„Hamburg War Ein Sexschock“ Die Beatles George Harrison, Paul Mccartney Und Ringo Starr Über Ihre Karriereanfänge
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Gesellschaft APPLE RECORDS APPLE Popstars The Beatles (1969): „Wir konnten sein, wie wir waren, und wir konnten tun, was wir wollten“ LEGENDEN „Hamburg war ein Sexschock“ Die Beatles George Harrison, Paul McCartney und Ringo Starr über ihre Karriereanfänge Paul McCartney: Als uns angeboten wurde, Tatsächlich verdienten auch die Schulleh- auf den Verstärkern sitzen. Wir fuhren hin- in Hamburg zu spielen, ging ich noch zur rer nicht mehr. Ich erinnere mich, wie ich unter nach Harwich und dann mit dem Schule. Irgendjemand hatte begriffen, dass in jenem Sommer stolz an den Direktor Schiff nach Hoek van Holland. es in Liverpool eine Menge guter Bands schrieb: „Ich bin mir sicher, Sie werden McCartney: Die seltsamste Erinnerung für gab, dass wir billiger als die Londoner verstehen, warum ich im September nicht mich ist, als wir an der Grenze gefragt wur- Gruppen waren und dass wir keine Ah- zurückkommen werde, denn ich verdiene den, ob wir Kaffee dabei hätten. Das konn- nung hatten, so dass man uns ordentlich – halten Sie sich fest – 15 Pfund die Wo- te ich nicht verstehen. Drogen, ja, Waffen, ausnutzen konnte. Man sagte uns: „Ihr che.“ Es war eine Art Ich-hab’s-weiter- ja, Schnaps oder etwas Ähnliches, das könnt nach Hamburg gehen und pro Wo- gebracht-als-du-Brief. konnten wir verstehen. Aber ein Riesen- che 15 Pfund verdienen.“ 15 Pfund in der George Harrison: Der Wagen war geram- geschäft mit geschmuggeltem Kaffee? Woche war mehr, als mein Dad verdiente. melt voll. Er besaß keine Sitze, wir mussten Harrison: Natürlich waren, als wir nachts eintrafen, keinerlei Vorbereitungen getrof- fen worden. Der Clubbesitzer Bruno IHRE HAMBURGER JAHRE Koschmider fuhr uns für die erste Nacht zu von 1960 bis 1962 beschreiben seinem Haus, wo wir alle in einem Bett die Poplegenden George Harri- landeten. Schließlich verfrachtete er uns in den rückwärtigen Teil eines kleinen Ki- son, Paul McCartney und Rin- nos, des Bambi-Kinos, genau am Ende ei- go Starr in dem hier abgedruck- ner Straße namens Große Freiheit. ten Auszug aus dem Biografie- McCartney: Ich hatte Shakespeare, Dylan Sammelband „The Beatles An- Thomas und Steinbeck gelesen, so dass wir, thology“ (Ullstein Verlag), der als wir unsere Erfahrungen in Hamburg am 5. Oktober weltweit er- machten, auf gewisse Weise als Lernende dort waren und ein klein wenig als Künst- scheint. In Hamburg spielten ler, in der Art: „Dies wird eines Tages gut zunächst der Bassist Stuart Sut- für unsere Memoiren sein.“ Der Club, in cliffe und der Drummer Pete dem wir spielen sollten, hieß Indra. Best in der Band mit. Harrison, Harrison: Das Indra lag am anderen Ende McCartney und Starr sprechen in der Großen Freiheit, abseits der Reeper- bahn, wo sich die meisten Clubs befanden. dem Buch, das mit Zitaten von Bruno hatte den Club eben erst eröffnet John Lennon angereichert ist, APPLE RECORDS APPLE und uns dort engagiert. Die ganze Gegend auch über Kindheit, Ruhm und das Beatles-Ende im Jahr 1970. Plakat für Beatles-Konzert im Top Ten (1961) „Wir wohnten im schmuddeligen Kabuff“ 134 APPLE RECORDS APPLE Beatles-Auftritt im Top Ten (1961): „Die Snobs aus Hamburg spendierten Champagner“ Reeperbahn (1963): „St. Pauli war wie Soho; es war voller Transvestiten, Prostituierten und los und rockten ab. Dabei taten wir so, als mussten wir sechs Stunden spielen, dann Gangster, aber ich könnte nicht behaupten, hätten wir die Leute nicht gesehen. die andere Band ebenfalls sechs Stunden, diese Leute seien unser Publikum gewesen. Harrison: Wir spielten etwa einen Monat das ergab ein zwölfstündiges Set. Wir spiel- Ich kann mich nicht erinnern, dass am An- im Indra, dann musste der Club schließen, ten eine Stunde, sie spielten eine Stunde fang überhaupt viele Leute da waren. und wir zogen um in den Kaiserkeller. und so wechselten wir uns ab, tagein, tag- McCartney: Wir wohnten im hinteren Teil Ringo Starr: Hamburg war großartig. Ich aus, für ein paar Kröten im Monat. des Bambi-Kinos, neben den Toiletten, und war mit Rory Storm and the Hurricanes McCartney: Ringo kam immer sehr spät die konnte man riechen. Das Zimmer war dort. Wir reisten nicht in einem Kleinbus vorbei, zu unserem letzten Set. Er mochte ein alter Lagerraum gewesen, es gab nur – wir trugen Anzüge, also nahmen wir das die bluesartigen Sessions, wenn nicht mehr Betonwände. Keine Heizung, keine Tape- Flugzeug, das war ein Erlebnis. Als wir viele Leute da waren. Wir wurden um die- te, nicht einen Spritzer Farbe. Wir hatten dort ankamen, wollte Koschmider, dass wir se Zeit ruhiger und kramten die ganzen je zwei Etagenbetten, wie kleine Feldbet- im Hinterzimmer des Kaiserkellers über- B-Seiten-Songs raus. Ich weiß noch, wie ten, und zu wenig Decken. Uns war eiskalt. nachteten, weil die Beatles im Hinterzim- Ringo immer kam, einen Drink bestellte, es Leute kamen aus dem Kino und wollten mer des Kinos untergebracht waren. Es gab sich bequem machte und sich den Song aufs Klo gehen, und sie fanden diese klei- ein paar alte Sofas und als Decken Flaggen „Three-Thirty Blues“ wünschte. nen Liverpooler Jungs vor, die „Morning“ mit dem Union Jack. Wir sagten: „Soll das Starr: Ich erfuhr erst später von John, dass sagten und sich alle rasierten. ein Witz sein? Wir haben Anzüge!“ Rory, sie sich damals ein wenig vor mir gefürch- Harrison: Ich habe mich nie geduscht. Im ich und die Band kamen dann in einem tet hatten. John sagte mir: „Wir hatten Klo des Bambi-Kinos gab es ein Wasch- Raum der deutschen Seemannsmission un- früher ein bisschen Angst vor dir – diesem becken, aber man konnte sich darin nicht ter, und das war Luxus – absoluter ver- Betrunkenen, der sich langsame Songs richtig waschen. Wir konnten Zähne put- dammter Luxus. wünschte.“ Sie waren großartig in Ham- zen und uns rasieren, aber nicht viel mehr. Harrison: Im Kaiserkeller mussten wir burg. Wirklich gut – großartiger Rock. Ich McCartney: Wir mussten das Publikum re- früher anfangen und später aufhören. Wir wusste, dass ich besser war als Pete Best, gelrecht hereinbitten, weil wir in einem völ- traten zusammen mit einer anderen Band der Schlagzeuger, den sie damals hatten. lig dunklen, leeren Club spielten. In dem auf und spielten im Wechsel – zuerst mit McCartney: Wir dachten nie daran, dort ei- Moment, wo wir jemanden an der Tür sa- Derry and the Seniors und dann mit Rory gene Songs zu schreiben. Es gab so viel hen, legten wir mit „Dancing in the Streets“ Storm and the Hurricanes. Laut Vertrag anderes. Ich hatte verschiedene kleine H. DOMBROWSKI (li.); A. KIRCHHERR / K & (re.) gab Schlammringerinnen und Transvestiten“ Lennon auf dem Heiligengeistfeld (1960): „Wir sahen deutsch aus mit den Lederjacken“ Stücke geschrieben, traute mich aber nicht, nach zehn Uhr waren nur noch Achtzehn- McCartney: Mein Dad war ein kluger, bo- sie jemandem zu zeigen. Es gab immer ei- jährige und Ältere da. Gegen zwei Uhr denständiger Mann, daher sah er alles kom- nen besseren Chuck-Berry-Song. Wir wur- morgens kamen die abgehärteten Säufer men. Als junger Kerl, der allein nach Ham- den immer besser, und andere Bands ka- und die anderen Clubbesitzer vorbei und burg ging, war ich gewarnt worden: „Drogen men, um uns zu sehen. Die höchste aller saßen mit dem Besitzer von unserem Club und Pillen: Pass auf, verstanden?“ Daher Ehren war, wenn Tony Sheridan vom Top zusammen. war ich in Hamburg, als das Preludin her- Ten (dem großen Club auf der Reeper- Starr: Die Deutschen waren toll. Wenn umgereicht wurde, vermutlich der Letzte, bahn, in dem wir auftreten wollten) vor- sie dich mochten, schickten sie das Bier der es versuchte. Etwa: „Oh, ich bleibe beim beischaute oder wenn Rory Storm oder kistenweise auf die Bühne. Und wenn Bier, danke.“ Sie wurden alle high, und ich Ringo da waren und uns zusahen. Leute mit Geld da waren, Auswärtige oder war schon allein durch ihre Ausstrahlung Harrison: Am Samstag begannen wir um Snobs aus Hamburg, dann spendierten gut drauf. Ich erinnere mich, wie John sich drei oder vier Uhr nachmittags und spiel- sie Champagner. Uns kümmerte das nicht, umdrehte und sagte: „Bla, bla, bla. Auf was ten bis fünf oder sechs Uhr morgens. Wir wir tranken alles. Kriminelle kamen auch bist du drauf?“, und ich sagte: „Auf gar frühstückten nach dem Auftritt. Alle waren in die Clubs. Die hatten Revolver, das nichts, bla, bla.“ Rückblickend ist mir klar, betrunken – nicht nur die Band, auch das hatten wir vorher noch nie gesehen. Das dass es nur der Gruppenzwang war; abzu- Publikum und ganz St. Pauli. Dann gingen war der Moment in unserem Leben, wo lehnen wirkt heute cooler als damals. alle am Sonntagmorgen auf den Fischmarkt wir auf Tabletten kamen, Aufputschmittel. Harrison: Alkohol und Preludin, mit dem (ich habe nie herausbekommen, warum). Nur damit konnten wir so lange durch- man tagelang wach war, hatten auch stim- Wir schlenderten im grellen Tageslicht halten. Sie hießen Preludin und waren mungssenkende, negative Auswirkungen: umher, voll wie Strandhaubitzen, ohne rezeptfrei. Man hatte Halluzinationen und wurde selt- Schlaf. Schließlich gingen wir ins Bett. Harrison: Wir hatten Schaum vor dem sam. John drehte manchmal ein bisschen Dann begann die Sonntagsshow, sie fing Mund. Weil wir stundenlang spielen muss- durch. Er kam in den frühen Morgenstun- früh an, ging aber nicht allzu lang. Im ten und uns die Clubbesitzer Preludin ga- den herein und redete wirres Zeug. Einmal ersten Teil war das Publikum deutlich jün- ben, diese Schlankheitspillen. Ich weiß hatte Paul ein Mädchen im Bett, und John ger, um die fünfzehn, sechzehn oder sieb- noch, wie ich im Bett lag, schweißgebadet kam herein und bekam eine Schere in die zehn. Gegen acht oder neun Uhr abends vom Preludin, und dachte: „Warum schla- Finger und zerschnitt all ihre Kleider und wurden die Zuhörer dann etwas älter, und fe ich nicht?“ ruinierte dann unsere Garderobe.