchen wohl Assoziationen wie »au- schem Akzent sprechende Liselotte Pulver aus thentisch ungarisch«, »szeklerisch-rural« und »leicht dem 1950er-Jahre-Streifen Ich denke oft an Piroschka archaisch« wecken. Das Székelyföld gehört heute (seit aufrufen. Damit wäre ein im (bundesrepublikanisch-) dem Vertrag von Trianon 1920) zu Rumänien, hat deutschen kulturellen Gedächtnis angelegtes klischee­ aber nach wie vor einen relativ großen ungarischen haftes Ungarn-Bild angesprochen, das zwar inhalt- Bevölkerungsanteil (2011: 56,8 %).10 Der Pseudodialekt lich nicht dem entspräche, was die Ungarischen Mär- der Ungarischen Märchen verweist ironisch auf diese chen ironisch im Original produzieren, das sich jedoch Mitropa 2014 39

Abb. 2 Eduard Gärtner, Zimmerbild, Berlin, 1849

in ähnlicher Weise zur Persiflage eignete wie die dieser Effekt gerade durch Abb. 5 Orsi Horváth, ­dialektale Färbung der Originaltexte.­ den diskursiv eigentlich Budapester Parlament/ Was die angeführten Textauszüge aber auch im mit gegenläufigem Bedeu- Drawing Protest, Deutschen zeigen können, ist der inhaltliche Zu- tungspotential versehenen Wandgemälde, 2013 schnitt der Ungarischen Märchen. Die Inszenierung Einsatz jenes Pseudoszek- einer märchenhaften (Text-)Realität lässt sich durch- lerisch’ mit ausgelöst und verstärkt. Dieses Sprechen aus erkennen und auch, in welcher Weise sie sich erscheint in einer Maskerade, die, so echt-unecht der (politischen) Wirklichkeit entgegen setzen und sie sich gibt, die Verdrehungen und Verzerrungen im sich deren Mainstream verweigern. Im Original wird Orbán-Staat ironisch offenlegt.

1 Lajos Parti Nagy, der seit April 2011 jede tion in der Wahlkabine« hatte Orbán die (scheinbaren) Authentizität dürfte der Woche ein Märchen geschrieben hatte, Parlamentswahl von 2010 bezeichnet. Erfolg der Kolumnentexte mitbegrün- teilt seinen Lesern drei Jahre später 4 Parti Nagy, Lajos: Magyar mesék det liegen. Die Publikationen im ÉS mit, er habe die Reihe nun bewusst [Ungarische Märchen]. In: ÉS LVIII, werden mittlerweile von zwei Buch­ beendet. So sei es logisch, dass er nach 11.04.2014. Alle Übersetzungen: veröffentlichungen (erschienen 2012 den Wahlen 2014 aufhöre. Vgl. Parti Stephan Krause. und 2014) flankiert, die über 150 Nagy, Lajos: Valóban sokat bízok a 5 Zu Analyse und profunder Kritik des Ungarische Märchen enthalten. Außer- nyelvre [Ich vertraue wirklich sehr auf »Grundgesetzes« (alaptörvény) siehe dem sind mehrere CD-Einspielungen die Sprache (Interview)]. In: http://www. Küpper, Herbert: Ungarns Verfassung erschienen, in denen der Autor seine litera.hu/hirek/parti-nagy-lajos-73734 vom 25. April 2011. Einführung – Über- Texte selbst liest, sowie Videoeinspie- (08.05.2014). setzung – Materialien. Frankfurt/Main lungen, in denen die Schauspielerin 2 »Kabineuphorie« ist eine Nachbildung 2012. Györgyi Kari einzelne Texte vorträgt. des ungarischen fülkeufória, aus fülke 6 Schmitt musste im April 2012 zurück- 9 Parti Nagy, Lajos: Magyar mesék (Kabine) und eufória (Euphorie), das treten. Seine Doktorarbeit wurde als [Ungarische Märchen]. In: ÉS LVII, bei Parti Nagy eine Weiterentwicklung Plagiat entlarvt. Ihm folgte der bis heute 10.05.2013. von fülkefor (Kabine + for[radalom]: amtierende János Áder. 10 Zahl (Komitate Hargita/Harghita, Kabinenrev[olution]) darstellt. 7 Parti Nagy, Lajos: Magyar mesék Kovászna/Covasna, Maros/Mureş) nach 3 Der für Orbán stehende Name Fülkefor I. [Ungarische Märchen]. In: ÉS LV, dem rumänischen Zensus von 2011. In: spielt auf »forradalom a választófülké- 22.04.2011. http://www.recensamantromania.ro/ ben« (Revolution in der Wahlkabine) an, 8 In dieser durch dialektale Färbung und wp-content/uploads/2013/07/sR_ deutsch etwa Kabinenrev I. Als »Revolu- rural-dörfliche Sphäre generierten Tab_8.xls (27.04.2014). 40 (vom ­französischen journal, »Tagebuch«) folgt einem reisenden Wissen- schaftler ins Feld. Es bietet aktuelle Beobachtungen, historische Reportagen, Journal ­subjektive Eindrücke und »Nebenprodukte« der Recherche, publizierte oder auch eigens verfasste. Eisenbahn trifft Blutgräfin­

Impressionen aus dem Waagtal Ute Rassloff Mitropa 2014 41

»Dem Fremden, der auf seinen Reisen die Slowakei auch nur ganz flüchtig berührt, muss ein Besuch des an malerischen Schönheiten so reichen Waagtales auf das wärmste empfohlen werden, reiht es sich doch würdig dem alten Rhein und der vielbesuchten und beliebten Wachau an, die es an der Zahl der Schlösser und Ruinen mit 30 Burgen, Festungen, Kastellen und alten Klöstern noch weit über- trifft.«

as versprach 1932 ein deutscher Reiseführer. Am DRande einer Forschungsreise lässt sich das prüfen. Die Akteure der slowakischen Nationalbewegung traten im 19. Jahrhundert oft fernab von Wien oder Budapest auf. Ereignisse wie die Verabschiedung der Forderungen der slowakischen Nation 1848 in Liptovský Mikuláš oder die Gründung der Kulturinstitution Matica slovenská 1863 in Turčianský Svätý Martin luden diese Orte symbolisch auf. Als neue periphere Zentren waren sie dafür prädestiniert, national­ kulturell wichtige Einrichtungen wie Bibliotheken, Museen, Galerien und, wie im Falle Martins, den ­Nationalfriedhof aufzunehmen. Wer sich beim Stu- dium der slowakischen Romantik mit Digitalisaten nicht zufrieden gibt, sucht diese peripheren Zentren gerne persönlich auf – und gerät dabei unvermeid- lich in das malerische Tal der Waag. Dieser mit vierhundert Kilometern drittlängste Fluss des Karpatenbeckens ist zugleich der längste der Slowakei, deren Territorium er nie verlässt. Die Seiten- arme entspringen in der Hohen und der Niederen Tatra. Zur Waag (slowak. Váh, ung. Vág) vereint, durchquert der Fluss das zwischen den beiden Gebirgsmassiven lie- gende Liptauer Becken Richtung Westen, bis er hinter Ružomberok in schroffen Kerbtälern die Große und die 42

Kleine Fatra durchbricht. Vor Žilina öffnet sich das Tal eisenzeitlichen Kultur ihren Namen. Und oberhalb wieder, doch nun muss die Waag den Beskiden aus­ des Stausees Liptovská Mara in der Nähe der Eishöhlen weichen und im rechten Winkel nach Südwesten abbie- fanden sich Nashornknochen, Höhlenbärzähne, Stein- gen. Sie verläuft fast parallel zur tschechischen Grenze spitzen, Keramiken und eine ganze Wallburg. An der und zu den Weißen Karpaten, tritt bei Nové Mesto unteren Waag bauten die Menschen Wassermühlen, nad Váhom in das Tiefland ein und folgt den Kleinen wie sie heute noch in einem Museum in Kolárovo zu Karpaten nach Süden. In der Donauebene erreicht der besichtigen sind. Fluss die Stadt Kolárovo, fließt hier mit der Kleinen Vor allem war der Fluss eine Verkehrsader. Er ga- Donau zusammen und an der Schüttinsel entlang zur rantierte den Bewohnern der unwegsamen westlichen Grenzstadt Komárno, wo er in die Donau mündet. Karpaten die Verbindung zur Welt. Im Winter wan- Die Karstlandschaft im Oberlauf der Waag, deren derten sie auf dem zugefrorenen Fluss, das wichtigste Höhlensysteme von Wasseradern durchzogen sind, Transportmittel aber war das Floß. Die Bergbewohner scheint geologisch immer noch aktiv zu sein. Beim flößten das begehrte Bauholz aus den Seitentälern Hochwasser von 1813, das über einhundert Menschen- der Waag über die Donau bis nach Pest. Sie verschiff- leben forderte, stammten die Wassermassen nicht nur ten das auf dem Landweg aus Polen herbeigebrachte von der Schneeschmelze und den starken Regengüs- Salz in die südlichen Bezirke. Auch Eisen und Kupfer, sen. Augenzeugen berichteten damals von leichten Butter und Käse gelangten über die Waag in die Städte. Erdbeben, unterirdischem Getöse, Schwefelgeruch und Die Flößer trotzten den Fährnissen des launischen austretendem warmem Wasser. Nach Erdrutschen Flusses, und wenn sie ihre Gefährte mit Unterstand hatten sich Berge geöffnet, alte Thermalquellen wur- und Kochstelle ausrüsteten, vertrauten sich ihnen den verschüttet und neue aufgetan. Hier riss die Waag auch Passagiere an. immer wieder riesige Felsblöcke mit sich, zermalmte Die Forschungsreisende ist komfortabler unter­ sie und hinterließ weiter unten Geröllfelder und Sand- wegs. Nicht nur weil die Waag inzwischen durch ein bänke. Sie bildete starke Mäander, wechselte häufig ihr Kanalsystem und eine ganze Kette von Stauseen Bett und spaltete sich in mehrere Arme. Darum leiten reguliert wird. Sie kann mit der Eisenbahn fahren und manche ihren Namen von vagus (lat.) her – wander- steigt in Bratislava in den Zug. Als erste Stadt Ungarns lustig oder vagabundierend. Die Waag galt als eigensin- erhielt Preßburg 1840 eine Pferdeeisenbahn. Deren niger, oft Unheil bringender Fluss. Wegen ihrer unste­ten Strecke begann im Stadtzentrum nahe der Boots­ Tiefe von vierzig Zentimetern bis zu sechs Metern ist anlegestelle an der Donau. Seit 1846 verkehrte sie bis sie nur im Unterlauf eine kurze Strecke schiffbar. in die alte Universitätsstadt Trnava. 1871 übernahm Dennoch hatte die Waag auch ihren Nutzen. Heil- die ungarische Gesellschaft Vágvölgyi vasút (Waagtal- quellen, fruchtbare Lößböden und das milde Klima bahn) die Strecke, baute sie bis Trenčín aus und führte zogen die Menschen seit jeher in ihr Tal. Zu den ältes- 1873 den Dampfbetrieb ein. Zu diesem Zeitpunkt war ten Belegen gehört die über 22.000 Jahre alte Venus die eingleisige Kaschau-Oderberger Bahn, die Schlesien von Moravany, eine Statuette aus Mammutelfenbein, mit Ungarn verband, bereits in Betrieb. Um das bergige die 1938 in der Nähe des Thermalbads Piešťany ge- Terrain zu bewältigen, hatten dort über achthundert funden wurde. Die Stadt Púchov verlieh einer ganzen Brücken und zwei Kilometer Tunnel gebaut werden Mitropa 2014 43 44 Journal | Eisenbahn trifft Blutgräfin

müssen – die längsten am Oberlauf der Waag. An diese ihre Schlösser kamen, bei geringsten Vergehen brutal Strecke wurde die Waagtalbahn, die nunmehr der Öster­ gezüchtigt, sodass die meisten starben. Detailliert reichisch-Ungarischen Staatseisenbahngesellschaft­ schildern die Verhörprotokolle Schläge und Peitschen- gehörte, 1882 bei Žilina angeschlossen. So verschlägt hiebe, Kratz- und Brandwunden, Nadelstiche, Schnitte es die Forschungsreisende auf einen Zweig des Pan­ mit Scheren und Messern, auch von verhungerten europäischen Verkehrs­korridors V, wo sie die Land- oder erfrorenen Mädchen ist die Rede. Allerdings schaft semantisiert, die am Abteilfenster vorüberzieht. stammen viele der Aussagen offenbar vom Hören­ Die Eisenbahnstrecke erreicht die Waag kurz sagen. Zwei Helferinnen verbrannte man in Bytča auf nach Trnava bei Leopoldov. Die rechts liegende dem Scheiterhaufen, ein Diener wurde ent­hauptet. Festung ist aus dem Zugfenster kaum zu erspähen. Elisabeth Báthory selbst wurde nicht vor Gericht Einst zur Abwehr der Osmanen gebaut, diente sie gestellt, sondern im Turm der Burg Čachtice gefangen später als Gefängnis. In den 1950er Jahren saßen hier gehalten, wo sie 1614 starb. politische Häftlinge wie der nachmalige Präsident Die Meinungen der Spezialisten zur causa Gustáv Husák oder der Prager Kafka-Spezialist Báthory sind gespalten. Einige diagnostizieren impul- Eduard Goldstücker ein. Gegenüber werden die acht siven Sadismus. »Sade wußte nichts von der Exis- Türme des Atomkraftwerks Jaslovské Bohunice tenz Elisabeth Báthorys«, schrieb Georges Bataille, mit Waag­wasser gekühlt. »doch hätten ihre Greueltaten ihn zweifellos in die Keine zehn Kilometer weiter will die lieblich schlimmste Begeisterung versetzt.« Andere vermuten gewellte Weingegend so gar nicht zu der schreckli- einen politischen Komplott gegen die Gräfin. Diese chen Berühmtheit passen, welche die Burg Čachtice Version übernimmt Juraj Jakubiskos Film Báthory (dt. Schächtitz, ung. Csejte) der »Blutgräfin« Elisabeth (2008), in dem Anna Friel in der Titelrolle lediglich Báthory (1560–1614) verdankt, einer Nichte des im Kräutersud badet. polnischen Königs Stephan Báthory. Die Adlige mit Erfolgreicher als jede Unschuldsvermutung war den drei Drachenzähnen im Wappen war reich, jedoch die blutige Legende. Als die strenge Elisabeth gebildet und intelligent. Nach dem Tod ihres Ehe- einmal ein Mädchen ohrfeigte, weil es seine Hand­ manns Franz Nádasdy unternahm sie es, ihre aus­ arbeit nicht ordentlich erledigt hatte – so liest man in gedehnten, von Siebenbürgen über das untere nachzeitigen Berichten –, fiel ein Blutstropfen auf sie Waagtal bis ins heutige Ungarn und das Burgenland und machte ihre Haut geschmeidig. Endlich hatte reichenden Besitztümer selbständig zu verwalten. die Eitle ein Verjüngungsmittel gefunden und badete­ Ende 1610 ließ der Palatin Georg Thurzo das Schloss fortan in Jungfernblut. Diese in der Romantik zu Čachtice durchsuchen, fand ein oder zwei halbtote Balladen verarbeitete Sage erlebte ihre erste große Mädchen und stellte die Gräfin unter Hausarrest. Konjunktur kurz nach der Erschließung des Waag- Im Januar 1611 strengte er in seinem neuen Schloss in tals mit der Eisenbahn, während des fin de siècle. Bytča an der Waag einen Prozess gegen mehrere Leopold von Sacher Masoch modellierte in der Erzäh- Angestellte der Gräfin an. Beschuldigte und Zeugen lung Ewige Jugend (1886) eine femme fatale, die einen sagten aus, die Báthory habe mithilfe ihres Personals unerfahrenen,­ liebeskranken Mann in die Eiserne an die 600 junge Mädchen, die zur Ausbildung auf Jungfrau steckt. Einige Motive finden sich noch in Mitropa 2014 45

