jungeDie Tageszeitung Welt Beilage der Tageszeitung junge Welt Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279

weit für unbenutzbare Häuser, sinnfreie Stadtmöbel oder z. B. einen gigantomanischen, aber nicht für Bahnbenutzer geeigneten Hauptbahnhof in sorgt. Architekten sind Stararchitekten und fahren nicht mit der Bahn, arbeiten nicht in Bürowaben, sondern haben Privatjets und eine Insel zu haben. Wo Autokonzerne Banken sind, die auch Fahrzeuge auf den Markt werfen, funktionieren Banken nicht und die Automobile sind moralisch und technisch verschlissen, bevor sie die Fabriken verlassen. In der bildenden Kunst ist das Fragment unter solchen Verhältnissen hochsubventionierte Stilikone; aus Unbildung resultierender Eklektizismus wird gegen klassische Kunstformen als Ausdruck von Freiheit, Gleichheit oder andere Beschreibungen humaner Gesinnung, mit deren Relikten sich der Casinokapi- talismus der Investmentbanken und der Steinbrücks gern modisch ausstaffiert, in Stellung gebracht. Was übers Gewerbe hinausgeht, ist in dieser Welt Luxus. Da reicht es weder für öffentliche Schulen, die Lesen und Schreiben für alle gewährleisten, noch für ein Gesundheitswesen, das allgemein ge- sund macht, schon gar nicht für historische Bildung oder für Förderung von Kunst, die sich dem Waren- wahn der Kunstkrämer in Behörden, Medien und Galerien verweigert. Denn Voraussetzung für die Symbiose von Investmentbankern und jenen, die ihnen Kunst an ihrem Gesellschaftsbau liefern, ist, daß nicht über dessen Kellergeschosse hierzulande oder im Süden des Erdballs gehandelt wird. Nur die oberen Etagen gewähren, wie Max Horkheimer vor fast 80 Jahren in der letzten Weltwirtschaftskrise schrieb, einen schönen Ausblick auf den gestirnten Himmel. Nur dort gilt das Sittengesetz. Wer über die soziale Frage nicht reden will, schweigt natürlich auch von deren Geschichte. Auf dem Rosa-Luxemburg-Platz, der dazu viel histori- schen Stoff liefern könnte, findet sich der Name Rosa Luxemburgs auf den Straßenschildern und auf Haackes Zitatenplatten. Auf die stößt nur der, der auf sie tritt und nach unten blickt. Eine Einrichtung, in der die Geschichte des Platzes geschildert oder gar Biographisches zu der Revolutionärin mitgeteilt wird, gab der Etat für den teuren Umbau des Platzes unter der Ägide des Kultursenators (2002 bis 2006) Thomas Flierl (PDS) nicht her. Dafür gibt es einen generellen Grund: Denkmäler konnte die Bundes- republik noch nie und kann sie nicht, wie sich nicht nur rund ums Brandenburger Tor besichtigen läßt, es sei denn, man hält Betonklotzzusammenstellungen für solche. Und einen speziellen: Der herrschenden Phobie vor aufklärerischer Geschichte entspricht die Dominanz staatsfrommer Legendenbildungen. die wilhelminische Formen angenommen hat: Wie herrlich weit wir es gebracht haben. Speziell die Ge- schichte der Arbeiterbewegung und die DDR können da nur sehr schlecht abschneiden. Hinzu kommt: Wichtige ostdeutsche Mandatsträger der PDS bzw. der Linkspartei lassen sich bei der Verunglimpfung und antikommunistischen Hysterisierung dieser Ge- schichte ungern von anderen übertreffen.

biebl Der erreichte Grad an Dummheit und Unwissen- heit drückte sich in der Erregung aus, die jüngst die rolf bloße Erwähnung der Verantwortung von Sozialde-

archiv mokraten für die Ermordung Rosa Luxemburgs in einem Interview, das die hessische Landtagsabge- ordnete Janine Wissler im September jW gegeben hatte, in Wiesbaden auslöste: »Geschichtsklitte- rung« war noch das mildeste, was da verlautete. Der Gegen(d)darstellung Furor der Bilder- und Denkmalstürmer von 1990 ff ist noch lange nicht gewichen, er steigert sich gera- Im Januar soll ein Duplikat der Rosa-Luxemburg-Statue von de wieder. Erst jüngst setzte die Berlin-Ausgabe von Bild den Abriß des Thälmann-Denkmals im Prenz- Rolf Biebl am Rande des Platzes, der den Namen der lauer Berg wieder auf die Tagesordnung. Der Berliner Kulturetat hätte genug Möglichkei- Revolutionärin trägt, aufgestellt werden. Sie wird dort zwischen ten, z. B. den Wandel der Namen des heutigen Rosa- Luxemburg-Platzes darzustellen und zu erläutern. allerlei Kunst stehen. Von Arnold Schölzel Laut Lexikon hieß er von 1907 bis 1910 Babels- berger Platz, wurde dann nach des Kaisers Reichs- nde Oktober/Anfang November 2008 ins Pflaster zurückgelegt und festgeklopft hatten, kanzler von Bülow benannt und 1933 von den Nazis fanden vor der Volksbühne am Berli- d. h.: Sinnvolle Sätze waren nicht mehr zu lesen. zum Horst-Wessel-Platz gemacht. 1945 bis 1947 ner Rosa-Luxemburg-Platz Bauarbeiten Das wurde – nach Rückfrage der jW-Redaktion hat er demnach Liebknechtplatz geheißen, danach Estatt. Das Straßenpflaster wurde aufge- bei der Volksbühne – so rasch korrigiert, daß keine Luxemburgplatz und seit 1969 Rosa-Luxemburg- rissen und einige der 60 Platten, die der Künstler fotografische Dokumentation mehr möglich war. Platz. Nicht gerade unwichtige Stationen eines Jahr- Hans Haacke dort 2006 in Gehwege und Fahrbah- Die hätte die Redaktion gern gemacht, denn die hunderts deutscher Geschichte sind da angedeutet. nen eingelassen hatte, wurden zeitweise entfernt. Angelegenheit war symbolisch für den zeitgenös- Außerdem: Eine der größten Parteien der Weimarer Die Platten tragen Zitate und Fragmente aus Rosa sischen Umgang mit Platz und Namensgeberin: Es Republik, die KPD, erwarb 1926 an diesem Platz Luxemburgs Schriften. Nach Abschluß der Arbei- herrscht jene Beliebigkeit, die als künstlerischer, ein Bürohaus für zentrale und regionale Parteiein- ten informierten Passanten die jW-Redaktion, daß architektonischer und städtebaulicher Ausdruck die Bauarbeiter die Fragmente puzzleartig wieder des neoliberalen Wahns der letzten Jahrzehnte welt- Fortsetzung auf Seite zwei O ein denkmal für rosa für denkmal ein 2 ein denkmal für rosa Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279 junge Welt

