Gesellschaft APPLE RECORDS APPLE Popstars (1969): „Wir konnten sein, wie wir waren, und wir konnten tun, was wir wollten“

LEGENDEN „ war ein Sexschock“ Die Beatles George Harrison, Paul McCartney und über ihre Karriereanfänge

Paul McCartney: Als uns angeboten wurde, Tatsächlich verdienten auch die Schulleh- auf den Verstärkern sitzen. Wir fuhren hin- in Hamburg zu spielen, ging ich noch zur rer nicht mehr. Ich erinnere mich, wie ich unter nach Harwich und dann mit dem Schule. Irgendjemand hatte begriffen, dass in jenem Sommer stolz an den Direktor Schiff nach Hoek van Holland. es in Liverpool eine Menge guter Bands schrieb: „Ich bin mir sicher, Sie werden McCartney: Die seltsamste Erinnerung für gab, dass wir billiger als die Londoner verstehen, warum ich im September nicht mich ist, als wir an der Grenze gefragt wur- Gruppen waren und dass wir keine Ah- zurückkommen werde, denn ich verdiene den, ob wir Kaffee dabei hätten. Das konn- nung hatten, so dass man uns ordentlich – halten Sie sich fest – 15 Pfund die Wo- te ich nicht verstehen. Drogen, ja, Waffen, ausnutzen konnte. Man sagte uns: „Ihr che.“ Es war eine Art Ich-hab’s-weiter- ja, Schnaps oder etwas Ähnliches, das könnt nach Hamburg gehen und pro Wo- gebracht-als-du-Brief. konnten wir verstehen. Aber ein Riesen- che 15 Pfund verdienen.“ 15 Pfund in der George Harrison: Der Wagen war geram- geschäft mit geschmuggeltem Kaffee? Woche war mehr, als mein Dad verdiente. melt voll. Er besaß keine Sitze, wir mussten Harrison: Natürlich waren, als wir nachts eintrafen, keinerlei Vorbereitungen getrof- fen worden. Der Clubbesitzer Bruno IHRE HAMBURGER JAHRE Koschmider fuhr uns für die erste Nacht zu von 1960 bis 1962 beschreiben seinem Haus, wo wir alle in einem Bett die Poplegenden George Harri- landeten. Schließlich verfrachtete er uns in den rückwärtigen Teil eines kleinen Ki- son, Paul McCartney und Rin- nos, des Bambi-Kinos, genau am Ende ei- go Starr in dem hier abgedruck- ner Straße namens Große Freiheit. ten Auszug aus dem Biografie- McCartney: Ich hatte Shakespeare, Dylan Sammelband „The Beatles An- Thomas und Steinbeck gelesen, so dass wir, thology“ (Ullstein Verlag), der als wir unsere Erfahrungen in Hamburg am 5. Oktober weltweit er- machten, auf gewisse Weise als Lernende dort waren und ein klein wenig als Künst- scheint. In Hamburg spielten ler, in der Art: „Dies wird eines Tages gut zunächst der Bassist Stuart Sut- für unsere Memoiren sein.“ Der Club, in cliffe und der Drummer Pete dem wir spielen sollten, hieß Indra. Best in der Band mit. Harrison, Harrison: Das Indra lag am anderen Ende McCartney und Starr sprechen in der Großen Freiheit, abseits der Reeper- bahn, wo sich die meisten Clubs befanden. dem Buch, das mit Zitaten von Bruno hatte den Club eben erst eröffnet John Lennon angereichert ist, APPLE RECORDS APPLE und uns dort engagiert. Die ganze Gegend auch über Kindheit, Ruhm und das Beatles-Ende im Jahr 1970. Plakat für Beatles-Konzert im Top Ten (1961) „Wir wohnten im schmuddeligen Kabuff“ 134 APPLE RECORDS APPLE Beatles-Auftritt im Top Ten (1961): „Die Snobs aus Hamburg spendierten Champagner“ (1963): „St. Pauli war wie Soho; es war voller Transvestiten, Prostituierten und