July Delpys Die Gräfin (2008). Valentine Penrose hier noch breiten, braun- und graugrün schimmern- machte die Gräfin mit dem Buch Erzsébet Báthory – den Waag rechts auf einem hohen Felsen malerisch La Comtesse sanglante (1962) zur Lesbierin und auch die Burg, von der aus man den Zug nach der Doppel- ­international berühmt. Nach Filmen wie Countess brücke in den Tunnel verschwinden sieht. Aus dem Dracula (1972) und Büchern wie Dracula Was a Woman­ Abteilfenster nicht zu sehen, folgt im Kerbtal mit den (1984) avancierte­ die Figur zur Ikone des Horror-, dicht bewachsenen Steilhängen links die Burgruine Porno- und Vampirgenres. Die Blutgräfin verdankt Starhrad. Im späten 17. Jahrhundert verbargen sich auf ihren Ruhm einer Ästhetisierung des Grauens. Nur Strečno anti-habsburgische Kurutzen, bis kaiserliche das Waagtal geriet dabei ins Abseits. Truppen die Burg schleiften. Und im Zweiten Welt- Doch nicht ganz – der Gefängnisturm steht noch. krieg bekämpften sich hier Wehrmachtsoldaten und 400 Jahre nach dem Tod der Gräfin soll die Restau- französische Partisanen. An die gefallenen Franzosen ration der Burgruine Čachtice vollendet werden. Ein erinnert ein Denkmal auf dem Hügel – mit direktem paar versprengte Touristen – Gothic-Fans, Biker, ein Blickkontakt zu DB Schenker. tschechisches Pärchen – passieren unter dem Schild »Betreten verboten« das Burgtor. Dort breitet ein schmächtiger Mann ledergebundene Bücher mit Gold- schnitt aus und zeigt eine schlechte Kopie von István Csóks Graphik Báthory Erzébet (1895). Er ist Schrift­ steller und bietet seine Romane über die Blutgräfin feil. Unter Berufung auf sein Quellenstudium verficht er die sexualpathologische These und polemisiert gegen Jakubiskos Filmversion von der emanzipierten Frau. Die Forschungsreisende, mit Michael Farins Heroine des Grauens im Rucksack, ergreift Partei für den Regis- seur, fährt aber trotzdem ins Archiv. Sie streift Trenčín, wo die Eisenbahnbrücke direkt auf die Burg zusteuert. 1883 wurde sie als geschwun- gene Stahlkonstruktion errichtet, nach dem Zweiten Weltkrieg musste eine, 1983 auch die zweite Spur er- neuert werden, nun in gerader Form. Im Frühjahr 2014 gibt es hier nur Fußgänger und Radler, hundert Meter nördlich wächst schon die neue Brücke. Mit Unter- stützung der Europäischen Union wird die Strecke für hohe Geschwindigkeiten ausgebaut. Derzeit benötigt der Schnellzug für die 82 Kilometer durch das Sohlen­ tal nach Žilina eine Stunde und siebzehn Minuten. ­Dafür wird die Reisende mit der Festung Ilava, der Burg Červený Kameň, der Waagburg und der Festung Bytča mit dem Staatsarchiv, wo noch ungenutzte ­Quellen zur causa Báthory liegen sollen, entschädigt. Nach dem Rechtsknick der Waag, hinter den Industriegebieten und Stauseen von Žilina, wird die Landschaft rauer. Bei Strečno thront direkt über der 46 Journal | Eisenbahn trifft Blutgräfin

Wo der Zug wieder ans Licht tritt, erreicht die fabriken des Ostblocks, jetzt gibt es hier neben Ecco, Waag im nächsten Durchbruchstal ihre vormals Volkswagen und Hoechst KraussMaffei sowie mehrere tiefste Stelle. Dort soll die Fließgeschwindigkeit über Streckenabschnitte der neuen Autobahn, die mit- zwei Meter pro Sekunde betragen haben. Von der hilfe der EU nun auch durch die engsten Stellen des einen Seite ragte eine zwanzig Meter hohe Felsmauer Waagtals gezogen wird. weit in das Wasser hinein, ein Stück weiter stand ein Weiter östlich schlängelt sich der Fluss durch die turmartiger Felskegel, hinter dem das Wasser in einen schartigen Massive der Kleinen und Großen Fatra. Im Schlund stürzte. Die Felsen, Margita und Besná skala dunkelgrünen Bewuchs der ungestümen Hänge leuch- (Wütender Fels) genannt, verengten das Flussbett, ten Travertinfelsen weiß wie Zähne. Bei Kraľovany machten den Fluss sehr schnell und verursachten öffnet sich links Richtung Norden ein weiter Blick in Strudel. Den Flößern drohten die Fahrzeuge am Fels das von den Bergriesen der Magura eingefasste Tal zu zerschellen oder in die Tiefe gerissen zu werden. der Orava (dt. Arwa), die hier in die Waag mündet. Das Dass die Skylla und Charybdis der Waag alljährlich ein freundliche Gelbgrün ist längst den düsteren blau- Menschenopfer fordere, begründeten sie gleichfalls grauen Nuancen gewichen. Die immer größer werden­ mit einer Sage: Eine vitale Witwe verliebte sich den Berge sind meist von dunklen Regenwolken in einen jungen Mann, der allerdings ihre Stieftochter verhangen. Sie lassen durchaus an Vampire denken. Margita begehrte. Um sie loszuwerden, schickte sie Nicht umsonst drehte Fritz Murnau 1922 seinen das Mädchen auf Reisen, folgte ihm heimlich und ­Nosferatu auf der Burg von Orava. stürzte es hinterrücks vom Felsen. Doch dann melde- Während die Forschungsreisende, das Hupen ten sich Gewissensbisse, und kurz bevor ihre Tat von Lastkraftwagen im Rücken, von der bebenden ans Licht kam, warf sich die Witwe selbst in die Fluten. Auto­brücke aus das Panorama studiert, vergegen­ So verkünden es auch die Balladen. Allerdings sucht wärtigt sie sich, dass sie dieselben Standorte aufsucht die Forschungsreisende vergebens nach dem Schau- wie die Maler vor Jahrzehnten. Die Spuren der Er- platz. Die Slowaken haben ihre Loreley gesprengt, schließung des Waagtals, etwa rostige Eisenbahn­ und zwar 1937, als sie die Kaschau-Oderberger Eisen- brücken oder Stromleitungen, die immer noch bahn auch an dieser komplizierten Stelle zweigleisig­ halsbrecherisch die Steilhänge erklimmen, wirken ausbauten. So wird der Verkehrsknoten Vrútky er- fast ebenso exotisch wie die Burgruinen; auch in reicht. Südlich davon stand in der Bibliotheksstadt ihnen meint man die Zeugnisse einer längst ver­ Martin im Sozialismus auch eine der größten Panzer- gangenen Zivilisation zu erkennen.­ Hier widersetzt 47

sich, scheint’s, die Naturlandschaft der menschlichen Kraxe wird sie auf dem schmalen Streifen zwischen Überformung mehr als anderswo. zwei gegenfahrenden Schnellzügen vom Schauder Nach dem Durchbruchstal erreichen Fluss und erfasst, bevor sie sich bei einem nur wenige Sekunden Bahn Ružomberok. Links grüßt von einer Anhöhe die währenden Halt von einer mürrischen Schaffnerin Burgruine Likavka, die im 17. Jahrhundert als Gefäng- in den Waggon zerren lässt. Der kürzeste Weg nach nis diente. Zweihundert Jahre später imaginierten die Hause führt über Prag. Romantiker hier ihre in Ketten gelegten slowakischen Fazit: Die von dem alten Reiseführer avisierten Helden. Dabei übersieht man die Ruine fast angesichts dreißig Schlösser, Burgen, Festungen und Klöster der alten Zellulose-, Papier- und Textilfabriken, die allein machen die Faszination des Waagtals nicht aus, sich im Kerbtal zu stauen scheinen und die doch so sondern die Konzentration von Gegensätzlichem auf fremdartig anmuten, als hätte man sie in die Gebirgs- engstem Raum. So bilden zwei Landschaftstypen einen landschaft hineingebeamt. starken Kontrast: Nach nur kurzer Fahrt erreicht man Der Bahnhof von Ružomberok unterscheidet sich vom melancholischen Tiefland aus eine stürmische von der sonst üblichen, oft neobarocken kakanischen Karstlandschaft. Das Waagtal ist neben Bratislava und Bahnhofsarchitektur. Blau getüncht wie ein Bauern- Kaschau aber auch ein wichtiges Industriegebiet der haus, erinnert er mit schindelgedeckten Türmchen Slowakei. Wie der Fluss das Geröll, so hinterließen und einer sezessionistischen Blumenschnitzerei an die Menschen hier die Resultate ihres Tuns, und so die Bäderarchitektur der Jahrhundertwende. Er ist der finden sich nun unmittelbar nebenpaläolithischen ­ einzige Bahnhof auf der Liste der nationalen Kultur- Siedlungsplätzen und mittelalterlichen Burgen Tal- denkmäler der Slowakei. sperren, rostende Fabrikanlagen des frühen 20. Jahr- Auf der Kaschau-Oderberger Trasse verkehren hunderts und postmoderne Sport- und Freizeitparks. immer noch robuste Eisenbahnen. Um die Steigun- Die Landschaft verkittet die heterogenen Splitter gen zu überwinden, werden zwei, manchmal sogar der Geschichte; Straßen und Gleise verleihen ihr eine drei Lokomotiven vor einen Zug gespannt. Auch die Struktur, die der Fluss bestimmt. Wie vor Jahrhun­ Güterzüge rollen in den engen Tälern durch die Perso- derten schlängeln sich Menschen- und Güterkarawa- nenbahnhöfe. Richtige Bahnsteige gibt es selten, auch nen durch das Tal der wetterwendischen Waag. Nur keine Unterführung. Auf Schotterwegen und rissigem die Fahrzeuge sind moderner, und an den Ufern lauern Beton erweist sich der sonst praktische Rollkoffer der nicht mehr die Heroinen des Grauens, sondern die Forschungsreisenden als untauglich, aber auch mit der harmlosen Sirenen Tatralandias. 48 stellen verschiedene, für die am GWZO kooperieren­­ den Disziplinen typische Quellen vor – und den Fundstücke Umgang mit ihnen. Solche Fundstücke, Elementar- teilchen der Forschung, können Scherben sein, ein Burgwall, ein Bild, eine Skulptur, ein Kleinod, eine Urkunde, Briefe, eine Filmszene oder ein Interview.