O Fortsetzung von Seite eins authentischer Gedenkort wie die Ernst- einer Beschlußvorlage zu entnehmen, die bung für deren Gestaltung zu gewinnen. Thälmann-Gedenkstätte in Ziegenhals vorsah, Ingeborg Hunzinger »für ihre In- Der Vorstand der PDS ging bei seinem , ge- richungen, für das sich, sagen Historiker, bei Berlin aber zum Abriß freigegeben itiative, Rosa Luxemburg durch ein von Beschluß auch davon aus, daß angesichts boren am 5.3.1871 in danach der Name Karl-Liebknecht-Haus werden soll, ist solche Zusammenstel- der PDS gestiftetes Denkmal im Berliner der Überhäufung mit feudalen Za­mosc (Polen), am einbürgerte. Hier arbeitete Ernst Thäl- lung nicht verwunderlich. Das eine ist Stadtraum zu ehren«, zwar zu danken, und militaristischen Erinnerungspunkten 15. Januar 1919 in Berlin mann, woran eine Gedenktafel erinnert, so monströs-reaktionär wie das andere: aber andererseits von der Realisierung mehrere an Rosa Luxemburg – sowie an zusammen mit Karl hier folterten nach Verhaftung und Er- Die Menschenschinder und ihre Opfer des vorgelegten Denkmalentwurfs am – erinnernde Denkmale Liebknecht von Soldaten mordung ungezählter KPD-Mitglieder verschwinden hinter Gleichsetzung des Karl-Liebknecht-Haus – der Zentrale von zum notwendigen Gegengewicht beitra- der Garde-Kavallerie- ab dem 8. März 1933 Politische und Ge- »Gedenkens« - eine Methode, mit der PDS bzw. heutiger Linkspartei – »ab- gen könnten. Schützen-Division heime Staatspolizei, hier forschten zu in der Bundesrepublik stets die reaktio- sehen« zu wollen. Auf Anregung von Mit Sätzen wie diesen skizzierte Klaus ermordet. Die Täter DDR-Zeiten Mitarbeiter des Instituts für näre Blutspur der deutschen Geschich- Klaus Höpcke, ehemals stellvertretender Höpcke am 9. Januar 1999 die Beschluß- handeln im Auftrag der Marxismus-Leninismus beim Zentralko- te geleugnet und verdrängt wurde und Kulturminister der DDR und 1998 PDS- lage der PDS. Er sprach aus Anlaß der Führung der Mehrheits- mitee der SED. wird. Im Internet liest sich das bei dem Landtagsabgeordneter in Thüringen, Aufstellung des Denkmals von Rolf sozialdemokratie, na- Berichtet wird darüber an diesem Ort Verein, der sich die Website www.rosa- folgte der Parteivorstand nach längerer Biebl im Eingang des Karl-Liebknecht- mentlich Friedrich Ebert kaum. Der Blick ist der Zukunft zuge- luxemburg-platz.de gesichert hat, so: Diskussion diesem Vorschlag nicht, son- Hauses. Das Antieiszeitkomitee – eine und Gustav Noske. wandt. Am 29. Mai verkündete Springers »Das Projekt reproduziert keine Manife- Berliner Vereinigung PDS- bzw. der Berliner Boulevardblatt BZ: »Rosa-Lu- station spektakulärer inszenierter Reprä- Linkspartei naher Künstler – hatte die xemburg-Platz wird Rosa-Luxus-Platz«, sentationen geschichtlicher Momente im Initiative ergriffen und den 80. Jahrestag und schrieb: »Schwarz, verschachtelt, öffentlichen Raum, vielmehr ist das Phä- Spenden für der Ermordung Rosa Luxemburgs und dreieckig: Das spektakuläre Wohnhaus, nomen jener Erinnerungskultur in Form Karl Liebknechts zum Anlaß genommen, das an der Ecke Rosa-Luxemburg-Platz/ von Denkmälern der Gegenstand der Re- um das Denkmal einzuweihen. Linienstraße entsteht, ist auf die Bedürf- flexion.« Die in die Dutzende gehenden Rosa gesucht! Die Aufregung darüber war in Teilen nisse von Kunstsammlern zugeschnit- Berliner Denkmäler des preußisch-deut- der PDS groß. Es handele sich um eine ten. Fertig ist das sechsstöckige Haus schen Adels, der Kriegsverbrecher vieler »Nacht- und Nebelaktion«, wie der dama- im Sommer 2009. ›Einen Beitrag zur Jahrhunderte, werden so in den an zwei Wir bitten, lige Baustadtrat des Bezirks Berlin-Mitte klassischen Moderne, einladend und ab- Händen aufzuzählenden Denkmälern Thomas Flierl in einer offiziellen­ Erklä- weisend zugleich‹, nennt der Berliner deutscher Aufklärung, der Klassik, der das Vorhaben – rung formulierte. Mit »Nacht und Nebel« Stararchitekt Roger Bundschuh sein Arbeiterbewegung und des antifaschisti- den Guß des Duplikats wird seit den Nürnberger Prozessen ein Er- Werk aus schwarzem Sichtbeton ... Die schen Widerstandes »reflektiert«. Ob die laß Adolf Hitlers von 1941 bezeichnet, der Luxuslofts sind zwischen 67 und mehr Autoren dieser Zumutung sich bereits und die Aufstellung des das spurlose Verschwinden von Gegnern als 300 Quadratmetern groß ... Wer hier um das Denkmal für die neuen Krie- des deutschen Faschismus in ganz Euro- einzieht, hat Platz. Platz vor allem für ge und ihre Helden, dessen Grundstein Denkmals – pa zur Folge hatte. In der Stellungnahme Kunst und Gemälde. Die Decken sind der Bundeswehrminister vor wenigen Flierls war außerdem von einem »erpres- bis zu sieben Meter hoch. Wer sich das Tagen legte, beworben haben, ist nicht zu unterstützen. serischen Coup« und »die PDS lächerlich elegante Kunstquartier leisten will, muß bekannt. Gut aufgehoben wären sie dort machen« die Rede. Der beleidigten bis tief in die Tasche greifen: Bis 5000 Euro allemal. Diese Kriege dienen schließlich desolaten Terminologie war Flierl schon sind für den Quadratmeter zu bezahlen.« ausschließlich demokratischen Zwec- Spendenkonto: 1997 in einem Papier gefolgt, in dem er u. So wandelt sich die Welt zum Besseren, ken, verdienen einfach eine Denkmals- Postbank BLZ 100 100 10, a. von einem »vormodernen Kunstbegriff« sicher auch im Sinne der Senatskultur- «Reflexion«. sprach und die These aufstellte, mit einem verwaltung. Es ist kein Zufall, daß der Antika- Kontonummer: 6 95 68 21 00, Luxemburg-Denkmal der PDS an diesem Das künstlerische Pendant zu den Un- pitalistin und Kriegsgegnerin Rosa Lu- Stichwort: Denkmal Ort würde die Partei »kulturell im Pleisto- terkünften für Bestverdienende läßt sich xemburg auf diesem Platz nur in der zän verschwinden«. Den starken Vokabeln am anderen Ende des Dreiecks, das der geschilderten Form gedacht wird. Sie folgte das starke Stück Kulturpolitik. Wie

Platz bildet – Linienstraße/Ecke Wey- paßt weder in die ältere noch in die neue Die Tageszeitung sich zeigte, wollte die PDS gemeinsam mit dingerstraße – besichtigen. Dort hat der deutsche Herrlichkeit. Nun soll ein Du- SPD sowie Walter Jens, Friedrich Schor­ »Verein zur Förderung von Kunst und plikat des Denkmals, das der Bildhauer lemmer, Klaus-Uwe Benneter, Hans-Chri- Kultur am Rosa-Luxemburg-Platz e. V.« und Maler Rolf Biebl (geb. 1951) schuf, jungeWelt stian Ströbele und anderen eine »Initiative ein Sammelsurium von nachgebildeten gegenüber von der erwähnten Fragmen- für ein künstlerisches Gedenkzeichen für Fragmenten, eine »skulpturale Colla- tensammlung aufgestellt werden – hinter Rosa Luxemburg auf dem Berliner Rosa- ge« aufstellen lassen, die anderenorts dem Gebäude, in dem sich die junge dern entschloß sich zu folgendem: Er- Luxemburg-Platz« unterstützen. Was dar- in Berlin komplett zu besichtigen sind. Welt-Redaktion befindet, das Karl-Lieb- stens sollte die Idee, das Denkmal am aus wurde, kann heute dort besichtigt wer- Hier steht der preußische Soldatenkönig knecht-Haus in Sichtweite. Dort stand Karl-Liebknecht-Haus zu errichten, un- den: Der Rosa-Luxus-Platz. Friedrich Wilhelm I. – eine der wider- das Original, das wieder entfernt wurde. terstützt werden. Die von Ingeborg Hun- Dieses Resultat ließ einige Menschen, lichsten Figuren der an Widerlichkeiten Auch die Geschichte dieses Denkmals ist zinger und Rolf Biebl vorgelegten Ent- vornehmlich Künstler, den Vorsatz fas- reichen Hohenzollerngeschichte – neben ein Zeitdokument. würfe sollten zugrunde gelegt werden. In sen, ein Duplikat der Skulptur Rolf einer Replik des 1981 im Lustgarten auf- Im Januar 1995 schlug die Bildhauerin das Konzept einzubeziehen seien, so hieß Biebls, die heute an einer – um es vor- gestellten Gedenksteins für die Gruppe Ingeborg Hunzinger (geb. 1915) den De- es weiter, die Anregungen zur dokumen- sichtig auszudrücken – nicht besonders ein denkmal für rosa er- um den Kommunisten Herbert Baum, legierten eines PDS-Parteitages vor, ein tarischen Darstellung der Geschichte des attraktiven Stelle vor dem Gebäude des scheint als Beilage der die 1942 die Nazipropagandaausstellung Denkmal für Rosa Luxemburg in Berlin Karl-Liebknecht-Hauses. Neuen Deutschland am Franz-Mehring- Tageszeitung junge Welt »Das Sowjetparadies« in Brand steckte. aufzustellen. Das stieß in der Partei auf Zweitens wurde das Bemühen unter- Platz steht, fast am ursprünglich vorge- im Verlag 8. Mai GmbH, Der Gedenkstein im Lustgarten verzeich- positive Resonanz, in Basisorganisatio- stützt, für künstlerische Arbeiten zur Er- sehenen Ort aufzustellen. Am 11. Januar Torstraße 6, 10119 Berlin. net 34 Todesopfer aus der Gruppe. In nen wurde für die Skulptur gesammelt. innerung an Rosa Luxemburg auch grö- 2009, zum 90. Jahrestag der Ermordung Redaktion: Stefan Huth einem Land, in dem die Potsdamer Gar- Am 9. Februar 1998 unterstützte auch der ßere Plätze im öffentlichen Raum der von Rosa Luxemburg und Karl Lieb- (V. i. S. d. P.); Anzeigen: nisonkirche, wo sich Preußen und Nazis PDS-Bundesvorstand die Initiative, ob- Stadt Berlin ausfindig zu machen und knecht, um 14 Uh, soll die Statue auf dem Silke Schubert; Gestal- 1933 symbolisch die Hand reichten, wie- wohl die Begeisterung der Parteioberen Kräfte der Öffentlichkeit sowie Künstle- Grundstück Ecke Linien-/Weydingerstra- tung: Michael Sommer deraufgebaut wird, ein antifaschistischer bereits merklich gedämpft war. Das war rinnen und Künstler über eine Ausschrei- ße aufgestellt werden. Verehrung ohne Verklärung Die Rosa-Luxemburg-Statue von Rolf Biebl ist ein hervorragendes Beispiel für realistische Denkmalplastik. Von Peter H. Feist