los und rockten ab. Dabei taten wir so, als mussten wir sechs Stunden spielen, dann Gangster, aber ich könnte nicht behaupten, hätten wir die Leute nicht gesehen. die andere Band ebenfalls sechs Stunden, diese Leute seien unser Publikum gewesen. Harrison: Wir spielten etwa einen Monat das ergab ein zwölfstündiges Set. Wir spiel- Ich kann mich nicht erinnern, dass am An- im Indra, dann musste der Club schließen, ten eine Stunde, sie spielten eine Stunde fang überhaupt viele Leute da waren. und wir zogen um in den . und so wechselten wir uns ab, tagein, tag- McCartney: Wir wohnten im hinteren Teil Ringo Starr: Hamburg war großartig. Ich aus, für ein paar Kröten im Monat. des Bambi-Kinos, neben den Toiletten, und war mit Rory Storm and the Hurricanes McCartney: Ringo kam immer sehr spät die konnte man riechen. Das Zimmer war dort. Wir reisten nicht in einem Kleinbus vorbei, zu unserem letzten Set. Er mochte ein alter Lagerraum gewesen, es gab nur – wir trugen Anzüge, also nahmen wir das die bluesartigen Sessions, wenn nicht mehr Betonwände. Keine Heizung, keine Tape- Flugzeug, das war ein Erlebnis. Als wir viele Leute da waren. Wir wurden um die- te, nicht einen Spritzer Farbe. Wir hatten dort ankamen, wollte Koschmider, dass wir se Zeit ruhiger und kramten die ganzen je zwei Etagenbetten, wie kleine Feldbet- im Hinterzimmer des Kaiserkellers über- B-Seiten-Songs raus. Ich weiß noch, wie ten, und zu wenig Decken. Uns war eiskalt. nachteten, weil die Beatles im Hinterzim- Ringo immer kam, einen Drink bestellte, es Leute kamen aus dem Kino und wollten mer des Kinos untergebracht waren. Es gab sich bequem machte und sich den Song aufs Klo gehen, und sie fanden diese klei- ein paar alte Sofas und als Decken Flaggen „Three-Thirty Blues“ wünschte. nen Liverpooler Jungs vor, die „Morning“ mit dem Union Jack. Wir sagten: „Soll das Starr: Ich erfuhr erst später von John, dass sagten und sich alle rasierten. ein Witz sein? Wir haben Anzüge!“ Rory, sie sich damals ein wenig vor mir gefürch- Harrison: Ich habe mich nie geduscht. Im ich und die Band kamen dann in einem tet hatten. John sagte mir: „Wir hatten Klo des Bambi-Kinos gab es ein Wasch- Raum der deutschen Seemannsmission un- früher ein bisschen Angst vor dir – diesem becken, aber man konnte sich darin nicht ter, und das war Luxus – absoluter ver- Betrunkenen, der sich langsame Songs richtig waschen. Wir konnten Zähne put- dammter Luxus. wünschte.“ Sie waren großartig in Ham- zen und uns rasieren, aber nicht viel mehr. Harrison: Im Kaiserkeller mussten wir burg. Wirklich gut – großartiger Rock. Ich McCartney: Wir mussten das Publikum re- früher anfangen und später aufhören. Wir wusste, dass ich besser war als , gelrecht hereinbitten, weil wir in einem völ- traten zusammen mit einer anderen Band der Schlagzeuger, den sie damals hatten. lig dunklen, leeren Club spielten. In dem auf und spielten im Wechsel – zuerst mit McCartney: Wir dachten nie daran, dort ei- Moment, wo wir jemanden an der Tür sa- Derry and the Seniors und dann mit Rory gene Songs zu schreiben. Es gab so viel hen, legten wir mit „Dancing in the Streets“ Storm and the Hurricanes. Laut Vertrag anderes. Ich hatte verschiedene kleine H. DOMBROWSKI (li.); A. KIRCHHERR / K & (re.) gab Schlammringerinnen und Transvestiten“ Lennon auf dem Heiligengeistfeld (1960): „Wir sahen deutsch aus mit den Lederjacken“

