LESEPROBE Den vollständigen Band fi nden Sie als digitales Live- book auf www.ccbuchner.de Auf einen Blick

Das waren Zeiten – Neue Ausgabe Bayern Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien

Band 4 für die Jahrgangsstufe 9 Das kurze 20. Jahrhundert ISBN 978-3-661-31064-0 ca. € 25,40 Erscheint im 3. Quartal 2021

Band 5 für die Jahrgangsstufe 10 ist in Vorbereitung und erscheint 2022!

Das waren Zeiten ist das Geschichtsbuch für den LehrplanPLUS. Es bietet die schülergemäße und fachlich solide Grundlage für einen abwechslungsreichen und kompetenzorientierten Geschichts- unterricht in den Jahrgängen 6 bis 10 an Gymnasien.

Eine ausführliche Konzeptionsbeschreibung fi nden Sie auf www.ccbuchner.de (Eingabe ins Suchfeld: 31064).

click & study 4 click & teach 4 Box Lehrerband 4 Digitales Schulbuch Digitales Lehrermaterial ISBN 978-3-661-31074-9 Bestellnummer WEB 310641 (Karte mit Freischaltcode) ca. 26,– ca. € 7,80 ISBN 978-3-661-31069-5 Erscheint im 4. Quartal 2021 oder ca. € 29,80 Einzeljahreslizenz für € 1,20 Erscheint im 3. Quartal 2021 (bei Einführung des gedruckten Lehrwerks) Erscheint im 3. Quartal 2021 (Erhältlich auf www.ccbuchner.de)

Ausführliche Informationen zum digitalen Schulbuch click & study und dem digitalen Lehrermaterial click & teach fi nden Sie auf den Seiten 94 bis 99. Für nachhaltiges Lernen!

Grundwissen Geschichte Gymnasium Bayern (LehrplanPLUS) ISBN 978-3-661-31511-9 ca. € 11,20 Erscheint im 4. Quartal 2021

Das Grundwissen Geschichte auf einen Blick: Zusammenfassung aller Lernbereiche mit ... den Grundlegenden Daten und Begriffen der Jgst. 6 bis 10 Verfassungsschemata und Grafi ken animierten Karten (QR-Codes) Daten Begriffe (ergänzt) Namen (erweitert) Arbeitsmethoden und -techniken Formulierungshilfen Internettipps

Das Grundwissen Geschichte ist lehrbuchunabhängig. Es ist eine solide Basis für Wiederholung, Vertiefung und Kompetenzerwerb bis in die Oberstufe.

Ein vorläufi ges Inhaltsverzeichnis und Musterseiten fi nden Sie auf www.ccbuchner.de (Eingabe ins Suchfeld: 31511). Das waren Zeiten – Bayern Unterrichtswerk für Geschichte an Gymnasien

Band 43 für die Jahrgangsstufe 9: Das kurze 20. Jahrhundert

Herausgegeben von Dieter Brückner und Josef Koller

Bearbeitet von Dieter Brückner, Judith Bruniecki, Bernhard Brunner, Klaus Dieter Hein-Mooren, Josef Koller und Michael Mayer mit einem Beitrag von Peter Adamski

Dieser Titel ist auch als digitale Ausgabe click & study unter www.ccbuchner.de erhältlich.

Die Mediencodes des Werkes enthalten zusätzliche Unterrichtsmaterialien, die der Verlag in eigener Verantwortung zur Verfügung stellt.

1. Auflage, 1. Druck 2021 Alle Drucke dieser Auflage sind, weil untereinander unverändert, nebeneinander benutzbar.

Dieses Werk folgt der reformierten Rechtschreibung und Zeichensetzung. Ausnahmen bilden Texte, bei denen künstlerische, philologische und lizenzrechtliche Gründe einer Änderung entgegenstehen.

An keiner Stelle im Schülerbuch dürfen Eintragungen vorgenommen werden.

© 2021 C.C. Buchner Verlag, Bamberg Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schrift- lichen Einwilligung des Verlags. Das gilt insbesondere auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen und Mikroverfilmungen. Hinweis zu § 52 a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

Redaktion: Klaus Dieter Hein-Mooren Korrektorat: Kerstin Schulbert Layout, Satz und Grafik: ARTBOX Grafik & Satz GmbH, Bremen Karten: ARTBOX Grafik & Satz GmbH, Bremen; Peter Palm, Umschlag: ARTBOX Grafik & Satz GmbH, Bremen (Motiv: siehe S. 112, M1) Druck und Bindung: Mohn Media Mohndruck GmbH, Gütersloh

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ISBN:ISBN der 978-3-661- genehmigten31064 Aufl-0 age: 978-3-661-31064-0

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 2 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 3 26.02.21 10:19 Inhaltsverzeichnis

Inhalt

Mit diesem Geschichtsbuch arbeiten und lernen . . . . . 6

1 Die Weimarer Republik – die erste deutsche Demokratie Orientierung in Raum und Zeit...... 10 Die Novemberrevolution – das Volk übernimmt die Macht ...... 12 Bayern – vom Königreich zum Freistaat ...... 16 „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus“...... 18 Extremisten bedrohen die junge Republik...... 20 Das Krisenjahr 1923...... 24 Parlament und Wahlen in den ersten Jahren der Republik ...... 28 Sozialer und gesellschaftlicher Wandel ...... 32 Treffpunkt Geschichte: Kunst und Kultur der 20er-Jahre...... 34* Deutschland und die Welt: die Außenpolitik...... 38 Folgen der Weltwirtschaftskrise ...... 40 Aufstieg und Durchbruch der NSDAP ...... 42 Die Feinde der Demokratie werden stärker...... 44 Das Ende der Republik ...... 46 Das weiß ich! – Gelerntes sichern ...... 50 Das kann ich! – Gelerntes anwenden ...... 52

2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Orientierung in Raum und Zeit...... 56 Die Demokratie wird abgeschafft ...... 58 Vom Volk zur „Volksgemeinschaft“ ...... 62 Ein „Wirtschaftswunder“? ...... 64 Überall Propaganda ...... 66 Alltag unterm Hakenkreuz ...... 70 Treffpunkt Geschichte: Bayern im Nationalsozialismus ...... 74 Frauen im Nationalsozialismus ...... 76* Die jüdische Bevölkerung wird gedemütigt und verfolgt...... 78 Gegen Schwache und Kranke ...... 82 Das Konzentrationslager Dachau ...... 84 Treffpunkt Geschichte: Erinnerung an die Opfer und Täter ...... 87

Alle mit * gekennzeichneten Kapitel sind nicht verbindlich. 3

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 2 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 3 26.02.21 10:19 Das nationalsozialistische Deutschland und die Welt ...... 88 Der Krieg beginnt ...... 90 Die Sowjetunion wird überfallen ...... 92 Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg...... 94 Die Ermordung der europäischen Juden ...... 96 Ausbeutung und Versklavung ...... 100* Widerstand gegen das NS-Regime ...... 102 Treffpunkt Geschichte: Bomben auf Deutschland ...... 106* Kriegsende in Europa und Asien...... 108 Erinnerung an den Nationalsozialismus ...... 112 Das weiß ich! – Gelerntes sichern ...... 114 Das kann ich! – Gelerntes anwenden...... 116

3 Rechte des Menschen – gestern und heute Orientierung in Raum und Zeit...... 120 Die europäische Ständegesellschaft der Neuzeit: Leben in Ungleichheit . . . . 122 Ein neuer Blick im „Zeitalter der Vernunft“...... 124 Die Grund- und Menschenrechte in Deutschland seit 1871 ...... 128 Die weltweite Bedeutung der Menschenrechte seit dem Zweiten Weltkrieg . 132 Das weiß ich – das kann ich! ...... 136

4 Deutschland und die Siegermächte 1945 – 1949 Orientierung in Raum und Zeit...... 140 Leben nach dem Krieg: das Beispiel Bayern ...... 142 Was soll aus Deutschland werden?...... 146 Gegen Kriegsverbrecher und Nationalsozialisten ...... 148 Flucht und Vertreibung ...... 150 Politischer Neuanfang: das Beispiel Bayern ...... 154 Die territoriale und politische Entwicklung Deutschlands ...... 156 Die Anti-Hitler-Koalition zerbricht...... 158 Die deutsche Teilung bahnt sich an ...... 160 Währungsreformen und Berlin-Blockade ...... 162 Aus vier Zonen werden zwei deutsche Staaten...... 164 War die deutsche Teilung unausweichlich?...... 168 Treffpunkt Geschichte: „Stunde Null“? – Kontinuität und Wandel nach 1945 170 Das weiß ich! – Gelerntes sichern ...... 172 Das kann ich! – Gelerntes anwenden...... 174

4 Alle mit * gekennzeichneten Kapitel sind nicht verbindlich.

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5 Weltpolitik im Kalten Krieg Orientierung in Raum und Zeit...... 178 Blockbildung und Kalter Krieg ...... 180 Folgen der Blockbildung in Deutschland...... 182 „Friedliche Koexistenz“ oder Vernichtung? ...... 186* Die Kuba-Krise...... 188 Heiße Kriege im Kalten Krieg – der Vietnam-Krieg ...... 190 Der Vietnam-Krieg und die Macht der Bilder ...... 192 Zeichen der Entspannung...... 194 Treffpunkt Geschichte: Unterdrückung und Opposition in Osteuropa ...... 196 Der Kalte Krieg kehrt wieder ...... 198 Umbruch in Osteuropa...... 200 Das Ende des Kalten Krieges ...... 202 Treffpunkt Geschichte: Was können Popsongs über Geschichte erzählen? . . 204* Folgen der Entkolonialisierung – der Kongo kommt nicht zur Ruhe ...... 206 Das weiß ich! – Gelerntes sichern ...... 208 Das kann ich! – Gelerntes anwenden...... 210

Anhang Grundlegende Daten und Begriffe für die 9. Jgst...... 212 Grundlegende Daten und Begriffe für die 6. bis 9. Jgst...... 216 Arbeitsmethoden für das Fach Geschichte ...... 225 Allgemeine Arbeitstechniken ...... 234 Formulierungshilfen ...... 238 Gewusst wie? Tipps und Anregungen für die Aufgaben...... 239

Sachregister ...... 244 Personenregister ...... 248

Zusätzliches Kartenmaterial

Der Zweite Weltkrieg in Europa 1939 bis 1942...... 250 Der Zweite Weltkrieg in Europa 1942 bis 1945...... 251 Die Ermordung der Juden in Europa...... 252 Deutsche Flüchtlinge und Vertriebene 1945 bis 1950...... 253 Die Auflösung der Kolonialreiche ...... 254 Die Welt von heute ...... Vorsatz hinten

Alle mit * gekennzeichneten Kapitel sind nicht verbindlich. 5

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 54 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 55 26.02.21 10:19 chülergruppen besuchen in Berlin Sregelmäßig das Holocaust-Mahn- mal in der Nähe des Brandenburger Tores. Mitten im Herzen der Haupt- stadt, in Sichtweite zum Deutschen Bundestag, erinnert die Bundesre- publik somit an die Ermordung der europäischen Juden durch die Nationalsozialisten. Damit stellt sich Deutschland dem dunkelsten Kapitel seiner Ver- gangenheit. Am 30. Januar 1933 begann dieses dunkle Kapitel, als zum Reichskanz- ler ernannt wurde. Am Abend dieses Tages mar- schierten seine Anhänger mit Fackeln durch das Bran- denburger Tor, um allen zu zeigen, dass sie nun die Macht in Deutschland inne- hatten. Es war der Beginn von zwölf Jahren Terror und Gewalt. Lange Zeit hatten die Deut- schen nicht den Mut, die Ver- brechen des Nationalsozialis- mus öffentlich zu verdammen. Sie versuchten zu rechtfertigen, kleinzureden, umzudeuten. Doch inzwischen wissen die meisten Deutschen, wie wichtig es ist, jeden Tag für die Demokratie einzutreten. Denn die Schrecken des Nationalsozia- lismus sollen sich nie mehr wiederholen. Michael Mayer

1 Nennt Gründe dafür, warum die Erinnerung an das „dunkelste Kapitel“ der deutschen Geschichte wichtig ist. 2 Diskutiert, inwiefern das Holocaust-Mahnmal (M1) in Berlin dafür geeignet ist.

1 Das Holocaust-Mahnmal für die ermordeten Juden in Europa in Berlin Mitte Foto von Andreas Muhs vom 11. Juni 2012

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25 pa ermordet. Die jüdischen Menschen tötete man systematisch. Viele wurden erschossen, andere in Konzentrations- oder Vernichtungslager de- portiert und ermordet. Dies bezeichnet man als Holocaust bzw. Shoa. Das Holocaust-Mahnmal in 30 der Nähe des Brandenburger Tors und des Reichs- tages erinnert heute daran. Die „Volksgemeinschaft“ beteiligte sich an den Verbrechen oder nahm sie hin. Sie war Teil des men- schenverachtenden Terrorregimes der Nationalsozia- 35 listen geworden. Widerstand gegen das NS-Regime wurde hingegen unterdrückt oder scheiterte wie das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944. Schließlich wurde Deutschland von den Alliierten besetzt und musste am 8. / 9. Mai 1945 bedin- 40 gungslos kapitulieren. Mühsam bauten die Deut- schen in der Folgezeit unter Aufsicht der Alliierten 1 Am Abend des 30. Januar 1933 in Berlin Nachgestellte Szene für einen im Sommer 1933 produzierten NS-Film erneut eine Demokratie auf. Und sie lernten, wie wichtig es ist, jeden Tag für den Erhalt der Demo- Ein menschenverachtendes Terrorregime kratie zu kämpfen. Die Weimarer Republik* hatte den Deutschen zwi- 45 Michael Mayer schen 1918 und 1933 erstmals umfassende Rechte und Freiheiten beschert. Viele Menschen hatten Das folgende Großkapitel setzt sich mit dem natio- aber nicht verstanden, welchen Wert die parla- nalsozialistischen Terrorregime und dessen men- 5 mentarische Demokratie* besitzt. Sie unterstütz- schenverachtendem Charakter auseinander und ten, tolerierten oder ignorierten die extremistische geht auf folgende zentrale Fragen ein: Ideologie des Nationalsozialismus und widersetz- • Mit welchen undemokratischen Maßnahmen ten sich deshalb nicht dem Aufstieg der National- wurde die NS-Herrschaft errichtet und stabili- sozialisten, denen am 30. Januar 1933* vom siert? Themenübergreifen- 10 Reichspräsidenten die Macht übertragen wurde. • Welcher Zusammenhang bestand zwischen der de Internettipps: * Das Online-Portal LeMO Kurz darauf war die Weimarer Reichsverfassung* Ideologie des Nationalsozialismus und dem (Lebendiges Museum faktisch außer Kraft gesetzt. politischen Handeln? Online) sowie das „Zeit- Ihre Gegner verfolgten die Nationalsozialisten • Welche Möglichkeiten der Manipulation nutzte zeugenportal“ und das massiv. Die jüdische Bevölkerung verdrängten sie die NS-Propaganda? Portal „Zeitzeugen be- 15 innerhalb weniger Jahre aus der Gesellschaft. Am • Wie lässt sich die nationalsozialistische Expan- richten“ enthalten zu sions- und Eroberungspolitik erklären, und vielen Themen des fol- 9. November 1938 zerstörten sie ihre Synagogen, genden Großkapitels Geschäfte und Wohnungen. Tausende jüdische welche Auswirkungen hatte sie auf die Zivilbe- Beiträge mit Foto-, Bürger wurden in Konzentrationslager verschleppt. völkerung? Audio- und Filmdoku- Viele jüdische Familien flohen daraufhin in das • Was führte zur Entrechtung, Verfolgung und menten sowie Zeitzeu- 20 Ausland. Ermordung der europäischen Juden sowie wei- geninterviews, siehe Von Anfang an rüstete die NS-Führung und die terer Bevölkerungsgruppen, und wozu führte Code 31064 -13. Wehrmacht für den Krieg. Seit 1939 überfielen sie? deutsche Soldaten viele Staaten in Europa. Unzäh- • Welche Möglichkeiten und Grenzen des Wider- lige Menschen wurden vor allem in Mittelosteuro- standes gegen das NS-Regime gab es?

1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus

1930 1935 30. Januar 1933: Ernennung 9. November 1938: 56 Adolf Hitlers zum Reichskanzler Novemberpogrome

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2 „Ich erinnere mich ...“ Fritz Stern wird 1926 in Breslau (heute Wrocław in Polen) ge- boren und verlässt 1938 mit seinen jüdischen Eltern Deutschland. Er wird Historiker in den USA. An den 30. Januar 1933 erinnert er sich so: Ich erinnere mich an den Tag der Machter- greifung, wie die Partei 5 die Regierungsüber- nahme sofort theatra- lisch bezeichnete. Ich war nicht ganz sieben Jahre alt an diesem Tag, 10 aber ein politisch be- wusster Vater und die Tatsache, dass meine Heimatstadt Breslau eine Hochburg der Na- 15 tionalsozialisten war (im Juli 1932 hatte die NSDAP dort 46 Prozent 3 Das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 der Stimmen erzielt), hatten mir früh das Gefühl einer äußeren Gefahr vermittelt. Ich erinnere 20 mich gut an die Zeit der Angst und Ungewissheit, Lesetipp: symbolisiert durch die täglichen Märsche der SA- Anja Tuckermann, Ein Volk, ein Reich, ein Trümmerhaufen. Leute1 mit ihren Gummiknüppeln, ihren Trom- Alltag, Widerstand und Verfolgung – Jugendliche im Nati- onalsozialismus, Würzburg 2019 meln und Fahnen, immer bereit zu Zusammen- stößen mit dem politischen Gegner, insbesondere 25 den Kommunisten. Ich erinnere mich, wie ich meinen Eltern das einseitig bedruckte Extrablatt brachte, dass Hitler zum Reichskanzler ernannt worden sei. Ich wusste, dass es eine schreckliche Nachricht war. 1 Beschreibe die Szene vom Abend der „Machtergreifung“ (M1) und Fritz Stern, Der 30. Januar 1933, in: Thomas Karlauf (Hrsg.), nenne mögliche Gründe, warum die Nationalsozialisten sie für einen Der historische Moment. Ein deutsches Lesebuch, Berlin 1991, Film nachstellen ließen. S. 220 f. 2 Vergleiche die Aussage der Szene (M1) mit dem Zeitzeugenbericht 1 SA-Leute: uniformierte und bewaffnete Mitglieder der (M2). Sturmabteilung der NSDAP 3 Untersucht mithilfe der Karten „Deutschland nach dem Vertrag von Versailles 1920“ (siehe S. 11, M2) und „Das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31. Dezember 1937“ (M3) die Veränderungen. H

1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 1945 1950 20. Juli 1944: 8. / 9. Mai 1945: Bedingungslose Attentat auf Hitler Kapitulation Deutschlands 57

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INFO 1 Hitler an der Macht Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg den Vorsitzenden der NSDAP, Adolf Hitler, zum Reichskanzler einer konservati- ven Koalitionsregierung. Für viele Menschen war 5 dies nur ein weiteres Präsidialkabinett, das bald schon wieder verschwinden würde. Doch Hitler war machthungrig und hatte viele tatendurstige Anhänger. Am 22. Februar 1933 wurden mehr als 50 000 SA- und SS-Männer1 in Preußen zu Hilfspo- 10 lizisten ernannt. Damit hatten die brutalen Stra- ßenkämpfer der NSDAP freie Hand. Sie nahmen wahllos ihre politischen Gegner fest. In der Nacht des 27. Februar 1933 brannte es im Reichstag in Berlin. Die NSDAP behauptete, es ha- 1 Hilflos ausgeliefert Foto von Georg Pahl vom 6. März 1933 15 be einen kommunistischen Aufstandsversuch ge- Ein SA-Mann bewacht Häftlinge in dem frühen Konzentrationslager in der Berliner geben. Schon am nächsten Tag wurde die „Reichs- Friedrichstraße 234. Hier wurden am 6. März über 100 Personen festgehalten, ver- tagsbrandverordnung“ erlassen. Auf ihrer Grund- hört und misshandelt. Zusammen mit der Polizei nahm die Sturmabteilung (SA) lage konnte jeder ohne Angabe von Gründen für der NSDAP, die man zu Hilfspolizisten ernannt hatte, vor allem politische Gegner, unbestimmte Zeit in sogenannte „Schutzhaft“2 ge- aber auch Juden, Ausländer und andere ihnen missliebige Personen in „Schutzhaft“ (siehe hier INFO 1, Anm. 2). 20 nommen und in vorläufige Konzentrationslager interniert werden. Grundrechte wie die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit galten nicht Quellentipp: 2 „Menschenquälerei“ mehr. Ab sofort herrschte Willkür. Den Text der „Reichs- Der damalige Leiter der Politischen Polizei in Insbesondere Kommunisten und Sozialdemokraten tagsbrandverordnung“ Preußen, Rudolf Diels, berichtet 1949, was er und 25 wurden von der SA festgehalten und brutal miss- („Verordnung des handelt: allein in Preußen 100 000 Personen. Viele Reichspräsidenten zum seine Polizeibeamten im Frühjahr 1933 in einem Schutz von Volk und „Privatgefängnis“ der Sturmabteilung (SA) sahen: Menschen aus bürgerlich-konservativen Kreisen Staat“) vom 28. Februar Die Opfer, die wir vorfanden, waren dem Hunger- hielten die Maßnahmen für gerechtfertigt, da sie 1933, siehe hier S. 130. tod nahe. Sie waren tagelang stehend in enge sich vor allem gegen Kommunisten richteten. Schränke gesperrt worden, um ihnen „Geständ- 30 Michael Mayer nisse“ zu erpressen. Die „Vernehmungen“ hatten

5 mit Prügeln begonnen und geendet. Dabei hatte 1 SA: Sturmabteilung; siehe S. 44; SS: Schutzstaffel: Die ein Dutzend Kerle in Abständen von Stunden mit 1925 von Hitler gegründete „Leibgarde“ unterstand bis Eisenstäben, Gummiknüppeln und Peitschen auf 1934 der SA. Nach der Beseitigung der SA-Führung die Opfer eingedroschen. Eingeschlagene Zähne („Röhm-Putsch“) übernahm die SS 1934 die Kontrolle und gebrochene Knochen legten von den Tortu- über das Polizeiwesen und stellte militärische Formatio- nen (Waffen-SS). Die SS war während des Nationalsozia- 10 ren Zeugnis ab. Als wir eintraten, lagen diese le- lismus für die Konzentrations- und Vernichtungslager benden Skelette reihenweise mit eiternden Wun- verantwortlich. uGeschichte In Clips: den auf dem faulenden Stroh. Es gab keinen, des- 2 „Schutzhaft“: Polizei und SA konnten ohne richterli- Der Nationalsozialismus sen Körper nicht vom Kopf bis zu den Füßen die ches Urteil Personen auf unbestimmte Zeit in „Schutz- 1933 / 34, siehe Code blauen, gelben und grünen Male der unmensch- haft“ nehmen. Kommunisten, Sozialdemokraten und 31064 -14. Juden wurden zur „Verwahrung und Erziehung“ in Sam- 15 lichen Prügel an sich trug. mellager gebracht, von denen es bis Ende 1933 über Zitiert nach: Rudolf Diels, Lucifer ante portas. Zwischen 160 gab. Dazu zählte auch das im März 1933 errichtete Severing und Heydrich, Zürich 1949, S. 188 Konzentrationslager Dachau (siehe S. 84 ff.).

58 „Ermächtigungsgesetz“ Konzentrationslager

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3 Das Ergebnis der unfreien Reichstags- 4 Hitler zum „Ermächtigungsgesetz“ wahl vom 5. März 1933 In Hitlers Regierungserklärung vom 23. März 1933 heißt es: Angaben in Prozent Es würde dem Sinn der nationalen Erhebung widersprechen […], wollte (in Klammern die Ergebnisse der letzten freien Reichstags- die Regierung sich für ihre Maßnahmen von Fall zu Fall die Genehmigung wahlen vom 6. November 1932) des Reichstages erhandeln und erbitten. […] Die Regierung beabsichtigt NSDAP 43,9 (33,1) dabei, von diesem Gesetz nur insoweit Gebrauch zu machen, als es zur DNVP 8,0 (8,3) 5 Durchführung der lebensnotwendigen Maßnahmen erforderlich ist. […] DVP 1,1 (1,9) Sie [die Regierung] bietet den Parteien des Reichstages die Möglichkeit BVP 2,7 (3,1) einer ruhigen deutschen Entwicklung und einer sich daraus in der Zu- Zentrum 11,2 (11,9) kunft anbahnenden Verständigung; sie ist aber ebenso entschlossen und Deutsche Staatspartei 0,9 (1,0) bereit, die Bekundung der Ablehnung und damit die Ansage des Wider- SPD 18,3 (20,4) 10 standes entgegenzunehmen. (Lebhafter Beifall bei den Nationalsozialis- KPD 12,3 (16,9) ten.) Nach: Ursula Büttner, Weimar. Die überforderte Republik Mögen Sie, meine Herren, nunmehr selbst die Entscheidung treffen über 1918 - 1933, Stuttgart 2008, S. 803 Frieden oder Krieg. (Stürmischer Beifall und Händeklatschen bei den Nati- onalsozialisten. – Beifall bei den Deutschnationalen. – Heil-Rufe bei den 15 Nationalsozialisten.) INFO 2 Ohne absolute Mehrheit Zitiert nach: www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w8_bsb00000141_00033.html die ganze Macht (Zugriff: 16. 04. 2020) Hitler benötigte die absolute Mehrheit im Reichs- tag, um sich vom Parlament* umfassende Macht- befugnisse übertragen zu lassen. Deshalb setzte er für den 5. März 1933 Reichstagswahlen an, die 5 von Terror und Propaganda begleitet waren. Der NSDAP half dies nur teilweise. Sie war auch weiter- hin auf ihren Koalitionspartner von der Deutsch- nationalen Volkspartei (DNVP) angewiesen. Die de- mokratischen Parteien SPD und Zentrum kamen 10 beinahe auf den gleichen Stimmenanteil wie 1932. Damit stand immer noch ein Drittel der Wähler hinter der Demokratie*. Am 23. März 1933 verabschiedete der neu ge- wählte Reichstag auf massiven Druck der NSDAP 15 das sogenannte „Ermächtigungsgesetz“. Nur die SPD-Abgeordneten hatten den Mut, gegen das Gesetz zu stimmen. Die 81 Parlamentarier der KPD hatten an der Abstimmung schon nicht mehr teil- nehmen können, da man sie entweder inhaftiert 20 hatte oder sie auf der Flucht waren. Die von Hitler geführte Regierung hatte damit eine 5 Reichstagssitzung der Grundlagen jeder Demokratie* beseitigt: die Foto aus der Berliner Kroll-Oper vom 23. März 1933 Gewaltenteilung*. Seitdem durfte sie Gesetze oh- Nach dem Brand des Reichstagsgebäudes tagten die Abgeordneten in der Berliner ne Zustimmung des Parlaments beschließen. Darü- Kroll-Oper. Der SPD-Abgeordnete Wilhelm Hoegner aus München hat in seinen Erinnerungen die Atmosphäre beschrieben, in der das „Ermächtigungsgesetz“ ver- 25 ber hinaus konnten neue Gesetze von der Weima- abschiedet wurde. Wilde Sprechchöre hatten die Abgeordneten mit den Rufen rer Reichsverfassung* abweichen. Sie wurde prak- empfangen: „Wir wollen das Ermächtigungsgesetz, sonst gibt es Feuer!“ Und im tisch wirkungslos. Tagungsraum schüchterten zahllose SA- und SS-Leute die Abgeordneten allein Michael Mayer durch ihre Anwesenheit ein.

30.1.1933: Hitler wird Reichskanzler einer Koalitionsregierung 28. 2.1933: „Reichstagsbrandverordnung“: Grundrechte werden außer Kraft gesetzt 23. 3.1933: Der Reichstag entmachtet sich selbt („Ermächtigungsgesetz“) 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 59 1930 1935 1940 1945

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6 Die Antwort der SPD 7 „Ermächtigungsgesetz“ Der SPD-Vorsitzende und Reichstagsabgeordnete Am 24. März 1933 bringt Hitler das „Gesetz zur Otto Wels entgegnet Hitler am 23. März 1923: Behebung der Not von Volk und Reich“ im Reichs- Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die tag ein: Ehre nicht. (Lebhafter Beifall bei den Sozialdemo- Artikel 1: Reichsgesetze können außer in dem in kraten.) […] Nach den Verfolgungen, die die Sozi- der Reichsverfassung vorgesehenen Verfahren aldemokratische Partei in der letzten Zeit erfah- auch durch die Reichsregierung beschlossen wer- 5 ren hat, wird billigerweise niemand von ihr ver- den. […] langen oder erwarten können, dass sie für das 5 Artikel 2: Die von der Reichsregierung beschlos- hier eingebrachte Ermächtigungsgesetz stimmt. senen Reichsgesetze können von der Reichsver- Die Wahlen vom 5. März haben den Regierungs- fassung abweichen, soweit sie nicht die Einrich- parteien die Mehrheit gebracht und damit die tung des Reichstages und des Reichsrates als sol- 10 Möglichkeit gegeben, streng nach Sinn und Wort- che zum Gegenstand haben. Die Rechte des laut der Verfassung zu regieren. […] 10 Reichspräsidenten bleiben unberührt. Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag Artikel 3: Die von der Reichsregierung beschlos- gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegen- senen Reichsgesetze werden vom Reichskanzler heiten durch die gewählten Vertreter des Volkes ausgefertigt und im Reichsgesetzblatt verkündet. 15 in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es Sie treten, soweit sie nichts anderes bestimmen, jetzt geschieht (Sehr wahr! bei den Sozialdemokra- 15 mit dem auf die Verkündung folgenden Tage in ten) und wie es durch das neue Ermächtigungs- Kraft. […] gesetz noch mehr geschehen soll. Eine solche All- Artikel 5: Dieses Gesetz tritt mit dem Tage seiner macht der Regierung muss sich umso schwerer Verkündung in Kraft. Es tritt mit dem 1. April 1937 20 auswirken, als auch die Presse jeder Bewegungs- außer Kraft, es tritt ferner außer Kraft, wenn die freiheit entbehrt. […] Wollten die Herren von der 20 gegenwärtige Reichsregierung durch eine andere Nationalsozialistischen Partei sozialistische Ta- abgelöst wird. ten verrichten, sie brauchten kein Ermächti- Zitiert nach: www.1000dokumente.de/index.html? gungsgesetz. (Sehr wahr! bei den Sozialdemokra- c=dokument_de&dokument=0006_erm&object= translation&st=&l=de (Zugriff: 16. 04. 2020) 25 ten.) Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Ge- 8 Kann man mit Hitler zusammen- rechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus. arbeiten? (Lebhafte Zustimmung bei den Sozialdemokraten.) Der Zentrumspolitiker Karl Bachem überlegt am 30 Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, 25. März 1933, ob es richtig gewesen ist, dem Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu ver- „Ermächtigungsgesetz“ zuzustimmen: nichten. […] Hätte das Zentrum dagegen gestimmt, so wäre es Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir wohl, bei der herrschenden Stimmung der Natio- grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaf- nalsozialisten, sofort zerschlagen worden [...]. Al- 35 tigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr le Beamten, welche sich zum Zentrum bekennen, Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht 5 wären wohl sofort beseitigt worden. Im Reichstag ( Lachen bei den Nationalsozialisten – Bravo! bei hätte es einen großen Tumult gegeben und die den Sozialdemokraten) verbürgen eine hellere Zu- Zentrumsleute wären vielleicht sofort verprügelt kunft. (Wiederholter lebhafter Beifall bei den Sozial- und hinausgeschmissen worden. Dann hätte die 40 demokraten. – Lachen bei den Nationalsozialisten.) Fraktion einen heroischen Abgang gehabt, aber Zitiert nach: www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w8_ 10 ohne dass der katholischen Sache oder der Sache bsb00000141_00033.html (Zugriff: 16. 04. 2020) der Zentrumspartei etwas genützt worden wäre. Dann wäre das Tischtuch zwischen Zentrum und Nationalsozialismus völlig entzweigeschnitten →

60 „Gleichschaltung“

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 60 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 61 26.02.21 10:19 Die Demokratie wird abgeschafft

gewesen, jede Mitarbeit mit den Nationalsozialis- 15 ten und jede Möglichkeit einer Einflussnahme auf ihre Politik von vornherein unmöglich geworden. Es war also vielleicht richtiger, den Versuch zu machen, zu einer Verständigung und Mitarbeit mit den Nationalsozialisten zu kommen, um so 20 an der praktischen Mitarbeit an der Neugestal- tung der Zukunft teilnehmen zu können. Am 28. April 1933 berichtet Bachem von der Hal- tung des ehemaligen Reichskanzlers Heinrich Brüning (Zentrum) in dieser Frage: Brüning habe bis zum letzten Augenblicke das Äußerste versucht, um die Zustimmung des Zen- trums zum Ermächtigungsgesetz zu verhindern: 25 Lieber mit Ehren jetzt untergehen, als die Hand 9 „To the Dark Ages“ bieten zu derjenigen Politik, welche dann ge- Karikatur aus der „New York Times“ vom 2. April 1933 macht werden würde und auch dem Zentrum keinerlei Lebensluft mehr gestatten würde. Lieber 20 Ziel dieser „Gleichschaltung“ war die Errichtung mutig ertragen, was kommt, wenn das Zentrum eines Einparteienstaates, in dem die NSDAP und 30 dem Ermächtigungsgesetz seine Zustimmung ihre Organisationen das gesamte Leben kontrollie- verweigert, als die Zukunft der Partei verschüt- ren und beeinflussen konnten. Viele Deutsche be- ten, indem man für den Augenblick sie noch ein- fürworteten den Abbau der Demokratie, sie ahn- mal rettet. 25 ten aber nicht, wie sehr die Nationalsozialisten ihr Zitiert nach: Erich Matthias und Rudolf Morsey (Hrsg.), Das Denken und Handeln bestimmen wollten. Ende der Parteien 1933, Düsseldorf 1960, S. 431 und 435 Am 2. August 1934 starb Reichspräsident Paul von Hindenburg. Er wäre der einzige gewesen, der Hit- INFO 3 Deutschland wird zum „Führerstaat“ ler noch hätte aufhalten können. Hindenburg aber Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933 setz- 30 vertraute, wie sein Testament belegt, Hitler und ten die Nationalsozialisten die Regierungen der seiner Bewegung. Nach seinem Tod riss Hitler auch Länder ab – so auch in Bayern, wo seit dem 9. dieses Amt an sich. Als „Führer und Reichskanzler“ März ein Reichskommissar aus Berlin regierte. Zu- besaß er nun beinahe vollkommene Macht. 5 gleich wurde Heinrich Himmler, dem die SS unter- Deutschland war damit endgültig zum „Führer- stand, zum Polizeikommissar von München er- 35 staat“ geworden. nannt. Bald darauf wurden auch die Landtage ab- Michael Mayer geschafft. Deutschland war damit von einem Föderal- zu einem Zentralstaat geworden. Wie wird aus der Republik eine Diktatur? 10 Am 7. April 1933 trat der parteilose Vizekanzler 1 Fasst in Partnerarbeit die Mittel zusammen, mit denen die National- zurück. Sein Amt übernahm Hit- sozialisten die Demokratie beseitigten (M1 bis M4, INFO 1 und 2). ler. Der Koalitionspartner der NSDAP in der Regie- 2 Erkläre die Ziele, die Hitler mit dem „Ermächtigungsgesetz“ verfolgt rung war so weitgehend kaltgestellt. Im Frühjahr (INF0 2 und M5). 1933 wurden die KPD und im Juni SPD verboten. 3 Erläutere, warum Wels das „Ermächtigungsgesetz“ ablehnte (M6 und 15 Die übrigen politischen Parteien lösten sich danach M7). selbst auf. Am 14. Juli 1933 verkündete die Regie- 4 Diskutiert über die Gefahren einer Zusammenarbeit mit rechtsextre- rung per Gesetz: „In Deutschland besteht als einzi- men Parteien wie der NSDAP. Berücksichtigt dabei M8. ge politische Partei die Nationalsozialistische Deut- 5 Deutschland wird nach dem Tod Hindenburgs zum „Führerstaat“ sche Arbeiterpartei.“ (INFO 3). Erläutere die Aussage. 6 Analysiere und interpretiere die Karikatur M9. H

28. 2.1933: „Reichstagsbrandverordnung“: 23. 3.1933: Der Reichstag entmachtet sich selbt („Ermächtigungsgesetz“) Grundrechte werden außer Kraft gesetzt 2. 8.1934: Hindenburg stirbt; Hitler ist Staatsoberhaupt, Regierungschef, Oberbefehlshaber 30.1.1933: Hitler wird Reichskanzler einer Koalitionsregierung der Streitkräfte und Parteiführer der NSDAP 14. 7.1933: NSDAP wird einzige politische Partei; Deutschland ist ein Einparteienstaat 61 1930 1935 1940

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Doch weder Hitler noch die führenden 1 „NSV: Volks- gesundheit – Volks- Nationalsozialisten entsprachen die- gemeinschaft – sem Ideal. Kinderschutz …“ 20 Der Rassismus der Nationalsozialisten Plakat der National- richtete sich vor allem gegen die Ju- sozialistischen Volks- den. Der Antisemitismus, die Feind- wohlfahrt (NSV) von 1934, Entwurf: Ludwig schaft und der Hass gegenüber Juden, Hohlwein war fester Bestandteil des National- Die als Verein 1932 ge- 25 sozialismus. gründete NSV dehnte Michael Mayer nach 1933 ihre Zustän- digkeit auf nahezu alle INFO 2 freien, staatlichen und Die Lüge von der kirchlichen Bereiche „Volksgemeinschaft“ der Gesundheits- und Konflikte sind Teil des menschlichen Wohlfahrtspflege aus. Lebens, und die Unterschiede zwi- Sie leistete damit einen schen den Menschen sind es, die eine wichtigen Beitrag zur Gesellschaft lebendig machen. Die Selbstdarstellung des NS-Regimes. 1943 ge- 5 NSDAP hingegen gaukelte den Deut- hörten ihr 17 Millionen schen vor, eine „Volksgemein- Mitglieder an. schaft“ zu sein, bei der es keine Un- terschiede zwischen den Menschen und keine sozialen Konflikte mehr 10 gäbe. Jeder sollte sich an seinem „na- türlichen“ Platz in der Gesellschaft für die Allgemeinheit einsetzen können. Dieses Ideal war für viele Menschen verlockend – und die nationalsozialis- 15 tischen Massenorganisationen und INFO 1 Rassismus und Antisemitismus -feste prägten und inszenierten es.1 Hitler und die Führungsriege der NSDAP waren Die Wirklichkeit sah aber anders aus. Juden und Rassisten. Sie behaupteten, dass sich „Rassen“ andere „rassisch Minderwertige“ wurden als und Völker pausenlos bekämpfen. Nur die Stärks- „Volksfremde“ aus der „Volksgemeinschaft“ aus- ten würden dabei überleben. Zudem gebe es 20 geschlossen, diskriminiert und verfolgt. Auch die 5 hochwertige und minderwertige „Rassen“. Hitler „Arier“ mussten sich ihre Zugehörigkeit zur stützte sich dabei auf die Evolutionsbiologie von „Volksgemeinschaft“ durch eine richtige Haltung Charles Darwin, der vom „Überleben der Stärks- verdienen. Wer mitmachte oder den Mund hielt, ten“ („Survival of the fittest“) im Tierreich gespro- konnte in der Partei Karriere machen, hatte Vortei- chen hatte. Darwin meinte damit aber nicht, dass 25 le im Beruf oder wurde zumindest in Ruhe gelas- 10 die „besten“ Tiere überlebten, sondern nur jene, sen. Wer aber die Ziele der NSDAP und ihres „Füh- uGeschichte In Clips: die sich am geschicktesten an die Umweltbedin- rers“ öffentlich ablehnte oder kritisierte, war der „Volksgemeinschaft“ gungen angepasst hätten. Willkür der SA und SS ausgeliefert, konnte seinen und Führerkult siehe Hitler forderte, „rassisch wertvolle“ Menschen zu Beruf verlieren, verhaftet und eingesperrt werden. Code 31064 -15. fördern. Diese bezeichneten Rassisten als „Arier“. Michael Mayer 15 Großgewachsene, blonde und blauäugige Men- schen wurden als besonders „arisch“ angesehen. 1 Siehe S. 66 f. und 72 f.

62 Antisemitismus Nationalsozialismus „Volksgemeinschaft“

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2 Der „Führer“ auf dem Weg zur Rednerkanzel Foto vom „Reichs- erntedankfest“ auf dem Bückeberg bei Hameln vom 30. September 1934 Seit 1933 inszenierte das Propagandami- nisterium diese Feste. 1934 sollen nach An- gaben des Ministeri- ums 700 000 und 1937 sogar 1,2 Millio- nen Besucher aus dem gesamten Reich daran teilgenommen haben.

3 Hitlers Idee der „Volksgemeinschaft“ Einsicht zu bringen, dass in der Zucht des Einzel- Auf dem ersten „Reichserntedankfest“ auf dem 20 nen nicht nur der Segen für die Gesamtheit, son- Bückeberg vom 1. Oktober 1933 erklärt Adolf dern am Ende auch wieder für die Einzelnen Hitler vor angeblich rund 500 000 Teilnehmern: selbst liegt. Deutsche Volksgenossen und -genossinnen! […] Zitiert nach: Max Domarus, Hitler. Reden und Proklamationen Der Nationalsozialismus hat weder im Individu- 1932 - 1945. Kommentiert von einem Zeitgenossen, Würzburg 1962, S. 304 um noch in der Menschheit den Ausgangspunkt seiner Betrachtungen, seiner Stellungnahmen 5 und Entschlüsse. Er rückt bewusst in den Mittel- punkt seines ganzen Denkens das Volk. Dieses Volk ist für ihn eine blutmäßig bedingte Erschei- nung, in der er einen von Gott gewollten Baustein Was kennzeichnet die nationalsozialistische „Volksgemeinschaft“? der menschlichen Gesellschaft sieht. 1 Skizziere den Begriff der „Volksgemeinschaft“ (INFO 1 und 2). 10 Das einzelne Individuum ist vergänglich, das Volk 2 Analysiere das Plakat (M1). Erkläre, inwiefern es eine „Lüge“ illustriert aber bleibend. Wenn die liberale Weltanschauung (INFO 1 und 2). H in ihrer Vergottung des Einzelindividuums zur 3 Die „Reichserntedankfeste“ inszenierten die „Volksgemeinschaft“ Vernichtung des Volkes führen müsste, dann will (M2). Erkläre die Aussage. der Nationalsozialismus das Volk als solches er- 4 Untersuche den Redeauszug (M3). Was macht ihn zu einem Beleg für 15 halten, wenn nötig auch zulasten des Einzelnen. die Ideologie der „Volksgemeinschaft“? Es ist eine gewaltige Erziehungsarbeit notwendig, 5 Nimm Stellung zu folgender These: Die Errichtung des „Führerstaates“ um diese auf den ersten Anschein hin harte Lehre (siehe S. 61) und die Errichtung der „Volksgemeinschaft“ waren „zwei den Menschen erkenntlich zu machen, um sie zur Seiten derselben Medaille“.