Der Kunsthistoriker Prof. er öffentlich an eine hi- tue wird nicht auf einem Sockel erhöht fühlige Beobachterin der Natur wieder- Umso heftiger ist der Ausdruck des Ge- Dr. Peter H. Feist leitete storische Persönlichkeit wie traditionelle Denkmäler, sondern erkennen, von der ihre Briefe zeugen. wandes, des langen Kleides oder Mantels von 1982 bis zu seiner erinnern will, nimmt an mitten unter die Menschen gestellt, auf Entschlossenheit und Empfindlichkeit über dem frontal dargestellten, entschlos- Emeritierung 1990 das einem Streit teil. Ganz Augenhöhe mit ihren Betrachtern und verschmelzen miteinander. sen vorwärtsgehenden, vorwärtsdrängen- Institut für Ästhetik und W besonders, wenn es sich um Rosa Lu- Betrachterinnen, wie das Auguste Ro- Biebl hat für sich eine Form von den Körper mit den festen Schultern. Zu Kunstwissenschaften xemburg handelt. Wer ihr ein plasti- din vor einem Jahrhundert erstmals vor- Realismus ausgebildet, die genaueste, den Gewandfalten gesellen sich Fehlstel- der Akademie der Wis- sches Gedenkbild schafft, streitet sich schlug. manchmal schonungslos kalte Wieder- len des Bronzegusses als Metaphern für senschaften der DDR. nach verschiedenen Seiten. Politisch Das scharf geschnittene Antlitz, gabe von sichtbarer Realität im Detail Verletzungen, für die tödliche Gewalt, Seitdem ist er weiterhin mit denen, die keine Ehrung der »roten Werk eines sicheren Porträtisten, muß mit einer den Ausdruck steigernden, die die Rosa angetan wurde. Um die Füße publizistisch tätig und ak- Rosa« wollen, sondern auch heute das den Erwartungen hinsichtlich Ähnlich- Aussage zuspitzenden Verzerrung der Er- bricht ein wahres Faltengewitter los, wie tives Mitglied der Leibniz- Weiterwirken ihrer Ideen und Taten be- keit entsprechen, die sich durch überlie- scheinung vereint. Vor allem wählt er eine es Biebl an spätgotischen Skulpturen stu- Sozietät der Wissenschaf- kämpfen. Künstlerisch mit denen, die ferte Fotografien von Rosa Luxemburg extreme Überlängung und Ausmagerung dieren konnte. Es suggeriert ebenso ein ten zu Berlin e.V. eine porträthafte Statue für altmodisch gebildet haben, aber auch eine neue der Körper und Glieder. Das ergibt mei- mutiges »Vorwärts!« im geschichtlichen halten und deshalb zugunsten anderer Sicht vortragen, um nicht zu langwei- stens Figuren, vor denen wir erschrec- Sturmwind, wie es den Schritt zu fesseln Möglichkeiten ablehnen. len. Die Dargestellte erscheint älter als ken. Da sein Bild von Rosa Luxemburg scheint. Der Bildhauer Rolf Biebl (geb. 1951), in den üblichen Porträts. Der unbeug- jedoch die Zuneigung der Betrachtenden Diese Figur drängt uns mit ihren inne- der in Berlin und Budapest studierte und sam erhobene Kopf und der Blick ge- finden soll, wird die Proportionsverän- ren Spannungen ein eigenes Nachdenken, mit gleicher Intensität auch malt, hat den radeaus in die Weite erinnern an die derung auf ein menschliches Maß zu- eine eigene Position zu Rosa Luxemburg Streit aufgenommen. Er modellierte vor Denkerin, Rednerin und Kämpferin. rückgenommen. Eine der hageren Hände auf. Sie verehrt, ohne zu verklären. Sie einem Jahrzehnt eine Figur, die selbst Ein Anflug von Lächeln läßt uns aber tastet feinfühlig, die andere ballt sich fast ist damit ein hervorragendes Beispiel für streitbar ist. Die lebensgroße Gewandsta- ebenso die liebende Frau und die fein- schüchtern zur Faust. heutige realistische Denkmalplastik. junge Welt Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279 ein denkmal für rosa 3 Was bleibt? Eine kleine Chronik zum Rosa-Luxemburg-Denkmal in Berlin