Stücke geschrieben, traute mich aber nicht, nach zehn Uhr waren nur noch Achtzehn- McCartney: Mein Dad war ein kluger, bo- sie jemandem zu zeigen. Es gab immer ei- jährige und Ältere da. Gegen zwei Uhr denständiger Mann, daher sah er alles kom- nen besseren Chuck-Berry-Song. Wir wur- morgens kamen die abgehärteten Säufer men. Als junger Kerl, der allein nach Ham- den immer besser, und andere Bands ka- und die anderen Clubbesitzer vorbei und burg ging, war ich gewarnt worden: „Drogen men, um uns zu sehen. Die höchste aller saßen mit dem Besitzer von unserem Club und Pillen: Pass auf, verstanden?“ Daher Ehren war, wenn Tony Sheridan vom Top zusammen. war ich in Hamburg, als das Preludin her- Ten (dem großen Club auf der Reeper- Starr: Die Deutschen waren toll. Wenn umgereicht wurde, vermutlich der Letzte, bahn, in dem wir auftreten wollten) vor- sie dich mochten, schickten sie das Bier der es versuchte. Etwa: „Oh, ich bleibe beim beischaute oder wenn Rory Storm oder kistenweise auf die Bühne. Und wenn Bier, danke.“ Sie wurden alle high, und ich Ringo da waren und uns zusahen. Leute mit Geld da waren, Auswärtige oder war schon allein durch ihre Ausstrahlung Harrison: Am Samstag begannen wir um Snobs aus Hamburg, dann spendierten gut drauf. Ich erinnere mich, wie John sich drei oder vier Uhr nachmittags und spiel- sie Champagner. Uns kümmerte das nicht, umdrehte und sagte: „Bla, bla, bla. Auf was ten bis fünf oder sechs Uhr morgens. Wir wir tranken alles. Kriminelle kamen auch bist du drauf?“, und ich sagte: „Auf gar frühstückten nach dem Auftritt. Alle waren in die Clubs. Die hatten Revolver, das nichts, bla, bla.“ Rückblickend ist mir klar, betrunken – nicht nur die Band, auch das hatten wir vorher noch nie gesehen. Das dass es nur der Gruppenzwang war; abzu- Publikum und ganz St. Pauli. Dann gingen war der Moment in unserem Leben, wo lehnen wirkt heute cooler als damals. alle am Sonntagmorgen auf den Fischmarkt wir auf Tabletten kamen, Aufputschmittel. Harrison: Alkohol und Preludin, mit dem (ich habe nie herausbekommen, warum). Nur damit konnten wir so lange durch- man tagelang wach war, hatten auch stim- Wir schlenderten im grellen Tageslicht halten. Sie hießen Preludin und waren mungssenkende, negative Auswirkungen: umher, voll wie Strandhaubitzen, ohne rezeptfrei. Man hatte Halluzinationen und wurde selt- Schlaf. Schließlich gingen wir ins Bett. Harrison: Wir hatten Schaum vor dem sam. John drehte manchmal ein bisschen Dann begann die Sonntagsshow, sie fing Mund. Weil wir stundenlang spielen muss- durch. Er kam in den frühen Morgenstun- früh an, ging aber nicht allzu lang. Im ten und uns die Clubbesitzer Preludin ga- den herein und redete wirres Zeug. Einmal ersten Teil war das Publikum deutlich jün- ben, diese Schlankheitspillen. Ich weiß hatte Paul ein Mädchen im Bett, und John ger, um die fünfzehn, sechzehn oder sieb- noch, wie ich im Bett lag, schweißgebadet kam herein und bekam eine Schere in die zehn. Gegen acht oder neun Uhr abends vom Preludin, und dachte: „Warum schla- Finger und zerschnitt all ihre Kleider und wurden die Zuhörer dann etwas älter, und fe ich nicht?