Gebet Schon 5775 war der Jesuit als erster Europäer nach gelangt. Der Stich aus Athanasius Kirchers Werk »China Illustrata« (5778) entstand nach seinen Zeichnungen, er zeigt zwei Gläubige, die sich vor Bodhisattva-Statuen verneigen.

112 KAPITEL  — DER WEG IN DIE MODERNE Der italienische Jesuit Ippolito Desideri studierte in den Buddhismus. Er brachte im 18. Jahrhundert erstmals fundierte Informationen über die fremde Religion in den Westen. »Scheußlicher Glaube an die Seelenwanderung«

Von Joachim Mohr

ie Tibeter sind durchaus offen und wil - und ein tiefes Verständnis für die asiatische Reli - lens zuzuhören, sie möchten alles se - gion entwickeln. Seine Berichte über Tibet und D hen, abwägen und in allen Einzelheiten den Buddhismus würden, zusammen mit denen rational diskutieren, sie möchten über - der anderen frühen Missionare, das Bild der Eu - zeugt und nicht belehrt werden.« Ausgesprochen ropäer für rund zwei Jahrhunderte bestimmen: wohlwollend äußerte sich Ippolito Desideri über Außer ihren Schilderungen gelangten in dieser Zeit die ihm so fremde Kultur der Tibeter. Die Oberen keine anderen Informationen aus dieser so weit seines Ordens hatten ihn dorthin entsandt, eine entfernten Welt in den Westen. Missionsstation zu errichten und den katholischen Bei seinem klösterlichen Lehrmeister erhielt Glauben im Land zu verbreiten. Im Frühjahr 1716 Desideri rasch Einblicke in die fremde Sprache, er war der Jesuit, aus Rom kommend, in der Haupt - verfasste ein tibetisches Wörterbuch und eine stadt Lhasa eingetroffen. Grammatik. Bereits nach einem Dreivierteljahr Von den Herrschenden im Himalaja-Staat war konnte er bei einem erneuten Treffen mit dem der Mönch freundlich empfangen worden, und Herrscher Khan eine Darstellung des christlichen das, obwohl er einem hohen Beamten offen sein Glaubens in tibetischer Sprache präsentieren. Die missionarisches Ansinnen geschildert hatte. Schon Schrift trug den Titel »Morgenröte, das Anzeichen wenige Wochen nach seiner Ankunft lud ihn der der aufgehenden Sonne, welche die Dunkelheit tibetische Regent Lhabzang Khan zu einer Au - vertreibt«. dienz, in der Desideri die Grundlagen des katho - Machthaber Lhabzang Khan regte daraufhin lischen Glaubens vortragen sollte. Da sich Desideri ein Streitgespräch zwischen dem christlichen und Khan allerdings trotz der Hilfe eines indischen Mönch und buddhistischen Gelehrten an. Dafür Dolmetschers kaum verständigen konnten, wies allerdings sollte Desideri die buddhistischen - der Herrscher dem Jesuiten einen buddhistischen ren noch besser kennenlernen; zu diesem Zweck Mönch als Tibetisch-Lehrer zu. durfte er zwei buddhistische Klöster besuchen und Für den in der Toskana geborenen Desideri, da - mehrere Monate lang in den dortigen Bibliotheken mals 32 Jahre alt, war das der Anfang einer jahre - studieren. langen Beschäftigung mit der tibetischen Kultur – Desideri wusste die Gelegenheit zu schätzen, und mit dem Buddhismus. Als erster Europäer er vertiefte sich in die fremde Gedankenwelt – war würde er über längere Zeit in Tibet leben, sich es doch der Lohn für eine lebensgefährliche Reise, ernsthaft mit dem Buddhismus auseinandersetzen eine fast unmenschliche Tortur: Dreieinhalb Jahre