1995, Ende Januar: Auf dem 4. Bun- 1997, 14. Juni: Die Berliner PDS-Vorsit- desparteitag der PDS in Berlin regt die zende Petra Pau berichtet dem Landes- Bildhauerin und Parteitagsdelegierte In- parteitag über den Aktionsmonat, und geborg Hunzinger im Rahmen einer De- Rolf Biebl erläutert die künstlerischen batte über die Geschichtsarbeit der Partei Ideen zum Denkmal. an, ein Denkmal für Rosa Luxemburg 1997, 30. September: Übergabe der in Berlin zu errichten. In einer Zeit von Vorlage für den Bundesvorstand mit ei- Straßenumbenennungen und Denkmal­ nem Beschlußvorschlag für einen Aufruf abrissen wäre dies ein Zeichen für kom- an die gesamte Partei (auf der Grundlage mende Generationen. Der Vorschlag wird eines Papiers von Prof. Annelies Laschit- mit großem Beifall aufgenommen. Erste za, was es heute heiße, Rosa Luxemburg Spenden fallen in ein Glas mit der Auf- zu ehren – siehe S. 4) sowie der Informa- schrift »Was bleibt? ... ein Denkmal für tion über die ersten 11 000 DM, die für Rosa Luxemburg«, das durch die Reihen das Denkmal in Berlin gesammelt wur- der Delegierten gereicht wird; die Samm- den. Dazu gehört ein Entwurf für einen lung ergibt einen Betrag von 384,70 DM, Arbeitsauftrag an Hunzinger/Biebl. einem Quarterdollar, fünf ungarischen 1997, 24. Oktober: Edda Seifert, Mit- Forint und einer tschechischen Krone. glied im PDS-Bundesvorstand, informiert Das ist der Beginn der Initiative. die Ständige Kulturpolitische Konferenz 1995, 25. April: Der PDS-Bundesvor- ihrer Partei über das Denkmalvorhaben stand kommt zu einer Sitzung im Atelier und schlägt eine Expertenanhörung vor. von Ingeborg Hunzinger zusammen. Es 1997, 28. November: »Anhörung« in wird über das Rosa-Luxemburg-Denk- der Ständigen Kulturpolitischen Konfe- mal diskutiert. An das Antieiszeitkomi- renz zum Anliegen eines Rosa-Luxem- tee ergeht der Auftrag, Varianten zu sei- burg-Denkmals, wo Thomas Flierl seine ner Realisierung zu prüfen. Bedenken vorträgt (siehe jW-Interview 1995, 22. Juli: In einem Interview mit rechts). dem Neuen Deutschland aus Anlaß ihres 1998, 11. Januar: Mit der Sammlung 80. Geburtstags spricht Ingeborg Hun- während der Berliner Demonstration für zinger auch über ihr Engagement für das Rosa und Karl sind bisher fast 13 000 DM Denkmal. für das Denkmal gespendet worden. 1995, 25. September: Das Antieiszeit- 1998, 27. Januar: Edda Seifert legt der komitee diskutiert mit den Künstlern Kulturpolitischen Konferenz ihren Be- Sonja Eschefeld und Siegfried Krepp so- schlußvorschlag für den Bundesvorstand wie mit Thomas Flierl, kulturpolitischer zur Ablehnung des Arbeitsauftrages für Sprecher der Berliner PDS und Mitglied Ingeborg Hunzinger und Rolf Biebl zum im Abgeordnetenhaus, verschiedene Va- Denkmal vor. Klaus Höpcke macht ei- rianten: Wettbewerb oder nicht; Standort nen Gegenvorschlag: Die Skulptur soll auf dem Rosa-Luxemburg-Platz; auf der aufgestellt und anschließend ein Kunst- Volksbühnen-Treppe; im spitzen Winkel wettbewerb über weitere Arbeiten zu gegenüber dem Karl-Liebknecht-Haus; Rosa Luxemburg im öffentlichen Raum an der Fassade des Karl-Liebknecht-Hau- ausgeschrieben werden. Eine Trendab- ses. Das Gremium entscheidet sich gegen stimmung ergibt zwei Stimmen für Edda einen kostenintensiven und im Ergebnis Seiferts, sechs für Klaus Höpckes Votum offenen Wettbewerb. Anschließend sucht und zwei Enthaltungen. Ingeborg Hunzinger unter ihren Kolle- 1998, 9. Februar: Der Parteivorstand ginnen und Kollegen und findet schließ- beschließt (mit acht Stimmen dafür, sechs lich Rolf Biebl. Der erklärt sich bereit, in dagegen und zwei Enthaltungen) nach Kooperation mit ihr selbst an dem Denk- langer und mit vielen Gästen kontrovers mal zu arbeiten. geführter Diskussion den Vorschlag von 1996, September: Der Kabarettist und Klaus Höpcke. Autor Dr. Seltsam (Wolfgang Kröske) 1998, 23. Februar: Der Parteivorstand schlägt vor, die Finanzierung des Denk- diskutiert Konsequenzen aus dem Be- mals durch den Verkauf von Anteils- schluß vom 9. Februar und legt Termine scheinen zu ermöglichen. und Verantwortlichkeiten fest. Es wird 1997, 30. Januar: Der Landesparteitag beschlossen, zur Realisierung des Ent- Berlin der PDS beschließt einen Aufruf wurfs von Ingeborg Hunzinger und Rolf zur Unterstützung des Verkaufs von An- Biebl die bautechnischen Voraussetzun- teilsscheinen für das Denkmal am Karl- gen zu prüfen, aktiv Spenden zu werben, Liebknecht-Haus. mit Hunzinger/Biebl einen Vertrag abzu- 1997, März: Gespräch der Mitglieder schließen, eine weitere Ehrung im öffent- des Antieiszeitkomitees Helga Elias und lichen Raum zu sondieren und eine In- Dieter Klein mit den PDS-Politikern Ed- formationsbroschüre zur Geschichte des da Seifert, Dietmar Bartsch und Thomas Karl-Liebknecht-Hauses herauszugeben. Flierl über das weitere Verfahren und die 1998, 7. März: Der Parteirat befaßt sich Finanzierung des Denkmals durch An- mit der Denkmal-Aufgabe und beschließt teilsscheine und Spenden. einen Aufruf an alle Mitglieder, sich mit 1997, 9. April: Brief des Pressesprechers Rosa Luxemburgs Werk zu beschäftigen des Berliner PDS-Landesverbandes an und sich an der Finanzierung zu beteili- die Zeitungsredaktionen in der Haupt- gen. stadt zur Unterstützung des Aktionsmo- 1998, 1. Juni: Das Antieiszeitkomitee nats im Mai des Jahres. teilt dem Schatzmeister der PDS, Uwe 1997, 30. Mai: Diskussion über erste Hobler, mit, es seien nun knapp 15 000 Ideen und Modellvorstellungen mit in- DM für das Denkmal gesammelt, bietet teressierten Fachleuten und engagiertem an, über Fragen zum Vertragsentwurf zu Stand beim Verkauf von Anteilsscheinen 1998, Herbst: Hunzinger und Biebl ver- Publikum. sprechen und lädt ihn zu seiner Bera- (fast 16 000 DM) und bittet den Vorstand vollkommnen ihre Entwürfe für den Ein- 1997, 1. Mai: Eröffnung einer Ausstel- tung am 8. Juni ein, um den Vertrag nun um eine kurze schriftliche Mitteilung gangsbereich des Karl-Liebknecht-Hau- lung über Rosa Luxemburg durch Lothar abzuschließen – falls das bis dahin nicht zur Bilanz des im Februar Beschlossenen ses. Der Vorstand meldet sich nicht. Rolf Bisky, der unter großem Beifall der über schon geschehen sein sollte. Bei einer te- und seiner Aktivitäten. Biebl vollendet seine Arbeit an der Skulp- 100 Beteiligten das Denkmal als eine lefonischen Nachfrage stellt sich heraus, 1998, 25. Juni: Ingeborg Hunzinger und tur. Der Bronzeguß wird aller Voraussicht »Bringeschuld« der PDS bezeichnet. daß Hobler den Termin aus Zeitgründen Rolf Biebl erhalten mit einem Brief von nach Anfang Januar fertiggestellt sein. 1997, Mai: Aktionsmonat nicht wahrnehmen wird. Weitere telefo- Edda Seifert die Mitteilung, daß sich 1998, 12. November: Die Bezirksver- 1997, ab Juni: Verteilung eines gemein- nische Kontaktaufnahmeversuche blei- am 15. Juni eine Initiative für ein Lu- ordnetenversammlung Mitte von Berlin samen Briefes des Landesvorstands Ber- ben erfolglos. xemburg-Denkmal im öffentlichen Raum beschließt: »Die Erinnerung an Rosa Lu- lin der PDS und des Antieiszeitkomitees 1998, 21. Juni: Das Antieiszeitkomitee konstituiert habe. Nach der Sommerpau- xemburg soll in Berlin mit einem Zeichen an die Basisorganisationen der Partei mit wendet sich in einem Brief an den Par- se werde der Vorstand dazu beraten und der Bitte, Anteilsscheine zu erwerben. teivorstand, informiert über den neuen sie einladen. Fortsetzung auf Seite vier O 4 ein denkmal für rosa Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279 junge Welt

