„Tierschutz, Erbe Der Humanität“* Heike Baranzke Katholisch-Theologische Fakultät, Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität Bonn, Bonn, Deutschland
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ZUM 90. GEBURTSTA G VON G. M. TEUTSCH „Tierschutz, Erbe der Humanität“* Heike Baranzke Katholisch-Theologische Fakultät, Rheinische Friedrich Wilhelms-Universität Bonn, Bonn, Deutschland In der Lemmaliste des von Gotthard Mar- denen Überlegenheit, die dem Menschen ner „Solidarität gegenüber Mitmensch und tin Teutsch 1987 publizierten „Lexikon innerhalb der ihn umgebenden Natur ein Mitgeschöpf“ vom „anthropozentrische[n] der Tierschutzethik“ findet sich ein heute unangefochtenes Willkürrecht verleiht“. Humanismus als Ausdruck der Selbst- altertümlich anmutendes, aber überaus Heute, gut drei Jahrzehnte später, ist der überhebung des Menschen“ unterschei- aufschlussreiches Stichwort: „Humani- „Speziesismus“ als Kritik an einer an- den, wurde wenig später die Gleichheit tät“. In dem Artikel spannt Teutsch den thropozentrisch verengten Ethik in aller der Tiere „beyond humanity“ (Cavalieri Bogen von der lateinischen humanitas Munde, während man die „Humanität“ und Singer, 1994) ausgerufen. Wer sich über die Epoche des Humanismus bis in der (tier-)ethischen Literatur vergeb- als Tierethiker auf der Höhe der Zeit auf hin zum „Artegoismus“, zu dem es einen lich sucht. Eher finden sich in heutigen den Menschen beruft, der steht rasch un- eigenen kürzeren Artikel gibt, der mit Stichwortverzeichnissen Eintragungen zu ter Anthropozentrikverdacht und wird dem Hinweis auf eine „Sonderform des Trans- oder Posthumanismus. darüber belehrt, dass der Mensch nichts menschlichen A[rtegoismus]“ endet, „was Konnte Teutsch unter dem Stichwort anderes sei als ein Tier unter anderen man in den USA ‚Speziesismus’ nennt, das „Humanität“ noch „Menschlichkeit“ als Tieren. Dies mag aus zoologischer Per- Gefühl einer mit dem Menschen verbun- eine wertschätzende Haltung im Sinne ei- spektive zwar eine Binsenweisheit sein, doch vermag die Zoologie leider keine * Teutsch, 1995, S. 3 Antworten auf ethische Fragen, was und ALTEX 25, 4/08 337 ZUM 90. GEBURTSTA G VON G. M. TEUTSCH aus welchem Grund ich dies tun soll, zu Fraglich ist, ob Singers und Ryders der Begründung in der Ethik überhaupt liefern. Daran ändert sich im Übrigen Anamnese und Diagnose nicht zu kurz ist.“ (Wolf, 1992, 19) Peter Singer hat die auch nichts, wenn man Zoologie nicht greifen und sie daraufhin die falsche The- brisante Zweischneidigkeit einer empi- nur systematisch, sondern auch in histori- rapie verordnen. Bis ins 19. Jahrhundert risch basierten moralischen Gleichheits- scher Perspektive als Evolutionsbiologie bezeichnete „Mensch“ nie einfach ein argumentation schon in der „Befreiung betreibt. Humanität ist keine biologische biologisches, sondern ein zur Humanität der Tiere“ thematisiert: Kategorie. bestimmtes Lebewesen, dessen Wesen metaphysisch, theologisch oder naturphi- „Ein Schimpanse, ein Hund oder ein losophisch fundiert wurde. Daher wird Schwein etwa wird ein höheres Maß 1. „Speziesismus“ zu Recht darauf hingewiesen, dass die an Bewusstsein seiner selbst und eine – das naturalistische „moralische Sonderstellung des Men- größere Fähigkeit zu sinnvollen