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Konzert Der Ramones, «Das Letzte», Wie Er Ohne Unterlass in Sein Mikro Labert, Was Den Kandidaten Aber Ziemlich Egal Ist

Konzert Der Ramones, «Das Letzte», Wie Er Ohne Unterlass in Sein Mikro Labert, Was Den Kandidaten Aber Ziemlich Egal Ist

OKT.18

Herbstwärts EINSCHLAUFEN SANFT UND SAHNIG Betrifft: Phrasen gegen das Ausfasern Impressum Nº 08.18 Noch immer bricht er früh an, der Tag. aber doch etwas arg aufgesetzt. Wer eine DER MUSIKZEITUNG LOOP 21. JAHRGANG Und obwohl wir ihn dann doch erst etwas souveräne Lösung im Umgang mit der Pro- später tatsächlich in Angriff nehmen, steht blematik sucht, benötigt jedoch keine um- P.S./LOOP Verlag da kurz darauf schon dieser Spiegel. Er re- ständlichen Hilfsmittel, sondern setzt auf die Hohlstrasse 216, 8004 Zürich flektiert uns beim Hantieren mit Zahnseide, wundervolle Wirkung der Worte. Tel. 044 240 44 25 gurgelnd und prustend, mit hängenden Li- Genau: Sprache – die feinste Klinge der Welt. www.loopzeitung.ch dern beim Summen obszöner Lieder, beim Im Vergleich zu ihr wirken die Skalpelle der Anlegen des Dienstsmokings und der zuge- Schönheitschirurgen wie grobes Wurstschnei- hörigen Krawattennadel in Form eines win- degerät. Sie erlaubt minimalinvasive Eingrif- Verlag, Layout: Thierry Frochaux zigen Saxofons. Es sind zumeist erbärmliche fe von maximaler Strahlkraft. Es geht dabei [email protected] Bilder, mit denen einen die stumme Scheibe nicht um ungelenkes Schönreden, sondern konfrontiert. Das Auge zoomt näher ran, der darum, mit Euphemismen und ästhetisie- Administration, Inserate: Manfred Müller Blick fällt auf das eigene Antlitz, und unwei- rendem Vokabular durchs Leben zu schwe- [email protected] gerlich wird man von einem Grusel erfasst, ben. Zumal die – der Chirurgie enthobene der nur bedingt metaphysischer Ausprägung – Schönheit eben nicht nur im Auge des Be- Redaktion: Philippe Amrein (amp), ist. Der Grund dafür ist eine dermatologi- trachters, sondern vielmehr im Ohr des Lau- Benedikt Sartorius (bs), Koni Löpfe sche Underperformance, und in dieser Sache schenden liegt. Der spätmorgendliche Blick in ist der Rückgriff auf Börsenterminologie, so den Spiegel lässt sich demnach im fundierten Mitarbeit: Philipp Anz (anz), Yves Baer, schmerzhaft das bisweilen sein kann, leider Selbstgespräch entgruseln: «Runzeln? Ach Thomas Bohnet (tb), Christian Gasser (cg), angebracht. Denn das Aussehen ist letztlich was, das sind Schmuckfurchen, die ich da in Michael Gasser (mig), Flo Hayler, ein Waren-Termin-Geschäft, das Gesicht ein meinem Gesicht habe stehen lassen.» Im wei- Hanspeter Künzler (hpk), Tony Lauber (tl), Markt, der geprägt ist von Verwerfungen. teren Verlauf des Tages wendet man das dann Markus Naegele, Philipp Niederberger, Die Konfrontation mit dem allmählichen gleich auch im lockeren Zwiegespräch an: Alfred Preisig (alp), Miriam Suter, Nadja Zela Ausfasern lässt sich auf vielfältige Weise ab- «Oh, du trägst jetzt eine etwas herbere Tex- federn. Das Überstülpen eines Integralhelms, tur. Steht dir gut!» So geht Schönreden auf Titelbild: Cat Power einer Wrestler-Maske oder der guten alten höchstem Niveau. Vor allem in mittellangen Papiertüte gelten als eher brachiale Varian- Herbsttagen wie diesen, die mit folgenden ten, das Verwenden von Smartphones und Zeilen in die Boxerlyrik eingegangen sind: Druck: Tagblatt Print, St. Gallen Tablets zwecks Selfie-Bespiegelung (mit ent- Wir bewahren des Daseins stillen Glanz sprechendem Schönfiltern) wiederum mag und halten die Sonne auf Halbdistanz. Das nächste LOOP erscheint am 26.10.2018 zwar modern erscheinen, wirkt insgesamt Gesichtsberichterstatter Guido

Ich will ein Abo: (Adresse) 10 mal jährlich direkt im Briefkasten für 33 Franken (in der Schweiz). LOOP Musikzeitung, Hohlstrasse 216, 8004 Zürich, Tel. 044 240 44 25, [email protected] SANFT UND SAHNIG Der Begriff Yacht-Rock klingt protzig. eagles Er weist jedoch vor allem auf hohe Produktionsqualität und einen beruhigenden Stilcocktail hin. Auf Musik, die so süffig ist, dass sie lange nicht ernst genommen wurde. Ein Autor will dies nun ändern.

Als sich der Yacht-Rock ab Mitte der 80er-Jahre zusehends verflüchtigte, bezeichnete man diesen noch wahlweise als Soft-, Westcoast- oder Adult-Oriented-Rock, kurz: AOR. Doch was bitte ist Yacht-Rock nun genau? John Oates von Hall & Oates, die sowohl dem Blue Eyed Soul als auch dem Yacht-Rock zugerechnet werden, hasst beide Bezeich- nungen. In «The Book – The oral history of the soft, smooth sounds of the 70s and 80s» von Greg Prato lässt er wissen: «Blue Eyed Soul ist rassistisch und hat nicht das Geringste mit dem zu tun, was wir machen.» Und wo- für Yacht-Rock stehen soll, wisse er nicht. «Für mich klingt das so, als ob man auf einem Schiff relaxt und dazu seltsa- me Klamotten und eine Kapitänsmütze trägt.» Obschon sich Oates – wie so viele Musikschaffende – ge- gen jegliche Schubladisierung wehrt, scheint das Yacht- Rock-Label durchaus zum ultrageschmeidigen Sound von Hall & Oates zu passen. Zwar gibt es keine scharfen Trennlinien, aber die zwischen Pop und Rock angesiedel- te Musikgattung zeigt sich tendenziell von und R’n’B steely dan hall & oates beeinflusst. Schauspieler und Komiker Fred Armisen, der das Vorwort zu Pratos Buch verfasst hat, bringt das viel- stehung des Yacht-Rocks über das damalige Lebensgefühl Toto oder Pablo Cruise ih- leicht entscheidende Markenzeichen des Yacht-Rocks auf bis hin zu spezifischen Songs führt. ren Gesang ausreizten, oder den Punkt: «Es muss eine unglaubliche Menge an Zurück- Die grösste Stärke des Werks ist zugleich seine Schwäche: dass «Maneater» von Hall haltung erfordern, um derart sanft zu spielen.» Womit er Prato lässt Musiker wie Gerry Beckley (America), Don & Oates ursprünglich als namentlich «Summer Breeze» (1972) des hierzulande eher Felder (Eagles), Glenn Shorrock (Little River Band) oder Reggae-Stück konzipiert unbekannten Duos Seals & Crofts anspricht. Die beiden Christopher Cross ausführlich zu Wort kommen. Das ist worden war. Auf die Fra- US-Amerikaner legten im Verlaufe ihrer bis 1980 andau- spannungsreich. Insbesondere, wenn diese aus dem Innen- ge, warum der – zumindest ernden Karriere stets grossen Wert auf makellose Produkti- leben ihrer Band berichten oder den Ursprüngen von Hits von der Kritik – lange ge- on und sahnige Harmonien. nachspüren. Allerdings verzichtet der Autor darauf, das ring geschätzte Yacht-Rock Erzählte einzuordnen. Auch neigt er dazu, die Diskussion heute in der Gunst vieler EIN GENRE FÜR MÄNNER breitzuwalzen. Etwa mit einem unerheblichen Kapitel zur gestiegen ist, hat keiner von den Protagonisten getragenen Kleidermode. Zudem der Befragten eine restlos Diesen Prämissen sind auch die Hauptvertreter des Yacht- hätte Prato inhaltlich strenger editieren sollen: Aussagen überzeugende Antwort. Rock-Genres wie Steely Dan, die Eagles, Fleetwood Mac wie jene von Jim Messina, einst bei Poco respektive Loggins Während Eagle Timothy oder die Doobie Brothers stets gefolgt. Vor rund dreissig & Messina, dass Sessionmusiker «sehr, sehr wichtig sind», B. Schmit nur auf die Songs Jahren soll ein DJ den Yacht-Rock-Begriff kreiert haben; wirken entbehrlich. Das gilt auch für mehrere Statements selbst verweist, versucht Breitenwirkung erzielte dieser allerdings erst nach 2005. von Graham Russell (Air Supply), der seine Bandbeiträge Jim Messina immerhin Und zwar dank einer Online-Videoserie namens – wie gerne über den grünen Klee lobt. Ein weiterer Minuspunkt: ein wenig tiefer zu schür- könnte es auch anders sein? – «Yacht Rock». Deren 12 Fol- Gerade mal zwei der rund 50 Gesprächspartner sind Frau- fen: «Ich glaube, das ist gen zeichneten die fiktiven en. Toni Tennille, eine Hälfte des Duos Captain & Tennil- der Aufrichtigkeit von uns Karrieren von Soft-Rock- le, und Ingrid Croce, die Witwe von Singer/Songwriter Jim Songschreibenden und Mu- Stars der 70er- und 80er- Croce. Gewiss, der Yacht-Rock wurde von Männern do- sikern zu verdanken. Wir Jahre nach. Inspiriert durch miniert, doch dieses Missverhältnis ist ein Armutszeugnis. alle strebten nach Qualität die Show begann Greg und sehnten uns danach, Prato, sich mit dem Thema WIESO? KEINE AHNUNG! dass unsere Kreativität tat- genauer auseinandersetzen. sächlich auch von dieser Der Autor, der schon diver- Dennoch: Die Lektüre von «The Yacht Rock Book» er- zeugt.» se Musikbücher – etwa zu weist sich als mehrheitlich unterhaltsam. So erfährt man, Michael Gasser den 100 besten Rockbas- dass Christopher Cross’ scheinbar so propere Single «Ride sisten oder zum – Like the Wind» unter Acid-Einfluss entstanden ist, oder Greg Prato: «The Yacht Rock verfasst hat, füllt die 288 dass Teile der Lyrics von «Escape (The Piña Colada Song)» Book – The oral history of the soft, Seiten mit einer Interview- von Rupert Holmes unter Druck und direkt vor dem Mi- smooth sounds of the 70s and Tour, die entlang der Ent- krofon entstanden sind. Nachlesen lässt sich zudem, wie 80s», Jawbone Press (2018) COVER ME zeigten die Landesflagge als Pacman-Reminiszenz. Und als im September die AfD in den Bundestag einzog, erhielt «Blue Monday» als Bild die neue Sitzverteilung im deutschen Parlament. «Das ist einer unserer Lieb- lingssongs», sagt Läubli, «aber wir haben uns lange den Kopf zerbrochen, wie wir ihn illustrieren könn- ten. Das Originalcover von New Order ist als Klassiker eigentlich nicht zu toppen. Da war der AfD-Vormarsch ein unglücklicher Zufall.» Wurden die ausgewähl- ten Songs tatsächlich einst als Single veröffentlich, schaute sich das Duo die Originalcovers bewusst nie an, sondern suchte davon unabhängig nach Inspirationen und will seine Kreationen Ein Jahr lang hat das Grafiker-Duo auch nicht den Originalen gegenüberstellen. Weicher Umbruch jeden Tag ein neues GROSSES IM KLEINFORMAT

