Die Briten Brauchen Die EU, Die EU Braucht Britischen Pragmatismus
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ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND Mittwoch, 22. Juni 2016 · Nr. 143 /25 D1 HERAUSGEGEBEN VON WERNER D’INKA, JÜRGEN KAUBE, BERTHOLD KOHLER, HOLGER STELTZNER 2,60 € D 2954 A F.A.Z. im Internet: faz.net sen. Steinmeier glaubte vor ein paar EU verlängert Die Mühlen des Alltags Signale Tagen sogar, Säbelrasseln und Kriegs- Von Klaus-Dieter Frankenberger geheul zu hören (vielleicht könnte ein Sanktionen Besuch beim Akustiker helfen). Offen- kundig ist die Lage der SPD wenig be- as ist kein Grund zu Triumphalis- rauschend, die ihres Vorsitzenden erst gegen Russland D mus, aber die Verlängerung der recht. Ein paar Spitzen gegen die europäischen Sanktionen gegen Russ- now. BRÜSSEL, 21. Juni. Die Europäi- CDU-Kanzlerin hier, eine kleine sche Union wird die im Sommer 2014 land um weitere sechs Monate, erzielt Stinkbombe da – das politische Ge- gegen Russland verhängten Wirt- im Kreise der EU-Botschafter, ist ein schäft selbst in einer Koalition ist nun schaftssanktionen um weitere sechs wichtiges Signal: der Geschlossenheit mal so, wenn es ein Profilierungsdefi- Monate bis Ende Januar 2017 verlän- nach innen – in europapolitisch höchst zit gibt. Aber das darf nicht in Oppor- gern. Darauf haben sich die Botschaf- bewegten Zeiten wie diesen ist das tunismus ausarten und den Eindruck ter der 28 EU-Staaten am Dienstag schon etwas – und der Entschlossen- erwecken, Deutschland beginne wie- grundsätzlich verständigt. Offiziell heit nach außen. Ja, es gibt in einigen der, außenpolitisch zu irrlichtern und dürfte die Entscheidung erst nach dem Mitgliedsländern Zweifel am Nutzen politisch die Argumente Moskaus zu EU-Gipfeltreffen am kommenden der Sanktionen neben dem Wunsch, übernehmen. Wer die Manöver, die Dienstag und Mittwoch fallen. Ein ent- die Wirtschaftsbeziehungen mit Russ- Russland und die Nato abgehalten ha- sprechendes Vorgehen habe Italien ver- langt, hieß es am Dienstag in Brüssel. land wieder voll hochzufahren. Der so- ben, miteinander vergleicht, kann nie So könnte es beim Gipfel eine Ausspra- zialdemokratische Teil der Bundesre- und nimmer zu dem Schluss gelangen, che über die mittelfristige Sanktionspo- gierung scheint das ja auch für eine Russland werde militärisch bedroht. litik gegenüber Moskau geben. Der fran- gute (Wahlkampf-)Idee zu halten, ob- Umgekehrt wird ein Schuh daraus. zösische Staatspräsident François Hol- schon die an eine Aufhebung der Sank- Nato-Länder werden bedroht, und das lande sowie zuvor Außenminister Jean- tionen geknüpften Voraussetzungen, ist nicht nur so ein „Gefühl“. Marc Ayrault und dessen deutscher die Einhaltung der Minsker Verabre- Verteidigungsfähigkeit und Bereit- Amtskollege Frank-Walter Steinmeier dungen, was Moskau betrifft, nicht ge- schaft zum Dialog gehören zum Stan- (SPD) haben eine Lockerung der Sank- geben sind. Also werden die Sanktio- dardrepertoire des Westens, und sie tionen in Aussicht gestellt, aber auch nen eben verlängert, ob nun der Wirt- gehören zusammen. Und genau mit die Bedeutung einer Verwirklichung schaftsminister Gabriel nach Moskau des Minsker Abkommens von 2015 zur diesem Paket sind wir alle (!) sicher- Bewältigung des Konflikts in der Ost- fährt oder nicht. Die Kanzlerin hat in heitspolitisch gut gefahren. Ange- ukraine herausgestellt. Die als Reakti- dieser Sache entschieden. sichts des russischen Vorgehens in Ost- on auf die Unterstützung Moskaus für Gabriel trägt im Moment vor allem europa ist es dreist, wenn auch partei- die Separatisten in der Ostukraine ver- den Hut „SPD-Vorsitzender“. Im Ver- taktisch erklärlich, vor allem in einer hängten EU-Sanktionen betreffen ins- ein mit Außenminister Steinmeier festen westlichen Haltung die Hürde besondere Staatsbanken, Rüstungsun- meint er sich über angebliche Kalte für eine Verbesserung der Beziehun- ternehmen, aber auch die Energie- und Krieger im Westen erregen zu müs- gen zu Russland zu sehen. Gasbranche. In der vergangenen Wo- Buddha bei die Fische – Und wiederholt man sie auch wie eine schon immer recht unaufgeräumt war und es wenig Grund che hat die EU bereits die Sanktionen tibetanische Gebetsmühle, verliert eine einfache Wahrheit gibt zu glauben, dass es morgen so viel besser sein wird – ange- gegen die von Russland annektierte doch nicht ihre Gültigkeit: Früher war nicht alles besser, nur sichts all jener, denen das Chaos Wasser auf die eigenen Müh- Halbinsel Krim um ein Jahr bis Mitte eben früher. Das macht den Alltag im Heute allerdings auch len ist, und all der Mühlsteine, die auf dem Weg in die Zukunft Europafreundlich 2017 verlängert. (Siehe Seite 6.) nicht erträglicher, wenn man erkennen muss, dass die Welt liegen. Zum Beispiel für die Tibeter im Exil. Seite 3 Foto Getty Von Reinhard Müller in Signal für Europa – aber auch aus auch mit, aus Brüsseler Sicht, ne- Heute E für den Nationalstaat; ein Zei- gativen Tendenzen. Wenn nämlich chen für die heftigen Fliehkräften aus- alle EU-Mitglieder ihre nationale Sou- Juncker: Die Briten brauchen die EU, gesetzte EU, aber auch ein Zeichen veränität neu entdecken, und zwar Der für eine nationale Kontrolle ihrer auch in nichtigen Fällen, ist das euro- mächtigen Organe – das ist die Bot- päische Projekt schnell am Ende. Clan die EU braucht britischen Pragmatismus schaft, die zwei Tage vor der Abstim- In wichtigen Fällen wie diesem geht mung über ein Ausscheiden des Verei- es aber nicht um Kontrolle um der In der Volkswagen AG haben die Kommissionspräsident: Immer engere Union kein historischer Irrtum / F.A.Z.-Gespräch nigten Königreichs aus der EU vom Kontrolle willen, sondern um demo- Familien Porsche und Piëch das Bundesverfassungsgericht ausgeht. kratische Legitimation. Die erhält die Sagen. Manches Mitglied geht tens. ATHEN,21.Juni. EU-Kommissions- schen Referendums kein historischer Irr- Deutlich kritisierte Juncker die Haltung Karlsruhe macht sich zwar das Ur- EU über die Mitgliedstaaten, über de- präsident Jean-Claude Juncker hat kurz tum, sagte Juncker, „auch wenn die Briten des ungarischen Ministerpräsidenten Vik- teil des Europäischen Gerichtshofs zu ren Parlamente, über deren Bürger. So eigene Wege. Wirtschaft, Seite 24 vor dem Referendum in Großbritannien diese Zielsetzung für sich dezidiert nicht tor Orbán in der Flüchtlingskrise: „Ich eigen, welcher der Europäischen Zen- sind die EZB und auch der Europäi- bei einem Besuch in Athen seine Hoff- in Anspruch nehmen