2 Wochenschau Bauwelt 15 | 2010 Bauwelt 15 | 2010 3

AUSSTELLUNG knüpfungspunkte bieten für die dringliche Aufforde- rung vor allem an die Megacities außerhalb der Venedig? Las Vegas? | Die Berliner westlichen Sphäre, Landschaft nicht lediglich als Ver- Akademie der Künste proklamiert die fügungsmasse zu betrachten. Ungleich greifbarer „Wiederkehr der Landschaft“ sind die im abschließenden Teil der Schau vorgestell- ten Projekte zeitgenössischer Landschaftsarchitek- In den Eröffnungsreden ist von unterhaltsamer Wis- ten, die Freiraum und Stadt auf pflegearme und res- sensvermittlung die Rede. Doch der ungebrochene sourcenschonende Weise zu gestalten versuchen. Landschaftsverbrauch durch die boomenden Mega- Für eine Übereinstimmung von Ökologie und Ästhe- cities ist alles andere als unterhaltsam, er ist bitter tik stehen etwa der Biomassepark Hugo auf einem ernst und nur durch eine grundlegende Veränderung ehemaligen Zechengelände in Gelsenkirchen oder die von vornehmlich wirtschaftlichen Zielsetzungen zu chinesische Regenstadt Putian. Ob derlei Konkre- stoppen – ein brisantes gesellschafts- und kulturpo- tisierungen auch bei den Ausstellungsbesuchern nach- litisches Thema, dessen sich die Berliner Akademie hallen, die über ihr nächstes Reiseziel vermutlich der Künste mit ihrer Ausstellung „Wiederkehr der auch nicht unbedingt mit Blick auf die Folgen für die Landschaft“ angenommen hat. Landschaft entschieden haben? Es grüßt der umfassende Anspruch der Akade- Der Landschaftsarchitekt Walter Rossow mie, wenn die Kuratoren einleitend versuchen, das (1910–1992), der einst als Mitglied der Berliner Aka- Die „fonction oblique“ in Entwurf (Le trans- Phänomen Landschaft mit Zitaten aus Literatur, demie die Sektion Baukunst leitete, schrieb uns versal – Intérieur 2, 1973) und Praxis (Sainte Film und Tanz jenseits romantischer Verklärung als vor einem halben Jahrhundert ins (Planer-)Stamm- Bernadette du Banlay in , 1963–66). „kulturelles Produkt“ zu erschließen. Im Zentrum buch: „Wir wissen sicher nicht, was in 30 Jahren © Collection DAF/Cité de l’architecture et du patrimoine; Fotos: © Dominique Delaunay der Schau aber stehen Venedig und Las Vegas, zwei notwendig sein wird, wir wissen aber, dass alles, Städte, deren Existenz nur mit einem hohen tech- was wir heute in Stadt und Land tun, nicht einmal ni schen Aufwand und auf Kosten ihres Landschafts- den Ansprüchen von heute genügt, nicht unseren

AUSSTELLUNG men, deren abgerundete Oberflächen aus grob ge- raums gesichert werden kann. Was von den künstli- Kenntnissen von der Materie entspricht.“ Seine bis- AUSSTELLUNG schaltem Beton hergestellt sind. Die Kirche besticht chen Städten – zwei Fixpunkte des weltumspannen- lang unerhörte Schlussfolgerung „Die Landschaft durch ihre räumliche Kraft, die jener von Bunkern den Tourismus – und ihrer Umgebung im Kopf des muss das Gesetz werden“ sollte mehr Ansporn als Bilder bauen Bilder | 03 Arch. in der Kritischer Raum | Die Cité de l’Architecture gleicht; diese Assoziation wird jedoch im Wortsinne Ausstellungsbesuchers vor allem haften bleibt, sind unterhaltsames Zitat sein. Michael Kasiske Architektur Galerie Berlin gebrochen: mit einem Spalt, der das Gebäude in die hoch ästhetischen Schrägluftbilder des US-ame- in