“ ruinierte dann unsere Garderobe. McCartney: Eines Tages spielten wir unser Programm, und plötzlich kamen einige merkwürdige Zuschauer, die anders aus- sahen. Sofort spürten wir: „Hey-hey … verwandte Seelen … etwas geht hier vor.“ Es waren Astrid, Jürgen und Klaus. Klaus Voormann spielte später Bass bei Manfred Mann. Jürgen war Jürgen Vollmer, er ist wirklich ein guter Fotograf. Wie auch Astrid Kirchherr, sie wurde später Stuarts Freundin – es war die große Liebe. Und wir waren ebenfalls das, wonach sie suchten. Ihnen allen gefielen der Rock’n’Roll und die Haartollen, aber sie waren anders; sie trugen alle Schwarz. Vieles an unserem Stil stammt von ihnen. Sie nannten sich selbst „Exis“ – Existenzialisten. Harrison: Astrid war so entzückend; sie nahm uns mit nach Hause und gab uns zu 137 essen. Sie half uns sehr, und sei es nur, dass wir bei ihr baden konnten. Astrid war damals 24, und ich war 17; sie wirkte so viel älter als ich und so erwachsen. Schließlich hatten Stuart und Astrid was miteinander. McCartney: Jürgen und Astrid nahmen uns an ungewöhnliche Orte mit, zum Beispiel auf einen Jahrmarkt, und fotografierten uns dort. Uns gefiel dieses Image – es sieht toll aus. Glitzer hassten wir schon immer. Wir fanden einen Laden mit Lederjacken, von denen wir wussten, dass niemand in Liverpool solche haben würde, und das war wirklich cool.

Harrison: Das Problem mit den Nachtclubs K & in Hamburg war, dass die meisten Kellner U-Bahn-Werbung für den Film „Yeah, Yeah, Yeah“ (1964): „Die Deutschen waren toll“ und Barkeeper Kriminelle waren. Sie wa- ren ohnehin harte Burschen, Raufbolde, wir wegen des Tränengases aufhören zu hen, denn wir machten es unter der Decke, und es gab immer Schlägereien. Der po- spielen. doch als ich fertig war, klatschten und gröl- pulärste Song für Prügeleien war nicht nur McCartney: Hamburg öffnete uns die Au- ten sie. Wenigstens haben sie die Klappe in Hamburg, auch in Liverpool „Hully Gul- gen. Wir gingen als Kinder dorthin und ka- gehalten, während ich zugange war. ly“. Eines Abends konnte man die Players- men als ... alte Kinder zurück! Es war ein McCartney: Ich ging einmal in Johns Zimmer und Capstan-Zigaretten im Publikum rie- Sexschock. Plötzlich hattest du eine Strip- und sah, wie er auf einem Mädchen lag und chen, und wir dachten „Oha, die Briten perin zur Freundin. Wenn man zuvor kaum sein kleiner Hintern sich auf und ab beweg- sind hier.“ Es waren Soldaten, und ich weiß Sex gehabt hatte, war das recht beachtlich. te. Dann entschuldigte man sich und verließ noch, wie ich einem riet, nicht mit der Hier war ein Mädchen, das offensichtlich den Raum, das war ganz normal. Wir waren Barfrau anzubandeln, sie gehöre dem etwas davon verstand und du selbst eben sehr pubertär, es hieß einfach: „Kann ich Clubmanager – ein harter Bursche. Aber nicht. Also erlebten wir eine ziemlich das Zimmer haben? Ich will vögeln.“ Und dieser Soldat betrank sich und machte die schnelle Feuertaufe in Sachen Sex. dann brachte man ein Mädchen mit. Barfrau an, und im nächsten Augenblick Harrison: Mein erstes Mal war in Hamburg, Starr: Wir waren zwanzig Jahre alt – ich je- wurde „Hully Gully“ gespielt, und es war in einem Stockbett – Paul, John und Pete denfalls war zwanzig – und zogen durch die die Hölle los. Am Ende des Liedes mussten schauten zu. Sie konnten zwar nichts se- Striplokale; das war aufregend. Mehr als Gesellschaft