Cover für einen Song gestaltet. Durch «A Single Year» zu blättern, ist deshalb eine Ent- deckungsreise. Die Covers zeigen meist nicht das Offen- Nun erscheinen die Werke als Buch. sichtliche und warten mit versteckte Referenzen auf. Dass das alte Schnurtelefon vor rotem Hintergrund bei «Lon- Es begann mit «It Just Begun» von Jimmy Castor Bunch don Calling» an die klassischen englischen Telefonkabinen am 1. Januar 2017 und endete am 31. Dezember desselben erinnert – darauf mag der Betrachter oder die Betrachterin Jahres mit «The End» von The Doors. Dazwischen veröf- noch relativ schnell kommen. Auf was aber das gekenterte fentlichte das Zürcher Grafiker-Duo Weicher Umbruch, be- Schiff bei Captain Sensibles «Wot» anspielt? Die Titanic? stehend aus Andrea Münch und Markus Läubli, jeden Tag «Nein», erklärt Läubli und lacht, «damit sind die Costa auf seiner Website sowie auf Facebook und Ins­tagram ein Concordia und ihr Kapitän Schettino gemeint. Damals neu gestaltetes Cover-Bild im quadratischen, klassischen begann gerade der Prozess gegen ihn. Und sein Verhalten Single-Format: «A Single Year» nannten sie das Projekt. beim Unglück illustriert der Text von ‹Wot› eigentlich ganz «Neben unserer Arbeit haben wir immer wieder Projekte gut.» Bei «I Wanna Be Your Dog» wurde der Künstler gemacht, bei denen wir Ideen umgesetzt haben, die sonst Jeff Koons veräppelt; «The Message» verpackt die Rap- im Alltag nicht so Platz hatten. Und wir haben beide eine Botschaft in ein Briefcouvert; «Smells Like Teen Spirit» er- musikalische Vergangenheit und entsprechendes Wissen – innert daran, dass Teen Spirit tatsächlich eine Deo-Marke Andrea im Punk und Rock, ich mehr bei Electronica», sagt war; «Psycho Killer» zeigt den Duschvorhang aus dem Läubli über den Projektanfang. Hitchcock-Film. Die beiden stellten ab Ende 2016 eine Playlist mit etwa Der Stil ist dabei von Minimalismus bestimmt: «Es ist ein 600 Songs zusammen. «Die Kriterien waren: Gefallen uns moderner Swiss-Style mit einer Prise Humor. Wir kom- die Stücke musikalisch, und sind sie grafisch interessant men beide aus dieser klassischen Schweizer Grafik, die für umsetzbar. Nicht, dass man sich jeden Tag mit dem Thema ihre Strenge und Reduktion bekannt ist, es soll aber auch Love im Titel beschäftigen muss.» Die musikalische Band- einmal verspielt sein.» Dass «A Single Year» nun als Buch breite ist dabei gross und überraschend: bekannte Klassiker erscheint, erlaubt ein vertieftes Eintauchen in diese Desig- finden sich neben Dance-Tracks, die einst nur als coverlose nideen. Man kann sich an schönen Grafiken erfreuen, sich Maxi-Single erschienen, aktuellen Indie-Sachen, Jazz oder ans Jahr 2017 zurückerinnern oder auch an vergangene obskuren Kleinoden. Einige Covers wurden en bloc im Vo- Zeiten, als es noch keine Smartphones gab, kleine Kasset- raus für den Start im Januar gestaltet, danach aber meist ten das bevorzugte Audio-Speichermedium waren oder die wirklich an jedem Tag als einzelnes neues Bild designt – Beatles über die Abbey Road spazierten. Das Buch animiert zwischen 20 Minuten und einer Stunde benötigten Läubli aber auch zum Wiederhören von alten Songs und dem und Münch dafür, manchmal auch einen halben Tag. So Neuentdecken von unbekannter Musik. «A Single Year» konnten Weicher Umbruch immer wieder aktuelle Ereig- zeigt Grosses im kleinen Format. nisse miteinbeziehen. Nicht nur den Tod von bekannten Philipp Anz Musikern wie Chris Cornell (Soundgarden) oder Malcolm Young (AC/DC), sondern auch Politisches. «A Single Year» erscheint bei Lector Books. Bis zum 28. Oktober ist das Buch Am 20. Januar versahen sie für die Vereidigung von Do- exklusiv uber www.asingleyear.ch in einer auf 500 Exemplare limitierten und nald Trump David Bowies «This Is Not America» mit ei- signierten Luxusausgabe zum Preis von 50 Franken vorbestellbar und wird ner kubanischen Flagge. Oder sie münzten Giorgio Moro- ab Ende November ausgeliefert. Ab Februar 2019 ist es auch im Buchhandel ders «Chase» aus dem Film «Midnight Express» auf eine erhältlich. Einblicke in die Covers gibt die Website www.weicherumbruch.ch Ausfälligkeit des türkischen Präsidenten Erdogan um und mit Youtube-Links zu den Songs. David Bowie New Order Blue Monday Giorgio Moroder

This Is Not America Chase

The Clash Captain Sensible Smells London Calling

Like

Teen Spirit

Wot! Nirvana

The Stooges Talking Heads Grandmaster Flash I Wanna Be Your Dog Psycho Killer & The Furious Five

The Message

Arthur Russell Capital Cities

Roy Ayers

Running Away

Stayin’ This Is How We Walk On The Moon Alive

ASY Loop 203x290mm.indd 1 24.09.18 21:26 (1995)

ULTIMATIVER ABGESANG tung zu deren Partys und Videodrehs eingeladen wurde. Das Buch «Ramones» zeichnet Heute, am 6. August 1996, ist vom Fame des Fernsehstars nicht mehr viel übrig. Heute steht Riki Rachtman als Mo- den irrwitzigen Weg der Band durch derator des Radiosenders KLSX-FM auf einem staubigen Parkplatz am Sunset Boulevard und lässt in der sengenden die Jahrzehnte nach. Als Vorabdruck Mittags- hitze ein paar Teenager gegenseitig ihre Mütter beleidigen. Derjenige, der dabei die niederträchtigsten hier die Reportage vom letzten Auftritt Worte für die Mami seines Gegenübers findet, bekommt von Rachtman zwei Eintrittskarten für das abendliche Anfang August 1996. Konzert der Ramones, «das letzte», wie er ohne Unterlass in sein Mikro labert, was den Kandidaten aber ziemlich egal ist. Für sie geht es um nichts anderes, als zur besten Riki Rachtman hat schon bessere Tage gesehen. Damals, Sendezeit ihr jahrelang angestautes Arsenal an Fäkalvoka- vor vier Jahren, als der Gastgeber von «Headbangers Ball» bular und Beleidigungen unter die Gürtellinie ihres Geg- noch wöchentlich die grössten Stars der Hard-Rock- und ners feuern zu dürfen. Ungestraft, ungehemmt, unzensiert Metal-Szene im MTV-Studio begrüsste und als Gegenleis- und natürlich: live. ramones (1995) an der Vine Street, jenes Man sieht nur noch das Weisse in ihren Augen. Schwer Glühen der Verstärker, die legendären Büroturms, der zu sagen, auf welche Reise ihr Gehirn sie geschickt hat, im Stand-by-Modus auf sich seit 1956 als architek- aber der entrückten Grimasse und den zuckenden Bewe- ihren Einsatz warten. tonisches Wahrzeichen in gungen nach zu urteilen hat das Mädchen entweder Pro- Wenn der Trockeneisnebel den blauen Himmel von bleme neurologischer Art oder die Blutbahn voll MDMA. zischend über die Bühne Los Angeles bohrt. Als wir Während sie sich auf den Händen der anderen Konzertbe- wabert, nur um sich we- nach etlichen endlosen Mei- sucher um die eigene Achse dreht, quillt Spucke aus ihren nig später wie ein Schleier len unser Auto endlich vor Mundwinkeln, ihre Beine treten Löcher in die Luft und um die Silhouetten der vier dem Palace parken, sind wir ihre Hände würgen einen nicht vorhandenen Gegner. Toll Gladiatoren zu legen. Aber neben einer Handvoll japa- sieht sie aus. Wie eine Fee im Kampf gegen die eigenen heute: nichts dergleichen. nischer Fans offensichtlich Dämonen. Dreiundneunzig Sekunden dauert ihr Trip, da- Vielmehr ist es taghell, je- die ersten Gäste, die nicht nach wird sie mit dem letzten Takt von «Wart Hog» im der Winkel ist ausgeleuch- wegen der Hot-Dog-Bude Fotograben entsorgt – abgekippt wie eine Ladung Schutt, tet, der Saal illuminiert wie nebenan hier sind. Vor der mit dem Gesicht voran. die Abfertigungshalle des Halle werden Scheinwerfer JFK und dabei so leer wie und Kabel aus einem Truck Die schöne Fremde ist nicht die Einzige, die heute Abend das CBGB an einem Mon- geladen. Ein Mann mit ihren ganz eigenen Film fährt. Sie ist eine der etwas mehr tagabend. Selbst nachdem Handkamera filmt die pit- als tausend Anwesenden, die nicht aussehen wie das Pu- das Intro, Ennio Morri- toreske Fassade des Ladens, blikum eines Ramones-Konzertes, sondern eher wie Sta- cones «The Good, the in dem zweiunddreissig Jah- tisten einer Kinoproduktion. Hindrapiert, als Teil einer Bad and the Ugly», längst re zuvor die Rolling Stones Inszenierung, zusammenchoreografiert für das grosse Fi- verstummt ist und die Ra- auftraten, anmoderiert von nale der Ramones und damit für einen Auftritt, den man mones mit «Durango 95» einem gelangweilten Dean am liebsten dauerhaft aus seiner Erinnerung streichen das erste Lied ihres letzten Martin. Von Legenden die- möchte. Nicht so sehr aus nostalgischen Gründen oder Abends angestimmt haben, ses Kalibers ist heute aber wegen der einsetzenden Phantomschmerzen, sondern aus bleibt es im Saal gefährlich Kurz nachdem eine wo- nichts zu sehen. Noch nicht. Fremdscham und der Befürchtung, diese Show könnte ruhig, fast andächtig still. möglich sehr liebevolle, Das Einzige, was bisher hier die Erinnerung an das trüben, was ein echtes Ramones- fürsorgliche und nette rollt, sind die Schweissper- Konzert ausmacht: jenes spannungsgeladene, aufgeregte Mehrmals führt uns unser Mutter zur hässlichsten, len auf der Stirn der Film- Brodeln im Publikum, wenn das Saallicht erlischt und von Weg von der ersten Reihe fettesten, ärmsten, stin- crew, die kistenweise Equip- der Bühne vier säulenartige Lichtkegel in Richtung Hal- zur Bar und wieder zurück, kendsten, kleinsten und ment in die Halle schiebt. lendecke emporsteigen, vorbei an dem Backdrop mit dem ohne dabei einen Tropfen bärtigsten Frau der Nation Wir setzen uns in den Rinn- Ramones-Logo, das über der Bühne thront wie der ans erklärt wurde, quatschen stein und warten. Kreuz genagelte Jesus über dem Altar. Das orangefarbene bitte umblättern wir dem Sieger, der gerade unter tosendem Applaus der Kampfarena entstiegen ist, die Ramones-Tickets ab – im Tausch gegen ei- nen Fünfzig-Dollar-Schein. Dabei klopfen wir dem Knaben anerkennend auf die Schulter, faseln irgend- was von «sowieso nichts verpasst» und machen uns aus dem Staub. Na dann: tschüss, ihr Idioten.

«Sorry, Mann, das Kon- zert wurde verlegt», sagt der mit lila Kurzhaarfrisur gesegnete Mitarbeiter des Billboard Live, während Rachtman nebenan noch immer Mütter beleidigen lässt – mittlerweile aller- dings für Konzertkarten von Soul Asylum. Die Ra- mones würden heute nicht hier auftreten, sondern in einem anderen Club, «nur ein paar Blocks weiter», sagt er und reicht uns ei- nen Flyer aus dem Stapel in seiner Hand. Die billige Kopie eines Zettels, auf den jemand mit schwar- zem Filzstift so etwas wie einen Stadtplan gezeichnet hat, als Anfahrtsskizze zum Palace. Den Laden könne man nicht verfehlen, sagt der Lilamann. Er läge gleich gegenüber des berühmten Capitol-Records-Gebäudes setlist der letzten show hat, er hätte wissen müssen, dass man diese perfekt insze- ULTIMATIVER ABGESANG nierte Band nicht inszenieren kann. Zumindest nicht, ohne dabei ihre DNA zu zerstören. Bier zu verschütten. In jedem anderen Club an jedem an- deren Ort der Welt wäre jeder Rückzug in Richtung Trän- «Welcome to Billboard Live», begrüsst Joey das Publi- ke gleichbedeutend mit einer Niederlage, der ultimativen kum, bevor C. J. mit dem dritten «1, 2, 3, 4» des Abends Kapitulation und dem bitteren Eingeständnis, es nicht ge- letztmals den «» anzählt. Billboard Live? Da packt zu haben. Ein Ramones-Konzert ist nicht das, was hat der Sänger wohl vergessen, sich den Namen der neu- Hollywood hier wie einen Kinofilm inszenieren will. Es en Location auf seinem Spickzettel zu notieren, was aber gleicht normalerweise mehr einem Abend im Schützen- keinem weiter auffällt. Ausserdem ist dieser Ausrutscher graben. Wer da lebend raus will, muss vorbereitet sein. ohnehin kaum mehr als eine Fussnote auf der stattlichen Siebzig Minuten am Limit, inmitten ohren- betäubenden Shitlist, mit der man das Chaos des letzten Konzertabends Krachs, mit den Ellenbogen und Stiefeln der Anderen im anschaulich darstellen könnte. Zugegeben: Im Laufe der Gesicht, den Platz in der ersten Reihe verteidigend, aus- offiziell gezählten 2263 Ramones-Shows gab es den einen Dee Ramone zum riskan- gestattet mit der Notration dieses einen Bierbechers, den oder anderen Abend, an dem nicht alles nach Plan lief, an ten Manöver auf vermin- man vorsichtig im Bühnengraben platziert hatte, nur um dem Joey den Auftrittsort im italienischen Nirgendwo ver- tem Terrain. dort vom nächstbesten Fotografen umgetreten zu werden. gass oder aus Versehen Köln nach Düsseldorf verlegte. Sel- Wer ein Ramones-Konzert ohne Blutergüsse, Kratzer, zer- ten jedoch waren so viele Kameras dabei wie diesmal, und Kurz nachdem der Ex- rissene Klamotten und Hörsturz übersteht, war entweder so viele Gäste erst recht nicht. Nur dreimal standen mehr Bassist für seinen letzten nicht dabei, stand hinten oder ist im gut klimatisierten Pa- als vier Personen auf einer Ramones-Bühne: als sich 1980 Einsatz mit den ehemali- lace von Los Angeles gelandet – dem Ort, an dem man Casino Steel von den Boys für einen Song zu den Ramones gen Kollegen die Bühne heute lieber gesehen werden will, als selbst noch einmal gesellte, die Red Hot Chili Peppers 1988 beim Provinssi- betritt, wird »Love Kills«, genau hinzugucken. Warum auch? Die Kameras filmen rock-Festival in Finnland zu «Cretin Hop» nackt über die der Song, den er zehn Jahre schliesslich mit. Bühne tanzten und als Doors-Mitglied Robby Krieger im zuvor als Nachruf auf Sid Oktober 1992 nach einem ausschweifenden Gitarrenduell Vicious sowie als Warnung Während die meisten das Farewell-Konzert der Ramones mit bei «Take It As It Comes» als klarer an sich und andere Junkies aus der sicheren Distanz von Empore oder Foyer aus über Sieger vom Platz ging. verfasste, zum Bumerang. sich ergehen lassen, spielt sich die Band auf der Bühne ein Nach einer völlig desolaten letztes Mal durch ihr bewährtes Repertoire. Die Crew ist Für ihren letzten gemeinsamen Abend hat die Band nicht Vorstellung bringt er das schwer damit beschäftigt, zwischen den Songs die gelade- einen oder zwei, sondern gleich sieben Freunde, Kollegen Dilemma seines zwischen nen Gäste auf die Bühne zu schieben. Als schmückendes und Weggefährten ins Palace eingeladen, um sich bei eini- Genie und Wahnsinn an- Lametta, um dieser in allen Belangen traurigen Veranstal- gen Songs begleiten zu lassen. Eddie Vedder ist da, Chris gesiedelten Selbst auf den tung noch etwas Würde zu verleihen. Doch egal, wie hals- Cornell und Ben Shepherd von Soundgarden, Tim Arm­ Punkt – und zwar dort, wo brecherisch die Manöver auf der Bühne oder die Schwenks strong und Lars Frederiksen von Rancid, Lemmy Kil- eigentlich die dritte Stro- der Kameras auch gefahren werden, das Publikum selbst mister von Motörhead und Gründungsmitglied Dee Dee phe hätte erklingen sollen. zeigt keine dem historischen Anlass würdige Emotion. Ramone. Sie alle stehen vor der Herausforderung, in den «That’s me. That’s the way Weder ein Zeichen der Freude noch der Trauer. Statt Eu- minimalen Pausen zwischen den Songs nicht nur möglichst I am», entschuldigt er sich phorie oder ehrlich empfundenem Abschiedsschmerz nur unauffällig auf die Bühne zu sprinten, sondern vereinzelt schulterzuckend ins Mik- Apathie, Lethargie und Teilnahmslosigkeit. Wer auch im- auch möglichst schnell zum Instrument zu greifen. Was rofon, während man aus mer den Abschied der Ramones nach Hollywood verlegt allen Beteiligten halbwegs gelingt, wird im Falle von Dee Mitleid mit dem hilflosen