würdigt Claude Parent der Mitte teilt. rikanischen Fotografen Alex S. Maclean: Die wie gra- Akademie der Künste | Hanseatenweg 10, Es ist immer wieder eine Überraschung, wie es doch fische Muster wirkenden Anlagen, die für die ex- 10557 Berlin-Tiergarten | ▸ www.adk.de | den Architekten, die in der Architektur Galerie Ber - Theorie und Praxis tensive Feld- und Fischwirtschaft in der Lagune nötig bis 30. Mai, Di–So 11–20 Uhr | Der Katalog lin ausstellen, gelingt, den nüchternen Raum mit den Sebastian Niemann Als die Gruppe 1970 den Französischen Pavillon der sind, stehen im krassen Gegensatz zum pittoresken (Jovis Verlag) kostet 38 Euro. großen Schaufenstern zur Karl-Marx-Allee so völlig Der junge Parent macht erstmals 1953 von sich reden, turen andererseits. Mit zahlreichen Fotos und Film- Architektur-Biennale in Venedig gestaltet, hat sie Venedig, ebenso wie die stereotypen Fertighaussied- zu verwandeln. Im Augenblick ist die Sicht von der als er den Wettbewerb der Zeitschrift Elle für die ausschnitten sowie den für Parent typischen groß- noch einmal Gelegenheit, das Prinzip diagonaler Flä- lungen in der Wüste von Nevada zum glitzernden Straße in den sogenannten Werkraum stark einge-

„Maison française“ gewinnt – mit dem radikalen Vor- formatigen Kohle- und Tuschezeichnungen vollziehen chen zu proklamieren. Doch auf die großen Uto- Las Vegas. Alex. S. MacLean, aus der Serie Las Vegas. schränkt: Der Münchner Künstler Matthias Männer schlag einer Betonkonstruktion. Neben Einfamilien- die Kuratoren die Entwicklung seines grafischen und pien folgt Ernüchterung: Obwohl Parent versucht, die Beide Städte repräsentieren jedoch historisch © Alex S. MacLean für Akademie der Künste, hat die Glasfront mit dicken Trockenbauwänden ver- häusern und kleinen kommerziellen Projek ten kann gebauten Œuvre nach und verfolgen Parents Suche Idee der schiefen Ebene weiterzuentwickeln, lässt derart singuläre Ansiedlungen, dass sie kaum An- 2009 schlossen – bis auf zwei kleine Fenster, Löcher ei- er in der Folgezeit u.a. die Maison de l’Iran in der nach kraftvollen architektonischen Antworten auf die sie sich nicht mit dem Alltag seines erfolgreichen Ar- gentlich, die sich mit ihren balgähnlichen Laibungen Pariser Cité Universitaire realisieren. Mit dem Wohn- jeweils aktuellen gesellschaftlichen Probleme seines chitekturbüros vereinen. Spätestens Mitte der 70er scheinbar selbständig durch die dicken Wandpakete haus Drusch (1963), das einem umgestürzten Wür- langen Lebens. Jahre kommt es zur deutlichen Trennung zwischen hindurchgefressen haben. Durch Männers Interven- fel ähnelt, bricht der 1923 Geborene mit den selbst- Theorie und Praxis. Während das Büro Aufträge für tion ist der Ausstellungsraum ausreichend abgedun- sicheren Ideen einer allumfassenden Moderne. Befreiung der Moderne durch die Schräge Schulen, Büro- und Wohngebäude bearbeitet, betä- kelt für die Diaschau des Münchner Büros „03 Arch.