SPIEGEL GESCHICHTE / 113 lang war der Mönch unterwegs gewesen vom gewesen sein – ein Wunder, dass er überhaupt an - V atikan nach Lhasa in Tibet. Schon auf der Fahrt genkommen war. Nun galt es, die Zeit in Tibet best - von Rom nach Lissabon war sein Segelschiff von möglich im Sinne seines göttlichen Auftrags zu türkischen Seeräubern angegriffen worden. nutzen, für seine Religion zu werben. Doch dazu Auf der monatelangen Seereise nach Indien – wollte er zunächst verstehen, welche Glaubens - von Portugal um Afrika herum nach Mosambik, vorstellungen in Tibet überhaupt verbreitet waren. von dort über den indischen Ozean nach Goa an Denn damals war in Europa kaum etwas über der indischen Westküste – hatten Hitze, Stürme, den Buddhismus bekannt. In Rom machten krude fauliges Wasser und verdorbenes Essen den Jesui - Deutungen die Runde: Einige Geistliche mutmaß - ten gequält, zwei mit ihm aufgebrochene Missio - ten, dass sich in der Region Tibet womöglich das nare starben auf dem Meer. Auf dem Landweg fern im Osten vermutete Paradies befinden könnte. nach war Desideri gekidnappt worden, weil In einer Jesuitenschrift wurde Tibet mit der bibli - Räuber ihn für einen reichen Kaufmann hielten schen Prophezeiung in Verbindung gebracht, wo - und Lösegeld erpressen wollten. nach das Volk, das die Apokalypse überlebe, auf Wieder in Freiheit kämpfte er sich zu Fuß über einem alles überragenden Berg wohnen werde. den Himalaja nach Kaschmir – weder Karten noch Da tieferes Wissen fehlte, sahen viele Geistliche Reiseberichte wiesen ihm den Weg. Er überquerte Parallelen zwischen christlichen und buddhisti - Pässe von mehr als 5000 Meter Höhe und über - schen Vorstellungen. Der Jesuit Johann Grueber, lebte nur knapp. Danach brauchte er von Kasch - der 1661 nach Lhasa gekommen war, hatte ge - mir noch einmal Monate bis nach Lhasa. Die Reise schrieben: »Entweder war diese asiatische Religion schien eine Prüfung Gottes oder gar des Teufels ein Versuch des Teufels, das Christentum nachzu -