O Fortsetzung von Seite drei

Berlin, 9. Januar 1999: Ein- auf dem Rosa-Luxemburg-Platz verstärkt weihung der Rosa-Luxem- werden.« Dazu soll es einen von der Se- burg-Skulptur im Eingang natsverwaltung zu finanzierenden künst- des Karl-Liebknecht- lerischen Wettbewerb im Rahmen eines Hauses (v. l. n. r.: Rolf Biebl, öffentlichen, überparteilichen und demo- Ingeborg Hunzinger und kratischen Verfahrens geben. außen Klaus Höpcke) 1999, 9. Januar: Nach den vergeblichen Versuchen, den aktuellen Stand der Rea- lisierung des in Verantwortung des PDS- Vorstandes liegenden Teils der Beschlüsse zu erfahren, entschließen sich Ingeborg Hunzinger, Rolf Biebl und das Antieis- zeitkomitee, aus Anlaß des 80. Jahresta- ges der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zunächst die bereits fertige Skulptur im Eingangsbereich des Karl-Liebknecht-Hauses aufzustellen. 1999, 10. Januar: Der Baustadtrat von Berlin-Mitte, Thomas Flierl, kritisiert in einer Presseerklärung die Aufstellung der Skulptur als Hindernis für den Wett- bewerb. 1999, 11. Januar: Der Parteivorstand be- schließt ohne Rücksprache mit Ingeborg Die Chronologie basiert Hunzinger, Rolf Biebl oder dem Antieis- senft in weiten Teilen auf einer zeitkomitee »im Zuge des Wettbewerbs- Dokumentation des Anti- verfahrens für ein Gedenkzeichen für eiszeitkomitees, einer Ar- Rosa Luxemburg auf dem Rosa-Luxem- gabriele beitsgemeinschaft bei der burg-Platz eine Umsetzung der Plastik Anträge auf der 2. Tagung des Parteitags Skulptur vom PDS-Vorstand gegeben den Entwurf von Hans Haacke (»Denk- Partei Die Linke, erschie- von Rolf Biebl und der geplanten Relief- zu behandeln, bis dahin eine Klärung zu worden, wie selbiger mitteilt. Dort steht zeichen«, ins Straßenpflaster eingelassene nen im Februar 1999 tafeln von Ingeborg Hunzinger auf dem versuchen, aber keinesfalls die Figur zu sie heute noch. Luxemburg-Zitate) umzusetzen. Grundstück des Karl-Liebknecht-Hauses entfernen. Dazu kommt es jedoch nicht 2003: Das Land Berlin, vertreten durch 2006, 14. September: Haackes »Denk- vorzunehmen«. »Umsetzung« meint in mehr: Die Skulptur wird noch im Früh- die Senatsverwaltung für Wissenschaft, zeichen« am Rosa-Luxemburg-Platz diesem Fall nicht – wie bei sonst bei jahr abgebaut. Forschung und Kultur schreibt einen Wett- werden eingeweiht. Die Kosten belaufen Kunstwerken üblich – »Realisierung/Ver- 1999, 19. Oktober: Das Denkmal wird bewerb aus, an dem sich 22 Künstlerinnen sich auf 410 000 Euro. Im Oktoberheft wirklichung«, sondern »Wegräumen«. zusammen mit den Reliefs von Ingeborg und Künstler beteiligen. Eine Jury, der u. der Zeitschrift Disput bilanziert Dr. Tho- 1999, 16./17. Januar: Mit zwei Initia- Hunzinger am Portal des ND-Gebäu- a. Frank Castorf, Dorothee Dubrau und mas Flierl: »Kaum zu glauben, welche tivanträgen wird auf der 1. Tagung des des am Franz-Mehring-Platz im Bezirk Adrienne Goehler angehören, soll über Kontroverse die Absicht des rot-roten 6. Parteitags der PDS in Berlin gefordert, aufgestellt, in welchem die eingereichten Vorschläge befinden. Senats ausgelöst hatte, im öffentlichen daß die Skulptur an ihrem Platz bleibt. die parteinahe Rosa-Luxemburg-Stiftung 2005, Januar: Die Jury unter Vorsitz Stadtraum an Rosa Luxemburg zu erin- Aus Zeitgründen wird beschlossen, die ihren Sitz hat. In deren Obhut sei die von Prof. Dr. Hans-Ernst Mittig empfiehlt, nern.«

Dokumentiert . A p p e l l v o n A n n e l i e s La s c h i t z a a u s d e m Ja h r 1997

Prof. Dr. Annelies Laschit- osa Luxemburg ein Denkmal zu Opportunismus, Reformismus und Ter- politisches Bekennertum, doktrinärer alle Bereiche der Gesellschaftsanalyse, za ist Historikerin, Lu- setzen heißt, rorismus zu ehren, eine Kämpferin, die und selbstherrlicher Umgang und Miß- Politik und Kultur in sich birgt und ihn xemburg-Forscherin und R– an eine kluge, selbstbewußte, in prinzipientreuer Opposition und im achtung des kritischen und streitbaren zu nutzen für die Bewältigung diffiziler Autorin der Biographie weltoffene, sensible, kritische und krea- Bewußtsein der Dialektik von Reform Geistes von Rosa Luxemburg zu Ver- Geschichts- und Gegenwartsfragen des »Im Lebensrausch, trotz tive Frau zu erinnern, deren Tun und und Revolution für eine sozialistische zerrungen in der Auseinandersetzung Verhältnisses zur SPD, zur KPD, SED, alledem«, Aufbau-Verlag, Denken der Aufklärung und Aufrütte- Gesellschaft einstand; mit ihrem Verständnis von Demokratie, DKP und anderen Parteien und Organi- Berlin 1996 lung der Menschen galt, auf daß sie sich – sich mit den Widersprüchen und Il- Sozialismus und Internationalismus und sationen der Arbeiterbewegung; für eine demokratische, friedliche und lusionen in ihrem Denken und Fühlen zur Verkümmerung des konkreten Wis- – ein wahrheitsgemäßes und lebendiges sozialistische Gesellschaftsordnung ein- vertraut zu machen, zu versuchen, sie sens über ihre faszinierende Individuali- Bild von Rosa Luxemburg zu vermitteln setzen, in der Freiheit, Menschlichkeit, aus ihrer Zeit und ihrer ganzen Persön- tät, ihren Gefühlsreichtum und geistigen und respektvolles Gehör und kritisches soziale Gerechtigkeit, internationale So- lichkeit heraus zu verstehen; Universalismus führen; Verständnis für Andersdenkende zu lidarität und Frieden gesichert sind; – nicht zu vergessen, daß stalinistische – sich in der Überwindung der Fehler pflegen; – einer Sozialistin und Revolutionärin zu Machenschaften und Verbrechen auch und Verbrechen im Umgang mit Rosa – schließlich und nicht zuletzt, den gedenken, die fast 20 Jahre in Berlin als zu einem verzerrten Verhältnis zu Rosa Luxemburg zu einer anspruchsvollen bestialischen Meuchelmord an Rosa Journalistin, Wissenschaftlerin und Leh- Luxemburg führten, daß der bornierte Erbepflege zu verpflichten, ihre Persön- Luxemburg und Karl Liebknecht am rerin in der deutschen Sozialdemokratie Umgang mit ihren Theorien zu Verleum- lichkeit umfassend zu würdigen, Leben 15. Januar 1919 in Berlin anzuprangern, tätig war, den Spartakusbund und die dung und Verfolgung ihrer Anhänger und Werk bekannt zu machen; durch den die sozialistische Bewegung KPD mitbegründete; führte, zu Parteiausschlüssen, Deporta­ – nicht den Gewinn zu verschenken, und die menschliche Gesellschaft des – eine entschiedene Gegnerin von Impe- tion und Tod; den die intensive und anregende Aus- 20. Jahrhunderts hervorragende Persön- rialismus, Militarismus, Nationalismus, – sich bewußt zu sein, daß formales einandersetzung mit ihrem Werk für lichkeiten verloren hat. ANZEIGE junge Welt Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279 ein denkmal für rosa 5 Erinnerungen an Rosa Von Käte Duncker