“, Die Retrospektive in der Pariser Cité de l’Archi- Ab Anfang der 60er Jahre werden im Werk des Ar- tigt sich Parent unabhängig davon weiter als kriti- das, 1995 von Andreas Garkisch, Karin Schmid und tecture et du Patrimoine arbeitet das Prinzip des chitekten die Einflüsse der Arbeit des Philosophen sche Stimme und zeichnet freie Entwürfe. Michael Wimmer gegründet, bis vergangenes Jahr „kritischen Raums“ als Konstante in Claude Parents Paul Virilio zum Wesen von Bunkern und zur sozial- Trotz seines fundamental-kritischen Denkens „03 München“ hieß. Vier Beamer werfen einen 50-Bil- Werk heraus, als Konstante all seiner unterschied- kriti schen Seite des Raumes erkennbar. Die gemein- bewegt sich Claude Parent ironischerweise von An- der-Kreislauf auf die vier Wände der Galerie (Foto: lichen Schaffensphasen, die jeweils von der Zusam- sam mit Virilio gegründete Gruppe „Architecture beginn an in genau jenen elitären Kreisen der Hoch- Ulrich Müller). Innerhalb einer Viertelstunde erhält menarbeit mit wechselnden Persönlichkeiten – u.a. Principe“ treibt ihre Forschung in Entwürfen und in kultur, die er fortwährend in Frage stellt: Geboren im der Betrachter einen kaleidoskopischen Überblick Ionel Schein, André Bloc, Yves Klein, Paul Virilio und der von ihr herausgegebenen gleichnamigen Zeit- schicken Vorort Neuilly-sur-Seine, Veröffentlichung über acht aktuelle Projekte der Architekten, über de- Wolf D. Prix – geprägt sind. Die Ausstellungsarchi- schrift voran. Während die Gruppe Architektur als in Elle, Biennale-Ausstellung in Venedig, Aufnahme ren Rezeption in den Medien sowie über künstleri- tektur von , Weggefährte der 70er Jahre, Motor der Erneuerung der Gesellschaft versteht in die Académie des Beaux-Arts und schließlich die sche und architektonische Einflüsse, die „03 Arch.“ unterstützt mit ihren schwarzen Scheiben, die von und damit dem Geist der Moderne verbunden bleibt, seinem Lebenswerk gewidmete Ausstellung im Palais geltend machen. Die Bilder-Folge ruhig zweimal der Decke hängen oder auf dem Boden stehen, diese werden ihre erstarrten Ausdrucksformen in Frage Chaillot. Vielleicht erlaubt genau dieser Gegensatz, anschauen und am besten zur Schonung der Halswir- Lesart, indem sie in dem korridorartigen Galerie- gestellt. Räumlich drückt sich der Wille zur Überwin- dass Parent hier – durchaus zu Recht – als einer der bel einen Drehstuhl mitbringen! fr raum im Palais de Chaillot sowohl thematische Grup- dung der zwischen der Vertikalen und der Horizon- Vordenker der zeitgenössischen französischen Archi- pierungen als auch visuelle Querverbindungen zwi- talen gefangenen Moderne durch die Einführung ei- tektur dargestellt werden kann. Architektur Galerie Berlin Werkraum | Karl- schen den einzelnen Abschnitten erzeugt. ner schrägen Ebene aus, der „fonction oblique“. Marx-Allee 96, 10243 Berlin | ▸ www.werk- raum-agb.de | bis 24. April, Di–Fr 14–19, Schon Parents Studienprojekte an der altehr- Die Kirche Sainte-Bernadette in Nevers (1962– Cité de l’Architecture et du Patrimoine | Sa 12–16 Uhr | Das Begleitheft mit einem Ge- würdigen Pariser Ecole des Beaux-Arts zeugen von 66) wird zum gebauten Manifest dieses Gedankens: 1, place du Trocadéro et du 11 novembre, spräch der Architekten mit Spex-Chefredak- seiner Nähe zur plastischen Kunst einerseits und vom Das Gotteshaus setzt sich aus zwei miteinander ver- 75116 Paris | ▸ www.citechaillot.fr | bis 2. Mai | teur Max Dax kostet 3 Euro. Aufbegehren gegen verkrustete Denk- und Lehrstruk- schränkten, schräg angeschnittenen Volumina zusam- Der Katalog (französisch) kostet 45 Euro.