kündete, dass es 22 Uhr sei hielten sie Pete und Paul auf der Wache auf und dass alle unter achtzehn der Reeperbahn fest, dann wiesen sie sie nun das Lokal verlassen müss- aus und setzten sie in ein Flugzeug nach ten. „Ausweiskontrolle.“ Wir England. John kam ein paar Tage später hatten das so oft gehört, dass zurück, denn was sollte er dort noch tun? wir zum Scherz auch solche Stuart blieb, denn er wollte mit Astrid zu- Ansagen machten. sammenziehen. Harrison: Nach zwei Monaten McCartney: Nach Hamburg kam erst mal fiel bei mir der Groschen, und nicht viel. Ich fing in der Drahtfabrik Mas- ich verstand erst, was sie sag- sey & Coggins an, weil Dad meinte, ich ten – dass alle unter achtzehn solle Arbeit suchen. Und so musste ich erst das Lokal verlassen müssten. mal den Hof kehren. Eines Tages tauchten Ich war erst siebzehn und saß John und George auf und sagten, wir hät- auf der Bühne wie auf Koh- ten einen Auftritt im Cavern. „Nein“, ant- len. Wir hatte keine Arbeits- wortete ich, „hier habe ich eine feste Stel-

G. ZINT erlaubnis und keine Visa, und le und bekomme 7 Pfund 14 Schillinge die Beatles am Hamburger Flughafen (1966): „Wie eine Bombe“ ich war auch noch minder- Woche. Außerdem bekomme ich hier eine jährig. Schließlich fand jemand Ausbildung. Das ist gut, mehr kann ich Nudes On Ice gab es in Liverpool nicht; das heraus, wie alt ich war. Wie, weiß ich nicht. nicht erwarten.“ Und das meinte ich ernst. waren Plexiglaswürfel mit nackten Frauen Sie hatten uns also auf dem Kieker, und ei- Doch dann dachte ich trotz der Drohung drin, die sich nicht bewegen konnten. Und nes Tages kam die Polizei und schmiss mich meines Vaters im Hinterkopf: „Scheiß hier in Deutschland war das alles zum Grei- raus. Ich musste nach Hause zurück, doch drauf, ich kann das hier alles nicht ausste- fen nah! das war ein denkbar schlechter Zeitpunkt, hen.“ Und so türmte ich über die Mauer Harrison: St. Pauli und die Reeperbahn, das denn wir hatten gerade ein Angebot von ei- und ward bei Massey & Coggins nie mehr war wie Soho. Mit ein paar Bier, guter nem anderen, noch cooleren Club, dem gesehen. Laune und ein paar Freunden gehörte man Top Ten, ein Stück die Straße runter. Paul Harrison: Wir sahen ziemlich deutsch aus dazu. Im ganzen Viertel war der Teufel los. und Pete Best waren zur selben Zeit aus mit unseren Lederjacken, jedenfalls sahen Es gab Schlammringerinnen und Trans- Deutschland rausgeflogen und schon vor wir ganz anders aus als die anderen Grup- vestiten, in manchen Lokalen ließen sich mir daheim. Anscheinend hatte Bruno die pen, und wir spielten auch anders. Wir Frauen sogar von Eseln und anderem Ge- Beatles nicht gehen lassen wollen, und als schlugen ein wie eine Bombe. Im Novem- tier bumsen – angeblich. ein Feuer in seinem Club ausbrach, zeigte ber 1960 kehrten wir nach England zurück, McCartney: Um zehn Uhr abends war er sie an. Bruno behauptete, sie hätten sein und im April 