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INFO 2 Aufrüstung und Staats- 1 Baubeginn der Reichsautobahn Mün- verschuldung chen-Salzburg Zum Abbau der Arbeitslosigkeit trug die Auf- Foto vom 21. März 1934 rüstung bei. Hitler erklärte bereits am 8. Febru- Der Spatenstich für ar 1933 die „Wiederwehrhaftmachung des diese Strecke erfolgte deutschen Volkes“ zu seinem wichtigsten Ziel.1 durch Adolf Hitler. Bis Ende des Jahres arbeite- 5 Deshalb wurden alle Bereiche der Wirtschaft, ten rund 11 750 Mann die kriegsnotwendige Güter herstellten, ausge- auf der Baustelle. baut. Gleichzeitig wurden die Einfuhren von Rohstoffen und Industriegütern eingeschränkt und eine hohe Selbstversorgung angestrebt. 10 Die Herstellung von Konsumgütern (z. B. Bü- geleisen) wurde dagegen nicht gefördert. Um die ungeheuren Kosten für die Rüstung aufbringen zu können, machte die Regierung uGeschichte In Clips: Wirtschafts- und Sozial- hohe Schulden. Dazu plünderten die National- politik siehe Code 15 sozialisten die Rücklagen der Renten- und 31064 -16. Krankenkassen. Die Politik der NSDAP ruinierte also die deutsche Wirtschaft und Bevölkerung. Hitler setzte daher auf einen raschen Krieg und wollte andere Länder ausbeuten, um Deutsch- INFO 1 Die Arbeitslosigkeit sinkt 20 land zu sanieren. Seit dem Frühjahr 1933 sanken die Arbeitslosen- Michael Mayer zahlen in Deutschland. Der Aufschwung war je- 2 Arbeitslose doch nicht in erster Linie das Verdienst der Natio- 3 Ziele der Wirtschaftspolitik 1932 -1939 nalsozialisten. Bereits seit Herbst 1932 erholte sich Hitler stellt im August 1936 in einer geheimen Angaben in Mio. 5 die Wirtschaft in Deutschland. Zudem setzte die Denkschrift die Aufgaben des Vierjahresplans 1932 5,58 neue Regierung ab Frühjahr 1933 zuerst nur die vor: 1933 4,80 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen in die Tat um, die Kurz zusammengefasst: Ich halte es für notwen- 1934 2,72 seit Mai 1932 beschlossen worden waren. All diese dig, dass nunmehr mit eiserner Entschlossenheit 1935 2,15 Programme benötigten einige Monate, um Wir- auf all den Gebieten eine 100%ige Selbstversor- 1936 1,59 10 kung zu zeigen. Ein großer Teil dieser Gelder floss gung eintritt, auf denen diese möglich ist und 1937 0,91 dabei sogar in wenig sinnvolle Projekte. 5 dass dadurch nicht nur die nationale Versorgung 1938 0,43 Ähnlich war es beim Bau der Autobahnen. Diese mit diesen wichtigsten Rohstoffen vom Ausland 1939 0,12 wurden zwar bereits in der Weimarer Republik* ge- unabhängig wird, sondern dass dadurch auch je- plant, aber erst nach 1933 mit großem propagan- ne Devisen eingespart werden, die wir im Frieden Nach: www.dhm.de/ lemo/bestand/objekt/ 15 distischen Aufwand gebaut. Dabei wurden letztlich für die Einfuhr unserer Nahrungsmittel benöti- arbeitslose-in-deutsch aber nur wenige Menschen beschäftigt. Darüber 10 gen. […] land-1933-1939.html hinaus waren die Arbeitsbedingungen sehr Ich stelle damit folgende Aufgabe: (erweitert; Zugriff: schlecht, und es passierten viele Arbeitsunfälle. 16. 04. 2020) 1. Die deutsche Armee muss in 4 Jahren einsatz- Ab 1935 mussten alle Deutschen mit 18 Jahren für fähig sein. 20 sechs Monate beim Reichsarbeitsdienst (RAD) im 2. Die deutsche Wirtschaft muss in 4 Jahren Straßenbau oder in der Landwirtschaft arbeiten 15 kriegsfähig sein. bzw. sonstige Hilfsdienste leisten. Zitiert nach: www.ifz-muenchen.de/heftarchiv/ 1 Siehe S. 88 f. Michael Mayer 1955_2_5_treue.pdf (Zugriff: 17. 04. 2020)

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INFO 3 Wie geht es der Bevölkerung? Es darf nicht kalkuliert werden, Nach 1933 erhielten viele Deutsche wieder einen 10 was kostet es. Ich verlange, dass Arbeitsplatz. Doch blieben die Löhne auf dem Sie alles tun und beweisen, dass niedrigen Niveau der Weltwirtschaftskrise. Für ein Ihnen ein Teil des Volksvermö- Brot musste man eine halbe Stunde, für 250 g But- gens anvertraut ist. Ob sich in 5 ter eine Stunde arbeiten. Erst 1938 erreichten die jedem Fall die Neuanlagen ab- Löhne in Deutschland wieder den Stand von 1928. 15 schreiben lassen, ist völlig Der Verdienst der Menschen war aber nur halb so gleichgültig. Wir spielen jetzt um hoch wie etwa in den USA. den höchsten Einsatz. Was wür- Ein wenig glichen die Nationalsozialisten die kärg- de sich wohl mehr lohnen als 10 lichen Löhne dadurch aus, dass sie die Preise künst- Aufträge für die Aufrüstung? lich niedrig hielten. Doch führte dies dazu, dass die Zitiert nach: Magnus Brechtken, Die Produkte schlechter wurden. Viele Menschen ver- nationalsozialistische Herrschaft, Darmstadt 22012, S. 59 glichen aber ihre aktuelle Lage nicht mit den guten Jahren der Weimarer Republik, sondern mit der 15 Weltwirtschaftskrise. Deshalb hatten sie das Ge- 6 Die Stimmung im Volk fühl, dass es ihnen unter Hitler besser als zuvor In einem Stimmungsbericht der 7 „Hurrah, die ging. im Exil arbeitenden SPD-Opposition wird im Butter ist alle!“ Michael Mayer Januar 1937 berichtet: Fotomontage von John Die Sicherung der Lebensmittelversorgung […] Heartfield (siehe S. 46, 4 Aus der Wirtschaft ist heute in Deutschland Gegenstand allgemeiner M1) aus der „Arbeiter- Ein Deutschland-Bericht der Sozialdemokrati- Sorge. [...] Illustrierten- Zeitung“ vom 19. Dezember 1935 schen Partei von September 1936 zitiert folgende In [der Stadt] X herrschte in den letzten Wochen Am 7. Dezember 1935 Zeilen aus Mannheim: 5 ein empfindlicher Mangel an Fleisch, Fett, Speise- forderte Hermann Der Hitler hat keine Frau öl und Speck. Die Frauen schimpfen empört in Göring, der für die Der Bauer hat keine Sau den Geschäften, und die Kaufleute sind hilflos, Wirtschaftspolitik der Der Metzger hat kein Fleisch weil sie von den Großlieferanten nichts erhalten. Nationalsozialisten zu- 1 ständig war, die Deut- Das nenn sich nun das Dritte Reich Vier Frauen, die zu sehr geschimpft hatten, wur- schen in einer Rede in Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei 10 den von der Polizei verhaftet. Zwei Frauen hat zum Verzicht (Sopade), 3. Jg., Nr. 9 vom 6. 10. 1936, A 22; zitiert nach: man nach einigen Stunden wieder freigelassen, auf. http://fes.imageware.de/fes/web (Zugriff: 16. 04. 2020) während man die anderen beiden Frauen erst 1 Drittes Reich: nach den beiden deutschen Kaiserreichen nach 2 ½ Tagen wieder entließ. Letzteren wurde (962 -1806 und 1871-1918) begann für die National- die Überführung in ein Konzentrationslager an- sozialisten 1933 das „Dritte Reich“. 15 gedroht, wenn die Polizei nochmal eine Schimp- ferei von ihnen höre. 5 „Wir spielen um den höchsten Einsatz“ Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Hermann Göring, der Beauftragte für den Vier- Deutschlands (Sopade), 4. Jg., Nr. 1 vom 15. 02. 1937, A 26 und A 43 f. jahresplan, erklärt am 17. Dezember 1936 vor Vertretern der Wirtschaft und Industrie: Die Auseinandersetzung, der wir entgegengehen, Gibt es unter Hitler ein „Wirtschaftswunder“? verlangt ein riesiges Ausmaß an Leistungsfähig- 1 Beschreibe die Maßnahmen der Regierung und erkläre den Rückgang keit. Es ist kein Ende der Aufrüstung abzusehen. der Arbeitslosigkeit (M1, M2 und INFO 1). Allein entscheidend ist hier der Sieg oder Unter- 2 Nenne die zentralen Ziele der Wirtschaftspolitik und die Maßnahmen 5 gang. Wenn wir siegen, wird die Wirtschaft genug zu ihrer Finanzierung (INFO 2 und M3). entschädigt werden. Man kann sich hier nicht 3 Beurteile die Folgen der Wirtschaftspolitik für den Staat im Allgemei- richten nach buchmäßiger Gewinnrechnung, nen und für die arbeitende Bevölkerung im Besonderen (INFO 3, M2 sondern nur nach den Bedürfnissen der Politik. und M4 bis M7). H

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nossen“ als Teil einer großen nationalen Gemein- schaft erleben. Sie wurden überwältigt von einer Mischung aus Perfektion, Disziplin und Gemein- 25 schaftsgefühl. Auf Dauer konnte aber die Propaganda nicht gegen die Realitäten ankommen. Nur solange das NS-Re- gime Erfolge vorweisen konnte, waren viele Men- schen bereit, auf manche ihrer Rechte (z. B. Mei- 30 nungsfreiheit) zu verzichten. Ohne diese Triumphe nahm die Unzufriedenheit der Menschen rasch zu. Dieter Brückner

INFO 2 Der „Hitler-Mythos“ Nach den Jahren der Weltwirtschaftskrise wollten viele Deutsche lieber auf einen „Führer“ vertrauen, als ihr Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Sie 1 2 „Ganz Deutschland hört den Das Luftschiff „Hindenburg“ sahen in Hitler einen „nationalen Erlöser“. Laut Führer …“ über dem Reichssportfeld am Tag der Plakat für die Rundfunkausstellung Eröffnung der XI. Olympischen Spiele 5 Propaganda war er den Deutschen angeblich von in Berlin, um 1936 in Berlin 1936 der „Vorsehung“ gesandt, um der „arischen Ras- Der auf Veranlassung des Propaganda- Aquarell von Hans Liska, um 1936 se“ und dem deutschen Volk nach der Niederlage ministeriums entwickelte „Volksemp- Die Sommerspiele wurden am 1. August des Ersten Weltkrieges und der „Schmach von Ver- fänger“ wurde im August 1933 auf der 1936 eröffnet. 49 Nationen nahmen dar- sailles“ wieder zu Weltgeltung und zu Ansehen zu 10. Großen Deutschen Funkausstellung an teil. 10 verhelfen. Führerbilder hingen in allen Amts- und in Berlin vorgestellt. 1939 gab es zwölfein- INFO 1 Propaganda sichert Zustimmung Schulräumen und sollten jede Wohnung zieren, halb Millionen gebüh- Staats- und Parteiführung nutzten Propaganda, „Heil Hitler“ war der offizielle „Deutsche Gruß“. renpflichtige Rund- um das Denken, Handeln und Fühlen der Bevölke- Michael Mayer funkteilnehmer im rung in ihrem Interesse zu beeinflussen. Das von Deutschen Reich. seit 1933 geführte „Ministerium 3 Das „Geheimnis der Propaganda“ 5 für Volksaufklärung und Propaganda“ setzte syste- Propagandaminister Joseph Goebbels spricht am matisch alle damals zur Verfügung stehenden Mit- 25. März 1933 zu den Intendanten der Rundfunk- tel ein, um Weltanschauung, Maßnahmen und die gesellschaften: angeblichen Erfolge des NS-Regimes in einem un- Ich verwahre mich dagegen, dass die Propaganda eingeschränkt positiven Licht zu präsentieren. Ha- etwas Minderwertiges sei, denn wir säßen heute 10 kenkreuzfahnen und Plakate waren ebenso allge- nicht in den Ministersesseln, wenn wir nicht die uGeschichte In Clips: genwärtig wie Hitler-Porträts. Mit Presse, Rund- 5 großen Künstler der Propaganda gewesen wären. Die NS-Propaganda, funk und Film konnten sie so viele Menschen wie [...] Das ist das Geheimnis der Propaganda: den, siehe Code 31064 -17. nie zuvor erreichen, ihnen die immer gleichen Pa- den die Propaganda fassen will, ganz mit den Ide- rolen einhämmern oder sie mit schönen Bildern für en der Propaganda zu durchtränken, ohne dass er 15 sich gewinnen. Wichtige Mittel der Propaganda überhaupt merkt, dass er durchtränkt wird. waren auch Massenveranstaltungen: Sport- und 10 Selbstverständlich hat die Propaganda eine Ab- Turnfeste, Aufmärsche, Fahnenweihen, Toteneh- sicht, aber die Absicht muss so klug und so virtu- rungen, Fackelzüge, Erntedankfeste sowie die all- os1 kaschiert sein, dass der, der von dieser Absicht jährlichen Reichsparteitage in Nürnberg. Ein Höhe- erfüllt werden soll, das überhaupt nicht bemerkt. 1 virtuos: ausgezeich- 20 punkt der NS-Propaganda waren die Olympischen Zitiert nach: Helmut Heiber (Hrsg.), Joseph Goebbels. Reden net, hervorragend Spiele von 1936. Hier konnten sich die „Volksge- 1932 - 1945, Düsseldorf 1971, S. 94

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4 Der „Handschlag“ Bildpostkarte von 1933 Grundlage der Karte ist ein Foto von Theodor Eisen- hart vom 21. März 1933. Nach dem Festakt in der Potsdamer Garnisonkirche hat- te sich Reichskanzler Adolf Hitler von Reichspräsident Paul von Hindenburg verabschiedet. Das Foto entstand zufällig und war in der „Berliner Illustrirten Zeitung“ veröffentlicht worden. Die nationalsozialistische Propa- ganda verbreitete es als Postkarte.

INFO 3 Inszenierung und Zwang Die Reichstagswahl im März 1933 zeigte, dass vie- le Menschen der NSDAP weiterhin skeptisch ge- genüberstanden. Um die Konservativen zu gewin- nen, inszenierte der Reichspropagandaleiter der 5 NSDAP, Joseph Goebbels, am 21. März 1933 den „Tag von Potsdam“. Da das Reichstagsgebäude in Berlin infolge des Brandes nicht benutzbar war, ließ er den neu gewählten Reichstag in der Garni- 5 Propaganda und Terror 1 Deutsche Arbeits- sonkirche in Potsdam eröffnen. Nach dem Festakt, Joseph Goebbels notiert am 17. April 1933 zu der front (DAF): Nach der Zerschlagung der Ge- 10 an dem die SPD-Abgeordneten nicht teilnahmen, geplanten „Gleichschaltung“ der Gewerkschaften werkschaften am 10. wurden Kränze am Grab von König Friedrich dem in seinem Tagebuch: Mai 1933 gegründete Großen von Preußen niedergelegt. Vor der Kirche Den 1. Mai werden wir zu einer grandiosen De- Einheitsorganisation für verabschiedete sich der konservative Reichspräsi- monstration des deutschen Volkswillens gestal- Arbeitnehmer und Ar- dent Hindenburg von dem neu ernannten Reichs- ten. Am 2. Mai werden dann die Gewerkschafts- beitgeber. An ihrer Spitze stand Robert 15 kanzler Hitler. Die Propaganda machte daraus eine häuser besetzt. Gleichschaltung auch auf diesem Ley. Streiks und Aus- Versöhnung zwischen dem „alten“ und dem 5 Gebiet. Es wird vielleicht ein paar Tage Krach sperrungen waren ver- „neuen“ Deutschland. geben, aber dann gehören sie uns. Man darf hier boten. Löhne, Arbeits- Die NSDAP wollte nicht nur die Konservativen, keine Rücksicht mehr kennen. [...] und Urlaubszeiten wur- sondern auch die Arbeiter für sich gewinnen. Hier- Sind die Gewerkschaften in unserer Hand, wer- den von „Treuhändern der Arbeit“, die die NS- 20 zu wurden am 1. Mai 1933, dem internationalen den sich auch die anderen Parteien und Organi- Regierung bestimmte, Tag der Arbeit, große Umzüge veranstaltet. Die Ar- 10 sationen nicht mehr lange halten können. festgelegt. Die Mitglie- beiter sollten so glauben, dass sie in dem neuen Zitiert nach: Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph derzahl der DAF wurde Staat besondere Wertschätzung erfahren würden. Goebbels. Sämtliche Fragmente, Bd. 1, München 1987, S. 408 für 1934 mit 14 Millio- und 414 f. Doch nur einen Tag später wurden die Gewerk- nen angegeben, sie stieg bis 1942 auf 25 25 schaften in Deutschland aufgelöst. Sämtliche Ar- Millionen. beitnehmer mussten von nun an Mitglied einer neuen Zwangsorganisation werden, der Deutschen Arbeitsfront (DAF)1. Diese veranstaltete große Ver- Welche Aufgabe hat die Propaganda im NS-Staat? Entwickelt in sammlungen und kümmerte sich um Urlaubsreisen Partner- oder Gruppenarbeit Antworten auf diese Leitfrage. 30 der Menschen in Deutschland. Doch hatten die Ar- 1 Fasst die Mittel und Methoden, mit denen die Nationalsozialisten die beiterinnen und Arbeiter ihre bisherigen Mitspra- Menschen beeinflussten, in einer Tabelle zusammen (INFO 1 und 2, cherechte verloren. Sie mussten nun gehorchen, M1 bis M3 und M5). auch wenn ihnen dies durch Propaganda schmack- 2 Der „Tag von Potsdam“ wurde als „Zeichen der Versöhnung des hafter gemacht wurde. „alten“ mit dem „neuen“ Deutschland“ inszeniert. Erklärt die Aussage Michael Mayer und die mit der Inszenierung verbundene Absicht (M4 und INFO 3). F

21. 3.1933: „Tag von Potsdam“ 10. 5.1933: Die Deutsche Arbeits- 30.1.1933: Hitler wird Reichskanzler einer Koalitionsregierung front wird gegründet 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 67 1930 1935 1940

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6 Bücher werden verbrannt Foto vom Berliner Opernplatz (heute Be- belplatz) vom 10. Mai 1933 Zwischen März und Oktober 1933 fanden überall im Reich Bücherverbrennungen statt.

INFO 4 Kontrolle der Medien 7 Anweisungen an die Presse Am 13. März 1933 war das von Goebbels geleite- Das Reichspropagandaministerium gibt täglich te „Reichsministerium für Volksaufklärung und Anweisungen an die Presse heraus: Propaganda“ gegründet worden. Das Ministerium [24. Juni 1933:] In der Anlage übersenden wir ei- kontrollierte die Medien. Meinungs- und Presse- nen Artikel „Denkt an die arbeitslosen Volksge- 5 freiheit gab es nicht mehr. Den Zeitungen und dem nossen“, dessen Veröffentlichung vom Propagan- Rundfunk wurde vorgegeben, was sie zu schreiben daministerium dringend gewünscht wird. [...] Das bzw. zu senden hatten. Dabei hatte das Ministeri- 5 Propagandaministerium bittet alle Redaktionen, um keine Hemmungen, Falschmeldungen zu ver- Fragen der Arbeitsbeschaffung und der Arbeits- breiten. spende möglichst eingehend zu behandeln. 10 Rückenwind fand die neue Kulturpolitik beim „Na- [6. April 1934:] Die Auslandsmeldung, dass 600 tionalsozialistischen Deutschen Studentenbund“. evangelische Pfarrer an den Papst die Bitte ge- Seine Mitglieder organisierten unter dem Motto 10 richtet haben, in die katholische Kirche aufge- „Kampf … gegen Schmutz und Schund“ zwischen nommen zu werden, darf unter keinen Umstän- März und Oktober 1933 in vielen Städten öffentli- den veröffentlicht werden.1 15 che Bücherverbrennungen, bei denen Werke uner- [16. April 1934:] Über die Flugzeugunglücke in wünschter Autoren wie Bertolt Brecht, Erich Käst- Weißensee bei Berlin und in Schleißheim bei ner, Kurt Tucholsky sowie Heinrich und Thomas 15 München, die sich heute ereigneten, darf nichts Mann verbrannt wurden. berichtet werden2. Seit September 1933 mussten Journalisten, Schrift- Zitiert nach: Hans Bohrmann (Hrsg.), NS-Presseanweisungen 20 steller oder Schauspieler Mitglieder der neu ge- der Vorkriegszeit, Bd. 1, München 1984, S. 23 und 33, Bd. 2, München 1985, S. 166 und 186 gründeten „Reichskulturkammer“ sein. Gegner der NSDAP oder Juden konnten keine Mitglieder 1 Die „Neue Zürcher Zeitung“ berichtete am 7. April werden. Sie erhielten damit faktisch ein Berufs- 1934, dass evangelische Pfarrer aufgrund des Einflusses und Veröffentlichungsverbot. von NSDAP-Anhängern in der evangelischen Kirche in Deutschland Überlegungen angestellt hätten, zum Michael Mayer katholischen Glauben überzutreten. 2 Es handelte sich dabei um die Erprobung neuer Militär- flugzeuge.

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8 Blick in die Propagandaausstellung „Entartete Kunst“ INFO 5 „Entartete Kunst“ Foto aus dem Berliner „Haus der Kunst“ vom 24. Februar 1938 Die „Reichskulturkammer“ wachte darüber, dass Die von Propagandaminister Joseph Goebbels initiierte und vom Präsidenten der nur erwünschte „Kunst“ verbreitet wurde. Viele „Reichskammer der bildenden Künste“, Adolf Ziegler, organisierte Wanderaus- Werke der modernen Musik und Malerei sowie der stellung wurde im Juli 1937 in München in den Hofgarten-Arkaden eröffnet. Sie zeitgenössischen Bildhauerkunst wurden zu „Aus- zeigte rund 700 beschlagnahmte Kunstwerke aus 32 deutschen Museen von über 120 Künstlerinnen und Künstlern. Die mit diffamierenden Texten versehenen 5 geburten des Wahnsinns“ erklärt. Konzerthäuser Kunstwerke wurde bis April 1941 in zwölf weiteren Städten (u. a. in Berlin, Leipzig, und Museen durften solche Werke weder auffüh- Düsseldorf, Hamburg, Salzburg und Wien) gezeigt. Über drei Millionen Besucher ren, ausstellen noch anschaffen. haben die Ausstellung gesehen. Gleichzeitig fand eine „Säuberung“ der deutschen Höhepunkt der Kampagnen gegen moderne Male- Museen und Privatsammlungen von über 20 000 modernen Kunstwerken statt. Die rei und Plastik war die Ausstellung „Entartete Bilder und Skulpturen wurden zum Teil zerstört oder ins Ausland verkauft. 10 Kunst“ 1937 in München und weiteren Städten. International anerkannte Werke von George Grosz, Wassily Kandinsky, Franz Marc, Otto Dix 3 Erläutert den Zusammenhang von NS-Propaganda und NS-Terror und anderen wurden mit dem rassistischen Begriff (INFO 3, M5 und M6). „entartet“ gebrandmarkt. Zahlreiche Besucher ka- 4 Findet heraus, ob auch in eurem Schul- oder Wohnort Bücherverbren- 15 men, aber nicht alle teilten die ablehnende Mei- nungen wie in Berlin (M6) stattfanden, und nehmt Stellung dazu. H nung der Ausstellungsmacher. Im Mai 1938 folgte 5 Stellt dar, welche Maßnahmen der Medien- und Kulturpolitik gegen ein Gesetz, um „entartete“ Kunst einziehen zu Grundrechte verstießen (INFO 4 und M5, M6 bis M8). können. 6 Beurteilt in einem abschließenden Gespräch Aufgabe und Funktion Nachdem die Nazis 1933 bereits Bücher verbrannt der Propaganda im NS-Staat. F 20 hatten, vernichteten sie 1939 in Berlin rund 4 000 Bilder verachteter Künstler. Viele von ihnen flohen ins Exil oder arbeiteten im Verborgenen weiter. Klaus Dieter Hein-Mooren

10. 5.1933: Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz 22. 9.1933: Bildung der 4. bis 31. 3.1936: Erste Ausstellung Reichskulturkammer „Entartete Kunst“ in München 30.1.1933: Hitler wird Reichskanzler einer Koalitionsregierungg 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 69 1930 1935 1940

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nen. Bis zum Alter 1 Ein Klassen- zimmer 25 von 18 Jahren waren Propagandafoto von die Jungen anschlie- 1941 ßend Mitglieder der Ein Hitler-Bild musste „Hitler-Jugend“ (HJ), in jedem Klassenzim- die Mädchen des mer hängen, die Ha- kenkreuzfahne jedoch 30 „Bundes Deutscher nicht unbedingt. Mädel“ (BDM). Die Jungen wurden da- bei bereits auf ein Leben als Soldaten 35 vorbereitet, Mäd- chen hingegen auf eine Rolle als Haus- frau, Sanitäterin oder Fernmelderin. Michael Mayer

INFO 1 „Gleichschaltung“ in Schule 2 Nie wieder frei und Erziehung Reichskanzler Hitler äußert sich am 2. Dezember Auch die Schulen waren im Dienst der nationalso- 1938 in Reichenberg (heute Liberec in Tschechien) zialistischen Ideologie „gleichgeschaltet“. Lehr- vor HJ-Mitgliedern über die Erziehung der Jugend: kräfte, die sich kritisch über den Nationalsozialis- Die Jugend, die lernt ja nichts anderes, als mus, über das Führerprinzip und den Antisemitis- deutsch denken, deutsch handeln. Die Knaben 5 mus äußerten, wurden aus dem Dienst entfernt. kommen vom Jungvolk in die Hitler-Jugend, und Im Geschichtsunterricht wurde nun vermehrt eine dort behalten wir sie wieder vier Jahre. Und dann heroische deutsche Vergangenheit in den Mittel- 5 geben wir sie erst recht nicht zurück in die Hände punkt gestellt. Im Biologieunterricht kamen auch unserer alten Klassen- und Standeserzeuger, son- rassenbiologische Ideen zur Sprache. dern dann nehmen wir sie sofort in die Partei 10 In der Praxis änderte sich jedoch oft nicht allzu viel. oder in die Arbeitsfront, die SA oder in die SS, in Eine umfassende „nationalsozialistische Erzie- das NSKK und so weiter. Und wenn sie dort [...] hung“ gab es nur an den neu gegründeten „Nati- 10 noch nicht ganz Nationalsozialisten geworden Audiotipp: onalpolitischen Erziehungsanstalten“ (Napolas) sind, dann kommen sie in den Arbeitsdienst und Du kannst die Rede hören; siehe Code und den „Adolf-Hitler-Schulen“, in denen die Elite werden dort wieder sechs und sieben Monate 31064 -18. 15 des NS-Staates herangezogen werden sollte. Auf- geschliffen. Und was dann noch an Klassenbe- genommen wurden in der Regel nur Jungen, die wusstsein oder Standesdünkel da oder da noch dem rassischen Ideal der Nationalsozialisten ent- 15 vorhanden sein sollte, das übernimmt die Wehr- sprachen. Der Schwerpunkt lag dabei auf einem macht. Und dann nehmen wir sie, damit sie auf vormilitärischen Training der Jugendlichen. keinen Fall rückfällig werden, sofort wieder in SA, Lesetipp: 20 Auch in der Freizeit wollte die NSDAP das Leben SS und so weiter. Und sie werden nicht mehr frei, Elisabeth Zöller, Vaters Befehl oder Ein deut- der jungen Menschen kontrollieren. Im Alter zwi- ihr ganzes Leben. sches Mädel, Frankfurt schen 10 und 14 Jahren hatten Jungen im „Jung- Völkischer Beobachter vom 4. Dezember 1938 am Main 22012 volk“ und Mädchen im „Jungmädelbund“ zu die-

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3 Vergleich der täglichen Lebenshaltungskosten Bild aus der Dia-Serie „Blut und Boden“ von 1936 Die Dias wurden für Schulungszwecke eingesetzt.

4 „Das Erbgut des deutschen Volkes“ Zu Beginn des Unterrichtsjahres 1933/34 werden Verordnungen für den Unterricht erlassen. Die Schulbuchverlage legen daraufhin neue Unter- richtswerke vor, die von den zuständigen Ministe- rien genehmigt werden müssen. In einem Sach- kundebuch für Volksschulen von 1935 heißt es: Das deutsche Volk […] trägt wertvollste Erbanla- gen in sich. Die Menschen der nordischen Rasse […] sind ausgezeichnet durch Tatkraft, Willens- kraft, Beständigkeit, scharfen Verstand, Ge- 5 fühlstiefe und reiche Fantasie (künstlerische Be- gabung). Sie sind kühn bis zur Tollkühnheit. All 6 Militärausbildung in der Schule diese Eigenschaften machen sie zu ausgeprägten Die SPD-Opposition berichtet im Dezember 1938 Führernaturen. aus Bayern: Zitiert nach: Günter Wollstein (Hrsg.), Das „Dritte Reich“ Großer Wert wird auf die militärische Ausbildung 1933 - 1945, Darmstadt 2013, S. 163 der Jugend gelegt. […] In der 8. Schulklasse (die 13- bis 14-jährigen) wird den Schülern das neue 5 Was ist ein Menschenleben wert? Militärgewehr gezeigt. An jedem Samstagvormit- Ein Mathematikbuch für höhere Lehranstalten 5 tag findet diese militärische Übungsstunde statt. von 1936 enthält folgende Rechenaufgabe: [...] Die Kinder lernen schon genau dasselbe, was Ein Geisteskranker kostet täglich etwa 4 RM, ein der Rekrut1 beim Militär lernt. Die besten und Krüppel 5,50 RM, ein Verbrecher 3,50 RM. In vielen stärksten Jungen dürfen, das ist eine Art Aus- Fällen hat ein Beamter täglich nur etwa 4 RM, ein zeichnung, auch selbst schießen. [...] Angestellter kaum 3,50 RM, ein ungelernter Arbei- 10 Neben den Übungen am Gewehr werden natür- 5 ter noch keine 2 RM auf den Kopf der Familie. lich auch Marschübungen gemacht. Die Kinder a) Stelle diese Zahlen bildlich dar. [...] wissen schon heute, welche Aufgabe ein Nach vorsichtigen Schätzungen sind in Deutsch- Rekrut, ein Offizier und ein Feldwebel2 usw. hat. land 300 000 Geisteskranke, Epileptiker usw. in Sie sind selbstverständlich begeistert von all Anstaltspflege. 15 diesen Dingen. 10 b) Was kosten diese jährlich insgesamt bei einem Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Satz von 4 RM? Deutschlands (Sopade), 5. Jg., Nr. 12 vom 12. 1. 1939, A 69 c) Wie viel Ehestandsdarlehen zu je 1 000 RM 1 Rekrut: Soldat in der Grundausbildung könnten – unter Verzicht auf spätere Rückzah- 2 Feldwebel: Dienstgrad beim Militär lung – von diesem Geld jährlich ausgegeben 15 werden? Adolf Dorner, Mathematik im Dienste der nationalsozialisti- schen Erziehung. Mit Anwendungsbeispielen aus Volkswissen- Wie sieht der Alltag in der nationalsozialistischen Diktatur aus? schaft, Geländekunde und Naturwissenschaft. Ein Handbuch für Lehrer, Frankfurt am Main 31936, S. 42 Erstellt dazu eine digitale Präsentation. 1 Erklärt, wie Schule und Erziehung nach 1933 „gleichgeschaltet“ wurden (INFO 1, M1 und M2). 2 Nehmt Stellung zu Inhalten, Mitteln und Zielen des Unterrichts in den Schulen (M3 bis M6). H

14. 7.1933: Gesetz zur „Verhütung 1.12.1936: Die „Hitler-Jugend“ erbkranken Nachwuchses“ wird zur Staatsjugendorganisation 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 71 1930 1935 1940

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INFO 2 Kein Privatleben mehr 9 „Privatleute haben wir nicht mehr“ Die Nationalsozialisten bemühten sich, immer Der Vorsitzende der Deutschen Arbeitsfront, mehr in das Privatleben der Menschen einzu- Robert Ley, betont 1938: dringen. Während der Freizeit mussten oft Nein, in Deutschland gibt es keine Privatsache Dienste für die unterschiedlichsten NS-Orga- mehr! Wenn du schläfst, ist das deine Privatsa- 5 nisationen geleistet werden: Sammelaktio- che, sobald du aber wach bist und mit einem an- nen für das „Winterhilfswerk des Deut- deren Menschen in Berührung kommst, dann schen Volkes“, Heimabende der „Deut- 5 musst du eingedenk sein, dass du ein Soldat Adolf schen Arbeitsfront“ oder Mitgliedschaft Hitlers bist und nach einem Reglement zu leben im „NS-Frauenbund“. und zu exerzieren hast, ob Unternehmer, ob Ar- 10 Blockleiter der NSDAP waren für Miets- beiter, ob Bürger, Bauer oder Beamter. Privatleute häuser oder verschiedene Einzelhäuser haben wir nicht mehr. Die Zeit, wo jeder tun und zuständig. Sie verbreiteten Informations- 10 lassen konnte, was er wollte, ist vorbei. material des Regimes bei den Hausbe- Robert Ley, Soldaten der Arbeit, München 1938, S. 71 wohnern oder sammelten Beiträge für 15 die NS-Wohlfahrtsorganisationen. Zu- 10 Ein Flüsterwitz gleich waren sie auch für die Überwa- Folgender Witz wird während des „Dritten chung der Menschen verantwortlich. So Reiches“ heimlich erzählt: gaben sie kritische Äußerungen ihrer Mein Vater ist SA-Mann, mein ältester Bruder in Mitmenschen über die NS-Herrschaft der SS, mein kleiner Bruder in der HJ, die Mutter 20 an die örtliche Parteileitung oder an die in der NS-Frauenschaft, und ich bin im BDM. – Polizei weiter und kontrollierten jüdische „Ja, seht ihr euch denn bei dem vielen Dienst 7 Sammelbüchse Menschen oder „Judenfreunde“ in ihren Einzugs- 5 auch einmal?“ – „Oh ja, wir treffen uns jedes Jahr des „Winter-Hilfs- werks des Deutschen bereichen. Insgesamt war also auch das Privatle- auf dem Parteitag in Nürnberg.“ Volkes“ ben „gleichgeschaltet“. Zitiert nach: Hans-Jochen Gamm (Hrsg.), Der Flüsterwitz Blechdose (Höhe: 22 Michael Mayer im Dritten Reich, München 1993, S. 47 cm), 1933/34 INFO 3 Für die „Volksgemeinschaft“ 8 Viele halten den Mund Im November 1933 wurde die NS-Gemeinschaft Der Regierungspräsident von Oberbayern infor- „Kraft durch Freude“ (KdF) gegründet, eine Orga- 1 Zur „Deutschen miert am 9. Dezember 1935 darüber, dass die nisation der Deutschen Arbeitsfront.1 Zu ihren Zie- Arbeitsfront‘“ siehe wahre Stimmung der Bevölkerung kaum heraus- len zählte, die Angehörigen der inzwischen verbo- S. 67. zufinden ist: 5 tenen Arbeiterbewegung für die „Volksgemein- Schwierigkeiten bereitet zurzeit das richtige Ab- schaft“ zu gewinnen. Alle Arbeitnehmer sollten lesen des Stimmungsbarometers der Bevölke- zudem zu immer größeren Leistungen angesta- rung. Infolge des leider noch häufig vorhandenen chelt werden. Die KdF-Mitglieder konnten kosten- Denunziantentums1 und angesichts des Eiferer- lose Sportkurse besuchen oder Erholungsreisen 5 tums mancher Unterinstanzen ist zu beobachten, 10 buchen. Im Zentrum der Propaganda standen dass weite Schichten des Volkes und auch gerade Kreuzfahrten nach Madeira. Doch nur wenige Ar- solche der staatstreuen Bevölkerung nur mehr im beitnehmer mit höherem Einkommen konnten sich allerengsten Kreis ihrer wahren Meinung über die diese Reisen leisten. öffentlichen, insbesondere örtlichen Verhältnisse KdF bot auch an, auf einen eigenen Kraftwagen 10 Ausdruck geben, im Übrigen aber in völlig unge- 15 („Volkswagen“) zu sparen. Er sollte nur 990 rechtfertigter Verängstigung einfach den Mund Reichsmark kosten. Entwickelt wurde der Vorläufer halten. des VW-Käfer von Ferdinand Porsche. Ab 1938 er- Bundesarchiv, R 1501/1567, Bl. 160 warben die Interessierten wöchentlich Sparmarken 1 Denunziant: eine Person, die eine andere anzeigt im Wert von mindestens fünf Reichsmark. Bis 1945 →

72 Antisemitismus Nationalsozialismus

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20 wurden ca. 340 000 Sparverträge abgeschlossen, der Staat nahm etwa 270 Millionen Reichsmark ein. Doch die Sparer erhielten die versprochenen Autos nicht. Aufgrund des seit 1939 geführten Krieges bekam die Armee eine Militärversion des 25 „Volkswagens“. Michael Mayer

11 „Nervenstarkes Volk“ Der Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Vorsitzende der Deutschen Arbeitsfront, Robert Ley, hält am 27. November 1934 eine Rede zum Jahrestag von „Kraft durch Freude“: Der Führer war es, der auch hier wie immer rich- tungsweisend war. Er sagte: „Ich will, dass dem Arbeiter ein ausreichender Urlaub gewährt wird und dass alles geschieht, um ihm diesen Urlaub 5 sowie seine übrige Freizeit zu einer wahren Erho- lung werden zu lassen. Ich wünsche das, weil ich ein nervenstarkes Volk will. Denn nur allein mit einem Volk, das seine Nerven behält, kann man wahrhaft große Politik machen.“ Robert Ley, Durchbruch der sozialen Ehre. Reden und Gedan- ken für das schaffende Deutschland, Berlin 1935, S. 208

12 „Schwindelmanöver“ Die SPD-Opposition hält den „Volkswagen“ in einem geheimen Stimmungsbericht vom April 1939 für ein „Schwindelmanöver“: Der politische Zweck, den das Regime bei der Schaffung des Volkswagens im Auge hatte, ist 13 „Dein KdF-Wagen“ unschwer zu erkennen. Es handelt sich in erster Titelseite der Werbebroschüre des Volkswagenwerks Linie um eine militärische Maßnahme, die der für den KdF-Wagen, 1938 5 Förderung der Motorisierung Deutschlands und der Bereitstellung möglichst vieler leistungsfähi- ten werden. Denn alle Menschen sind der Mei- Internettipps: ger Wagen im Kriegsfalle dient. 20 nung, dass inzwischen der Krieg kommt. Der Ber- Weitere Informationen Wirtschaftlich gesehen [...] handelt es sich um liner Witz nennt die neuen Volkswagen schon die über die NS-Organisation „Kraft durch Freude“ „Bomberwagen“, d. h. sie werden nie geliefert, das eine sehr geschickt aufgezogene Verbrauchslen- siehe Code 31064 -19. 10 kung: Der Mann, der auf diese Weise veranlasst Geld wird für Bomben gebraucht. wird, monatlich 20 RM für einen kriegswichtigen Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutsch- Artikel zu sparen, kann diese 20 RM nicht in an- lands (Sopade), 6. Jg., Nr. 4 vom 10. 5. 1939, A 73 f. und A 76 derer, der Nazi-Ökonomie weniger erwünschten Weise ausgeben. [...] 15 Die Leute in Berlin sagen, dies sei eines der größ- 3 Beschreibt den Einfluss des Staates auf das Privatleben (INFO 2, M7 ten Schwindelmanöver, das die Nazis ausgeheckt bis M10). haben. Die Nazis bekommen Millionenbeträge 4 Beurteilt die Aktivitäten der NS-Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ herein für etwas, das sie wahrscheinlich nie leis- (INFO 3, M11 bis M13). H

10. 5.1933: Die Deutsche Arbeitsfront wird gegründet27.11.1933: Gründung der NS-Gemein- 1. 12.1936: Die „Hitler-Jugend“ schaft „Kraft durch Freude“ wird zur Staatsjugendorganisation 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 73 1930 1935 1940

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brachte. Andererseits beklagten z. B. die Bauern, dass sie mehr und mehr gezwungen wurden, Nah- 30 rungsmittel wie Milch und Eier an die staatlichen Stellen abzugeben. Vielfach versteckten sie ihre Güter und verkauften diese heimlich. Die ehemali- gen Feinde der NSDAP verhielten sich gezwunge- nermaßen ruhig, doch kam es – besonders unter 35 Alkoholeinfluss in Gaststätten – immer wieder zu Auseinandersetzungen. Einer, der offen gegen das NS-Regime gepredigt hatte, war der Günzburger Stadtpfarrer Adam Birner. Er wurde im April 1941 von der Gestapo1 verhaftet und starb unter unge- 40 klärten Umständen im Krankenhaus. Michael Mayer

1 Gestapo (Abkürzung für „Geheime Staatspolizei“): Die 1 1933 gegründete politische Polizei konnte ohne gericht- Aufmarsch der liche Kontrolle Haussuchungen durchführen, Menschen NSDAP auf dem INFO 1 Ein regionales Beispiel: Günzburg verhaften und sie in Konzentrationslager einweisen. „Adolf-Hitler-Platz“ Günzburg war ein typischer bäuerlich-mittelständi- 1944 gehörten ihr etwa 30 000 Personen an. von Günzburg Foto vom 30. Septem- scher Bezirk (Stadt- und Landkreis) in Mittelschwa- ber 1935 ben. In den zahlreichen Gemeinden des Bezirks Die Veranstaltung fand lebten um 1933 etwa 38 000 Einwohner. 90 Pro- 2 Zur Bestätigung der Bürgermeister zur Einweihung der 5 zent der Bevölkerung war katholisch. Die Mehrzahl Adolf Wagner (NSDAP), seit April 1933 kommissa- neu erbauten Donau- der Bewohner betrieb Ackerbau und hielt Vieh. rischer Innenminister und stellvertretender Mi- brücke statt. Am 27. April 1933 hat- Stärkste politische Kraft im Bezirk war vor 1933 die nisterpräsident in Bayern, schreibt am 20. Mai ten die Stadträte be- katholisch geprägte Bayerische Volkspartei, nur 15 1933 an alle Bezirksämter: schlossen, den Markt- bis 20 Prozent der Einwohner hatte sozialdemokra- Nach mir zugegangenen Klagen ist verschiedent- platz in „Adolf-Hitler- 10 tisch gewählt. lich die Bestätigung von Bürgermeistern lediglich Platz“ umzubenennen. Nach den Reichstagswahlen vom März 1933 über- deshalb abgelehnt worden, weil der Gewählte Sie folgten damit ei- nahmen die Nationalsozialisten auch hier die nem Trend der Zeit. nicht der NSDAP angehörte. […] Die Zugehörig- In fast allen deutschen Macht. Sofort begannen sie, ihre Gegner von SPD 5 keit zur NSDAP ist […] nicht Voraussetzung für Städten wurden da- und KPD zu verfolgen und zu misshandeln. Der die Bestätigung der Bürgermeister. Auch die Zu- mals Straßen und Plät- 15 SPD-Reichstagsabgeordnete des Wahlkreises Ober- gehörigkeit zu einer anderen Partei steht der Be- ze nach Hitler benannt. bayern-Schwaben, Otto Geiselhart, nahm sich dar- stätigung nicht entgegen, wenn der Bürgermeis- aufhin in einem Gefängnis das Leben. Einige Ge- ter die […] Voraussetzungen erfüllt […].1 meinderäte der BVP arrangierten sich mit der Zitiert nach: Zdenek Zofka, „… wir sind doch kein demokrati- NSDAP. In manchen Gemeinden unterstützten sie scher Staat mehr?“ Günzburg in der NS-Zeit, Bd. 1: Die natio- nalsozialistische Machtergreifung auf dem Lande, Günzburg 20 die im März 1933 neu eingesetzten NSDAP-Bür- 2007, S. 80 germeister. In anderen Gemeinden wiederum be- hielten die alten BVP-Bürgermeister ihr Amt. 1 Nach dem „Zweiten Gesetz zur Gleichschaltung der Ge- Die NSDAP konnte ihre Macht im Bezirk Günzburg meinden“ vom 7. April 1933 musste die Wahl eines Bür- dauerhaft sichern. Die alten und neuen Eliten in germeisters vom Innenminister oder einer von ihm er- mächtigten Aufsichtsbehörde bestätigt werden. Sie durf- 25 den Gemeinden arbeiteten in der Regel eng zu- te auch nur erteilt werden, wenn der Gewählte „die sammen. Die Bevölkerung begrüßte den wirt- Gewähr dafür“ bot, „jederzeit rückhaltlos für den natio- schaftlichen Aufschwung, der neue Arbeitsplätze nalen Staat“ einzutreten.

74 Nationalsozialismus

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INFO 2 München und Nürnberg Die Nationalsozialisten hatten München zur „Hauptstadt der Bewegung“ und Nürnberg zur „Stadt der Reichsparteitage“ erklärt. Die ehema- lige Freie Reichsstadt Nürnberg zeugte mit ihrer 5 Kaiserburg und dem mittelalterlichen Stadtbild von der vergangenen „Herrlichkeit“ des 1806* unter- gegangenen Heiligen Römischen Reiches Deut- scher Nation. Hier hatten im Mittelalter* zahlreiche Reichstage stattgefunden. An sie wollten Hitler 10 und seine Parteigenossen symbolisch anknüpfen. Zwischen 1933 und 1938 fanden in Nürnberg jähr- lich mehrtägige Reichsparteitage mit bis zu einer halben Million Besuchern aus allen Gliederungen der NSDAP statt. Auf dem Programm dieser gewal- 15 tigen Propagandashow standen Fahnenweihen, Fa- ckelumzüge, Treuegelöbnisse und andere Massen- 4 NSDAP-Aufmarsch auf dem Königsplatz in München aufmärsche. Höhepunkt war immer eine Rede Hit- Foto vom 9. November 1936 lers, die inszeniert wurde wie eine religiöse Feier. Links: „Führerbau“, „Ehrentempel“ und „Braunes Haus“. Rechts: „Ehrentempel“ und NSDAP-Verwaltungsbau.