Graffiti und Davidstern Wie das für polnische ­Hooligans zusammengeht, erklärt Michael G. Esch auf einem Streifzug durch die Kraukauer Hool-Szene

eschreiben wir zunächst einmal, was auf dem – nicht allzu gelungenen – BPhoto zu sehen ist: An einer Hauswand in einer typischen Krakauer Nach- kriegssiedlung, genauer der ul. Teligi im Stadtteil Prokocim, findet sich ein größeres, nicht sonderlich kunstvolles Graffito. Links sind die Buchstaben »AW« zu sehen, darunter ein schwarz durchgestrichener fünfzackiger Stern, weiß auf rotem Grund. Auf dem breiteren Wandstück daneben steht quer über einer älteren, nur teilweise zu entziffernden, blauen Aufschrift: »ŁOWCY PSÓW« (Hundefänger).­ Schaut man etwas genauer hin, sieht man, dass dieser Teil der Wand vor nicht allzu langer Zeit in etwas hellerem Farbton neu gestrichen wurde. Darunter lesen wir »PROKOCIM«. Eingerahmt wird der Name des Stadtteils von zwei Davidsternen. Die ästhetische Gestaltung beschränkt sich auf die Aus­ führung der Buchstaben und Zeichen in den drei Farben schwarz, weiß und rot. Es handelt sich um ein Hooligan-Graffito, mit dem die Hooligans von Cracovia Kraków »ihr« Gebiet markieren und sich als unbeugsame Feinde ihrer unmittelbaren Gegner, der Hooligans des örtlichen Konkurrenzvereins Wisła Kraków, zeigen. »AW« steht hier für »Anty-Wisła«, der durchgestrichene weiße Stern bezieht sich auf das Wappen des gegnerischen Vereins, ein weißer Stern auf blau-rotem Grund. »Hundefänger« spielt einerseits auf die Ikonographie der Wisła-Hooligans an: Ebenso wie einige andere Hooligan-Gruppen verwenden sie mitunter Kampfhunde als Verbildlichung der eigenen Kampfbereitschaft. Ande- rerseits ist »Hund« eine im Polnischen übliche abfällige Bezeichnung für Polizist und hebt darauf ab, dass Wisła Kraków in der Volksrepublik Polen der Verein des polnischen Ministeriums für Öffentliche Sicherheit war. Die Nennung des Stadtteils wiederum verweist auf die Situiertheit und den ursprüng­ lichen sozialen Charakter der Hooligans: Der Begriff bezeichnete zunächst – um 1899 – eine bestimmte Form irisch-proletarischer Straßenbanden in London, wurde dann um 1900 nach Russland importiert und auf junge Männer aus den Arbeitervorstädten angewandt, die sich auf dem Nevskij-Prospekt und in den öffentlichen Bereichen bürgerlicher Viertel aufhielten, dort Passanten anpöbelten, auf die Straße urinierten und so weiter. In den 1920er Jahren ahndete das sowjetische Gesetz »antisoziales Verhalten« wie »sinnlose Zerstörungen« und Arbeitsscheu als chuliganstvo. In den 1950er Jahren tauchte der Begriff in Polen auf, um beispielsweise die militanten Segmente der Streikbewegung von 1956 zu bezeichnen. Erst in den 1980er Jahren wurde der Begriff europaweit an Gewaltphänomene im Kontext der Mitropa 2014 49

Fußball-Fankultur gebunden und von den gewaltorientierten Teilen dieser Kultur als Selbst­ bezeichnung übernommen. In seiner heutigen Form ist das polnische chuligaństwo Teil eines internationalen Phäno- mens und in seiner konkreten Form sowohl Ausdruck transnationaler Transfer- als auch nationaler und lokaler Aneignungsprozesse. Dies gilt für die auch den Ultras eigene Ableh- nung der Kommerzialisierung des Fußballs und das damit einhergehende Selbstverständnis als »eigentlicher« Kern des Vereins, für die Ten­denz, die typischen Schlägereien – in Polen ustawki – ab- seits der Stadien und nach Absprache abzufeiern, für die Übernahme der Skinheadkultur, für musikalische Präferenzen sowie für Teile der in den Graffiti ver­ wendeten Ikono- und Typographien (wie etwa das » « als Zeichen für Hooligans, das in Warschau – und nur dort – auch als »5« geschrieben werden kann) und für die Bedeutung von Graffiti überhaupt. Mehr noch als in Westeuropa ist das Anbringen eigener bzw. Zerstören oder Übermalen gegnerischer Graffiti ein wesentlicher Bestandteil hooliganistischer Praxis – insbesondere da, wo es zwei nennenswerte Hooligan- Gruppen in einer Stadt gibt. Dies ist vor allem der Fall in Krakau und Lodz, außerdem in Rzeszów. Bemerkenswert ist dabei ein Phänomen, das im Vorfeld der Europameisterschaft von 2012 europaweit skandalisiert und als ein Spezifikum der polnischen Hooligan-Subkultur angesehen wurde: die Verwen- dung von jüdischen Motiven, die in den Medien als Ausdruck eines manifesten Antisemitismus aufgefasst wird. Es ist auch hier fraglich, inwieweit dieses Phäno- men tatsächlich typisch polnisch ist. Die Beschimp- fung von Ajax Amsterdam oder Tottenham Hotspurs als »Judenklubs« hat lange Tradition und durchaus noch eine Zukunft. Sicherlich ist es in Polenbesonders ­ ausgeprägt. Allerdings fällt bei näherer Betrachtung auf, dass jüdische oder antijüdische Motiviken in Polen nur in den Städten vorkommen, in denen es zwei »­Firmen« gibt, also in Krakau, Lodz und Rzeszów. In diesen Städten sind die Auseinander­ setzungen traditionell besonders heftig, in Krakau werden die Derbys seit den 1920er Jahren als »Heiliger Krieg« bezeichnet. Die Hooligans selbst wehren sich – von wenigen, offensicht- lich rechts­radikalen Ausnahmen abgesehen – gegen den Vorwurf des Antisemitismus, indem sie erklären, die Diffamierung des Gegners als »Juden« adressiere ja gar keine Juden, gegen die man im Übrigen gar nichts habe. Tatsächlich war von 2011 bis 2013 einer der beliebtesten Spieler von Wisła Kraków, dessen Hools um antisemitische Invektiven der alleruntersten Schub- lade nie verlegen sind, der aus Jawne stammende israelisch-jüdische Stürmer Maor Melikson. Wie ambivalent dieses Phänomen letztlich ist, deutet sich an den beiden Davidsternen im Fundstück an: Anders nämlich als man vermuten (oder befürchten) könnte, sind sie positiv gemeint. Während die beiden Lodzer Gruppen sich gegenseitig als jüdisch beschimp- fen, indem sie auf die jeweils vorhandenen jüdischen Mitgründer des gegnerischen Vereins 50 Fundstücke | Michael G. Esch Graffiti und Davidstern

verweisen, hat eine der beiden Krakauer Firmen – die der Cracovia – um 2007 eine Art Stigmaumkehrung vorgenommen und sich in »JudeGang« umbenannt. Ihre Markierungen – mitunter verkürzt zu J G – fanden sich noch 2012 an verschiedenen Stellen der Stadt. In den Graffiti wird nicht nur deutlich, dass es sich mit der Verwendung jüdischer Motive und antisemitischer Invektiven möglicherweise doch nicht so simpel verhält, wie es meist wahrgenommen wird: Die positive Belegung des Davidsterns durch eine wich- tige Hooligan-Kampfgruppe widerspricht einem pauschalen Antisemitismus-Vorwurf. Darüber hinaus deutet sich an, dass diese Markierungen durchaus keine vollständige Aneignung der markierten Viertel bezeichnen, sondern lediglich innerhalb der Hooligan- Subkultur gelten – ebenso wie die »echten« Hooligans die Einbeziehung von Unbeteilig- ten in ihre Schlägereien vermeiden. Noch deutlicher ist diese »Hermetik« in Lodz, wo die Graffiti sehr häufig nur aus Abkürzungen und Farbkombinationen bestehen und Außen­ stehenden kaum noch verständlich oder auch nur als Hooligan-Graffiti erkennbar sind. Das hier gebotene Fundstück verweist damit auf zweierlei: zum einen darauf, dass und wie Graffiti als eine wichtige Quelle zur Rekonstruktion von Selbstverständnis und kultu­ rellen Praktiken einer Subkultur herangezogen werden können; zum anderen darauf, dass sich über Ikonographie, graphisch-bildnerischen Charakter und konkreten Ort der Mit­ teilungen, als die Graffiti verstanden werden müssen, ein Weg erschließt, Formen und Ausmaß der Aneignung von Stadt durch Hooligans genauer zu bestimmen.

Michael G. Esch arbeitet als Historiker in der Projektgruppe »Transnationale Zeit­ geschichte Ostmitteleuropas« zur Migration aus, nach und in Ostmitteleuropa in den Jahren 1918–1989. Zudem forscht er über Musik und Revolte. Im Herbst 2014 er- scheint seine im Rahmen des Kompetenznetzwerks »Phantomgrenzen in Ostmittel­ europa«, Centre Marc Bloch Berlin, entstandene Studie zur Verwendung von Ge- schichte und städtischer Topographie durch polnische Hooligans.

Eine rätselhafte Rundkirche Marina Dmitrieva zeigt, wie Bauwerke zu Grenz­ gängern werden und trotz Vertuschungsversuchen von ­regem Kulturtransfer zeugen

n einem idyllischen Vorort der westukrainischen Provinzstadt Volodymyr-Volyns’kij I(russ. Vladimir Volynskij, poln. Włodzimierz Wołyński) im flachen Marschland am Fluss Luga steht die kleine Kirche des Hl. Basilius (Vassili-Kirche), über die sich bereits mehrere Generationen von Kunsthistorikern den Kopf zerbrechen. Während die meisten orthodoxen Kirchen der byzantinischen Kreuzkuppelform folgen, die ein griechisches Kreuz als Grundriss hat, ist die Vassili-Kirche ein Rundbau mit einem ungewöhnlichen Plan. Anders als der sich unweit erhebende monumentale Bau der Mariä- Entschlafungs- oder Uspenski-Kathedrale aus dem 12. Jahrhundert besteht ihr Grundriss aus acht segmentbogigen Konchen, breiter und schmaler im Wechsel, wobei die östliche etwas herausgezogen ist. Früher soll diese Kirche durch ein gemauertes Kloster­gewölbe mit acht 51

Kappen überdacht gewesen sein, und auch die heute noch sichtbaren Strebepfeiler ge­hörten vielleicht zum ursprünglichen Projekt. Die Zwiebelkuppel hingegen ist das Ergebnis einer Restaurierung Ende des 19. Jahrhunderts und hat rein dekorativen Charakter. Ungewöhnlich sind auch die beiden Portale der Kirche: An der westlichen Seite befindet sich ein halbrundes Stufenportal aus Ziegelsteinen – so wie wir es von romanischen Bau- ten kennen. Das nördliche Portal hingegen ist aus weißem Sandstein und hat eine gotische Spitzbogenform. Die flankierenden geflochtenen Halbsäulen tragen Kapitelle mit floraler Ornamentik – für eine orthodoxe Kirche unerwartete Bauformen und Stilelemente also, die nach Erklärung verlangen. Bei ersten Untersuchungen der Kirche im vorletzten Jahrhundert hatten russische Denk- malpfleger eine eingemauerte und heute nur als Photo überlieferte Inschrift in kroatisch- glagolitischer Schrift entdeckt. Die damals entzifferte Datierung wurde als 1194 gedeutet. Die Kirche rückte damit in zeitliche Nähe zur Uspenski-Kathedrale, die nach der Nikonov-Chronik im Jahre 1160 unter dem Rurikiden-Fürsten Mstislav Izjaslavovič errichtet worden war. Sie war die Grabkirche der Mstislavovič-Dynastie, denn Volodymyr-Volyns’kij glänzte damals als bedeutendes Zentrum im Fürstentum Halyč-Volyn. Ende des 14. Jahrhunderts zerfiel das polyzentrische Staatsgebilde allerdings und Volodymyr-Volyns’kij kam zum Königreich Polen. Nach dessen zweiter Teilung wurde ein Teil des Gebietes als Gouvernement Volyn ins Russische Reich inkorporiert, worauf der Stadt und vor allem der Uspenski-Kathedrale, einem der wenigen erhaltenen Bauwerke aus vormongolischer Zeit, große Bedeutung bei der Legitimierungspolitik des expandierenden Imperiums zukam. Während sich in der Folge zunächst Hobby-Archäologen und Heimatforscher der Geschichte der Stadt annahmen, rückte sie im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ins Blickfeld der St. Petersburger Imperialen­ Archäologischen Kommission (IKA). Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet, sollte diese Institution Ausgrabungen und archäologische Funde im Russischen Reich koordinieren und professionalisieren. Nicht nur wurden bei der Wiederherstellung der Kathedrale von Volody- myr-Volyns’kij neue Zugänge zur wissenschaft- lichen Erforschung eines Artefaktes entwickelt, die IKA lieferte auch die ideologische Begrün- dung der Restaurierung: Volodymyr-Volyns’kij galt nun als »Leuchtturm der Orthodoxie in den südwestlichen Gebieten Russlands« und die Uspenski-Kathedrale als Mausoleum alt- russischer Herrscher. Die baulichen Maßnahmen waren Teil einer massiven Russifizierung in den südwest- lichen Gebieten, besonders nach dem Zweiten Polnischen Aufstand von 1863. Die Kampagne richtete sich sowohl gegen den Katholizismus als auch gegen die Unierte Kirche, in deren Nutzung sich die orthodoxen Kirchen befan- den. Bei den Rekonstruktionen der Uspenski- und Vassili-Kirche orientierte man sich nicht an regionalen Traditionen, sondern am Stil 52 Fundstücke | Marina Dmitrieva Eine rätselhafte Rundkirche

