Die Verwirrung Um Verwirrtheit, Stupor Und Koma Terminologische Bemerkungen Zu Den Bewusstseinsstörungen N C
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Originalarbeit Die Verwirrung um Verwirrtheit, Stupor und Koma Terminologische Bemerkungen zu den Bewusstseinsstörungen n C. W. Hess Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik, Inselspital, Bern Summary (twilight state) are being discussed and related to the term “delirium” with its various definitions Hess CW. [Confusion over delirium, stupor and in recent years. coma.] Schweiz Arch Neurol Psychiatr. 2007;158: Keywords: sopor; stupor; delirium; acute con- 354–9. fusional state Taxonomy and nomenclature of normal and abnormal states of consciousness have been Einleitung highly variable, imprecise and sometimes con- fusing, because the terms used to describe them Begriffsverwirrungen gehören zur klinischen Me- have been given different meanings depending dizin wie das Wasser zum Fisch.Das liegt einerseits on medical field (e.g. neurology and psychiatry) sicher daran, dass die klinische Medizin, ähnlich and language. Compounding the difficulty is the etwa wie die Psychologie, keine exakte Wissen- fact that the terms continue to be changed in an schaft ist. Bereiche wie die Neurologie und Psych- attempt to reflect pathophysiology of disturbed iatrie sind wegen ihrer unübertroffenen Kom- consciousness which, however, is still not fully plexität besonders anfällig auf terminologische understood. In this article the terminological de- Verwirrungen. Verschiedene Schulen schufen in velopment and various definitions of the terms ihrer Sprache ihre eigene Systematik, mehr oder sopor, stupor, delirium, akinetic mutism and coma weniger ungeachtet anderer schon existierender vigile,“apallisches Syndrom” (“apallic syndrome”) terminologischer Regelwerke. or vegetative state are being described with spe- Heute versuchen internationale Expertengre- cial emphasis on the German and English medical mien eine einheitliche Nomenklatur zu schaffen, usage and some discrepant denotations. Acute wobei dann häufige Modifikationen gelegentlich confusional state (“akuter Verwirrtheitszustand”) der Klarheit abträglich sind. Neue Erkenntnisse e.g. has been classified either as a symptom or – rufen zwar manchmal nach einer neuen Systema- inauspiciously – also as syndrome/disease thereby tik in der Terminologie, welche die zugrundelie- making it synonymous to delirium. The English genden entwickelten physiologischen und patho- usage of the term “stupor” in neurology instead logischen Konzepte widerspiegeln soll. Das hat of “sopor” (semi-comatose state) stands in con- dann manchmal zur Folge, dass deskriptive Be- trast to the psychiatric usage, where stupor im- griffe für ätiologisch nicht belegte Symptome oder plies absence of voluntary movement and respon- Syndrome einem ätiologisch definierten Krank- siveness to external stimuli while being fully awake heitsbild zugeordnet werden. Ist die Synkope rein (e.g. dissociative stupor). German designations deskripitiv ein paroxysmaler Bewusstseinsverlust such as Bonhoeffer’s “akuter exogener Reaktions- mit transientem posturalem Versagen (Sturz) oder, typ” (“acute exogenous reaction type”) as umbrella pathophysiologisch eingegrenzt, Ausdruck einer term for symptomatic psychoses, Wieck’s “Durch- transienten globalen zerebralen Ischämie oder gangssyndrome” (“transitional syndromes”) for gar, wie auch schon vorgeschlagen, ätiologisch auf acute reversible organic psychic disorders with kardiogene Ursachen begrenzt? unaltered consciousness or “Dämmerzustand” Im Bereich der Bewusstseinsstörungen ist die terminologische Verwirrung besonders eindrück- Korrespondenz: lich, weshalb hier die Problematik mit speziellem Prof. Dr. med. Christian W. Hess Blick auf die «Verwirrtheit» und das «Delirium» Neurologische Universitätsklinik und Poliklinik beleuchtet werden soll. Auf eine Darlegung der Inselspital CH-3010 Bern Differentialdiagnose und Therapie wird verzichtet e-mail: [email protected] und auf die nachfolgenden Aufsätze verwiesen. 354 SCHWEIZER ARCHIV FÜR NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE www.sanp.ch 158 n 8/2007 Der Terminus «Bewusstsein» in der Medizin wusste alltägliche automatisierte kognitive Pro- zesse betrifft, die dem Bewusstsein grundsätz- Der Begriff des Bewusstseins hat sich in den ver- lich zur Verfügung stehen. Darunter könnte man schiedenen Sprachen unterschiedlich entwickelt. folglich auch transkortikal bedingte Reflexe Der Lateiner hat «Conscientia», wörtlich «das subsumieren. Die Unterscheidung zwischen Vor- Mitwissen», aus dem griechischen «Syneidesis» bewusstem und Unbewusstem wird aber in der (συνειδεσις) übernommen, was im Altertum die Psychiatrie nicht generell gemacht, wurde z.B. von Bedeutung des Wissens um das eigene Wissen, vor M. Bleuler nicht vorgenommen und ist auch in der allem auch