Über politische Entscheidungen wurde hier weder 20 diskutiert noch abgestimmt. Vielmehr nutzten Hit- ler und seine engsten Mitarbeiter die Parteitage, um der anwesenden Masse und dem gesamten deutschen Volk wichtige politische Ziele oder Ent- scheidungen zu verkünden. Rundfunk und Film 25 waren stets anwesend. Vom Reichsparteitag 1933 Exkursionstipps: drehte die Regisseurin Leni Riefenstahl einen Pro- • NS-Dokumentations- zentrum München pagandafilm, der unter dem Titel „Der Sieg des • Dokumentationszent- Glaubens“ in allen Kinos zu sehen war. rum Reichsparteitags- Michael Mayer gelände, Nürnberg

Was prägt Bayern zur Zeit des Nationalsozialismus*? Bearbeitet die folgenden Arbeitsaufträge in Gruppen. Stellt euch anschließend die Arbeitsergebnisse vor. 1 Beschreibt die Folgen der nationalsozialistischen „Gleichschaltung“* in Günzburg (INFO 1, M1). 2 Erklärt, was das Ende des Mehrparteienstaates im Juli 1933 (siehe S. 61) für die Auskunft vom Mai 1933 (M2) bedeutete. 3 Die Nationalsozialisten zeigten ihre neue Macht auf vielfältige Weise. 3 „Reichsparteitag der Freiheit“ in Nürnberg Foto vom September 1935 Untersucht dies anhand von Günzburg (M1 und INFO 1), München Der Aufmarsch von 150 000 SA- und SS-Männern in der (M4) und Nürnberg (INFO 2 und M3). Sucht dazu weitere Informatio- 1934 errichteten Luitpoldarena vor 50 000 Besuchern nen im Internet. H war einer der Höhepunkte des Reichsparteitages. In der 4 Recherchiert im Internet oder analog Spuren des Nationalsozialismus Mitte die Rednerkanzel des „Führers“. in eurem Wohn- oder Schulort. H

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 74 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 75 26.02.21 10:19 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Frauen im Nationalsozialismus*

4 „Die deutsche Frau, wie wir sie uns 1 „In meinem Staat ist die Mutter denken …“ die wichtigste Staats- Die „Reichsfrauenführerin“ Gertrud Schultz-Klink bürgerin. Adolf Hit- erklärt 1934 auf dem Reichsparteitag der NSDAP ler“ in Nürnberg: Postkarte von 1934 Die deutsche Frau, wie wir sie uns denken, muss, nach dem Gemälde „Mutter und Kind“ von wenn es die Lage des Volkes erfordert, verzichten Alfred Bernert können auf Luxus und Genuss, sie muss geistig und körperlich gesund sein. Sie muss geistig und 5 körperlich arbeiten können, und sie muss aus dem harten Leben, das wir heute zu leben ge- zwungen sind, ein schönes Leben machen kön- nen. […] Sie muss, ich fasse es in einem Worte zusammen, politisch denken können, nicht im 10 Sinne eines Kampfes mit anderen Nationen, son- dern politisch so, dass sie mitfühlt, mitdenkt, mitopfert mit dem ganzen Volk in seiner selbst- sicheren, stolzen Haltung. Zitiert nach: Ute Benz (Hrsg.), Frauen im Nationalsozialismus, a. a. O., S. 49 f.

INFO 1 Frauen- und Rollenbilder 3 „Wir empfinden es nicht als richtig …“ Die NSDAP war eine „Männerpartei“. Mitte der Hitler erklärt am 8. September 1934 vor dem NS- 1930er-Jahre waren nur knapp sechs Prozent der Frauenbund auf dem Reichsparteitag in Nürn- Mitglieder weiblich. Frauen waren von allen Füh- berg: rungspositionen in der Partei ausgeschlossen. Hit- Das Wort von der Frauen-Emanzipation ist ein 5 ler begründete dies in „Mein Kampf“ damit, dass nur vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort, Frauen weniger zur Vernunft neigten. Sie würden 2 „Ehrenkreuz“ und der Inhalt ist von demselben Geist geprägt. sich lieber gefühlsmäßig einem starken Mann Ab 1938 wurden kin- derreiche Mütter „Im Die deutsche Frau brauchte sich in den wirklich unterwerfen. Bis 1932 stimmten Frauen weniger Namen des Deutschen 5 guten Zeiten des deutschen Lebens nie zu eman- für die NSDAP als für religiöse und konservative Volkes“ mit einem „Eh- zipieren, sie hat genau das besessen, was die Na- 10 Parteien. renkreuz“ („Mutter- tur ihr zwangsläufig als Gut zur Verwaltung und Die NSDAP umwarb gleichwohl die Frauen. Die kreuz“) ausgezeichnet: Bewahrung gegeben hat […]. 1931 gegründete „Nationalsozialistische Frauen- in „Bronze“ für vier oder fünf Kinder, in Wir empfinden es nicht als richtig, wenn das schaft“ (NSF) und das 1933 gegründete „Deutsche „Silber“ bei sechs oder 10 Weib in die Welt des Mannes, in sein Hauptgebiet Frauenwerk“ (DFW) versammelten Millionen Frau- sieben und in „Gold“ eindringt, sondern wir finden es als natürlich, 15 en zu häuslichen Arbeiten und karitativen Tätigkei- ab acht Kindern. wenn diese beiden Welten geschieden bleiben. In ten. Ab 1934 wurde jährlich der 3. Maisonntag die eine gehört die Kraft des Gemütes, die Kraft zum „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Müt- der Seele! Zur andren gehört die Kraft des Sehens, ter“ eingeführt. Ab 1938 zeichnete das Regime 15 die Kraft der Härte, der Entschlüsse und die Ein- kinderreiche Mütter mit dem „Mutterkreuz“ aus. satzwilligkeit! 20 Außerdem wurden Hilfswerke für Mutter und Kind Zitiert nach: Ute Benz (Hrsg.), Frauen im Nationalsozialismus. sowie Mütterschulen eingerichtet. Dokumente und Zeugnisse, München 1993, S. 42 f. * Das Kapitel ist nicht Michael Mayer verbindlich.

76 Konzentrationslager

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INFO 2 Frauen halten sich nicht 5 „Meine besten Arbeiterinnen“ an die Ideologie Ein Bericht vom Sommer 1934 erwähnt den Be- Die Nationalsozialisten wollten, dass Frauen kei- triebsleiter eines Werkes bei Hersfeld, der sich ge- nem Beruf nachgingen. Deshalb führte die Regie- weigert hat, verheiratete Frauen zu entlassen. Er rung im Juni 1933 „Ehestandsdarlehen“ ein. Dabei hat sich auch der Forderung der NSDAP wider- verpflichteten sich Frauen, die heirateten, ihren Be- setzt, Mitarbeiterinnen zwangsweise zur Arbeit in 5 ruf aufzugeben. Hierfür erhielten sie Gutscheine in die Landwirtschaft abzustellen („Landhilfe“): Höhe von 1 000 Reichsmark, mit denen sie etwa Gleichzeitig verlangten die Nazis im Betrieb, dass Möbel kaufen konnten. Damit wollte man errei- die erst kürzlich eingestellten Doppelverdienerin- chen, dass Arbeitsplätze für Männer freigemacht nen entlassen werden. Der Betriebsleiter erklärte würden. Zugleich sollte so der Konsum in Deutsch- daraufhin: „Ich denke nicht daran, die Mädels 10 land angekurbelt werden. 5 aufs Land zu schicken, genauso wenig wie ich die Trotz aller Propaganda nahm die Berufstätigkeit Doppelverdienerinnen entlassen werde, die mei- von Frauen in Deutschland nicht ab, sondern stieg ne besten Arbeiterinnen sind. Wenn ihr mir wei- bis 1939 auf über 50 Prozent an. Dies bedeutete, ter so Scherereien macht, schließe ich die Fabrik dass mehr als die Hälfte aller Frauen berufstätig und gehe ins Ausland.“ Die Nazis gaben sich 15 war. Daneben gebaren die Frauen auch nicht mehr 10 scheinbar zufrieden, über diese Frage wird nicht Kinder, obwohl das vom Regime so gewünscht mehr gesprochen. wurde. Während die Familien in Deutschland im Im gleichen Bericht werden die Erfahrungen eines 19. Jh. noch durchschnittlich fünf Kinder hatten, 14-jährigen Mädchens in einem Lager der „Land- setzte sich seit der Weimarer Republik* immer hilfe“ wiedergegeben: 20 mehr die Zwei-Kinder-Ehe durch. Daran änderte Die Zustände seien alles andere als rosig, sehr sich auch im NS-Staat nichts. schwere Arbeit. Für irgendeine Dummheit eines Michael Mayer der Mädchen hätten auch alle anderen eine Hun- 15 gerstrafe diktiert bekommen. Wer den geringsten INFO 3 Frauen als Täterinnen Fehler mache, müsse um 4 Uhr morgens viele Die Nationalsozialisten boten für manche Frauen Stunden Strafarbeit machen. auch ungeahnte Aufstiegschancen. So benötigte Zitiert nach: Bernd Stöver (Hrsg.), Berichte über die Lage in 1 Zu Auschwitz siehe man etwa beim „Bund Deutscher Mädel“, dem Deutschland. Die Meldungen der Gruppe Neu Beginnen aus dem Dritten Reich 1933 - 1936, Bonn 1996, S. 209 hier S. 97 f. „Deutschen Frauenwerk“ und der „NS-Frauen- 5 schaft“ weibliche Führungskräfte. Während des Zweiten Weltkrieges dienten Frauen auch als Fern- melderinnen, Luftwaffenhelferinnen oder Sanitäte- rinnen. Der soziale Aufstieg zeigte sich auch bei einigen Welche Rolle spielt „die Frau“ im National- 10 Frauen, die an den Verbrechen der Nationalsozia- sozialismus? listen beteiligt und als Aufsichtspersonal in Kon- 1 Beschreibe die Vorstellungen der Nationalsozi- zentrationslagern tätig waren. Diese Frauen ka- alisten zur Rolle der Frauen und ihre Bemü- men in der Regel aus einfachen Verhältnissen und hungen, sie für den NS-Staat zu gewinnen waren jung und ledig. Als „Reichsangestellte“ ver- (INFO 1 und M1 bis M4). 15 dienten sie ein Vielfaches einer Arbeiterin. Im größ- 2 Erläutere den Widerspruch zwischen den nati- ten Konzentrationslager für Frauen, in Ravens- onalsozialistischen Vorstellungen zur Rolle der brück nördlich von Berlin, wurden während der Frauen und der Zunahme der Berufstätigkeit NS-Zeit 3 500 Frauen zu Aufseherinnen ausgebil- von Frauen im NS-Staat (INFO 2 und M5). det. Diese wurden anschließend in Lagern wie 3 Nimm Stellung zu dem Verhalten der Frauen, 20 Auschwitz eingesetzt.1 die als „Reichsangestellte“ zu Täterinnen wur- Michael Mayer den (INFO 3).

Okt. 1931: Die „NS-Frauen- ab 1933: Ehestandsdarlehen 6. 12.1938: Adolf schaft“ entsteht Okt. 1933: „Deutsches Frauenwerk“ gegründet Hitler stiftet das ab 1934: „Gedenk- und Ehrentag der deutschen Mütter“ „Mutterkreuz“ 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 77 1930 1935 1940

31064_1_1_2021_054-117_Kap2.indd 76 04.03.21 08:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 77 26.02.21 10:19 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Die jüdische Bevölkerung wird gedemütigt und verfolgt

beamtentums“ vom 7. 1 „Tag des Boy- kotts“ in Würzburg April 1933 ermöglichte Foto vom 1. April 1933 dem Staat, alle jüdischen Ein SS-Mann steht vor Beamten und Angestell- einem jüdischen Kauf- 15 ten zu entlassen. Reichs- haus. An dem blockier- präsident Hindenburg ten Eingang ruft ein setzte lediglich durch, Plakat mit den Worten „Kampf gegen Waren- dass ehemalige jüdische häuser“ zum Boykott Frontkämpfer des Ersten des Geschäftes auf. 20 Weltkrieges hiervon nicht betroffen waren. Viele jüdische Juristen, Ärzte und Hochschullehrer ver- loren ihre Stellung – und 25 ihr Einkommen. Zugleich mehrten sich Gewaltta- 2 Zorn und Scham ten gegen deutsche und nichtdeutsche Juden. Im- Die Zeitung des Central-Vereins deutscher Staats- mer mehr Vereine und Verbände schlossen sie aus. bürger jüdischen Glaubens schreibt am 6. April Michael Mayer 1933 zum antijüdischen Boykott: Mit tiefer, zorniger Scham haben wir deutschen Juden einen Boykott über uns ergehen lassen, 3 „Zitternde Angst“ dessen kurze Dauer und bewundernswert ruhige Der Dresdner Romanistikprofessor Victor Klem- Durchführung uns nicht über die schwere Krän- perer, der nach der NS-Ideologie als Jude galt, 5 kung weghelfen kann, mit unserer Ehre als Deut- schreibt am 10. April 1933 in sein Tagebuch: sche fremde Schuld büßen zu müssen oder gar Die entsetzliche Stimmung des „Hurra, ich lebe“. als Faustpfand gegen das Ausland ausgespielt zu Das neue Beamten-„Gesetz“ lässt mich als Front- werden. kämpfer im Amt – wahrscheinlich wenigstens C.V.-Zeitung vom 6. April 1933 und vorläufig. [...] Aber ringsherum Hetze, Elend, 5 zitternde Angst. [...] Von meinen Angehörigen höre ich nichts [...]. Nie- INFO 1 Boykott, Erniedrigung mand wagt zu schreiben. Auch sonst keine Post, und Verdrängung beruflich bin ich matt gesetzt. Nicht nur Kommunisten und Sozialdemokraten, Man ist artfremd oder Jude bei 25 Prozent jüdi- sondern auch jüdische Männer und Frauen wurden 10 schen Blutes, wenn ein Teil der Großeltern Jude als „Volksschädlinge“ verfolgt. Sie wurden beläs- war. Wie im Spanien des 15. Jahrhunderts, aber tigt, erniedrigt, verprügelt und manchmal auch in damals ging es um den Glauben. Heute ist es 5 Lagern festgehalten. Gegen diesen gewalttätigen Zoologie + Geschäft. Antisemitismus rief man im Ausland dazu auf, Victor Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten. keine deutschen Waren mehr zu kaufen. Als Ver- Tagebücher 1933-1945, hrsg. von Walter Nowojski unter Mit- arbeit von Hadwig Klemperer, Bd. 1, Berlin 21995, S. 20 f. geltung organisierte die NSDAP am 1. April 1933 einen Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland. 10 Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufs-

78 Antisemitismus „Nürnberger Gesetze“

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5 Leopold West- heimer wird öffent- lich gedemütigt Foto aus Rothenburg o. T. vom 6. August 1933

Quellentipp: Das „Reichsbürgerge- setz“ und „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deut- schen Ehre“ [„Nürn- berger Gesetze“] siehe unter Code 31064 - 20.

4 „Des Volkes Strafe …“ INFO 2 Bürger „zweiter Klasse“ Der „Fränkische Anzeiger“ meldet am 7. August Radikale Nationalsozialisten wollten 1933: die jüdische Bevölkerung aus Deutsch- Am gestrigen Sonntag wurde der Lederhändler land hinausdrängen. Nichtjuden sahen Leopold Westheimer von hier, als er sich vormit- ihre Chance, ihre jüdischen Konkurren- tags in einem Weinlokal befand, von Angehörigen 5 ten zu schädigen. Jüdische Unterneh- des Freiwilligen Arbeitsdienstes aus dem Lokal mer hatten es immer schwerer, Ge- 5 geholt; sodann zog man ihm Schuhe und Strümp- schäfte mit ihren Kunden zu machen. fe aus, hängte je ein Plakat mit entsprechender Viele mussten ihre Unternehmen für Aufschrift1 an Rücken und Brust und eskortierte2 wenig Geld an Nichtjuden verkaufen. ihn, so ausgerüstet, voran ein Trommler, durch 10 Dies wurde von den Nationalsozialis- verschiedene Straßen der Stadt. Nach kurzer ten als „Arisierung“ bezeichnet. 10 Wanderung wurde er auf höhere Weisung nach Am 15. September 1935 ließ Hitler auf der Polizeiwache und von da nach dem Gefäng- dem Reichsparteitag die „Nürnberger nishaftlokal verbracht. Wie wir erfahren, soll Gesetze“ verkünden: Alle jüdischen Westheimer versucht haben, sich an seinem 15 Deutschen verloren ihre staatsbürger- Dienstmädchen zu vergehen. lichen Rechte. Auch die, die im Ersten „Fränkischer Anzeiger” vom 7. August 1933 Weltkrieg für Deutschland gekämpft hatten. Daneben verbot man ihnen, 1 Auf dem Schild soll gestanden haben: „Ich Juden- mit Nichtjuden sexuell zu verkehren schwein wollte ein arisches Mädchen schänden!“ 6 „Stadtkreis 20 oder sie zu heiraten. So wurde die jüdische Bevöl- 2 eskortieren: begleiten Fürth: Juden sind kerung weitestgehend aus der „deutschen“ Ge- unser Unglück“ sellschaft ausgeschlossen. Foto von 1938 Michael Mayer (Ausschnitt)

1. 4.1933: Reichsweiter 7. 4.1933: Juden dürfen keine Berufsbeamten mehr sein Boykott jüdischer Geschäfte Mai - August 1933: Verstärkte Boykottpropaganda gegen die jüdische Bevölkerung 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 79 1930 1935 15. 9.1935: Verkündung der „Nürnberger Gesetze“ 1940

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folgenden Tagen über 30 000 Juden in Konzent- rationslager ein. Nach amtlichen Angaben wur- den am 9. November insgesamt 91 Personen getö- 30 tet. Die Gesamtzahl der Juden, die infolge der Novemberpogrome umkamen, wird heute auf 1 300 bis 1 500 geschätzt. Viele Nichtjuden kritisierten die Zerstörungen, aber sie verteidigten die jüdischen Bürger nicht. Auch 35 die beiden Kirchen protestierten nicht offiziell. Die jüdische Bevölkerung wusste nun, dass sie keine Zukunft mehr in Deutschland hatte. 80 000 vor allem jüngere Menschen flohen bis zum 1. Sep- tember 1939 oft vollkommen mittellos und unter 40 erbarmungswürdigen Umständen. Kaum ein Land wollte sie aufnehmen. Oft lebten sie illegal im Aus- land und hatten Angst, nach Deutschland abge- schoben zu werden. Michael Mayer

8 Ein Zeitzeuge erinnert sich 7 Die Bamberger Synagoge am Tag INFO 3 Organisierte Gewalt Als Junge erlebt Arno Hamburger die Pogrom- nach der Reichspog- Nach dem Erlass der „Nürnberger Gesetze“ nah- nacht. 50 Jahre später erinnert er an die „Nacht romnacht men die Gewalttaten gegen die jüdische Bevölke- der Schande“ vom 9. / 10. November 1938: Foto vom 10. Novem- rung vorübergehend ab. Ihre Auswanderung aus Es war kalt an diesem 9. November 1938. Ich war ber 1938 Deutschland verlief nur langsam, da sie bei einer fünfzehn Jahre alt damals. Ich war in Nürnberg Die „Novemberpogro- me“ fanden im Deut- 5 Ausreise beinahe ihr gesamtes Eigentum abgeben geboren worden, wie mein Vater auch, aber ich schen Reich zwischen mussten. Zudem weigerten sich immer mehr Staa- wusste, dass wir uns diese Stadt, die immer mei- dem 7. und 13. Novem- ten, jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Auf diese 5 ne Heimatstadt gewesen ist, nicht mehr als Hei- ber statt. Höhepunkt Lage reagierte die NS-Regierung mit Gewalt. Im mat anrechnen durften. Ich hatte plötzlich eine war die Nacht vom 9. Oktober 1938 sollten 17 000 polnische Juden aus etwas längere Nase als meine arischen Mitschü- auf den 10. November. Insgesamt wurden et- 10 dem Reich nach Polen abgeschoben werden, wo ler. „Synagogenschlüssel“ nannte man das witzi- wa 1 400 Synagogen in sie offene Judenfeindschaft erwartete. Aus Ver- gerweise und konnte sich darüber kaputtlachen. Brand gesteckt. zweiflung über diese schlimme Behandlung seiner 10 […] Verwandten erschoss ein 17-jähriger polnischer Ju- In der Essenweinstraße brannte die Synagoge, de am 7. November 1938 in Paris einen deutschen jüdische Geschäfte waren zertrümmert, die Ein- 15 Diplomaten. Schon am Abend nach dem Bekannt- richtung auf der Straße verstreut, und die SA werden der Tat setzten in Deutschland schwere an- passte auf, dass niemand das Feuer störte. […] tisemitische Ausschreitungen ein. Goebbels bewer- 15 Zuerst kamen die großen Ladengeschäfte dran; tete das Attentat als Anschlag des „Weltjuden- mit mitgebrachten Stangen wurden die Schau- tums“ gegen das Deutsche Reich, und Hitler fenster eingeschlagen, und der am Abend bereits 20 erteilte ihm am 9. November in München den Be- verständigte Pöbel plünderte unter Anführung uGeschichte In Clips: fehl zum reichsweiten Pogrom gegen die jüdische der SA die Läden aus. Dann ging es in die von Zu den Novemberpog- Bevölkerung. SA-Führer verbreiteten daraufhin den 20 Juden bewohnten Häuser. […] Viele der „sponta- romen siehe Clip-Code Befehl. Überall in Deutschland wurden deutsche nen“ Rächer waren mit Revolver und Dolchen 31064 - 21. Juden geschlagen, gedemütigt, erpresst und getö- ausgestattet; jede Gruppe hatte die nötigen Ein- 25 tet – und Synagogen, jüdische Geschäfte und brecherwerkzeuge wie Äxte, große Hammer und Wohnungen zerstört. Zugleich sperrte man in den Brechstangen dabei. Einige SA-Leute trugen einen →

80 9. November 1938: Novemberpogrome Konzentrationslager

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25 Brotbeutel zur Sicherstellung von Geld, Schmuck, 10 „Machen Sie sich’s net schwerer“ Fotos und sonstigen Wertgegenständen, die auf Nach der Reichspogromnacht bietet Großbritannien an, 10 000 jüdische einen Mitnehmer warteten. […] Glastüren, Spie- Kinder im Land aufzunehmen. Die 18-jährige Ruth Maier beschreibt am gel, Bilder wurden eingeschlagen, Ölbilder mit 11. Dezember 1938, wie ihre zwei Jahre jüngere Schwester Dita mit einem den Dolchen zerschnitten, Betten, Schuhe, Klei- Kindertransport nach Großbritannien geschickt worden ist: 30 der aufgeschlitzt, es wurde alles kurz und klein Eine leere Stelle ist jetzt in unserem „Heim“. [...] Großmutter weint, und geschlagen. […] Das schlimmste dabei waren die Mama weint. [...] Es war gestern nur so, wie man es malen kann. In Hüt- schweren Ausschreitungen gegen die Wohnungs- teldorf 1 draußen dunkel und schwarz. Mit Taschenlampen haben die inhaber, wobei anwesende Frauen oft ebenso jüdischen Ordner geleuchtet. Und Kinder, bis 17 Jahre, Burschen und Mä- misshandelt wurden wie die Männer. […] Am an- 5 dels mit Rucksäcken und Kofferln. Immer noch einen Kuss. Noch einen 35 deren Morgen wurden gegen 4 Uhr morgens alle und einen letzten. Neben mir hat eine Frau geweint, nicht leise für sich: Personen unter 60 Jahren nach Dachau abtrans- Gewimmert hat sie, gestöhnt. Tief aufgeseufzt. [...] Kleine vierjährige Kin- portiert.1 der haben geschrien. Wahnsinn! Auf den Armen hat man sie noch tragen Arno Hamburger, Die Pogromnacht vom 9. auf den 10. Novem- müssen. Und die Mütter! Die Väter von den Kleinen sind in Dachau.2 [...] ber in Nürnberg, in: Jörg Wollenberg (Hrsg.) „Niemand war 10 So viel Leid müssen sie ertragen. So viel Leid! Weil sie Juden sind! Deswe- dabei und keiner hat‘s gewusst.“ Die deutsche Öffentlichkeit und die Judenverfolgung 1933 - 1945, München 1989, S. 21 - 25, gen. [...] In einem kleinen Häuferl ist Dita mit anderen dort gestanden, im hier S. 21 - 23 Dunkel. Nur ihren weißblauen Schal hab’ ich gesehen. Wie wir vorbeige- gangen sind an diesem Häuflein jüdischer Flüchtlinge, da hat sie auf ein- 1 Zum Konzentrationslager Dachau siehe S. 84 ff. mal „Mama“ gerufen. Und hat gewinkt. […] Noch einen letzten Kuss ha- 15 ben sie sich geben wollen. Dita und Mama. Ganz nah waren ihre Lippen, 9 Die Stimmung nach dem Pogrom da hat sie der Ordner auseinandergerissen. „Machen Sie sich’s net schwe- Die Gendarmerie aus Muggendorf (Landkreis rer.“ Forchheim) liefert der Geheimen Staatspolizei am Zitiert nach: Susanne Heim (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden 26. November 1938 folgenden Lagebericht: durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 - 1945, Bd. 2, München 2009, S. 561 f. Bezüglich der jüngst erfolgten Aktion gegen die 1 Juden ist die Bevölkerung zweierlei Meinung. Der Stadtteil von Wien 2 Zum Konzentrationslager Dachau siehe S. 84 ff. eine Teil der Bevölkerung vertritt den Stand- punkt, dass bewusste Aktion mit den damit zu- 5 sammenhängenden Verhaftungen und Zerstörun- gen noch viel zu mild ausgefallen sei. Der andere Bevölkerungsanteil aber, und das ist weitaus der Wie werden aus Staatsbürgern „Bürger zweiter Klasse“ und größte, ist der Anschauung, dass diese Zerstö- Verfolgte? rung nicht am Platze gewesen sei. Obwohl die 1 Untersuche die Reaktion der jüdischen Bevölkerung auf den „Tag des 10 sonstigen gegen die Juden getroffenen Maßnah- Boykotts“ (M1 und M2). men gebilligt werden, wird doch hinsichtlich der 2 Beschreibt in Gruppenarbeit die Aktionen gegen die jüdische Bevölke- Zerstörungen im überwiegenden Maße die Mei- rung nach der NS-Machtübernahme (INFO 1 und M1 bis M5) und dis- nung vertreten, dass das vernichtete Gut erhalten kutiert, inwiefern sich die nichtjüdischen Zuschauer mitschuldig daran und anderweitig zum Nutzen des Deutschen Vol- machten. 15 kes hätte verwendet werden sollen, da den Juden 3 Erkläre die zentrale Bedeutung der „Nürnberger Gesetze“* für die die Wegnahme genauso fühlbar gewesen wäre jüdischen Deutschen (INFO 2). wie die Zerstörung. In diesem Zusammenhange 4 Untersucht in Partnerarbeit Vorgeschichte und Verlauf der November- erscheint noch erwähnenswert, dass in der Be- pogrome und bewertet die Haltung der nichtjüdischen Bevölkerung völkerung schon wiederholt die Frage aufgewor- hierzu (INFO 3 und M7 bis M9). H 20 fen wurde, ob die an der Aktion beteiligten Perso- 5 Informiere dich über die „Novemberpogrome“ an deinem Schul- oder nen auch der Bestrafung zugeführt werden. Wohnort und berichte. F Zitiert nach: www.bundesarchiv.de/DE/Content/Publikationen/ Editionen/kulka-jaeckel_ns-stimmungsberichte-auswahl. 6 Nimm Stellung zum Transport der jüdischen Kinder nach Großbritan- pdf?__blob=publicationFile (Zugriff: 10. 05. 2020) nien (INFO 3 und M10). F

15. 9.1935: Verkündung der 7.11.1938: Attentat auf einen deutschen seit November 1938: „Nürnberger Gesetze“ Botschaftsangehörigen in Paris Verstärkte Auswanderung 7.11. - 13.11.1938: Judenpogrome in Deutschland deutscher Juden 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 81 1933 1935 1940

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2 Wer wird als „asozial“ bezeichnet? In den Durchführungsrichtlinien eines Erlasses für Verbrechensbekämpfung vom 4. April 1938 heißt es: Als asozial gilt, wer durch gemeinschaftswidriges, wenn auch nicht verbrecherisches Verhalten zeigt, dass er sich nicht in die Gemeinschaft ein- fügen will. Demnach sind z. B. asozial: 5 a) Personen, die durch geringfügige, aber sich im- mer wiederholende Gesetzesübertretungen sich der in einem nationalsozialistischen Staat selbst- verständlichen Ordnung nicht fügen wollen (z. B. Bettler, Landstreicher [Zigeuner], Dirnen, Trunk- 10 süchtige […]); b) Personen […], die sich der Pflicht zur Arbeit 1 Polizeirazzia entziehen und die Sorge für ihren Unterhalt der gegen Sinti und Roma INFO 1 Sozial Schwache werden verfolgt Allgemeinheit überlassen (z. B. Arbeitsscheue, Foto aus Renningen Unnachgiebig setzten Hitler und seine Anhänger Arbeitsverweigerer, Trunksüchtige). (Leonberg), Winter 1937 ihre Weltanschauung durch, wonach Menschen Zitiert nach: Wolfgang Ayaß (Bearb.), „Gemeinschaftsfremde“. nur zur „Volksgemeinschaft“ gehörten und in Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933 - 1945, Koblenz 1998, S. 124 f. Ruhe leben konnten, wenn sie angepasst waren 5 und genügend „Leistung“ erbrachten. Im Septem- ber 1933 wurden Zehntausende Bettler und Ob- 3 Wegen einer Tasse Kaffee verurteilt dachlose, aber auch Sinti und Roma (die National- Der 49-jährige Georg H. wird am 22. März 1939 sozialisten bezeichneten sie als „Zigeuner“) auf der vom Amtsgericht Vilbel zu sechs Wochen Haft und Straße verhaftet und eingesperrt. Auch sogenann- anschließender Unterbringung in einem „Arbeits- 10 te „Asoziale“ wurden ohne richterlichen Beschluss haus“ verurteilt. oder rechtmäßiges Gerichtsurteil festgenommen Der Angeklagte hat zwar bestritten, gebettelt zu und weggesperrt. Goebbels bemerkte dazu am haben, indem er angibt, er habe bei Metzgermeis- 22. Februar 1937 in seinem Tagebuch: „Führer tern nach Arbeit gefragt und von ihnen immer sehr scharf gegen asoziale Elemente. Müssen aus- eine verneinende Antwort, aber ein Stück Wurst 15 radiert werden.“ Seitdem wurden „Arbeitsscheue“ 5 erhalten. Der Zeuge [Hauptwachtmeister Kauf- und sogenannte „Asoziale“ in Konzentrationslager mann] hat ihn jedoch in ein Haus hineingehen eingewiesen und anderen Zwangsmaßnahmen sehen, wo er nach den Feststellungen des Zeugen (beispielsweise Sterilisation) unterworfen. Bei der nicht nach Arbeit fragte, sondern um eine Tasse von der Kriminalpolizei im Juni 1938 durchgeführ- Kaffee bat. Auch hat der Zeuge bei ihm Kupfer- 20 ten Aktion „Arbeitsscheu Reich“ wurden mehr als 10 münzen im Betrag von etwa 0,50 Reichsmark ge- 10 000 Personen verhaftet und in Konzentrations- funden, die in ein Tuch eingewickelt waren. [...] lager verschleppt. Viele Deutsche begrüßten das Es kann kein Zweifel bestehen, dass der Ange- harte Vorgehen gegen Menschen, die anders leb- klagte das Geld zusammengebettelt hat. ten als sie. Sie verstanden nicht, dass sie damit Zitiert nach: Wolfgang Ayaß (Bearb.), „Gemeinschaftsfremde“. 25 dem NS-Staat einen Freibrief zur Verfolgung aus- Quellen zur Verfolgung von „Asozialen“ 1933 - 1945, Koblenz 1998, S. 218 f. stellten. Michael Mayer

82 „Volksgemeinschaft“ Konzentrationslager

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 82 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 83 26.02.21 10:19 Gegen Schwache und Kranke

INFO 2 Was heißt „lebenswert“? 5 Opfer in den T4-Tötungsanlagen Die Unmenschlichkeit der NS-Herrschaft bekamen Ort Zeitraum des Mordens Zahl der Ermordeten auch unheilbar Kranke und geistig wie körperlich Grafeneck (b. Reutlingen) Jan. - Dez. 1940 9 839 behinderte Menschen zu spüren. Sie galten als un- Brandenburg an der Havel Feb. - Sept. 1940 9 772 nütz und kostspielig. Es wurde behauptet, dass sie Bernburg an der Saale Okt. 1940 - Aug. 1941 8 601 5 der „Volksgemeinschaft“ nur zur Last fallen und – Hadamar, Nordhessen Jan. - Aug. 1941 10 072 wenn man sie ließe – wieder behinderte und kran- Hartheim bei Linz Mai 1940 - Aug. 1941 18 269 ke Babys zur Welt bringen würden. Das brachte Sonnenstein bei Pirna Juni 1940 - Aug. 1941 13 720 1 man den Kindern bereits in der Schule bei. Insgesamt 70 273 Schon im Juli 1933 wurde ein „Gesetz zur Verhü- Nach: Götz Aly, Die Belasteten. „Euthanasie“ 1939 - 1945. Eine Gesellschaftsgeschichte, 10 tung erbkranken Nachwuchses“ erlassen. Es er- Frankfurt am Main 2013, S. 48 laubte die Zwangssterilisation unheilbar Kranker. Systematisch wurde in der Bevölkerung Stimmung 1 Siehe dazu S. 71. gegen Kranke und Behinderte gemacht und wur- 6 Das Recht auf Leben verwirkt? 2 Bis Kriegsende fielen den Vorurteile geschürt. Am 1. September 1939 Der Bischof von Münster, Clemens August von dem „Gesetz zur Ver- 15 beauftragte Hitler den Reichskommissar für Sani- Galen, wendet sich am 3. August 1941 in einer hütung erbkranken täts- und Gesundheitswesen, angeblich „unheilbar Predigt gegen die Ermordung von behinderten Nachwuchses“ im Kranken“ den „Gnadentod“ zu geben. Anfangs Menschen: Deutschen Reich etwa 360 000 Personen ließ man geisteskranke Kinder einfach verhungern, Es handelt sich hier ja nicht um Maschinen, es zum Opfer. später wurden die Patientinnen und Patienten in handelt sich hier ja nicht um Pferd und Kuh, de- 20 besonderen Anstalten ermordet. Diese Verbrechen ren einzige Bestimmung ist, dem Menschen zu verschleierten die Nationalsozialisten mit dem grie- dienen, für den Menschen Güter zu produzieren. Lesetipp: chischen Begriff „Euthanasie“ („guter Tod“). Die 5 Man mag sie zerschlagen, man mag sie schlach- Elisabeth Zöller, Anton Aktion wurde nach Protesten der Kirchen und ein- ten, sobald sie diese Bestimmung nicht mehr er- oder Die Zeit des un- werten Lebens, Frank- facher Bürger offiziell beendet. Heimlich wurde füllen. Nein, hier handelt es sich um Menschen, furt am Main 102006 25 das Verbrechen jedoch weitergeführt.2 Zugleich unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwes- wurde das Personal der Gaskammern auch für den tern! Arme Menschen, kranke Menschen, unpro- Internettipps: Mord an den sowjetischen Kriegsgefangenen und 10 duktive Menschen meinetwegen! Aber haben sie Weitere Informationen den europäischen Juden eingesetzt. damit das Recht auf das Leben verwirkt? Hast du, über die Tötungsanla- Michael Mayer habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange gen und die Opfer der wir produktiv sind, solange wir von den anderen Euthanasie findest du 4 Hitlers „Gnadentoderlass“ als produktiv anerkannt werden? unter Code 31064 - 22. In einem auf den 1. September 1939 zurückdatier- Zitiert nach: Georg Denzler und Volker Fabricius (Hrsg.), ten Schreiben Hitlers heißt es: Christen und Nationalsozialisten. Darstellung und Dokumen- te, Frankfurt am Main 2015, S. 330 - 340, hier S. 335 Reichsleiter Bouhler und Dr. med. Brandt3 sind unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erwei- Welche Ursachen und welche Folgen hat die Ausgrenzung von tern, dass nach menschlichem Ermessen unheil- Schwachen und Kranken? 5 bar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres 1 Nenne die Gruppen, die von den Nationalsozialisten verfolgt wurden, Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt und Ursachen, warum sie verfolgt wurden (M1, INFO 1 und 2). werden kann. 2 In Deutschland wurden nach 1933 Menschen in „Arbeitshäuser“ Zitiert nach: http://ghdi.ghi-dc.org/sub_document. gesperrt. Recherchiere dazu im Internet unter diesem Begriff und cfm?document_id=1528&language=german (Zugriff: erkläre diesen. Beziehe dabei auch die Quellen M2 und M3 in deine 25. 09. 2020) Überlegungen ein. 3 Philipp Bouhler (1899 -1945) war SS-Obergruppenfüh- 3 Nehmt in einer Diskussion Stellung zum Begriff „Euthanasie“ (INFO 2), rer und Chef der Kanzlei des Führers, Karl Brandt dem Erlass Hitlers (M4) und dessen Folgen (M5) sowie zu Galens (1904 -1948) war SS-Gruppenführer und Reichskommis- sar für Sanitäts- und Gesundheitswesen. Predigt auszug (M6). H

14. 7.1933: „Gesetz zur Verhütung 18.10.1935: „Gesetz zum Schutze 14.12.1938: Systematische Erfassung aller „Zigeuner“ beginnt erbkranken Nachwuchses“ der Erbgesundheit des deutschen 1. 9.1939: Hitlers „Gnadentod-Erlass“ Volkes – Ehegesundheitsgesetz“ 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 83 1930 1935 1940 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 82 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 83 26.02.21 10:19 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Das Konzentrationslager Dachau

2 Keine Bedenken Der Münchner Polizeipräsident Hein- rich Himmler gibt am 20. März 1933 fol- gende Presseerklärung zur Eröffnung des Lagers Dachau ab: Am Mittwoch wird in der Nähe von Da- chau das erste Konzentrationslager er- öffnet. Es hat ein Fassungsvermögen von 5 000 Menschen. Hier werden die 5 gesamten kommunistischen und – so- weit notwendig – Reichsbanner1 und marxistischen Funktionäre, die die Si- cherheit des Staates gefährden, zusam- mengezogen, da es auf die Dauer nicht 10 möglich ist […], die einzelnen kommu- nistischen Funktionäre in den Gerichts- 1 Tor im ehema- gefängnissen zu lassen, während es an- ligen Eingangsgebäu- INFO Das KZ Dachau wird errichtet dererseits auch nicht angängig ist, diese Funktio- de des Konzentrati- An der Spitze der SS stand seit 1929 der aus Mün- näre wieder in die Freiheit zu lassen. […] Wir onslagers Dachau Foto von Olaf Schülke, chen stammende Heinrich Himmler. 1933 wurde er 15 haben diese Maßnahme ohne jede Rücksicht auf 2017 Polizeipräsident von München. Unter seiner Lei- kleinliche Bedenken getroffen in der Überzeu- Die SS hatte den tung entstand im März 1933 in Dachau ein Lager gung, damit zur Beruhigung der nationalen Be- Spruch „Arbeit macht 5 für viele Menschen. In dieses Konzentrations- völkerung und in ihrem Sinn zu handeln. frei“ 1936 an das Lager- lager (KZ) brachten Polizei und SS Menschen aus Münchner Neueste Nachrichten vom 21. März 1933 tor anbringen lassen. politischen, weltanschaulichen und rassistischen Ein Häftling hatte ihn 1 Reichsbanner: Siehe S. 45. in einer Werkstatt Gründen. Bis Jahresende 1933 wurden rund 5 000 schmieden müssen. Häftlinge in Dachau eingeliefert. Es handelte sich Das Motto wurde spä- 10 dabei zu 80 Prozent um Kommunisten. Hinzu ka- 3 Ein Opfer berichtet ter auch in anderen men Sozialdemokraten und andere „Staatsfein- Der 43-jährige jüdische Kaufmann Otto Marx aus Konzentrationslagern de“. Nach 1938 wurden verstärkt Juden, nach wie Auschwitz-Birke- Weiden wird am 12. April 1933 in das KZ Dachau nau (siehe S. 98) und 1939 immer mehr Ausländer in das Lager ver- eingeliefert und dort bis zum 18. November 1935 Theresienstadt ver- bracht. Sie waren oft aufgrund eines bloßen Ver- festgehalten. Danach flieht er in die USA. Dort wendet. 15 dachts inhaftiert worden, manche erfuhren nicht verfasst Marx 1940 folgenden Bericht über seine einmal weshalb. Haft: Innerhalb kürzester Zeit wurde das KZ Dachau zu Mittags um 12 Uhr langten wir in Dachau an. Das Internettipps: einem „Modell“ für ganz Deutschland. Andere La- Lager war eine frühere, im Weltkrieg 1914 - 18 in Eine umfangreiche Doku- ger wie etwa Flossenbürg in der Oberpfalz, Sach- Betrieb gewesene Munitionsfabrik. Dasselbe war mentation über das KZ Dachau, einen virtuellen 20 senhausen bei Berlin oder Buchenwald bei Weimar mit einer ca. 4 Meter hohen Mauer umgeben, und Rundgang über die Ge- wurden in ähnlicher Form errichtet. Zudem wur- 5 innerhalb der Mauer befand sich ein 2 ½ Meter denkstätte sowie Zeit- den SS-Wachmannschaften in Dachau ausgebildet. hoher Stacheldraht, welcher stark elektrisch gela- zeugenberichte aus den 1937 umfassten diese als „Totenkopfverbände“ den war. Einige Wochen später wurden 3 Beton- KZ Dachau und Flossen- bezeichneten Mannschaften 3 500 Männer. Sie türme mit je 3 schweren Maschinengewehren und bürg findest du unter Code 31064 - 23. 25 wurden anschließend in ganz Deutschland und Scheinwerfern in diese hohe Mauer eingebaut, so- nach 1939 auch in den besetzten Gebieten einge- 10 dass jeder Versuch einer Flucht sinnlos gewesen setzt. wäre. Bei unserer Ankunft im Lager wurden wir in → Michael Mayer

84 Konzentrationslager

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 84 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 85 26.02.21 10:19 Das Konzentrationslager Dachau

den sogenannten Schubraum geführt und vom 4 Kommunisten auf der Flucht erschossen. Der- Kopfe bis zu den Füßen peinlich genau unter- 60 artige Vorkommnisse waren an der Tagesordnung sucht. Wer Taschenmesser und Geld besaß, [dem] [...]. 15 wurde dasselbe abgenommen, das Geld haben wir Inzwischen war der 25. April 1933 herangekom- später zum kleineren Teil wieder bekommen. Ge- men, der für mich ein denkwürdiger Tag werden fangenenkleidung und Schuhe bekamen wir nicht, sollte. An diesem Tage kamen sehr viele Transpor- da noch gar nichts vorhanden war und das Lager 65 te aus allen Gauen, es waren viele Juden dabei, es noch nicht eingerichtet war. wurde furchtbar geschlagen und das Blut floss in 20 Jeder Gefangene bekam eine Nummer, und ich er- Strömen. Die SS-Wachtruppe befand sich in hielt die Nummer 346. Ich bekam an diesem ers- einem Blutrausche. Ich hatte schon gehofft, mit ten Tage bereits einen bitteren Vorgeschmack, heiler Haut davonzukommen, aber ich wurde an denn es wurde nicht mit Ohrfeigen und Schlägen 70 diesem Abend eines anderen belehrt. Gegen gespart, obwohl ich selbst an diesem Tage noch Abend 7 Uhr kamen 2 SS-Leute in meine Unter- 25 glimpflich davonkam. Nun wurde ich einer Kom- kunft und sagten zu mir, ich solle zum Lagerver- pagnie zugeteilt und kam in die 2te Kompagnie. walter kommen. Ich meldete mich dort selbst und Ich möchte noch bemerken, dass das Lager bis zu der Verwalter sagte zu mir, gehen Sie nur dort meiner Entlassung am 18. November 1935 aus 10 75 durch diese Türe. Ich befand mich in einer Arrest- Kompagnien bestand. Jede Kompagnie bestand zelle. Um mich herum verteilten sich 4 SS-Leute, 30 aus 5 Korporalschaften zu je 54 Mann, sodass eine jeder in der Hand ein[en] Ochsenziemer1. Sie emp- vollbelegte Kompagnie 270 Mann stark war. Jeder fingen mich mit dem Ruf: Saujude, Schweinehund Mann bekam sein Bett, bestehend aus einem und ähnlichen unflätigen Redensarten. In dem Strohsack, einem Kopfpolster, 2 wollenen Decken, 80 Raume befand sich ein Holzbock und [dort] be- blaukarierte Bettbezüge, 1 weißes Leintuch – ge- fahlen mir meine Peiniger, mich darüberzulegen. 35 nau wie bei der Armee. Das Bett musste peinlich Ich protestierte heftig gegen diese Behandlung, sauber gehalten werden und jeden Tag kerzen- dass ich 4 Jahre im Weltkrieg mitgemacht habe gerade gemacht sein. Wer sein Bett einige Male und für Deutschland gekämpft habe. Als ich mei- unvorschriftsmäßig machte, bekam 25 kräftige 85 ne Arme zur Abwehr bewegte, zog der berüchtigte Stockhiebe. [...] Außerdem bekam jeder Mann Massenmörder Hans Steinbrenner seine entsi- 40 1 Teller, 1 Schüssel und Essbesteck. Diese Sachen cherte Pistole und setzte mir solche an die Schlä- wurden in einem Gestell aufbewahrt und mussten fe. Ich hatte nur noch Gedanken an Frau und ebenfalls peinlich sauber gehalten werden. Jede Kind, und so ergab ich mich in mein Schicksal. Sie Kompagnie hatte 1 Kompanieführer. Dies war ent- 90 schlugen nun auf mich ein und ergötzten sich Audiotipp: weder ein Scharführer oder 1 gewöhnlicher SS- noch daran. Eine Hörversion der Quelle findest du unter 45 Mann. Jeden Morgen kam derselbe und unterzog Zitiert nach: Wolf Gruner (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermor- Mediecode 31064 -24. Bett und Essgeräte einer genauen Untersuchung. dung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933 - 1945, Bd. 1, München 2008, S. 148 f. Wehe demjenigen, wo etwas gefunden wurde, er wurde sofort ins Gesicht geschlagen und bei eini- 1 Ochsenziemer: eine 80 bis 100 cm lange Schlagwaffe gen Malen bekam er eine Prügelstrafe. 50 Am gleichen Tage meiner Ankunft, am 12. April 1933 abends 5 Uhr, kamen 4 SS-Leute ins Gefange- Was geschieht im KZ Dachau? nenlager und riefen 4 junge Juden im Alter von 1 Nenne die inhaftierten Personengruppen und 19 – 24 Jahren auf. Diese 4 Gefangenen wurden in stelle die scheinlegalen Grundlagen für ihre den sich hinter dem Lager befindlichen Walde ge- Verhaftungen dar (INFO und M2). H 55 führt. Der Führer der Truppe befahl nun Marsch- 2 Untersucht in Partnerarbeit den Bericht von Marsch, das heißt Springen, und die Leute wur- Otto Marx (M3). Wie sah der Alltag im Lager den auf der sogenannten Flucht erschossen. Am aus? Berücksichtigt die Folgen für die Häft- nächsten Tag wurde ein Bericht herausgegeben, linge.