Zentralrusslands. Um die »fremdartigen«, europäischen Elemente der Vassili-Kirche zu ver- tuschen, baute N. Kozlov 1900/01 einen Narthex an, und als krönenden Abschluss schlug er, mit Verweis auf die Moskauer Kirchenbau-Tradition im 17. Jahrhundert, die wenig passende Kuppel mit schlankem Tambour vor. In der Zwischenkriegszeit, als Volodymyr-Volyns’kij wieder zum polnischen Włodzimierz Wołyński geworden war, erfolgte eine weitere Untersuchung der Vassili-Kirche, diesmal durch polnische Archäologen. Michał Walicki bezeichnete die Restaurierungs­ maßnahmen als »historische Purifizierung« und brachte die Rotunde mit Zentralbauten in Ostmittel- und Westeuropa in Verbindung. Aufgrund ihrer »romanischen« Elemente datierte er sie auf Ende 12./Anfang 13. Jahrhundert; ihr »gotischer« Akzent sei Folge der Jagiellonen- Herrschaft im 15. Jahrhundert. Erst die postsozialistische Zeit löste endgültig das Rätsel dieser Kirche, die sich inzwi- schen auf dem Territorium der unabhängigen Ukraine befindet. Die Jahreszahl der Inschrift, eine Kombination von glagolitischer Schrift mit Elementen der Cyrillica, lesen Wissen- schaftler heute übereinstimmend als 1294. Somit passt dieser Kirchenbau in den Umkreis von Bauinitiativen, die Fürst Vladimir Vasil’kovič realisieren ließ. Obgleich die Kirche erst nach seinem Tod im Jahre 1288 von Mstislav Danilovič, dem Vetter und Nachfolger, errichtet wurde, spricht auch die Konsekrierung der Kirche auf den Hl. Basilius zum Andenken an den Vater Vasil’ko Romanovič (gest. 1269) für ein Vorhaben Vladimirs. Zudem fand man im ebenfalls von Vladimir gegründeten Michaeliskloster Reste einer Rotunde, die man für eine Grabkapelle des in Volodymyr-Volyns’kij ermordeten litauischen Fürsten und orthodoxen Mönchs Vojselk (Vaišelga) hält. Beide Rundkirchen entsprechen einem von der frühbyzantinischen Architektur weiter entwickelten antiken Typus von Zentral- bauten, die oft als Grablegekirchen oder Baptisterien gedient haben. Vom 7. bis zum 11. Jahr- ­hundert trifft man zentrale Konchenbauten vor allem in Dalmatien an, bis zum 13. Jahr­ hundert teilweise in Ungarn sowie häufig in Transkaukasien – in Armenien und Georgien. Die zur Festung des ungarischen Königs Bela IV. gehörende Rotunde in Gerény (heute Horjany, Westukraine) sowie die Kirche in Kiszombor (Ungarn) sind gut erhaltene Beispiele. Allerdings kann sich keiner dieser Bauten mit der raffinierten Form der Vassili-Kirche messen. Vermutlich gehörten die Baumeister der Vassili-Kirche zu einem wandernden Trupp, der dem Anschein nach aus südwestlichen und nicht, wie bei der Uspenski-Kathedrale ein Jahrhundert zuvor, aus östlich-russischen Gebieten stammte. Offensichtlich waren sie mit technischen Lösungen und Dekorelementen der benachbarten regionalen Architektur vertraut und bereit, diese freizügig zu kombinieren. Man beachte nur die zwei Portale der Vassili-Kirche, die anscheinend zur gleichen Zeit errichtet, stilistisch aber ganz unterschied- lich gestaltet sind. Die Rundkirche in Volodymyr-Volyns’kij ist ein Beispiel dafür, dass Bauwerke davon sprechen, wie die verschiedenen Herrscher zugunsten der ihnen jeweils genehmen Interpre- tation vertuschen wollten, dass es in der Vergangenheit Kulturtransfer und regen Austausch gab und Künstler die Mobilität und Freiheit besaßen, Grenzen zu überschreiten – hier die Grenze zwischen westlich-lateinisch und östlich-orthodox geprägter Welt.

Auf diesen Fund stieß die Kunsthistorikerin Marina Dmitrieva auf einer Forschungsreise. Im Projekt »Mittelalterliche Grenzregionen im Vergleich« untersuchte sie das Fürstentum Halyč-Volyn im Spiegel nationaler Historiographien. Mit Kunst und Architektur der Ukraine befasst sich auch der 2012 von ihr edierte Band Zwischen Stadt und Steppe. Künstle­rische Texte der ukrainischen Moderne aus den 1910er bis 1930er Jahren. Mitropa 2014 53

Ein Kriegsfilm der anderen Art In Sergej Bodrovs Der kaukasische Gefangene sieht Lars Karl bereits Vorboten der nächsten Katastrophe

»Im Kaukasus war damals Krieg. Auf den Landstraßen konnte man weder bei Tag noch bei Nacht fahren. Kaum entfernte sich ein Russe nur ein wenig von der Festung – sofort wurde er von den Tataren getötet oder in die Berge verschleppt.«

o beginnt Lev Tolstojs Erzählung SKavkazskij plennik (Der kaukasische Gefangene, 1872), die sich trotz (oder gerade wegen?) des drastischen Einstiegs primär an ein jüngeres Leserpublikum richtete. Der Autor beschreibt darin seine Erfahrungen als Offizier der zarischen Artillerie in den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts und einen der zahllosen Versuche des Imperiums, die Bergvölker des nördlichen Kaukasus zu unterwerfen. Nach den »weißen« kamen die »­roten« Zaren, aber deren Soldaten erging es kaum besser, weswegen Tolstojs Er­ zählung dem Filmemacher Sergej Bodrov als ideale Vorlage für eine filmische Para­ bel über den Tschetschenien-Konflikt erschien. Gleichwohl verkehrt die Schlusssequenz des gleichnamigen Films (Kavkazskij plennik;­ deutscher­ Verleihtitel: Gefangen im Kaukasus, Russland/Kasach- stan 1996) die Anfangszeilen aus Tolstojs Novelle in ihr Gegenteil: Der naive russi- sche Soldat Vanja wird von dem Ältesten des Aul nach wochenlanger Geiselhaft verschont und in die Freiheit entlassen, obwohl der adat, das Gewohnheitsrecht der Stämme, seine Hinrichtung vorsah. In der Ebene angekommen, sieht Ivan vom Horizont her eine Staffel schwerer Kampfhubschrauber herauf- ziehen. Aus ihren Lautsprechern ertönt sowjetische Marschmusik, die eine höchst bedrohliche Kulisse für den bevorstehenden Einsatz schafft. Ziel der Hubschrauber ist nicht etwa der kleine befreite Soldat, der verzweifelt auf sich aufmerksam zu machen versucht, weiß er doch das tschetschenische Bergdorf friedlich hinter den Bergen liegen. Nein, genau dieses Dorf hat die Staffel im Visier. Das Flehen von Vanjas aus dem russischen Kernland angereister Mutter, die Gefangenen doch auszutauschen, hatte der Kommandant mit dem Hinweis abgelehnt, dass es im Krieg immer Verluste gebe, ihr aber wie zum Trost eine Vergeltungsaktion gegen die kaukasischen »Banditen« versprochen. 54 Fundstücke | Lars Karl Ein Kriegsfilm der anderen Art

Diese »Banditen« werden zuvor – gewissermaßen kontrapunktisch zu den an mehreren Stellen des Films eingespielten sowjetischen Märschen mit ihrem geradezu zynisch wirken- den Pathos – durch ein tschetschenisches Volkslied charakterisiert: »Niemand versteht uns. / Die Berge werden uns beschützen. / Der Wind ängstigt das Herz / eines jeden Fremden hier.« Gesungen wird es von der 13jährigen Tochter des Ältesten, die in der Mitte eines durch seine Stilisierung geradezu geschichtslos wirkenden ruralen Mikrokosmos ihren häus­lichen Tätigkeiten nachgeht. Als einzige in der dörflichen Gemeinschaft erkennt Dina in dem blassen, nur wenig älteren russischen Soldaten einen leidenden Menschen, der mit verstört- neugierigen Augen die scheinbar vorzivilisatorische Heimat der Bergbewohner zu verste- hen sucht. Auch hier ist der explizite Bezug zum russländisch-imperialen »Kaukasus-Text« evident: Spätestens als Dina von ihrer Hochzeit mit dem Russen zu phantasieren beginnt, verkörpert sie eine Variation der »schönen Tscherkessin« aus Aleksandr­ Puškins Verspoem Kavkazskij plennik (Der kaukasische Gefangene, 1821), auf welches wiederum die identisch betitelten Werke von Tolstoj und Bodrov rekurrieren. In tagespolitischer Konsequenz wurde – nur wenige Monate nach der Fertig­stellung des Films – der Friedensschluss vom 12. Mai 1997 von russischer Seite offiziell mit den Worten kommentiert, hier werde ein »Krieg von vierhundert Jahren endgültig beendet«. Aber die Armee zog sich zutiefst gedemütigt aus Tschetschenien zurück. Russische Militärs entwickel- ten in der Folgezeit eine Dolchstoßlegende, wonach schwankende Politiker und vaterlands- feindliche Kompromissler sie daran gehindert hätten, vor Ort gründlich »aufzuräumen«. Das Trauma von Afghanistan durfte sich hier auf keinen Fall wiederholen. Gleichzeitig nah- men in Tschetschenien vor dem Hintergrund materiellen Elends und fehlender Staatlichkeit Wirtschaftskriminalität und Gewalt extreme Ausmaße an. Nachrichten über Entführungen von unbeteiligten Zivilisten, Geiselnahmen und russische Soldaten als Sklaven­arbeiter in tschetschenischen Dörfern ähnelten dabei allzu oft den Berichten von Kaukasus-Reisenden des 19. Jahrhunderts und befeuerten in den Köpfen vieler Russen die tradierten Negativ- Stereotype. Noch vor dem 11. September 2001 wurde im Zusammenhang mit dem Übergriff tschetschenischer Verbände auf das Territorium Dagestans von »­Terroristen« gesprochen, und der Vorfall wurde von Seiten Moskaus zum Anlass genommen, am 1. Oktober 1999 eine massive militärische »Anti-Terror-Operation« in der Region zu starten.­ Der Zweite Tschet- schenien-Krieg hatte begonnen. Vor dem Hintergrund zukünftiger »Säuberungsaktionen« und »Sondermaßnahmen« mag der apokalyptische Schlussakkord aus Bodrovs Film fast wie eine Prophezeiung wirken. Doch mehr noch: Nach den Worten des Regisseurs hatte er das Drehbuch zu Gefangen im Kaukasus bereits vollendet, noch bevor der Erste Tschetschenien-Krieg überhaupt begon- nen hatte! Nach dessen Ausbruch begann das Zögern: Sollte man einen Spielfilm über den Krieg drehen, während dieser noch stattfand? Bodrov entschied sich schließlich dafür, seine Idee zu reali­sieren: als kleiner Beitrag zum Frieden – mit einer konkreten Vor­ahnung, alles könne noch viel schlimmer kommen …

Der Historiker Lars Karl, der in der Gruppe »Post-Panslawismus« zur Renaissance des Kosakentums arbeitete, realisierte außerdem am GWZO das von der Stiftung EVZ ­finanzierte Projekt »Kriegsgefangen­schaft und Heimkehr im europäischen Spielfilm nach dem Zweiten Weltkrieg«. 2014 erscheint dazu der zusammen mit Katharina Seibert und Dietmar Müller herausgegebene Band Der lange Weg nach Hause. Die Konstruktion von Heimat im europäischen Spielfilm. Wissenschaft & 55

stellt Projekte in Planung vor, gibt Öffentlichkeit Einblicke in die Entstehung von Ausstellungen, berichtet von Lesungen und Filmvorführungen.

Fantastische Welten Albrecht Altdorfer und das Expressive in der Kunst um 1500

Über eine aktuelle Ausstellungskooperation des GWZO mit dem Städel Museum und der Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt am Main sowie dem Kunsthistorischen Museum in Wien berichtet Susanne Jäger

as Tafelbild Die Anbetung der ten – und dies durchaus über dem eine solche Ruinenarchitektur DHeiligen Drei Könige im Städel Gattungsgrenzen hinweg. mit dem Bündelpfeiler und auch Museum Frankfurt/Main zählt zu Hierfür steht beispielhaft die die tief im Hintergrund verlau- den bedeutendsten Alters­werken eindrucksvolle Ruinenarchitektur fende Balustrade zu sehen sind. Albrecht Altdorfers. Abb. 1a Der in Re- im Hintergrund, deren mächtiger Auch der gleichzeitig als Bild- gensburg ansässige Meister schuf Bündelpfeiler die Muttergottes schnitzer tätige Monogrammist es wenige Jahre vor seinem Tode und das Kind als Würdeformel I. P. bediente sich in seinen meist 1538. Eindrücklich repräsentiert es hinterfängt und auszeichnet. ungefassten Reliefdarstellungen sowohl die Errungenschaften die- Diese Andeutung eines zerstör- der Bildideen Hubers. Abb. 1c Gerade ses Künstlerlebens im Besonderen ten Prachtbaus steht zum einen zwischen den beiden Letzten darf als auch die der Kunst in der ersten für den zerstörten Palast Davids, man, wie jüngste Forschungen Hälfte des 16. Jahrhunderts im aus dessen Geschlecht Jesus zeigen, eine rege Zusammenarbeit Allgemeinen. Denn abgesehen vom abstammte, zum anderen für das voraussetzen.­ Inhalt der dargestellten Szene – der Ende des Alten Bundes mit Gott, Dies sind nur drei von etwa Besuch der Heiligen Drei Könige der durch die Geburt des Erlö- 120 erstklassigen Kunstwerken, die und ihre Anbetung des neugebo- sers und somit durch den Neuen in der aktuell geplanten Ausstel- renen Christuskindes – zeigt die Bund ersetzt wird. Am nächtlich lung Fantastische Welten. Albrecht Tafel nicht allein die Meisterschaft blauen Himmel strahlt der Stern Altdorfer und das Expressive in des Malers in der dezenten Pracht von Bethlehem. Eine Anregung der Kunst um 1500 zu sehen sein der üppigen Gewänder, der Brillanz zu dieser Anordnung hat Altdor- werden. Auf Anregung des GWZO der dargebotenen Prunkgefäße fer wohl von einem bedeutenden wurde das Konzept gemeinsam mit und ihrer exquisiten Farbigkeit, Zeitgenossen, dem als Hofmaler dem Kunsthistorischen Museum sondern auch in welchem Ausmaß für die Passauer Bischöfe tätigen Wien, dem Städel Museum und der die Künstler der damaligen Zeit Wolf Huber empfangen. Dieser Skulpturensammlung Liebieghaus von­einander lernten und ihre Bild­ schuf bereits 1512/13 einen Holz- Frankfurt/Main entwickelt; es wird ideen untereinander austausch- schnitt gleichen Themas, Abb. 1b in in Frankfurt/Main vom 5. Novem- 56 Wissenschaft & Öffentlichkeit