1961 gingen wir wieder nach Sperrstunde. Dann kam die Polizei, ver- Kino in Brand gesetzt. Ein paar Stunden Hamburg. Ich war gerade achtzehn ge- worden und durfte einreisen. Wir spielten ihm sehr wohl. Ich wusste im Top Ten und wohnten über dem Club in nicht, dass er krank war, einem schmuddeligen kleinen Kabuff mit doch er versuchte, das Rau- fünf Stockbetten. Nebenan wohnte eine chen aufzugeben. Er schnitt kleine alte Frau, die wir Mutti nannten, sie seine Zigaretten in kleine war ganz schön streng. Sie hielt die Toilet- Stücke, und jedes Mal, wenn ten sauber, das war auch nötig. er Lust auf eine Zigarette Starr: Hamburg war toll. Aber wenn man hatte, rauchte er so ein klei- zwanzig ist, geht es wahrscheinlich über- nes Stück, so eine Kippe. all ab. Alle behaupten, jemand hät- Harrison: Astrid und Klaus hatten gro- te ihn auf den Kopf getreten ßen Einfluss auf uns. Als wir einmal im und er sei an einer Gehirn- Schwimmbad waren und meine nassen blutung gestorben. Wir gin- Haare herunterhingen, sagten sie: „Lass gen nicht zu Stuarts Beerdi- das so, das sieht gut aus.“ Ich hatte sowie- gung, doch wir waren alle so keine Pomade dabei und dachte: sehr traurig. In Hamburg „Mensch, diese Leute sind cool. Wenn sie spielten wir dann im Star- sagen, dass das gut aussieht, dann lass ich Club, einem großen Club mit das so.“ Das wurde später der Pilzkopf. einer tollen Verstärkeranla-

Und dann sahen wir diese Lederhosen A. KIRCHHERR / K & ge. Wir wohnten in einem und dachten: „Wow! Die brauchen wir!“ Harrison, Sutcliffe, Lennon (1960): „Wir hassten Glitzer“ Hotel, Richtung Stadtmitte Astrid brachte uns zu einem Schneider, am Ende der Reeperbahn der uns diese tollen Nappalederhosen näh- Eduardo Paolozzi kam als Dozent an die und, wie ich mich erinnere, ein gutes Stück te. In Hamburg fanden wir auch einen Kunstakademie Hamburg. Stu hatte sich vom Club entfernt. Laden, wo es originale Cowboystiefel aus nie ausschließlich auf die Musik konzen- McCartney: Der Star-Club war toll. Der Be- Texas gab. Dann hatten wir noch kleine triert. Er sagte: „Ich steige aus, Jungs, ich sitzer Manfred Weißleder und sein Ge- rosa Kappen, die wir „Weiberhüte“ nann- bleibe in Hamburg bei Astrid.“ Ich sagte: schäftsführer Horst Fascher hatten flotte ten. Das war unsere Bühnenkleidung: „Wir holen keinen fünften Mann mehr in Mercedes-Cabrios. Horst hatte im Gefäng- Cowboystiefel, schwarze Lederanzüge die Band. Einer von uns muss Bass spielen, nis gesessen, weil er einen Mann umge- und Weiberhüte. Wir begleiteten im Top aber das bin nicht ich.“ John sagte: „Ich bracht hatte. Er war Boxer und hatte bei ei- Ten viele Sänger. Auch Tony Sheridan auch nicht.“ Paul hatte nichts dagegen. ner Wirtshausschlägerei einen Seemann trat dort auf. Er hatte auch schon dort McCartney: Den Bass hat man mir prak- getötet. Zu uns waren sie jedoch sehr für- gesungen, als wir das erste Mal in Ham- tisch aufgehalst. Keiner wollte Bass spielen, sorglich, wir waren für sie wie Schoßhünd- burg waren, doch nun trat er ständig dort deshalb musste ja Stuart ran. Wir wollten chen. Komischerweise waren wir in die- auf. Er hatte es geschafft, sich dort an- alle Gitarre spielen, und am Anfang waren sem Milieu immer