22. 3.1933: Erste Gefangene 1.10.1933: Eine brutale „Disziplinar- 29. 4.1945: Einheiten der US-Armee kommen in das KZ Dachau und Strafordnung“ wird erlassen befreien das KZ Dachau 1933 -1945: Zeit des Nationalsozialismus 85 1930 1935 1940 1945

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bindung sucht, oder wer andere zur Flucht oder 4 Häftlingsjackejacke ausaus zu einem Verbrechen verleitet, hierzu Ratschläge dem KZ Dachauu erteilt oder durch andere Mittel unterstützt, wird Exponat im Hauss der kraft revolutionären Rechts als Aufwiegler ge- Bayerischen Geschich-chich- te in Regensburgg 30 hängt! […] Der französische § 19. Arrest wird in einer Zelle, bei hartem Lager, Kommunist Au- bei Wasser und Brot vollstreckt. Jeden 4. Tag er- guste Pineau hält der Häftling warmes Essen. (1924 - 2012) Strafarbeit umfasst harte körperliche oder beson- wurde 1944 in das KZ Dachau 35 ders schmutzige Arbeit, die unter besonderer eingeliefert. Für Aufsicht durchgeführt wird. BMW musste er Als Nebenstrafen kommen in Betracht: Strafexer- im Außenlager zieren, Prügelstrafe, Postsperre, Kostentzug, har- Allach Zwangs- tes Lager, Pfahlbinden, Verweis und Verwarnun- arbeit leisten. Auf seiner Häft- 40 gen. lingsjacke sind Zitiert nach: Raphael Gross (Hrsg.), Der Frankfurter Ausch- noch Blutspuren witz-Prozess (1963-1965). Kommentierte Quellenedition, Bd. 1, zu erkennen. Frankfurt am Main 2013, S. 160 - 163

5 Strafbestimmungen 6 Über das Konzentrationslager Dachau Der Kommandant des Konzentrationslagers Da- Zwischen 1933 und 1945 sind über 200 000 Men- chau, Theodor Eicke, erlässt am 1. Oktober 1933 schen im KZ Dachau inhaftiert. Mehr als 40 000 eine „Disziplinar- und Strafordnung“, die ein Jahr Menschen überlebten die Haft nicht. Der Histori- später für alle Konzentrationslager gültig wird. ker Nikolaus Wachsmann fasst die Funktionen Im Rahmen der bestehenden Lagervorschriften Dachaus so zusammen: werden zur Aufrechterhaltung der Zucht und Dachau hat mehrere Male sein Erscheinungsbild 5 Ordnung für den Bereich des Konzentrationsla- geändert und mannigfache Funktionen übernom- gers Dachau nachstehende Strafbestimmungen men: Es war Bollwerk der NS-Revolution, Muster- erlassen. […] lager, SS-Ausbildungsstätte, Arbeitssklaven- Toleranz bedeutet Schwäche. Aus dieser Erkennt- 5 Reservoir, Schauplatz von Menschenversuchen, nis heraus wird dort rücksichtslos zugegriffen Massenvernichtungsort und Zentrum eines riesi- 10 werden, wo es im Interesse des Vaterlandes not- gen Außenlager-Netzwerks. Dachau war nicht wendig erscheint. […] das tödlichste Konzentrationslager, aber es war § 11. Wer im Lager […] wahre oder unwahre damals das berüchtigtste, in Deutschland und Nachrichten zum Zwecke der gegnerischen Gräu- 10 außerhalb. elpropaganda über das Konzentrationslager oder Nach: Nikolaus Wachsmann, KL. Die Geschichte der national- 2 15 dessen Einrichtungen sammelt, empfängt, ver- sozialistischen Konzentrationslager, München 2018, S. 682 gräbt, weitererzählt, an fremde Besucher oder an andere weitergibt, […] aus dem Lager hinaus- schmuggelt, Entlassenen oder Überstellten 3 Begründet in Gruppenarbeit folgende Aussa- schriftlich oder mündlich mitgibt, in Kleidungs- gen anhand der Quellen und Materialien: 20 stücken oder anderen Gegenständen versteckt, a) „Die SS errichtete eine Schreckens- und mittels Steinen usw. über die Lagermauer wirft, Willkürherrschaft.“ oder Geheimschriften anfertigt, ferner wer zum b) „Der Terror wurde systematisiert und Zwecke der Aufwiegelung auf Barackendächer perfektioniert.“ und Bäume steigt, durch Lichtsignale oder auf c) „Die Häftlinge galten nicht mehr als Men- 25 andere Weise Zeichen gibt oder nach außen Ver- schen mit Würde und Rechten.“

86 Konzentrationslager Nationalsozialismus

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 86 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 87 26.02.21 10:19 Treffpunkt Geschichte: Erinnerung an Opfer und Täter Erinnerung an Opfer und Täter

INFO Gedenkstätten und Erinnerungsorte Überall in Bayern gibt es Gedenk- und Mahnstät- Schritt für Schritt: KZ-Gedenkstätten besuchen ten für die Opfer des Nationalsozialismus. Einige, wie die Gedenkstätten in Dachau und Flossenbürg, Der Besuch einer KZ-Gedenkstätte unterscheidet sich grundlegend vom erinnern an die ehemaligen Konzentrations- Besuch anderer historischer Stätten. Er setzt Kenntnisse über die Zeit des 5 lager. Darüber hinaus gibt es weitere Erinnerungs- Nationalsozialismus voraus und erfordert Respekt vor dem Leid der vielen orte, an denen der Opfer gedacht wird: unschuldigen Menschen, die der Willkür und dem Terror zum Opfer fielen. • die Außenlager von Dachau und Flossenbürg, Erster Schritt: vorbereiten • Orte, an denen körperlich oder geistig Behin- 1. Informiert euch, welche Themen bei dem Besuch im Mittelpunkt derte ermordet wurden, so etwa das Kloster stehen sollen. Mögliche Schwerpunkte: 10 Irsee bei Kaufbeuren, a. Entstehungsgeschichte • ehemalige Synagogen, die vom Gemeindele- b. Informationen über die Inhaftierten (z. B. Herkunft, Gruppen, ben jüdischer Menschen erzählen (1933 lebten Anzahl) in Bayern etwa 35 000 Juden) und c. Haftbedingungen und Lagerleben • „Stolpersteine“ 1, Stelen oder Gedenktafeln an d. Täter und ihre Taten 15 Wohnhäusern von jüdischen und nichtjüdi- e. Gibt es Aufzeichnungen von Zeitzeugen? schen Verfolgten der NS-Zeit. f. Befreiung des KZ Es gibt in Bayern auch bedeutsame Stätten, die g. Bestrafung der Verantwortlichen man als „Täterorte“ bezeichnen kann, da sie für h. Vom KZ zur Gedenkstätte die Geschichte des Nationalsozialismus sehr wich- 2. Erstellt und verteilt vorab Arbeitsaufträge zu den Themen. 20 tig waren: Das „NS-Dokumentationszentrum Mün- Zweiter Schritt: durchführen chen“ befasst sich ausführlich mit der Geschichte 1. Bearbeitet eure Arbeitsaufträge. der Stadt im Nationalsozialismus. In Nürnberg wie- 2. Vergesst darüber aber nicht, die Gesamtanlage der Gedenkstätte derum, wo die Parteitage der NSDAP stattfanden, wahrzunehmen: Wie ist sie gestaltet? Was wird dort mit welchen befindet sich im Luitpoldhain das „Dokumenta- Mitteln gezeigt? Welche Atmosphäre herrscht? 25 tionszentrum Reichsparteitagsgelände“ und auf 3. Haltet eure Eindrücke vor, während und nach dem Besuch der dem Obersalzberg bei Berchtesgaden erinnert die Gedenkstätte fest. „Dokumentation Obersalzberg“ im ehemaligen Dritter Schritt: nachbereiten „Kehlsteinhaus“ an die Zeit Hitlers auf dem Berg- Präsentiert die Ergebnisse in der vereinbarten Weise. hof und die Geschichte des Nationalsozialismus. Michael Mayer

1 Zu den „Stolpersteinen“ siehe S. 117, M5. Welche Bedeutung hat das Gedenken und Erinnern an die Opfer und Täter der NS-Zeit? 1 Stellt Untersuchungen zu Einzelschicksalen von NS-Opfern aus eurem Internettipp 1: Internettipp 2: Wohn- oder Schulort an. Recherchiert dazu in der „Zentralen Daten- Eine Übersicht der Ge- Die „Zentrale Datenbank denkstätten in Bayern der Namen der Holo- bank der Namen der Holocaustopfer“ (siehe Internettipp 2). findet ihr unter Code caustopfer“ findest du 2 Diskutiert Gründe für das individuelle und das gesellschaftliche Geden- 31064 - 25. unter Code 31064 - 26. ken und Erinnern an die Opfer und Täter des Nationalsozialismus. H

seit 1965: KZ-Gedenk- seit 1999: „Dokumentation Obersalzberg“ seit 2007: Dauerausstellung seit 2015: „NS-Doku- stätte Dachau seit 2001: „Dokumentationszentrum „Konzentrationslager mentationszentrum Reichsparteitagsgelände“ in Nürnberg Flossenbürg 1938 -1945“ München“ 87 1965 1995 2005 2015

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 86 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 87 26.02.21 10:19 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Das nationalsozialistische Deutschland und die Welt

INFO 1 Hitlers Stufenplan Hitlers außenpolitische Vorstellungen sahen in et- wa so aus: In einem ersten Schritt sollte Deutsch- land die Fesseln des Vertrages von Versailles* ab- werfen und eine große Armee aufbauen. In einem 5 zweiten Schritt plante er, einzelne Staaten in Euro- pa (vor allem Polen und die Tschechoslowakei) zu überfallen. So sollten die im Ersten Weltkrieg ver- lorenen Gebiete zurückgewonnen werden. Da Frankreich eine deutsche Machtausdehnung nicht 10 dulden würde, müsse auch gegen dieses Land Krieg geführt werden. Hitler glaubte dabei, dass Großbritannien und Italien Deutschland unterstüt- zen würden. In einem dritten Schritt wollte Hitler Krieg gegen 15 die Sowjetunion führen. Damit sollten zwei Ziele erreicht werden: Einerseits würde auf diese Weise das Zentrum der „jüdischen Kommunisten“ zer- stört werden. Andererseits plante Hitler so, „Le- 1 „Hitlers Kampf bensraum“ im Osten zu erobern. Er glaubte näm- 2 Hitlers Pläne ist der Kampf um den 20 lich, dass in Deutschland zu viele Menschen lebten. Am 3. Februar 1933 spricht Reichskanzler Hitler Frieden der Welt“ Diese sollten in den neu besetzten Gebieten ange- Foto von Otto Weber vertraulich vor der Führung der Reichswehr über siedelt werden und Nahrungsmittel für das Deut- aus einer westdeut- seine Pläne. Ein Teilnehmer hat die Rede wie folgt sche Reich produzieren. schen Kleinstadt, zusammengefasst: 1935/36 Michael Mayer Auch in anderen Städ- Ziel der Gesamtpolitik allein: Wiedergewinnung der politischen Macht. Hierauf muss gesamte ten hingen solche 3 Friedensbeteuerungen Transparente. Staatsführung eingestellt werden (alle Ressorts!). Am 17. Mai 1933 erklärt Hitler in einer vom Rund- 1. Im Innern. […] Beseitigung des Krebsschadens funk übertragenen Reichstagsrede: 5 der Demokratie! Indem wir in grenzenloser Liebe und Treue an 2. Nach außen. Kampf gegen Versailles. […] unserem eigenen Volkstum hängen, respektieren 4. Aufbau der Wehrmacht wichtigste Vorausset- wir die nationalen Rechte auch der anderen Völ- zung für Erreichung des Ziels: Wiedererringung ker aus dieser selben Gesinnung heraus und der politischen Macht. Allgemeine Wehrpflicht 5 möchten aus tiefinnerstem Herzen mit ihnen in 10 muss wieder kommen. […] Wie soll politische Frieden und Freundschaft leben. (Laute Zustim- Macht, wenn sie gewonnen ist, gebraucht werden? mung.) [...] Jetzt noch nicht zu sagen. Vielleicht Erkämpfung Die deutsche Regierung [...] weiß, dass jeder mili- uGeschichte In Clips: neuer Exportmöglichkeiten, vielleicht – und wohl tärische Akt in Europa auch im Falle seines voll- NS-Außenpolitik: Der besser – Eroberung neuen Lebensraums im Osten Weg in den Krieg, siehe 10 ständigen Gelingens, gemessen an seinen Opfern, 15 u. dessen rücksichtslose Germanisierung. Code 31064 - 27. in keinem Verhältnis steht zum möglichen end- Zitiert nach: www.1000dokumente.de/index.html? c=dokument_de&dokument=0109_hrw&object= gültigen Gewinn. (Sehr gut! bei den Nationalsozia- translation&st=HITLER%203.%20FEBRUAR%201933&l=de listen.) → (Zugriff: 16. 04. 2020)

88 Nationalsozialismus

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 88 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 89 26.02.21 10:20 Das nationalsozialistische Deutschland und die Welt

Ebenfalls vor den Abgeordneten des Reichstages 4 Die Stimmung in Bayern und in aller Öffentlichkeit bekennt Hitler am Ein geheimer Stimmungsbericht der SPD-Opposition berichtet im März 2. Mai 1935: 1936 aus Bayern: Das nationalsozialistische Deutschland will den Der begeisterte Hitleranbeter […] glaubt blind, dass es keine andere Poli- 15 Frieden aus tiefinnersten weltanschaulichen tik für Deutschlands neuen Aufstieg gibt. Er ist fest davon überzeugt, Überzeugungen. Es will ihn weiter aus der einfa- dass Hitler keinen Krieg will, dass er mit den übrigen Völkern in Frieden chen primitiven Erkenntnis, dass kein Krieg ge- leben will. [...] Die indifferente1 Masse – das ist auch heute der Großteil eignet sein würde, das Wesen unser allgemeinen 5 des Volkes – schaut dem Kriege vom Schrecken gebannt entgegen. „Was europäischen Not zu beheben, wohl aber dieses da kommt, ist schrecklich, aber man kann nichts machen.“ […] 20 zu vermehren. […] Deutschland braucht den Frie- Dass Hitler durch seine Politik Deutschland in eine verhängnisvolle Isola- den und es will den Frieden! tion hineinmanövriert hat, kommt kaum ins Bewusstsein der Masse. Fast Am 7. März 1936 sagt Hitler in einer Regierungs- alle […] geben der Regierung in ihren außenpolitischen Maßnahmen erklärung: 10 recht. Bisweilen hört man eine leise Hoffnung, dass die Welt sich doch Wir haben in Europa keine territorialen Forde- mit den deutschen Lebensansprüchen abfinden werde und dass es doch rungen zu stellen. Wir wissen vor allem, dass alle nicht zum Kriege zu kommen brauche. die Spannungen, die sich entweder aus falschen Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade), 3. Jg., Nr. 3 25 territorialen Bestimmungen oder aus den Miss- vom 2. April 1936, A 26 f. verhältnissen der Volkszahlen mit ihren Lebens- 1 indifferent: gleichgültig, ohne Interesse räumen ergeben, in Europa durch Kriege nicht INFO 3 Hitlers Erfolge gelöst werden können. Das nächste Ziel war die Tschechoslowakei, wo im „Sudetenland“ eine star- Erster Text zitiert nach: www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_ w8_bsb00000141_00051.html; ke deutsche Minderheit lebte. Im Sommer 1938 provozierten radikale An- zweiter Text: www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_w9_ gehörige der deutschen Minderheit dort Unruhen. Daraufhin wurden Sol- bsb00000142_00046.html; daten in der Tschechoslowakei, Frankreich und Großbritannien in Alarm- dritter Text zitiert nach: www.reichstagsprotokolle.de/Blatt2_ w9_bsb00000142_00079.html (Zugriffe: 17. 04. 2020) 5 bereitschaft versetzt. Europa stand vor einem großen Krieg. In dieser angespannten Situation lud Hitler die Staatschefs aus Frankreich, Großbri- tannien und Italien am 29./30. September 1938 nach München ein. Ohne INFO 2 Die Umsetzung der Pläne beginnt die tschechische Regierung und die ihr verbündete Sowjetunion anzuhö- Am 14. Oktober 1933 trat das Deutsche Reich aus ren, einigte man sich im „Münchner Abkommen“ auf die Abtretung der- dem Völkerbund1 aus. Die Wehrmacht sollte unge- 10 jenigen Gebiete des Sudetenlands an Deutschland, in denen eine deutsche stört aufrüsten können. Im März 1935 wurde die Bevölkerungsmehrheit lebte. Ein Krieg war noch einmal abgewendet wor- allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt, obwohl den. 5 das gegen den Vertrag von Versailles verstieß. Ein Nach fünfeinhalb Jahren hatte Hitler zwei seiner außenpolitischen Haupt- Jahr später zogen deutsche Soldaten in das Rhein- ziele erreicht. Zum einen, weil er seine eigentlichen Ziele geschickt hinter land ein, das 1919 zur entmilitarisierten Zone er- 15 Friedenspropaganda versteckte und als bloße „Revision von Versailles“ klärt worden war. Ihren Abschluss fand die „Revi- tarnte. Zum anderen, weil man in Großbritannien eine sogenannte „Ap- sion von Versailles“ mit dem „Anschluss“ Öster- peasement-Politik“ betrieb und glaubte, Hitler durch begrenzte Zugeständ- 10 reichs an das Deutsche Reich. Im März 1938 nisse von einem Krieg abhalten zu können. Von der Mehrheit der Deut- marschierten Truppen der Wehrmacht in das Nach- schen wurde jeder von Hitlers Erfolgen als ein Schritt hin zu „Deutschlands barland ein. Sie wurden von der Bevölkerung mit 20 alter Größe“ begeistert gefeiert. Jubel empfangen. Deutschland gewann damit zu- Michael Mayer gleich auch 1,4 Milliarden Reichsmark an Gold und 15 Devisen sowie große Rohstoffvorräte, über die Ös- Welche außenpolitischen „Erfolge“ erzielt Hitler bis 1938? terreich verfügte. 1 Vergleiche Hitlers Pläne mit den Friedensbeteuerungen (M1 bis M4). Michael Mayer 2 Erkläre, warum Hitler seine Pläne schrittweise umsetzten konnte 1 Völkerbund: Siehe S. 38. (INFO 1, 2 und M4). 3 Beurteile die internationalen Reaktionen auf Hitlers Vorgehen (INFO 3).

13.10.1933: Deutsches Reich kündigt 16. 3.1935: Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht Mitgliedschaft im Völkerbund 7. 3.1936: Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland 13. 3.1938: „Anschluss“ Österreichs 29. / 30. 9.1938: Beilegung der „Sudetenkrise“ („Münchner Abkommen“) 89 1930 1935 1940 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 88 26.02.21 10:19 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 89 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Der Krieg beginnt

1 „Der Schlagbaum an der polnischen Grenze wird beseitigt“ Fotos von Hans Sönnke vom 1. September 1939 Nach dem Überfall auf Polen wurde die obere Abbildung verbreitet. Sie zeigt, wie die deutsch-polnische Grenze in der Nähe von Danzig durchbrochen wurde, und galt nach dem Zweiten Weltkrieg für lange Jahre als wich- tigstes Fotodokument, um den Kriegsbeginn zu bebil- dern. Dabei ist das Foto eine Inszenierung. Das belegt die andere Fotografie. Sie zeigt die Vorbereitungen der Inszenierung. Danziger „Landespolizisten“ und Grenz- beamte stellen den Abriss des polnischen Schlagbaums vor dem Zollhaus nach. Ganz links im Bild ein Kamera- mann. Den Schlagbaum sägte man zuvor an, damit die Männer ihn lächelnd zerbrechen konnten. Das polni- sche Hoheitszeichen, das einer der Uniformierten auf dem oberen Foto festhält, stammte von einem nahe gelegenen Forsthaus.

starben. Gleichzeitig marschierte die sowjetische Armee in Ostpolen ein. Polen hörte damit auf zu 25 existieren. Teile Westpolens wurden an das Deut- sche Reich angegliedert. Im Restbereich ihrer Beute gründeten die Deutschen im Oktober 1939 das „Generalgouvernement“, das brutal regiert wurde. INFO 1 Vom Vertragsbruch zum Krieg Michael Mayer Schon im März 1939 brach Hitler das „Münchner Abkommen“: Deutsche Truppen marschierten in 2 „Volksstimmung“ bei Kriegsbeginn Prag ein. Aus dem Westen der Tschechoslowakei Ein geheimer Stimmungsbericht der im Exil ar- uGeschichte In Clips: wurde das deutsch besetzte „Protektorat Böhmen beitenden SPD-Opposition berichtet im Oktober Zum deutschen Überfall 5 und Mähren“. Die formal unabhängige Slowakei 1939: auf Polen siehe Clip- wurde vom Deutschen Reich abhängig. Wir haben aufgrund unserer Berichte bis in die Code 31064 - 28. Hitler plante aber bereits den Überfall auf Polen. letzte Zeit hinein immer wieder feststellen kön- Um dabei freie Hand zu haben, schloss er am nen, dass das deutsche Volk in seiner überwälti- 23. August 1939 mit dem sowjetischen Diktator genden Mehrheit keinen Krieg wollte. […] 10 Josef Stalin ein Abkommen („Hitler-Stalin-Pakt“). 5 Bayern: Ein wesentlicher Teil der Bevölkerung Die Sowjetunion versprach, sich im Kriegsfalle hofft noch immer, dass die Franzosen doch nicht Kartentipp: Deutschland gegenüber neutral zu verhalten. Zu- Zum Verlauf des Krieges mitmachen werden und die Sache deshalb bald in Europa von 1939 bis dem teilten sich beide Staaten Polen auf. Am zu Ende gehe. Allerdings sind es meist die Kritik- 1942 siehe die Karte auf 1. September 1939 marschierte Deutschland in losen, die noch immer blindlings glauben, was in S. 250. 15 Polen ein. Daraufhin erklärten Frankreich und 10 der Zeitung steht oder ihnen von einem Nazired- Großbritannien am 3. September 1939 Deutsch- ner vorgeschwätzt wird. Die politisch Denkenden History App: land den Krieg. Damit begann der Krieg, der rechnen dagegen vielmehr damit, dass England Zum Zweiten Weltkrieg schrittweise zum Zweiten Weltkrieg wurde. und Frankreich Deutschland niederringen wer- siehe den Code 31064 - 29. Innerhalb weniger Wochen eroberten die deut- den, selbst wenn noch Russland an der Seite 20 schen Truppen den westlichen Teil Polens. Sie gin- 15 Deutschlands in den Krieg eingreifen würde. gen dabei mit großer Härte vor und bombardierten Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei viele Städte. 66 000 Polen und 10 000 Deutsche Deutschlands (Sopade), 6. Jg., Nr. 8 vom 24. 10. 1939, A 21

90 1939 - 1945: Zweiter Weltkrieg

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 90 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 91 26.02.21 10:20 Der Krieg beginnt

INFO 2 Eine Welle der Gewalt in Polen Hitler sprach bereits am 7. September 1939 von einer „völkischen Flurbereinigung“ in Polen. Er meinte damit, dass in Polen alle Menschen ermor- März 1939 Eingliederung des det werden sollten, die von den Deutschen als Memelgebietes 5 „unerwünscht“ angesehen wurden: Adel, Geist- NIEDER- liche, Intellektuelle und Juden. LANDE Berlin Für die Umsetzung der Mordhandlungen wurden „Einsatzgruppen“ aus Mitarbeitern der Gestapo1 Deutsches Reich POLEN und der Kriminalpolizei aufgestellt. Gemeinsam Sept. 1938 Annexion des Sudetenlandes 10 mit Wehrmachtssoldaten und Angehörigen der 1936 deutschen Minderheit in Polen töteten sie inner- Remilitarisierung des Rheinlandes halb weniger Wochen 22 000 Menschen. Der Mas- senmord an den polnischen Führungsschichten März 1939 TSCHECHOSLOWAKEI 1935 Zerschlagung der sollte jeglichen Widerstand ersticken und Polen zu Eingliederung Rest-Tschechoslowakei, März 1939 des Saargebietes Errichtung des Protektorats Einrichtung der 15 einer Art Kolonie machen. Die Überlebenden soll- Böhmen und Mähren „Schutzzone” FRANK- ÖSTERREICH ten den Deutschen als billige Arbeitskräfte dienen. REICH März 1938 UNGARN „Anschluss” Österreichs Viele jüdische Einwohner Polens wurden misshan- delt oder ermordet. Ihr Besitz wurde beschlag- 4 Die Erweiterung des deutschen Machtbereiches bis März 1939 nahmt. Nach und nach wurden sie in Ghettos* im 20 „Generalgouvernement“ zusammengepfercht. INFO 3 Weitere Eroberungen Michael Mayer Um einen längeren Krieg führen zu können, war Deutschland auf Eisenerz aus Schweden angewiesen, das beinahe die Hälfte des deutschen Bedarfs 1 Gestapo: Siehe S. 74, Anm. 1. deckte. Da aber britische und französische Truppen in Norwegen landeten, weitete Deutschland im April 1940 den Krieg auf Dänemark und Norwegen 3 Was war für Polen geplant? 5 aus. Am 10. Mai 1940 marschierten deutsche Truppen in Belgien, Frank- Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Rein- reich, Luxemburg und den Niederlanden ein. Schon am 21. Juni 1940 wur- hard Heydrich, informiert am 7. September 1939 de nach einem „Blitzkrieg“ schließlich ein Waffenstillstand mit Frankreich in einer geheimen Besprechung über die Pläne für geschlossen, nachdem die übrigen Staaten bereits kapituliert hatten. Die die Zukunft Polens: Besatzung verlief zumindest anfangs relativ ruhig, zu Gewaltexzessen wie Die führende Bevölkerungsschicht in Polen soll 10 in Polen kam es im Norden und Westen nicht. so gut wie möglich unschädlich gemacht werden. Die Menschen in Deutschland, die den Beginn des Krieges mit großer Angst Die restlich verbleibende niedrige Bevölkerung erlebt hatten, atmeten nun auf. Sie hofften, dass der Konflikt damit been- wird keine besonderen Schulen erhalten, sondern det sein würde. Großbritannien aber setzte den Krieg fort. Hitler beschloss 5 in irgendeiner Form heruntergedrückt werden. daraufhin, britische Städte zu bombardieren, um das Land zu einem Frie- [...] 15 densschluss mit Deutschland zu zwingen. Dies gelang jedoch nicht. Es wird entschieden, dass die Führerschicht, die Michael Mayer auf keinen Fall in Polen bleiben darf, in deutsche KZs kommt, während für die Unteren provisori- 10 sche KZs hinter den Einsatzgruppen an der Gren- Wie kommt es zum Zweiten Weltkrieg? Welche Auswirkungen hat ze angelegt werden, von denen diese gegebenen- der Kriegsbeginn auf die Menschen? falls sofort in das restlich verbleibende Polen ab- 1 Untersuche die Hintergründe des deutschen Überfalls auf Polen 1939 geschoben werden können. (INFO 1, M3 und M4). Berücksichtige den „Hitler-Stalin-Pakt“. F Zitiert nach: Kurt Pätzold (Hrsg.), Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung. Dokumente des faschistischen Antisemitismus 2 Vergleiche die Reaktionen der deutschen Bevölkerung auf den Kriegs- 1933 - 1942, Leipzig 1983, S. 234 ausbruch mit denen vom August 1914 (M2 und INFO 3). 3 Charakterisiere die deutsche Besatzungspolitik in den eroberten Gebie- ten (INFO 1 bis 3).

24. 8.1939: Deutsch-sowjetischer 1. 9.1939: Deutscher Angriff auf Polen Nichtangriffspakt (Hitler-Stalin-Pakt) 3. 9.1939: Kriegserklärung Großbritanniens und Frankreichs an Deutschland 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 91 1935 1940 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 90 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 91 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Die Sowjetunion wird überfallen

INFO 2 Der Überfall 1 Männer einer deutschen Einsatz- Am 22. Juni 1941 überfielen drei Millionen deut- gruppe erschießen sche Soldaten (unterstützt von ihren Verbündeten sowjetische Juden aus Finnland, Italien, Rumänien, der Slowakei und Undatiertes Foto, ver- Ungarn) die Sowjetunion. Sie stießen sehr rasch mutlich aus Winniza 5 Richtung Leningrad (heute: Sankt Petersburg), (Ukraine) Moskau und Kiew vor. Auch machten sie viele Im Hintergrund sind Wehrmachtssoldaten Kriegsgefangene. Doch bereits Anfang August und Angehörige des stockte der Vormarsch. Bis Jahresende war schon Reichsarbeitsdienstes eine Million deutscher Soldaten gefallen. Die Rote zu erkennen. 10 Armee verfügte hingegen trotz hoher Verluste Das Foto steht hier stell- über mehr Reserven, um neue Truppen an die vertretend für den deut- schen Vernichtungs- Front zu führen. Spätestens im Winter 1941, als krieg in der Sowjetuni- der deutsche Vormarsch vor Moskau gänzlich ge- on, der das Leben von stoppt worden war, wussten die Generäle, dass mehr als 15 Millionen 15 der Krieg gegen die Sowjetunion nicht mehr zu Zivilisten, darunter 2,4 gewinnen war. Millionen Juden und 300 000 Roma, aus- Michael Mayer löschte. INFO 3 Gewaltexzesse Die Einheiten der Wehrmacht wurden von Einsatz- INFO 1 Lebensraum im Osten gruppen aus SS und Polizei begleitet. Die Einsatz- Eines der wichtigsten Ziele Hitlers war es, „Lebens- gruppen ermordeten oft wahllos jüdische Männer raum im Osten“ zu erobern. Hierzu plante er ge- und kommunistische Funktionäre, teilweise unter meinsam mit der Wehrmachtsführung, die Sowjet- 5 Mithilfe der Wehrmacht. Im Baltikum und der Uk- union zu überfallen. Dies war eine sehr riskante raine wurden sie dabei auch von der einheimi- 5 Strategie, da Deutschland zu dem Zeitpunkt weder schen Bevölkerung unterstützt, die sich für Verbre- über genügend Waffen und Rohstoffe noch über chen des sowjetischen Geheimdienstes an eigenen viele Soldaten verfügte, um einen längeren Krieg Bürgern rächen wollte. durchzustehen. Aus diesem Grunde wurde be- 10 Ab September 1941 standen deutsche Soldaten schlossen, schnell und mit größter Brutalität vorzu- vor Leningrad (heute St. Petersburg), dem zweit- 10 gehen. Rücksicht auf die Menschen in der Sowjet- größten Wirtschafts- und Kulturzentrum der Sow- union sollte nicht genommen werden, da diese jetunion. Die Stadt wurde absichtlich nicht einge- nach der Ideologie der Nationalsozialisten als nommen, sondern 900 Tage lang beschossen und „minderwertig“ galten. 15 bombardiert, um die Bevölkerung auszuhungern. Die eroberten Gebiete sollten rücksichtslos ausge- Über zwei Millionen Menschen, darunter 400 000 15 beutet werden, um den Krieg im Westen weiterzu- Kinder, litten nicht nur unter den Luftangriffen und führen. Dabei war sich die deutsche Führung darü- dem Artilleriebeschuss, sondern auch unter Hun- ber bewusst, dass Millionen Menschen verhungern ger, Kälte und Seuchen. Als die Rote Armee Lenin- würden, wenn der überwiegende Teil der Lebens- 20 grad im Januar 1944 befreite, waren mehr als mittel von der Wehrmacht verbraucht oder nach 660 000 Menschen gestorben. 20 Deutschland abtransportiert würde. Der Krieg ge- Michael Mayer gen die Sowjetunion war also von Anfang an als Vernichtungskrieg geplant. Michael Mayer

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 92 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 93 26.02.21 10:20 Die Sowjetunion wird überfallen

2 Der „Hungerplan“ Leningrad Vormarsch der Deutschen Am 2. Mai 1941 wird in einer Besprechung mit EST.** Wehrmacht und Verbündeter Vertretern der Wehrmacht der Krieg gegen die SCHWEDEN Front Sowjetunion geplant: LET.** Ostsee 1. Der Krieg ist nur weiter zu führen, wenn die ge- Moskau LIT.** samte Wehrmacht im 3. Kriegsjahr aus Russland ernährt wird. Berlin Minsk 2. Hierbei werden zweifellos zig Millionen Men- DEUTSCHES POLEN* SOWJET UNION REICH Warschau Wolga 5 schen verhungern, wenn von uns das für uns Not- 22. Juni 1941 Aug. 1941 Nov. 1942 Angriff wendige aus dem Lande herausgeholt wird. […] SLOWAKEI Kiew Don Stalingrad Zitiert nach: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor Charkiw Lwiw Dnjeper dem Internationalen Militärgerichtshof, Nürnberg, 14. Novem- Dnjepropetrowsk ber 1945 bis 1. Oktober 1946, Nürnberg 1948, Bd. 31, S. 84, und UNGARN Bd. 36, S. 145

JJUGOSLAWIENUGOSLAWI RUMÄNIEN Odessa 3 Der „Kommissarbefehl“ Krim EN Kaukasus Auf Befehl Hitlers erlässt die Wehrmacht am 500 km Schwarzes Meer Grosny 6. Juni 1941 folgende Richtlinien: *Polen 1939 vom Deutschen Reich und der Sowjetunion besetzt **baltische Staaten 1940 von der Sowjetunion annektiert 1. In diesem Kampfe ist Schonung und völker- Quelle: bpb, Dept. of History USMA West Point rechtliche Rücksichtnahme diesen Elementen ge- 5 Überfall auf die Sowjetunion genüber falsch. Sie sind eine Gefahr für die eigene Sicherheit und die schnelle Befriedung der er- 5 oberten Gebiete. 2. Die Urheber barbarisch asiatischer Kampfme- thoden sind die politischen Kommissare. Gegen [genannt werden zwei Personen], weil sie sich diese muss daher sofort und ohne Weiteres mit nicht den Befehlen der Besatzungsmacht beug- aller Schärfe vorgegangen werden. ten. Etwa zur selben Zeit wurden in unserem Dorf [es folgen drei Namen] erschossen, nur dafür, 10 Sie sind daher, wenn im Kampf oder Widerstand 1 faschistisch: Gemeint 15 dass sie angeblich das Päckchen eines deutschen ergriffen, grundsätzlich sofort mit der Waffe zu ist hier die nationalisti- erledigen. Soldaten entwendet haben sollten. Für die kleins- sche, antidemokrati- Zitiert nach: www.1000dokumente.de/index.html?c= ten Übertretungen der Besatzungsordnung sche, rassistische, anti- dokument_de&dokument=0088_kbe&object=translation peitschten die deutschen Henker die Zivilbevöl- kommunistische und &st=&l=de (Zugriff: 18. 04. 2020) kerung aus. […] Der faschistische1 Henker Paul menschenverachtende Weltanschauung der 20 schlug die Frauen mit der Peitsche auf den Rü- Nationalsozialisten; 4 Deutsche Gewalttaten cken, während die deutschen Offiziere diese Bil- der Ausdruck bezieht Die Russin Materna F. Wasiljewna schildert einer der mit ihren Kameras festhielten. sich auf den in den sowjetischen Untersuchungskommission 1945 die Zitiert nach: Felix Römer, Die narzisstische Volksgemeinschaft. 1920er-Jahren in Ita- deutsche Herrschaft in ihrem Dorf Danilowo: Theodor Habichts Kampf 1914 bis 1944, Frankfurt am Main lien entstandenen 2017, S. 269 f. Faschismus. Seit den ersten Tagen der Besatzung verübten die deutschen Banditen Gewalttaten gegenüber der örtlichen Bevölkerung. Sie nahmen der Bevölke- rung unter Androhung von Waffengewalt deren Wozu und wie wird der Krieg gegen die sowjetische Bevölkerung 5 Brot, Kartoffeln und andere Lebensmittel weg geführt? und lieferten sie so einem unerträglichen Hunger 1 Fasse die angeführten Gründe für den deutschen Überfall auf die aus, in dessen Ergebnis im Frühjahr 1942 folgende Sowjetunion zusammen (INFO 1, 2 und M5) und bewerte sie. Einwohner starben: [Es folgen sechs Namen.]. 2 Nimm Stellung zu dem „Kommissarbefehl“ (M3). Außerdem erschossen die deutsche Banditen 3 Beurteile das deutsche Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung in der 10 folgende Bewohner unseres Dorfes: Im Mai 1942 Sowjetunion (INFO 3, M1, M2 und M4).

24. 8.1939: Deutsch-sowjetischer 22.6.1941: Der Angriff auf die Nichtangriffspakt (Hitler-Stalin-Pakt) Sowjetunion beginnt 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 93 1935 1940 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 92 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 93 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg

2 Die Atlantik Charta (Auszug) 1 „United we are strong, united we will Am 14. August 1941 geben US-Präsident Franklin win“ D. Roosevelt und der britische Premierminister Plakat der US-Streit- Winston Churchill Grundsätze bekannt, an die kräfte, 1944 sich ihre Staaten während des Krieges halten wollen: 1. Ihre Staaten streben weder territoriale noch an- dere Zugewinne an. 2. Sie wünschen keine territorialen Veränderun- gen, die nicht im Einklang mit dem Willen der 5 betreffenden Völker stehen. 3. Sie achten das Recht aller Völker, diejenige Re- gierungsform zu wählen, unter der sie leben wol- len. Sie wünschen, dass die Souveränität und die Selbstverwaltung jenen zurückgegeben werden, 10 denen sie gewaltsam entrissen wurden. Department of State Bulletin vom 16. August 1941, S. 125 (Übersetzung Michael Mayer)

INFO 1 Eine Koalition gegen Hitler entsteht INFO 2 Kriegseintritt der USA In den USA war die Stimmung zum europäischen Das mit Deutschland verbündete japanische Kai- Krieg gemischt. Viele Menschen fürchteten sich serreich war 1937 in die Republik China einmar- davor, in diesen Konflikt hineingezogen zu wer- schiert. Daraufhin hatten die USA Sanktionen ge- den. US-Präsident Franklin D. Roosevelt verkünde- gen Japan erlassen. Mitte 1941 wurde das japani- 5 te jedoch am 6. Januar 1941, sich weltweit für die 5 sche Vermögen in den USA eingefroren und ein Verwirklichung folgender Freiheiten einzusetzen: Ölembargo verhängt. Davon fühlte sich Japan in für Rede- und Meinungsfreiheit, für Religionsfrei- seiner Existenz bedroht. Um die USA zu Zuge- heit, für Freiheit von Not und Hunger sowie für ständnissen zu zwingen, bombardierte das japani- Freiheit von Angst und Bedrohung. Kurz danach sche Militär am 7. Dezember 1941 die amerikani- 10 begannen die USA, Großbritannien im Kampf ge- 10 sche Pazifikflotte im Hafen von Pearl Harbor (Ha- gen Hitler mit Waffenlieferungen zu unterstützen. waii). Elf Schiffe wurden versenkt und 2400 Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion Amerikaner getötet. Einen Tag später erklärten die wurde auch dieses Land mit amerikanischen Waf- USA und Großbritannien Japan den Krieg. Da Quellentipp: fen beliefert. Deutschland seit September 1940 mit Japan und Die Kriegerklärungen der 15 Am 12. August 1941 traf sich Roosevelt schließlich 15 Italien durch einen „Dreimächtepakt“ („Achse Ber- Vereinigten Staaten an mit dem britischen Premierminister Winston Chur- lin-Rom-Tokio“) verbündet war, reagierte Hitler da- Japan sowie Deutsch- chill auf einem Schlachtschiff im Atlantik vor der rauf am 11. Dezember 1941 mit einer Kriegserklä- lands an die USA siehe Code 31064 - 30. kanadischen Küste. Dort erklärten sie in der Atlan- rung gegen die USA. Der europäische Krieg war tik-Charta den gemeinsamen Kampf aller freiheits- zum Weltkrieg geworden. 20 liebenden Nationen gegen die „Nazityrannei“. Michael Mayer Michael Mayer

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 94 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 95 26.02.21 10:20 Vom europäischen Krieg zum Weltkrieg

INFO 3 Wendepunkt des Krieges 1942 setzten Hitler und die Führung der Wehr- macht alles auf eine Karte und gingen gemeinsam mit ihren Verbündeten in der Sowjetunion wieder zum Angriff über. Südrussland mit dem bedeuten- 5 den Rüstungszentrum um die Stadt Stalingrad und die Ölfelder im Kaukasus sollten erobert werden. Bereits im August 1942 kam der deutsche Vor- marsch zum Stehen. Zwar konnte Stalingrad noch unter hohen Verlusten erobert werden, doch ging 10 die Rote Armee im November 1942 zum Gegen- angriff über. Hitler verbot daraufhin, dass sich die 6. Armee zurückziehen konnte. Deshalb wurden 330 000 deutsche, italienische, rumänische und ungarische Soldaten in Stalingrad von der russi- 5 Das Zentrum 15 schen Armee eingekesselt. Ein blutiger Häuser- 4 Vermisst gemeldet von Stalingrad nach kampf zog sich bis Anfang Februar 1943 hin, bis Der katholische Militärpfarrer Karl Augustinus der Befreiung von der deutschen Besatzung der deutsche Kommandeur kapitulieren musste. gilt als vermisst. Am 10. Januar 1943 hat er noch Foto vom 2. Februar Etwa 110 000 Soldaten der Wehrmacht und ihrer aus Stalingrad an seine Mutter und seine Schwes- 1943 Verbündeten gerieten in Gefangenschaft. Von ih- ter folgenden Brief geschrieben: 20 nen kehrten nur rund 6 000 in ihre Heimat zurück. Unsere Lage hat sich, seitdem ich das letzte Mal Michael Mayer schrieb, wesentlich verschlechtert. Wir sind wei- ter zusammengedrängt worden und führen einen 3 Nahkampf verzweifelten Kampf. [...] Namenloses Elend, Tod Der sowjetische Oberstleutnant Alexander Akimo- 5 und Zerstörung ist hier. Von den meisten, die hier witsch Gerassimow berichtet am 17. Dezember sterben, werden die Angehörigen nie eine genaue 1942: Nachricht erhalten. Sie werden als vermisst ge- Die Deutschen entdeckten uns, eröffneten hefti- meldet, aber sie sind tot. ges MG- und Gewehrfeuer, schossen Leuchtrake- Wenn je eine derartige Nachricht zu Euch kom- Kartentipp: ten ab, eröffneten heftiges Granatwerferfeuer. [...] 10 men sollte, dann dürft Ihr annehmen, dass ich un- Zum Verlauf des Krieges Wir kamen näher. Man musste die Soldaten an- ter denen bin, die verwundet, gefangen, erfroren in Europa von 1942 bis 1945 siehe die Karte auf 5 treiben, vorwärtsstoßen, einige gingen nicht. [...] oder verhungert hier geopfert worden sind. [...] S. 251. Als ich vorwärtslief, stürzten alle Rotarmisten Ich glaube nicht, dass ich die Strapazen und Lei- und Kommandeure mir nach. Es entstand ein den lange ertrage, wenn es zum Äußersten geht. Durcheinander, die Deutschen und unsere Män- 15 Ich sehe, dass eine Nacht genügt, einen Men- ner warfen sich in den Nahkampf. Der Bajonett- schen in der Kälte umzubringen. [...] 10 kampf begann. Es war dunkel: Man läuft heran, Grüßet alle, die mir teuer sind [...]. Was ich Euch sieht, es sind die eigenen Leute, und läuft weiter. an Leid zufügte, bitte ich Euch zu verzeihen. Wer eine Jacke trägt, ist Deutscher. Auch Grana- Zitiert nach: Jens Ebert (Hrsg.), Feldpostbriefe aus Stalingrad ten kamen zum Einsatz. Sie überschütteten uns (November 1942 bis Januar 1943), Göttingen 2003, S. 286 f. mit Handgranaten. [...] Von den Deutschen hörte 15 man Gewinsel, die Verwundeten stöhnten. Unse- Welche Ereignisse bestimmen die Wende des Krieges? re Männer sagten: „Ich bin verwundet, nehmt 1 Erläutere die Haltung und Rolle der USA sowie das japanisch-amerika- mich mit.“ Deutsche Verwundete brüllten. Ein nische Verhältnis (INFO 1 und 2). Alptraum war das. 2 Fasse die zentralen Punkte der Atlantik-Charta zusammen (M2). Jochen Hellbeck (Hrsg.), Die Stalingrad-Protokolle. Sowjetische 3 Beurteile den Kampf um Stalingrad (M3 bis M5). Inwiefern ist er ein Augenzeugen berichten aus der Schlacht, Frankfurt am Main „Wendepunkt“ der Weltkrieges (INFO 3)? 2012, S. 393 f.