Abb. 1a Albrecht Abb. 1b Wolf Huber, Abb. 1c Meister I. P., Altdorfer, Anbetung Anbetung der Heiligen Drei Anbetung der Heiligen Drei der Heiligen Drei Könige, Holzschnitt, 1512/13. Könige, Johannesretabel, Könige, 1530/35. Berlin, Kupferstichkabinett Flügelrelief, nach 1530. Frankfurt/Main, Prag, Teynkirche Städel Museum

ber 2014 bis 8. Februar 2015 und in die Künstler in einem überzeich- sich an regionaler und lokaler Wien vom 16. März bis 14. Juni 2015 nenden Realismus mit der Wirk- Vegetation und werden zu »con- zu begutachten sein. lichkeit, aber auch mit der Bild­ pathetischen Naturräumen« Die Ausstellung widmet sich tradition auseinandersetzen: etwa gestaltet, die das eigentliche Sujet einem vielschichtigen künstleri- der Überzeichnung der mensch­ inhaltlich intensivieren­ und ex- schen Phänomen, das in der ersten lichen Gestalt durch grotesk pressiv überhöhen. Sie gewinnen Hälfte des 16. Jahrhunderts in anmutende Physiognomien, exal- mehr und mehr an szenischer ganz Mitteleuropa anzutreffen ist, tierte Gebärden und Gewänder Eigen­ständigkeit und funktionie- aber insbesondere im politisch- sowie verzerrte Körperproportio­ ren insbesondere im Medium der wirtschaftlich-kulturellen Netz- nen. Eine dynamisierende Ver- Zeichnung als autonome Land- werk zwischen den Metropolen fremdung oder Verdichtung von schaftsdarstellungen. Mainz, Nürnberg und Prag, und Strukturen, ungewöhnliche Dies geschieht gleichzeitig zu zwischen Passau, Regensburg, Perspektiven, intensive Farb- und den langjährigen Studien Alb- Innsbruck und Wien einige der Lichteffekte bewirken eine Emo­ recht Dürers, die Darstellung des faszinierendsten und eindrucks- tionalisierung und Dramatisie- menschlichen Körpers mathema- vollsten Kunstwerke des Übergangs rung des Dargestellten. Auch die tisch-wissenschaftlich zu erfassen vom Spätmittelalter zur Frühen Darstellung von Raum, Zeit und und als systematisierte Zeichen­ Neuzeit hervorgebracht hat. Eines Natur unterliegt dieser expressi- anleitung in seinen Vier Büchern seiner Hauptmerkmale ist eine ven Intensivierung und Patheti- zur Menschlichen Proportion als enorme Steigerung der Expressivi- sierung. Die genau beobachteten Vermächtnis darzubieten: Kurz tät in Inhalt und Form, wobei sich Landschaftselemente orientieren nach seinem Tode 1528 werden 57

sie von seiner Frau Agnes heraus­ rei wie die Skulptur, die Zeichnung, dition und individueller Voraus- gegeben – als erste in frühneuzeit­ die Buchmalerei und das noch setzung zu neuen Bilderfindungen lichem Deutsch verfasste kunst­ junge Medium der Druckgraphik. umgestaltet wurden. theoreti­sche Schrift. Und es Gerade letzte fungierte als Multi- Traditionell wurden die geschieht in lebhafter Auseinan- plikator. Dank des lebhaften Han- nordalpinen Erscheinungen dieses dersetzung mit der Kunst Nord­ dels mit Drucken und Zeichnun- Phänomens in der Kunstwissen- italiens und den Werken Dürers gen, den die Künstler geschickt als schaft für den Donauraum lokali- und z. T. auch in bewusster Abkehr Inspirations- und Einnahmequelle siert und zunächst vor allem mit von Dürers Kunst, die als über- für sich zu nutzen wussten, ver- der Person Albrecht Altdorfers und mächtiges Vorbild allgegenwärtig breiteten sich neue Tendenzen in seinem Umkreis verbunden. Dazu war. So hat der oben bereits ge- Windeseile in nahezu alle Kunstre- gehören auch die beiden genann- nannte Meister I. P. eine Reihe von gionen Europas. Neben den Fürsten ten Künstler: Wolf Huber und der überaus kunstfertig gestalteten, und dem Klerus entwickelte sich nur durch sein Monogramm I. P. frei beweglichen Gliederpuppen insbesondere das humanistisch geschaffen, von denen sich sechs gebildete Patriziat der Städte zu bis heute erhalten haben. Sie waren einem ungemein lukrativen Auf- Abb. 2a (links) vermutlich als Kunstkammerob- traggeber- und Sammlerkreis. Hier Meister I. P., Glieder­ jekte, als Studienobjekte für Künst- wurden neben individuell in Auf- weiblein, nach 1528. ler oder auch als galantes Spielzeug trag gegebenen Porträts insbeson- Leipzig, Grassi Museum gedacht. Neueste Forschungen dere Künstlerzeichnungen und die für Angewandte Kunst belegen nun die intensive Ausein- preisgünstigere Druckgraphik zu andersetzung des Künstlers mit begehrten Sammelobjekten. Dies Abb. 2b (rechts) der Proportionslehre Albrecht führte zu einer Ausweitung des Albrecht Dürer, Dürers. Abb. 2a ⁄ b Kunstmarkts und des Kunsthan- Vier Bücher von mensch- Dieser Drang nach einem dels. Vor allem aber beschleunigte licher Proportion, neuen, gesteigerten künstlerischen sich die Verbreitung von Ideen Nürnberg: Agnes Dürer, Ausdruck erfasste alle Kunstgat- enorm, die nun rasant rezipiert, 1528. Bamberg, Staats­ tungen gleichermaßen – die Male- adaptiert und je nach lokaler Tra- bibliothek 58 Wissenschaft & Öffentlichkeit

Abb. 3c Münze mit Profilkopf Stephan Schlicks, nach 1526. Prag, Nationalmuseum

Abb. 3a Meister I. P., Abb. 3b Detail Christus, Tod und Stifter, mit Stifterkopf Altar­retabel aus der (vermutlich Stephan Pfarrkirche in Zlíchov, Schlick) um 1528. Prag, National- galerie.

bekannte Meister. Dabei sind die unmittelbar ergreifender Weise zwar eindeutig als Sterblicher und großformatigen, heute in Prag und variiert: Der Tod in Gestalt eines durch die kniende Position als Südböhmen befindlichen Werke grausigen, mit herabhängenden untergeordnet gekennzeichnet des letzten der westeuropäischen Hautfetzen und Haarresten be- ist, in seiner Körpergröße selbst Forschung nahezu unbekannt deckten Skeletts, von dessen Hals jedoch den übrigen Protagonisten geblieben. So stellt das nach die Schlange als Symbol der Erb- des Himmels und der Hölle nicht seinem ersten bekannten Aufstel- sünde wie eine Kette herabhängt, nachsteht. Die frappierende Ähn- lungsort in der Pfarrkirche des tritt von links hinten heran. Er hält lichkeit zwischen den Gesichts- Prager Vororts Zlíchov benannte, eine große Sanduhr als Symbol der zügen des knienden Ritters und heute in der Prager Nationalgalerie abgelaufenen Lebenszeit empor. denen des Grafen Stephan Schlick aufbewahrte Altarretabel aus un­ Die Hand des Sterblichen, des auf einer Gedenkmünze von 1528 gefasstem Birnbaum­holz eines der vorne rechts knienden Ritters, für König Ludwig II. und seinen Hauptwerke des Meisters und der hat er bereits ergriffen. Doch der Gefolgsmann, Abb. 3b ⁄ c die beide Ausstellung dar. Abb. 3a Sein Zent- zentral positionierte Christus – von während der Schlacht von Mohács rum bildet ein ganz einmaliges, athletischem Körperbau und nur 1526 unter ungeklärten Umständen fast lebensgroßes Hochrelief, das mit Lendentuch bekleidet – ist den Tod fanden, legt nahe, dass es die traditionelle Bildformel eines dazwischen getreten und erlöst sich bei dem knienden Ritter des Epitaphs mit der Fürbitte für einen den zu ihm Flehenden aus dem Epitaphs um eben diesen Grafen Verstorbenen vor Christus durch Griff des Todes. Bemerkenswert ist, handelt. Heilige – hier durch die Muttergot- dass der Ritter durch seine zeit- Stephan Schlick gründete tes und den Apostel Andreas – in genössische Rüstung und Haube als enger Vertrauter des jungen Mitropa 2014 59

böhmisch-ungarischen Königs Seit dem Ende des 19. Jahrhun- Tizian, Hans Baldung Grien, Hans Ludwig II. Jagiello und von diesem derts sorgen die von der damaligen Lein­berger, des Meisters H. L., von mit weitreichenden Münzprivile- Forschung entwickelten Begriffe Andreas Lackner, Arnt van Tricht, gien ausgestattet im Jahre 1516 die »Donaustil« und »Donauschule« Claus Berg, Erhart Altdorfer, Georg Stadt St. Joachimsthal (tschech. dafür, dass sich dieser eingeengte Lemberger, Niklaus­ Manuel Deutsch Jáchymov) auf der böhmischen regionale Fokus aufrechterhielt und viele andere von z. T. nicht Seite des Erzgebirges. Aufgrund und eine grundsätzliche Ausein- namentlich bekannten Meistern. reicher Edelmetallfunde entwi- andersetzung mit dem Phänomen Zur Vorbereitung fand im ckelte sich hier innerhalb weniger behinderte. Erschwerend kam September 2013 in Leipzig eine Jahre die ertragreichste Silber- hinzu, dass die unter dem Label internationale Tagung am GWZO münze des Böhmisch-Ungarischen »Donauschule« subsumierte Kunst statt. Rund 25 renommierte Kunst- Königreiches, und die Schlicks in der Zeit des Nationalsozialismus historiker aus Italien, Slowenien, wurden zu einem der reichsten ethnisch-rassisch umgedeutet ­Österreich, Tschechien, Deutsch- Adelsgeschlechter Böhmens. Im und im Interesse einer völkischen land und Griechenland stellten Sommer 1526 eilte Stephan Schlick Rassenideologie politisch instru- ihre Forschungen vor und disku- an der Spitze der böhmischen mentalisiert wurde. tierten lebhaft – unter anderem Truppen seinem jungen König So ist die traditionelle Ein- auch über den provokanten Titel gegen die hoffnungslos übermäch- engung auf den topographischen der Veranstaltung: Expressionismus tige Armee Sultan Süleymans zu Begriff »Donau« unglücklich und um 1500. Die Kunst der sogenann- Hilfe. Seit der Schlacht von Mohács historisch falsch. Denn die expres- ten »Donauschule« im internatio- vermisst, blieb er offiziell bis 1528 siven Tendenzen sind in nahezu nalen Vergleich. Die Ergebnisse der Besitzer der Bergstadt. Damals hat allen europäischen Kunstregionen Tagung werden nun begleitend zur wohl seine Familie das Epitaph bei anzutreffen. Eine neue Kontextua- Ausstellung in einem Essayband einem der besten Bildschnitzer lisierung innerhalb der vielfältigen im Deutschen Kunstverlag er- im damaligen Mitteleuropa in Auf- künstlerischen Transferprozesse im scheinen. Tagung und Ausstellung trag gegeben, bei einem Meister, damaligen Mitteleuropa ist längst haben sich dieselben Ziele gesetzt: der einige­ seiner kleinformatigen überfällig. Hier setzt die Ausstel- durch die Erweiterung des regio- Werke mit dem Monogramm I. P. lung an. Das geographische Spek- nalen Fokus und eine kontrastive signierte und zum Kern des tradi- trum der gezeigten Kunstwerke ­Präsentation einzigartiger Kunst- tionell als »Donauschule« bezeich- reicht von Norditalien bis Nord- werke quer durch die Gattungen neten Phäno­mens gehörte. deutschland, von den Niederlanden und die Regionen Europas die bis ins historische Ungarn. Neben Begriffe »Donaustil« und »Donau- den Werken der bereits genann- schule« obsolet werden zu lassen ten Künstler – Albrecht Altdorfer, und allgemeine Begeisterung für Fantastische Welten. Wolf Huber und Meister I. P. – sind dieses vielschichtige Phänomen Albrecht Altdorfer und das solche von Albrecht Dürer, Lucas und die ungeheure Expressivität Expressive in der Kunst Cranach d. Ä., Matthias Grünewald, der Kunst nach 1500 zu wecken. um 1500 Städel Museum, Frankfurt/ Main, 5. November 2014 bis 8. Februar 2015 www.staedelmuseum.de Kunsthistorisches Museum, Wien, 16. März 2015 bis 14. Juni 2015 www.khm.at 60 bietet einen Überblick über die am Institut geleistete Forschung 2013 Forschung, über Veranstal­ tungen und Publikationen und stellt einen ausgewähl- ten Ansatz näher vor.