julia roberts und c.j. ramone (1990) ves abgewinnen kann. Und auch die wenigen Fans, die an diesem Abend wegen der Musik und nicht wegen der Kameras gekommen sind, werden mit der Songauswahl im letzten Drittel milde gestimmt: «Today Your Love, Tomor- row the World», «», «53rd & 3rd» und natürlich «We’re a Happy Family». Seit Jahren haben die Ramones nicht oder kaum mit ihrer Setlist experimentiert, die die Konzertbesucher meist nach zwei Zugabenblöcken mit jeweils drei Songs nach Hause schickte. Nur in ganz wenigen Ausnahmefällen legte die Band ein zusätzliches Song-Doppel drauf. Meist dann, wenn die Stimmung der Fans besonders euphorisch oder das Verhältnis zwischen Band und Publikum über viele Jahre gewachsen war: im Barrowlands von Glasgow etwa, oder in Tijuana, Mexiko, als sich die Fans sogar vom obersten der drei Balkons in die Tiefe stürzten.

Wer heute, beim letzten Konzert, auf eine ähnlich spenda- ble Geste hofft, wird enttäuscht. Business as usual seitens der Band und peinliche Stille im Publikum, das selbst nach Chris Cornells flehentlicher Aufforderung, endlich mal «ein bisschen gottverdammten Lärm» zu veranstalten, teil- Mann im Bundeswehr-T-Shirt am liebsten im Boden ver- Show euphorisch. «Die Er- nahmslos Richtung Bühne starrt. Als Eddie Vedder mit dem sinken würde. innerung an diesen Mo- Dave-Clark-Five-Hit «Any Way You Want It» den finalen ment wird mich sicher bis Song des Abends anstimmt, klammert er sich mit geschlos- «Gracias», sagt Dee Dee und eilt von der Bühne. Was für ins Grab begleiten. Es war senen Augen an sein Mikrofon und wiegt sich gedankenver- ein Abgang.

Wer C. J. Ramone vor dem 6. August 1996 nach dem bis- herigen Highlight seiner Karriere befragt, bekommt so ei- nige denkwürdige Anekdoten zu hören: sein erster Auftritt mit den Ramones in Leicester, England, bei dem er sich in Spucke getränkt seines T-Shirts entledigte und damit einen von Johnnys legendären Wutausbrüchen anzettelte. Oder der Besuch der Berliner Mauer zwei Wochen nach deren Fall, inklusive Tausch mit einem Grenzsoldaten: seine Zigaretten gegen dessen Fellhut. Oder der Flirt mit Julia Roberts, die im Mai 1990 jedes seiner Tattoos intensiv begutachten wollte, und überhaupt all die wunderschö- nen Frauen, die in seinen sieben Jahren bei den Ramones an seine Hoteltür geklopft haben. Fragt man C. J. nach dem 6. August 1996 nach dem bisherigen Highlight seiner Karriere, bekommt man nur eine Antwort: der Auftritt mit Lemmy Kilmister im Palace, als die beiden Bassisten gemeinsam die Motörhead-Hymne «R.A.M.O.N.E.S.» anstimmen, begleitet von Kilmisters knurrendem Ricken- einfach zu perfekt.» We- loren im Takt der Musik. Wohlwissend, dass dieses Duett backer-Bass. «Der Song ist der ultimative Tribut an die nigstens einer, der dieser mit das ultimativ Letzte sein wird, was man Ramones, und ich durfte ihn Schulter an Schulter mit dem hastig inszenierten Ab- von den Ramones live zu hören bekommt. Als sich der Sän- Typ spielen, der ihn geschrieben hat», sagt C. J. nach der schiedsgala etwas Positi- ger wenig später ein letztes Mal beim Publikum bedankt und allen Anwesenden noch eine «good night» wünscht, ramones (1976) hat sich ein Grossteil der Prominenz bereits im Foyer ver- sammelt, bereit für die After-Show-Party, die es nicht ge- ben wird. Auch Johnny Ramone verlässt das Palace so, als würde morgen gleich der nächste »Job« anstehen: Tasche packen, Autogramme schreiben, zurück in sein neues Haus am Fusse der Hollywood Hills, noch ein Glas Milch und ein paar Kekse mit seinen Freunden Eddie Vedder und Vin- cent Gallo, danach ins Bett. Keine Trauer. Keine Genugtu- ung. Keine Reue. Kein Adieu. Für ihn ist das letzte Konzert nicht nur so unsentimental wie all die anderen 2262 zuvor auch, sondern gleichzeitig auch der Auftakt zu dem Leben, auf das er die letzten zweiundzwanzig Jahre hingearbeitet hat: ein Leben der Entspannung und der Ruhe, ohne Gra- benkämpfe, Dramen und diese ständige Wut, die ihn seine Karriere lang begleitet hat. Flo Hayler

Der Autor hat Mitte der Nullerjahre in das erste Ramones-Museum der Welt eröffnet. Etliche der dort versammelten Artefakte und Souvenirs sind auch in der umfassenden, detail- und formulierfreudigen Bandbiographie abgebildet, die dieser Tage erscheint.

Flo Hayler: Ramones – Eine Lebensgeschichte. Heyne Hardcore, München 2018, 640 Seiten, durchgehend vierfarbig, 65 Franken. SZENE

LIVE SALZHAUS 16/10 GRAND- BROTHERS DE /ELECTRONICA 19 Uhr/CHF 28.– 18/10 CRIMER CH SYNTH-POP/EPIC-WAVE 19 Uhr/CHF 28.–

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Musik im Briefkasten.*Blaze_InsD_114x120_loop.indd 1 loopzeitung.ch 12.09.18 17:24 ZERBRECHLICH BLEIBEN Grenzwertige im Allgemei- über einen Typen, sehr explizit. Dann sagte sie, dass sie Anfang Oktober veröffentlicht Chan nen recht gern – es hat was nun schwanger sei und deshalb wohl in den nächsten Jah- Gefährliches… ren keine Musik mehr machen würde, nur noch Bücher Marshall alias Cat Power ihr neues M: Finde ich auch. Sie be- schreiben und zuhause sitzen. Ich hab gedacht: Haha, rührt mit ihrer Musik etwas warts ab, Baby! Das sind so Vorstellungen und Ängste von , wenige Wochen später gastiert sehr Archaisches bei mir Künstlern (oder allgemein), das Leben höre auf, wenn sie und ist mir dadurch ganz Eltern werden, aber meine Erfahrung war, dass es das Ge- sie in der Schweiz. Eine Vorbesprechung nah. Ich habe mir in der genteil mit mir gemacht hat. Ich brauchte das, um besser Zeit, in der sie nicht tourte, zu werden. Ich konnte vorher schlecht für mich und mein in Dialogform. weil es ihr psychisch nicht Werk sorgen, ich lernte es erst durch die Sorge für meine gut ging, auch fast schon Kinder. Ihr neues Album kam dann bereits drei Jahre später Miriam: Nun also «Wan- M: Haha, wie gut! Sorgen um sie gemacht wie raus. Yeah, Mama! derer», das zehnte Cat- N: Chan hat mich mich hin- um eine Freundin. Live ge- Power-Album. Wie gefällt ter der Bühne ziemlich di- sehen habe ich sie – leider ### es dir? rekt darauf angesprochen, leider – noch nicht. Aber Nadja: Ich finds sehr zärt- mit einer Mischung aus das wird sich bald ändern. M: Lass uns über das Rihanna-Cover reden. Chan Mar- lich – gefällt mir supergut! Faszination und Neugier- N: Ich habe sie mehrmals shall hat sich Rihannas Hit «Stay» vorgenommen. Du? de. Ich hab ihr dann gesagt, gesehen. Am besten fand N: Oh ja, das Cover! Bei Cat Power ist alles organisch ge- M: Beim Hören merkte ich, ich fänd das alles ziemlich ich sie bei der «Sun»-Tour worden. Das Zerbrechliche erhält eine musikalische Tiefe, dass ich ihre Chan Mar- normal… im Volkshaus. Ich habe es ist ein Lobgesang auf den Schmerz des Verlassenseins. shalls Samtstimme vermisst M: Und wie war sie sonst zwei Stunden geheult, so Alles ist etwas ungerade, umprogrammiert. Ein schönes habe. Du hast hast ja mal so? gut war es. Passiert mir Beispiel, das zeigt, dass vieles in der Kunst mit dem Men- mit ihr den Backstage- N: Freundlich. Zart. Ihr nicht oft, dass mich eine schen zu tun hat, also eine Haltungssache ist. Nicht un- Raum geteilt, richtig? Konzert war sehr speziell. Band noch so zu berühren bedingt eine Frage der künstlerischen Idee. Ich will damit N: Ich habe 2002 mit mei- Sie hatte einen langen Hän- vermag. sagen: Ich finde, bei Rihanna klingt es ziemlich kühl, Cat ner damaligen Band Ro- ger, stand einfach auf der M: Wow! Ich finds total Power hingegen bringt ein bisschen Menschlichkeit rein. sebud an der Kilbi im Bad Bühne und knorzte herum, schön, wenn man weinen M: Wobei ich sagen muss, dass mir Rihannas Version auch Bonn gespielt. Zu der Zeit spielte nicht, murmelte in kann bei Konzerten. Das überraschend gut gefallen hat. Ich kann ansonsten nicht war ich im siebten Mo- sich hinein – die längste hat fast etwas von einer viel mit ihr anfangen. Aber bei Cat Power klingts ein- nat schwanger mit meiner Zeit hat sie das durchgezo- Therapiesitzung – aber fach genau so, wie es sich anfühlt. Wie du sagst: Es wird Tochter und musste die Gi- gen. Es wirkte auf mich wie macht halt viel mehr Spass. menschlich und zerbrechlich. tarre ähnlich wie B.B. King eine Show, aber ich glaube, N: Bei ihrem Auftritt im N: Ich kann Rihanna halt auch nicht so ganz aus ihrer sonsti- neben der Wampe halten, sie ist wirklich so zerbrech- Kaufleuten war es dann gen «Rolle» herauslösen beim Hören. Sie gibt ja gern die rot- um überhaupt spielen zu lich. Seit diesem Auftritt etwas seltsam. Sie wurde zige Schlampe und ist sehr verkaufswillig. Wie sie da in der können. bin ich Fan. Ich mag das so privat, hat sich beklagt Badewanne rumhängt mit den Händen auf den Nippeln... M: Na ja, das ist an sich ja nichts Schlimmes.