6. 1.1941: Roosevelt verkündet 14. 8.1941: „Atlantik-Charta“: Grundlage der Anti-Hitler-Koalition die „Vier Freiheiten“ 7. / 8.12.1941: Pearl Harbor; Kriegserklärung der USA an Japan 11.12.1941: Hitler erklärt den USA den Krieg 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 95 1935 1940 2. 2.1943: Kapitulation 1945 der 6. Armee in Stalingrad

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 94 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 95 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Die Ermordung der europäischen Juden

betrachten. Wir sind nicht dazu da, Mitleid mit 10 den Juden, sondern nur Mitleid mit unserem deutschen Volk zu haben. Zitiert nach: Elke Fröhlich (Hrsg.), Die Tagebücher von Joseph Goebbels, Teil II, Bd. 2, München u. a. 1996, S. 498 f.

1 Schon am 30. Januar 1939 hatte Hitler vor dem Reichs- tag die „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ angekündigt. 2 Sentimentalität: Rührseligkeit

4 Über die geplante Durchführung Reinhard Heydrich (siehe S. 91, M3), informiert die Spitzen der Ministerien am 20. Januar 1942 über die auf der „Wannsee-Konferenz“ besproche- 1 Jüdische Kinder im Ghetto Lodz (Litz- nen Pläne: mannstadt) 2 Der Völkermord wird geplant Unter entsprechender Leitung sollen im Zuge der Foto von Walter Gene- Am 16. Juli 1941 schlägt der Chef des Sicherheits- Endlösung die Juden in geeigneter Weise im wein, der ab Juni 1940 dienstes der SS in Posen, Rolf-Heinz Höppner, Osten zum Arbeitseinsatz kommen. In großen als Finanzleiter des dem Reichssicherheitshauptamt in Berlin Folgen- Arbeitskolonnen, unter Trennung der Geschlech- Ghettos tätig war In den besetzten Gebie- des vor: 5 ter, werden die arbeitsfähigen Juden straßen- ten Osteuropas richte- Es besteht in diesem Winter die Gefahr, dass die bauend in diese Gebiete geführt, wobei zweifellos ten die Deutschen mehr Juden nicht mehr sämtlich ernährt werden kön- ein Großteil durch natürliche Verminderung aus- als 1 000 Ghettos ein. nen. Es ist ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die fallen wird. Das Ghetto Lodz be- humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht Der allfällig endlich verbleibende Restbestand stand von 1939 bis 1944 und war das zweitgröß- 5 arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnell- 10 wird, da es sich bei diesem zweifellos um den te nach dem Warschau- wirkendes Mittel zu erledigen. Auf jeden Fall wäre widerstandsfähigsten Teil handelt, entsprechend er Ghetto. Es diente als dies angenehmer, als sie verhungern zu lassen. behandelt werden müssen, da dieser, eine natürli- Durchgangsstation für Zitiert nach: Klaus-Peter Friedrich (Hrsg.), Die Verfolgung und che Auslese darstellend, bei Freilassung als Keim- die Vernichtungslager Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozia- zelle eines neuen jüdischen Aufbaues anzuspre- Chelmno (Kulmhof), listische Deutschland 1933 - 1945, Bd. 4, München 2011, S. 681 Auschwitz-Birkenau, 15 chen ist. [...] Majdanek, Treblinka Im Zuge der praktischen Durchführung der End- und Sobibor. Die Kinder 3 Hitler und die „Vernichtung des lösung wird Europa von Westen nach Osten tragen an ihrer Kleidung Judentums“ durchgekämmt. [...] einen „Judenstern“. Das Joseph Goebbels berichtet am 13. Dezember 1941 Die evakuierten Juden werden zunächst Zug um war im besetzten „Ge- neralgouvernement“ ab in seinem Tagebuch über eine Rede Hitlers bei der 20 Zug in sogenannte Durchgangsghettos verbracht, dem 23. November 1939 Reichs- und Gauleitertagung vom Vortag: um von dort aus weiter nach dem Osten trans- vorgeschrieben. Im Bezüglich der Judenfrage ist der Führer entschlos- portiert zu werden. Reichsgebiet wurde die- sen, reinen Tisch zu machen. Er hat den Juden Zitiert nach: Susanne Heim (Hrsg.), Die Verfolgung und Ermor- se Kennzeichnung am prophezeit, dass, wenn sie noch einmal einen dung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische 1. September 1941 einge- Deutschland 1933 - 1945, Bd. 6, München 2019, S. 261 Weltkrieg herbeiführen würden, sie dabei ihre führt, als die Massen- 1 deportationen aus 5 Vernichtung erleben würden. Das ist keine Phra- Deutschland in die se gewesen. Der Weltkrieg ist da, die Vernichtung Ghettos und Konzentra- des Judentums muss die notwendige Folge sein. tions- bzw. Vernich- Diese Frage ist ohne jede Sentimentalität2 zu tungslager einsetzten.

96 Holocaust bzw. Shoa Konzentrations- und Vernichtungslager

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 96 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 97 26.02.21 10:20 Die Ermordung der europäischen Juden

INFO 1 Vom Massenmord zum Völkermord stern“ öffentlich gekennzeichnet, um sie leichter 1 Siehe S. 92, M1 und Nach dem Überfall auf Polen 1939 pferchten die verhaften zu können. den „Kommissarbe- fehl“ S. 93, M4. Nationalsozialisten die dort lebenden Juden in 10 Am 20. Januar 1942 erläuterte der Chef des 2 Völkermord (engl. Ghettos* ein, um sie zu misshandeln und auszu- Reichssicherheitshauptamtes (RSHA), Reinhard genocide): Auslö- beuten. Eine konkrete Vorstellung für den weite- Heydrich, auf einer Konferenz am Berliner Wann- schung willkürlich be- 5 ren Umgang mit ihnen hatten die Nationalsozialis- see den Spitzen der Reichsministerien den Plan für stimmter Gruppen von ten noch nicht. Nach dem Sieg über Frankreich eine „endgültige Lösung der Judenfrage“: Die eu- Menschen. 1948 defi- nierten die Vereinten 1940 kam kurzzeitig der Plan auf, die europäi- 15 ropäischen Juden sollten systematisch in Vernich- Nationen Völkermord schen Juden in eine französische Kolonie (z. B. Ma- tungslager verschleppt und dort ermordet werden. als eine Handlung, die dagaskar) zu verfrachten. Vor dem Überfall auf die Dasselbe Schicksal sollten auch die Sinti und Roma in der Absicht began- 10 UdSSR im Juni 1941 wurde wiederum überlegt, die erleiden. Die Menschen hatten sich hierzu in den gen wird, eine natio- Juden im sowjetischen Eismeergebiet anzusiedeln. einzelnen Staaten entweder an bestimmten Sam- nale, ethnische, rassi- sche oder religiöse Dabei hatte es für die Nationalsozialisten keine Be- 20 melpunkten einzufinden oder wurden von der Gruppe als solche deutung, dass ein großer Teil der Menschen eine deutschen bzw. lokalen Polizei verhaftet und ab- ganz oder teilweise zu gewaltsame Umsiedlung nicht überleben würde. transportiert. zerstören. 15 Nach dem Einmarsch in die Sowjetunion wurden Seit Frühjahr 1942 fanden viele Massendeportatio- hier massenhaft jüdische Männer von deutschen nen von Juden aus Deutschland und anderen Staa- Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des Si- 25 ten in die besetzten Gebieten Osteuropas errichte- cherheitsdienstes ermordet, da die Nationalsozia- ten Konzentrations- und Vernichtungslager listen glaubten, dass Juden die heimlichen Führer statt. Als letzte größere Gruppe wurden im Früh- 20 der kommunistischen Sowjetunion seien.1 Hierbei jahr 1944 die ungarischen Juden in die Deportatio- wurden die deutschen Soldaten öfter von Einhei- nen einbezogen. Innerhalb von nur zwei Monaten Lesetipp: mischen (z. B. im Baltikum und der Ukraine) unter- 30 wurden 437 402 ungarische Juden nach Auschwitz Fabrice Le Hénanff. stützt. Doch noch wurden in der Regel jüdische deportiert und zumeist sogleich ermordet. Wannsee (Graphic Frauen, Kinder und Alte verschont. Der Massen- Michael Mayer Novel), München 2019 25 mord war bislang kein Völkermord.2 Dies änderte sich etwa im September / Oktober 1941, als deutlich wurde, dass der deutsche An- griff auf die Sowjetunion ins Stocken geriet und die Lebensmittel in den besetzten Gebieten der So- 30 wjetunion nicht ausreichten. Seit September 1941 begannen SS-Einsatzgruppen, alle vermeintlich ar- beitsunfähigen Juden, darunter auch Frauen und Kinder, zu ermorden. Bis März 1942 hatten die Deutschen in der Sowjetunion bereits mehr als 35 600 000 Juden getötet. Viele Juden starben dazu an Seuchen und an Unterernährung. Michael Mayer

INFO 2 Deportation der europäischen Juden In Deutschland sowie in weiten Teilen West-, Nord- und Südeuropas wurden die Juden immer weiter 5 Juden müssen Würzburg verlassen entrechtet und ihres Eigentums beraubt. Dabei Foto vom 25. April 1942 aus einem Album der Staats- wirkten die jeweilige Bevölkerung und die lokalen polizeistelle Würzburg Von November 1941 bis Januar 1944 fanden die Deporta- 5 Behörden vielfach mit (z. B. in Frankreich, Grie- tionen mainfränkischer Juden in die Konzentrations- und chenland, Rumänien, Ungarn etc.). In einem Vernichtungslager statt. Von den 2 069 aus Mainfranken nächsten Schritt wurden Juden mit einem „Juden- deportierten Juden überlebten nur 60 den Holocaust.

23. 11.1939: Im „Generalgouvernement“ 1940: Errichtung des 1. 9.1941: Im Deutschen Reich wird der „Judenstern“ wird der „Judenstern“ vorgeschrieben Konzentrationslagers eingeführt; die Massendeportationen beginnen Auschwitz 20. 1.1942: „Wannsee-Konferenz“: Organisation der „Endlösung der Judenfrage“ in Europa 97 1935 1940 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 96 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 97 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust

wurden wie das Brot beim Bäcker. Ich habe erfah- ren, dass die Goldzähne herausgebrochen und die Haare sortiert wurden. Zitiert nach: Andrea Rudorff (Hrsg.), Die Verfolgung und Er- mordung der europäischen Juden durch das nationalsozialisti- sche Deutschland 1933 - 1945, Bd. 16, München 2018, S. 519

INFO 3 Die Vernichtung Auschwitz-Birkenau ist das bekannteste der sechs Vernichtungslager, die sich auf dem Gebiet des besetzten Polen befanden. Es wurde im Herbst 1941 mitsamt einer Gaskammer für das Giftgas 5 Zyklon B errichtet, um so massenhaft Menschen ermordet zu können. Im Frühjahr 1942 trafen ers- te Transporte mit Juden aus Westeuropa in Au- schwitz-Birkenau ein. Bis Ende 1943 wurden allein in diesem Lager etwa 840 000 Juden ermordet. Die 10 überwiegende Mehrzahl der etwa sechs Millionen 6 „Aussortierung“ ermordeten Juden kam nicht in den Gaskammern 7 Bericht aus Auschwitz-Birkenau ungarischer Juden an der Vernichtungslager ums Leben, sondern wurde Lujza Salamon berichtet am 28. März 1945 über der Rampe des – vor allem in der Sowjetunion – erschossen oder Vernichtungslagers ihre Erlebnisse als Häftlingspflegerin im Lager erschlagen. Viele Menschen starben auch an Un- Auschwitz-Birkenau Auschwitz-Birkenau: 15 terernährung, unbehandelten Krankheiten oder Foto vom 19. Mai 1944 Das eigentliche Krematorium befand sich unter Links oben im Hinter- durch Zwangsarbeit.1 der Erde in einem Bunker. Darin gab es einen sehr grund ist das Torhaus Michael Mayer des Konzentrationsla- großen Raum, eine Gaskammer, und einen weite- gers zu erkennen (siehe ren großen Raum, in dem sich die Menschen aus- 1 Zur Zwangsarbeit siehe auch S. 100 f. S. 116, M1). Die „Aussor- 5 gezogen und ihre Kleider auf nummerierte Haken tierung“ führte ein SS- gehängt hatten. Der Ausziehraum sah eigentlich INFO 4 Der Holocaust Arzt durch. Zu erken- nen ist hier, wie der SS- wie ein Desinfektionsraum aus, sodass die Men- Die systematische Ermordung der etwa sechs Milli- Arzt eine Frau mit schen annahmen, sie würden desinfiziert werden. onen Juden ist seit den 1970er-Jahren als Holo- einem Säugling in den [...] caust (griechisch für „vollständig verbrannt“) be- Tod schickt. 10 1 000 Menschen presste man in einer Gaskammer kannt. Oftmals wird auch der Begriff Shoa (hebrä- Die Aufnahme stammt zusammen, und dann ließ ein SS-Mann das Gas 5 isch für „die Katastrophe“) verwendet. Manche vermutlich von Bern- hard Walter. Er kam aus über drei Öffnungen, die sich auf dem Dach des Historiker betrachten zudem die Massenmorde an Fürth und war seit 1941 Bunkers befanden, hinein. Wenn er wohlwollend anderen Gruppen (z. B. 200 000 Sinti und Roma, SS-Hauptscharführer war, ließ er die ganze Menge auf einmal hinein – eine Million nichtjüdische Polen, 2,8 Millionen so- und Leiter des Erken- 15 dann tötete es die Opfer innerhalb von zehn Mi- wjetische Kriegsgefangene sowie etwa drei bis vier nungsdienstes der Poli- nuten. Aber wenn er die Opfer quälen wollte, 10 Millionen sowjetische Zivilisten) als Teil des Holo- tischen Abteilung in Auschwitz. Zusammen dann ließ er das Gas in kleinen Mengen ein, und caust. mit seinem Assistenten die Unglückseligen mussten dann fruchtbare Die historische Forschung geht heute von 200 000 Ernst Hofmann doku- Qualen ertragen. [...] bis 250 000 deutschen, österreichischen und mentierte er das 20 Nachdem das Gas die Unglücklichen getötet hat- „volksdeutschen“ Tätern aus. Hinzu kommt eine Geschehen – von der te, wurden die Leichen mit einem Fahrstuhl zu 15 nicht genau zu beziffernde Zahl an Personen, die Ankunft der jüdischen den Öfen gebracht, die mit Kohle und Holz ge- mit den deutschen Besatzern zusammenarbeite- Menschen bis zu den Entkleidungskammern heizt wurden. Wie die Verbrennung genau vor ten. der Gaskammern und sich ging, weiß ich nicht, aber es wurde mir er- Michael Mayer Krematorien. 25 zählt, dass die Leichen in die Öfen geschoben

98 Holocaust bzw. Shoa Konzentrations- und Vernichtungslager

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 98 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 99 26.02.21 10:20 Die Ermordung der europäischen Juden

INFO 5 Kein Widerstand? Kindern durch Massenerschießungen getötet Kartentipps: Widerstand war in den Vernichtungslagern und in sein. [...] Man kann kaum von solchen Gräueln Eine Karte zur Ermord- den Ghettos fast unmöglich. Denn zu dem men- mehr hören, es wird einem übel, wenn man da- nung der Juden findest du auf Seite 252; siehe schenverachtenden System der SS gehörte es, dass von hört. [...] auch die animierte Karte sie die Opfer zwang, sie bei der Umsetzung ihrer 10 Unsere Taten schreien zum Himmel, und das zur „Endlösung“ unter 5 Ziele zu unterstützen. Wer am Leben bleiben woll- deutsche Volk, dass sich diese Untaten lüstern er- Code 31064 - 31. te, konnte dies oft nur auf Kosten von Mitgefange- zählt und Erschrecken heuchelt, ist das unschul- nen erreichen. dig an unseren Massengräueln? Nein, das ist es Viele Opfer sahen im Freitod eine Möglichkeit, die- nicht. Nur bei einem Volke mit einer solchen sem Zwang zu entrinnen. Andere ließen sich nicht 15 kritiklosen Gesinnung können solche Rohheits- 10 willenlos zur Schlachtbank führen. Der Warschauer verbrechen vorkommen. Ghettoaufstand im Frühjahr 1943 ist dafür ein Bei- Zitiert nach: Frank Bajohr (Hrsg.), Der Holocaust als offenes Internettipps: spiel. Hier widersetzten sich Juden mit Waffen, als Geheimnis. Die Deutschen, die NS-Führung und die Alliierten, Zahlreiche Informationen München 2006, S. 62 immer mehr von ihnen in die Vernichtungslager über den Holocaust und Auschwitz-Birkenau gebracht werden sollten. Historiker schätzen, dass findest du unter Code 9 15 über 1,5 Millionen Juden als Partisanen und in den „Ist das möglich?“ 31064 - 32. alliierten Armeen gegen den NS-Staat kämpften. Die 18-jährige Ortrun Scheumann berichtet in Klaus Dieter Hein-Mooren ihrem Tagebuch unter dem 10. Dezember 1942 aus Würzburg: INFO 6 Was haben die Deutschen vom Seit einiger Zeit sehe ich keine Juden mehr in den Holocaust gewusst? Straßen und das jüdische Altersheim ist jetzt mit Seit 1942 verbreiteten sich in Deutschland immer Deutschen belegt. Ich hatte keine Ahnung, wohin mehr Gerüchte über Massenerschießungen von Ju- sie alle gekommen waren und war schrecklich den. Vielfach waren es deutsche Soldaten, die auf 5 schockiert, als ich hörte, dass alle Juden, die in Fronturlaub in die Heimat kamen und ihren Ange- Deutschland leben, nach Polen geschickt wurden, 5 hörigen von ihren Erlebnissen berichteten. Ein Ar- wo sie mit Tausenden von polnischen Juden – beitskollege des Technikers Karl Dürkefälden, der Männern, Frauen und Kindern – getötet werden in Celle arbeitete, teilte ihm z. B. im Oktober 1942 sollen! Ist das möglich? Es ist so grausam, so un- mit: „Die armen Juden, mein Schwager war aus 10 glaublich grausam! Ich dachte nicht, dass sogar dem Kaukasus im Urlaub. Sämtliche Juden wurden die Nazis so etwas tun könnten. Gibt es denn gar 10 dort niedergemacht, ganz gleich ob schwangere nichts, das wir unternehmen könnten, um zu Frauen oder Kinder oder Säuglinge.“ Insgesamt helfen? hatten sehr viele Deutsche Gerüchte über Massen- Zitiert nach: www.km.bayern.de/epaper/LZ/EuP/2015_1/files/ morde an Juden vernommen. Doch hatten nur assets/common/downloads/publication.pdf (Zugriff: 18. 04. 2020) wenige einen Überblick über den Holocaust als 15 Ganzes. Michael Mayer Welche Dimension hat der Holocaust*? 1 Beschreibe die Entwicklung, die zum Holocaust führte (INF0 1, M1 bis 8 Mehr als Gerüche M3). Der Handwerksmeister Hermann Frielingsdorf 2 Erläutere, was sich hinter der Formulierung „endgültige Lösung der aus Hamburg schreibt am 19. Juli 1942 in sein Judenfrage“ verbarg (INFO 2, M4 und M5). H Tagebuch: 3 Stelle die Informationen zum Holocaust in einer Mindmap dar In den letzten Wochen sind die letzten Juden in (INFO 3, M6 und M7). H Hamburg abtransportiert worden. Wohin, weiß 4 Arbeite heraus, welche Handlungsalternativen die Gefangenen in den man nicht. Aber schaurige Gerüchte kursieren Vernichtungslagern und Ghettos hatten (INFO 5). darüber im Volke. Sie sollen in Massen an offenen 5 Der Holocaust war ein „offenes Geheimnis“. Überprüfe diese Aussage 5 Gräbern oder auf freiem Felde mit Frauen und anhand von INFO 6, M8 und M9.

nach Nov. 1939: Errichtung 1. 9.1941: In Deutschland müssen die Juden seit Sept. 1941: In der Sowjetunion erschießen SS-Einsatzgruppen von Ghettos in Warschau einen „Judenstern“ tragen jüdische Männer, Frauen und Kinder und anderswo 20. 1.1942: „Wannsee-Konferenz“: Plan für die „Endlösung“ 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 99 1940 Frühjahr 1943: Warschauer Ghettoaufstand 1945

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2 Programm des Arbeitseinsatzes Der Generalbevollmächtigte für den Arbeits- einsatz, Fritz Saukel, legt im April 1942 dem Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, Alfred Rosenberg, ein Programm des Arbeitseinsatzes vor, darin heißt es: Der Zweck des gigantischen neuen Arbeitseinsat- zes ist nun, alle jene reichen und gewaltigen Hilfsquellen, die uns das kämpfende Heer unter der Führung Adolf Hitlers in so überwältigend 5 reichem Ausmaß errungen und gesichert hat, für die Rüstung der Wehrmacht und ebenso für die Ernährung der Heimat auszuwerten. Die Rohstof- fe wie die Fruchtbarkeit der eroberten Gebiete und ebenso deren menschliche Arbeitskraft sol- 1 Zwangsarbeite- 10 len durch den Arbeitseinsatz vollkommen und rinnen aus Osteuropa INFO Ausbeutung und Versklavung gewissenhaft zum Segen Deutschlands und sei- montieren Motoren Je länger der Krieg dauerte, desto mehr plünder- ner Verbündeten ausgenutzt werden. Foto von 1943 Im Mai 1944 arbeiteten ten die Nationalsozialisten die besetzten Gebiete Zitiert nach: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/ German65.pdf (Zugriff: 29. 09. 2020) im Hauptwerk des aus – Nahrungsmittel, Kohle, Öl und Maschinen Volkswagenwerkes in wurden rücksichtslos nach Deutschland gebracht. Wolfsburg über 6 000 5 Auch die deutschen Soldaten profitieren. Im be- 3 „Sklaven für unsere Kultur“ Zwangsarbeiterinnen setzten Frankreich etwa konnten sie für wenig Am 4. Oktober 1943 sagt Heinrich Himmler, der und -arbeiter sowie KZ-Häftlinge aus 13 Geld z. B. Strumpfhosen kaufen und ihren Frauen Reichsführer SS, in Pozna / Posen (Polen) vor Nationen. Die aus Ost- nach Hause schicken. Denn die NS-Regierung hat- SS-Gruppenführern: europa verschleppten te dafür gesorgt, dass die Soldaten für ihren Sold Ein Grundsatz muss für den SS-Mann absolut gel- Arbeiterinnen und 10 sehr viel Landeswährung eintauschen konnten. Die ten: ehrlich, anständig, treu und kameradschaft- Arbeiter stellten davon dortige Bevölkerung zahlte somit letztlich den lich haben wir zu Angehörigen unseres eigenen mehr als die Hälfte. Um 1944 waren nur noch Preis. Zudem wurden in den besetzten Gebieten Blutes zu sein und zu sonst niemandem. Wie es etwa 30 Prozent der Millionen Zwangsarbeiter unter menschenunwür- 5 den Russen geht, wie es den Tschechen geht, ist Gesamtbelegschaft digen Bedingungen eingesetzt. Lohn erhielten sie mir total gleichgültig. Das, was in den Völkern an Deutsche. Die Initiative 15 dafür nicht. gutem Blut unserer Art vorhanden ist, werden wir bei der Einstellung der Zugleich wurden immer mehr Frauen und Männer uns holen, indem wir ihnen, wenn notwendig, die Zwangsarbeiter ging in aller Regel von den aus den besetzten Gebieten ins Deutsche Reich ge- Kinder rauben und sie bei uns großziehen. Ob die Geschäftsleitungen holt – in der Regel mit Gewalt. 1944 arbeiteten 10 anderen Völker in Wohlstand leben oder ob sie aus. rund 7,6 Millionen Zwangsarbeiter („Zivilarbeiter“ verrecken vor Hunger, das interessiert mich nur Internettipps: 20 und „Kriegsgefangene“) aus ganz Europa in soweit, als wir sie als Sklaven für unsere Kultur Informationen zum Deutschland, darunter 10- bis 14-jährige Kinder. brauchen, anders interessiert mich das nicht. Ob Thema Zwangsarbeit Sie lebten meist in Lagern unter unwürdigen Be- bei dem Bau eines Panzergrabens 10 000 russi- findest du unter Code dingungen. Sie ersetzten die in die Wehrmacht 15 31064 - 33. sche Weiber an Entkräftung umfallen oder nicht, eingezogenen Deutschen, arbeiteten in der Land- interessiert mich nur insoweit, als der Panzer- 25 wirtschaft ebenso wie in Fabriken und sorgten da- graben für Deutschland fertig wird. für, das Waffen hergestellt werden konnten und Zitiert nach: www.1000dokumente.de/index. html?c=dokument_de&dokument=0008_pos&object * Das Kapitel ist nicht die Deutschen nicht hungern mussten. =translation&st=&l=de (Zugriff: 29. 09. 2020) verbindlich. Klaus Dieter Hein-Mooren

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4 Ausländische Arbeitskräfte im Reich Zivilarbeiter Kriegsgefangene Belgien 203 262 50 386 Frankreich 654 782 599 967 Italien 158 099 427 238 Niederlande 270 304 – Sowjetunion 2 126 753 631 559 Polen 1 659 764 28 316 Sonstige 648 919 193 521 Insgesamt 5 721 883 1 930 987 Nach: Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländer- politik in Deutschland, München 2001, S. 148 f.

6 Ein polnischer Zwangsarbeiter wird bei Michelsneukirchen 5 Umgang mit „Zivilarbeitern“ in der Oberpfalz erhängt Ein „Merkblatt für deutsche Betriebsführer“ vom Foto vom 18. April 1941 Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit handelt es sich um die Hinrich- September 1943 nennt folgende Beschränkungen: tung des 28-jährigen polnischen Zwangsarbeiters Julian Majka. Sein „Verbrechen“: 1. der Zwang, ein stets sichtbares, mit der jeweili- eine Liebesbeziehung mit einem deutschen Mädchen, das von ihm schwanger war. gen Kleidung fest verbundenes Abzeichen (P) Im Hintergrund: Zwangsarbeiterinnen und -arbeiter. In Bayern sollen über 60 Polen auf der rechten Brustseite zu tragen, auf diese Weise um ihr Leben gekommen sein. 2. das Verbot, den Aufenthaltsort ohne besondere Genehmigung […] zu verlassen, 7 „Wer sich dazu hergab? …“ 3. ein Ausgehverbot für die Nachtstunden, Herta B. (1914 - 1995) aus Thüringen erinnert sich kurz vor ihrem Tod: 4. das Verbot der Benutzung von öffentlichen Ich erinnere mich – obwohl ich es gern vergäße – an ein fürchterliches Verkehrsmitteln oder Fahrrädern ohne orts- Ereignis in Buttstädt. Ein gefangener Pole, der auf einem Bauernhof arbei- polizeiliche Erlaubnis, tete, soll sich mit einer Deutschen eingelassen haben. Was mit der Frau 5. das Verbot der Benutzung des Fernsprechers, geschah, weiß ich nicht; der Pole wurde öffentlich erhängt. Wer sich dazu 6. das Verbot des Besuchs von Theatern, Kinos, 5 hergab? Anscheinend fand sich leicht jemand dafür. Unser Schulleiter, Gaststätten u. a., gemeinsam mit der deut- sonst stramm NS, war wenigstens so vernünftig, die Schulpause zu ver- schen Bevölkerung, […] legen und die entsprechenden Fenster zuziehen zu lassen, sodass die 8. das Verbot des geselligen und insbesondere Schulkinder von dem Schauspiel verschont wurden. Doch wurde mir hin- des intimen Verkehrs mit Deutschen. terher berichtet, dass reichlich Menschen, vor allem Frauen mit Kinder- Zitiert nach: „… so viel an Arbeitsleistung herauszuholen, als 10 wagen und kleinen Kindern auf dem Arm, dem Ereignis zugesehen hat- nur irgend möglich ist“. Zwangsarbeiterinnen und Zwangs- ten. arbeiter in Darmstadt und Südhessen 1939 - 1945, Darmstadt 2002, S. 24 Zitiert nach: Gudrun Braune (Hrsg.), Erinnerungen an die Zeit zwischen 1930 bis 1947, Erfurt 1996, S. 53 f.

Zu welchen Mitteln gegenüber der ausländischen Zivilbevölkerung greift die NS-Kriegswirtschaft? 1 Untersucht in Partnerarbeit die Gründe für 3 Erkläre, warum wohl die Hinrichtung vor anderen Zwangsarbeitern den zunehmenden Einsatz von Zwangsarbei- ausgeführt wurde (M6). tern (INFO, M1, M2 und M4). 4 Die Zwangsarbeiter wurden an deutsche Firmen vermittelt. Bewerte, 2 Nehmt in einem Klassengespräch Stellung zu ob diese Unternehmen den heute noch lebenden ehemaligen Zwangs- der Einstellung gegenüber Zwangsarbeitern arbeitern Entschädigungen für die Sklavenarbeit, den Hunger und die (M3) und deren Auswirkung (M5 bis M7). gesundheitlichen Folgen zahlen sollten. H

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 100 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 101 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Lern- aufgabe Widerstand gegen das NS-Regime

INFO 1 Georg Elser – ein Einzel gänger Der arbeitslose Tischler Georg Elser (geb. 1903) hatte sich vorgenommen, Hitler um- zubringen. Nur so hoffte er, den am 1. Sep- tember 1939 begonnenen Krieg noch 5 stoppen zu können. Sein Attentat plante er für den 8. November 1939 im Bürgerbräu- keller in München, da Hitler dort alljährlich an den Putsch von 1923 erinnerte.1 Dazu mauerte er in einer Säule des Gasthauses 10 eine Bombe mit Zeitzünder ein. Doch an dem Tag beendete Hitler seine Rede früher als geplant – und überlebte so das Atten- tat. Elser wurde kurz darauf gefasst und in das Konzentrationslager Dachau gesperrt. 15 Dort wurde er am 9. Mai 1945 ermordet. Michael Mayer

1 Zum Hitler-Putsch siehe S. 26 f. 1 Abweichendes Verhalten 2 Was ist Widerstand? 3 Georgorg EElser-lser- Foto von 1936 (Aus- Historiker unterscheiden vier Formen „abwei- Denkmal schnitt) chenden Verhaltens“, d. h. vier Verhaltensweisen, Foto aus Königsbronn,Königsbronn, Auf dem Bild sind Ar- 2019 beiter und Angestellte mit denen Menschen zum Ausdruck bringen Im Andenkenken an Georg der Werft Blohm & konnten, dass sie mit den Nationalsozialisten Elsers 65. TTodestagodestag wur- Voss aus Hamburg ver- 5 nicht übereinstimmten: de am 11. AprilApril 2010 amam sammelt. Sie nehmen 1. Nonkonformismus, d. h. Meinungen oder Ver- Bahnhof KönigsbronnKönigsbronn an einem Stapellauf ei- haltensweisen, die nicht den Vorstellungen der eine 2,20 MMetereter gro- nes Schiffes teil. Fast ße Elser-Statuetatue eiein-n- alle haben den Arm Nationalsozialisten entsprachen. Oftmals waren geweiht. Sieie wurde zum „Deutschen Gruß“ aber selbst glühende NSDAP-Anhänger nicht mit von Friedrichich Fran- erhoben. Nur einer 10 allen Maßnahmen der Regierung einverstanden. kowitsch geschaffen,geschaffen, nicht. Deshalb handelt es sich hierbei nur in Ausnahme- einem aus einer NachNach-- fällen um eine Form des Widerstandes. bargemeindende des GeGe-- burtsortes ElsersElsers stam-stam- 2. Verweigerung, etwa eine Befehlsverweigerung menden Künstlerünstler im als Soldat. Solch eine Verweigerung musste aber Brenztal. DDieie aus Stahl- 15 noch nicht bedeuten, dass die NS-Herrschaft resten abstrakttrakt gestaltetegestaltete grundsätzlich abgelehnt wurde. Skulptur zeigteigt Elser, reisreise-e- 3. Protest, der sich auch gegen einzelne Maßnah- fertig in Richtungchtung Mün- chen mit DDynamitstan-ynamitstan- men des Regimes richtete, wobei aber der Natio- uGeschichte In Clips: gen im Kofferffer auauff den Zum Elser-Attentat siehe nalsozialismus nicht prinzipiell abgelehnt wurde. Zug der Brenzbahnrenzbahn war- Code 31064 - 34. 20 4. Widerstand, bei dem das NS-Regime als Gan- tend. zes abgelehnt wurde und Maßnahmen zum Sturz getroffen wurden. Michael Mayer

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 102 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 103 26.02.21 10:20 Widerstand gegen das NS-Regime

INFO 2 Die „Weiße Rose“ Die Studentin Sophie Scholl (geb. 1921) gehörte mit ihrem Bruder Hans (geb. 1918) dem Freundes- kreis „Weiße Rose“ an, der nicht nur in München, sondern auch in Saarbrücken, Ulm, Stuttgart und 5 Hamburg Sympathisanten hatte. Sophie stand den Nationalsozialisten ursprünglich positiv gegenüber. Doch aufgrund ihrer christlichen und politischen Haltung änderte sie ihre Einstellung. Hinzu kam, dass ihr Bruder Hans 1942 Zeuge wurde, wie jüdi- 10 sche Frauen in Russland zur Zwangsarbeit bis zur Erschöpfung getrieben wurden. Auch berichtete er von Massenerschießungen. Die Geschwister Scholl und ihr Freundeskreis riefen in mehreren Flugblät- tern zum Widerstand auf und schrieben Parolen 4 Mitglieder der 15 wie „Nieder mit Hitler“, „Hitler Massenmörder“ 5 „Aufruf an alle Deutsche!“ „Weißen Rose“ oder „Freiheit“ an Hauswände. Im Januar 1943 wird das von Hans Scholl verfass- Foto von Jürgen Wit- tenstein vom 23. Juli Als die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 te Flugblatt in etwa fünf- bis sechstausend Exem- 1942 Flugblätter in der Universität München verteilten, plaren gedruckt und über München hinaus ver- Sophie Scholl und ihr wurden sie von einem Hausmeister entdeckt und breitet. Es ist das vorletzte von insgesamt sechs Bruder Hans (links) 20 angezeigt. Schon vier Tage später wurden sie so- Flugblättern. und der Freund Chris- wie ihr Freund Christoph Probst (geb. 1919) we- Der Krieg geht seinem sicheren Ende entgegen. toph Probst am Mün- chner Ostbahnhof. gen Vorbereitung zum Hochverrat und wegen […] Mit mathematischer Sicherheit führt Hitler Feindbegünstigung verurteilt und geköpft. In den das deutsche Volk in den Abgrund. Hitler kann folgenden Monaten ließ die Nazi-Justiz weitere den Krieg nicht gewinnen, nur noch verlängern! […] 25 zehn Personen aus dem Umfeld der „Weißen 5 Deutsche! Wollt Ihr und Eure Kinder dasselbe Internettipps: Rose“ hinrichten. Schicksal erleiden, das den Juden widerfahren Informationen über alle Michael Mayer ist? Wollt Ihr mit dem gleichen Maße gemessen Bereiche des Widerstan- des gegen den National- werden, wie Eure Verführer? Sollen wir auf ewig sozialismus und Zeitzeu- INFO 3 Gegen den Strom das von aller Welt gehasste und ausgestoßene genberichte findest du Einige Jugendliche entzogen sich der Hitler-Ju- 10 Volk sein? Nein! Darum trennt Euch von dem unter Code 31064 - 35. gend. Sie organisierten sich in Gruppen wie den nationalsozialistischen Untermenschentum! Edelweißpiraten und widersetzten sich damit der Beweist durch die Tat, dass Ihr anders denkt! […] „Gleichschaltung“ und den Einschränkungen ihrer Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den Ihr 5 Freiheit. Die „Edelweißpiraten“ kamen aus der Ar- um Euer Herz gelegt! Entscheidet Euch, eh’ es zu Exkursionstipp: beiterschaft. Sie hörten alliierte Sender ab, stritten 15 spät ist! […] DenkStätte Weiße Rose sich mit der Hitler-Jugend und überfielen NSDAP- Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, am Lichthof der LMU, Mitglieder und Polizisten. Die Opposition der bür- Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür ver- München gerlichen Swing-Jugend sah anders aus: Sie riskier- brecherischer Gewaltstaaten, das sind die Grund- Lesetipp: 10 te Verfolgung und Straferziehung, um die von den lagen des neuen Europa. Elisabeth Zöller, Wir tan- Nazis verpönte „Negermusik“ aus den USA hören 20 Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet zen nicht nach Führers zu können. die Flugblätter! Pfeife. Ein Tatsachen- Michael Mayer Zitiert nach: www.1000dokumente.de/index.html? Thriller über die Edel- c=dokument_de&dokument=0087_ros&object=context&st= weißpiraten, München &l=de (Hervorhebung im Original; Zugriff: 29. 09. 2020) 2014

8.11.1939: Elsers Anschlag ab 1940: Mitglieder des „Kreisauer Kreises“ planen einen Sturz Hitlers auf Hitler misslingt ab Juni 1942: Flugblattaktionen der „Weißen Rose“ 22. 2.1943: Hinrichtung von Sophie und Hans Scholl 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 103 1940 20. 7.1944: Das Attentat auf Hitler scheitert 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 102 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 103 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust

Als die Alliierten im Juni 1944 in Frankreich lande- ten und deutlich wurde, dass der Krieg nun bald zu Ende sein würde, übernahm Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg (geb. 1907) die 15 Aufgabe, Hitler mit einer Bombe zu töten. An- schließend sollten Einheiten der Wehrmacht die Führer von SS, Sicherheitsdienst, Gestapo1 und NSDAP verhaften. Am 20. Juli 1944 brachte Stauf- fenberg in einer Aktentasche eine Bombe zu einer 20 Lagebesprechung im Hauptquartier Hitlers, der „Wolfsschanze“ in der Nähe von Rastenburg in Ostpreußen (im heutigen Polen). Elf Männer wur- den schwer verletzt, vier starben – und Hitler über- lebte. Stauffenberg und drei Offiziere wurden 25 noch in der Nacht vom 20. auf den 21. Juli 1944 in 6 Der zerstörte Konferenzraum im Führerhauptquartier Berlin standrechtlich erschossen. Foto vom 20. Juli 1944 Es folgte eine umfangreiche „Säuberungswelle“: Um 12:42 Uhr detonierte die Bombe im Führerhauptquartier „Wolfsschanze“ (Ras- Etwa 7 000 Personen wurden verhaftet, 5 000 ver- tenburg), kurze Zeit später besichtigte Hitler mit seinen engsten Vertrauten und Mitarbeitern, Hermann Göring und Martin Bormann, den Tatort. urteilt und mehr als 200 hochrangige Wehr- 30 machtsangehörige und Beamte gehenkt. Und die Attentate auf Hitler INFO 4 Der „Kreisauer Kreis“ Bevölkerung? Diese sehnte zwar das Kriegsende Zwischen 1921 und Seit 1940 fanden sich Gegner Hitlers aus unter- herbei, doch die große Mehrheit hatte kein Ver- 1945 wurden auf Hitler schiedlichen politischen und weltanschaulichen La- ständnis für das Attentat. Seit 1952 wird in der 42 Attentate verübt, da- gern auf dem Gut Kreisau in der Nähe von Breslau Bundesrepublik Deutschland alljährlich am 20. Juli von alleine zehn im Jahr 1933, fünf im Jahr 1938 (heute Polen) zusammen, das dem Juristen Hel- 35 an die Widerstandsbewegung des 20. Juli 1944 er- und elf von 1941 bis 5 muth James Graf von Moltke (geb. 1907) gehörte. innert und deren Vorbildfunktion für die Gegen- 1945. Er überlebte sie Dem Widerstandskreis schlossen sich hohe katholi- wart hervorgehoben. alle. sche und evangelische Würdenträger, Diplomaten, Michael Mayer

Militärs sowie Sozialdemokraten und Gewerk- 1 Gestapo: siehe S. 74, Anm. 1. schafter an. Gemeinsam machten sie sich vor allem 10 Gedanken über die Neuordnung von Staat und 8 „Deutsche!“ Gesellschaft nach einem Sturz Hitlers. Der folgende Aufruf stammt von den Verschwörern Klaus Dieter Hein-Mooren des 20. Juli 1944 und sollte nach dem geglückten Anschlag über Rundfunk verbreitet werden: INFO 5 Der 20. Juli 1944: Attentat auf Hitler Hitlers Gewaltherrschaft ist gebrochen. […] Mitglieder des „Kreisauer Kreises“ wie Helmuth Unser Ziel ist die wahre, auf Achtung, Hilfsbereit- James Graf von Moltke hatten Kontakt zu einzel- schaft und soziale Gerechtigkeit gegründete Ge- nen Offizieren der Wehrmacht, die Hitler und sei- meinschaft des Volkes. Wir wollen Gottesfurcht ner Kriegsführung seit Langem kritisch gegenüber- 5 anstelle von Selbstvergottung, Recht und Freiheit 5 standen. Hier entstand der Gedanke, einen An- anstelle von Gewalt und Terror, Wahrheit und schlag auf Hitler sowie einen Staatsstreich zu Sauberkeit anstelle von Lüge und Eigennutz. Wir riskieren. Den nationalkonservativen Widerstand- wollen unsere Ehre und damit unser Ansehen in kämpfern ging es dabei nicht um die Wiedererrich- der Gemeinschaft der Völker wiederherstellen. tung der Demokratie* von Weimar. Vielmehr woll- 10 Wir wollen mit besten Kräften dazu beitragen, 7 Claus Schenk 10 ten sie an die autoritären Überlegungen in der die Wunden zu heilen, die dieser Krieg allen Völ- Graf von Stauffenberg Endphase der Weimarer Republik* anknüpfen und kern geschlagen hat, und das Vertrauen zwischen Undatiertes Archivfoto eine Art Militärdiktatur errichten. ihnen wieder neu zu beleben. →

104 20. Juli 1944: Attentat auf Hitler

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 104 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 105 26.02.21 10:20 Widerstand gegen das NS-Regime

Die Schuldigen, die den guten Ruf unseres Volkes 10 „Soeben höre ich …“ 15 geschändet und so viel Unglück über uns und Eine Frau aus Wien schreibt am 20. Juli 1944 um andere Völker gebracht haben, werden bestraft 19:00 Uhr an Joseph Goebbels, der 1944 zum „Ge- werden. […] neralbevollmächtigten für den Totalen Kriegsein- Erfülle jeder seine Pflicht! Helfe jeder mit, das satz“ befördert worden ist: Vaterland zu retten! Soeben höre ich die furchtbare Nachricht über Zitiert nach: www.gdw-berlin.de/fileadmin/themen/b13/ den verbrecherischen Anschlag auf das Leben un- pdf/13_4_Faksimile_d.pdf (Zugriff: 11. 05. 2020) seres geliebten Führers. Hass, tiefster unauslösch- licher Hass gegen unsere Feinde. Diese niedrigs- 5 ten Kreaturen! Ist ihm wirklich nichts geschehen? 9 Wie dachten die Attentäter Mein Führer! Er ist ja alles, was ich noch habe auf des 20. Juli 1944? der Welt. Ich hatte ein einziges Kind; mein Bub ist Der Chef des Reichssicherheitshauptamtes, Ernst in Russland gefallen […]. Heil unserem geliebten Kaltenbrunner, informiert am 24. Juli 1944 über Führer! die Überlegungen der Hitler-Attentäter: Zitiert nach: Beatrice und Helmut Heiber (Hrsg.), Die Rück- Das drohende Verhängnis könne nur durch Besei- seite des Hakenkreuzes, München 31995, S. 176 tigung der jetzigen Führung abgewendet werden. Die vom Nationalsozialismus zunächst vertrete- 11 „… unendlich einsam“ nen Ideen seien größtenteils richtig gewesen, Seit 1951 finden Gedenkfeiern zu den Jahrestagen 5 nach der Machtergreifung jedoch ins Gegenteil des 20. Juli 1944 statt. 1984 hält Klaus von Dohna- verkehrt worden. [...] nyi, Sohn eines 1945 von den Nationalsozialisten Den Anfang vom Ende der gesamten militäri- ermordeten Widerstandskämpfers, die Anspra- schen Entwicklung bilde der russische Feldzug, che: der mit dem Befehl zur Tötung aller Kommissare Die wenigen weitsichtigen und mutigen Offiziere, 10 begonnen habe und mit dem Verhungernlassen die zum Teil seit 1933, spätestens aber seit 1937 der Kriegsgefangenen und der Durchführung von die Katastrophe sahen, blieben einsam. Menschenjagden zwecks Gewinnung von Zivil- Es ist diese Einsamkeit, die wir bedenken müs- Lesetipps: arbeitern fortgesetzt worden sei. • Niels Schröder, 20. Juli 5 sen, wenn wir vom Widerstand sprechen. Denn Die Führung sei nicht in der Lage gewesen, den 1944. Biographie ei- Widerstand in Deutschland forderte eine andere 15 Zweifrontenkrieg zu vermeiden. [...] Nach einem nes Tages, Berlin 2019 Haltung als Widerstand in den […] von uns be- Regimewechsel sei es das wichtigste Ziel, dass (Graphic Novel) setzten Ländern. Dort kämpfte man gegen den • Anne C. Voorhoeve, Deutschland noch einen im Spiel der Kräfte ein- äußeren Feind, hier gegen die eigene Regierung; Einundzwanzigster setzbaren Machtfaktor darstelle und dass insbe- Juli, Ravensburg 2009 10 dort wurde man getragen von der Zustimmung sondere die Wehrmacht in der Hand ihrer Führer des Volkes, hier aber war der Widerstandskämp- Filmtipp: 20 ein verwendbares Instrument bleibe. fer unendlich einsam. Operation Walküre – Zitiert nach: Hans-Adolf Jacobsen (Hrsg.), „Spiegelbild der Ver- Das Stauffenberg-Atten- schwörung“. Die Opposition gegen Hitler und der Staatsstreich Zitiert nach: Wolfgang Göbel / Gedenkstätte Deutscher Wider- tat, Regie: Bryan Singer, vom 20. Juli 1944 in der SD-Berichterstattung, Bd. 1, Stuttgart stand (Hrsg.), Der 20. Juli 1944. Reden zu einem Tag der deut- 1984, S. 34 schen Geschichte, Berlin 1984, S. 207 f. 2008

Nach dem Ende der NS-Herrschaft gab es Diskussionen darüber, ob man allen Personen, die sich der Diktatur wider- setzt hatten, Denkmäler errichten solle. Bildet in der Klasse Teams und wählt eine der in diesem Kapitel vorgestellten Personen oder Gruppen des Widerstandes aus. Verfasst über sie ein „Gutachten“ für die Errichtung eines Denkmals. 1 Diskutiert, inwieweit M1 Widerstand darstellt. 3 Recherchiert im Team nach weiteren Informationen über die Person Berücksichtigt M2. bzw. Gruppe (siehe Internettipps). F 2 Analysiert den Widerstand der von euch aus- 4 Verfasst eure „Gutachten“. gewählten Person bzw. Gruppe (siehe INFO- Texte und Quellen).