Be- Selbstmissverständnis schen […] in der Geschichte der Ethik ziehungen mit anderen haben als ein mit Gottesebenbildlichkeit, Personalität, schwer zurückgebliebenes Kind oder Wesentlicher Motor der sich seit den Handlungs-, Vernunft- oder Kommuni- jemand im Zustand fortgeschrittener 1960er Jahren im anglophonen Raum kationsfähigkeit oder einer geschichts- Senilität. Wenn wir also das Recht auf formierenden neuen Tierrechtsbewegung teleologischen Sonderstellung des Men- Leben mit diesen Merkmalen begrün- ist die gnadenlose Nutzbarmachung der schen begründet“ (Düwell, 2006, 435) den, müssen wir jenen Tieren ein eben- Tiere im industriellen Maßstab. Rachel wurde – nicht aber mit seiner kruden so großes Recht auf Leben zuerkennen Carson brachte in „Silent Spring“ (1962) biologischen Artzugehörigkeit, die tat- oder sogar ein noch größeres als den die Ausrottung vieler Tierarten, insbe- sächlich nichts als eine ethisch belanglo- erwähnten zurückgebliebenen oder se- sondere der Vögel, durch den gedanken- se empirische Tatsache ist. Daraus einen nilen Menschen. losen Einsatz der Agrargifte ins Bewusst- ethischen Grund der Bevorzugung zu sein; Ruth Harrison führte in „Animal machen, hieße dann, einen Sein-Sollens- Dieses Argument kann auf zwei Arten Machines. The New Factory Farming Fehlschluss zu begehen. Außerdem liegt ausgelegt werden. Man könnte es so se- Industrie“ (1964) die Zustände der indus- ein anachronistischer Fehlschluss vor, hen, dass es das Recht von Schimpan- triellen Nutztierhaltung vor Augen; der wenn der vormodernen Ethikgeschichte sen, Hunden und Schweinen und eini- britische Tierpsychologe Richard Ryder ein Argumentieren mit einem neuzeitli- gen anderen Arten auf Leben bestätigt lieferte in „Animals, Men, and Morals“ chen Artverständnis unterstellt wird. und dass wir eine schwere moralische (1972), in seiner Monografie „Victims Folgenschwerer als diese Methoden- Verfehlung begehen, wenn wir diese of Science“ (1975) und „In Defence of fehler wirkt sich allerdings die dem Spezi- töten, selbst wenn sie alt und leidend Animals“ (1985) erschreckende Innenan- esismusvorwurf zugrunde liegende natu- sind und wir die Absicht haben, sie von sichten über Tierversuchsanordnungen in ralistische Anthropologie aus, – nämlich ihrem Leiden zu erlösen. Man könnte Tierlaboratorien. Schon 1969 hatte Ryder auf eine irreführende Ursachenanalyse das Argument aber auch so auffassen, den Begriff „Speziesismus“ in Analogie einerseits und auf die Erosion des huma- dass die schwer Zurückgebliebenen zu „Rassismus“ geprägt, um die Diskri- nitären Fundaments einer tierethischen und hoffnungslos Senilen kein Recht minierung und Ausbeutung von Tieren Begründung andererseits. Letzteres zeigt auf Leben haben und aus ganz trivialen anzuklagen. Peter Singer machte Ryders sich insbesondere an dem so genannten Gründen getötet werden dürfen, wie Begriff zum „Kern“ seiner „Animal Li- marginal case-Argument, dem Vergleich wir gegenwärtig die Tiere töten.