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M: Chan Marshall hat vor einiger Zeit auch ihre Krankheit öffentlich gemacht, auf Social Media und in Interviews. Das fand ich beeindruckend und bestärkend gleichzeitig. N: Ja, ich hab auch mal ihren offenen Brief auf der Website gelesen. Das war stark, sehr persönlich. Und dort war es auch nicht zu privat. Zum Glück geht es ihr besser! Sie hat ne Frauenband, hast gesehen? M: Ja! Da habe ich kurz gejauchzt, als ich das im Clip zu «Woman» gesehen habe. N: Die Songs auf «Wanderer» erinnerten mich zum Teil an Kinderlieder. Sie macht das verdammt gut – es ist ziemlich schwierig, einfache Melodien zu schreiben und trotzdem tief und berührend zu sein. M: Das stelle ich mir unglaublich schwierig vor. Ich kann ja, was das Schreiben betrifft, bloss als Journalistin spre- chen – aber auch da ist es meistens das Einfache, das eben sehr hart reinknallen kann. Ich nehme an, du gehst an das Konzert in Zürich? Was erhoffst du dir? N: Ich erhoffe mir nichts. Sie hat mich einmal begeistert und einmal gelangweilt, und dazwischen war auch schon einiges los. Aber ich bleibe ihr treu, egal, was sein wird. Ich finde nicht, dass ein(e) Künstler(in) immer gut sein muss. Oder anders ausgedrückt: Sie ist immer für eine Überraschung gut. Damit kann sie etwas, was schätzungsweise noch zwei Prozent aller auftretenden Künstler hinkriegen.

Miriam Suter und Nadja Zela cat power Cat Power: «Wanderer» (Domino/Irascible) Live: 29.10., X-tra, Zürich; 30.10., Les Docks, Lausanne SZENE

KONZERTE KONZERTE

6. OKTOBER ASBEST (CH) & OBACHT OBACHT (CH) 11. OKTOBER KURSE LONG TALL JEFFERSON (CH) & MEIMUNA (CH) 25. OKTOBER NAKED IN ENGLISH CLASS (CH) & DIRTY SLIPS (CH) 1. NOVEMBER OLDEN YOLK (US) & ODD BEHOLDER (CH) Das Öffentlichkeitsgesetz 3. NOVEMBER HEADS. (DE)/ HATHORS (CH)/ COILGUNS (CH) 8. NOVEMBER als Recherche-Hilfe BAZE (CH) 13. NOVEMBER DREAM WIFE (UK) Sa 17. November / Zürich 24. NOVEMBER AXEL FLOVENT (IS) & JULIAN LEBEN (UK) klippklang.ch [email protected] www.albani.ch