8.11.1939: Elsers Anschlag ab 1940: Mitglieder des „Kreisauer Kreises“ planen einen Sturz Hitlers auf Hitler misslingt ab Juni 1942: Flugblattaktionen der „Weißen Rose“ 22. 2.1943: Hinrichtung von Sophie und Hans Scholl 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 105 1940 20. 7.1944: Das Attentat auf Hitler scheitert 1945

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 104 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 105 26.02.21 10:20 2 Treffpunkt Geschichte Bomben auf Deutschland*

anlagen zerstört wurden. Durch die Luftangriffe starben vermutlich zwischen 300 000 und 400 000 30 Menschen. Am tragischsten war die Bombardie- rung von Dresden in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945, nur wenige Wochen vor Kriegs- ende. In der Stadt befanden sich damals viele Flüchtlinge aus dem Osten des Deutschen Reiches, 35 die vor der heranrückenden Roten Armee geflohen waren. Etwa ein Drittel aller Wohnungen wurde zerstört, zwischen 18 000 und 25 000 Menschen starben durch Bomben, Feuer und Tieffliegerbe- schuss. Manche verweisen noch heute auf diese 40 Bombardierung, vergessen dabei aber, dass Deutschland den Krieg begonnen und die deut- sche Wehrmacht zuvor systematisch Städte in Europa bombardiert hatte. 1 Das zerstörte Michael Mayer Dresden INFO Angriffe aus der Luft Foto von Walter Hahn, Die deutsche Kriegsstrategie sah seit dem Ein- 2 „Eine Botschaft des Oberbefehlshabers 1945 Rechts eine Statue des marsch in Polen die rücksichtslose Bombardierung der britischen Kampfflugzeuge an das deut- Rathausturms, die die von Städten vor. Insbesondere Warschau und Rot- sche Volk“ Bombardierung vom terdam fielen 1939 / 40 dem Luftterror zum Opfer. Zwischen 1943 und 1945 wird diese „Botschaft“ Februar 1945 überstan- 5 Nach dem deutschen Sieg über Frankreich 1940 als Flugblatt über Deutschland abgeworfen: den hat. Die Figur sym- sollte Großbritannien mithilfe von Bomben dazu Nicht aus Rachsucht – obwohl wir Warschau, bolisiert die Tugend der Güte. gebracht werden, einen Friedensvertrag mit Rotterdam, Belgrad, London, Plymouth, Coventry Deutschland zu unterzeichnen. Hierzu wurde die nicht vergessen. britische Rüstungsindustrie, aber auch britische Wir bomben Deutschland, eine Stadt nach der 10 Städte bombardiert. Dabei wurden etwa bei An- 5 anderen, immer schwerer und schwerer, um euch griffen auf die Stadt Coventry 1 200 Menschen ge- die Fortführung des Krieges unmöglich zu ma- tötet. Großbritannien antwortete mit einer Bom- chen. Das ist unser Ziel. Wir werden es unerbitt- bardierung deutscher Städte. lich verfolgen. Stadt für Stadt: Lübeck, Rostock, Lesetipp: Mit dem Eintritt der USA in den Krieg gewannen Köln, Emden, Bremen, Wilhelmshaven, Duisburg, Kurt Vonnegut, 15 die Alliierten nach und nach eine Lufthoheit über 10 Hamburg – und die Liste wird immer länger. Schlachthof 5 oder Der Deutschland. Diese bombardierten nun in Großan- Lasst euch von den Nazis mit ins Verderben rei- Kinderkreuzzug, Rein- griffen systematisch deutsche Städte. Die Alliierten bek 52010 ßen, wenn ihr wollt. Das ist eure Sache. […] glaubten, dass sich die deutsche Bevölkerung ge- Es steht bei euch, mit Krieg und Bomberei Filmtipp: gen die Regierung erheben würde, um das Leiden Schluss zu machen. Stürzt die Nazis, und ihr habt Come together. Dresden 20 zu beenden – so wie sie es im Ersten Weltkrieg ge- 15 Frieden! Es ist nicht wahr, dass wir einen Ra- und der 13. Februar; tan hatte. Doch stärkten sie nur den Durchhalte- chefrieden planen. Das ist eine deutsche Propa- Regie: Barbara Lubich, willen der Menschen, selbst wenn diese dem NS- 2012 gandalüge. Aber wir werden es ganz gewiss jeder Regime immer kritischer gegenüberstanden. deutschen Regierung unmöglich machen, noch Einer der alliierten Großangriffe traf im Juli 1943 einmal einen totalen Krieg anzufangen. Ist das 25 Hamburg. 35 000 Menschen kamen dabei ums Le- 20 nicht ebenso euer Interesse wie das unsere? * Das Kapitel ist nicht ben. Bis heute sind alle größeren deutschen Städte Zitiert nach: www.columbia.edu/~fdc/family/ffmaerial/ verbindlich. davon gezeichnet, dass Innenstädte und Industrie- flugblat.html (Zugriff: 30. 09. 2020)

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 106 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 107 26.02.21 10:20 Bomben auf Deutschland

3 „Plötzlich war überall eine Feuerwand“ Schülerinnen und Schüler der Klasse 10c des Riemenschneider-Gymnasiums in Würzburg sprachen 2005 mit dem Zeitzeugen Herrn Koch. Er hat die Bombardierung der Stadt als Fünfjäh- riger im März 1945 erlebt. Wir lebten während des Krieges nicht dauernd in Angst, und viele dachten sogar, dass Würzburg überhaupt nicht mehr zerstört wird, obwohl der Bahnhof selber schon zwei Monate vor der 5 „Hauptbombardierung“ zerstört worden war. […] In der Nacht des 16. März gab es Fliegeralarm und wir verbrachten die ganze Nacht mit Angst im Keller, als dann plötzlich die ersten Bomben über Würzburg abgeworfen wurden. Ich bekam furcht- 4 Die zerstörte Würzburger Innenstadt 10 bare Angst. Nach einiger Zeit, als keine Flieger Foto nach dem 16. März 1945 (Ausschnitt) mehr zu hören waren, zerstörten wir die Mauer Am 16. März 1945 griff die Royal Air Force Würzburg an. Innerhalb von 17 Minuten, solange dauerte der Angriff, wurde das Barockensemble der Altstadt zu 90 Prozent und nässten unsere Kleider. Durch den unterirdi- zerstört. Etwa 4 000 bis 5 000 Menschen kamen dabei um. schen Kellergang gelangten wir in die Druckerei- halle der Zeitung, die aus Beton gebaut war und 5 Vergeltungsmaßnahmen Internettipp: 15 deshalb nicht brannte. Diese Halle war riesen- Nach den Bombenangriffen auf Hamburg schreibt 16. März 1945: Bomben- groß, mit starken Mauern gebaut und somit Lothar de la Camp, der als Dolmetscher für das angriff auf Würzburg, siehe Code 31064 - 36. drang keine Hitze von außen durch. Oberkommando der Marine arbeitete, am 15. Au- Dieses Projekt beschreibt Da wir dort aber auch nicht ewig bleiben konn- gust 1943 in einem Rundbrief an seine Geschwis- den 16. und 17. März ten, verließen wir die Halle über das Werkstor. ter, Freunde und Bekannte: des Jahres 1945 in Würz- 20 Wir mussten durch die enge Sternstraße und Bei aller Wut gegen die Engländer und Amerika- burg. Plattnerstraße hindurch, wo alle Häuser aus Holz ner über die Art ihrer unmenschlichen Kriegsfüh- gebaut waren und deshalb lichterloh brannten. rung muss man ganz objektiv feststellen, dass das Dort hatte sich eine richtige Feuerwand gebildet, einfach Volk, der Mittelstand und die übrigen durch die wir hindurch mussten. Zum Glück hat- 5 Kreise von sich aus wiederholt Äußerungen unter 25 ten wir unsere Kleider nass gemacht, sodass wir vier Augen und selbst auch in größeren Kreisen einigermaßen durch die Flammen rennen konn- machten, die die Angriffe als Vergeltung gegen die ten. […] Behandlung der Juden durch uns bezeichneten. Jeder, der sich retten konnte, wollte zum Main Zitiert nach: Nicholas Stargardt, Der deutsche Krieg oder in den Ringpark. Zwei Polizeibeamte ließen 1939 - 1945, Frankfurt am Main 2015, S. 446 30 uns nicht über die Alte Mainbrücke, die erst spä- ter zerstört wurde, damit wir nicht auf die andere Warum und mit welchen Folgen werden deutsche Städte bombar- Mainseite fliehen konnten, da es dort auch diert? brannte. […] Die erste Nacht schliefen wir in ei- 1 Erkläre, warum Fotos wie M1 und M4 von einigen Deutschen als nem dieser Gärten. Danach zogen wir einfach in „stumme“ Klagen oder Anklagen verstanden wurden. Berücksichtige 35 ein leer stehendes Haus im Frauenland ein, wo M5. wir dann die nächsten Jahre mit vielen anderen 2 Diskutiert, weshalb das Flugblatt (M2) und die Luftangriffe die Einstel- Familien, die ebenfalls keine eigene Wohnung lung der meisten Deutschen zum NS-Regime nicht änderten (INFO). hatten, wohnten. 3 Untersucht M3. Welche Auswirkungen werden beschrieben, welche Zitiert nach: www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/ nicht? dossier-nationalsozialismus/39589/ploetzlich-war-ueberall- 4 Recherchiert, ob und wann euer Schul- oder Wohnort bombardiert eine-feuerwand (Zugriff: 12. 05. 2020) wurde. Stellt das Ergebnis in Form einer digitalen Präsentation vor. F

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 106 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 107 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Kriegsende in Europa und Asien

1 Gefangene Wehrmachtssoldaten Undatiertes Foto Seit Oktober 1944 wur- den in Deutschland alle „waffenfähigen“ Män- ner im Alter von 16 bis 60 Jahren und seit Feb- ruar 1945 sogar alle Frauen aufgerufen, den „Heimatboden“ zu ver- teidigen. Das Foto zeigt „Kindersoldaten“, die von einem US-Soldaten bewacht werden.

Kartentipp: INFO 1 Das Ende des Krieges in Europa Wer nicht mehr laufen konnte, wurde am Weges- Eine animierte Karte Seit Sommer 1944 näherten sich die alliierten Ar- rand ermordet. Etwa die Hälfte der Betroffenen zum Sieg der Alliierten meen aus allen Richtungen dem Reichsgebiet. Die kam dabei ums Leben. Doch der Terror konnte den (1944 - 1945) siehe Wehrmacht hatte dabei hohe Verluste zu verzeich- Kriegsverlauf nicht mehr ändern. Code 31064 - 37. nen. Von den 3,2 Millionen deutschen Gefallenen 30 Im Februar 1945 trafen sich die „Großen Drei“ 5 während des Zweiten Weltkrieges starb mehr als nochmals auf der Konferenz von Jalta. Hier wurde die Hälfte im letzten Kriegsjahr, allein 800 000 zwi- u. a. über die zukünftige Ostgrenze Polens und die schen Januar und Mai 1945. Viele Deutschen woll- deutsche Nachkriegsordnung verhandelt. Mit der ten aber nicht mehr kämpfen. Wer sich jedoch Eroberung am 2. Mai 1945 hatten die Trup- 1 Bedingungslose Kapi- dem Krieg entziehen wollte oder öffentlich am 35 pen der Alliierten Deutschland fast vollständig be- tulation (engl. uncon- 10 Sieg zweifelte, dem drohte die Todesstrafe. Viel- setzt. Kurz zuvor hatte Hitler Selbstmord began- ditional surrender): ei- fach wurden Menschen kurz vor dem Einmarsch gen. ne von den Vereinigten der alliierten Soldaten erschossen oder erhängt, Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehr- Staaten und Großbri- tannien auf der Konfe- weil sie weiße Fahnen an ihren Häusern ange- macht in Reims gegenüber den Westalliierten be- 1 renz von Casablanca bracht hatten. Der Terror der Nationalsozialisten 40 dingungslos , am 9. Mai 1945 gegenüber der So- Anfang 1943 erhobene 15 richtete sich nun offen gegen die eigene Bevölke- wjetarmee in Berlin-Karlshorst. Deutschland war Forderung gegenüber rung. damit besiegt, besetzt und befreit zugleich. Doch Deutschland, Italien Doch auch 10 000 bis 30 000 ausländische Zwangs- war der Neuanfang schwer. Besonders die Frauen und Japan. Die für den Krieg verantwortlichen arbeiter wurden bei Kriegsende in Deutschland von litten in den ersten Monaten unter den Massenver- Staaten sollten dazu Soldaten, Parteifunktionären oder Zivilisten oft nur 45 gewaltigungen durch alliierte Soldaten. 12 bis 14 gebracht werden, sich 20 wenige Stunden vor dem alliierten Einmarsch er- Millionen „Deutsche“ wurden zudem aus Ostmit- ohne Verhandlungen schossen. Und seit Juni 1944 wurden die Konzent- teleuropa vertrieben. Mindestens 600 000 Men- zu ergeben und den rationslager vor den anrückenden alliierten Truppen schen wurden dabei von der Roten Armee oder Siegermächten das Recht einräumen, ihre geräumt. In „Todesmärschen“ wurden etwa der lokalen Bevölkerung ermordet bzw. starben an Staaten politisch neu 700 000 Menschen, darunter rund 250 000 Juden, 50 Kälte oder Hunger. zu ordnen. 25 in das Reichsinnere, zuletzt nach Bayern, getrieben. Michael Mayer

108 8. / 9. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation Deutschlands

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2 „Todesmarsch“ aus Auschwitz Der rumänische Jude Armin Simon be- richtet am 20. Februar 1945 über den „Todesmarsch“ von Auschwitz nach Gleiwitz: Die Strecke haben wir durchweg zu Fuß, ohne jegliche Pause, in 24 Stunden zurückgelegt. Wer während des Mar- sches anhielt, wurde erschossen. Die 5 ersten drei, die nicht weiterkonnten, wurden noch mit einer Kugel hinge- richtet. Später fand der Chef des Be- gleitkommandos, die Kugeln seien für Juden zu schade. Daraufhin wurden 10 alle, die nicht mehr weiterkonnten, stranguliert, indem man ihnen einen Strick um den Hals legte und ein SS- 4 Die sowjetische Fahne auf dem Berliner Mann so lange auf die Brust des Betreffenden trat Reichstag Internettipps: und dabei am Strick zog, bis dieser erstickte. Die Fotomontage des sowjetischen Armeefotografen Zeitzeugenberichte zum Kriegsende findest du 15 Leiche ließ man am Straßenrand liegen. Jewgeni Chaldej vom 2. Mai 1945 (Ausschnitt) unter Code 31064 - 38. Zitiert nach: Andrea Rudorff (Hrsg.), Die Verfolgung und Er- Grundlage der Negativmontage ist eine Aufnahme vom mordung der europäischen Juden durch das nationalsozialisti- Abend des 30. April 1945. Das Hissen der Flagge ließ sche Deutschland 1933 - 1945, Bd. 16, München 2018, S. 621 Chaldej nachstellen. Außerdem verwendete er ein wei- teres Foto mit den dunklen Rauchschwaden.

3 Tagebuchnotizen 7. 5. Straße frei geschippt. Nummern für Brot In Berlin leben Ende April 1945 etwa 2,7 Millionen 20 geholt, aufgeräumt, sauber gemacht. Menschen; davon sind zwei Drittel Frauen und 8. 5. Straße geschippt. Nach Brot angestanden. Kinder. Lieselotte G., eine junge Berlinerin, notiert Nachricht, dass Papa lebt. in ihr Tagebuch: 9. 5. Waffenstillstand. Für Margit gibt es Milch. Lesetipp : 29. 4. Unser Haus hat etwa 20 Treffer. Das Kochen 10. 5. Aufgeräumt. Martin Verg u. a. (Hrsg.), Gestern war noch Krieg. ist sehr erschwert wegen der dauernden Lebens- Zitiert nach: Ingrid Hammer und Susanne zur Nieden (Hrsg.), Die Zeit um 1945 in „Sehr selten habe ich geweint“. Briefe und Tagebücher aus dem gefahr, wenn man den Keller verlässt. Erzählungen und Sach- Zweiten Weltkrieg von Menschen aus Berlin, Zürich 1992, texten, Stuttgart 22020 30. 4. War bei Bombeneinschlag mit Frau B. oben S. 445 ff. 5 an der Treppe zum Keller. Die Russen sind da. Sie sind total besoffen. Nachts Vergewaltigungen. Ich nicht, Mutti ja. Manche 5 – 20-mal. 1. 5. Russen gehen ein und aus. Alle Uhren sind Wie endet der Krieg in Europa und Asien? weg. Die Pferde liegen auf dem Hof auf unseren 1 In den letzten Monaten vor Kriegsende kam noch sehr viel Leid über 10 Betten. Die Keller sind aufgebrochen […]. die Menschen. Erläutere dies anhand von INFO 1 und M1 bis M3. 2. 5. Erste Nacht Ruhe. Sind von der Hölle in den 2 Benenne die einzelnen Bildelemente von M4 und nenne mögliche Himmel gekommen. Haben geweint, als wir den Gründe, warum dieses Foto besonders berühmt wurde. blühenden Flieder auf dem Hof entdeckt haben. 3 Vergleiche M4 mit dem Foto vom deutschen Einmarsch nach Polen Alle Radios müssen abgegeben werden. […] vom 1. September 1939 (siehe S. 90, M1). H 15 6. 5. Unser Haus hat 21 Treffer. Den ganzen Tag 4 Recherchiert in Partnerarbeit nach Zeitzeugenberichten über die letz- geräumt und gepackt. Nachts Sturm. Bin vor ten Kriegstage. Stellt besondere Aussagen der Klasse vor. Angst, dass die Russen kommen, unters Bett gekrochen. […]

6. 6.1944: Landung der Alliierten 4. - 11. 2.1945: Die „Großen Drei“ in Jalta in der Normandie (D-Day) 7. 3.1945: Rheinüberquerung der Alliierten 25. 4.1945: Amerikaner treffen bei Torgau auf Sowjets (Elbe-Day) 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 8. / 9. 5.1945: Kapitulation Deutschlands 109 1940 1945 1950

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 108 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 109 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust

INFO 3 Die Atombombe In den USA wurde seit 1941 eine Atombombe ent- wickelt. Diese sollte im Frühjahr 1945 testweise über einem Feindgebiet abgeworfen werden. Da Deutschland bereits weitgehend besiegt war, be- 5 schloss die US-Militärführung, japanische Städte auszuwählen. Die Wahl fiel auf Hiroshima und Na- gasaki. Hier warfen die USA am 6. und 9. August 1945 zwei Atombomben ab. Mindestens 80 000 Menschen waren auf der Stelle tot. Mehr als 10 200 000 Menschen starben in den kommenden Jahren an den Folgen der Verstrahlung durch die Atombomben. In Japan löste der Bombenabwurf einen Schock aus. Befürchtet wurde, dass die USA weitere Bomben 15 abwerfen würden. Der japanische Kaiser („Tenno“) Hirohito entschied daraufhin, den Krieg zu been- 5 Atomwolke über Hiroshima INFO 2 Krieg und Gewalt in Asien den. Am 2. September 1945 unterzeichneten Ver- Foto vom 6. August Nach dem Überfall auf die US-Pazifikflotte in Pearl treter des Tenno die Kapitulationsurkunde. Damit 1945 Harbor (Hawaii) am 7. Dezember 1941 eroberten war der Zweite Weltkrieg auch in Asien zu Ende. japanische Truppen rasch große Teile Südostasiens. Michael Mayer Ähnlich wie Deutschland war aber auch Japan sei- 5 nen Gegnern langfristig deutlich unterlegen. Die japanischen Soldaten gingen deshalb ebenso wie die Deutschen mit großer Brutalität vor. Bereits 1937, als Japan in China einmarschierte, ermorde- ten japanische Soldaten in der chinesischen Haupt- 10 stadt Nanking mehr als 200 000 Zivilisten. 1942 er- mordeten sie in Singapur mindestens 10 000 Chi- nesen. Im benachbarten Malaysia fielen bis zu 90 000 Zivilisten den japanischen Soldaten zum Opfer. Doch trotz der Gewalttaten gab es – anders 15 als bei den deutschen Verbrechen – keine systema- tische Vernichtung einzelner Bevölkerungsgrup- pen. Lesetipps: Millionen Menschen wurden von der japanischen • Karl Bruckner, Sadako Armee zur Zwangsarbeit herangezogen. Zugleich will leben, Wien 42011 20 wurde der hungernden Zivilbevölkerung die not- • Hermann Vinke, Als die erste Atombombe wendige Lebensmittelversorgung verweigert. In Vietnam und Indonesien starben etwa sechs Millio- fiel. Kinder aus Hiro- 6 Atombombenopfer aus Hiroshima shima berichten, nen Menschen durch Hunger und Zwangsarbeit. Undatiertes Foto Ravensburg 1982 u. ö. Mindestens 100 000 junge Frauen wurden in Süd- 25 ostasien als „Trostfrauen“ in die Bordelle der japa- nischen Armee verschleppt. Zwei Drittel von ihnen wurden bis 1945 ermordet oder starben an Hun- ger bzw. Krankheiten. Michael Mayer

110 1939 - 1945: Zweiter Weltkrieg

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 110 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 111 26.02.21 10:20 Kriegsende in Europa und Asien

INFO 4 Die „Bilanz“ des Weltkrieges Am Ende des Zweiten Weltkrieges waren weltweit etwa 65 Millionen Tote zu beklagen. Darüber hin- aus gab es etwa 35 Millionen Kriegsversehrte – Männer, die ihre Arme, Beine oder das Augenlicht 5 verloren hatten. Statistisch nicht zu erfassen sind die seelischen Leiden, die der Krieg hinterließ. Die- se „Narben auf der Seele“ blieben den Betroffenen oft ein Leben lang. Das Ende des Zweiten Weltkrieges bedeutet auch 10 den Anfang einer neuen Epoche. Sie begann mit dem Abwurf der ersten Atombombe durch die USA und prägt seitdem die Weltgeschichte. Klaus Dieter Hein-Mooren

7 Tanimoto berichtet aus Hiroshima 8 Der amerikanische Reporter John Hersey veröf- Hiroshima Foto nach dem Abwurf der Atombombe, August 1945 fentlicht am 31. August 1946 in der Wochenzei- Die neue Waffe tötete in Hiroshima sofort 80 000 von 350 000 Einwohnern und tung „New Yorker“ eine Reportage über sechs zerstörte 70 000 von 76 000 Gebäuden. Bis Ende 1945 erhöhte sich die Opferzahl Menschen, die den Atombombenabwurf über auf 140 000 Tote. Hiroshima vom 6. August 1945 überlebt haben. Von Pfarrer Kiyoshi Tanimotò berichtet er: 9 Kriegstote Tanimoto war der einzige Mensch, der sich in der (ausgewählte Staaten) Richtung gegen die Stadt bewegte. Er begegnete Soldaten Zivilisten in Prozent Hunderten und Hunderten, die auf der Flucht der Bevölkerung waren, und jeder von ihnen schien irgendwie ver- Polen 300 000 5 700 000 17,2 5 wundet zu sein. Manchen waren die Augenbrau- Sowjetunion 13 000 000 14 000 000 14,2 en versengt, und ihre Haut hing in Fetzen von Ge- Ungarn 360 000 590 000 10,3 sicht und Händen. Andere hielten vor Schmerzen Deutschland 5 185 000 1 170 000 9,2 die Arme in die Höhe, als trügen sie etwas in bei- Japan 2 060 000 1 700 000 5,2 den Händen. Andere erbrachen sich im Gehen. Frankreich 210 000 150 000 0,9 10 Viele waren nackt oder mit Fetzen bekleidet. Auf Großbritannien 270 825 62 000 0,7 manchen unbekleideten Körpern hatten die Ver- USA 407 316 – 0,3 brennungen förmliche Muster hinlassen – von Gesamtopfer des Zweiten Weltkrieges ca. 65 Mio. (Schätzungen) Hemdspangen und Hosenträgern und auf der Nach: https://de.wikipedia.org/wiki/Tote_des_Zweiten_Weltkrieges#Umstrittene_ Haut von Frauen die Zeichnung der Blumen auf Zahlenangaben (Zugriff: 14. 05. 2020) 15 ihren Kimonos, da nämlich Weiß die Hitze der Bombe reflektierte, während dunkle Kleider die Hitze absorbierten und der Haut zuleiteten. Viele, 5 Der Krieg in Asien war wie der in Europa von großer Gewalt geprägt. obgleich selbst verletzt, stützten Angehörige, die Begründe diese Aussage (INFO 2). schlimmer dran waren. Fast alle trugen den Kopf 6 Durch den Abwurf der amerikanischen Atombomben wurden Men- 20 gebeugt, schauten gerade vor sich hin, schwiegen schenleben gerettet. Diskutiere diese Aussage kritisch vor dem Hinter- und zeigten keinerlei Gesichtsausdruck. grund der Ereignisse in Hiroshima und Nagasaki (INFO 3, M5 bis M8). John Hersey, Hiroshima: 6. August 1945, 8 Uhr 15, München 7 Erkläre die hohe Zahl der getöteten Zivilisten in Polen, in der Sowjet- 1982, S. 77 f. union, in Deutschland und Japan (M9).

6. 6.1944: Landung der Alliierten 7. 3.1945: Rheinüberquerung der Alliierten in der Normandie (D-Day) 25. 4.1945: Amerikaner treffen bei Torgau auf Sowjets (Elbe-Day) 8. / 9. 5.1945: Kapitulation Deutschlands 1939 -1945: Zweiter Weltkrieg 6. 8. / 9. 8.1945: Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 111 1940 19452. 9.1945: Kapitulation Japans 1950

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 110 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 111 26.02.21 10:20 2 Nationalsozialismus, Zweiter Weltkrieg und Holocaust Erinnerung an den Nationalsozialismus

2 „Was hat diese Vergangenheit mit mir zu tun?“ Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Tag des Gedenkens an die Opfer des National- sozialismus am 29. Januar 2020: Die Shoa ist Teil deutscher Geschichte und Iden- tität. [...] Dass die Auseinandersetzung mit der historischen Schuld heute zum Selbstverständnis unseres Landes gehört, wird von Demokraten in 5 diesem Hause nicht bestritten. [...] Wir werden heute neue Formen des Gedenkens finden müssen für eine junge Generation, die fragt: „Was hat diese Vergangenheit mit mir und meinem Leben zu tun?“ Wir werden neue Antwor- 10 ten geben müssen für junge Deutsche, deren El- tern und Großeltern aus anderen Ländern zu uns 1 Gedenkveran- staltung in Berlin INFO Erinnerung und Geschichte – gekommen sind. „Ihr habt Eure Geschichte, wir Foto vom 8. Mai 2020 Blick zurück nach vorn haben unsere“, das kann und darf nicht die Ant- In der „Neuen Wache“ Am 27. Januar 1945 wurden die Überlebenden im wort sein. Nein, die Lehren aus unserer Geschich- in Berlin, der Zentralen KZ Auschwitz-Birkenau von der sowjetischen Ro- 15 te können und müssen zum Selbstverständnis al- Gedenkstätte der Bun- ten Armee befreit. Im KZ Dachau machten die an- ler Deutschen gehören – denn Verantwortung im desrepublik Deutsch- land für die Opfer von rückenden US-Truppen am 29. April 1945 der Ge- Hier und Heute, die tragen wir alle! [...] Krieg und Gewaltherr- 5 waltherrschaft der SS ein Ende. Und am 8. / 9. Mai Wer verstehen will, muss sich an die Wurzeln des schaft, legen die Bun- 1945 kapitulierte die Wehrmacht des Deutschen nationalsozialistischen Weltbildes erinnern – an deskanzlerin Angela Reiches. An diese Ereignisse wird alljährlich in Ge- 20 völkisches Denken, an Antisemitismus und Ras- Merkel (im Vorder- denkveranstaltungen erinnert. An ihnen nehmen senhass, an die Verrohung der Sprache in der grund) sowie Bundes- tagspräsident Wolf- regelmäßig Ministerpräsidenten, Bundeskanzler Weimarer Republik, an die Zerstörung der Ver- gang Schäuble, Bun- 10 und Bundespräsidenten teil. Wozu aber soll man nunft, an den Einzug der Gewalt als Mittel der despräsident Franz- sich an Ereignisse erinnern, die mehr als sieben politischen Auseinandersetzung, an die Verächt- Walter Steinmeier, der Jahrzehnte vergangen sind? Viele sagen: „Damals 25 lichmachung des Parlaments, die Zertrümme- Präsident des Deut- habe ich noch gar nicht gelebt. Was geht mich das rung des Rechtsstaates und der Demokratie. [...] schen Bundesrates, an?“ Oder: „Es reicht doch, wenn die Überleben- Dietmar Woidke, und Ich wünschte, ich könnte [...] heute mit Überzeu- der Präsident des Bun- 15 den sich erinnern oder die Nachkommen der Op- gung sagen: Wir Deutsche haben verstanden. desverfassungsgerichts, fer!“ Und wieder andere fragen provozierend: Doch wie kann ich das sagen, wenn Hass und Andreas Voßkuhle „Welchen Zweck soll es haben, dass ich mich als 30 Hetze sich wieder ausbreiten, wenn das Gift des (v. l.), Kränze nieder. Deutsche oder als Deutscher an die Niederlage und Nationalismus in Debatten einsickert – auch bei Rechts die Skulptur an die Besetzung Deutschlands erinnere?“ „Mutter mit totem uns?! Wie kann ich das sagen, wenn das Tragen Sohn“ nach einer Vorla- 20 Überhaupt: Ist es nicht besser, in die Zukunft zu der Kippa zum persönlichen Risiko wird oder Ju- ge von Käthe Kollwitz, blicken als in die Vergangenheit? Welchen Sinn den die Menora beiseite räumen, wenn der Hei- 1937/ 39 (siehe auch haben also Erinnerungs- und Gedenktage? 35 zungsableser kommt?! [...] Nein, meine Sorge ist das Cover dieses Schul- Dieter Brückner nicht, dass wir Deutsche die Vergangenheit leug- buches). nen. Meine Sorge ist, dass wir die Vergangenheit inzwischen besser verstehen als die Gegenwart. Zitiert nach: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/ DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/01/200129- Gedenken-Bundestag.html (Zugriff: 30. 03. 2020)

112 8. / 9. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation Deutschlands

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 112 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 113 26.02.21 10:20 Erinnerung an den Nationalsozialismus

3 „Tag der Befreiung“ 4 Zum 75. Jahrestag des Endes des Bundespräsident Richard von Weizsäcker hält Zweiten Weltkrieges am 8. Mai 1985 im Deutschen Bundestag eine Die Gedenkveranstaltung zum 75. Jahrestag des Rede zum 40. Jahrestag des Endes des Zweiten Endes des Zweiten Weltkrieges sollte am 8. Mai Weltkrieges und sagt u. a.: 2020 in einem großen Rahmen vor zahlreichen Der 8. Mai ist für uns Deutsche kein Tag zum Fei- Gästen aus dem In- und Ausland stattfinden. We- ern. Die Menschen, die ihn bewusst erlebt haben, gen der Corona-Pandemie musste der feierliche denken an ganz persönliche und damit ganz un- Staatsakt abgesagt werden. In Anwesenheit der terschiedliche Erfahrungen zurück. Der eine Spitzen von Parlament, Regierung und Verfas- 5 kehrte heim, der andere wurde heimatlos. Dieser sungsgericht (siehe M1) hält der Bundespräsident wurde befreit, für jenen begann die Gefangen- Frank-Walter Steinmeier vor der „Neuen Wache“ schaft. Viele waren einfach nur dafür dankbar, eine Rede, die öffentlich übertragen wird. Er sagt dass Bombennächte und Angst vorüber und sie u. a.: mit dem Leben davongekommen waren. [...] „Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung.“ Ich glaube: 10 Die meisten Deutschen hatten geglaubt, für die Wir müssen Richard von Weizsäckers berühmten gute Sache des eigenen Landes zu kämpfen und Satz heute neu und anders lesen. Damals war zu leiden. Und nun sollte sich herausstellen: Das dieser Satz ein Meilenstein im Ringen mit unserer alles war nicht nur vergeblich und sinnlos, son- 5 Vergangenheit. Heute aber muss er sich auch an dern es hatte den unmenschlichen Zielen einer unsere Zukunft richten. „Befreiung“ ist nämlich 15 verbrecherischen Führung gedient. niemals abgeschlossen, und sie ist nichts, was wir Der Blick ging zurück in einen dunklen Abgrund nur passiv erfahren, sondern sie fordert uns aktiv, der Vergangenheit und nach vorn in eine unge- jeden Tag aufs Neue. wisse dunkle Zukunft. Und dennoch wurde von 10 Damals wurden wir befreit. Heute müssen wir Tag zu Tag klarer, was es heute für uns alle ge- uns selbst befreien! 20 meinsam zu sagen gilt: Der 8. Mai war ein Tag der Befreien von der Versuchung eines neuen Natio- Befreiung. nalismus. Von der Faszination des Autoritären. Er hat uns alle befreit von dem menschenverach- Von Misstrauen, Abschottung und Feindseligkeit tenden System der nationalsozialistischen Ge- 15 zwischen den Nationen. Von Hass und Hetze, von waltherrschaft. Niemand wird um dieser Befrei- Fremdenfeindlichkeit und Demokratieverachtung 25 ung willen vergessen, welche schweren Leiden für – denn sie sind doch nichts anderes als die alten viele Menschen mit dem 8. Mai erst begannen bösen Geister in neuem Gewand. […] und danach folgten. Aber wir dürfen nicht im Zitiert nach: www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/ Ende des Krieges die Ursache für Flucht, Vertrei- DE/Frank-Walter-Steinmeier/Reden/2020/05/200508- 75-Jahre-Ende-WKII.html (Zugriff: 09. 05. 2020) bung und Unfreiheit sehen. Sie liegt vielmehr in 30 seinem Anfang und im Beginn jener Gewaltherr- schaft, die zum Krieg führte. Wir dürfen den 8. Mai 1945 nicht vom 30. Januar 1933 trennen. Staates am Jahrestag des Kriegsendes Kränze mit den Farben der Zitiert nach: Ferdinand Horst (Hrsg.), Reden, die die Republik Bundesrepublik niederlegen (M1). bewegten, Opladen 2002, S. 474 f. 3 Fasse zusammen, welche Lehren der Bundespräsident aus der Geschichte des Nationalsozialismus zieht (M2). 4 Bundespräsident Weizsäcker musste bei seiner Rede 1985 Rücksicht auf die Menschen nehmen, die die NS-Zeit noch erlebt hatten. Wie gehen wir mit der NS-Vergangenheit um? Bewerte die Art und Weise, wie er auf ehemalige NS-Opfer, Mitläufer 1 Nehmt spontan zu den Aussagen und Fragen und Nationalsozialisten einging (M3). Stellung (INFO). 5 Begründe, warum die Reden des Bundespräsidenten eine Aufforde- 2 Diskutiert, was damit zum Ausdruck gebracht rung sind, sich für die Erhaltung von Freiheit und Demokratie einzu- wird, wenn die höchsten Repräsentanten des setzen (M2 und M4). H

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 112 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 113 26.02.21 10:20 2 Das weiß ich! – Gelerntes sichern

1 „Die NSDAP sichert die Volksgemein- schaft …“ Plakat (59 x 84,1 cm) der NSDAP-Propaganda- leitung vom August 1943; Entwurf René Ahrlé

1155 Die Menschen, die sich dem Nationalsozialismus nicht unterwarfen, wurden aus der „Volksge- meinschaft“ ausgeschlossen und verfolgt. Vor allem die jüdische Bevölkerung litt unter dem Antisemitismus. 1935 wurde sie durch die 2200 „Nürnberger Gesetze“ aus der Gesellschaft aus- gestoßen. Während der Novemberpogrome (9. November 1938) misshandelten SA-Männer die jüdische Bevölkerung im gesamten Reich, um sie aus Deutschland zu vertreiben. Nach Kriegsbeginn 2255 (1. September 1939) wurden Juden in ganz Europa verfolgt und im Rahmen des Holocaust bzw. der Shoa schließlich in ihren Heimatorten, in Wäldern oder in Konzentrations- bzw. Vernichtungs- lagern massenhaft ermordet. 30 Doch auch viele andere Menschen litten in Europa unter dem Nationalsozialismus. In den von den Deutschen besetzten Gebieten wurden Millionen zur Zwangsarbeit genötigt, viele von ihnen wurden nach Deutschland verschleppt. Unzählige starben 35 an Krankheiten oder wurden ermordet. Auch sow- jetische Kriegsgefangene, Sinti und Roma, Behin- derte und andere Menschen fielen dem National- Auf einen Blick: Nationalsozialismus, Zweiter sozialismus zum Opfer. Weltkrieg und Holocaust Im Verlauf des Zweiten Weltkrieges richteten sich Die Deutschen wertschätzten die Freiheiten der 40 die Folgen des NS-Terrors gegen die eigene Bevöl- Weimarer Republik* nach 1918 nicht ausreichend. kerung. Viele deutsche Städte wurden durch die Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht über- Alliierten bombardiert. Erst als Europa schon in nahmen, begrüßten viele die neue Zeit. Doch sehr Trümmern lag, wurde am 20. Juli 1944 ein Atten- 5 rasch wurden die Freiheiten der Weimarer Republik tat des militärischen Widerstandskreises auf Hitler abgeschafft. Das „Ermächtigungsgesetz“ vom 45 verübt. Es scheiterte. März 1933 beseitigte die Gewaltenteilung* und In den letzten Wochen des Krieges starben noch bis Mitte Juli 1933 wurde ein Einparteienstaat er- Hunderttausende in Europa und Fernost. Die Deut- richtet. Staat und Gesellschaft wurden unter dem schen, die die Freiheiten der Weimarer Republik so 10 Banner einer rassistischen und antisemitischen wenig geachtet hatten, lernten erst nach der be- Ideologie, des Nationalsozialismus, „gleichge- 50 dingungslosen Kapitulation am 8. / 9. Mai 1945, schaltet“. Mithilfe der NS-Organisationen, der welche Folgen ein undemokratisches Regime Steuerung aller Medien sowie durch Gesetze wur- haben konnte. de die „Gleichschaltung“ durchgesetzt. Michael Mayer

9. November 1938: Novemberpogrome 1939 - 1945: Zweiter Weltkrieg 1935 1940 114

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 114 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 115 26.02.21 10:20 Das weiß ich! – Gelerntes sichern

2 Loyalität und Mitarbeit Der Historiker Paul Nolte stellt 2012 die Behaup- tung auf: Ohne die Loyalität1 und Mitarbeit von Teilen der Bevölkerung ist eine Diktatur nicht vorstellbar, schon gar nicht eine moderne des 20. Jahrhun- derts. Denn sie kann weder hinter die politische 5 Massenmobilisierung noch hinter die technisch ermöglichte Präsenz2 eines Massenpublikums zu- rückfallen; die Nationalsozialisten haben sich bei- des sogar auf besondere und manchmal innovati- ve3 Weise zunutze gemacht. 10 Paul Nolte, Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart, München 2012, S. 271

1 Loyalität: Treue (hier: gegenüber der Regierung) 2 Präsenz: Anwesenheit 3 innovativ: etwas Neues schaffend

generell Widerstand staatsbezogen Protest

Verweigerung

partiell (teilweise) privat 4 „Ich bin aus der Volksgemeinschaft ausgestoßen!“ Foto aus Altenburg in Thüringen vom 7. Februar 1941 Nonkonformität Der 31-jährigen Martha V. wurde auf dem Marktplatz der Kopf kahlgeschoren, Reichweite (unangepasstes Verhalten) Wirkungsraum der Kritik der Handlung während die Bevölkerung zusah. Sie war von der Gestapo verhaftet worden, weil ihr intime Kontakte zu einem polnischen Zwangsarbeiter vorgeworfen wurden. 3 Abweichendes Verhalten oder Widerstand? Der Historiker Detlev Peukert hat Formen abweichen- den Verhaltens geordnet. Als Widerstand definiert er 1 Erkläre, inwiefern M1 und M4 beide Seiten der „Volksgemeinschaft“ nur die Verhaltensformen, in „denen das NS-Regime als zeigen. Ganzes abgelehnt wurde und Maßnahmen zur Vorberei- 2 Nenne Belege für die in M2, Z. 1-4 aufgestellte Behauptung. tung des Sturzes des NS-Regimes im Rahmen der Hand- 3 Skizziere, wie die Nationalsozialisten Menschenmassen politisch mobi- lungsmöglichkeiten des jeweils einzelnen Subjektes“ getroffen wurden. lisiert haben und welche modernen technischen Mittel sie dazu ver- Nach: Detlev Peukert, Volksgenossen und Gemeinschafts- wendet haben. fremde, Köln 1982, S. 97 4 Erläutere ausgehend von den Informationen in der Legende zu M3 diese Grafik. 5 Formuliere einen kurzen Text, in dem du die Begriffe „Nationalsozialis- mus“, „Novemberpogrome“, „Antisemitismus“ „Nürnberger Gesetze“ und „Volksgemeinschaft“ in einen inhaltlichen und gedanklichen Zusammenhang bringst.

