Der Funktionswandel Der Villen Im Veneto - Eine Kulturgeographische Analyse
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282 Erdkunde Band 44/1990 DER FUNKTIONSWANDEL DER VILLEN IM VENETO - EINE KULTURGEOGRAPHISCHE ANALYSE Mit 4 Abbildungen, 3 Tabellen und 2 Photos Thomas Krings - a Summary: The functional change of the Venetian villa Um so erstaunlicher istdie Tatsache, dafi abgesehen cultural-geographical analysis von wenigen allgemeinen Hinweisen in der kunstgeo The aim of this contribution is to the analyse develop graphischen Studie der Padania von H. Lehmann ment of the Venetian villa, which has become one of the (1961) und den Arbeiten von Dorrenhaus (1971, most intrinsic elements of the landscape in north-eastern 1976), die sich vornehmlich mit der toskanischen Italy since the 15th century. In comparison with the Tuscan Villa beschaftigen, eine kulturgeographische Unter villa-fattoria system, which developed during the 13th suchung des Villen-Phanomens in Nordost-Italien century around the urban republics like Florence, Lucca a unterblieb. Daher soil der Versuch unter and Pistoia, the Venetian villa is historically late pheno bislang menon. nommen die sozialhistorischen und sozial It began to flourish only since the 16th century after werden, the decline of oriental trade, when theVenetians were oblig okonomischen Hintergriinde fiirdie Entstehung der over ed to obtain political control their hinterland territories Villen imVeneto sowie den in historischen Stadien (terraferma). verlaufenden funktionalen Wandlungsprozefi von The for the colonization of the ideological justification Villa und Villegiatura seit dem 16. Jh. aufzuzeigen terra was based on numerous articles A. Cornaro, ferma by und ein spezielles Augenmerk auf die gegenwartigen B. A. Palladio in L. Alberti and recollection and reinter der Villen zu richten. Der Bei on Nutzungsprobleme pretation of Roman tractates agriculture which praised trag ordnet sich in die seit vielen Jahren von deut agriculture as a "holy activity". Since 1530, the first classic schen Geographen durchgefiihrten Untersuchungen Venetian villas, combining agricultural and residential zum Kulturlandschaftswandel in Nord- und Mittel functions, were built. The extended villa lands were sub italien ein Dongus Dorrenhaus divided into numerous small tenant holdings. Until the (vgl. 1966; 1971, middle of the 17th century the dominant form of contract 1976; Sabelberg 1975 a, b; Upmeier 1981). was the mezzadria; after that period the cesure system was an established (tenants who paid annual rent in the form of In the times the of the " " money). following fragmentation 2 Zur Definition derBegrijfe ? Villa und ? Villegiatura villa lands hindered an increase of productivity. In the 18th century the type of the villa suburbana, with mainly residen In seiner Studie ,,Villa und Villegiatura in der tial functions, developed. With the fall of the Republic of Toskana" verweist F. Dorrenhaus (1976) einleitend Venice in 1797, the classical of the Venetian villa period auf die einer Defi ended. Schwierigkeiten allgemeingiiltigen nition des Villenbegriffs. Begreift man i. S. dieses Autors die Villa nicht nur als ein spezifisch italieni sches baulich-kiinstlerisches Phanomen, sondern 1 Einfuhrung auch als eine gesellschaftliche Institution, mit der ver ganz spezifische Lebens- und Wirtschaftsformen Eine der auffalligsten Siedlungserscheinungen bunden sind, so lassen sich trotz vielfaltiger regiona zwischen den siidlichen Auslaufern der Alpen und ler Erscheinungsformen dennoch gemeinsame Merk dem Unterlauf des Po sowie zwischen Etsch und Pia male feststellen: - ve, dem Kernraum der einstigen Republik Venedig, Die Villa ist kein Adelssitz. Sie und die ihr zuge stellen eine Vielzahl von einzeln auf Anhohen, aber horigen Grundstiicke sind in keine Feudalordnung auch mitten in der Po-Ebene verstreut liegenden eingebunden. - schlofiahnlichen Bauten dar. Es sind dies die weltbe Der Besitzer der Villa stammt aus der grofibiirger riihmtenVillen Venetiens, die zu den bedeutendsten lichen (signorilen) Schicht der Stadte. Er wechselt Palazzo Schopfungen der italienischen Renaissance- und den Wohnsitz zwischen dem stadtischen Barockarchitektur gehoren. imWinterhalbjahr und der Villa auf dem Land im Thomas Krings: Der Funktionswandel der Villen im Veneto 283 Sommerhalbjahr. Den Sommeraufenthalt des freienKommunen vor ihrerUnterwerfung durch die stadtischen Besitzers auf seiner landlichen Villa be Venezianer im friihen 15. Jh. man zeichnet als villegiatura". so Diese beiden grundlegenden Merkmale gelten wohl fur den Typus der ,,villa rustica", an die ein 3 Der historischeHintergrund der Villenentwicklung landwirtschaftlicher Betrieb angegliedert ist, als auch in Venetienseit dem 16. Jh. fur den Typus ,,villa suburbana", die ausschliefilich residentiellen Funktionen