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Sounds better with you. loopzeitung.ch DIE NEUEN PLATTEN Sound Surprisen Der Kanon ist längst geschrieben, die ideale Diskographie der frühen Siebzigerjahre längst zusammengestellt, und am besten wäre, dass daran nicht gerüttelt würde. Glücklicher- weise tauchen aber immer wieder Juwelen auf, die im Lauf der Zeit vergessen oder verloren gingen, und die dem Ka- non eine kleine eigene Melodie hinzufügen. Marc Jonson Sauna Youth Avec Grand Blanc ist – für mich jedenfalls – so eine Entdeckung. Hätte ich das Deaths Heaven/Hell Image au mur Kleingedruckte auf frühen Robert-Gordon-Alben gelesen, (Upset! The Rhythm) (Earcandy Recordings) (Les Disques Enterprise) hätte ich ihn als Komponisten gewisser Songs ausmachen können, und wäre ich der grosse Smithereens-Fan, der ich Eigentlich braucht es den Die Österreicherin Miriam Auf ihrem Debüt «Mé- nicht bin, wüsste ich vielleicht, dass Jonson der Co-Autor Beweis schon lange nicht Hufnagel, die sich den hüb- moires vives» verbanden von deren «Groovy Tuesday» (1986) ist. mehr, dass zwei Gitarren- schen Projektnamen Avec Grand Blanc Synthesizer Marc Jonsons Alben «Years» (1972) und «Twelve in a akkorde und ein bisschen gegeben hat, hat schon und Gitarre zu einem Cold Room» (1992) sind mir erst bei deren aktueller Wiederver- Feedback vollkommen aus- vor zwei Jahren mit ihrem Wave französischer Prä- öffentlichung durch das spanische Label Munster Records reichen, um feine Musik zu Debütalbum «What If We gung mit Electro und Punk, zu Ohren gekommen. «Years», das Debüt des damals machen. Und doch ist es Never Forget» begeistert. der auch auf Indochine oder zwanzigjährigen Jonson, ist ein betörendes Folkpop-Al- immer wieder eine Freude, Da gabs Indie-Pop, Folk Bashung Bezug nahm. Auf bum ganz im Geist der Zeit, dessen Melodien, Arrange- wenn es einer Band gelingt, und gutes Songwriting wie dem Nachfolger «Image ments und spannungsvollen Stimmungen aber bestens ge- ihre zwei Akkorde so zu- etwa im Stück «Granny», au mur» sind die syntheti- altert sind. Barocker Folk-Pop, wie ihn zehn Jahre später sammenzusetzen, dass sie auf dem sie die Alzheimer- schen nun vermehrt durch der Brite Paul Roland als Teil der 80er-Indie-Szene spielen brandneu klingen. So ge- Erkrankung ihrer Gross- organische Sounds ersetzt sollte. 1972 jedoch floppte «Years», obschon es auf dem schehen bei «Deaths», dem mutter thematisierte. Nun worden. Die vierköpfige kultig verehrten Label Vanguard erschienen ist. Marc Jon- letzten Kapitel der Trilogie also das schwierige zweite Band, die ursprünglich aus son soll weiterhin in New York aufgetreten sein, er schrieb von Sauna Youth. Die vier Werk, auf dem Avec wieder Metz stammt und dann Songs für Gordon, The Roches, Paul Butterfield und an- Mitglieder sind alle auch zehn schöne Tracks gelin- nach Paris gezogen ist, hat dere – nahm aber bis 1992 keine Platte mehr auf. Dro- noch in anderen Bands tä- gen. Allen voran die ein- darauf ein Faible für Städte gen? Alkohol? Psychische Probleme? Das vermutet man in tig, ganz zu schweigen von gängige und ein wenig ver- entwickelt, besingt «Belle- solchen gebrochenen Musikerbiographien sofort, doch das den Ganztagesjobs, denen träumte Gitarrenpop-Single ville» und «Los Angeles», Internet schweigt sich dazu diskret aus. sie nachgehen. Vielleicht «Love», auf der Avecs sym- aber auch noch zu bauen- Zwanzig Jahre nach «Years» nahm Marc Jonson, der sich ist die Dringlichkeit, die in pathische Stimme über zar- de Traumorte. Dazu kreie- nun Mark Johnson schrieb, «Twelve in a Room» auf, zu- ihrer Musik steckt, schlicht te Akkorde schwebt. Songs ren sie urbane Musik, die hause, und veröffentlichte es in Ermangelung eines Plat- mit Zeitmangel zu erklä- wie «Over Now», «Under bei «Rêve BB rêve» sogar tendeals in Eigenregie. Die erklär- und hörbar bescheidene ren. Furiose Tempi, chaoti- Water», das schwelgerische – durchaus überraschend Soundqualität tut der musikalischen Qualität dieses Al- sche Übergänge und lärmi- «Still» oder «Leaving» mit – mit Hip-Hop-Elementen bums und dem Hörvergnügen keinen Abbruch: «Twelve ge Nebengeräusche zeugen seiner dezenten Electronica aufwartet. Benoît David in a Room» schenkt uns 12 kraftvolle Power-Pop-Songs. von einer Vorliebe für Zu- halten die Qualität. Einfa- und Camille Delvecchio Zugegeben, die Songs von Marc Jonson sind nicht von fälligkeiten, aber auch von che Songstrukturen, fein teilen sich den Gesang, einmaliger Originalität; Jonson bewegt sich stilsicher im einer wohlgespitzten An- instrumentiert, nie überla- was ein spannendes Wech- oben erwähnten Kanon, schreibt aber immer wieder Songs tenne für Details, die Ge- den und meist gut ins Ohr selspiel zwischen weichen und Melodien, denen diese hartnäckige Nicht-Beachtung schichten schreiben. Die gehend: Avec ist auch mit Passagen (sie) und harten unrecht tut. Texte, die oft aus einer «Heaven/Hell» ein bemer- (er) ergibt. Verschiedene Wegen dieser Ausgrabung muss der Kanon nicht neu ge- Handvoll immer wieder re- kenswertes Popalbum ge- Schattierungen, die auf schrieben werden, doch Marc Jonson ist eine interessante petierten Worten bestehen, lungen. dem ganzen Album aufei- Bereicherung, eine kleine, eigenwillige Melodie, der man wirken wie Gebete, die mit nanderprallen und immer gerne zuhört, und die den Kanon um eine willkommene übersetzter Geschwindig- tb. wieder für überraschende Note erfrischt und erweitert. keit heruntergerattert wer- Momente sorgen. Laut seiner Website ist Marc Jonson weiterhin aktiv; 2018 den. Neben der Aggressivi- nahm er einen Song als Hommage an den verstorbenen tät der Gitarren nimmt sich anz. Smithereens-Sänger Pat DiNizio auf und soll immer noch die Stimme von Jen Calleja auftreten. spukhaft friedlich aus. Nur ein Song ist länger als drei Christian Gasser Minuten, alle klingen sie gleichzeitig völlig zügellos und übernatürlich diszipli- niert. Ach, und manchmal betätigen sich Sauna Youth als Ramones-Cover-Band. hpk. DIE NEUEN PLATTEN Paul McCartney Hunde an der Türe und Krähen am Fenster künden von einer nahenden Depression. Gegen den wahnsinnigen Ka- pitän, in dem man leicht Donald Trump und die Brexiteers erkennen kann, hilft nur Meuterei, es ist altbekannt. Wenn es noch etwas zu tun gibt, dann lieber jetzt, solange die Sicht noch klar ist. Weshalb sollte ein 76-Jähriger ange- sichts seiner Endlichkeit ein düsteres Alterswerk einspielen, Various Artists Steve Forbert Molly Burch wie das zuvor Johnny Cash formvollendet tat? Der alternde The Wrecking Crew Magic Tree First Flower Paul McCartney dürfte der einzige sein, der mit einer fast (Rock Beat) (Blue Rose Music) (Captured Tracks/Irascible) schon frivolen Gelassenheit Songs über Lebensfreude im Alter angesichts von Tod und Krankheit schreibt. Und da- Sie waren die gefragtesten Als Steve Forbert vor vier- Mit einem leichten Swing mit weltweit die Chartspitzen erobert. Streckenweise klingt Studiomusiker von Los zig Jahren sein Debüt «Ali- und «Candy» beginnt Mol- er dabei auf «Egypt Station» jünger als seine musikalischen Angeles und spielten auf ve on Arrival» veröffent- ly Burch ihr zweites Album. Enkel. Wenige Songs folgen dem üblichen Schema Strophe, unzähligen Hits der Sechzi- lichte, hiess es: der neue Dieses Gefühl für «Folk Refrain, etc. Oft aber glaubt man, einen Song verstanden ger- und Siebzigerjahre: Von Dylan. Unsinn natürlich. trifft Pop», nicht übertrie- zu haben, und schon folgt die nächste Überraschung mit ei- «Be My Baby» zu «Califor- Zwar zog es den ehemalige benen Retro-Chic, ein- nem Stilbruch oder einem unerwarteten Instrument. Trotz nia Girls», von «Beat Goes Lastwagenfahrer ebenfalls gängige Melodien und gut all der Virtuosität spannt McCartney von Anfang bis zum On» zu «Mrs. Robinson», früh nach New York. Und ausbalancierte Songs zieht Ende einen musikalischen Bogen. Dylanesker Höhepunkt von «You’ve Lost that Lo- wie «his Bobness» verfügt sich durch «First Flower». ist «Happy With You», inspiriert aus der eigenen Biografie, vin Feelin’» zu «Up, Up and auch Forbert über eine un- «Ich wollte nicht wieder ein aber kein autobiographischer Song, da Paul trotz Burnout Away», von «La Bamba» verkennbare Kratzstimme, Herzschmerz-Album ein- nach der Beatlestrennung und jahrzehntelangem Kiffen nie bis «Mr. Tambourine Man». eine poetische Ader und spielen», sagt die Sängerin in den Tag gelebt hat. «Back in Brasil» ist ein Bossa Nova Die versierten Cracks der die Fähigkeit, Mundhar- aus Austin. In den Texten in bester Sergio-Mendes-Manier. Funk, , Stadion- Wrecking Crew (Hal Blai- monika zu spielen. Dann geht es um die Beziehung und Hardrock, Electronica und Psychedelik sind weitere ne, Earl Palmer, Carol Kaye, hat es sich mit den Paralle- zu ihrer Schwester, den Stilelemente, die Paul wie Zutaten für einen Kuchen in die Tommy Tedesco, Larry len. Der Singer/Songwriter, Umgang mit den eigenen Waagschale wirft. Das eklektizistische «Weisse Album» der Knechtel, Joe Osborne, Bar- der 1979 mit «Romeo’s Angstgefühlen und immer Beatles dauert anderthalb Stunden. Mit dem einstündigen ney Kessel, Leon Russell u. Tune» einen mittleren Hit wieder um das Nichtper- «Egypt Station» übertrifft Paul McCartney dessen Vielfalt a.) wurden für unterschied- verzeichnete, manövriert fektsein. In «Wild» singt sie in konzentrierter Form, gepaart mit der teilweisen naiven liche Genres der amerika- seit je zwischen Folk, Rock «There goes my baby, the- Lebens- und Spielfreude des 26-jährigen Jünglings von da- nischen Populärmusik ein- und Americana. Das bleibt re she goes», erinnert mit mals und der satten Lebensreife seines 76-Jährigen Alter gesetzt – von den Monkees auch auf seinem 18. Stu- dieser Zeile an die Drifters Egos. Kein Zweifel, «Egypt Station» dürfte das überra- bis Bing Crosby, aber auch dioalbum «Magic Tree» so. und Velvet Underground, schendste Album des Jahres sein. für Filmmusik, TV-Serien, Wo der 63-Jährige früher um dann im Refrain ein «I Werbe-Jingles. Ob Nancy von Aufbruch schrieb und wish I was a wilder soul» Yves Baer Sinatra, Sam Cooke, The vor jugendlichem Enthu- nachzuschieben. In «To Mamas & the Papas, The siasmus sprühte, wirkt er the Boys» macht sie zu Paul McCartney: «Egypt Station» (Capitol/Universal) 5th Dimension, The Asso- heute merklich nachdenk- schmachtendem, sanftem ciation, The Beach Boys, licher und melancholischer. Surf-Pop mit Badap-Badap- Sonny & Cher oder Simon So auch auf «Tryna Let It Chörlein klar: «I don’t need and Garfunkel – die Band Go», wo er leise swingend to yell to know that I’m the hinter den Sängern war stets von Fehlern erzählt, die sich boss... you can tell that to dieselbe. Mit ihr inszenierte zu seinem Leidwesen nicht the boys.» Die ausgebildete Produzent Phil Spector den mehr ausbügeln lassen. An Jazz-Sängerin kann diese bombastischen «Wall of anderer Stelle widmet sich unterschiedlichen Gemüts- Sound» und engagierte sie Forbert dem Blues von Ro- lagen auch ohne Probleme für Leonard Cohens Album bert Johnson («Only You») mit verschiedenen Stimm- «Death of a Ladies Man». oder dem ebenso relaxten lagen ausdrücken. Am Sternstunden der Popmusik wie warmen Rock («Dia- Schluss schickt sie einen gelangen der Crew auch mit mond Sky»). Es ist die mit der schwermütigen Bal- den Beach Boys: Auf «Good Platte eines Musikers, der lade «Every Little Time» Vibrations» oder «Pet keine neuen Sprünge mehr wieder hinaus in die Welt, Sounds» setzte sie Brian vollführen mag, aber unab- die nun ein bisschen anders Wilsons Visionen kongenial lässig an seiner Kunst feilt. aussieht. um. Dieses 4-CD-Set mit 35 Wer mehr über den Mann Crew-Klassikern und Solo- aus Mississippi erfahren anz. aufnahmen von Mitgliedern möchte, liest Forberts so- wie Glen Campbell ist der eben erschienene Autobio- Soundtrack zum gleichna- grafie «Big City Cat: My migen Dokumentarfilm von Life in Folk-Rock». 2008. mig. tl. DIE NEUEN PLATTEN Low Diese Musik kann die Sinne verwirren und Schwindelge- fühle verursachen – mit verzerrten Sounds, die sich nähern und wieder entfernen, die hässlich und kaputt sind. Es ist ein Fall ins Bodenlose, den Low zu Beginn ihres «Double Negative» vertonen, und man spürt – nicht wie bei früheren Verzerr-Übungen von Indiemusikern, bei de- Spirit Fest Safia Nolin Villagers nen man meinte, die Stereoanlage sei defekt –, dass es für Anohito Dans le noir The Art of Pretending einmal kein Entrinnen gibt. Da hilft selbst jene verhuschte (Morr Music) (Bonsound/Irascible) to Swim Melodie nicht, die im Auge des Sturms so etwas wie Zu- (Domino/Irascible) flucht bietet, bevor sie wieder weggeschnitten wird. Keine Ahnung, was Saya Dass Safia Nolin keine Harmonie und geschlossene Songstrukturen sind für das Ueno im Titelsong auf Ja- Frau der Fröhlichkeit ist, Mit «The Art of Pretending Band-Ehepaar und Mimi Parker und ih- panisch singt, aber es klingt lässt sich alleine schon an to Swim» legen die irischen ren Bassisten Steve Garrington keine Strategie mehr. Denn wunderbar, huscht zart über Songtiteln wie «Je ne com- Dörfler um Conor O’Brien die gesellschaftlichen Zerrüttungen in den USA, die seit der diese Folk-Indie-Pop-Suite prends pas» oder «Lesbian ihr bereits fünftes Album Wahl von Donald Trump offen zutage treten, führten zu des Projekts Spirit Fest. Break-up Song» ablesen. vor und machen einen wei- «Double Negative». Zu hören ist eine experimentelle Form Saya Ueno ist ansonsten mit Ihr Ding ist der Downer- teren Schritt vorwärts in von Protestmusik, die selbst jene Thesenritter, die nach ihrem Ehemann Takashi als Folk oder wie sie sagt: verschiedene Richtungen. dem 8. November 2016 eine goldene Ära des Popwider- Duo Tenniscoats bekannt, «Lieder im superdepres- Indie-Folk ist nach wie vor stands verkündeten, nicht vorausahnen konnten. Weil Low das seit bald zwanzig Jah- siven Stil.» Die 13 neuen die Basis, von der alles aus- nicht mit lauten Worten in den Kampf ziehen, sondern ren mit verschiedenen musi- Tracks der aus Québec geht, doch auf «The Art of nach Sounds der Verweigerung suchen, um das Gefühl der kalischen Gästen unterwegs stammenden Frankokana- Pretending to Swim» (was Ohnmacht und der Isolation musikalisch einzufangen. ist. Spirit Fest nun ist eine dierin setzen mehrheitlich für ein grossartiger Titel!) Bloss Lautstärke oder Kraftausdrücke gegen den «Scheiss­ Art Supergroup des Un- auf akustische Gitarre, werden die Villagers zuneh- kerl», wie der Mormone Sparhawk den aktuellen US-Prä- derground-Pop, wenn man Mollklänge und hadernden mend poppig und tanzbar. sidenten jüngst auf der Bühne nannte, würde nicht passen so will. Neben den beiden Gesang. Die 26-Jährige, de- Das Möwenkreischen an zu dieser Band aus Bob Dylans Heimatstadt Duluth, Min- Japanern sind die beiden ren Debüt «Limoilou» vor der irischen Küste vermischt nesota. Ihre ersten Songs waren ja ganz leise und langsam, deutschen Markus Acher ziemlich genau drei Jahren sich mit elektronischen Ef- so, damit das minimale Schlagzeug, das Mimi Parker im von Notwist und Cico erschienen ist, erinnert mit fekten aus der Clubmusik, Stehen spielte, auch zu vernehmen war. Es war Musik, Beck (Aloa Input, Joasinho) ihrer Lo-Fi-Musik an die Soulgrooves unterwandern die Trost spendete und etwas Schlafliedhaftes hatte, auch sowie der britische Expe- frühen und mehrheitlich hör- und spürbar den lo- wenn der Horror und die Dämonen der Aussenwelt stets rimtenalkünstler Matthew akustischen Versuche der cker gewobenen Folktep- näher waren, als einem lieb sein konnte. Mit wechselnden Fowler mit von der Partie. Marine Girls mit Tracey pich, und der Soul grosser Produzenten – darunter der Purist Steve Albini oder - «Anohito» ist bereits das Thorn respektive an Ben Stimmen schmeichelt sich Songwriter – erforschten sie in den 25 Jahren zweite Album der Band, Watts Solodebüt «North auch in O’Briens Falsett- ihres Bandbestehens immer neue Zustände des Songs und das in München, in Mar- Marine Drive». Da wie gesang ein. Das Album der Seele, und 2015, für ihr Album «Ones and Sixes», ar- kus Achers Wohnzimmer, dort herrschen Verlorenheit beginnt mit «Again», das beiteten sie erstmals mit BJ Burton zusammen, der für das eingespielt worden ist. Zu und die Suche nach dem durchaus, aber diskret an neue Album die Sounds noch drastischer manipulierte. hören sind sieben kleine Glück, an das man jedoch Loves «Alone Again Or» Nur auf Trump fixiert ist dieses atemraubende Album na- Popmeisterwerke, die mal nicht so richtig glauben gemahnt, an dessen mit türlich nicht. Dazu ist es textlich zu verwischt, zu offen japanisch, mal englisch ge- mag. Dementsprechend emotionaler Tiefe und angelegt, und dazu sind das Auseinanderdriften der Ge- sungen sind – und im Song entschuldigt sich Nolin in Schärfe gepaarte Leich- sellschaften und der Zerfall der Solidarität zu universale «Fête de départ» wird so- «Mirroir» nicht bloss für tigkeit. Diese Spannung Themen. Und ganz verloren ist die Hoffnung auf bessere gar französisch gehaucht. ihren Körper, sondern auch zieht sich durch das ganze Zeiten auch nicht, selbst dann nicht, wenn Alan Sparhawk Das klingt minimalistisch, gleich für ihr Herz. Ihre Album: Die Songs federn in die Stille und nur begleitet von seiner Gitarre singt: «It’s experimentell, gleichzeitig Gitarre begehrt zwar kurz leicht und beschwingt, die not the end, it’s just the end of hope.» Denn zwischen den ist diese Musik aber auch auf, doch dann scheint sich dezenten Rhythmen tragen Songruinen finden Sparhawk und Parker Schönheit, die sie ungemein zugänglich. die Singer/Songwriterin in mehr, als dass sie treiben, mit ihren Stimmen gemeinsam einfangen. Es sind kurze ihr Schicksal zu ergeben die Melodien sind von un- Momente des Optimismus, die mehr sind als bloss Durch- tb. und zu akzeptieren, dass widerstehlichem Charme. halteparolen, die sie in Songtiteln wie «Always Trying to die Liebe – wieder einmal Und doch wartet unter den Work it Out» bemühen. Genau in diesen Momenten liegt – unerwidert bleibt. Was licht- und winddurchflute- das Utopische an «Double Negative». So schwindlig diese «Dans le noir» aus einem ten Rhythmen und Harmo- Musik einen machen kann, sie sagt am Schluss: Ein besse- endlosen Berg vergleich- nien dichter, dunkler Nebel, res Zusammenleben wäre möglich. barer Veröffentlichungen herbstlich. Letztlich verleiht hervorstechen lässt, ist diese Dunkelheit, die immer Benedikt Sartorius Nolins intensive Stimme. wieder an die Oberfläche Dieser gelingt es, die Tiefe dringt, den Songs ihre ulti- Low: «Double Negative» (Sub Pop/Irascible) ihrer Verletzungen spüren mative Schönheit und Tiefe. zu lassen. Live: 6.10., Bogen F, Zürich cg. mig. Inserat im LOOP vom 28.09.2018 SZENE Konzerte28.09.2018 bis 25.10.2018 IG Rote Fabrik Seestrasse 395 8038 Zürich [email protected] Sa. 6.10.18 Clubraum 20:00 Tel. 044 485 58 58 Sugarshit Sharp Montag 8.10. 20Uhr20 Fax. 044 485 58 59 THE SOFT MOON CYRIL CYRIL +BÉGAYER GIIGESTUBETE SSSS Sonntag, 7.10. / Sonntag 14.10. 20Uhr20 11.11. / 2.12. 18Uhr18 SILBEREN Di. 16.10.18 Ziegel oh Lac 20:30 Ziischtigmusig Samstag 20.10. 20Uhr20 ㄀㤀⸀㌀ JODLEREI Sonntag, WO FAT & SASQUATCH STEINER & 30.9. / 21.10. / 25.11. MADLAINA / 16.12. 18Uhr18 & Support Montag 22.10. 20Uhr20 Mi. 17.10.18 Clubraum 20:00 HOWE GELB TICKETS: A Thousand Leaves Erhältlich direkt EMMA RUTH RUNDLE + PIETA BROWN am el Lokalen Jaye Jayle Samstag 27.10. 20Uhr20 Tresen und auf ticketino.com BIGGLES Fr. 19.10.18 Clubraum 21:00 Sonntag 28.10. 20Uhr20 Woo-Hah! 