1945 1950 20. Juli 1944: 8. / 9. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation Deutschlands Attentat auf Hitler 115

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 114 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 115 26.02.21 10:20 2 Das kann ich! – Gelerntes anwenden

1 Das Torhaus des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau Foto des polnischen Fotografen Stanisław Mucha, Februar/März 1945 Auschwitz ist heute das Symbol für den Holo- caust. Die Nationalsozi- alisten ermordeten hier zwischen 1942 und 1944 mindestens 1,1 Millio- nen Juden, mehr als an irgendeinem anderen einzelnen Ort. Die Hälf- te der etwa sechs Millio- nen Juden und Jüdinnen wurde aber nicht in den Konzentrations- und Vernichtungslagern umgebracht, sondern erschossen und erschla- gen.

2 Unbegrenzte Macht über andere 3 „Nach zehn Jahren“ Der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki erlebt Der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer als 20-Jähriger den Einmarsch der deutschen steht in Verbindung mit dem Widerstand. Truppen in Warschau. In seinen 1999 veröffent- 1943 wird er verhaftet; er wird zuerst in das KZ lichten Erinnerungen schreibt er: Buchenwald und dann in das KZ Flossenbürg ein- So war es: Jeder Deutsche, der eine Uniform trug geliefert. Dort wird Bonhoeffer am 9. April 1945 und eine Waffe hatte, konnte in Warschau mit hingerichtet. In seinem bereits 1942/43 verfassten einem Juden tun, was er wollte. Er konnte ihn Rückblick „Nach zehn Jahren“ schreibt er: zwingen, zu singen oder zu tanzen oder in die Wir sind stumme Zeugen böser Taten gewesen, 5 Hose zu machen oder vor ihm auf die Knie zu fal- wir sind mit vielen Wassern gewaschen, wir ha- len und um sein Leben zu flehen. Er konnte ihn ben die Künste der Verstellung und der mehrdeu- plötzlich erschießen oder auf langsamere, qual- tigen Rede gelernt, wir sind durch Erfahrung vollere Weise umbringen. Er konnte einer Jüdin 5 misstrauisch gegen die Menschen geworden und befehlen, sich auszuziehen, mit ihrer Unterwä- mussten ihnen die Wahrheit und das freie Wort 10 sche das Straßenpflaster zu säubern und dann oft schuldig bleiben, wir sind durch unerträgliche vor aller Augen zu urinieren. Den Deutschen, die Konflikte mürbe oder vielleicht sogar zynisch sich diese Späße leisteten, verdarb niemand das geworden – sind wir noch brauchbar? Vergnügen, niemand hinderte sie, Juden zu miss- Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, in: Ders., handeln und zu morden, niemand zog sie zur Werkausgabe, hrsg. von Christian Gremmels u. a., Bd. 8, Gütersloh 2015, S. 38 15 Verantwortung. Es zeigte sich, wozu Menschen fähig sind, wenn ihnen unbegrenzte Macht über andere Menschen eingeräumt wird. Marcel Reich-Ranicki, Mein Leben, Stuttgart 1999, S. 186 f.

9. November 1938: Novemberpogrome 1939 - 1945: Zweiter Weltkrieg 1935 1940 116

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 116 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 117 26.02.21 10:20 Das kann ich! – Gelerntes anwenden

4 Mitschuldig Am 8. Mai 2020, dem 75. Jahrestag des Weltkrieg- endes, veröffentlicht die Deutsche Bischofskonfe- renz eine Erklärung, in der es heißt: Bei aller inneren Distanz zum Nationalsozialis- mus und bisweilen sogar offener Gegnerschaft war die katholische Kirche in Deutschland Teil der Kriegsgesellschaft. Daran änderten auch die 5 zunehmende Repression gegen das Christentum, der Vernichtungskrieg sowie die seit der Wende des Kriegsgeschehens und mit dem Bombenkrieg gegen Deutschland anwachsenden Verluste der Deutschen wenig. Trotz massiver Bedrängnisse 10 der Kirche durch Staat und NSDAP, blieb – wie 5 6 Gedenken vor schon im Ersten Weltkrieg – die patriotische Be- „Was einmal möglich gewesen ist …“ der Haustüre reitschaft, die materiellen, personellen und geisti- Der Leiter der Gedenkstatte Buchenwald, Volk- „Stolpersteine“ für gen Ressourcen der Kirche für den Kriegseinsatz hard Knigge, schreibt 1999: Hermann und Emma zu mobilisieren, bis zum Ende ungebrochen. […] Was einmal möglich gewesen ist, kann sich wie- Glasberg aus Bad Wö- rishofen, verlegt am 15 Sowohl im September 1939 als auch danach blieb derholen, ganz oder teilweise oder so ähnlich. 26. Mai 2015 der offene Protest der deutschen Bischöfe gegen Nicht nur die Weltgeschichte, sondern auch die Seit 1992 verlegt der den nationalsozialistischen Vernichtungskrieg europäische Geschichte nach 1945 belegt dies. Kölner Künstler Gunter aus. […] Auch gegen die ungeheuerlichen Verbre- 5 Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, Toleranz, mit- Demnig solche etwa 10 chen an den als „rassenfremd“ diskriminierten menschliche Solidarität, die entschiedene Vernei- x 10 cm großen „Stol- persteine“ vor den ehe- 20 und verfolgten Anderen, insbesondere den Juden, nung von Antisemitismus, Rassismus und Feind- maligen Wohnhäusern erhob sich in der Kirche in Deutschland kaum ei- schaft den angeblich Fremden gegenüber und von Menschen, die von ne Stimme. […] Indem die Bischöfe dem Krieg schließlich Menschenrechte sind auf praktisch den Nationalsozialisten kein eindeutiges „Nein“ entgegenstellten, sondern 10 gelebte politische und individuelle Verantwor- gedemütigt, ver- die meisten von ihnen den Willen zum Durchhal- tung angewiesen. Sonst existieren sie nicht. schleppt oder ermordet wurden. Inzwischen 25 ten stärkten, machten sie sich mitschuldig am Volkhard Knigge, Statt eines Vorwortes: Vorgeschichten einer gibt es 75 000 solcher Krieg. Ausstellung, in: Harry Stein, Konzentrationslager Buchenwald 1937 - 1945. Begleitband zur ständigen historischen Ausstel- Stolpersteine in Zitiert nach: www.dbk-shop.de/media/files_public/ lung, Göttingen 82011, S. 14 Deutschland und in dtpsmyfxgs/DBK_Deutsche_Bischoefe_im_Weltkrieg.pdf 25 weiteren Ländern (Zugriff: 04. 05. 2020) (Stand: 29. Dezember 2019).

1 Verfasse zu M1 eine Bildlegende. Überlege, 3 Die „Stolpersteine“ bringen Bürger dazu, sich Internettipps: welche der Grundlegenden Daten und mit der Geschichte zu beschäftigen, die sich Informationen über die Begriffe, die du in diesem Lernbereich kennen- vor ihrer Haustüre ereignete (M5). Diskutiert, Aktion „Stolpersteine“ siehe Code 31064 - 39. gelernt hast, hier unabdingbar sind. ob diese Form der Erinnerungskultur ange- 2 Beschreibe mit eigenen Worten, wie ein dikta- sichts der 12 bis 14 Millionen zivilen NS-Opfer torisches System sich auf das Verhalten von angemessen ist. Menschen auswirken kann (M2 bis M4). 4 Diskutiert ausgehend von M3 und M4 in der Klasse, wie eine „praktisch gelebte politische und individuelle Verantwortung“ (M6, Z. 9 -11) heute aussehen kann.

1945 1950 20. Juli 1944: 8. / 9. Mai 1945: Bedingungslose Kapitulation Deutschlands Attentat auf Hitler 117

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 116 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 117 26.02.21 10:20 eit ihrer Eröffnung im Jahre 1993 Shaben Millionen Besucher die „Straße der Menschenrechte“ in der Innenstadt von Nürnberg besucht. In der Installation des Bildhauers Dani Karavan werden die 30 Arti- kel der UN-Menschenrechtskon- vention in 30 verschiedenen Sprachen abgebildet, jeder auf einer eigenen, weißen Säule. Das Mahnmal erinnert die Zeit der nationalsozialisti- schen Herrschaft, in der Nürnberg zur Stadt der Reichsparteitage und zum Ort der rassistischen „Nürn- berger Gesetze“ wurde. Vor allem aber setzt es ein weit- hin sichtbares Signal für ei- nes der größten Mensch- heitsprojekte der Moderne: Die weltweite Durchsetzung von angeborenen und un- verlierbaren Rechten, die für alle Menschen auf der Welt uneingeschränkt gelten.

Diskutiert, welche Grund- rechte für einen Menschen und für ein menschenwürdiges Leben unabdingbar sind, und sucht in Geschichte und Gegenwart Beispiele, in denen diese Rechte verletzt worden sind.

1 Die „Straße der Menschenrechte“ in Nürnberg Foto von Daniel Karmann vom 22. Oktober 2013

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31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 118 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 119 26.02.21 10:20 3 Rechte des Menschen – gestern und heute

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1 „We are human we want our basic humanity“ Foto vom 1. März 2020 Menschen auf der Flucht versuchen an der türkisch-griechi- schen Grenze in die Eu- ropäische Union (EU) zu gelangen. Auf dem Pappschild steht in englischer Sprache „Wir sind Menschen. Wir fordern unsere Menschenrechte ein.“ Der Anstieg der Flücht- lingsströme seit 2015 stellt die weltweite Staatengemeinschaft und insbesondere die EU vor große Heraus- forderungen.

Die Menschenrechte – ein umkämpftes viele Staaten tief greifende Veränderungen ihres Menschheitsprojekt 20 Wirtschafts- und Sozialsystems zulassen. Mehr als 70 Jahre nach der „Allgemeinen Erklä- Bernhard Brunner rung der Menschenrechte“ ist die Überzeugung, dass alle Menschen unabhängig von der Zeit, dem Dieser Längsschnitt beschäftigt sich mit der Ent- Ort und den Umständen ihrer Geburt mit gleichen, wicklung der Menschenrechte*, ihrer fundamenta- 5 grundlegenden und unveräußerlichen Rechten len Bedeutung und den Versuchen und Schwierig- ausgestattet sind, weit davon entfernt, allgemein keiten, sie zur Geltung zu bringen. Am Ende dieses anerkannt oder gar umgesetzt zu sein. Zwar sind Längsschnitts kannst du folgende Fragen beant- die Menschenrechte* heute bereits in die Verfas- worten: sungen* fast aller – oft auch undemokratischer – • Welche Stellung hatte das Individuum in der 10 Staaten eingeflossen, doch stößt das „Projekt Ständegesellschaft? Menschenrechte“ auch auf Widerstände. Schließ- • Welche Wirkung hatte die Aufklärung* auf die lich greift die Gewährung der politischen Men- Entwicklung der Menschenrechte? Internettipps: schenrechte (wie das Wahlrecht) und der bürger- • Welche Bedeutung hatten die Grund- und Zur Geschichte der lichen Rechte (wie die Versammlungs- und Menschenrechte in Deutschland seit 1871? Menschenrechte siehe 15 Meinungsfreiheit) in die Machtstrukturen undemo- • Inwiefern sind die Menschenrechte heute eine Code 31064 - 40. kratischer Staaten ein. Auch für die Garantie der internationale Errungenschaft? wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Men- • Welche Probleme können sich ergeben, wenn schenrechte (wie das Recht auf Arbeit) müssten es um die Durchsetzung der Menschenrechte geht?

1776: Amerikanische 1871: Deutsche Unabhängigkeitserklärung Reichsgründung 1775 1800 1825 1850 1875 1789: Beginn der Französischen Revolution; 120 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 120 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 121 26.02.21 10:20 Orientierung in Raum und Zeit

grün: frei gelb: teilweise frei blau: unfrei

2 Freiheits- rechte auf der Welt Grafik nach der jährlichen Studie der internationalen Nichtregierungsorganisation „Freedom House“; Stand 2018 Internettipps: Ziel der 1941 in New York gegründeten und heute in Washington angesiedelten Nichtregierungsorganisation Informationen über (engl: Non-governmental organization: NGO) ist es, die freiheitliche Demokratie weltweit zu fördern. Seit 1973 „Freedom House“ und veröffentlicht sie Berichte über die Freiheitsrechte in den Ländern der Welt. Ein zentrales Kriterium für die die jährlichen Studien Bewertung ist die Umsetzung der Menschenrechte. über politische und zivile Freiheit auf der Welt siehe Code 31064 - 41.

Lesetipps: • Christine Schulz-Reiss, 3 Logo von „Amnesty International“ Nachgefragt: Men- „Amnesty International“ wurde 1961 in London gegründet schenrechte und De- und ist inzwischen eine der größten internationalen mokratie. Basiswissen Nichtregierungsorganisationen mit etwa sieben Millionen 4 Logo von „Human Rights Watch“ zum Mitreden, Bind- Unterstützern. Amnesty recherchiert Menschenrechtsver- „Human Rights Watch“ ist ebenfalls eine Nichtregie- lach 2018 letzungen weltweit, verfasst darüber jährliche Berichte rungsorganisation. Sie wurde 1978 in New York gegrün- • Jean-Marc Fiess, Frei und organisiert Protestaktionen. Das Logo mit der Kerze det und tritt wie „Amnesty International“ durch Unter- und gleich geboren. gemahnt an das Sprichwort: „Es ist besser ein Licht anzu- suchungen und Aktionen weltweit für die Wahrung der Die Menschenrechte, zünden, als sich über die Dunkelheit zu beklagen.“ Menschenrechte ein. Frankfurt am Main 2017 1 Diskutiert zu zweit, inwiefern die Flüchtlings- der Freiheitsrechte und erörtert, welche Rück- frage mit den Menschenrechten verknüpft ist. schlüsse sich daraus ziehen lassen. Geht dabei von M1 aus. 3 Informiert euch in Partnerarbeit über die 2 Erarbeitet in Gruppen aus M2 oder dem aktu- Arbeit von „Amnesty International“ und ellen Kartenmaterial von „Freedom House“ „Human Rights Watch“ und berichtet, mit (siehe die Internettipps) den weltweiten Stand welchen Mitteln sich diese Organisationen für Menschenrechte einsetzen. F

1918: Novemberrevolution 1939 -1945: 1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen in Deutschland Zweiter Weltkrieg 1950: Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte 1900 1925 1950 1975 2000 1919: Grundrechtskatalog der 30. Januar 1933: Ernennung 2000: Charta der Grundrechte Weimarer Reichsverfassung Adolf Hitlers zum Reichskanzler der Europäischen Union 121

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 120 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 121 26.02.21 10:20 3 Rechte des Menschen – gestern und heute Die europäische Ständegesellschaft der Neuzeit: Leben in Ungleichheit

INFO 1 Die Ständegesellschaft 1 Die drei Stände Holzschnitt von Jörg Die Idee der Menschenrechte reicht weit in die Breu d. Ä., Augsburg, Geschichte zurück. Seit der Antike* formulierten um 1525 - 1530 Philosophen und Theologen die Ansicht, dass alle Menschen von Natur aus über gewisse Rechte ver- 5 fügen. Ihre Vorstellungen konnten sich in keiner europäischen Gesellschaft und Rechtsordnung durchsetzen. Stattdessen lebten die Menschen ganz ohne, mit wenigen oder – je nach sozialer Position – sehr unterschiedlichen Rechten und 10 Pflichten. Welche das waren, hing im europäischen Mittelalter* von der Zugehörigkeit zu einer in der Regel durch Geburt bestimmten Großgruppe ab: den Ständen. Bernhard Brunner

INFO 2 Kaum Rechte und wenig Besitz An der Spitze der Staaten standen in der Regel Kö- nige*. Die Monarchie war die verbreitetste Herr- schaftsform. Die Gesellschaft war nach Ständen gegliedert. Die beiden zahlenmäßig kleinsten Stän- 2 Die göttliche Ständeordnung 5 de, der Adel und der Klerus, besaßen eigene Rech- Der Theologe und Reformator Erasmus Alber te und mehr Rechtssicherheit. Sie konnten weitest- verfasst 1530 ein Gedicht über die Stände: gehend über die Angehörigen des Dritten Stand Fein ordentlich hat Gott die Welt mit dreien bestimmen, der mehrheitlich auf dem Lande lebte. Ständen wohl bestellt: Auch wenn einige freie Bauern zu Wohlstand ge- Ein Stand muss lehrn, der andre nähren, der dritt 10 langten, war das Leben der meisten Menschen auf muss bösen Buben wehren. dem Lande von harter Arbeit, Armut, Not und 5 Der erst Stand heißt die Priesterschaft, der zweit Rechtsunsicherheit geprägt. Im Mittelalter bildete Stand heißt die Bauernschaft, der dritt, das ist die die Grundherrschaft* das Rückgrat des Wirtschaf- Obrigkeit. tens. Die meisten Bauern besaßen kein eigenes 1 Bescheid: Bestim- Ein jeder Stand hat sein Bescheid.1 15 Land, sondern bewirtschafteten Land eines – in der mung, Pflicht Und keiner sei so unverschampt, dass er dem Regel adligen oder kirchlichen – Grundherren. Sie 10 andern greif ins Amt, kein Stand den anderen waren zu Abgaben verpflichtet und mussten veracht, (Fron-)Dienste leisten. Auch rechtlich unterstanden Gott hat sie alle drei gemacht. die meisten Bauern ihren Grundherren. Leibeigene Und lebten wir in solcher Weis, wir hätten hier 20 Menschen waren noch schlechter gestellt. Sie durf- das Paradeis. ten ohne die Genehmigung ihres Leibherrn weder 15 Doch wer will gut sein hier auf Erden? wegziehen noch heiraten, die Entscheidung über Nach dieser Welt wird’s besser werden. Recht und Unrecht lag beim Grundherrn. Zitiert nach: Detlef Plöse und Günter Vogler (Hrsg.), Buch der Bernhard Brunner Reformation. Eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476 - 1555), Berlin 1989, S. 53

122 Adel Bürger Menschenrechte Monarchie Stände

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 122 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 123 26.02.21 10:20 Die europäische Ständegesellschaft der Neuzeit: Leben in Ungleichheit

INFO 3 Der „einfache“ Mann fordert Rechte 3 „Gedicht vom ersten Edelmann“ Als das Elend der besitzlosen Menschen nach Krie- Ein anonymer Autor schreibt in einem um 1493 in Bamberg gedruckten gen und Missernten größer wurde und die Herr- Text: schenden ihre Rechte ausweiteten, kam es in der Das muss Gott im Himmel erbarmen, dass die armen Leute die Herren Neuzeit zu Versuchen, die Gesellschaftsordnung ernähren müssen, obwohl ihnen selbst kaum was gegen den Hunger 5 zugunsten der einfachen Menschen zu verändern bleibt! […] oder zumindest Adel und Klerus mehr in die Pflicht Von Rechts wegen ist der Bauer ein Edelmann! […] zu nehmen. Dabei wurde die ständische Ordnung 5 Ich rühme den edlen Bauern mehr als alle anderen Lebewesen, denn die der Gesellschaft jedoch kaum infrage gestellt. An- Herzöge, Fürsten und Herren muss der Bauer alle ernähren, er muss für gezweifelt wurde allerdings immer mehr die Unter- sie Holz machen. Mit harter Arbeit und schlechter Ernährung muss er 10 ordnung des Dritten Standes unter die beiden an- das Getreide wie verlangt in den Kasten füllen, selbst wenn Hagel und deren – und vor allem die ungleiche Verteilung von Regenschauer die Ernte reduziert haben. Pflichten und Rechten. In einigen deutschen Regio- 10 […] nen führten diese Konflikte zu Bauernkriegen, die Darum, ihr Herren, Ritter und Knappen, ihr sollt den Bauern beschützen, 1525 aber blutig niedergeschlagen wurden. Der so wie das Recht es verlangt. Ihr Mönche, Nonnen und Pfarrer, auch euch 15 Wunsch nach mehr Rechten und größerer Rechts- hat Gott erschaffen, ihr sollt nicht davon ablassen, an die Seele des Bau- sicherheit sowie politischer Mitsprache blieb für ern [wenn er gestorben ist, in Gedenkmessen] zu erinnern. den Dritten Stand ohne Erfolg. Die Ständeordnung Übersetzung: Horst Brunner erwies sich als grundsätzlich stabil. Das Gedicht vom ersten Edelmann. Mitgeteilt von Emil Weller, in: Serapeum 24 (1863), Größere Veränderungen ergaben sich erst mit dem 231 - 235; zitiert nach: www.digizeitschriften.de/dms/img/?PID=PPN342672002_ 0024%7Clog76 (Zugriff: 14. 05. 2020) 20 Aufstieg der Städte. Gemäß dem Grundsatz „Stadtluft macht frei“ gab es dort seit dem Mittel- 4 Wandel der „Ständegesellschaft“ in Deutschland alter weder Grundherrschaft noch Leibeigenschaft. Der Historiker Paul Münch legt folgende Aufstellung vor: Alle Bürger, also die Einwohner, die das Bürger- 1 recht hatten, besaßen politische Mitspracherechte. Angaben in Prozent 1500 1800 Adel (herrschender Stand) 1 bis 2 1 25 Sie konnten beispielsweise Stadträte wählen und politisch Einfluss nehmen (z. B. auf Zölle und Steu- Bürger (Stadtbewohner) 20 24 ern). Die aufstrebende Wirtschaft und der Handel Bauern (Landbewohner) 80 75 verhalfen einigen Bürgern zu erheblichem Reich- davon: Hofbesitzer 60 35 tum, Besitz und Einfluss, der den mancher Adliger landarme und besitzlose Familien 20 40

30 bei Weitem übertraf. 1 Um 1500 lebten in Deutschland (in den Grenzen von 1914) ca. neun Millionen, Fast ohne Rechte blieben die außerständischen um 1800 ca. 22 Millionen Menschen. Die Tabelle berücksichtigt nicht den Klerus. Gruppen, also Menschen, welche eine „unehrliche Paul Münch, Lebensformen in der frühen Neuzeit, Berlin 1992, S. 77 (Anm. hinzugefügt) Tätigkeit“ ausübten wie z. B. Bettler, Totengräber oder Henker. Aber auch Juden, Sinti und Roma 35 und „fahrendes Volk“ wie Gaukler und Schaustel- ler waren weitgehend rechtlos und wurden ausge- Wie ist die Stellung des Einzelnen in der Ständegesellschaft? grenzt. 1 Stelle die Grundstruktur der mittelalterlichen Gesellschaftsordnung in Insgesamt ergaben sich aus den gesellschaftlichen einer Zeichnung dar. Berücksichtige die INFO-Texte sowie M1 bis M3. Strukturen wohl Ansprüche auf Schutz, manchmal Beachte die Pflichten und Rechte der Stände. Erläutere zuletzt, wie 40 auch auf soziale Teilnahme und politische Mitspra- diese Ordnung begründet wurde. H che. Doch diese Rechte hatten mit der Idee univer- 2 Charakterisiere die Stellung des Individuums in der Ständegesellschaft. seller Menschenrechte nichts gemein. Gehe dabei insbesondere auf die Situation der Bauern ein (INFO 3). Bernhard Brunner 3 Erschließt in Partnerarbeit M3 hinsichtlich der dort geäußerten Kritik und diskutiert, inwiefern hier bereits eine Vorstellung von Menschen- rechten* vorhanden ist. F

500 bis 1500: Mittelalter – die Zeit zwischen Antike und Neuzeit 123 500 1000 1500

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 122 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 123 26.02.21 10:20 3 Rechte des Menschen – gestern und heute Ein neuer Blick im „Zeitalter der Vernunft“

INFO 1 Herrscher 2 Von Natur aus frei, gleich und und Beherrschte unabhängig Philosophen und Der englische Staatsdenker John Locke schreibt Staatstheoretiker der Ende der 1680er-Jahre: Aufklärung wie Die Menschen sind […] von Natur alle frei, gleich John Locke beschäf- und unabhängig, und niemand kann ohne seine 5 tigten sich mit der Einwilligung aus diesem Zustand verstoßen und Frage, wie sich Herr- der politischen Gewalt eines anderen unterwor- schaft begründen 5 fen werden. Die einzige Möglichkeit, diese natür- ließ und welche Stel- liche Freiheit aufzugeben und die Fesseln bürger- lung der Einzelne im licher Gesellschaft anzulegen, ist die, dass man 10 Gemeinwesen haben mit anderen Menschen übereinkommt, sich zu- solle. Als Gegenposi- sammenzuschließen und in eine Gemeinschaft tion zur Herrschafts- 10 zu vereinigen, mit dem Ziel, behaglich, sicher und form des Absolutis- friedlich miteinander zu leben – in dem sicheren mus* forderten sie, Genuss des Eigentums und in größerer Sicherheit 15 dass ohne Mitwir- gegenüber allen, die ihr nicht angehören. kung von Volksver- John Locke, Über die Regierung (The Second Treatise of tretern keine Geset- Government). In der Übersetzung von Dorothee Tidow, hrsg. von Peter Cornelius Mayer-Tasch, Ditzingen 1992, S. 73 ze erlassen oder neue Steuern erho- 20 ben werden dürften, 3 Über die Würde der menschlichen dass die Wahl der Natur Volksvertreter frei Der einflussreiche Philosoph, Historiker und Völ- sein müsse und dass kerrechtler Samuel Pufendorf schreibt in einem 1 „Die aufgeklär- die Freiheit der Rede 1672 veröffentlichten Werk: te Weisheit, in der 25 nicht eingeschränkt werden dürfe. Ein zentraler Es ergibt sich aus der Würde der menschlichen Gestalt der Minerva, Gedanke war, dass die Menschen sich aus freiem Natur und ihrer Vortrefflichkeit, durch die der nimmt die Bekenner Willen durch einen Gesellschaftsvertrag zusam- Mensch allen anderen Lebewesen überlegen ist, aller Religionen in ih- menschließen und die Herrschaft des Staates aner- dass seine Handlungen nach bestimmten Regeln ren Schutz“ Radierung (8,7 x 5,1 kennen. Diese wird aber nur so lange anerkannt, 5 beurteilt werden. Ohne solche Regeln kann es cm) von Daniel Cho- 30 wie sie Leben, Freiheit und Eigentum der Bürger keine Ordnung geben, keinen Anstand, keine dowiecki, 1791 schützt und nicht antastet sowie die Möglichkeit Schönheit. Und so hat der Mensch eine außeror- Unter den Figuren im gibt, bei der Gestaltung der Politik und des öffent- dentliche Würde, weil er eine Seele besitzt, die Vordergrund sind Ver- lichen Lebens aktiv mitzuwirken. unsterblich ist und erleuchtet durch das Licht treter verschiedener Die Aufklärer entwickelten noch weitergehende 10 Glaubensbekenntnisse, seines Verstandes und die Fähigkeit, die Dinge zu darunter (von links 35 Gedanken. So formulierte der Philosoph und beurteilen und unter verschiedenen Möglichkei- nach rechts) ein Mus- Rechtswissenschaftler Freiherr Samuel von Pufen- ten die richtige zu wählen, und die außerdem lim, ein Jude und ein dorf erstmals die Idee der Menschenwürde. Für den noch erfahren ist in vielen Künsten. katholischer Mönch. Philosophen Immanuel Kant stellte die Freiheit des Zitiert nach: Philipp Wallau, Die Menschenwürde in der Einzelnen das zentrale Recht des Menschen dar. Grundrechtsordnung der Europäischen Union, Göttingen 2010, S. 29 f. 40 Daher sei es die wichtigste Aufgabe des Staates, dieses individuelle Freiheitsrecht zu verteidigen. Bernhard Brunner

Aufklärung Menschenrechte Monarchie Verfassung 124 1776: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 124 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 125 26.02.21 10:20 Ein neuer Blick im „Zeitalter der Vernunft“

INFO 2 Von der Theorie zur Wirklichkeit 10 irgendeine Regierungsform sich als diesen Zielen Quellentipps: Da die britischen Kolonien an der nordamerikani- abträglich erweist, es Recht des Volkes ist, sie zu Den englischen Text der schen Atlantikküste sich vom König und vom Par- ändern oder abzuschaffen und eine neue Regie- Unabhängigkeitserklä- rung vom 4. Juli 1776 lament in London unterdrückt und finanziell aus- rung einzusetzen und diese auf solchen Grund- sowie einen nur wenige gebeutet fühlten, erklärten sie sich 1776 unabhän- sätzen aufzubauen und ihre Gewalten in der Tage später veröffentlich- 5 gig. Vorangegangen war die Diskussion der Frage, 15 Form zu organisieren, wie es ihm zur Gewährleis- ten deutschsprachigen welche Freiheits- und Mitbestimmungsrechte die tung seiner Sicherheit und seines Glückes gebo- Erstdruck findest du Bürger in den Kolonien und in einem Staat über- ten zu sein scheint. unter Code 31064 - 42. haupt haben sollten. Da es dort keinen Adel gab, Zitiert nach: K. Peter Fritzsche, Menschenrechte. Eine Einfüh- 3 entwickelte sich der Konflikt mit der englischen rung mit Dokumenten, Paderborn u. a. 2016, S. 221 10 Krone zu einem grundsätzlichen Konflikt über die Frage, welche Rechte dem „einfachen Mann“ im 5 „We the People of the Untid States …“ politischen System zukommen. Dabei erwies sich die Idee von gleichen, unveräußerlichen Freiheits- rechten des Einzelnen als wirksames Argument, 15 um zunächst die Macht Englands einzuschränken. In Virginia verabschiedete eine Versammlung im Mai 1776 die „Virginia Bill of Rights“. Darin wur- den bis heute gültige Bürgerrechte formuliert, also Rechte, die allen Bürgern zukommen sollten. Dazu 20 zählten das Recht auf Leben, auf Versammlungs- Die Präambel (Einleitung) der amerikanischen freiheit, auf Eigentum und auf Wahlen. Andere Verfassung von 1787 lautet: Kolonien folgten dem Vorbild. Und da das „Mut- Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, von der Ab- terland“ den Kolonien diese Rechte verweigerte, sicht geleitet, unseren Bund zu vervollkommnen, sagten sie sich gemeinsam mit der Unabhängig- Gerechtigkeit zu verwirklichen, die Ruhe im Innern 25 keitserklärung („Declaration of Independence“) zu sichern, für die Landesverteidigung zu sorgen, vom 4. Juli 1776 von Großbritannien los und bean- 5 die allgemeine Wohlfahrt zu fördern und das spruchten das Recht, einen eigenständigen Staa- Glück der Freiheit uns selbst und unseren Nach- tenbund bilden zu dürfen. Die Vereinigten Staaten kommen zu bewahren, setzen diese Verfassung für gaben sich 1787 eine Verfassung. 1791 wurden die Vereinigten Staaten von Amerika in Geltung. 30 ihr die „Bill of Rights“ hinzugefügt: ein Katalog ga- Zitiert nach: www.verfassungen.net/us/verf87-i.htm rantierter Menschenrechte. (Zugriff: 15. 10. 2020) Bernhard Brunner 6 Ein Zusatz 4 „Folgende Wahrheiten erachten wir …“ Die Verfassung der Vereinigten Staaten wird 1787 Am 4. Juli 1776 verkünden die 13 britischen Kolo- bestätigt. 1789 verabschiedet der Kongress zehn nien in Nordamerika ihre Unabhängigkeit vom Ergänzungsartikel (amendments): die „Bill of britischen Mutterland und erklären: Rights“; sie treten am 15. Dezember 1791 in Kraft: Folgende Wahrheiten erachten wir als selbstver- Art. 1: Der Kongress soll kein Gesetz erlassen, das ständlich: dass alle Menschen gleich geschaffen eine Einrichtung einer Religion zum Gegenstand sind; dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen hat oder deren freie Ausübung beschränkt, oder unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind; dass eines, das Rede- und Pressefreiheit oder das 5 dazu Leben, Freiheit und das Streben nach Glück 5 Recht des Volkes, sich friedlich zu versammeln gehören; dass zur Sicherung dieser Rechte Regie- und an die Regierung eine Petition zur Abstellung rungen unter den Menschen eingesetzt werden, von Missständen zu richten, einschränkt. die ihre rechtmäßige Macht aus der Zustimmung Zitiert nach: www.verfassungen.net/us/verf87-i.htm der Regierten herleiten; dass, wann immer (Zugriff: 16. 10. 2020)

1776: Amerikanische Unab- hängigkeitserklärung 17. / 18. Jh.: Absolutismus und Aufklärung in Europa 125 1600 1650 1700 1750 1800

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 124 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 125 26.02.21 10:20 3 Rechte des Menschen – gestern und heute

INFO 3 Die Allgemeine Erklärung der Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss eben Menschen- und Bürgerrechte von 1789 15 dieser Rechte sicherstellt. Diese Grenzen dürfen Die Französische Revolution von nur durch das Gesetz bestimmt werden. 1789 stürzte den Absolutismus*, be- Artikel 6 Das Gesetz ist der Ausdruck des allge- seitigte die Ständeordnung und meinen Willens. Alle Bürger sind berechtigt, per- strebte eine auf Freiheit, Gleichheit sönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Ge- 5 und Brüderlichkeit gegründete 20 staltung mitzuwirken. Es soll für alle gleich sein, Staatsordnung an. Nur fünf Wochen mag es nun beschützen oder bestrafen. Da alle nach dem Sturm auf die Bastille ver- Bürger in seinen Augen gleich sind, können sie kündete die Nationalversammlung nach ihrer Fähigkeit gleichermaßen zu allen öf- am 26. August 1789 die „Allgemeine fentlichen Würden, Stellen und Ämtern zugelas- 10 Erklärung der Menschen- und Bür- 25 sen werden, ohne anderen Unterschied als den gerrechte“. Sie wurde anders als in ihrer Tugenden und ihrer Talente. den USA unmittelbarer Teil der Ver- Artikel 7 Kein Mensch darf angeklagt, verhaftet fassung von 1791. Bedeutsam war oder in Haft gehalten werden, es sei denn in den auch, dass sie neben Rechten, die durch Gesetz bestimmten Fällen und in den For- 15 „nur“ für alle Bürger der französi- 30 men, die es vorgeschrieben hat. […] schen Nation* galten, auch Rechte Artikel 8 Das Gesetz soll nur solche Strafen fest- verkündete, die allen Menschen auf setzen, die unbedingt und offenbar notwendig 7 „Liberté“ der Welt zustanden. Jedoch richtete sind, und niemand darf anders als aufgrund eines Französische Briefmar- sich die französische wie die amerikanische Erklä- vor Begehung der Straftat beschlossenen, verkün- ke zum 200. Jahrestag 20 rung nur an die Männer. Für die Frauen, die Urein- 35 deten und rechtmäßig angewandten Gesetzes der Revolution und der Erklärung der Men- wohner Nordamerikas und Sklaven galten diese bestraft werden. schen- und Bürgerrech- Menschen- und Bürgerrechte nicht. Das wurde Artikel 9 Da jeder Mensch solange für unschuldig te, 1989 schon von Zeitgenossen kritisiert, aber noch lange erachtet wird, bis er für schuldig erklärt ist, soll, nicht geändert. wenn seine Festnahme für unumgänglich gehal- Bernhard Brunner 40 ten wird, alle Härte, die nicht erforderlich ist, um sich seiner Person zu versichern, vom Gesetz 8 Die französische Erklärung der streng unterbunden werden. Menschen- und Bürgerrechte Artikel 10 Niemand soll wegen seiner Anschau- Am 26. August 1789 verkündet die Nationalver- ungen, selbst religiöser Natur, belästigt werden, sammlung die Erklärung. Sie hat 17 Artikel und 45 solange ihre Äußerungen nicht die durch das wird der Verfassung vom 3. September 1791 vor- Gesetz begründete öffentliche Ordnung stört. angestellt. Artikel 11 Der freie Austausch der Gedanken und Artikel 1 Die Menschen werden frei und gleich an Meinungen ist eines der kostbarsten Menschen- Rechten geboren und bleiben es. Die gesellschaft- rechte; jeder Bürger kann mithin frei reden, lichen Unterschiede dürfen nur im gemeinen 50 schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Ver- Nutzen begründet sein. antwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit 5 Artikel 2 Das Ziel jeder politischen Vereinigung in den durch das Gesetz bestimmten Fällen. […] ist die Erhaltung der natürlichen und unverzicht- Artikel 17 Da das Eigentum ein unverletzliches baren Menschenrechte. Diese Rechte sind die und geheiligtes Recht ist, darf es niemandem ent- Freiheit, das Eigentum, die Sicherheit und der 55 zogen werden, es sei denn, dass die gesetzlich Widerstand gegen die Unterdrückung. festgestellte öffentliche Notwendigkeit es offen- 10 Artikel 4 Die Freiheit besteht darin, alles tun zu bar erfordert und unter der Bedingung einer dürfen, was einem anderen nicht schadet. Die gerechten und vorherigen Entschädigung. Ausübung der natürlichen Rechte jedes Men- Zitiert nach: K. Peter Fritzsche, Menschenrechte. Eine Einfüh- schen hat also nur die Grenzen, die den übrigen rung mit Dokumenten, Paderborn u. a. 32016, S. 225 - 227

126 1789: Beginn der Französischen Revolution

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 126 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 127 26.02.21 10:20 Ein neuer Blick im „Zeitalter der Vernunft“

9 Frauenrechte Die Schriftstellerin Marie-Olympe de Gouges legt 1791 eine „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“ vor, ohne allerdings Gehör zu finden. Stattdessen wird sie 1793 als geisteskranke Ver- schwörerin hingerichtet. Art. 1: Die Frau ist frei geboren und bleibt dem Manne gleich in allen Rechten. Art. 2: Der Zweck der staatlichen Vereinigung ist der Schutz der natürlichen und unveräußerlichen 5 Rechte sowohl der Frau als auch des Mannes. Diese Rechte sind Freiheit, Sicherheit, Eigentum und besonders das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung. Art. 4: Freiheit und Gerechtigkeit bestehen darin, 10 den anderen zurückzugeben, was ihnen gehört. So wird die Frau an der Ausübung ihrer natürli- chen Rechte nur durch die fortdauernde Tyran- nei, die der Mann ihr entgegensetzt, gehindert. Nach den Gesetzen der Natur und der Vernunft 15 müssen diese Hindernisse abgeschafft werden. Art. 10: Niemand darf wegen seiner Meinung ver- folgt werden. Die Frau hat das Recht, das Schafott zu besteigen. Sie muss gleichermaßen das Recht haben, die Rednerbühne zu besteigen. 11 „Egalité“ Zitiert nach: K. Peter Fritzsche, Menschenrechte. Eine Radierung von Jean-François Janinet, 1793 Einführung mit Dokumenten, Paderborn u. a. 32016, S. 37 Eine Personifikation der „Gleichheit“ sitzt auf einem Sessel. Sie hält in der rechten Hand eine Winkelwaage, die für das Zusammenfinden der Bürger auf Augenhöhe 10 Eine Kritik bzw. die Aufhebung der Standesunterschiede steht. In der linken Hand hält die Der junge Philosoph Karl Marx schreibt 1843: Gleichheit die Tafel mit den Menschenrechten. Vor allem konstatieren1 wir die Tatsache, dass die sogenannten Menschenrechte […] nichts anderes Woher kommt die Idee der Menschenrechte*? Wie werden sie sind als die Rechte des Mitglieds der bürgerlichen politisch wirksam? Gesellschaft, d. h. des egoistischen Menschen, des 1 Erstelle eine Mindmap mit zentralen Ideen der Aufklärung* und über- 5 vom Menschen und vom Gemeinwesen getrenn- prüfe, inwiefern diese im Widerspruch zur Ständegesellschaft stehen ten Menschen. […] Keines der sogenannten Men- (INFO 1, M2 und M3). H schenrechte geht also über den egoistischen 2 Nenne mögliche Gründe, warum Lockes Werk wohl anonym erschien Menschen hinaus, über den Menschen, wie er (M2 und INFO 1). Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft, nämlich 3 Arbeite aus M5 die von der Aufklärung* geprägten Ziele der 10 auf sich, auf sein Privatinteresse und seine Privat- Verfassung* heraus. willkür zurückgezogenes und vom Gemeinwesen 4 Untersucht in Partnerarbeit M4 und M5. Welche Zustände sollen abgesondertes Individuum ist. danach beseitigt werden? Karl Marx, Zur Judenfrage; zitiert nach: www.mlwerke.de/me/ 5 Prüfe, ob M5 und M8 Bürger- oder Menschenrechte verkünden me01/me01_347.htm (Zugriff: 22. 05. 2020) (INFO 2). Welche Rolle spielen dabei die Vorstellungen von „Liberté“ und „Egalité“ (M7 und M11)? 1 konstatieren: zu lat. constat: es steht fest 6 Nimm Stellung zu der Kritik an der Erklärung der Menschenrechte (INFO 3, M9 und M10). F

1776: Amerikanische Unabhängigkeitserklärung 14. 7.1789: Beginn der Französischen Revolution 26. 8.1789: Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte 17. / 18. Jh.: Absolutismus und Aufklärung in Europa 127 1600 1650 1700 1750 1800

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 126 26.02.21 10:20 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 127 26.02.21 10:20 3 Rechte des Menschen – gestern und heute Lern- aufgabe Die Grund- und Menschenrechte in Deutschland seit 1871

daten in der damaligen Kolonie „Deutsch-Süd- Wie haben sich die Grund- und Menschenrechte* in Deutschland westafrika“ (heute Namibia) zwischen 1904 und seit 1871 entwickelt? 1908 einen Aufstand der Herero und Nama nieder- 1 Erstellt in Partner- oder Gruppenarbeit eine grafische Übersicht über 30 schlugen. Das Vorgehen führte 1905 / 06 zu hefti- die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte in Deutschland seit gen politischen Debatten und später zum Vorwurf, 1871. Dies kann beispielsweise in Form einer Tabelle geschehen, die einen Völkermord begangen zu haben. Damals das Kaiserreich von 1871, die Weimarer Republik*, die Zeit des Natio- konnten weder der Befehlshaber der Truppen, Ge- nalsozialismus* und die Bundesrepublik Deutschland erfasst. neral Lothar von Trotha, noch das Deutsche Kaiser- 2 Diskutiert anschließend die Auswirkungen des jeweiligen Grund- und 35 reich wegen des Verbrechens gegen die Mensch- Menschenrechtsstatus auf die Stellung des Einzelnen. lichkeit zur Verantwortung gezogen werden. Erst 3 Bewertet die Bedeutung der Grund- und Menschenrechte in Deutsch- nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es möglich, land nach 1933 und nach 1949. solche Verbrechen vor Gericht zu bringen. 4 Vergleicht eure Ergebnisse mit anderen Teams oder tragt sie im Klas- Bernhard Brunner senverband in einer kurzen Argumentation vor.