Ziele

as 1995 gegründete Geisteswissenschaftliche ­unterscheidet sich Ostmitteleuropa von anderen Tei- D­Zentrum Geschichte und Kultur Ostmittel­europas len Europas und Eurasiens. (GWZO) an der Universität Leipzig ist in mehrfacher­ Phänomene wie multiethnische Siedlungs­ Hinsicht ein Kind seiner Zeit. Es hat die Ostmitteleuropa- prozesse, ausgeprägte Ständeverfassungen, pluralis­ forschung der alten Bundesrepublik und der DDR tische Konfessionalisierung, Ruralität und späte zusammengeführt und fortentwickelt. Dabei ist es sein Industrialisierung, nationale und staatliche Emanzipa­ besonderes Anliegen, die Ver­bindungen in die östli- tionsprozesse bis an die Schwelle der Gegenwart chen Nachbarländer zu erhalten, zu erweitern und zu sowie von außen herangetragene und intern rezipierte erneuern – das Forschen über als ein Forschen in und Rückständigkeitsdiskurse prägen die Strukturen mit Ostmitteleuropa, das heißt mit den Ostmitteleuro- ­Ostmitteleuropas auf lange Dauer. Für die erste Hälfte päern zu gestalten. Inzwischen ist die Perspektive, die des 20. Jahrhunderts sind überdies die 1918 entstan- dieser Ausrichtung program­matisch zugrunde dene »Kleinstaatenwelt« sowie die nationalsozialisti- lag, Realität geworden: 25 Jahre nach den Revolutionen sche und sowjetische Überformung Ostmitteleuropas im östlichen Europa hat sich der Forschungsgegen- samt den Genoziden Holocaust und Porrajmos zu stand »Ostmitteleuropa« von einem vermeintlich »an- ­nennen. Für die zweite Hälfte spielen das Exil, intellek- deren« Europa zu einem integralen Teil der erweiterten tuelle Dissidenz, zivilgesellschaftliche Gegenstruktu- Europäischen Union gewandelt. ren sowie das genuin ostmitteleuropäische Epochen- Die Gründung des GWZO wurde nach den jahr 1989 eine Rolle. ­Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Förderung Nachdem bereits 2006 die Arbeit des Zentrums Geisteswissenschaftlicher Zentren (1994) initiiert, durch den Wissenschaftsrat positiv evaluiert wurde, um laut Satzung die »Geschichte und Kultur des attestieren die Anfang 2013 vom Wissenschaftsrat östlichen Mitteleuropa vom Frühmittelalter bis ins veröffentlichten Empfehlungen zur Weiterentwicklung 20. Jahr­hundert in vergleichender Perspektive wissen- der außeruniversitären historischen Forschung zu schaftlich zu erforschen«. Damit ist das Programm Osteuropa dem Zentrum nicht nur eine prominente den Prinzipien von Komparatistik, Interdisziplinarität Position in der internationalen Forschungslandschaft und Transnationalität verpflichtet. Die Ausrichtung zur Region, sie betonen auch die anhaltende Rele- des Instituts hat die Interaktion und Kooperation vanz des Gegenstands. Auch 25 Jahre nach den mehrerer Fächer zur notwendigen Konsequenz. ­politischen »Umbrüchen« hat das Interesse an politi- Der Forschungsgegenstand des Zentrums schen Entwicklungen­ in Ostmitteleuropa und an – Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa – deren historisch-kulturellen Hintergründen keines- umfasst ein chronologisches Spektrum vom Früh- wegs ab­genommen – nicht nur bedingt durch den mittelalter bis zur Gegenwart und eine historische Beitritt der östlichen Anrainerstaaten 2004 und 2011 Großregion zwischen Baltikum, Adria und Schwarzem zur Europäischen Union und die Erinnerungen an Meer. Als heuristisches Konzept wird ein Ostmittel- die Weltkriege, den »Prager Frühling« 1968 und das europa-Begriff zugrunde gelegt, der von eineroffenen ­ »Wendejahr« 1989, sondern auch ganz aktuell Geschichtsregion ausgeht, die durch historisch ge­- durch die Ereignisse in der Ukraine. wachsene Strukturmerkmale geprägt ist. Durch sie Mitropa 2014 61

Ansätze

Was macht die Namenkunde etymologische Namenbücher unentbehrlich (Online- am GWZO? Datenbanken wurden bislang eher selten realisiert). Aber gleichzeitig bedeutet das Vorliegen der Etymo­ logien für ein Namenkorpus nicht das Ende der ls kaum zu entbehrender Teil des interdiszipli- Namenforschung, sondern lediglich deren Anfang. Anären Fächerkanons beschäftigt sie sich mit der Wie ein Haus nicht nur aus einem Fundament besteht, Geschichte der ostmitteleuropäischen Siedlungsland- sondern auch noch anderer Bauteile bedarf, um ein schaften. Infolge des spärlichen Umfangs an Schrift- Haus zu sein, so ist auch die Etymologie allein noch quellen für diese Region ist die Mediävistik auf die keine Onomastik. Mitwirkung der Archäologie und eben der Onomastik Vielmehr befasst sich diese Wissenschaft mit der angewiesen, um den Wandlungen von Herrschafts- Betrachtung der Namen als spezifischer Sphäre der strukturen, wirtschaftlichem Leben und Kulturland- Sprache, buchstäblich eines »Namenschatzes« (der schaft auf die Spur zu kommen. Schon frühzeitig Terminus »Namenkorpus« würde hier schon eine machte man aus der Not der Quellenarmut die Tugend begriffliche Verengung bedeuten). Dieser zeichnet sich der Interdisziplinarität, die mittlerweile fest etabliert durch bestimmte Eigenheiten aus und reflektiert auf und beinahe selbstverständlich ist, nicht nur bei der vielfältige Weise das materielle und geistige Leben der Erforschung des ostmitteleuropäischen Mittelalters. Menschen, dies jedoch weniger in der etymologischen Mit dieser Beschreibung des institutionellen Vereinzelung, sondern eher in der strukturellen Ge- Rahmens ist es jedoch nicht getan. Zunächst mag samtheit. Der volle Informationswert geographischer man meinen, die Namenkunde liefert Antworten auf Namen erschließt sich dabei erst, wenn sie als ein die Fragen wie diese: Was bedeutet der Name ? Der Landschaft überziehendes Netz betrachtet werden. Namenforscher organisiert als eine Art wandelndes Im oben genannten Beispiel ergibt sich dann, dass der etymologisches Wörterbuch oder zumindest als ein Name Dresden Bestandteil einer Gruppe relativ archa- den Zugriff auf größere Speicherbestände vermitteln- ischer slawischer Toponyme im Elbtalkessel ist, die der Controller umgehend die gewünschte Antwort. ein älteres Siedlungsareal markiert. Innerhalb dessen ­Natürlich gehören solche Auskünfte mit zur inter- nimmt *Drežďane eine periphere Lage ein und bildet disziplinären Kommunikation, aber eigentlich sind die einzige auf Wald bezogene Benennung,2 woraus sie kaum mehr als ein schmückendes Beiwerk. Der gefolgert werden kann, dass in diesem lokalen und Fragende wird die Antwort – Dresden bezeichne ur- zeitlichen Kontext die Besiedlung von Wald noch eine sprünglich die Waldbewohner (altsorb. *drezga ›Wald, Besonderheit darstellte. Dickicht‹)1 – mit einem Interesse dokumentierenden Grundlegendes für diese Perspektive auf die Aha quittieren. Er ist zwar ein Stückchen klüger ge­ Namenforschung hat der mährische Namenforscher worden, aber die Information könnte ebenso gut aus Rudolf Šrámek geleistet, ein Freund und langjähriger dem Handbuch des nutzlosen Wissens stammen. Förderer des GWZO.3 Sein Bekanntheitsgrad hierzu- Was ist schon damit anzufangen, dass dort, wo heute lande darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Dresden liegt, anscheinend mal Wald stand? er nur einer von vielen Namenforschern in nahezu Das mühsame Ringen um die Etymologie eines allen ostmitteleuropäischen Ländern ist, welche die Namens, also die Erhellung derjenigen sprachlichen Fokussierung der Onomastik auf die Etymologie schon Elemente, aus denen der Name am Anfang einmal frühzeitig aufgebrochen und auf andere Perspektiven gebildet wurde, ist zwar das feste und unentbehrliche umgelenkt haben. Auch die Vertreter der Leipziger Fundament der diachronen, also in der zeitlichen Namenforschung waren in dieser Hinsicht viel aktiver, Rückblende arbeitenden Onomastik. Für die histo- als ihre bekannten Lexika allein erkennen lassen. rische Erforschung von Siedlungslandschaften sind Die Forschungsleistungen der ostmitteleuropäischen 62 Forschung 2013

Kollegen sind zwar fachintern längst international man einen neuen Autotyp unter dem primären Ge- vermittelt worden, ob sie aber die ihnen gebührende sichtspunkt, maximalen Erfolg auf »dem Markt« erzie- Aufmerksamkeit in vollem Maße gefunden haben, len zu wollen, womit gewiss nicht der Rynek schlesi- darf bezweifelt werden. Am GWZO hat man diese scher Land­städtchen gemeint ist?5 Solche Gedanken vielleicht als »post-etymologisch« zu bezeichnenden musste man sich vor ein paar Jahrzehnten in Toljatti Aspekte schon von Anbeginn an berücksichtigt und (Togliatti), der Heimat­ der Lada-Werke, noch nicht implementiert, begünstigt durch die schon in den machen und kam bei der Benennung der Automodelle Vorgängerinstitutionen systematisch aufgebauten mit vergleichsweise biederen geographischen Rück- institutionellen und persönlichen Verbindungen mit griffen wie Samara gut aus. Zum anderen manifestie- den ostmitteleuropäischen Nachbarländern.4 ren Namen auch Vorstellungen und Ambitionen zur Die Basis aller onomastischen Forschung bildet Gestaltung der Gesellschaft und Zukunftsentwürfe, das Phänomen, dass der Mensch, um mit seinesglei- insbesondere in der (Um-)Benennung von Straßen, chen kommunizieren zu können, alles, worüber er Plätzen, Städten­ und Stadtteilen, seltener auch von redet, einigermaßen verbindlich bezeichnen muss. Personen und Sachen.­ 6 Oft reicht es aus, ein Objekt mit gleichartigen Dingen Namen sind also weit mehr als nur eine Fußnote zusammenzufassen – er spricht vom Topf, vom Stern, der Kulturgeschichte. In ihnen spiegeln sich politische vom Baum oder vom Feldahorn. Unter bestimmten und kulturelle Prozesse auf vielfältige Weise. Und Umständen muss etwas aber auch individuell bezeich- sei es nur, dass ein Name zum Symbol für etwas wird, net werden, wodurch Eigennamen entstehen. Solche was ursprünglich nichts mit ihm zu tun hatte, so Bezeichnungen erfolgen nur selten gedankenlos; Grunwald, die Walstatt von 1410, als Ikone der pol­ni­ irgendeine Überlegung und ein Bewusstsein für den schen Unabhängigkeit oder aktuell der Majdan, der Benennungsakt ist immer vorauszusetzen (was dann eben auch eine im östlichen Polen und der Ukraine für die Benutzung und Weitergabe nicht mehr gilt, häufige und sehr charakteristische Bezeichnung für denn wer analysiert schon permanent die Namen aller eine Wald­siedlung ist.7 ihm begegnenden Menschen oder aller Orte, die er Natürlich kann die Namenkunde im institutio- durchquert). Und so ist die Entstehung eines Namens nellen Rahmen des GWZO nicht in dieser umfassen- kein Zufall, sondern reflektiert immer etwas von der den Perspektive betrieben werden. Doch auch wenn geistigen Welt der Namengeber und derjenigen, die die Onomastik in der Projektstruktur des Instituts diesen Namen fortan benutzen. ausschließlich im Kontext der Erforschung des Mittel­ Dies gilt nicht nur für Vorzeit und Mittelalter, alters verankert ist, gilt es, im interdisziplinären die methodisch nicht von den anderen Zeitepochen Diskurs nicht nur den etymologischen Erwartungen abgetrennt werden können, sondern bis in die Gegen- der anderen Wissenschaften zu entsprechen, sondern wart hinein, in der Namen viel häufiger als ehedem auch ein Bewusstsein für die spezifischen Perspek­ ­regelrecht kreiert werden. Dies geschieht zum einen­ tiven und den weiten Horizont dieses Wissenschafts- aus ökonomischen Gründen; man denke an die zweiges zu vermitteln. ­Generali Arena des AC Sparta in Prag oder an Citigo, Yeti und Superb des Herstellers Škoda. Wie benennt Christian Zschieschang Mitropa 2014 63

Abb. „Goldene Bulle der polnischen­ Sprache“ mit knapp 400 Orts- und Personennamen. Ex commisso nobis, 1136. Pisa

1 Vgl. Hengst, Karlheinz: Der Ortsname 3 Viele seiner wegweisenden Arbeiten und Elke Ronneberger-Sibold. Berlin Dresden – seine Herkunft und sprach- sind zusammengefasst bei Šrámek, 2007. – Onomastics goes business: liche Entwicklung. In: Geschichte der Rudolf: Beiträge zur allgemeinen Role and Relevance of Brand, Company Stadt Dresden, Bd. 1: Von den ­Anfängen ­Namentheorie. Hg. v. Ernst Hansack. and Other Names in Economic Contexts. bis zum Ende des Dreißigjährigen Wien 2007. Hg. v. Holger Wochele, Julia Kuhn und Krieges. Hg. v. Karlheinz Blaschke und 4 Zum Beispiel bei Brachmann, Hans­ Martin Stegu. Berlin 2012. Uwe John. Stuttgart 2005, 106–120. – jürgen/Foster, Elżbieta/Kratzke, 6 Von der zahlreichen Literatur hierzu vgl. Eichler, Ernst: Slawische Ortsnamen Christine/Reimann, Heike: Das Zister­ exemplarisch David, Jaroslav: Street zwischen Saale und Neiße, Bd. 1. zienserkloster Dargun im Stammes­ Names – Between Ideology and Cultural Bautzen 1985, 104. – Historisches gebiet der Zirzipanen. Ein inter­ Heritage. In: Acta onomastica 54 (2013), Orts­namenbuch von Sachsen. Hg. disziplinärer Beitrag zur Erforschung 53–60. – Sänger, Johanna: Heldenkult von Rudolf Fischer und Ernst Eichler. mittelalterlicher Siedlungsprozesse in und Heimatliebe. Straßen- und Ehren­ Berlin 2001, Bd. 1, 216 f. der Germania Slavica. Stuttgart 2003. – namen im offiziellen Gedächtnis der 2 Eichler, Ernst/Walther, Hans: Reimann, Heike/Ruchhöft, Fred/ DDR. Berlin 2005. Ortsnamen und Besiedlungsgang in Willich, Cornelia: Garz, Schaprode und 7 Czopek , Barbara: Apelatyw majdan w der Altlandschaft Nisane im frühen Jasmund. Eine Geschichte der mittel­ toponimii Polskiej. In: Onomastica 29 Mittelalter. In: Beiträge zum Slawischen alterlichen Siedlung auf Rügen an aus­ (1984), 69–89. Onomastischen Atlas. Theodor Frings gewählten Beispielen. Stuttgart 2011. zum Gedächtnis. Hg. v. Rudolf Fischer 5 Names in Commerce and Industry: und Ernst Eichler. Berlin 1970, 75–90. Past and Present. Hg. v. Ludger Kremer 64 Forschung 2013