des Mitwissens eigener (oder fremder) Neurologie nicht üblich. Schuld, hatte. Luther übersetzte «Syneidesis» mit Im klinischen Alltag der Medizin schliesslich «Gewissen». Im Deutschen hingegen bedeutete hat sich die operationelle Definition bewährt, dass das Verb «bewissen», den Durchblick oder Über- ein «ansprechbarer» (= Antwort gebender, engl. blick zu haben bzw. die Fähigkeit, das eigene Er- «responsive») Patient bei Bewusstsein ist, im leben zu betrachten, oder generell zu Wissen zu Wissen, dass es wichtige Ausnahmen gibt (Mu- gelangen [1]. Seit dem 18. Jahrhundert blieb nur tismus, Stupor, Anarthrie). Umgekehrt gilt ein noch die adjektivische Formulierung «bewusst Patient als komatös, wenn er auch durch heftige sein» im Gebrauch, woraus später das Substantiv Intervention nicht zum Augenöffnen gebracht «Bewusstsein» entstand. werden kann, wiederum mit einigen Ausnah- Der Begriff des Bewusstseins wird auch heute men (bilaterale M.-levator-palpeprae-Plegie, sehr je nach Wissensgebiet verschieden verstanden selten anders herum: tonische Lidretraktion bei und findet entsprechend ganz unterschiedliche Ponsinfarkt trotz Koma). Definitionen. Allein innerhalb der Neurophysio- logie und Psychologie ist das Verständnis des Bewusstseins bislang nur lückenhaft und dessen Bewusstseinsstörungen Störungen sind hoch komplex. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die damit verbundenen Aus didaktischen Gründen hat es sich in der kli- Begriffe oft unscharf definiert sind, je nach Dis- nischen Medizin bewährt, Bewusstseinsstörungen ziplin unterschiedlich gebraucht werden und einem in quantitative und qualitative einzuteilen, im steten Wandel unterworfen sind. Wissen, dass in der klinischen Realität meist beide In den neurokognitiven Wissenschaften ver- Aspekte betroffen sind. Die rein quantitativen stehen wir heute unter Bewusstsein eine Qualität Bewusstseinsstörungen betreffen eine pathologi- des psychischen Erlebens, welches nach dem ame- sche Reduktion der Wachheit, werden mit zuneh- rikanischen Neurologen und Psychiater Stanley mender Eintrübung in Somnolenz oder Benom- Cobb (1887–1968) am besten als «gewahr sein menheit (engl. obtundation), Sopor und Koma seiner selbst und seiner Umgebung» umschrieben (Tab. 1) eingeteilt [4], wobei auch Zwischenstufen wird [2]. Als Bewussteinsinhalte wird die Summe definiert wurden. Für diesen quantitativen Aspekt aller kognitiven und emotionellen Funktionen wird im Deutschen heute oft auch der Begriff der bezeichnet. Dass die Verarbeitung der Bewusst- Vigilanz (engl. arousal) gebraucht, während man seinsinhalte mehrheitlich unbewusst abläuft (s. früher (und z.T. auch heute noch) darunter im unten), ist nur eines der begrifflichen Paradoxa ursprünglichen Sinne des Wortes (lat. vigilantia) ums Bewusstsein, mit denen wir leben müssen. die Wachsamkeit oder Aufmerksamkeit verstand. Wachheit schliesslich ist essentielle Voraussetzung, Somnolenz wird von der physiologischen Schläf- aber nicht ausreichend für das Bewusstsein. In rigkeit insofern abgegrenzt, als letztere durch diesem Sinne versteht sich der Schlaf als bewusst- Schlafen behoben wird, was bei der (pathologi- loser Zustand, obschon gewisse kognitive und schen) Somnolenz nicht der Fall ist. Zu beachten emotionelle Aktivität als «Traumbewusstsein» ist, dass im Englischen (und Französischen) für offensichtlich gleichwohl vorhanden ist. «Sopor» von den Neurologen oft «stupor» ge- Schliesslich wird in den klinischen Neuro- braucht wird [5], was im Deutschen eine andere wissenschaften der Bewusstheit das Unbewusste Bedeutung hat (s.unten).Schliesslich meinen Plum (früher auch «Unterbewusste») gegenübergestellt. und Posner [5] mit «clouding of consciousness» In Anlehnung an Freud wird in der Psychiatrie nicht eine quantitative Bewusstseinsminderung im teilweise Vorbewusstes (engl. preconsciousness) Sinne des «Eintrübens», sondern eine qualitative oder «fringe consciousness» nach William James [3] Bewusstseinsänderung im Sinne von Verwirrtheit von Unbewusstem abgegrenzt, wobei letzteres (s. unten), wobei diese Wortwahl im Englischen dem Bewusstsein willentlich nicht zugänglich wäre umstritten blieb [6] und aus dem neuen DSM (also verdrängtes Wissen), während das Vorbe- wieder getilgt wurde [7]. Rein quantitative Be- 355 SCHWEIZER ARCHIV FÜR NEUROLOGIE UND PSYCHIATRIE www.asnp.ch 158 n 8/2007 Tabelle 1 Quantitative Bewusstseinsstörungen (nach [4]). Konzentrationsfähigkeit und damit auch ein de- I Minderung der Wachheit fektes Kurzzeitgedächtnis1, wobei vor allem das A Schläfrigkeit (engl. «drowsiness», «sleepiness») Arbeitsgedächtnis schwer gestört ist; alles Moda- litäten, die bei den psychiatrischen Bewusstseins- Schlafneigung bei Müdigkeit, jederzeit überwindbar verschiebungen (s. unten) und auch bei leichter situationsbedingt auch häufig unter normalen Bedingungen Bewusstseinstrübung in der Regel wenig beein- trächtigt sind.