sicher. stellen zu lassen, und wir waren seine wir ja auch drei Gitarristen. Ich möchte da Harrison: Hamburg und die frühen Jahre, Begleitband. was klarstellen, denn es ist falsch in die als wir versuchten, uns zwischen unseren Geschichte eingegangen. Vor ein paar Jah- Hamburg-Aufenthalten in der Merseyside ren behauptete jemand, ich hätte Stuart Area einen Namen zu machen, waren toll. durch meinen skrupellosen Ehrgeiz aus Doch Hamburg war wirklich am tollsten, der Band gedrängt. Stu und ich hatten dort gab es Mercedes-Taxis und Nacht- zwar Auseinandersetzungen, aber nur weil lokale. Dort war viel los. In meiner Erin- ich wollte, dass wir eine richtig gute Band nerung ist das wie so ein schmissiger sind, und Stuart war eben eher ein toller Schwarzweißfilm aus den fünfziger Jahren. Maler und behinderte uns damit ein biss- Im Nachhinein muss ich sagen, dass die chen, wenn auch nicht stark. Wenn es zum Zeit in Hamburg zu unseren besten gehört. Streit kam und wenn uns jemand beob- Wir konnten sein, wie wir waren, und wir achtet hat, dann nur dabei, dass ich mein- konnten tun, was wir wollten, ohne dass es te: „O Gott, hoffentlich vermasselt es Stu gleich in der Zeitung stand. Wir konnten je-

APPLE RECORDS APPLE nicht.“ Mehr war da nicht. Den anderen den anpissen, den wir anpissen wollten, Weltstars Beatles (1964): „Wohler gefühlt“ konnte ich vertrauen. Stu dreh- auch wenn wir das nie getan te sich ein wenig ab, damit haben (nur John hat mal auf McCartney: Wir nahmen für Bert Kaemp- nicht zu offensichtlich wurde, Nonnen gepisst, als wir um halb fert „My Bonnie“ mit Tony Sheridan auf, in welcher Tonart er spielte, fünf morgens in einer Seiten- wir waren Tony Sheridan and the Beat falls er in einer anderen spiel- straße vom Balkon pinkelten). Brothers. Sie fanden unseren Namen nicht te als wir. Wir waren wie alle anderen gut und verlangten, dass wir uns in The Harrison: Stuart Sutcliffe starb Leute auch, wir hatten einfach Beat Brothers umbenannten, das sei für im April 1962, nachdem er die unseren Spaß und spielten das deutsche Publikum leichter zu ver- Band schon verlassen hatte. trotzdem auf der Bühne. stehen. Kurz vor seinem Tod kam McCartney: Hamburg ist sicher Starr: Ich machte mit Rory Aufnahmen er noch mal nach Liverpool eine großartige Jugenderinne- in Hamburg, „Fever“ und andere Sachen. (im Pierre-Cardin-Jackett ohne rung, aber ich glaube, die Er- Es gibt dort noch irgendwo eine tolle Vi- Kragen – er besaß vor uns ei- innerung hängt immer vom Al- nylscheibe, von der ich gern eine Kopie nes) und verbrachte viel Zeit The Beatles Anthology ter ab. Es war toll, aber ich hätte. mit uns; als hätte er geahnt, von den Beatles. glaube, ein paar Jahre später, Harrison: Stuart war mit Astrid verlobt. dass wir uns nie wieder sehen Ullstein Verlag, München; nachdem wir mit den Platten Nach unserem zweiten Aufenthalt in Ham- würden. Er besuchte mich ex- 368 Seiten mit die ersten Erfolge hatten, ha- burg wollte er die Band verlassen und in tra zu Hause, wir waren nur zu 1300 Abbildungen; be ich mich sehr viel wohler Deutschland bleiben, denn der Bildhauer zweit, und ich fühlte mich mit 128 Mark. gefühlt. ™

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