ann habe ich eigentlich Die Dinge gingen zunächst ihren anti- Erschienen im Neuen den Namen Rosa Lu- revolutionären Gang weiter. Noske, der Deutschland am 15. Januar xemburg zuerst gehört? damalige Kriegsminister, hatte Trup- 1949 zum 30. Todestag von WEs war 1898, als ich an pen nach Berlin gezogen, die keinerlei Rosa Luxemburg den Übungen des Volkswirtschaftlichen Kriegserfahrungen besaßen und durch Seminars der Universität Leipzig teil- verlogene Propaganda gegen die Arbei- Käte Duncker (23.5.1871 – nahm. Der Leiter, Prof. Karl Bücher, be- terschaft fanatisiert worden waren. Am 2.5.1953) engagierte sich sprach nationalökonomische Arbeiten. 11. Januar hatte ich den Auftrag, Karl stark in der revolutionä- »Als wichtigste unter den neuen Druck- Liebknecht und Rosa Luxemburg auf- ren Frauenbewegung. Sie schriften liegt hier die Züricher Doktor- zusuchen und ihnen die Verhaftung der gehörte zu den Begrün- arbeit einer Frau, Rosa Luxemburg, über linken Genossen Ledebour und Ernst dern des Spartakusbundes ›Die industrielle Entwicklung Polens‹, Meier zu berichten. Karl und Rosa wa- und der KPD. die auf einem sehr hohen wissenschaft- ren durch die Verfolgungen gezwungen lichen Niveau steht.« worden, sich bei Genossen am Blücher- Im Jahre 1903 habe ich Rosa Luxem- platz zu verbergen. Auf meiner Fahrt burg in Leipzig zum erstenmal öffent- von Steglitz aus sah ich am Rand der lich sprechen hören. Eine kleine, zarte Schloßstraße lange Reihen von jungen, Gestalt, duch ein Hüftleiden im Gehen nagelneu uniformierten Soldaten mit behindert, mit schönem Kopf, ausdrucks- aufgepflanzten Bajonetten stehen. Eine vollen Gesichtszügen und leuchtenden Frau in der Straßenbahn sagte laut: »Da Augen. Sie war eine hinreißende Redne- sollten sie doch auf jedes Bajonett so ei- rin, nicht durch Pathos und Schlagworte, nen Spartakisten spießen!« – »Und Sie sondern durch die Klarheit, mit der sie als Frau schämen sich nicht, so ewas zu die politischen Zusammenhänge aufzeig- sagen?« erwiderte ich, mit dem Erfolg, te. Sie sprach frei, witzig, in feingeschlif- daß fast alle Insassen des Wagens gegen fenen Sätzen. Sie stand damals mit Franz mich Partei ergriffen. Man packte mich Mehring zusammen an der Spitze der und wollte mich aus der Bahn werfen. Leipziger Volkszeitung. Unter dieser Füh- Nur dem Dazwischentreten eines al- rung wurde das Blatt richtunggebend für ten Herrn dankte ich es, daß ich noch den linken Flügel der SPD. bis zur nächsten Haltestelle mitfahren Persönlich näher kam ich Rosa Lu- durfte. xemburg 1911 auf dem Parteitag in Je- So war damals die Stimmung der Ber- na. Es handelte sich um den Kampf der liner Bevölkerung gegen die revolutionä- Stuttgarter Genossen um ihr Parteiblatt, re Arbeiterschaft aufgeputscht. Als ich Die Schwäbische Tagwacht, das der Karl und Rosa meinen Bericht erstattet württembergische Parteivorstand ihnen und ihnen auch von der Pogromstim- durch einen Diktaturstreich entrissen hat- mung draußen erzählt hatte, setzte ich te. Der Redakteur Friz Weistmeier sollte hinzu: »Ihr könnt hier nicht bleiben, Ge- jetzt die Angelegenheit vor dem Partei- nossen! Ihr müßt in einen Arbeitervorort, tag vertreten. Da wurde ihm durch Ma- besser noch aus Berlin heraus! Aber ihr chenschaften der Rechten sein Mandat müßt euch verkleiden, sonst kommt ihr in letzter Stunde aberkannt. So fiel die nicht lebendig hier fort.« – »Nun ja«, Aufgabe mir als der zweiten Stuttgarter erwiderte Rosa mit ihrem trockenen Hu- Delegierten zu. mor. »Ich ziehe Ihre Kleider an, Karl, Ich wandte mich an die Genossin Lu- und Sie die meinen. Aber hast du nicht xemburg. Bei dieser Besprechung habe etwas zu essen bei dir, Käte? Wir sind ich ihre Klugheit und ihren Takt so recht schrecklich ausgehungert, seit Tagen iso- kennengelernt. Sachlich war sie mit mei- liert und ohne Lebensmittelkarten.« Ich nen Ausführungen einverstanden. Aber war glücklich, ihnen ein Stullenpaket ge- über das »Wie«, über die Methode der ben zu können, das ich mitgebracht hatte. richter

rednerischen Beeinflussung erhielt ich j . Als ich die Hungernden verließ, las ich Die vollende Skulptur einen Anschauungsunterricht, der mir an den Anschlagsäulen in Riesenbuchsta- (Gips) im Atelier des

unvergeßlich bleibt. Dabei verstand sie thomas ben: »Wo hat Liebknecht seine Millionen Künstlers es, ihre Ratschläge so einzukleiden, daß zur »Arbeitsverweigerung« im Kriegsfall liner Arbeiterbewegung und zum Mord her?« sie mir gar nicht als »Ratschläge« zum aufgefordert. an unseren Freunden führten. Am 13. Januar brachte das Blatt der Bewußtsein kamen, sondern als natür- Im Januar 1916 war Rosa Luxemburgs Ich war sehr niedergeschlagen über die Regierungssozialisten den Vers: liches Ergebnis unserer Unterhaltung. Haft abgelaufen, und eine große Anzahl Auswirkungen, zu denen die Spaltung Das erklärte mir das Rätsel ihres großen von Berliner Genossinnen nahmen sie der Arbeiterschaft geführt hatte. Rosa Viel hundert Tote in einer Reih – Einflusses auf die Genossen der Linken, am Gefängnistor in Empfang. Luxemburg war auch erschüttert über den Proletarier! so auf Clara Zetkin und später auf Karl Wiederum sollte sie nicht lange un- Gang der Ereignisse, aber sie verstand es Karl, Rosa, Radek und Kumpanei – Liebknecht. Es kam ihr nie darauf an, ter den Genossen arbeiten. Im Juli 1916 doch, meine Depression zu bekämpfen, Es ist keiner dabei, es ist keiner dabei! für ihre eigene Person »recht« zu be- wurde sie in Schutzhaft genommen, weil indem sie die Dinge in ihrem histori- Proletarier! halten, sondern die Gespräche mit den die Militärbehörden mit Recht in ihr die schen Zusammenhang aufwies und ih- Parteifreunden so zu lenken, daß sie ge- stärkste Kraft der revolutionären Anti- rem unerschütterlichen Glauben an den Am 15. Januar wurden Rosa und Karl von wissermaßen von selbst zu den richtigen kriegsbewegung erkannten. Insgeheim Sieg des Proletariats Ausdruck gab. der aufgehetzten Soldateska ermordet. Schlüssen gelangten. Ihr klarer Verstand, freilich arbeitete sie weiter und blieb die ihr großes Wissen, zusammen mit dieser geistige Leiterin des mit dem Namen taktvollen Unaufdringlichkeit der eige- »Spartakusbund« gekennzeichneten lin- nen Person in ihren Diskussionen mit kesten Flügels der sozialistischen Oppo- den Parteifreunden machte sie zur wah- sition. Erst nach dem 9. November 1918 ren Führerin des linken Flügels. sah sie die deutsche Freiheit wieder – auf Der 4. August 1914 brachte uns beide kurze zwei Monate. persönlich noch näher. Es handelte sich Am 5. Januar 1919 war ich bei Rosa Lu- darum, den durch die Kriegskreditbewil- xemburg draußen in Südende. Es war an ligung verwirrten Genossen des Berli- dem verhängnisvollen Sonntag, an dem ner Funktionärskörpers die revolutionäre während einer Demonstration der revo- Stellung zum imperialistischen Krieg lutionären Arbeiter gegen die Entlassung klarzumachen. des von ihnen gewählten Polizeipräsi- Leider blieb uns Rosa für diese Arbeit denten Emil Eichhorn sich ein Lockspit- nicht lange erhalten. Im Februar 1915 zel an die Spitze des Zuges stellte und zwang man sie, eine einjährige Gefäng- die Parole ausgab: »Und nun nach dem nisstrafe anzutreten, die man ihr kurz vor Vorwärts-Gebäude!« Mit der völlig sinn- Kriegsbeginn wegen antimilitaristischer losen Besetzung des Vorwärts-Gebäudes Propaganda zudiktiert hatte. Rosa hatte war den reaktionären Mächten das Lo- jahrelang die zahllosen Fälle von Solda- sungswort gegeben zu den blutigen Janu- tenmißhandlungen gesammelt und in öf- arkämpfen gegen Spartakus, die dann zur fentlichen Reden die deutschen Solaten Niederschlagung der revolutionären Ber- 6 ein denkmal für rosa Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279 junge Welt