114 KAPITEL  — DER WEG IN DIE MODERNE »Ihr eigentliches Ziel ist es, die Vorstellung von Gott effektiv aufzuheben.«

äffen, indem es dessen Rituale verwendete – oder immerwährenden Friedens. Bereits der Mönch de es lebten in vielen Ritualen (wie Rosenkranz, Seg - Andrade hatte geschrieben: »Unter der weltlichen nungen, Weihe) noch Relikte eines Vorstoßes des Bevölkerung hört man selten ein unbescheidenes Christentums weit nach Innerasien hinein durch oder gar zorniges Wort. Es scheint ein ganz fried - den Apostel Thomas, allerdings überwuchert vom liches Volk zu sein.« Auch Desideri unterstellte Geister- und Dämonenglauben!« den Tibetern, ausgesprochen friedliebend zu sein – Um die fremde Religion zu verstehen, stülpte schilderte aber gleichzeitig Kriege und grausame man ihr kurzerhand christliche Ideen über. So bürgerkriegsähnliche Kämpfe voller Mord und Tot - glaubte der Jesuitenpater António de Andrade, schlag. Huldigung der sich bereits 1624 und ein zweites Mal 1625 für Der Eindruck, sowohl die Menschen in Tibet Johann Grueber wenige Monate in westtibetischem Gebiet aufhielt, als auch ihr Glaube seien überaus sanftmütig, wur - begegnete im Palast in einer buddhistischen Gottheit mit Schwert den de wohl begünstigt durch die allgegenwärtige asia - von Lhasa auch Erzengel Gabriel zu erkennen. Er setzte auch die tische Höflichkeit, die Frömmigkeit wie auch die dem 6. Dalai-Lama Lobsang Gyatso buddhistische Dreiheit von Buddha (Verehrung), zeitweise praktizierte religiöse Toleranz; schließ - (M.), den er neben Dharma (buddhistische Lehre) und Sangha lich durften die christlichen Missionare für ihren einer Büste eines (buddhistische Gemeinschaft aus Mönchen, Non - Glauben werben, was für Buddhisten in Rom so mongolischen nen und Laien) mit der Dreifaltigkeit des Chris - nie möglich gewesen wäre. Hinzu kam wohl auch Khans abbildete. Die mongolischen tentums aus Vater, Sohn und Heiligem Geist gleich. das Wunschdenken der Menschen im Westen, es Herrscher förderten Ippolito Desideri erkannte hingegen die grund - möge am anderen Ende des Globus doch eine bes - und schützten die sätzlichen Unterschiede zwischen Buddhismus sere Welt geben. Dalai-Lama (siehe und Christentum. Er hielt nichts von der These, Während seiner Studienzeit in den Klöstern Ti - S. 87). Als Ippolito Desideri nach Tibet der Buddhismus sei eine Abart des christlichen bets las und studierte Desideri alles, was er über reiste, übten sie die Glaubens. Der Mönch entwickelte ein tieferes Ver - den Buddhismus finden konnte. Doch zu der ver - weltliche Herrschaft ständnis der östlichen Lehre, der »falschen Reli - einbarten religiösen Disputation vor den Augen im Land aus, der gion«, wie er sie nannte. So übersetzte er etwa des Herrschers kam es nicht. Ende des Jahres fielen Dalai-Lama spielte in dieser Zeit keine den zentralen buddhistischen Begriff der Leerheit, Mongolen in Lhasa ein, die den Regenten und sei - bedeutende Rolle. wie er ihn in einem Merkvers fand, durchaus zu - ne Familie töteten und die Stadt plünderten. Desi - treffend: »Nichts existiert eigenständig aufgrund deri musste in den kleinen Ort Dhagpo südöstlich eines in ihm selbst liegenden Seins und wesenhaft von Lhasa fliehen, wo er seine restlichen vier Jahre für sich selbst. Es gibt nichts, das unzusammen - in Tibet verbrachte. hängend, unverbunden oder ohne wechselseitige Das offizielle Ende seiner Tibetmission kam Beziehungen besteht.« 1718: Die Kongregation zur Verbreitung des Glau - In insgesamt vier Schriften auf Tibetisch warb bens entzog den Jesuiten die Mission und übergab Desideri nicht nur für den christlichen Glauben, sie dem Kapuzinerorden. Der Brief, der Desideri sondern versuchte auch, zentrale buddhistische darüber in Kenntnis setzte, brauchte jedoch zwei Ansichten zu widerlegen, etwa den »scheußlichen Jahre, bis er Tibet erreichte. Im April 1721 verließ Glauben an die Seelenwanderung«. Über die Gläu - Desideri Tibet. Nach einigen Jahren in Indien er - bigen schrieb er: »Ihr eigentliches Ziel ist es, die reichte er 1727 wieder italienischen Boden, 15 Jah - Existenz eines ungeschaffenen und unabhängigen re nach seiner Abreise. Wesens auszuschließen und absolut zu leugnen Sein Ziel, die Tibeter zu seinem eigenen Glau - und damit die Vorstellung von Gott effektiv auf - ben zu bekehren, erreichte Desideri nicht. Nur we - zuheben.« nige Dutzend Tibeter konvertierten im 17. und Der Bonner Tibetologe Rudolf Kaschewsky ur - 18. Jahrhundert zum Christentum. Als einige teilte über Desideri: »Die Überzeugung, dass es sich Christen sich weigerten, die üblichen religiösen um eine letztlich ›falsche Sekte‹ und eine ›höchst Dienste für den Dalai-Lama und andere buddhis - merkwürdige Religion‹ handle, hindert Desideri tische Rituale auszuführen, endete die Toleranz nicht daran, sich nach Kräften um eine treffende der Tibeter schlagartig. Deutung dessen, was er vorfand, zu bemühen.« Im Jahr 1742 verboten die Herrschenden in Lha - Ganz von seinen Vorstellungen lösen konnte sa den fremden Glauben, ließen einige Konvertiten sich allerdings auch Desideri nicht. In Europa war öffentlich auspeitschen und vertrieben die Missio - damals der Mythos verbreitet, Tibet sei ein Land nare. ◆

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