wollen, was in Ord- kann mich nur wundern, wenn einige in tralbank weitgehend freie Hand gelas- sche Gerichtshof im OMT-Verfahren Erdogans Macht nung ausgedrückt, dass sich die Briten für nung ist. Man kann schließlich Mitglied Europa sagen, bei ihnen finde grundsätz- sen hatte. Aber die Verfassungsrichter auf die Karlsruher Argumentation ein- In der AKP gärt es, aber noch wird den Verbleib in der EU entscheiden wer- der EU sein, ohne in jeder Frage den An- lich niemand Zuflucht oder wenn, dann stellen auch weiterhin klar, dass Bun- gegangen. Die Bank hat sich zumin- den. „Ich hoffe, dass die Briten sich vom spruch einer immer engeren Union zu ver- nur, wenn er durch seinen Pass als Christ desregierung, Bundestag und Bundes- dest kräftig bemüht, das von ihr selbst dem türkischen Präsidenten in sei- Pragmatismus leiten lassen, denn das ist folgen.“ Juncker verteidigte seinen zurück- ausgewiesen ist. Mein Christentum ist das bank an die aus dem Grundgesetz fol- gezeichnete Bild einer um sich feuern- ner Partei niemand gefährlich. Und eine britische Tugend. Daher hoffe ich, haltenden Kurs in der Debatte über Groß- nicht.“ Zudem stellte er der Türkei die Auf- genden Vorgaben gebunden sind. Das den „Bazooka“ zu korrigieren. in der Opposition? Politik, Seite 6 dass ein Brexit nicht das Ergebnis des Re- britannien. „Zur Brexit-Debatte habe ich hebung der Visumpflicht in Aussicht. So- ferendums sein wird“, sagte Juncker in ei- mich nicht oder kaum geäußert, weil ich bald die Türkei alle 72 Bedingungen dafür heißt: Sollte die EZB (oder eine ande- Natürlich kann es der Europäische nem Gespräch mit dieser Zeitung. „Die den Eindruck hatte, es könne als Provoka- erfülle, „wird es keinen Grund geben, ih- re europäische Stelle) sich offensicht- Gerichtshof grundsätzlich nicht ak- Boom der Privatmuseen Briten brauchen die EU, und die EU tion empfunden werden, wenn sich die ren Bürgern die Visumfreiheit zu verwei- lich außerhalb der Europäischen Ver- In Deutschland schießen die braucht den britischen Pragmatismus.“ Er Kommission in den britischen Referen- gern. Falls jedoch Herr Erdogan ernsthaft träge bewegen, sollte die deutsche Ver- traf am Dienstag unter anderem Griechen- dumswahlkampf einmischt.“ Er sei versucht, das Abkommen (mit der EU) zu fassungsidentität gefährdet sein, dann Das Verfassungsgericht Häuser der Sammler fast schon lands Regierungschef Alexis Tsipras sowie „grundsätzlich kein großer Freund von Re- brechen, dann wird es seine Aufgabe sein, müssen die deutschen Organe dagegen nimmt sich zurück, wie Pilze aus dem Boden. Wie Staatspräsident Prokopis Pavlopoulos. ferenden“, da die Wähler dabei leicht den Türken zu erklären, weshalb sie nicht einschreiten. Was sie dann genau tun kommt es dazu? Feuilleton, Seite 9 Das Ziel einer „immer engeren Union durch „Nebenkriegsschauplätze“ in die in den Genuss von Reisefreiheit nach Eu- und wie sie eine Verletzung des Grund- pocht aber auf seinen der Völker Europas“ sei trotz des briti- Irre geführt werden könnten. ropa kommen.“ (Siehe Seiten 2 und 3.) gesetzes verhindern, bleibt weitge- Kontrollanspruch. Prinz von Wales hend ihnen überlassen. Allerdings hat- te der Zweite Senat in seiner histori- Der Nationalspieler Gareth Bale schen Vorlage an den EuGH das