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Dieses von Rosa Luxem- m 9. November haben Arbei- burg verfaßte Programm ter und Soldaten das alte Re- Was will der des Spartakusbundes gime in Deutschland zertrüm- wurde mit unwesentli- mert. Auf den Schlachtfeldern chen Änderungen vom A Frankreichs war der blutige Wahn von der Gründungsparteitag der Weltherrschaft des preußischen Säbels KPD (30.12.1918–1.1.1919) zerronnen. Die Verbrecherbande, die den als Parteiprogramm be- Weltbrand entzündet und Deutschland in Spartakusbund? schlossen. das Blutmeer hineingetrieben hat, war am Ende ihres Lateins angelangt. Das vier Von Rosa Luxemburg Jahre lang betrogene Volk, das im Dien- ste des Molochs Kulturpflicht, Ehrgefühl und Menschlichkeit vergessen hatte, das sich zu jeder Schandtat mißbrauchen ließ, erwachte aus der vierjährigen Erstarrung – vor dem Abgrund. Am 9. November erhob sich das deut- sche Proletariat, um das schmachvolle Joch abzuwerfen. Die Hohenzollern wur- den verjagt, Arbeiter- und Soldatenräte gewählt. Aber die Hohenzollern waren nie mehr als Geschäftsträger der imperialistischen Bourgeoisie und des Junkertums. Die bürgerliche Klassenherrschaft, das ist der wahre Schuldige des Weltkrieges – in Deutschland wie in Frankreich, in Ruß- land wie in England, in Europa wie in Amerika. Die Kapitalisten aller Länder, das sind die wahren Anstifter zum Völker- mord. Das internationale Kapital – das ist »Die Verwirklichung der der unersättliche Baal, dem Millionen auf sozialistischen Gesell- Millionen dampfender Menschenopfer in schaftsordnung ist die den blutigen Rachen geworfen werden. gewaltigste Aufgabe, die Der Weltkrieg hat die Gesellschaft vor je einer Klasse und einer die Alternative gestellt: entweder Fort- Revolution der Weltge- dauer des Kapitalismus, neue Kriege und schichte zugefallen ist. baldigster Untergang im Chaos und in der Diese Aufgabe erfordert Anarchie oder Abschaffung der kapitali- einen vollständigen Um- stischen Ausbeutung. bau des Staates und eine Mit dem Ausgang des Weltkrieges hat vollständige Umwälzung die bürgerliche Klassenherrschaft ihr Da- in den wirtschaftlichen seinsrecht verwirkt. Sie ist nicht mehr im- und sozialen Grundlagen stande, die Gesellschaft aus dem furcht- der Gesellschaft.« baren wirtschaftlichen Zusammenbruch herauszuführen, den die imperialistische Orgie hinterlassen hat. Produktionsmittel sind in ungeheurem Maßstab vernichtet. Millionen Arbeits- kräfte, der beste und tüchtigste Stamm der Arbeiterklasse hingeschlachtet. Der am Leben Gebliebenen harrt bei der Heim- kehr das grinsende Elend der Arbeits- losigkeit. Hungersnot und Krankheiten drohen, die Volkskraft an der Wurzel zu vernichten. Der finanzielle Staatsbankrott infolge der ungeheuren Last der Kriegs- schulden ist unabwendbar. Aus all dieser blutigen Wirrsal und diesem gähnenden Abgrund gibt es kei- ne Hilfe, keinen Ausweg, keine Rettung als im Sozialismus. Nur die Weltrevolu­ tion des Proletariats kann in dieses Chaos Ordnung bringen, kann allen Arbeit und Brot verschaffen, kann der gegenseitigen Zerfleischung der Völker ein Ende ma- chen, kann der geschundenen Menschheit Frieden, Freiheit, wahre Kultur bringen. Nieder mit dem Lohnsystem! Das ist die Losung der Stunde. An Stelle der Lohn- arbeit und der Klassenherrschaft soll die genossenschaftliche Arbeit treten. Die Arbeitsmittel müssen aufhören, das Mo- nopol einer Klasse zu sein, sie müssen Gemeingut aller werden. Keine Ausbeu- ter und Ausgebeutete mehr! Regelung der Produktion und Verteilung der Produkte im Interesse der Allgemeinheit. Abschaf- fung wie der heutigen Produktionsweise, die Ausbeutung und Raub, so des heuti- Der Abguß von 1999 an gen Handels, der nur Betrug ist. seinem heutigen Standort An Stelle der Arbeitgeber und ihrer vor dem ND-Gebäude in Lohnsklaven freie Arbeitsgenossen! Die huth Berlin-Friedrichshain Arbeit niemandes Qual, weil jedermanns Pflicht! Ein menschenwürdiges Dasein stefan jedem, der seine Pflicht gegen die Ge- Menschenmord geschändet. Erst dann Kommunistischen Manifests: Sozialis- Revolution der Weltgeschichte zugefallen sellschaft erfüllt. Der Hunger hinfür nicht wird es heißen: Dieser Krieg ist der letzte mus oder Untergang in der Barbarei! ist. Diese Aufgabe erfordert einen voll- mehr der Arbeit Fluch, sondern des Mü- gewesen. ständigen Umbau des Staates und eine ßiggängers Strafe! Sozialismus ist in dieser Stunde der II vollständige Umwälzung in den wirt- Erst in einer solchen Gesellschaft sind einzige Rettungsanker der Menschheit. schaftlichen und sozialen Grundlagen der Völkerhaß, Knechtschaft entwurzelt. Erst Über den zusammensinkenden Mauern Die Verwirklichung der sozialistischen Gesellschaft. wenn eine solche Gesellschaft verwirk- der kapitalistischen Gesellschaft lodern Gesellschaftsordnung ist die gewaltigste Dieser Umbau und diese Umwälzung licht ist, wird die Erde nicht mehr durch wie ein feuriges Menetekel die Worte des Aufgabe, die je einer Klasse und einer können nicht durch irgendeine Behörde, junge Welt Sonnabend/Sonntag, 29./30. November 2008, Nr. 279 ein denkmal für rosa 7