“ (Sin- beration“ (1975) und bringt ihn auf die der kognitiven Fähigkeiten von geistig ger, 1982, 40) These, „dass die Diskriminierung von noch unentwickelten oder stark einge- Lebewesen allein aufgrund ihrer Spezies schränkten Menschen mit meist hoch Abgesehen von der Tatsache, dass das eine Form von Vorurteil ist, ebenso un- entwickelten Tieren, in der Absicht, Tie- Menschenrecht auf Leben in der Allge- moralisch und nicht vertretbar wie die re an dem zumindest theoretisch hohen, meinen Erklärung der Menschenrechte Diskriminierung aufgrund der Rasse un- durch Menschenwürde und Menschen- (AEMR) Art. 3 nicht mit den angeführ- moralisch und nicht vertretbar ist“. (Sin- rechte begründeten Schutzstandard von ten Merkmalen begründet wird, sondern ger, 1982, 269) Das Bewusstsein der bio- Menschen teilhaben zu lassen, ohne zu damit, dass gemäß Art. 1 AEMR alle logischen Artzugehörigkeit, ein Vertreter realisieren, dass man damit an dem hu- Menschen „frei und gleich an Würde der Spezies homo sapiens sapiens zu manitären Ast sägt, auf dem die Tierethik und Rechten geboren“ sind, präsentiert sein, wird als Grund für den Ausschluss selbst sitzt. Jean-Claude Wolf bringt es der Ethiker Peter Singer diese beiden der Tiere aus der abendländischen Ethik auf den Punkt, wenn er das Revolutionäre Auslegungsmöglichkeiten vom Stand- diagnostiziert. Der moderne Therapie- der Tierrechtsethik darin bestimmt, dass punkt eines theoretischen, unbeteiligten Vorschlag lautet: der Mensch solle sich es „aus den gleichen Gründen unmora- Beobachters als zwei logisch gleichge- endlich als Tier unter Tieren, als Mitglied lisch ist, Menschen und Tiere grausam zu wichtig erscheinende moralische Mög- unter moralisch Gleichen und den Artun- behandeln und zu töten. […] Daraus geht lichkeiten, nämlich entweder die Tiere terschied als ethisch irrelevant begreifen. hervor, dass die Tierethik kein Anhäng- auf Menschenrechtsniveau zu heben oder Jedes Humanitätsbewusstsein gerät so sel, kein Nebenzweig der Ethik, sondern den Schutz geistig eingeschränkter Men- generell unter Speziesismusverdacht. eine zentrale Weichenstelle für die Art schen auf das Niveau von Versuchs- und 338 ALTEX 25, 4/08 ZUM 90. GEBURTSTA G VON G. M. TEUTSCH Schlachttieren abzusenken. Dann plädiert „warum“ ihres Handelns selbst befragen. tergehbaren Standpunkt vor, und zwar Singer für eine „mittlere Position“, indem Darin liegt wenn nicht ein menschliches um einer humanitär ausgerichteten Ethik er in der Gründungszeit der Bioethik als Spezifikum, so zumindest ein Charakte- willen, die auch die Empfindungs- und neuer wissenschaftlicher Disziplin sein ristikum, das zwar in anthropologischen Leidensfähigkeit, mithin sentientistische Tierschutzanliegen mit durch neuartige und ethischen Ansätzen unthematisiert, und pathozentrische Perspektiven zu in- medizinisch-technische Entwicklungen gleichsam im toten Winkel bleiben kann, tegrieren vermag. Eine solche Ethik darf induzierten medizinethischen Problem- dennoch aber den unhintergehbaren Aus- den Menschen nicht als ein körperloses, bereichen kurzschließt. gangspunkt menschlicher Reflexionstä- sondern muss ihn als ein verleiblichtes, tigkeit bildet. Ethik als Teil neuzeitlicher leidens- und empathiefähiges Vernunft- „Was wir brauchen, ist eine mittlere Philosophie findet hier ihren einzig mög- und Moralsubjekt reflektieren. Genau da- Position, die den Speziesismus ver- lichen adäquaten Ausgangspunkt, von ran aber mangelt es der abendländischen meidet, die aber das Leben der Zurück- wo aus die Beziehungen zu sich selbst, Ethiktradition