INFO 1 Gibt es Grundrechte im Deutschen 2 Sie gehören auf die Anklagebank Kaiserreich? In der Reichstagsdebatte vom 2. Dezember 1905 In der deutschen Revolution von 1848 / 49* war erklärt Georg Ledebour (SPD): das Bürgertum gescheitert. Liberalismus und In dem Erlass [des Generals Trotha] an die Herero Demokratie hatte sich nicht durchsetzen können. kommt – ich will ihn nicht ganz verlesen – der 1 Fahne des Die 1848 von dem gewählten Parlament verkünde- ungeheuerliche Satz vor: Deutschen Kaiser- 5 ten Grundrechte1 mussten zurückgenommen wer- „Innerhalb der deutschen Grenzen wird jeder reiches von 1871 den. Die mit der Deutschen Reichsgründung 5 Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne 1871 verkündete Verfassung enthielt keinen Vieh, erschossen. Ich nehme keine Weiber und Grundrechtekatalog. Garantiert waren lediglich keine Kinder mehr auf und treibe sie zu ihrem der Schutz der Persönlichkeit und des Eigentums, Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Das sind 1 Als Grundrechte be- 10 die Freiheit der Bürger, von einem Bundesstaat in meine Worte an das Volk der Herero. Der große zeichnen wir die Frei- einen anderen umzuziehen, sowie der diplomati- 10 General des mächtigen Kaisers v. Trotha.“ (Hört! heits- und Gleichheits- sche Schutz der Bürger im Ausland. Weitere Rege- hört! bei den Sozialdemokraten.) rechte, die in einer lungen wurden den 25 Bundesstaaten überlassen. Denn weshalb kamen überhaupt die Weiber und Verfassung bzw. im Grundgesetz stehen In Bayern räumte z. B. die weiterhin gültige Verfas- Kinder der Herero zu den deutschen Soldaten? und die vor Gericht 15 sung von 1818 den Bürgern überschaubare grund- Weil sie sich vor Hunger gefangen nehmen lassen eingeklagt werden legende Rechte ein. Immerhin stellte die Reichsver- 15 wollten. Es ist ja in der Denkschrift, die uns jetzt können. Als Men- fassung die jüdische Bevölkerung im gesamten übermittelt wird, ausdrücklich nachgewiesen, schenrechte verste- Kaiserreich gesetzlich gleich. Dies verhinderte aber dass wahrscheinlich der größte Teil der Herero hen wir die unantast- baren und unverän- nicht den zunehmenden Antisemitismus*. vor Hunger und Durst in der Wüste umgekom- derbaren Freiheiten 20 Überhaupt gewannen im Kaiserreich um 1900 men ist. Man ist an Stellen gekommen, wo die und Rechte aller Men- autoritäre, völkische und rassistische Ideen immer 20 Kadaver der verhungerten und verdursteten Leu- schen, die ihnen von mehr Anhänger. Militarismus und Imperialismus* te haufenweise gelegen haben. (Hört! hört! bei den Natur aus zustehen – trugen dazu bei. Den Einheimischen in den erober- Sozialdemokraten.) unabhängig von Ge- schlecht, Herkunft, ten Kolonien wurden grundsätzlich wenige oder Der Zweck dieses Erlasses […] ist also der gewe- Religion, Staat und 25 gar keine Rechte zugestanden. Die Folgen des ras- sen, dass die Soldaten allerdings die männlichen Gesellschaft. sistischen Denkens zeigten sich, als deutsche Sol- 25 Herero erschießen, aber die unglücklichen Wei- →

1871: Deutsche Reichsgründung 1918: Novemberrevolution Bürgertum 128 Demokratie Liberalismus Monarchie Parlament Weimarer Reichsverfassung

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ber und Kinder, die sich vor dem Verhungern und Damit hatte man auf alte Forderungen der Sozial- Verdursten selbst zu ihren Feinden retten woll- demokraten, auf die Not und das Elend des Ersten ten, in den Tod des Verschmachtens hineintrei- 25 Weltkrieges sowie auf die Forderungen der No- ben sollten. Das ist eine so ungeheuerliche Infa- vemberrevolution reagiert. 30 mie1 (sehr richtig! bei den Sozialdemokraten), dass Als Schwachpunkt der Reichsverfassung erwies jeder Deutsche und insbesondere jeder deutsche sich der fehlende Schutz der Grundrechte. Sie Soldat sich wegen dieser Erlasse des Herrn Gene- konnten wie alle anderen Artikel der Reichsverfas- rals v. Trotha schämen sollte. […] 30 sung im Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit Aber die beiden Herren [gemeint sind General geändert werden. Auch war es schwierig, Grund- 35 Trotha und Reichskanzler Bülow], die bisher be- rechte einzuklagen. Zwar gab es ab 1921 einen wiesen haben, dass sie die deutsche Ehre in der Staatsgerichtshof, aber er hatte keine Befugnisse, Kriegsführung gegenüber barbarischen Stämme die Einhaltung der Bundesgesetze zu prüfen. Vor 3 Weimarer Reichs- nicht richtig haben zu wahren wissen, gehören 35 allem aber hatten die Bürger nicht das Recht, sich verfassung allerdings auf die Anklagebank, vor den Richter- direkt an ihn zu wenden, wenn sie ihre Grundrech- Bucheinband von 1919 Alle Beamten und Angehö- 40 stuhl des deutschen Volkes und den Richterstuhl te verletzt sahen. Die Verwaltungsgerichte in den rige der Reichswehr wur- der Geschichte, und was sie auch sagen mögen: einzelnen Bundesländern konnten diese Aufgabe den auf die Weimarer Das deutsche Volk und die Geschichte werden sie nur eingeschränkt erfüllen. Noch schwerwiegender Reichsverfassung vereidigt schuldig bekennen. (Beifall bei den Sozialdemo- 40 aber war der Umstand, dass die Grundrechte nach (Artikel 176). Darüber hin- kraten.) Artikel 48 der Verfassung außer Kraft gesetzt wer- aus sollte jeder Schüler bei Beendigung der Schul- Zitiert nach: https://daten.digitale-sammlungen.de/ den konnten, wenn der Reichspräsident einen pflicht einen Abdruck der bsb00002824/image_101 (Zugriff: 12. 10. 2020) „Notstand“ ausrufen wollte. Reichsverfassung erhalten 1 Infamie: Schande Bernhard Brunner (Artikel 148).

INFO 2 Grundrechte und -pflichten 4 Aus der Weimarer Reichsverfassung in der Weimarer Republik Die von der Nationalversammlung in Weimar erarbeitete Verfassung tritt Die nach dem Sturz der Monarchien und dem En- am 11. August 1919 in Kraft. Sie enthält u. a. folgende Grundrechte und de der Novemberrevolution 1918 am 14. August Grundpflichten: 1919 verkündete Weimarer Reichsverfassung Artikel 114 (1) Die Freiheit der Person ist unverletzlich. Eine Beeinträch- war die erste für ganz Deutschland geltende Kons- tigung oder Entziehung der persönlichen Freiheit durch die öffentliche 5 titution, die einen umfangreichen Grundrechteka- Gewalt ist nur aufgrund von Gesetzen zulässig. […] talog enthielt: Allerdings behandelte die Reichsver- Artikel 115 (1) Die Wohnung jedes Deutschen ist für ihn eine Freistätte fassung sie nachrangig. Im ersten Hauptteil regelt 5 und unverletzlich. Ausnahmen sind nur aufgrund von Gesetzen zulässig. sie die Organisation des neuen Staatswesens, erst […] im zweiten Hauptteil stehen die 56 „Grundrechte Artikel 117 (1) Das Briefgeheimnis sowie das Post-, Telegrafen- und Fern- 10 und Grundpflichten der Deutschen“. Vorbild wa- sprechgeheimnis sind unverletzlich. Ausnahmen können nur durch ren – auf Anregung von Reichspräsident Friedrich Reichsgesetz zugelassen werden. Ebert (SPD) – die „Grundrechte des deutschen Vol- 10 Artikel 118 (1) Jeder Deutsche hat das Recht, innerhalb der Schranken kes“ von 1848. Es gab jedoch zwei grundlegende der allgemeinen Gesetze seine Meinung durch Wort, Schrift, Druck, Bild Unterschiede: oder in sonstiger Weise frei zu äußern. […] 15 Im ersten Artikel wurde die Gleichheit aller Deut- (2) Eine Zensur findet nicht statt, doch können für Lichtspiele durch schen vor dem Gesetz klargestellt, insbesondere Gesetz abweichende Bestimmungen getroffen werden. […] die „grundsätzlich“ gleichen Rechte und Pflichten 15 Artikel 123 (1) Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung von Frauen und Männern. Dieser Artikel markierte oder besondere Erlaubnis friedlich und unbewaffnet zu versammeln. […] zusammen mit dem neu eingeführten Wahlrecht Artikel 124 (1) Alle Deutschen haben das Recht, zu Zwecken, die den 20 für Frauen einen Meilenstein in der Geschichte der Strafgesetzen nicht zuwiderlaufen, Vereine oder Gesellschaften zu bilden. Frauenrechte. Zitiert nach: www.documentarchiv.de/wr/wrv.html#ERSTER_ABSCHNITT02 Erstmals wurden auch soziale Rechte garantiert. (Zugriff: 13. 10. 2020)

16. 4.1871: Verfassung des Deutschen Kaiserreiches; 9. 11.1918: Abdankung des Kaisers und 11. 8.1919: Weimarer Reichsverfas- sie enthält keine Grundrechte Ausrufung der Republik sung; sie enthält Grundrechte und -pflichten 129 1800 1850 1900 1950

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INFO 3 Vollständige Miss- 6 Die „Reichstagsbrandverordnung“ achtung der Grund- und Am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Reichs- Menschenrechte im tagsbrand, wird folgende „Reichstagsbrandver- Nationalsozialismus ordnung“ erlassen: In der nationalsozia- Aufgrund des Artikels 48 Abs. 2 der Reichsverfas- listischen Weltan- sung wird zur Abwehr kommunistischer staatsge- schauung war kein fährdender Gewaltakte Folgendes verordnet: Platz für gleiche, § 1 Die Artikel 114, 115, 117, 118, 123, 124 und 153 der 5 von Natur aus vor- 5 Verfassung des Deutschen Reiches werden bis auf handene Rechte ei- Weiteres außer Kraft gesetzt. Es sind daher Be- nes jeden Men- schränkungen der persönlichen Freiheit, des schen. Der National- Rechts der freien Meinungsäußerung, einschließ- sozialismus teilte die lich der Pressefreiheit, des Vereins- und Ver- 10 Menschen aufgrund ras- 10 sammlungsrechts, Eingriffe in das Brief-, Post-, sistischer Kriterien in ver- Telegrafen- und Fernsprechgeheimnis, Anordnun- schiedene Gruppen bzw. Völker gen von Haussuchungen und von Beschlagnah- 5 „Du bist nichts, dein Volk ist alles – mit unterschiedlichem Wert ein, die men sowie Beschränkungen des Eigentums auch Adolf Hitler“ gegeneinander um das Überleben kämpfen. Es außerhalb der sonst hierfür bestimmten Meissner Porzellan- 15 zählte das Recht des Stärkeren. 15 gesetzlichen Grenzen zulässig. teller (Ø 25,5 cm), Gemäß dieser Überzeugung begann Hitler, nach- § 2 Werden in einem Lande die zur Wiederher- um 1935 dem er am 30. Januar 1933 Reichskanzler gewor- stellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung den war, die Grundrechte der Weimarer Reichs- nötigen Maßnahmen nicht getroffen, so kann die verfassung auszuhebeln. Wesentliche Schritte Reichsregierung insoweit die Befugnisse der 20 waren die „Reichstagsbrandverordnung“ vom 29. 20 obersten Landesbehörde vorübergehend wahr- Februar 1933 sowie keine vier Wochen später das nehmen. „Ermächtigungsgesetz“*.1 Auf dieser Grundlage § 3 Die Behörden der Länder und Gemeinden errichteten die Nationalsozialisten eine Diktatur*, (Gemeindeverbände) haben den aufgrund des § 2 in der die Grund- und Menschenrechte missachtet erlassenen Anordnungen der Reichsregierung im 25 wurden. 25 Rahmen ihrer Zuständigkeit Folge zu leisten. Dem Propagandasatz „Du bist nichts, dein Volk ist § 4 […] Wer durch Zuwiderhandlung nach Abs. 1 alles“ folgend, wurden die Rechte des Einzelnen eine gemeine Gefahr für Menschenleben herbei- gegen die vermeintlichen Interessen einer gedach- führt, wird mit Zuchthaus, bei mildernden Um- ten „Volksgemeinschaft“* ausgespielt. Wer dazu ständen mit Gefängnis nicht unter sechs Mona- 30 gehörte und wer nicht, regelten u. a. die 1935 er- 30 ten und, wenn die Zuwiderhandlung den Tod ei- lassenen „Nürnberger Gesetze“.2 Die vielen nes Menschen verursacht, mit dem Tode, bei Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen aus mildernden Umständen mit Zuchthaus nicht un- dieser rassistisch und ideologisch definierten Ge- ter zwei Jahren bestraft. Daneben kann auf Ver- meinschaft ausgeschlossen waren, wurden als mögenseinziehung erkannt werden. 35 „Volksfeinde“ oder „Schädlinge“ brutal bekämpft. 35 Wer zu einer gemeingefährlichen Zuwiderhand- Diese menschenverachtende Weltanschauung bil- lung (Abs. 2) auffordert oder anreizt, wird mit dete eine der Ursachen und einen Teil der Recht- Zuchthaus, bei mildernden Umständen mit 1 Siehe S. 59 f. fertigung für die Verbrechen des nationalsozialisti- Gefängnis nicht unter drei Monaten bestraft. 2 Siehe S. 79. schen Staates. § 5 Mit dem Tode sind die Verbrechen zu bestra- Bernhard Brunner 40 fen, die das Strafgesetzbuch […] mit lebenslan- gem Zuchthaus bedroht. Zitiert nach: www.1000dokumente.de/index.html?c=doku ment_de&dokument=0101_rbv&l=de (Zugriff: 18. 05. 2020)

130 30. Januar 1933: Hitler Reichskanzler Nationalsozialismus „Nürnberger Gesetze“

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 130 26.02.21 10:21 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 131 26.02.21 10:21 Die Grund- und Menschenrechte in Deutschland seit 1871

INFO 4 Die Grundrechte Meinungsfreiheit in unserem Grundgesetz Bekenntnisfreiheit Gewissensfreiheit Die Mütter und Väter des Grund- Berufsfreiheit Glaubensfreiheit gesetzes der Bundesrepublik Freizügigkeit Gleichheitsgesetz Vereinsfreiheit Allgemeine Deutschland setzten mit Blick auf Versammlungsfreiheitg Persönlichkeitsrechte die nationalsozialistischen Verbre- Bürgerrechte Menschenrechte 5 chen die Grundrechte an die erste Stelle des am 23. Mai 1949 ver- Grundrechte kündeten Grundgesetzes (Artikel 1 1 bis 19). Vor allem die Garantie Freiheitsrechte Gleichheitsrechte Verfahrensrechte Institutionelle der Menschenwürde sowie das Garantien u. aa.: Recht aauf f Leben und nd WillkürverbotWillkür erbot RechtsschutzgarantieRechtssch t garantie 10 klare Bekenntnis zu den Men- körperliche Unversehrtheit Gleichberechtigungsgebot Garantie des gesetzlichen EheEh und d Familie F ili Eigentum schenrechten – wie sie die „Allge- Glaubensfreiheit Diffamierungsverbot Richters Bekenntnisfreiheit Staatsbürgerliche Gleichheit Garantie des rechtlichen Erbrecht meine Erklärung der Menschen- Gewissensfreiheit Wahlstimmengleichheit Gehörs 2 Meinungsfreiheit Rechtsgarantie bei Frei- rechte“ vorsahen – sollten die Pressefreiheit heitsentziehung Grundprinzipien des neuen deut- Versammlungsfreiheit Berufsfreiheit 15 schen Staates bilden. Anders als Freizügigkeit die Verfassunggebende Versamm- Postgeheimnis Unverletzlichkeit der lung von 1919 in Weimar hatte Wohnung sich der Parlamentarische Rat3 auf 7 Grundrechte im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland zentrale Freiheits- und Teilhaberechte konzentriert. Nach: Christine Henne und Cathrin Schreier, Mensch und Politik SII, Braunschweig 2007, 20 Alle Grundrechte sollten jederzeit wirksam und S. 290 von jedem einklagbar sein. Zu diesem Zweck er- hielt das neugegründete Bundesverfassungsgericht 8 Unsere Werteordnung das Recht, alle Gesetze auch auf die Einhaltung der Aus der Selbstdarstellung des Deutschen Bundestages auf seiner Webseite: Grundrechte zu überprüfen. Zudem hat jeder Bür- Ist vom Grundgesetz die Rede, denken viele Bürgerinnen und Bürger zu- 25 ger das Recht, sich direkt an das Gericht zu wen- erst an die Grundrechte: An den Grundsatz der Menschenwürde in Arti- den, wenn er seine Grundrechte missachtet sieht. kel 1 und die dann folgenden Freiheits- und Gleichheitsrechte. Die Auch innerhalb des Grundgesetzes genießen die Grundrechte sind das Rückgrat des Grundgesetzes, und sie bilden die Grundrechte besonderen Schutz. Sie sind Teil des 5 Werteordnung unseres Landes. Sie haben buchstäblich vorrangige Be- „unveränderlichen Verfassungskerns“, der in sei- deutung, da die Väter und Mütter des Grundgesetzes sie an den Anfang 30 nem Wesensgehalt nicht geändert werden darf. stellten. „Vor dem Staat soll der Mensch kommen“, lautete die Botschaft Bernhard Brunner derer, die das Grundgesetz im Konvent von Herrenchiemsee vorbereite- ten und dann im Parlamentarischen Rat 1948 / 1949 ausarbeiteten. 1 Zur Gründung der Bundesrepublik Deutschland und Entstehung des Grundgesetzes siehe S. 164 f. 10 Geprägt durch die Erfahrungen der Führerideologie, des totalitären 2 Siehe hier S. 132 f. Machtanspruchs und der massenhaften Inhumanität der Nationalsozia- 3 Siehe dazu S. 164. listen stand die Sicherung grundlegender Bürgerrechte im Parlamentari- schen Rat ganz oben auf der Tagesordnung. Auch die Erinnerungen an die Schwächen des Grundrechtsschutzes in der Weimarer Republik spiel- 15 ten eine wichtige Rolle in den Beratungen. Zwar enthielt die Weimarer Reichsverfassung einen Katalog von Grundrechten, aber diese waren nicht einklagbar und konnten durch Notverordnungen außer Kraft gesetzt werden. Zitiert nach: www.bundestag.de/parlament/grundgesetz/gg-serie-02-grundrechte-634546 (Zugriff: 26. 04. 2020)

23. Mai 1949: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 131

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 130 26.02.21 10:21 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 131 26.02.21 10:21 3 Rechte des Menschen – gestern und heute Die weltweite Bedeutung der Menschenrechte seit dem Zweiten Weltkrieg

20 nicht verbindlich und nicht einklagbar. Aber sie for- mulieren den grundsätzlichen Auftrag an alle un- terzeichnenden Staaten, die Menschenrechte in ihren Herrschaftsgebieten zu erfüllen, zu wahren und zu schützen. Die beteiligten Staaten hatten 25 sich nicht darauf einigen können, die AEMR als Ganzes in verbindliches Recht zu überführen, statt- dessen bildete man sogenannte Konventionen (Abkommen), die jeweils inhaltlich zusammenge- hörende Menschenrechte aus der AEMR bündel- 30 ten. Auf diese Weise konnten die Staaten auswäh- len, welche Bereiche der AEMR sie rechtlich um- setzen konnten und wollten. Zusätzlich zu den nationalen Bemühungen verfolgen inzwischen auch die Vereinten Nationen selbst Menschen- 35 rechtsverstöße, die im Zusammenhang mit Kriegs- verbrechen begangen werden. Dies geschieht seit 1 Eleanor Roosevelt mit einem spanischsprachigen Druck der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ 2002 durch den „Internationalen Strafgerichtshof“ Foto vom November 1949 in Den Haag (Niederlande), der aber von zahlrei- Eleanor Roosevelt, die Witwe von US-Präsident Theodor Roosevelt, war von 1946 chen Staaten (noch) nicht anerkannt wird.3 bis 1951 die Vorsitzende der Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen Bernhard Brunner (UNO). Die Kommission erarbeitete einen Katalog universell gültiger Menschen- rechte. 3 Dazu zählen u. a. die Vereinigten Staaten, die Volksrepu- blik China, Indien, Irak, Iran, Israel, Pakistan, Russland, INFO 1 Ein internationaler Durchbruch Saudi-Arabien, Syrien und die Türkei. Quellentipp: Vor dem Hintergrund des Zweiten Weltkrieges und Den Text der „Allgemei- 2 nen Erklärung der Men- der NS-Verbrechen entstand 1945 die internatio- Warum haben sich 1948 acht Staaten schenrechte“ von 1948 nale Organisation der Vereinten Nationen (UNO) der Stimme enthalten? findest du unter Code mit dem Ziel, „künftige Geschlechter vor der Gei- Ein Bericht vom 2. Oktober 1949 nennt folgende 31064 - 43. 5 ßel des Krieges zu bewahren“ und „die Grund- Gründe: rechte des Menschen“ zu bekräftigen. Bedenken Die von den Vertretern Polens vorgebrachten und über Eingriffe in die inneren Angelegenheiten der von der UdSSR geteilten Argumente resultierten Einzelstaaten, gesellschaftliche und politische Dif- aus einem anderen Bild des Lebens und des Men- ferenzen zwischen den Staaten sowie der begin- schen. Der Entwurf der Erklärung beruhte auf der 10 nende Kalte Krieg1 erschwerten die Suche nach 5 Annahme, dass die Interessen des Individuums 1 Zur Weltpolitik im einem gemeinsamen Menschenrechtsstandard. wichtiger sind als die des Staates und dass der Kalten Krieg siehe Kapitel 5. Dennoch konnte am 10. Dezember 1948 die „All- Staat das Individuum nicht seiner Würde und sei- 2 Die Enthaltungen gemeine Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR) ner Grundrechte berauben darf. Das gegenteilige kamen von der Sow- im Palais de Chaillot in Paris verkündet werden. Konzept besagt, dass die Interessen der Gesell- jetunion, der Ukraine, 15 Nicht alle der damals 56 Mitgliedstaaten der UNO 10 schaft wichtiger als die Interessen des Individu- Weißrussland, Polen, hatten für sie gestimmt. Es gab zwar keine Gegen- ums sind. der Tschechoslowakei, 2 Zitiert nach: Odd Arne Westad, Der Kalte Krieg. Eine Welt- Jugoslawien, Saudi- stimmen, aber immerhin acht Enthaltungen. geschichte. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Helmut Arabien und Süd- Die 30 Artikel der AEMR umfassen bürgerliche, po- Dierlamm und Hans Freundl, Stuttgart 2019, S. 118 f. afrika. litische und auch soziale Rechte. Sie sind allerdings

132 Menschenrechte

31064_1_1_2021_118-137_Kap3.indd 132 05.03.21 12:30 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 133 26.02.21 10:21 Die weltweite Bedeutung der Menschenrechte seit dem Zweiten Weltkrieg

3 Keine rein westliche Erfindung und Freiheiten zu fördern und durch fortschreitende nationale und inter- Der Journalist Martin Klingst schreibt zu dem 25 nationale Maßnahmen ihre allgemeine und tatsächliche Anerkennung Vorwurf, die AEMR sei eine rein westliche Erfin- und Einhaltung […] zu gewähr leisten. dung: K. Peter Fritzsche, Menschenrechte. Eine Einführung mit Dokumenten, Paderborn 32016, Asiaten und Afrikaner, Muslime, Juden, Buddhis- S. 58 - 59 ten und Hindus – Männer und Frauen – haben 1 WSK-Rechte: wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 mitgeschrieben. Ebenso die Pakte für INFO 2 Die Durchsetzung der Menschenrechte 5 bürgerliche und soziale Rechte. Und 1993 auf der Ausgehend von der AEMR wurde die Idee der Menschenrechte ab den Weltmenschenrechtstagung in Wien unterzeich- 1950er-Jahren zunehmend in allen Weltregionen verankert. So entstand neten 171 von damals 186 UN-Mitgliedern den 1969 eine interamerikanische (lateinamerikanische), 1981 eine afrikani- entscheidenden Satz: „Alle Menschenrechte sind sche, 2004 eine arabische und 2012 eine südostasiatische Menschenrechts- universal, unteilbar, bedingen einander und bil- 5 erklärung. Diese berücksichtigen regionale und vor allem kulturelle Bedin- 10 den einen Sinnzusammenhang.“ Das heißt, die gungen. Sie unterscheiden sich teilweise deutlich von der AEMR. Ihre Um- Menschenrechte sind nicht nur allgemeingültig, setzung in konkretes Recht steckt allerdings meist noch in den Anfängen. sondern es existiert zwischen ihnen auch keine Bernhard Brunner Hierarchie, die bürgerlichen Rechte sind nicht wertvoller als die sozialen. 5 Das internationale System der Menschenrechte Martin Klingst, Menschenrechte, Stuttgart 2016, S. 29 f. Stephen Hopgood, Professor für Internationale Beziehungen in London, fasst die internationalen Regelwerke wie folgt zusammen: 4 Ein internationaler Durchbruch Auf internationaler Ebene gibt es neben der UN-Charta und der Allge- Der Politikwissenschaftler Karl-Peter Fritzsche meinen Erklärung der Menschenrechte neun grundlegende Menschen- über die Bedeutung der AEMR: rechtsabkommen: Das Neue und geradezu Revolutionäre der AEMR • für bürgerliche und politische Rechte, liegt erstens darin, dass auf internationaler Ebene 5 • für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, begonnen wurde, die Menschenrechte zu schüt- • gegen Rassendiskriminierung, zen. Menschenrechte werden nicht mehr als ex- • gegen die Diskriminierung von Frauen, 5 klusive Angelegenheit nationaler Staaten erach- • gegen Folter, tet, sondern als Aufgabe der Völkergemeinschaft • zum Schutz der Kinder, in Form der Vereinten Nationen. Zweitens steht 10 • zum Schutz der Rechte von Wanderarbeitern, die AEMR für die Unteilbarkeit der Menschen- • zum Schutz der Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie rechte: Für lange Zeit danach nicht mehr vorstell- • gegen das Verschwindenlassen. 10 bar und realisierbar, gelingt es der AEMR, die Ihre Einhaltung wird von Expertenausschüssen überwacht. Hinzu kom- bürgerlichen, politischen und die WSK-Rechte1 in men der UN-Menschenrechtsrat, der die Menschenrechtssituation in den einem gemeinsamen Dokument zusammenzu- 15 UN-Mitgliedstaaten regelmäßigen Überprüfungen unterzieht, und das führen. UN-Hochkommissariat für Menschenrechte, das die Menschenrechts- Aber nicht nur in der Internationalisierung zeigt arbeit innerhalb der Vereinten Nationen koordiniert. […] 15 sich die AEMR innovativ, sondern auch in ihrer Ferner fungiert der Internationale Strafgerichtshof, der zwar offiziell für breiten Adressierung. In der Präambel verkündet das Völkerstrafrecht zuständig ist, in vielerlei Hinsicht als Gericht für die Generalversammlung diese Allgemeine Erklä- 20 Menschenrechte, vor allem im Bereich der Verbrechen gegen die Mensch- rung der Menschenrechte als das von allen Völ- lichkeit. Darüber hinaus ist eine ganze Reihe weltweit einflussreicher kern und Nationen zu erreichende gemeinsame zivilgesellschaftlicher Menschenrechtsorganisationen aktiv – die bekann- 20 Ideal, damit jeder einzelne und alle Organe der testen sind wohl Amnesty International und Human Rights Watch. Sie Gesellschaft sich diese Erklärung stets gegenwär- werden ergänzt durch unzählige regionale, nationale und lokale Men- tig halten und sich bemühen, durch Unterricht 25 schenrechtsgruppen. und Erziehung die Achtung vor diesen Rechten Stephen Hopgood, Morbide Symptome. Die Krise der Menschenrechte, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 70. Jg. 20/2020, 11. Mai 2020, S. 16 - 19, hier S. 17 f.

10.12.1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 133 1800 1850 1900 1950

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der Durchsetzung der Men- schenrechte ausdrücklich ver- 30 pflichtet. Alle 27 Mitgliedstaa- ten (Stand: Jan. 2020) sind De- mokratien mit garantierten Grundrechten in ihren nationa- len Verfassungen. Sie gehören 35 alle zu den Unterzeichnern der „Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grund- freiheiten“ des Europarates von 1950. Um einen einheitlichen 40 Leitfaden für die EU zu haben, wurde nach langer Vorarbeit 2000 eine eigene „Charta der Grundrechte“ verkündet. Sie wurde 2009 von allen EU-Staa- 45 ten außer Polen als rechtsver- 6 „Europäischer bindlich anerkannt. In 50 Arti- Gerichtshof“ INFO 3 Europa und die Menschenrechte keln werden umfassende Rechte verkündet, für Karikatur von Silvan Der Europarat, eine 1949 gegründete Organisation deren Durchsetzung sowohl die Gerichte der Mit- Wegmann vom 18. Februar 2010 von 47 europäischen Mitgliedstaaten mit Sitz in gliedstaaten als auch der 1952 gegründete „Ge- Straßburg (Frankreich), hat mit der „Europäischen 50 richtshof der Europäischen Union“ in Luxemburg Menschenrechtskonvention“ (EMRK) von 1950 zuständig sind. 5 und der „Europäischen Sozialcharta“ von 1961 ei- Bernhard Brunner gene Menschenrechtskataloge verkündigt. Wäh- rend die Sozialcharta lediglich eine allgemeine und 7 Anzahl der Beschwerden am EGMR nicht einklagbare Verpflichtung der Mitgliedstaa- 2010 61 300 2015 40 650 ten enthält, beinhaltet die EMRK elementare 2011 64 500 2016 53 500 10 Grund- und Menschenrechte und verpflichtet die 2012 65 150 2017 63 350 44 Staaten, die sie unterzeichnet haben, zu deren 2013 65 900 2018 56 2001 Garantie und Durchsetzung. Zur Einhaltung setzte 2014 56 250 der Europarat den „Europäischen Gerichtshof für 1 Aus folgenden sieben Mitgliedstaaten stammen 2018 Menschenrechte“ (EGMR) ein. 1998 wurde der etwas mehr als drei Viertel der Beschwerden: 15 EGMR zu einem ständig tagenden Gericht mit er- • Rumänien 9 900 (18 %) weiterten Rechten mit Sitz in Straßburg aufgewer- • Russland 7 750 (14 %) tet. Er stellt die weltweit erste Instanz dar, an die • Türkei 7 500 (13 %) sich einzelne Bürger wenden können, wenn sie • Ukraine 7 100 (13 %) • Italien 4 650 (8 %) sich durch ihren Staat in ihren Grundrechten ver- Internettipps: • Ungarn (6 %) Informationen über die 20 letzt sehen und von diesem keine Hilfe erhalten. • Aserbaidschan 2 050 (4 %) internationale Gerichts- Die Urteile des EGMR sind für die Mitgliedstaaten Aus den restlichen 40 Mitgliedstaaten des Europarates barkeit und den Interna- verbindlich. Die hohe Zahl von Verfahren unter- stammt der Rest von lediglich 24 % des Beschwerde- tionalen Strafgerichts- streicht, wie groß der Bedarf ist. Die Bedeutung anfalls. hofs (IStGH) siehe unter 31064 - 44. der Urteile ist kaum zu überschätzen. Nach: www.emrk.at/statistik.htm (Zugriff: 20. 10. 2020) 25 Die 1993 gegründete Europäische Union (EU) geht auf einen wirtschaftlichen Zusammenschluss der 1950er-Jahre zurück. Sie ist als Wertegemeinschaft

134 Demokratie Menschenrechte Verfassung

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 134 26.02.21 10:21 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 135 26.02.21 10:21 Die weltweite Bedeutung der Menschenrechte seit dem Zweiten Weltkrieg

8 Zur „Grundrechtecharta“ der 9 Wo Grundrechte erlassen und durchgesetzt werden können Europä ischen Union von 2000 In Klammern das Jahr der Inkraftsetzung Auf der Homepage des EU-Parlaments heißt es: Welt Europa national Die Grundrechtecharta der Union definiert in Vereinte Nationen Europarat Europäische Union Bundesrepublik klarer und übersichtlicher Form die Rechte und (UNO) 47 Mitgliedstaaten (EU) Deutschland Freiheiten der Menschen, die in der Europäischen 193 Mitgliedstaa- (Stand: 2020) 27 Mitgliedstaaten Union leben. ten (Stand: 2020) (Stand: 2020) 1945: UN-Charta 1950 (1953): Euro- 2000 (2009): 1949: Grund- 5 Diese Rechte sind von den Organen und Institu- 1948: Allgemeine päische Menschen- Charta der Grund- gesetz mit Grund- tionen der Union ebenso wie von den Mitglied- Erklärung der rechtskonvention rechte der Europä- rechtekatalog staaten, wenn sie EU-Recht umsetzen, zu achten Menschenrechte ischen Union und zu garantieren. […] 1966 (1976): Pakt 1961 (1965): Euro- Diese Rechte sind in sechs große Kapitel unter- über wirtschaftli- päische Sozialcharta 10 teilt: che, soziale und • Würde des Menschen kulturelle Rechte 1966 (1976): Pakt • Freiheiten über bürgerliche • Gleichheit und politische • Solidarität Rechte 15 • Bürgerrechte 1946: Internatio- 1959: Europäischer 1952: Europäi- Überprüfung • Justizielle Rechte. naler Gerichtshof Gerichtshof für scher Gerichtshof durch das Bundes- Sie beruhen insbesondere auf den in der Europäi- in Den Haag Menschenrechte in in Luxemburg verfassungsgericht 1993: Hoher Kom- Straßburg; seit 1998 in Karlsruhe schen Menschenrechtskonvention anerkannten missar der Verein- tagt er ständig Einfluss auf die Rechten und Grundfreiheiten, den Verfassungs- ten Nationen für Rechtsprechung 20 traditionen der Mitgliedstaaten der Europäischen Menschenrechte individuelle Klagen in den Mitglied- Union, der Europäischen Sozialcharta des Euro- 2002: Internatio- möglich, bindende staaten parates und der Gemeinschaftscharta der sozia- naler Strafgerichts- Entscheidungen hof in Den Haag len Grundrechte der Arbeitnehmer sowie ande- 2006: UN-Men- ren internationalen Übereinkommen, denen die schenrechtsrat 25 Europäische Union oder ihre Mitgliedstaaten Zusammengestellt von Bernhard Brunner angehören. Die Grundrechtecharta geht in einigen Punkten über andere Grundrechtskataloge hinaus. Bei- Inwiefern sind Menschrechte* heute weltweit durchgesetzt? spielsweise garantiert die Charta den Bürgerinnen 1 Erarbeitet in Partnerarbeit ein Stufenmodell der Entwicklung der 30 und Bürgern ein Recht auf eine gute Verwaltung. Menschenrechte seit dem Zweiten Weltkrieg. Geht dabei von INFO 1 Das heißt: Sie haben einen Anspruch darauf, dass aus. Berücksichtigt die Zeitachse, den Kreis der Personen, für die sie ihre Angelegenheiten von den Organen und Ein- gelten, und die Art der garantierten Rechte (M2 bis M5). richtungen der Union unparteiisch, gerecht und 2 Diskutiert, inwiefern man bei dieser Entwicklung von einem Fortschritt innerhalb einer angemessenen Frist behandelt sprechen kann und worin dieser besteht. Erklärt, warum der AEMR 35 werden. Ferner hat jede Person das Recht, gehört und der Grundrechtecharta der EU (INFO 3, M8) eine besondere zu werden und die sie betreffenden Akten ein- Bedeutung zukommen. sehen zu dürfen. Die Verwaltung muss ihre Ent- 3 Erarbeite unter Berücksichtigung von M2 und M3 Gründe, warum die scheidungen begründen. Sie muss einen Schaden, AEMR auch kritisiert wird. F der einem Bürger oder einer Bürgerin durch ihre 4 Recherchiert in Gruppenarbeit ein aktuelles Urteil der in M9 genann- 40 Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer ten Gerichte. Diskutiert anschließend Probleme bei der Durchsetzung. Amtstätigkeit verursacht wurde, ersetzen. Ihr könnt dabei z. B. M1 auf Seite 120 berücksichtigen. Zitiert nach: www.europarl.europa.eu/germany/de/ 5 Erörtere, warum die Umsetzung der Menschenrechte als „unerreich- europ%C3%A4isches-parlament/grundrechtecharta bare Utopie“ kritisiert wird. Du kannst dazu zusätzliche Recherchen (Zugriff: 29. 04.2020) anstellen.

10.12.1948: Allgemeine Erklärung 4.11.1950: Konvention zum 7.12. 2000: Charta der der Menschenrechte Schutze der Menschenrechte Grundrechte der EU und Grundfreiheiten 135 1940 1945 1950 2000 2005

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 134 26.02.21 10:21 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 135 26.02.21 10:21 3 Das weiß ich – das kann ich!

1 Das universelle AufAuf einen Blick: RecRechteh des Menschen – ten 13 britische Kolonien in der Amerikanischen LoLogogo für MenschenMenschen-- gestern und heute Unabhängigkeitserklärung von 1776 nicht nur rechte Die DDurchsetzungu der Men- ihre Loslösung von Großbritannien, sondern auch Entwurf von PredragPredrag Stakic´ aus Serbien, schenrechteschen ist eine unab- 30 das Recht, einen eigenen Staatenbund zu grün- 20120111 geschlossenegeschl Menschheits- den. Die Gründerväter der Vereinigten Staaten si- aufgabe. Die längste cherten ihren Bürgern 1791 in zehn Zusatzartikeln 5 Zeit über waren die zur Verfassung* umfangreiche Bürgerrechte zu; sie Rechte der Menschen berücksichtigten dabei aber die Rechte der Frauen, abhängig von dem 35 der versklavten Afroamerikaner und der Ureinwoh- Stand,S in den sie hin- ner nicht. eeingeboren wurden. In Frankreich wurde Ende des 18. Jhs. die Abschaf- 10 DDie Rechte und Pflich- fung der Privilegien der Stände gefordert. Auch hier tente der drei Stände berief man sich auf die angeborenen und unveräu- (Klerus, AdelA sowie Bauern und 40 ßerlichen Rechte aller Menschen. Zu Beginn der BürgerBürger) und der christlichec Glaube präg- Französischen Revolution 1789 erarbeiteten Ab- ten die europäischeeuropäische Gesellschaft vom Mit- geordnete eine „Allgemeine Erklärung der Men- 15 telalter* bis in die Neuzeit*. Sie bildeten auch schen- und Bürgerrechte“. Sie sollte für die gesam- jahrhundertelang die Grundlage der vorherrschen- te Menschheit gelten. Zeitgenössische Kritiker war- den Staatsform: der Monarchie. Die politischen 45 fen ihr vor, die Rechte der Frauen nicht beachtet zu Mitspracherechte des Adels und der Bürger verän- haben. Obwohl die Menschenrechte Verfassungs- derten allmählich die Herrschaftsordnung in Stadt rang hatten und 1793 noch erweitert wurden, ver- 20 und Land. Aber erst die Staatsdenker der Aufklä- hinderten sie den Terror der Republik* nicht. rung schufen im 17. / 18. Jh. die Grundlagen für Freiheitsrechte des Einzelnen und Demokratie for- die Menschenrechte. Sie griffen dabei auch auf 50 derte der Liberalismus seit Anfang des 19. Jhs. 2 „Der Nächste Schriften aus der Antike*, des Mittelalters und der 1848 erarbeitete das gewählte Parlament, die bitte! …“ Renaissance* zurück. Die Ideen der Aufklärer Frankfurter Nationalversammlung, Grundrechte Undatierte Karikatur 25 wurden erstmals wirksam in Nordamerika. Mit des Volkes. Mit dem Scheitern des deutschen Nati- © Gerhard Mester / dem Hinweis auf die Menschenrechte rechtfertig- onalstaates scheiterten 1849 auch die nationalen Baaske Cartoons 55 Grundrechte. Die nach der Deutschen Reichsgründung 1871 verabschiedete Verfassung enthielt keinen Grund- rechtskatalog. Entsprechende Rechte blieben den Bundesstaaten überlassen, die von dieser Möglich- 60 keit aber kaum Gebrauch machten. Erst die Wei- marer Reichsverfassung von 1919, die nach der Novemberrevolution von 1918 von der demo- kratisch gewählten Nationalversammlung verab- schiedet worden war, enthielt einen umfangrei- 65 chen Katalog von Grundrechten und -pflichten. Doch besaß die Verfassung weder zu deren Durch- setzung noch zu ihrem Schutz ausreichende Rege- lungen. Die Missachtung der Demokratie und der Miss- 70 brauch der Weimarer Reichsverfassung trugen

1776: Amerikanische 1871: Deutsche 1919: Grun Unabhängigkeitserklärung Reichsgründung Weimare 1775 1825 1875 1789: Beginn der Französischen Revolution; 191 136 Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte lutio

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 136 26.02.21 10:21 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 137 26.02.21 10:21 Das weiß ich – das kann ich!

dazu bei, dass am 30. Januar 1933 Hitler zum 3 Darf Griechenland Flüchtlinge an der EU-Grenze abweisen? Reichskanzler ernannt wurde und der National- Das „Deutsche Institut für Menschenrechte“ hat 2020 das Vorgehen Grie- sozialismus Grundlage des Staates werden konn- chenlands und der EU an der türkisch-griechischen Grenze (siehe S. 120, te. Die „Reichstagsbrandverordnung“ und das M1) wie folgt bewertet: 75 „Ermächtigungsgesetz“ von 1933 setzten die Seit Ende Februar erreichen wieder tausende Menschen die Grenze zwi- Grundrechte und die Gewaltenteilung* außer schen der Türkei und Griechenland. Die Vereinten Nationen gingen An- Kraft. Die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 bil- fang März von mindestens 13 000 Menschen aus, die sich insbesondere deten dann die gesetzliche Grundlage für die sys- nahe des Grenzübergangs Pazarkule bei Edirne aufhalten. Nach Medien- tematische Ausgrenzung und Verfolgung der Ju- 5 berichten verhindern griechische Grenzsoldaten, zum Teil unter Einsatz 80 den, die im Holocaust* endete. von Wasserwerfern, Tränengas und Blendgranaten, dass Menschen die Angesichts der Folgen des Nationalsozialismus türkisch-griechische Grenze überqueren. Das aktuelle Vorgehen Grie- wurde in dem Grundgesetz der Bundesrepublik chenlands an der Grenze zur Türkei ist nicht vereinbar mit völker- und Deutschland von 1949 ein umfassender Katalog menschenrechtlichen Grundsätzen, zu deren Einhaltung sich Griechen- von Grundrechten an den Anfang gestellt. Das 10 land verpflichtet hat. Bereits 2012 hat der Europäische Gerichtshof für 85 Grundgesetz schützt die Menschenrechte und Menschenrechte (EGMR) in seiner Entscheidung im Fall Hirsi Jamaa und stellt ihre Durchsetzung sicher. anderer gegen Italien (27765/09) klargestellt, dass auch ein größerer Mig- Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden 1945 die rationsdruck nicht zu einer Aushebelung der Konventionsrechte führen Vereinten Nationen (UNO) gegründet. Ihre Mit- darf. Zwar haben Staaten grundsätzlich aufgrund ihrer staatlichen Sou- gliedstaaten verkündeten 1948 die „Allgemeine 15 veränität das Recht, den Zugang zu ihrem Territorium zu kontrollieren 90 Erklärung der Menschenrechte“ (AEMR). Damit und zu regulieren. Maßnahmen zur Grenzsicherung stehen jedoch immer wurde der Menschenrechtsschutz erstmals zu einer unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit. Insbesondere der Einsatz Aufgabe der internationalen Staatengemeinschaft von Mitteln, die das Leben oder die Gesundheit von Menschen gefährden erklärt. Während die AEMR rechtlich unverbindlich oder erheblich beeinträchtigen, müssen einer strengen Prüfung unterzo- blieben, können in Europa heute die Grund- und 20 gen werden, da fundamentale Grund- und Menschenrechte betroffen 95 Menschenrechte auf der Grundlage der „Konventi- sind. Ein gewaltsames Vorgehen mithilfe von Wasserwerfern, Tränengas on zum Schutze der Menschenrechte und Grund- und Blendgranaten, möglicherweise sogar unter Einsatz von Schlag- freiheiten“ des Europarates von 1950 sowie der stöcken und Gummigeschossen, gegen unbewaffnete schutzsuchende „Charta der Grundrechte der Europäischen Union“ Menschen, darunter Familien mit Kindern, kann in keinem Fall mit dem von 2000 eingeklagt werden. 25 Verweis auf die Notwendigkeit effektiven Grenzschutzes und Migrations- 100 Trotz dieser großen Fortschritte werden noch heu- kontrolle gerechtfertigt werden. Der staatlichen Befugnis zur Zugangs- te in allen Teilen der Welt die Menschenrechte aus kontrolle steht zudem die Verpflichtung gegenüber, Menschen Schutz zu politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturel- gewähren, die vor Verfolgung und schweren Menschenrechtsverletzun- len Gründen vielfach missachtet. gen fliehen. Bernhard Brunner Zitiert nach: www.ssoar.info/ssoar/handle/document/66832 (Zugriff: 11. 10. 2020)

1 Interpretiere die Karikatur (M2). Berücksichtige 3 Recherchiert in Partnerarbeit das weitere Schicksal der Flüchtlinge an Seite 132 f. der türkisch-griechischen Grenze (M3) und diskutiert davon ausge- 2 Arbeite heraus, welche Funktion die Men- hend die Bedeutung der internationalen und nationalen Menschen- schenrechte in M3 spielen. Orientiere dich rechtserklärungen. Geht dabei insbesondere auf die UN-Charta der dabei an folgenden Fragen: Wer fordert von Menschenrechte und die EU-Grundrechtecharta ein. wem die Einhaltung der Menschenrechte? 4 Erörtert in Gruppen, warum die Menschenrechte auch heute nicht Wer hat oder würde von den Änderungen überall und nicht vollständig umgesetzt sind. profitieren? Welche Interessen kann man hinter den Forderungen vermuten?

Grundrechtskatalog der 1939 - 1945: 1948: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen Zweiter Welt- imarer Reichsverfassung krieg 1950: Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte 1925 1975 2025 1918: Novemberrevo- 30. Januar 1933: Ernennung 2000: Charta der Grundrechte lution in Deutschland Adolf Hitlers zum Reichskanzler der Europäischen Union 137

31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 136 26.02.21 10:21 31064_DWZ_Bayern_4_Buch_Teildruck.indb 137 26.02.21 10:21 Bildnachweis

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