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Donny McCaslin Aaron Lee Manu Delago William Hanna Fearns Blow Tasjan Parasol Peak Fitzsimmons Turn on the Light (Motéma) Karma for Cheap (One Little Indian) Mission Bell (Ufer Records) (New West Records) (Grönland/Limmat Records) David Bowie entdeckte Ist das nun esoterisches Englischer Vater, deutsche den Saxofonisten Donny Sein herausragendes Al- Geschwurbel oder wun- Auf «Mission Bell», seiner Mutter, aufgewachsen am McCaslin in einem New bum «Silver Tears» (2016) derschöne Musik? Manu achten Platte, erweist sich Bodensee, inzwischen in Yorker Jazz-Club. Dessen veröffentlichte der Singer/ Delago, der österreichi- William Fitzsimmons ein- Köln lebend, nahm die Stil, der ständig zwischen Songwriter Aaron Lee Tas- sche Björk-Vertraute und mal mehr als autobiogra- musikalische Karriere von eckiger Improvisation und jan nach seinem Umzug von Maestro des bernischen fisch arbeitender Musiker. Hanna Fearns erst spät an süffiger Melodie pendelt, New York nach Nashville. Instruments Hang, kra- Bereits die früheren Werke Fahrt auf: Nach Bandein- gefiel ihm so gut, dass er Mit «Karma for Cheap» xelte mit seinen Musikern des Singer/Songwriters aus spielungen gelang ihr 2014 ihn und seine Band für die lässt er dessen Rootsrock- und einer Filmcrew in den Illinois zehrten nicht zuletzt das Solodebüt «Sentimental Aufnahmen seines grossen Tendenzen hinter sich und Tiroler Alpen herum, und von ihrer stillen Gefühls- Bones», mit dem die Song- letzten Werkes, «Black- blickt auf die Musik zu- wo es ihnen gefiel, bauten kraft. Jetzt präsentiert sich writerin einer grösseren Öf- star», ins Studio holte. Dort rück, die ihn schon als Kind sie ihre Instrumente auf der 40-Jährige vielleicht fentlichkeit bekannt wurde. gelang es Bowie, den Sound am stärksten fasziniert und und musizierten ungeach- nachdenklicher denn je: Bei «Turn on the Light» ist nun der Jazz-Band so seinen als Musiker geprägt hat. tet von Kälte und anderen den Vorbereitungen zum das zweite Soloalbum, das Gelüsten anzupassen, dass Wie zentral unter allen Ein- Wetterverhältnisse. Die Bil- neuen Album flog auf, dass Hanna Fearns noch mehr die Resultate weder wie ein flüssen die Verehrung der der der Expedition liefert seine zweite Frau eine Af- Fans zutragen sollte. Man altes Bowie-, noch wie ein Beatles ist, zeigt die Eröff- ein Film. Interessanterwei- färe mit einem befreunde- hört flotten Gitarrenpop, vorangegangenes McCas- nungsnummer «If Not Now se ist «Parasol Peak» aber ten Musiker hatte. Mit der der an die frühen Werke lin-Album klangen. Dass When» mit ihren «Abbey unabhängig von der gebir- Folge, dass Fitzsimmons von Lloyd Cole & The diese Zusammenarbeit Mc- Road»-Gitarren und der gigen Grenzerfahrung ein sich von ihr trennte, das Commotions erinnert. Die Caslins musikalische Vision an Lennon angelehnten betörendes Album gewor- eben eingespielte Material erste Single «Act of Grace» bleibend verändern würde, Gesangsmelodie. Animiert den. Delagos Hang wird wieder verwarf und einen nahm Fearns im Stile von war abzusehen. Auf seinem bringt Tasjan den Ball ins umrahmt und umschmei- frischen Zugang zu den Lee Hazlewood und Nancy letzten, 2016 erschienenen Rollen und rührt in weite- chelt von perkussiven Ins- Liedern suchte. Nach «The Sinatra als Duett mit Peter Album «Beyond Now» ren Songs auch mal einen trumenten wie Glöckchen, Sparrow and The Crow» Rubel von International war dies erst hauchweise zu Touch Glam-Rock drun- von einem tragenden und (2008) muss er sich nun er- Music auf, einer zurzeit zu spüren, doch nun gibt sich ter. Auch das Schlussstück klagenden Cello und vor neut mit dem Thema Schei- Recht angesagten jungen McCaslin ganz der mutier- «Songbird» zitiert Lennon/ allem Bläsern von zwit- dung auseinandersetzen. Essener Band. Im zweiten ten Muse hin. Herausge- McCartney – mit Betonung schernden Flöten bis zu tief Und wiederum begegnet er Duett des Albums singt kommen ist eine eigenar- auf Lennon. «The Truth Is brummenden Holzbläsern. dem emotionalen Schlacht- sie mit Ken Stringfellow tige Musik, die rastlos hin So Hard to Believe» klingt Immer wieder dringt auch feld mit einer Mischung zusammen, einem der bei- und her springt zwischen eher nach hymnischem Brit- die Bergwelt durch: Wind- aus Kammerpop und leiser den Autoren der US-Band «Blackstar»-haft düsterer Pop, während die Ballade und Wasserrauschen, aber Elektronik. Im bittersüssen Posies, mit dem sie seit ei- Filmmusik, blubbernder «Dream Dreamer» ihren auch das Klicken von Kara- «Never Really Mine» ge- nigen Jahren befreundet Elektronik, hypervirtuo- unschuldigen Charme dank binerhaken und der Helm langt er zum Schluss, nicht ist. Während der torkeln- sem Jazz-Rock im Stil der reduziertem Instrumen- als Perkussionsinstrument. zu seiner Frau zurückzu- de Slowcore «Turn on the Seventies, pompösem Prog- tarium entfaltet. An Roy «Parasol Peak» ist eine kehren, mit «Distant Lo- Light» an Tom Waits oder Rock und wüsten freien Orbison erinnert «Strange akustisch verspielte und vers» geht Fitzsimmons ei- Element of Crime erinnert, Improvisationen. Gaststim- Shadows». Tasjan navigiert von prickelnder Höhenluft nen Schritt weiter: «We are ist «Ocean» ein klassisches men wie , zwischen diesen Einflüssen belebte Form von Jazz, better off as friends than as Liebeslied geworden. Zu der einen grauenhaften Rap so geschmeidig wie bei sei- Folklore, Weltmusik oder distant lovers.» Die Ehr- den eigenen acht Songs beisteuert, oder Gail Ann nen früheren Abstechern zu wie man diese Musik auch lichkeit ist unerbittlich, sie gesellen sich drei Coverver- Dorsey setzen alle ihre ei- Country-Rock und Blues. immer nennen will. Wun- bezeugt jedoch, dass Fitz- sionen von Beck, Vic Ches- genen Akzente. Das Ganze Dennoch gelingt ihm rela- derschön, ganz eindeutig simmons das Gröbste hin- nutt und Alex Chiltons erinnert dann an eine über- tiv eigenständige Musik mit wunderschön. ter sich glaubt. Folgerichtig Big Star. Entstanden ist ein ladene Pizza. Ein Song wie cleveren Texten, in denen hört sich die Melancholie herrliches Album, das von «What About the Body» es von farbigen Charakte- cg. auf «Mission Bell» denn keinem Geringeren als Olaf zeigt aber, dass McCaslin ren wimmelt. «Karma for auch eher tröstlich als nie- Opal (u.a. The Notwist) von der idealen Kombinati- Cheap» ist nicht bloss für derschmetternd an. produziert wurde. on und Dosierung nicht so Fans von Tom Petty und weit entfernt ist. Roy Orbison hörenswert. mig. tb. hpk. tl. DIE NEUEN PLATTEN London Hotline Paul Weller war nicht immer der pflegeleichteste Intervie- wpartner. In alten Zeiten – The Jam, Style Council, die frühen Solojahre – konnte er sich kurz angebunden oder gar gehässig geben. In den letzten Jahren hat Weller indes eine Wandlung durchlebt, die sich – wie könnte es anders sein – auch in seiner Musik reflektiert. Beginnend mit dem vor genau zehn Jahren erschienenen Album «22 Dreams» Loudon Alejandro Marissa Nadler liess er die Zügel seiner Muse gehen. Plötzlich waren rich- Wainwright III Escovedo For My Crimes tiggehend freijazzige Passagen zu hören. In alle Richtun- Years in the Making The Crossing (Bella Union/MV) gen scherten seine Songs nun aus, und es folgte eine Serie (StorySound/H’art) (Yep Roc) von LPs, die in ihrer altersweisen Frische denen eines Nick Seit über 14 Jahren und nun Cave kaum nachstehen (wenn sie sich vom Klanggewand Wie er sein 23 Studioal- Hier erzählt Alejandro auf dem achten Album ist her auch deutlich weniger kühn präsentieren). Nun sitzen ben umfassendes Œuvre Escovedo die Geschichte Marissa Nadler mit ihrem wir draussen im Hof eines supercoolen Hotels in Soho und einschätzen soll, wisse er zweier junger Enwanderer – Dream- und Ghost-Folk reden über seinen neusten Wurf, «True Meanings». selbst nicht, erklärte Lou- Salvo aus Italien und Diego unterwegs. Radikal verän- Derweil der Künstler – im Mai ist er sechzig geworden – don Wainwright III: «Es aus Mexiko. Sie arbeiten in dert hat sich die 37-Jährige locker eine Zigarette pafft, lege ich ihm ein paar Zeitungs- sind halt einfach Songs einem Restaurant in Texas aus Boston dabei nie, aber ausschnitte vor, die ich in meinem Archiv gefunden habe. über mein schrottiges Le- und hoffen auf die Erfül- ihre Songs stetig verfeinert, Einer stammt aus dem «New Musical Express», Datum: ben.» Auf dieses schaut der lung des amerikanischen mehr elektrische Gitar- 13. November 1982. Unter dem Titel «Portrait of the 72-Jährige nun zurück – mit Traums, ehe sie realisieren, re und Backing-Musiker stylist as a consumer» listet Weller Dinge auf, die ihm ge- einer Doppel-CD, die von dass sie in einem Land ge- eingebaut. Es ist deshalb fallen oder auch nicht. Unter der Rubrik «Coolest Cats» der Plattenfirma als «au- landet sind, das nicht an- mit «For My Crimes» so, führt er Steve Marriott, Jimmy Smith und Vaughn Toulouse diobiography» angepriesen nähernd so offen und frei als ob man eine gute alte auf. In der Weihnachtsausgabe des gleichen Jahres druckte wird. Die 42 Tracks setzen ist, wie sie sich dies erhofft Bekannte in die Wohnung ebenfalls der NME ein Interview mit ihm ab, das sage und sich aus folkigen Traditi- hatten. In den Songs von bitten würde. Aber aufge- schreibe fünf grossformatige, bleiwüstige Zeitungsseiten onals, Radio- und Live- «The Crossing» reflektiert passt, eine Hausparty steigt füllte. Gutgelaunt blättert Weller die Seiten durch, obwohl mitschnitten, Rock’n’Roll- Escovedo eigene Erlebnisse dann keine, Nadler bringt er ja damals Musikpostillen offensichtlich überhaupt nicht Versuchen und einem von als Kind mexikanischer Im- stets Dunkles mit, besingt mochte. Was geht ihm durch den Kopf, wenn er diese Mu- seinem Nachwuchs inklu- migranten. Inspirieren liess mit ihrer unverkennbaren, seumstücke sieht? «Den Typen möchte ich gern treffen!», sive Rufus Wainwright er sich auch von seinem Ko- engelhaften Stimme Licht gibt er zurück. Die Zeiten seien wohl vorbei, als Musik im gekrächzten Ständchen Autor, dem Italiener An- und viel Schatten. «All Out Leben junger Menschen derart wichtig gewesen sei. «Nein, zusammen. Das Gebotene tonio Gramentieri, dessen of Catastrophes» seufzt das stimmt mich nicht unbedingt traurig», sagt er. «Aber ist nie tiefsinnig, lässt aber Band Don Antonio einen sie – da bleibt nur noch eigenartig ist es schon für jemanden wie mich, der im Glau- den Menschen hinter dem Soundtrack zwischen Tex- stumme Andacht. Instru- ben aufwuchs, dass sich alles um die Musik drehte. Die jun- Musiker erkennen. Mit der Mex, Balladen und furiosem mentiert wird das wieder gen Generationen haben andere Dinge gefunden, mit denen 2010 verstorbenen Kate Rock eingespielt hat. Das mehr mit der gezupften sie ihren Charakter definieren.» Selbst der Nivellierung der McGarrigle, seiner Ex, spürt Instrumental «Amor Puro» Gitarre und nur sehr wenig einstmals so klar strukturierten Sippenkultur im Popgesche- der Amerikaner auf dem klingt nach Los Lobos. Begleitinstrumenten. Patty hen trauert der bekennende Mod nicht unbedingt nach: rührigen «You Ain’t Going «Sonica USA» (mit MC5- Schemel (Hole) und Kristin «Alles hat seine positive Seite», sagt er. «Es ist gut, dass die Nowhere» weniger dem Legende Wayne Kramer an Kontrol (Dum Dum Girls) Barrieren verschwunden sind. Als Teenager hätte ich mir Verfasser Bob Dylan als den der Gitarre), ein kochendes waren mit ihr im Studio. nie und nimmer Musik angehört, die ein Langhaariger mit Byrds nach. Auf Stücken wie Highlight dieser Kollektion, Angel Olsen singt Backing- Bart gemacht hätte. Das verlangte die Stammesehre. Man «Love Gifts» oder «God’s erinnert an Escovedos Ju- vocals beim Titelstück, hörte seine Musik und sonst nichts.» Got a Shit List» hingegen gend als Chicano-Punkro- Sharon van Etten bei «I Ein Album wie «True Meanings» wäre für Weller noch vor kehrt der Künstler seine mal cker in Austin. Noch mehr Can’t Listen to Gene Clark fünfzehn Jahren unmöglich gewesen. Nicht nur besteht die skurrile, mal boshafte Sei- Gäste mischen mit: Joe Ely Anymore». Das ist Har- Instrumentierung vornehmlich aus akustischen Instrumen- te hervor: «I gave my love singt «Silver City», James moniegesang in Perfektion. ten. Auch haben die Lieder deutlich folkige Züge. Die Folk- a black eye and got back a Williamson (The Stooges) Und weil von diesen beiden grössen Danny Thompson und Martin Carthy spielen mit, busted lip and then I picked veredelt «Teenage Lugga- 2018 kein neues Album zu Conor O’Brien (Villagers) und Erland Cooper (Magnetic up a virus and gave my love ge». Im Song «Waiting for erwarten ist, kann Marissa North) haben Texte beigesteuert, und Hannah Peel hat die the slip.» Das Album endet Me» spielen Peter Perrett Nadler mit ihrer grandi- subtilen Streicher-Arrangemente verfasst. Heute gebe es für a cappella mit «Birthday und John Perry (The Only osen Platte den diesjähri- ihn keine musikalischen Grenzen mehr. In einer Hinsicht Boy», in dem Wainwright Ones) erstmals seit 1980 gen Thron der Indie-Folk- allerdings hat sich in den Augen des Mannes, der vor mehr zu Schluss kommt, dass wieder zusammen. Alejan- Queen schon jetzt ganz als dreissig Jahren Red Wedge mitbegründete, eine Organi- er – Geburtstag sei Dank – dro Escovedos neues Werk alleine besteigen. sation, die junge Menschen für die Labour-Partei zu gewin- gefeiert gehört. Selbst wenn mag ambitioniert sein, doch nen versuchte, nichts geändert: «Die politische Lage nervt er jede Menge Blödsinn an- seine an brennend aktuellen anz. mich kein bisschen weniger oder mehr als die vor zehn oder stellen sollte. Das ist schlitz- Themen (Rassismus und vierzig Jahren. Neuer Tag, gleiche Scheisse.» ohrig – und eine passende kulturelle Identität) rühren- Conclusio. den Songs strotzen vor Lei- Hanspeter Künzler denschaft. mig. tl. DIE NEUEN PLATTEN 45 Prince Endlich ist der Sommer vorbei. Und die Gruppenfitness- anhänger sind wieder zurück in Hallen, wo man von ihrer Begleitmusik nichts mitbekommt – eigentlich unvorstell- bar, dass sich unter solchen Bedingungen Muskeln bil- den können oder psychische Erholung einstellt. Dass sich Sport und Musik aber bestens verstehen, hat schon Don G.Rag & Donnie Fritts Los Gatillos Fardon in den Sechzigern mit seiner Ode an George Best Die Landler­ June: A Tribute to Los Gatillos bewiesen. Und ich kann mir gut vorstellen dass in irgend- gschwister Arthur Alexander (Gutfeeling Records) welchen Gewichtheber-Kellern das australische Trio Power Neue Stadt (Single Lock Records) aus den Deckenboxen klirrt und für ein paar Kilo mehr (Gutfeeling Records) Eigentlich ist Fred Raspail auf der Hochstrecke sorgt. Denn «Road Dog» (Shipping Nein, es ist nicht Randy in Lyon ansässig. Doch der Steel) ist verschwitzt und stickig. Mit dem Drive von Rose Die Herrschaften rund um Newman, der hier mit brü- französische Songwriter Tattoo und der Härte der frühen zeleb- das kleine Münchner Label chiger Stimme einem ver- und Sänger treibt sich nun rieren sie den Geist des Übervaters Lobby Loyde. Wohl Gutfeeling Records stehen storbenen Freund ein Al- seit einigen Jahren in der eine der wenigen Bands, die von Garage Heads und Metal für einen ungezwungenen bum widmet. Donnie Fritts, Weltgeschichte zwischen Nerdinnen gleichermassen geschätzt werden. Für einfache Umgang mit Musik und einer der Väter des Muscle- Lyon und München, Bern Rock’n’Roll-Gemüter wie mich ist dann «Dead Kid» gleich Kulturen der verschiedens- Shoals-Sound in Alabama, und Buenos Aires herum. noch der Favorit in ihrem mittlerweile zwei LPs umfassen- ten Weltregionen. Alles und Arthur Alexander Bevor Anfang 2019 sein den Repertoire. Rock on. geht hier zusammen, ob («June») Junior wuchsen neues, viertes Soloalbum Zwei Frauen singen, begleitet von ihren akustische Gitar- nun Blues, Cumbia, bay- zusammen in Alabama auf, mit «Dirty French Folk ren. Wie die es in diese Kolumne geschafft haben? Natürlich rische Blasmusik, Reggae wo die Freundschaft zwi- Songs» erscheinen wird, mit ihren obszönen, jedoch intelligenten Texten. Aber auch oder Rock. Für all das steht schen einem weissen und hat er mit den beiden mit wunderbarem Singer/Songwriter-Talent und Sing­along- Gitarrist und Sänger And- einem schwarzen Teenager Schweizern Pierre Omer Harmonien. Und vor allem indem sie sich in einem Berner reas Staebler alias G.Rag, eher selten war. In Muscle (einst u.a. bei den Dead Stadtpark auf dem Spielplatz mit totaler Leidenschaft und der in verschiedensten For- Shoals waren beide an der Brothers) und Monney B Hingabe die Knie auf biergetränkten Kieselsteinen wund- mationen immer wieder Eruption des Sixties-R&B- von Hell’s Kitchen das for- schürften, während auch Kinder ihren nicht jugendfreien für schöne Platten sorgt. und Soul beteiligt. Wohl- midable Trio Los Gatillos Texten lauschten. Mit «Singles Only» haben Birdcloud ein Ob nun mit dem Weltmu- tuend ungeschliffen, so in- gegründet: Eine Formation Album mit schlichtweg nicht zu übertreffenden Songs wie sikorchester Los Hermanos tensiv, dass es mich frösteln zwischen louisianischem «Saving Myself for Jesus» in die Küche gestellt. Passend Patchekos, als Bluesduo macht, interpretieren Fritts Swamp Blues, alternativem zum Label Bachelor Records haben sie nun für «Wild Tur- Dos Hermanos oder mit und seine Band auf «June» Country, räudigem Stras- ky 001» ihren Everly-Brothers-Anteil ein wenig zurückge- den Landlergschwistern, Oldies wie «You Better senrock und windschiefem schraubt und auch die Produktion etwas rauher angehen mit denen alles möglich ist. Move On», 1962 der aller- Dark Folk. Egal in welcher lassen. Für das erste Date mit den Ladys aus Nashville emp- Die musikalische Bandbrei- erste R&B-Hit aus Muscle Sprache gesungen wird, die fiehlt sich die LP, aber hat dieses erst einmal eingeschlagen, te ist auch auf dieser Plat- Shoals. Die Rolling Stones 15 Songs atmen den Geist will man auch diese Single nicht vermissen. Und wer einmal te zu hören. Ob nun ein coverten den Song 1964. der Strasse und der Gara- ihrem Rektal-Ärger «Fiasco» nachfühlen muss, wird froh kolumbianischer Cumbia Latin-Rhythmen prägen ge. Den «Wiesn Swing» sein um den – beinahe – Bad-Brains-Zugang. wie «Navidad Negra» an «Soldier of Love» und «Lo- hat Fred Raspail aus seiner die Isar geholt wird, sich nely Just Like Me». Selten neuen Wahlheimat Mün- Philipp Niederberger die Damen und Herren wurde das glühende Ver- chen mitgebracht, während Hank Williams, Rockstea- langen und die Unsicher- das andere deutsche Stück dy oder LCD Soundsytem heit der ersten Verliebtheit «Blau» fast schon medita- vornehmen und aus «You treffender eingefangen als tiv ist. Wer die Gelegenheit Wanted a Hit» etwas Eige- in der Ballade «You Can hat, die drei Herren live zu nes machen. Auch erweisen Come Along with Me». sehen, sollte nicht zögern – sie Palais Schaumburg und Kraftvoll baut sich der Gos- Los Gatillos haben sichtli- dem alten Neue-Deutsche- pel-Shouter «Thank God chen Spass und rocken jede Welle-Hit «Wir bauen eine He Came» auf, ehe uns die Hütte. neue Stadt» ihre Reverenz. Chorstimmen mit flammen- Wir hören auch bayrischen der Inspiration belohnen. tb. Volkmusikstoff wie den Das Album schliesst mit «Garmischer Landler», der Fritts’ gospelgetränktem hier «Electric Fling» der Piano und den Harmoni- Rah Band gegenüber steht. en des bewegenden «Adios Amigo»: «Talking about tb. how we kind of grew up to- gether/where we would go we would go as one/when one of us got hurt/the other would cry.»

