Francia­Recensio 2016/3 19.‒‒ 21. Jahrhundert Époque contemporaine

Beate Klarsfeld, , Mémoires, (Flammarion) 2015, 688 p., ISBN 978­2­0812­5524­1, EUR 26,00. rezensiert von/compte rendu rédigé par Marie­Christin Lux,

Unter dem Titel »Mémoires« haben Beate und Serge Klarsfeld ihre gemeinsame Autobiographie vorgelegt. In wechselnder Perspektive blickt das Ehepaar auf ihr lebenslanges Engagement gegen das Vergessen nationalsozialistischer Verbrechen und für das Gedenken an deren Opfer zurück. Das 687 Seiten starke Werk ist dabei beides, detaillierter Erinnerungsbericht an die Höhen und Tiefen der gemeinsamen politischen Aktionen und Zeugnis eines zentralen Kapitels deutsch­französischer Nachkriegszeit.

Die gemeinsame Geschichte des Ehepaars Klarsfeld beginnt am 11. Mai 1960 auf dem Gleis der Pariser Metrostation Porte de Saint­Cloud. Aus der zufälligen Begegnung zwischen der deutschen Tochter eines Wehrmachtssoldaten und dem französischen Sohn eines in Auschwitz ermordeten Juden entwickelte sich binnen weniger Monate eine enge Verbundenheit. Es folgte die Hochzeit im November 1963 sowie die Geburt des ersten gemeinsamen Kindes im August 1965.

In der Geschichte, die Beate und Serge Klarsfeld in ihren Memoiren erzählen, spielen derlei private Stationen jedoch eine untergeordnete Rolle. Im Fokus ihrer Lebenserinnerungen steht nicht die eheliche Partnerschaft, sondern der gemeinsame Kampf für die Aufarbeitung und Verurteilung nationalsozialistischer Verbrechen, der sie von Ost­Berlin bis nach La Paz führte. Das Auftaktereignis bildet die Wahl des CDU­Politikers im Dezember 1966 zum dritten Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland. Als aus der französischen Presse von dessen nationalsozialistischer Vergangenheit erfährt, steht für sie fest: »Il faut réagir, mais comment?« (S. 95). Ihre wohl bekannteste Antwort auf diese Frage ist der symbolische Schlag ins Gesicht Kiesingers im November 1968. Die medienwirksame Ohrfeige gegen den Bundeskanzler sowie die dahinter stehende Kampagne zur Aufarbeitung seiner NS­Vergangenheit markieren den Beginn eines unermüdlichen Engagements.

Mithilfe akribischer Recherchen und teils spektakulären politischen Aktionen, wie der versuchten Entführung des Hauptverantwortlichen der in Frankreich 1971, widmete sich das Ehepaar über Jahrzehnte hinweg der Verfolgung nationalsozialistischer Verbrecher. Ihre Jagd führte sie bis nach Bolivien, wo sie Anfang der 1970er Jahre , den Gestapo­Chef von Lyon, ausfindig machten oder Syrien, wo sich der SS­Offizier versteckt hielt.

In ihren Lebenserinnerungen zeichnen Beate und Serge Klarsfeld die verschiedenen Stationen und Hintergründe ihres politischen Aktionismus sowie ihres Engagements für das Gedenken an die Opfer

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Eine Ausnahme bildet das Kapitel, das Beate Klarsfeld ihrer Nominierung durch die Fraktion der Linkspartei als Kandidatin für das Amt der Bundespräsidentin im Jahr 2012 widmet. Die hierin eingewobenen Einschübe bezüglich ihrer kulturellen Vorlieben sowie die Exkurse zum Werdegang ihrer Kinder wirken jedoch im Gegensatz zum Rest der Memoiren angestrengt und hölzern, sodass dieses Kapitel zu den schwächeren Abschnitten gehört.

Ein Wehrmutstropfen ist zudem die kurze Abhandlung der Kindheit Beates, auf deren Nachzeichnung lediglich sechs Seiten verwendet werden. Vor allem im direkten Vergleich mit den differenzierten Darstellungen der familiären Hintergründe Serges, die eingehend dessen Jugendstationen seit der Verhaftung seines Vaters durch die Gestapo 1943 nachzeichnen, wird die Jugend Beates in Deutschland nur oberflächlich angeschnitten.

Insbesondere mit Blick auf die französische Leserschaft wären zudem Anmerkungen zur weiteren Entwicklung von sowie zur zum Zeitpunkt der verhandelten Ereignisse noch unbekannten SS­Vergangenheit von Günter Grass wünschenswert gewesen. Beiden kommen im Verlauf der Kampagne gegen Kiesinger prominente Rollen zu. Vor allem Grass wird an zahlreichen Stellen zitiert, sein verbaler Schlagabtausch mit Heinrich Böll kann auf über drei Seiten nachvollzogen werden. Auch in Bezug auf ihr eigenes Handeln tritt das Ehepaar Klarsfeld nicht immer hinreichend reflektiert auf und thematisiert etwa nur unzureichend ihre Instrumentalisierung durch bzw. ihre Verbindungen zur Deutschen Demokratischen Republik.

Trotz dieser Kritikpunkte handelt es sich bei den Memoiren um eine äußerst lesenswerte und spannende Rückschau auf über vier Jahrzehnte politischen Kampfs. Mit ihren Erinnerungen zeichnen Beate und Serge Klarsfeld letztlich nicht nur ein Portrait ihrer eigenen deutsch­französischen Partnerschaft, sondern führen dem Leser ein zentrales Kapitel deutsch­französischer Nachkriegsgeschichte vor Augen.

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