Perspektiven

ie Forschungsperspektiven bilden für die am tete Normierung von Modernität zu vermeiden. Vor DGWZO angesiedelten Projektgruppen und Einzel- dem Hintergrund der Perspektive »Kulturtransfer« projekte den gemeinsamen Rahmen, innerhalb dessen wird vielmehr die »Europäisierung« Ostmitteleuropas interdisziplinär und epochenübergreifend gearbeitet nach 1989 als Wiederentdeckung seiner historischen werden kann. Überschneidungen und Berührungen Europäizität aufgefasst – ist doch Europa erst durch sind deshalb programmatisch gewünscht. den Einschluss der einst als »barbarisch« angesehenen Regionen im Norden und Osten des Kontinents Kulturtransfer in den ­inner- »geworden«. Offene Konzepte von Modernisierung dienen dazu, die spezifischen Entwicklungen der und überregionalen Be­ Region vom Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert auf ziehungen Ostmitteleuropas eine Weise zu beschreiben, die verbreitete Thesen von ihrer relativen Rückständigkeit revidiert und Ost- Für die Untersuchung von Geschichte und mitteleuropa als gleichberechtigten Gegenstand Kultur Ostmitteleuropas bietet sich das Konzept des einer historischen Komparatistik etabliert. Kulturtransfers geradezu an, lassen sich doch hier inner- und überregionale Kulturkontakte vom frühen Nationale Mittelalter bis heute beobachten. Kulturtransfer wird als dynamischer Prozess aufgefasst, der nicht bloß Identitätsbildungen die Übertragung oder Ausbreitung von kulturellen Phänomenen beschreibt, sondern vielmehr deren Betrachtungen von Kulturkontakten und Moder- gegenseitige Beeinflussung. Das historische Profil der nisierungsprozessen in Ostmitteleuropa zeigen sich Region lässt sich nicht erforschen, geht man von der vielfach vom historischen Erfolg nationalstaatlicher Vorstellung homogener Kulturen aus. Begriffe wie Narrative verengt. Doch sind Geschichte und Kultur »Ausgangskultur« und »Zielkultur« haben sich hier als Ostmitteleuropas von komplex verwobenen Identifi- irreführend erwiesen. Termini wie »Import«, »fremd« kationsangeboten geprägt, am offensichtlichsten von und »anders« sollen nicht als Verneinung offener regionalen (sub- und transnationalen), ethnischen Beziehungsgeflechte verstanden werden, die Prozessen und konfessionellen. Die Problematisierung »nationa- wechselseitiger Durchdringung eine Hierarchie geben. ler Identitätsbildung« ist insofern zugleich ein For- »Kulturen« werden daher im GWZO als relationale schungs- und politisches Anliegen: Untersuchungen und kontextabhängige Praktiken verstanden. von Entstehung, Formierung und Festigung solcher und anderer Zuschreibungen können dazu beitragen, Bedingtheiten und überkommene Werturteile bezüglich konkurrieren- der Identitätsbildungen zu thematisieren. Am GWZO Potenziale von Moderni­ stehen daher transnationale Bestimmungsfaktoren sierungsprozessen wie Religion, Ideologie, Ökonomie und »Europa« sowie Prozesse kultureller Umwertung und Interferenz im Phänomene von »Modernisierung« durchziehen Fokus. die gesamte Geschichte Ostmitteleuropas bis in die Gegenwart. Ein wesentliches Anliegen des GWZO ist, unter dieser Perspektive die Eigenvoraussetzungen und -entwicklungen der ostmitteleuropäischen Ge- sellschafts- und Staatsbildungen zu erforschen. Dabei gilt es, die an westeuropäischen Verläufen ausgerich- Mitropa 2014 65

Oskar-Halecki-Vorlesung

ie jährliche Oskar-Halecki-Vor­lesung des GWZO Der in Wien geborene Pole Oskar Halecki (1891– Dverfolgt das Ziel, herausragende Persönlichkeiten 1973) war einer der führenden Mittelalter- und des wissenschaftlichen,­ aber auch öffentlichen Lebens Neuzeithistoriker im Polen der Zwischenkriegszeit. dazu einzu­laden, aus ihrem Lebenswerk oder ihrem Auf dem internationalen Historikerkongress 1933 in Erleben mit und in den östlichen Nachbar­ländern Warschau prägte er die erste Grundsatzdebatte über Deutsch­lands für ein breiteres Publikum vorzutragen. das Selbstverständnis der historischen Teildisziplin Die Festvorlesungen werden anschließend publiziert, Ost­europäische Geschichte. 1939 zur Emigration um ihre breite Rezep­tion und fortdauernde Diskussion gezwungen, gründete er 1942 in New York das Polish­ anzustoßen. Institute of Arts and Sciences in America. Hier ent­ wickelte Halecki seine geschichtsregionale Konzeption Ostmitteleuropas als historische Strukturlandschaft und verfasste seine bis heute wegweisende Gesamt- darstellung Borderlands of Western Civilization. Das Geisteswissenschaftliche Zentrum Oskar-Halecki-Vorlesung 2013 Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas A History of East Central Europe (New York 1952) sowie GWZO ist eine 1995 auf Empfehlung des Jahresvorlesung des GWZO seine grund­legende Studie The Limits and Divisions of Wissenschaftsrates gegründete und von diesem 2006 positiv evaluierte Forschungs- European History (London–New York 1950). Sein breites einrichtung, die vom Freistaat Sachsen Fach­wissen setzte der Historiker Halecki auch im grundfinanziert wird. Das GWZO kooperiert eng mit der Universität Leipzig und ist ihr ­diplomatischen Dienst der Zweiten Polnischen Repub- seit 2003 als An-Institut verbunden. Seit lik sowie im Sekretariat des Völkerbundes ein. 2008 trägt das Bundesministerium für Steven A. Mansbach Bildung und Forschung im Rahmen seiner Projektförderung den Großteil der finanzi- Gäste des Instituts waren in den vergangenen ellen Zuwendungen für die Forschungsarbeit des Zentrums, die durch weitere Förder- Riga’s Modernism Jahren: organisationen ergänzt werden.

Das GWZO erforscht zurzeit in 16 Projekt- Einladung 2013 Prof. Dr. Steven A. Mansbach, Maryland gruppen, deren Arbeitsfelder zeitlich vom 2012 Prof. Dr. Ákos Moravánszky, Zürich frühen Mittelalter bis in die Gegenwart reichen, interdisziplinär und in vergleichen- 2011 Prof. Dr. Matti Klinge, Helsinki der Perspektive Geschichte und Kultur der Region zwischen Ostsee, Schwarzem Meer 2010 Prof. Dr. Katherine Verdery, New York und Adria. Sein Fächerspektrum umfasst 2009 Dr. Hans-Dietrich Genscher, Bonn Kulturwissenschaft im weiten Sinn, ins- besondere Geschichtswissenschaft, Kunst- 2008 Prof. Dr. Hermann Parzinger, Berlin geschichte, Archäologie, Literatur- und 2007 Prof. Dr. István Fried, Szeged Medienwissenschaft, Sprachwissenschaft und Ethnologie. Dabei stützt sich das GWZO 2006 Prof. Dr. Walter Pohl, Wien auf ein dichtes Netz von Kooperations- 2005 Prof. Dr. Thomas DaCosta Kaufmann, beziehungen mit Forschungseinrichtungen in Ostmitteleuropa sowie in anderen Teilen Princeton Europas und in Übersee. Donnerstag, 10. Oktober 2013 / 18 Uhr c. t. 2004 Prof. Dr. Piotr S. Wandycz, New Haven GWZO, Specks Hof ( Eingang A) 2003 Prof. Dr. Maria Todorova, Reichsstr. 4–6 , 04109 Leipzig Urbana-Champaign 2002 Prof. Dr. Miroslav Hroch, Prag Um Antwort wird bis 30. September 2013 gebeten Telefon (0341) 97 35 560 oder [email protected] 2001 Prof. Dr. Włodzimierz Borodziej, Warschau .de .trafikdesign www Gestaltung: 66 Forschung 2013

Projekte

ie Grundfinanzierung des GWZO trägt der außer der Arbeit der Projektgruppen die Erstellung DFreistaat Sachsen; die Trägerschaft der Projekt- forschungsnaher Synthesen (Lexika, Handbücher, forschung ist 2008 von der Deutschen Forschungs­ Ausstellungen). Darüber hinaus wurden und werden gemeinschaft (DFG) in die Projektfinanzierung des zahlreiche Drittmittelprojekte durch anderweitige Bundesministeriums für Bildung und Forschung Förderinstitutionen finanziert. Wir sind all unseren (BMBF) übergegangen. Seither unterstützt das BMBF Förderern zu Dank verpflichtet.

Projektgruppen 2013 Osmanischer Orient und Ostmitteleuropa. Vergleichende Studien zu Perzeptionen und Inter­ (BMBF-Förderung) aktionen in den Grenzzonen. Teil II

Die frühmittelalterlichen Zentren an der Donau. Religionsfrieden und Modi der Bewältigung Städtische Topographie, Christentum und Handel ­religiöser/konfessioneller Konflikte in Ostmittel­ zwischen Mitteleuropa und dem Schwarzen Meer europa (16.–19. Jahrhundert). Teil II

Mittelalterliche Grenzregionen im Vergleich. Rechtskulturelle Prägungen Ostmitteleuropas Der westliche und der östliche Rand Ostmitteleuropas in der Moderne. Produktionseigentum, im 12. und 13. Jahrhundert Geistiges Eigentum, Bodeneigentum

Usus aquarum. Mühlenbau, Wasser und Verkehr im Ostmitteleuropa transnational. Positionierungs­ hochmittelalterlichen Landesausbau Ostmitteleuropas strategien in Globalisierungsprozessen vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Teil II Repräsentation und Nachleben spätmittelalterlicher Herrscher Mitteleuropas. Kunst – Liturgie – Spielplätze der Verweigerung. Topographien und Geschichte (1250–1550) Inszenierungsweisen von Gegenöffentlichkeit in Ost- mitteleuropa Armenier in Wirtschaft und Kultur Ostmittel­ europas (14.–19. Jahrhundert). Teil II Post-Panslawismus. Slawizität, Slawische Idee und Antislawismus im 20. und 21. Jahrhundert Mitropa 2014 67

Weitere Projektgruppen Im Jahr 2013 arbeiteten am GWZO 46 Wissenschaft­ lerinnen und Wissenschaftler, darunter 16 Dokto­ und Einzelprojekte randen und Doktorandinnen. Am Gastwissenschaft- (versch. Forschungsförderer) lerprogramm nahmen 39 Forscherinnen und Forscher aus aller Welt teil. Hinzu kamen vier Stipendiatinnen­ Rural Outlaws als Helden der Peripherie. und Stipendiaten (European Structural Funds, Der Karpatenräuber Juraj Jánošík. ­Slowakisches Stipendiumprogramm, Alexander von Fritz Thyssen Stiftung Humboldt-Stiftung, Deutscher Akademischer Aus- tauschdienst – DAAD).

Handbuchprojekte Anfang 2014 hat am GWZO das neue BMBF- Forschungs­programm »Ostmitteleuropa zwischen Traditionen und europäischer Integration« für Handbuch zur Geschichte der Kunst in die Jahre 2014–2019 begonnen, über das die nächste Ostmitteleuropa. BMBF Mitropa-Ausgabe in der Rubrik »Forschung 2014« berichten wird. Über die aktuelle Forschung infor- Ostmitteleuropa Transnational. Studien zur miert zudem die Homepage www.uni-leipzig.de/gwzo. Verflechtungsgeschichte I–III. BMBF

Ausstellungsvorhaben

Der Erfolg der Passauer Hofkünstler in Ostmittel­ europa (1500–1550). BMBF

Europa Jagellonica. Kunst und Kultur in Mittel­europa unter der Herrschaft der Jagiellonen 1386–1572. BMBF

Kunst Mitteleuropas zur Zeit zweier Konzile: ­ Konstanz und Basel 1414–1449. BMBF 68 Forschung 2013

Veranstaltungen

as GWZO veranstaltet jährlich im Schnitt fünf- 24.–25. April 2013 | Tagung Dzehn Tagungen und Workshops, organisiert 20 Jahre friedliche Teilung der ČSFR Ringvorlesungen und Vortragsreihen, initiiert Projekt- GWZO Leipzig und Zeitgeschichtliches Forum Leipzig vorträge seiner Gastwissenschaftler, aber auch öffent- liche Lesungen, Ausstellungen und Podiumsgespräche. 25. April 2013 | Workshop Oft kooperiert es dabei mit Partnern in Leipzig, in Forschungen zum frühen Christentum im Balkanraum Deutschland, in der Untersuchungsregion und im üb- GWZO Leipzig rigen europäischen und außereuropäischen Ausland. Wir sind diesen uns freundschaftlich verbundenen 23.–25. Mai 2013 | Internationale Tagung Partnern zu Dank verpflichtet. Eine vollständige Liste Merseburg 1013 – ein Fürstentreffen von europäischer der Kooperationspartner des GWZO findet sich auf der Dimension. Internationale Tagung aus Anlass des Homepage www.uni-leipzig.de/gwzo. ­Millenniums des Merseburger Hoftages im Jahr 1013 GWZO Leipzig und Kapitelhaus Merseburg

Wintersemester 2012/13 | Ringvorlesung 7.–8. Juni 2013 | Internationaler Workshop Geschichte bauen. Architektonische Rekonstruktion Reform, Secularities and Religions (19th/20th Century) und Nationsbildung im 19.–21. Jahrhundert GWZO Leipzig GWZO Leipzig 13.–15. Juni 2013 | Internationale Konferenz 24. Januar 2013 | Internationaler Workshop Frontiers in East and South Central Europe. Perception, The Academic Making of the Orient: Russian, Expansion and Protection of Borders from Antiquity Central European and Transatlantic Careers to the Early Modern Period GWZO Leipzig Stadtmuseum Split, Kroatien

Sommersemester 2013 | Ringvorlesung 14.–15. Juni 2013 | Internationaler Workshop richardwagner200 – »ostwärts / streicht das Schiff« Arbeit als Narration. Eine methodologische Werkstatt GWZO Leipzig Villa Tillsmann Leipzig

5.–6. April 2013 | Internationale Konferenz 20. Juni 2013 | Internationaler Workshop Dimensions of Cultural Transfer: Armenians Doing Culture under State-Socialism: Events, Actors in ­Central and Eastern Europe and Interconnections. Galerie für Zeitgenössische Nationale Széchényi Bibliothek (OSZK), Budapest Kunst Leipzig und GWZO Leipzig

12.–13. April 2013 | Workshop 27. Juni 2013 | Workshop Piasten, Přemysliden, Habsburger und der Westen. Christentum und Herrschaftszentrum im früh­ Zum Stand der Erforschung der hochgotischen mittelalterlichen Ostmitteleuropa ­Sakralarchitektur höfischer Prägung GWZO Leipzig GWZO Leipzig 28.–29. Juni 2013 | Internationale Tagung 12.–13. April 2013 | Tagung Kurort als Tat- und Zufluchtsort: konkurrierende Wassermühlen und Wassernutzung im mittel­ ­Er­innerungen im mittel- und osteuropäischen Raum alterlichen Ostmitteleuropa im 19. und 20. Jahrhundert GWZO Leipzig GWZO Leipzig Mitropa 2014 69

Moskau ▶

Hildesheim Leipzig Hrubieszów

Freiburg i. Br.