tl. SZENE

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PETER METTLER NOVEMBER 2018

xenix.ch / Gambling, Gods and LSD (2002) NACHTSCHICHT

Verhandeln mit Long Tall Jefferson Experimentieren mit Princess Chelsea

Bisweilen sind es die ganz kleinen Welten, die besungen werden müssen. Prinzessinnen malen sich ihre Welt gerne bunt. Das trifft auch auf Chelsea Sie sind bevölkert von kleinen Menschen mit kleinen Problemen, die al- Nikkel alias Princess Chelsea aus Auckland zu. 2011 veröffentlichte sie lerdings keineswegs belanglos sind. Es geht ums Verlieben und später dar- zum Song «The Cigarette Duet» ein herrliches Video, in dem sie mit einer aus resultierende Verluste, Gefühlsaufruhr und Bedeutungsleere im Alltag, pinken Perücke und Herzchen-Sonnenbrille im Whirlpool sitzt – es ver- erschwerte Kommunikation in Zeiten digitaler Kanäle. Davon berichtet breitete sich via Youtube viral (aktueller Stand: 42 Millionen Views). Bes- der junge Mann, den sie Long Tall Jefferson nennen, auf seinem aktuellen ter Bubblegum-Pop war das. Danach schlug Chelsea aber neue und auch Album «Lucky Guy». Ein Schlacks mit Schnurrbart, der ein feines Händ- experimentellere Wege ein. Das aktuelle Album «The Lonliest Boy» bietet chen für Harmonien hat und diese in wunderbare Arrangements zu über- nun wieder Twee-, Chamber- und eben Bubble-Pop, Beats aus der elektro- setzen versteht. Wir hören aufgeräumtes Fingerpicking auf akustischen nischen Kinderstube, aber auch mal ein Rock-Stück. Die Neuseeländerin Saiten, bisweilen leicht psychedelisch eingefärbten Gesang, Slide-Gitarren spielt diverse Instrumente, produziert alles selber und verfügt vor allem zu Rhythmen aus der Schlagzeugmaschine und an einer Stelle gar eine dis- über viel Ironie und spitzen Humor. So rutscht sie nie ins Plakative ab. Ver- kret murmelnde Talkbox. Und eben: Klassische Themen, die LTJ «frisch, bunden mit einem Sinn für Theatralik und musikalischem Können ergibt freundlich und melodiös» verhandelt, wie ein Rezensent schrieb. Der dies Konzerte, bei denen es bestimmt niemandem langweilig wird. (anz) adäquate Soundtrack für die Reise durch einen schwierigen Herbst. Aufge- tankt wird unterwegs. (amp) 2.10., Zukunft, Zürich; 4.10., Usine, Genf

28.9., Kiff, Aarau; 5.10., Treibhaus, Luzern; 6.10., Helsinki, Zürich; 10.10., Le Bourg, Lausanne; 11.10., Albani, Winterthur; 13.10., Gasthaus St. Mauritz, Schötz; 25.10., Altes Spital, Solothurn; 26.10., Kellertheater, Brig, 27.10., Cuadro 22, Chur Verschwinden mit Biggles

Kein Gentech, im Fall. Nix Glyphosat. Kunst pur zwar, aber sowas von natürlich. Macht voll glücklich wie die Wahrheit im Innern eines chinesi- Stottern mit The Soft Moon schen Glückskeks. Da sitzt Biggles auf einem riesigen Fliegenpilz. Und er sagt: «Es ist besser, als Hund in guten Zeiten zu leben, denn als Mensch in Hinter dem Namen The Soft Moon verbirgt sich der Multiinstrumentalist, schlechten.» Schopenhauer? Dessen Pudel? Oder der trümmlige Mephisto- Sänger und Liederschreiber Luis Vasquez. Das Projekt begann der Mann Pudel? Kein Plan? Nö, da spricht der weiser gewordene Biggles, der die aus dem kalifornischen Oakland Ende der Nullerjahre als Einmann-Angele- gegenwärtige Irrwelt nimmer versteht. Du fragst ihn: «Aber warum?» Er genheit, veröffentlichte zwei frühe Singles und fällte den Entscheid, ein paar schweigt. Kein Plan. Biggles hat aufgehört, nach Erklärungen zu suchen. Musiker um sich zu versammeln und fortan als Band aufzutreten. Das ergibt Er sammelt jetzt Wunder. Da hockt er auf seinem freundeidgenössisch durchaus Sinn, denn Vasquez’ Klangschaffen ist in einem Sektor verortet, in eingefärben Tüpflischisserpilz. Selbstvergessen. Und blickt unbeirrt rüber dem man mindestens in Trio-Stärke aufkreuzen sollte. Hier werden Versatz- zum brodelnden Vulkan. «Du bist ein Wundernehmer? Aber Wunder gibts stücke aus EBM, Industrial, Post-New-Wave und dräuender Psychedelik zu doch gar nicht mehr!» Biggles lacht. Gaga. Dada. Kein Plan. Biggles, der einer neuen Einheit verschraubt, die ruckelt und dröhnt und stottert, dass Eremit. Er verschwindet in einem schwarzen Loch. Kein Plan. Aber eine es eine wahre Freude ist. Man braucht bloss die Augen zu schliessen, und innerlöchrige Stimme sagt dir: «Folge ihm!» Es ist nicht mehr weit bis zum schon flackern die Stroboskop-Blitze durchs innere Blickfeld. Ziel. Der Weg ist nicht das Ziel. Du musst also nur noch aufbrechen, um Den mit dem Album «Deeper» (2015) eingeschlagenen Weg verfolgen Vas- dann pünktlich am richtigen Ort zur richtigen Zeit aus dem Dunkel des quez und seine Mitstreiter auch auf dem aktuellen Werk «Criminal» kon- Lochs aufzutauchen. Wuff! Spot an! Und schon bist du da. Mitten in des sequent weiter. Und legen dabei stilistische Pfade frei, die man seit knapp Pudels Kern. Und da sitzt – oh, Wunder! – Biggles auf dem Fliegenpilz und drei Jahrzehnten eigentlich für endgültig zugeschüttet hielt. Akustische Ar- singt und nimmt Wunder. (alp) chäologie – eine wunderbare Disziplin. (amp) 6.10., Z am Park, Zürich; 27.10., El Lokal,Zürich; 29.10., Portier, 4.10., ISC, Bern; 5.10., Rocking Chair, Vevey; 6.10., Rote Fabrik, Zürich Winterthur; 8.11., Eisenwerk, Frauenfeld; 9.11., Café Kairo, Bern NACHTSCHICHT