dient. Die beiden folgen Zwischen dem 9. und 13.Jh. stiegVenedigzu einer den Kriterien sind nur fiir die ,,villa rustica" zutref der fuhrendenWirtschaftsmachte im ostlichen Mit fend: telmeerraum auf. Die okonomische Grundlage fiir - Sie ist das private Besitztum stadtischer Eigen seinen Reichtum bildete der maritime Fernhandel zu tumer, dem ein agrarisch intensiv genutztes zwischen dem Orient und den mittel- und nordwest Grundeigentum mit vielen Pachthofen gehort. europaischen Staaten. Das 14. und 15. Jh. gelten als - Mit ihrer Fattoria, dem wirtschaftlich koordinie die ?goldene Periode" der Stadt, inder sichVenedigs renden Zentrum des aus vielen kleinen und mitt Kolonialreich von Dalmatien iiber die Inseln Korfu leren Giitern bestehenden Eigentums, ist sie von und Kreta bis an die Levantekiiste einschliefilich an in die Kommunal- und Wirtschaftsver Anfang Alexandria ausdehnte. Im 15. Jh. exportierte die fassung der auch das Land umfassenden Stadt inte Stadt jahrlich Waren im Wert von 10 Millionen Dorrenhaus Dukaten. Die griert (vgl. 1986, S. 11). venezianischen Kaufleute importieren Die Herausbildung des Villa-Fattoria-Systems aus dem Orient vor allem Pfeffer, Zimt, Baumwolle, steht im direkten Zusammenhang mit der Entste Pottasche und Seide und fiihrten englische, flandri hung der freien Kommunen in Nord- und Mittel sche und italienische Textilien dorthin aus. In der italien dem seit 12. Jh. Da der Landadel gezwungen Zeit um 1500 gelangten alljahrlich 2,5 Millionen in die Stadte zu ziehen wurde, und seine Privilegien Pfund Gewiirze von Alexandria in die Lagunenstadt. zerfiel das in aufzugeben, frankischer Zeit einge Dafiir flossen neben Warenlieferungen 300000 fiihrte Das Umland Lehnsystem. (,,contado") wurde Dukaten zuriick (vgl. Burke 1984, S. 260). von den Biirgern inBesitz genommen und die Bauern Eine entscheidende politische und okonomische wurden befreit. Das stadtische Patriziat errichtete Wende trat in derMitte des 15.Jhs. ein. Imjahr 1453 seit dem 13. in Jh. steigender Zahl Landsitze (Villen) hatten die Tiirken Konstantinopel erobert. Ihrmili als Mittelpunkte grofier Besitzungen. Die Lande tarischer Druck wurde im Ostmittelmeerraum im reien wurden inTeilstiicke (,,poderi") aufgeteilt und mer spiirbarer und fiihrtenach und nach zu dem Yer an bauerliche Pachterfamilien zusammen mit einem lust von Stiitzpunkten imOrient und damit zu einem Einzelhof (,,casa colonica") vergeben. Die mit dem Riickgang des Handels (vgl. Kretschmayr 1934, Villa-Fattoria-System verbundene typische Betriebs S. 165). weise war die Halbpacht (,,mezzadria") (vgl. Sabel Noch gravierender fiir die Stadt war die milita berg 1975 b). rische Niederlage von Agnadello in der Nahe von Hervorzuheben ist die relativ autonome am Stellung Crema (Lombardei) 14. 5. 1509 gegen die ?Liga der die als von Halbpachter, selbstandige Partner im Cambrai", in welcher sich Frankreich, der deut Rahmen einer Art Gesellschaftsvertrages mit den sche Kaiser, viele oberitalienische Stadtstaaten und stadtischen verbunden waren. Die der Eigentiimern Papst gegen das allzu machtige Venedig zusam Fortschrittlichkeit derMezzadria aufierte sich indau hatten. Mit von mengeschlossen der ,,Katastrophe ernden so wurden z. B. in Investitionen; die Fattorien Agnadello" begann die Hinwendung der Stadt auf Getreide- und Olmuhlen ihr wurden die Kelteranlagen, eingebaut. Hinterland, Voraussetzungen ge Durch den inneren Ausbau der wurde z. B. ,,poderi" schaffen fiir die Entstehung der letzten grofien und mit der von Be- und Ent um so Anlage Kulturterrassen, glanzvolleren Villenbauphasen in Italien. Mit die landwirtschaftliche Produkti der wasserungskanalen Etablierung der Macht Venedigs imGebiet der vitat n erhoht. Damit erwies sich die mittel- und nord ?Terra ferma" verstarkten sich im ersten Drittel des italienische Mezzadria als deutliches Gegenstiick zu der die Teilpachter ausbeutenden Latifundien-Wirt schaft Siiditaliens. Das Gesagte gilt nicht nur fiirdie n Mit dem Begriff ?Terra ferma" werden die festlandi sog. ,,Toscana urbana" (das agrarisch intensiv ge schen Besitzungen Venedigs im Bereich der ostlichen Pada nutzte Umland von Lucca oder Florenz, Pistoia), nia verstanden. Zwischen 1340 und 1509 konnte die Stadt sondern auch fiir das Umland der norditalienischen ihren Einflufi vom Dogado (dem Kiistenstreifen westlich 44/1990 284_ Erdkunde_Band 16. Jhs. die Investitionen der venezianischen Kauf len aus der Landwirtschaft zu erschliefien. Dafi die leute in Grund und Boden. Schon im Verlauf des Betatigung in der Agrarwirtschaft und liberhaupt die von 15. Jhs., mit der Unterwerfung Padovas (1406), hat Schaffung Ackerland als ?Staatsaufgabe" be ten die Venezianer 160000 ha Land im Bereich der trachtet wurde, belegt die Einrichtung eines Wasser u. Hinz amtes delle im 1501. Terra ferma erworben (Bodefeld 1987, (?Magistrato acque") Jahr S.