Budapest

4.–5. Juli 2013 | Workshop

100 Years On: The Carnegie Report on the Causes and Split Conduct of the Balkan Wars of 1912/13 GWZO Leipzig

13. September 2013 | Internationale Tagung 25.–28. September 2013 | Internationale Konferenz Die Hl. Aleksij-Gedächtniskirche in Leipzig zu Ehren Geteilt-vereint! Denkmalpflege in Mitteleuropa der russischen Gefallenen als Erinnerungsstätte, Archi- zur Zeit des Eisernen Vorhangs und heute tekturdenkmal und Zentrum für orthodoxe Kultur Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst GWZO Leipzig (HAWK) Hildesheim

18.–21. September 2013 | Kongress 26.–28. September 2013 | Internationales Colloquium Forum Kunst des Mittelalters Historical Urban Space in Development. What Should Albert-Ludwigs-Universität Freiburg Be Preserved: Memory, Image or Material Substance? Moskauer Architektur-Institut (MARCHI) und Strelka- 19.–20. September 2013 | Workshop/Seminarium Institut für Medien, Architektur und Design Moskau Grody Czerwieńskie – złote jabłko polskiej archeologii (Die Červenischen Burgen – der Goldene Apfel der Wintersemester 2013/14 | GWZO-Mittwochsvorträge polnischen Archäologie) Das östliche Mitteleuropa zwischen Frühmittelalter Stanisław-Staszic-Regionalmuseum Hrubieszów, Polen und Gegenwart GWZO Leipzig 19.–21. September 2013 | Internationale Tagung Leibesvisitationen. Der Körper als mediales Politikum 24.–25. Oktober 2013 | Jahrestagung des GWZO in (Post)Sozialistischen Kulturen und Literaturen Das Jahr 1813, Ostmitteleuropa und Leipzig. Die Völker- GWZO Leipzig schlacht als (trans)nationaler Erinnerungsort GWZO Leipzig 25.–27. September 2013 | Internationale Tagung Expressionismus um 1500 – Die Kunst der 15. November 2013 | Workshop ­sogenannten Donauschule im europäischen Kontext Spielplätze der Verweigerung * Eine Revue * GWZO Leipzig Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig und GWZO Leipzig 70 Forschung 2013

Publikationen

m Folgenden ist eine Auswahl der 2013 erschienenen­ Künstler der Jagiellonen-Ära Ieigen­ständigen Schriften von Mitarbeitern des in Mitteleuropa. GWZO aufgelistet, Sammel­bände und Kataloge sowie Hg. v. Jiří Fajt und Markus Hörsch. die Jahres­vorlesung. Ein voll­ständiges und regel- Ostfildern: Thor­becke-Verlag, 2013 mäßig aktualisiertes­ Verzeichnis auch der kleineren (Kompass Ostmitteleuropa 2, ­Schriften der Instituts­mitarbeiter findet sich auf Kritische Beiträge zur Kultur­ der Homepage www.uni-leipzig.de/gwzo. geschichte), 600 S.

 Geschichte der Slavia Asiatica. Far Away from Mount Ararat. Quellenkundliche Probleme. Armenian Culture in the Hg. v. Christian Lübke, Ilmira Carpathian Basin. Miftakhova und Wolfram von Hg. v. Bálint Kovács und Emese Pál. Scheliha. Leipzig: Leipziger Uni­ Leipzig: Leipziger Universitäts­ versitätsverlag, 2013, 260 S. verlag, 2013, 184 S.

Agrarismus und Agrareliten in Geschichtspolitik in Europa Ostmitteleuropa. seit 1989. Deutschland, Hg. v. Eduard Kubů, Torsten Lorenz, Frankreich und Polen im inter­ Uwe Müller und Jiří Šouša. Praha: nationalen Vergleich. Verlag Dokořán/Berlin: Berliner Hg. v. Etienne François, Kornelia Wissenschafts-Verlag, 2013, 686 S. Kończal, Robert Traba und Stefan Troebst. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013 (Moderne Europäische Geschichte 3), 560 S. Macht des Goldes, Gold der Macht. Herrschafts- und Jenseits- Approaches to Slavic Unity. repräsentation zwischen Antike Austro-Slavism, Pan-Slavism, und Frühmittelalter im mittleren Neo-Slavism, and Solidarity Donauraum. Akten des 23. Inter- Among the Slavs Today. nationalen Symposiums der Hg. v. Krzysztof A. Makowski und Grundprobleme der frühgeschicht- Frank Hadler. Poznań: Zakład lichen Entwicklung im mittleren Graficzny UAM, 2013, 177 S. Donauraum, Tengelic, 16.–19.11.2011. Hg. v. Matthias Hardt und Orsolya Rauben, Plündern, Morden – Heinrich-Tamáska. Weinstadt: Nachweis von Zerstörung und Verlag Bernhard Albert Greiner, kriegerischer Gewalt im 2013 (Forschungen zu Spätantike archäologischen­ Befund. und Mittelalter 2), 544 S. Hg. v. Orsolya Heinrich-Tamáska. Hamburg: Verlag Dr. Kovač, 2013, 376 S. Mitropa 2014 71

Omnia vincit labor? Narrative Oskar-Halecki-Vorlesung / Jahresvorlesung der Arbeit – Arbeitskulturen in medialer Reflexion. Riga’s Capital Modernism. Hg. v. Torsten Erdbrügger, Ilse Von Steven A. Mansbach. Leipzig: Nagelschmidt und Inga Probst. Leipziger Universitätsverlag, 2013 Berlin: Frank & Timme Verlag, (Oskar-Halecki-Vorlesung 11), 80 S. 2013, 467 S.

Konturen der Subjektivität in den Literaturen Ostmitteleuropas im 20. und 21. Jahrhundert. Hg. v. Valéria Lengyel. Hildesheim– Mitteleuro­päische Raum(ge)- Zürich–New York: Georg Olms schichten. Ein Querschnitt durch Verlag, 2013 (Westostpassagen – Budapest. Von Ákos Moravánszky. Slawische Forschungen und Texte Leipzig: Leipziger Universitäts­ 18), 278 S. verlag, 2013 (Oskar-Halecki-­ Vorlesung 10), 36 S. Institutionenwandel und Rechtstransfer im 20. Jahr­ hundert. Hg. v. Stefan Troebst und Hannes Secrets and Truths. Knowledge Siegrist. Marburg–Leipzig: Herder- Practices of the Romanian Secret Institut, 2013 (= Themenheft der Police. Von Katherine Verdery. Zeitschrift für Ostmitteleuropa­ Leipzig: Leipziger Universitäts­ forschung 61/3 [2012]), 151 S. verlag, 2013 (Oskar-Halecki-­ Vorlesung 9), 64 S. Verbrechen – Fiktion – Ver­marktung: Gewalt in den zeitgenössischen slavischen Literaturen. Hg. v. Laura Burlon, Nina Frieß, Katarzyna Różańska und Peter Salden. Potsdam: Potsdamer Universitätsverlag, 2013, 432 S.

Reden und Schweigen über religiöse Differenz. Tolerieren in epochenübergreifender Perspektive. Hg. v. Dietlind Hüchtker, Yvonne Kleinmann und Martina Thom- sen. Göttingen: Wallstein Verlag, 2013, 280 S. 72

Abbildungsnachweise

S. 2/3 Fotograf: Frank Bernhard Übler. S. 37 Photo: Lenke Szilágyi. S. 4–7 Photos: Christian Forster. S. 39 © Orsi Horváth. S. 8 A Seuso-kincs és Pannonia. Hg. v. Zsolt S. 40/41 Oskár Čepan, Alžbeta Báthoryčka. Collage, Visy. Pécs 2012. Papier, 1981. Slowakisches National­ S. 9 Karte: Lisa Goldmann. Nach: Die „Josephi- museum für Literatur/Slowakische nische Aufnahme“: Die erste militärische ­Nationalbücherei Martin. Vermessung. Königtum Ungarn. DVD. S. 42/43 (1) und (2) Photos: Ute Raßloff. (3) Imrich © Arcanum Adatbázis Kft. Weiner-Kráľ, Trenčín, 1961–1962. Slowa­ S. 10 Graphik: Krisztian Kolozsvári. VISY, Zsolt: kische Nationalgalerie Bratislava. Mit Geschichtliche Probleme des Seuso- freundlicher Genehmigung. Schatzes. In: Macht des Goldes, Gold der S. 44 Báthory. © Jakubisko Film. Macht. Hg. v. Matthias Hardt und Orsolya­ S. 45 (1) Photo: Ute Raßloff. (2) Štefan Bednár, Heinrich-Tamáska. Weinstadt 2013, Sútok Oravy s Váhom, 1943. Slowakische 55–62, hier Abb. 1, 57. Nationalgalerie Bratislava. Mit freundlicher S. 11 Photo: Magyar Nemzeti Múzeum Budapest. Genehmigung. S. 13 Photo: Bayerische Staatsbibliothek. S. 46/47 Photos: Ute Raßloff. S. 14 (1) Labuda, Adam S.: Porta Regia. S. 48/49 Photos: Michael G. Esch. Drzwi Gnieźnieńskie. Gniezno 1998, 4. – S. 50/51 (1) Photo: Archiv des Instituts für Ge- (2) Ebd. 163/164. schichte der materiellen Kultur. St.-Peters- S. 15 Photo: Ursula Wohmann. © Landesamt für burg 1899. (2) Photo: Marina Dmitrieva. Archäologie Sachsen. S. 53 Kavkazskij plennik. © B. G. Production. S. 16 Karte: N. Döhlert. Arbeits- und For- S. 56 (1) Photo: Städel Museum Frankfurt/M. – schungsberichte zur Sächsischen Boden­ (2) Photo: bpk – (3) Photo: Radovan Boček. denkmalpflege 50, 2008. Landesamt für S. 57 (1) Photo: Christoph Sandig. – (2) Photo: Archäologie. Dresden 2009, 223. Gerald Raab. JH.Inc.typ.IV.340, fol. 67v/68r. S. 17 Lombard , Maurice: The Golden Age of Staatsbibliothek Bamberg. Islam. Amsterdam/Oxford 1975, 197. S. 58 (1) und (2) Photos: Radovan Boček. S. 21 (1) http://www.railwaywondersofthe (3) Photo: Martin Frouz. Sammlung world.com/poland.html. – Nationalmuseum Prag. (2) http://www.skyscrapercity.com/ S. 63 Photo: Jerzy Andrzejewski. Aus den showthread.php?t=488214. Sammlungen des Archivs der Erzdiözese S. 25 Jan Masaryk. Jak jsme ho znali. Praha Gnesen. 1948, o. S. S. 65 Entwurf: Franziska Becker. S. 26–28 Photos: Frank Hadler. S. 31 © Bundesarchiv. Umschlag Specks Hof. Fotograf: Karsten S. 32 © Archiwum Fotografii Ośrodka Karta. Thormaehlen. Mit freundlicher S. 34 (1) Nicholas, Lynn H.: The Rape of Eu- Genehmigung. ropa. New York 1994, 413. – (2) Bździach, Klaus: Wspaniały krajobraz – Artyści i kolonie artystyczne w Karkonoszach w XX wieku. Berlin 1999, 271. Um die Einholung der Bildrechte haben wir uns S. 35 Photo: Árpád Kurucz. jeweils bemüht. Sollten wir dennoch eventuelle Rechte- S. 36 (1) und (2) © József Pintér. Mit freund­ inhaber unberücksichtigt gelassen haben, so bitten licher Genehmigung des Graphikers. wir diese, sich mit dem GWZO in Verbindung zu setzen. Impressum

Mitropa Jahresheft des Geisteswissenschaftlichen Zentrums Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e. V. (GWZO) an der Universität Leipzig

Herausgeber Christian Lübke / Stefan Troebst / Christine Gölz Redaktion Christine Gölz / Iris Bauer Korrektorat Madlen Benthin

Gestaltung Plural | Design Severin Wucher Papier GSO Perlweiß von Geese Papier

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Bezug GWZO Leipzig Specks Hof, Reichsstraße 4–6 D-04109 Leipzig Telefon (0341) 97 35 560 Fax (0341) 97 35 569 [email protected] www.uni-leipzig.de/gwzo

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Auf die Doppelnennung femininer und maskuliner Formen (z. B. Kolleginnen und Kollegen) als Form der sprachlichen Gleichstellung wurde aus sprachökonomischen und stilistischen Gründen verzichtet. Stattdessen haben wir uns für die Verwendung von Kurzformen im Plural entschieden (Mitarbeiter, Autoren, Kollegen, Wissenschaftler). ISSN 2191-1401