Lieben mit Tirzah Schätze bergen mit Silberen

«I’m not dancing, I’m fighting», sang Tirzah recht desillusioniert vor fünf Aus der Tiefe steigen Klänge auf. Wie Nebelschwaden. Leicht wie das Jahren. Dazu gab es einen Beat, der zwar auf den Dancefloor lockte, doch Blatt im Winde im himmlischen Blau. Schillernd, atmosphärisch, dunkel man hörte eben auch eine dilettierende Blockflöte, die deutlich machte, und doch so sonnenklar ist die Musik. Es öffnen sich unbekannt vertraute dass Tirzah Mastin und ihre Komplizin Mica Levi am klassischen Popsong Räume. Links-rechts-oben-unten-vorn-hinten. Berg und Tal. Das ist das fröhlich herumschrauben. Das Debüt der beiden Freundinnen erschien Material, aus dem Silberen ihren transzendenten Sound spinnen. Ambiva- dann aber erst in diesem Sommer, und an den Tanz erinnerte nichts mehr. lenzen scheinen auf. Manchmal dünkler als schroff. Und schon nimmt dich Denn Tirzah singt auf «Devotion» nur noch über die Liebe, das Tempo Barbara Bergers Stimme in wohlklingende Umarmung. ist heruntergeschraubt, die grossen Popstunts , die man von Levi nach ih- Archaisch unbequeme Volksmusik wird auf traditionellen Instrumenten ren Micachu-Alben erwartet, bleiben aus. Und das passt ja dann auch zu neu interpretiert. Echt und dringlich erzählen die mehrheitlich alten Melo- diesen kleinen Songs, die so intim wirken, als singe hier eine nur für uns. dien und Texte von Glück, Schmerz, Freiheitsstreben, Zwang, Suff und Ver- Bereits einmal waren die beiden zu Gast in der Schweiz, das war vor vier zweiflung. Behutsam und virtuos transportieren Silberen diese Trouvaillen Jahren an der Kilbi an der Grenze im Palace St. Gallen. Es war ein Abend aus der Vergangenheit in die Gegenwart, wo ihr Kammerjuuz den Beton im für den nicht konkreten Slow Dance, an dem so vieles in der Schwebe und schönsten Treppenhaus des Universums erzittern lässt. Die Musikschätze so vieles möglich war. Es war eine grossartige Nacht. (bs) tragen uns weit über Feld, Wald, Wiese, Tal hinaus in gebirgige Krachen transalpiner Klanglandschaften. Wir wissen längst nicht mehr, wie uns ge- 12.10., Bad Bonn, Düdingen schieht. Und das ist wunderbar. Wie die unermessliche Schönheit unberühr- ter Natur in den Infrastrukturwüsten unserer Zeit. (alp)

14.10., El Lokal, Zürich

Federn mit Altin Gün Elektrisieren mit Emma Ruth Rundle

Sie waren mit ihrem Bongo-Joe-Album «On» so etwas wie die Stammgäste Diese Karriere war eigentlich ziemlich klar vorgezeichnet. Als Kind eines auf den Schweizer Sommerbühnen, aber wer sie erleben durfte, wusste ja musizierenden Ehepaars griff Emma Ruth Rundle bereits früh in die Saiten. auch warum. Denn die türkisch-holländische Band Altin Gün spielt eine Ihr erstes Instrument war eine Harfe, mit 13 Jahren wechselte sie dann zur vereinende Musik, die die Körper zum Schwingen bringt. Nicht mit plum- elektrischen Gitarre. Ihre Eltern nahmen sie mit in den legendären Gitar- pen Tanzbefehlen, sondern mit federnden Grooves und dem Saitensound renladen McCabe’s in Santa Monica, der auch als Konzertlokal für Auftrit- der elektrischen Saz – jenem Instrument, das so prägend ist für die türki- te von Künstlerinnen wie P.J. Harvey oder Liz Phair diente. Später arbeitete sche Psychedelik, die Altin Gün nun in die Gegenwart übersetzen. Band- sie sogar im Shop und lernte dort eine Menge Musikerinnen und Musiker leader Jasper Verhulst entdeckte jene Musik im Plattenladen, dank einer kennen. Ihre erste eigene Band gründete sie dann allerdings auf der anderen Nachpressung eines Albums der legendären Selda Bagcan. Wie ihre Be- Seite der Welt, in Neuseeland, zog später zurück in die USA, wo sie weiter- gleitband in den 70ern verrückte Soundeffekte und traditionelle türkische hin als Gitarristin agierte, etwa bei der Alternative-Supergroup Red Sparo- Musik kombinierte, das liess ihn wie so viele andere Plattensammler nicht wes. 2011 erschien schliesslich ihr Solo-Debüt, das weitgehend instrumen- mehr los. Verhulst beschloss, diese Musik selber zu spielen. Via Facebook tale Album «Electric One». Ihren entrückt-berückenden Gesang suchte er nach türkischen Musikern, und er fand dann neben der Sängerin fügte sie erst auf den Nachfolgern «Some Heavy Ocean» und «Marked Merve Dasdemir auch den Saz-Spieler Erdinc Yildiz. Es funktionierte vom for Death» bei. So entstanden nachdenkliche Folk-Werke, die bisweilen ersten Tag an, auch wenn Verhulst kein Türkisch spricht und viele der Tex- ins Ruppige ausgreifen. Nachzuhören ist dies auch auf der letztjährigen te auch nicht versteht. Ein Problem? Ist das nichts, denn es geht bei Altin Split-EP, die Rundle mit der befreundeten Band Jaye Jayle einspielte. Da Gün schliesslich um die guten Vibes, und diese sind gerade in diesen Tagen gehört es natürlich zum guten Ton, dass diese nun das Vorprogramm der nie zu unterschätzen. (bs) Kalifornierin bestreitet. (amp)

14.10., Bee-Flat, Bern 17.10., Rote Fabrik, Zürich NACHTSCHICHT

Reisen mit Puts Marie Reimlesen mit Sa-Roc

Die Bieler Puts Marie wollten einfach spielen, damals, als sie vor 14 Jahren Zur Einstimmung empfiehlt sich ein wenig Lektüre. Die Werke von einem, mit einer räudigen Musik durch die Strassen Europas zogen. Seither ent- den man in erster Linie als Mitautor der TV-Serie «The Wire» kennt: Geor- ziehen sie sich dieser vergangenen Zeit und suchen nach neuen Möglich- ge Pelecanos. In seinen frühen Romanen gewährt er historisch beklemmen- keiten, welche die einzelnen Mitglieder auch in zahlreichen Soloprojekten de und beschwingende Einblicke in das Leben in der US-Hauptstadt. Mit ausleben (so etwas das Italo-Schlager-Projekt Mister Milano von Sänger dem angelesenen Hintergrundwissen lassen sich auch das Schaffen und Max Usata). Oder sie thematisieren ihre dunklen Sexobsessionen in den die Reime von Sa-Roc besser einordnen, denn die auf dem Rhymesayers- beiden zwielichtigen «Masoch»-EPs, die vor drei Jahren die letzten Lebens- Label veröffentlichende Künstlerin stammt ebenfalls aus Washington, D.C. zeichen als Band waren. Auf dem neuen Album «Catching Bad Temper» Nachdem sie in der Frühphase ihrer Karriere gerne mal mehrere Alben pro (Two Gentlemen/Irascible) spielen Puts Marie nun eine schwere Musik, Jahr veröffentlichte, lässt sie sich für ihr neues Werk «The Sharecropper’s aus der lockende Melodien fast gänzlich verschwunden sind: Man ahnt in Daughter» noch ein wenig Zeit. Wann genau es erscheint, ist vorerst un- den sieben Songs die Gewitter, die da am Himmel aufziehen, erkennt die klar, doch im Live-Gepäck hat sie die exklusiven Tracks selbstverständlich schlecht gelaunten Dämonen, die sie im Studio in Nantes heraufbeschwör- mit dabei. ten, wo sie das Album einspielten. Aber ganz los werden sie die Strasse In Zürich gastiert sie zusammen mit Dynasty, ihrer Kollegin aus Queens. doch nicht, auch weil sie weiterhin vom Reisen erzählen, von Barcelona in Die clevere, nonchalante und in ihrer lyrischen Kraft kompromisslose «Catalan Heat» oder der Plaza Garibaldi in Mexico City. Was dann auch Rapperin war vor zwei Jahren bereits auf der Clubraum-Bühne unterwegs eines beweist: Die Schweiz war für Puts Marie und ihre Musik halt immer und hat seither eine fast schon unüberschaubare Fülle weiterer Singles, EPs schon zu klein. (bs) und Mixtapes rausgehauen. An atemberaubendem Material wird also kein Mangel bestehen an diesem Abend. (amp) 19.10., Südpol, Luzern; 20.10., Ebullition, Bulle; 1.11., Atlantis, Basel; 2.11., Bad Bonn, Düdingen; 30.11./1.12., Le Singe, Biel; 7.12., Kiff, Aarau; 19.10., Rote Fabrik, Zürich 8.12., Palace, St. Gallen; 13.12., Moods, Zürich; 14.12., Dachstock, Bern

Rebellieren mit Steiner & Madlaina

Steiner & Madlaina malen bei der Taufe ihres ersten Albums «Cheers!» (Glitterhouse/Irascible) das Bild einer im Unbewussten des Vertrauten ver- Verwirren mit Connan Mockasin sunkenen Welt. Vermutlich als Quintett. Aufbruch, Licht, Schatten und das Unbehagen in der Unkultur der Gegenwart, verwandelt in ebenso bezau- Was führt er wohl wieder im Schilde? Nun, man weiss es noch nicht so bernden wie Zähne fletschenden, dynamischen Indie-Folk-Pop einer mög- genau, so, wie das ja immer unklar ist, wenn Connan Mockasin ein neu- lichen Zukunft. Immer ein bisschen rebellierend. Mal erinnert der zwei- es Projekt ankündigt. Dieses Mal veröffentlicht der Neuseeländer, der im stimmige Gesang an First Aid Kit, ihre liedschreiberische Zugänglichkeit Strandstädtchen Te Awanga aufgewachsen ist, nämlich nicht nur ein drit- an den perlenden Pop von Boy, dann wieder geleiten uns Nora Steiner und tes Album namens «Jassbusters», sondern auch gleich einen melodramati- Madlaina Pollina in düstere Abgründe einer Emily Jane White. «Cheers» schen Film. Und vielleicht wird man ja in diesem endlich herausfinden, wo heisst nicht nur Prost, sondern auch Anfang und Ende, Begrüssung und Mockasin seine so herrlich verdrehten und hitzeversengten Gitarren findet, Abschied. Der Steiner&Madlaina’sche Sound fliesst mal lieblich, mal tür- die nur er so zurückgelehnt spielen kann – sei es auf seinem atemraubenden men die Instrumente eine gigantische Soundwalze auf. Im Zentrum das Debüt «Forever Dolphin Love», auf dem schmierigen Folgealbum «Cara- Leuchten der beiden Stimmen. Perfekt aufeinander eingesungen. Vertraut- mel», im Weirdo-Duo Soft Hair mit LA Priest oder auf seiner neuen neun- heit langjähriger Freundschaft. Mehrsprachigkeit gehört als Katalysator minütigen Single «Charlotte’s Thong». Was aber sicher ist: Es wird ein von Inhalten zum Programm. So leicht und beschwingt im einen Moment, Abend mit Film und Konzert werden, an dem man schwelgen und sich den so tiefschürfend und melancholisch im nächsten. Wie aus Reispapier gefal- leichten Verrücktheiten hingeben kann, die sich Connan Mockasin zum tet und aus Schachtdeckelstahl gegossen. (alp) Glück immer wieder ausdenkt. (bs)

20.10., El Lokal, Zürich; 9.11., Kufa, Lyss; 24.11., Bloom, Winterthur 26.10., Palace, St. Gallen SZENE Atlantis_2016_Version_3_Atlantis_2016 26.01.16 18:18 Seite 1

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