Kommission oder ein Parlament dekre- tums ist. Sie müssen Fleiß ohne Unter- schen Kavaliere wie die amerikanischen tiert, sie können nur von der Volksmasse nehmerpeitsche, höchste Leistung ohne Sklavenhändler, die walachischen Bojaren selbst in Angriff genommen und durchge- kapitalistische Antreiber, Disziplin ohne wie die Lyoner Seidenfabrikanten – sie führt werden. Joch und Ordnung ohne Herrschaft entfal- haben alle Ströme von Blut vergossen, sie In allen bisherigen Revolutionen war ten. Höchster Idealismus im Interesse der sind über Leichen, Mord und Brand ge- es eine kleine Minderheit des Volkes, die Allgemeinheit, straffste Selbstdisziplin, schritten, sie haben Bürgerkrieg und Lan- den revolutionären Kampf leitete, die ihm wahrer Bürgersinn der Massen sind für die desverrat angestiftet, um ihre Vorrechte Ziel und Richtung gab und die Masse nur sozialistische Gesellschaft die moralische und ihre Macht zu verteidigen. als Werkzeug benutzte, um ihre eigenen Grundlage, wie Stumpfsinn, Egoismus Die imperialistische Kapitalistenklasse Interessen, die Interessen der Minderheit, und Korruption die moralische Grundlage überbietet als letzter Sproß der Ausbeu- zum Siege zu führen. Die sozialistische der kapitalistischen Gesellschaft sind. terklasse die Brutalität, den unverhüllten Revolution ist die erste, die im Interesse Alle diese sozialistischen Bürgertu- Zynismus, die Niedertracht aller ihrer Vor- der großen Mehrheit und durch die große genden zusammen mit Kenntnissen und gänger. Sie wird ihr Allerheiligstes, ihren Mehrheit der Arbeitenden allein zum Sie- Befähigungen zur Leitung der sozialisti- Profit und ihr Vorrecht der Ausbeutung, ge gelangen kann. schen Betriebe kann die Arbeitermasse mit Zähnen und mit Nägeln, mit jenen Die Masse des Proletariats ist berufen, nur durch eigene Betätigung, eigene Er- Methoden der kalten Bosheit verteidigen, nicht bloß der Revolution in klarer Er- fahrung erwerben. die sie in der ganzen Geschichte der Kolo- kenntnis Ziele und Richtung zu stecken. Sozialisierung der Gesellschaft kann nialpolitik und in dem letzten Weltkriege Sie muß auch selbst, durch eigene Aktivi- nur durch zähen, unermüdlichen Kampf an den Tag gelegt hat. Sie wird Himmel tät Schritt um Schritt den Sozialismus ins der Arbeitermasse in ihrer ganzen Breite und Hölle gegen das Proletariat in Be- Leben einführen. verwirklicht werden, auf allen Punkten, wegung setzen. Sie wird das Bauerntum Das Wesen der sozialistischen Gesell- wo Arbeit mit Kapital, wo Volk mit bür- gegen die Städte mobil machen, sie wird schaft besteht darin, daß die große arbei- gerlicher Klassenherrschaft einander ins rückständige Arbeiterschichten gegen die tende Masse aufhört, eine regierte Masse Weiße des Auges blicken. Die Befreiung sozialistische Avantgarde aufhetzen, sie zu sein, vielmehr das ganze politische und der Arbeiterklasse muß das Werk der Ar- wird mit Offizieren Metzeleien anstiften, wirtschaftliche Leben selbst lebt und in beiterklasse selbst sein. sie wird jede sozialistische Maßnahme bewußter freier Selbstbestimmung lenkt. durch tausend Mittel der passiven Resi- Von der obersten Spitze des Staates bis III stenz lahmzulegen suchen, sie wird der zur kleinsten Gemeinde muß deshalb die Revolution zwanzig Vendeen auf den Hals proletarische Masse die überkommenen In den bürgerlichen Revolutionen waren hetzen, sie wird den äußeren Feind, das Organe der bürgerlichen Klassenherr- Blutvergießen, Terror, politischer Mord Mordeisen der Clemenceau, Lloyd George schaft: die Bundesräte, Parlamente, Ge- die unentbehrliche Waffe in der Hand der und Wilson, als Retter ins Land rufen, sie meinderäte, durch eigene Klassenorgane: aufsteigenden Klassen. Die proletarische wird lieber das Land in einen rauchenden die Arbeiter- und Soldatenräte, ersetzen, Revolution bedarf für ihre Ziele keines Trümmerhaufen verwandeln, als freiwillig alle Posten besetzen, alle Funktionen über- Terrors, sie haßt und verabscheut den Men- die Lohnsklaverei preisgeben. wachen, alle staatlichen Bedürfnisse an schenmord. Sie bedarf dieser Kampfmittel All dieser Widerstand muß Schritt um dem eigenen Klasseninteresse und den so- nicht, weil sie nicht Individuen, sondern Schritt mit eiserner Faust, mit rücksichtslo- zialistischen Aufgaben messen. Und nur Institutionen bekämpft, weil sie nicht mit ser Energie gebrochen werden. Der Gewalt in ständiger, lebendiger Wechselwirkung naiven Illusionen in die Arena tritt, deren der bürgerlichen Gegenrevolution muß die zwischen den Volksmassen und ihren Or- Enttäuschung sie blutig zu rächen hätte. revolutionäre Gewalt des Proletariats ent- ganen, den A.- u. S.-Räten, kann ihre Tätig- Sie ist kein verzweifelter Versuch einer gegengestellt werden. Den Anschlägen, - archiv w keit den Staat mit sozialistischem Geiste Minderheit, die Welt mit Gewalt nach ih- Ränken, Zettelungen der Bourgeoisie die j erfüllen. rem Ideal zu modeln, sondern die Aktion unbeugsame Zielklarheit, Wachsamkeit Auch die wirtschaftliche Umwälzung der großen Millionenmasse des Volkes, und stets bereite Aktivität der proletari- kann sich nur als ein von der proletari- die berufen ist, die geschichtliche Mission schen Masse. Den drohenden Gefahren gewaltigste Bürgerkrieg, den die Weltge- Anteilsschein der Kam­ schen Massenaktion getragener Prozeß zu erfüllen und die geschichtliche Not- der Gegenrevolution die Bewaffnung des schichte gesehen, und die proletarische pagne von 1997 ff. vollziehen. Die nackten Dekrete oberster wendigkeit in Wirklichkeit umzusetzen. Volkes und Entwaffnung der herrschen- Revolution muß sich für diesen Bürger- Revolutionsbehörden über die Sozialisie- Aber die proletarische Revolution ist den Klassen. Den parlamentarischen Ob- krieg das nötige Rüstzeug bereiten, sie rung sind allein ein leeres Wort. Nur die zugleich die Sterbeglocke für jede Knecht- struktionsmanövern der Bourgeoisie die muß lernen, es zu gebrauchen – zu Kämp- Arbeiterschaft kann das Wort durch eige- schaft und Unterdrückung. Darum erhe- tatenreiche Organisation der Arbeiter- und fen und Siegen. ne Tat zum Fleische machen. In zähem ben sich gegen die proletarische Revoluti- Soldatenmasse. Der Allgegenwart und den Eine solche Ausrüstung der kompakten Ringen mit dem Kapital, Brust an Brust on alle Kapitalisten, Junker, Kleinbürger, tausend Machtmitteln der bürgerlichen arbeitenden Volksmasse mit der ganzen in jedem Betriebe, durch unmittelbaren Offiziere, alle Nutznießer und Parasiten Gesellschaft die konzentrierte, zusammen- politischen Macht für die Aufgaben der Druck der Massen, durch Streiks, durch der Ausbeutung und der Klassenherrschaft geballte, aufs höchste gesteigerte Macht Revolution, das ist die Diktatur des Prole- Schaffung ihrer ständigen Vertretungsor- wie ein Mann zum Kampf auf Leben und der Arbeiterklasse. Die geschlossene Front tariats und deshalb die wahre Demokratie. gane können die Arbeiter die Kontrolle Tod. des gesamten deutschen Proletariats: des Nicht wo der Lohnsklave neben dem Ka- über die Produktion und schließlich die Es ist ein toller Wahn, zu glauben, die süddeutschen mit dem norddeutschen, pitalisten, der Landproletarier neben dem tatsächliche Leitung an sich bringen. Kapitalisten würden sich gutwillig dem des städtischen mit dem ländlichen, der Junker in verlogener Gleichheit sitzen, um Die Proletariermassen müssen lernen, sozialistischen Verdikt eines Parlaments, Arbeiter mit den Soldaten, die lebendige über ihre Lebensfragen parlamentarisch aus toten Maschinen, die der Kapitalist einer Nationalversammlung fügen, sie geistige Führung der deutschen Revoluti- zu debattieren, dort, wo die millionenköp- an den Produktionsprozeß stellt, zu den- würden ruhig auf den Besitz, den Profit, on mit der Internationale, die Erweiterung fige Proletariermasse die ganze Staatsge- Zuerst erschienen in: Die kenden, freien, selbsttätigen Lenkern die- das Vorrecht der Ausbeutung verzichten. der deutschen Revolution des Proletari- walt mit ihrer schwieligen Faust ergreift, Rote Fahne (Berlin), Nr. ses Prozesses zu werden. Sie müssen das Alle herrschenden Klassen haben um ihre ats vermögen allein die granitne Basis zu um sie wie der Gott Thor seinen Hammer 29. vom 14. Dezember 1918; Verantwortungsgefühl wirkender Glieder Vorrechte bis zuletzt mit zähester Energie schaffen, auf der das Gebäude der Zukunft den herrschenden Klassen aufs Haupt zu zit. n. Rosa Luxemburg, der Allgemeinheit erwerben, die Allein- gerungen. Die römischen Patrizier wie die errichtet werden kann. schmettern, dort allein ist die Demokratie, Gesammelte Werke, Bd. 4, besitzerin alles gesellschaftlichen Reich- mittelalterlichen Feudalbarone, die engli- Der Kampf um den Sozialismus ist der die kein Volksbetrug ist. (...) S. 440–445

»Un z e r r e i s s b a r e Ba n d e «. Zw e i Br i e f e v o n Ro s a Lu x e m b u r g a n Fr a n z Me h r i n g

Franz Mehring übriggeblieben war. Durch Ihre Bücher daß sich die Bettler, die »Geusen« von Franz Mehring Franz Mehring [Südende, 27. Februar 1916] wie durch Ihre Artikel haben Sie das heute, wieder aufraffen und morgen zu [Breslau] 30. Dezember [1917]1 (27.2.1846 –28.1.1919) war deutsche Proletariat nicht bloß mit der stolzen und schroffen Kämpfern werden. seit 1891 Mitglied der SPD ehr verehrter Freund! klassischen deutschen Philosophie, son- Und sobald der Geist des Sozialismus Wie schön, daß Ihr »Marx«2 wenigstens und bekämpfte den Revi- Sie müssen mir gestatten, hier dern auch mit der klassischen Dichtung, in die Reihen des deutschen Proletariats gesichert ist und bald erscheinen wird, sionismus Eduard Berns- Snur die wenigen Worte zu wieder- nicht nur mit Kant und Hegel, sondern wieder einzieht, wird seine erste Gebär- das ist wirklich ein Lichtblick in diesen teins. Ab 1916 führend im holen, in denen ich Ihnen mündlich zu mit Lessing, Schiller und Goethe durch de sein – nach Ihren Schriften, nach den traurigen Zeiten. Ich hoffe, das Buch Spartakusbund, war er sagen suchte, weshalb mir Ihre Persön- unzerreißbare Bande verknüpft. Sie lehr- Früchten Ihrer Lebensarbeit zu greifen, wird sehr vielen eine Erquickung und später Mitbegründer der lichkeit und Ihre Wirksamkeit besonders ten unsere Arbeiter durch jede Zeile aus deren Wert unvergänglich ist und aus eine Ermunterung sein, eine wehmütige USPD teuer sind und immer bleiben werden. Ihrer wunderbaren Feder, daß der Sozia- denen immer derselbe Odem einer ed- Erinnerung zugleich an die schöne Zeit, Sie stehen bei uns seit Jahrzehnten auf lismus nicht eine Messer-und-Gabel-Fra- len und starken Weltanschauung weht. wo man sich noch nicht schämen mußte, einem eigenen Posten, den niemand ge, sondern eine Kulturbewegung, eine Heute, wo uns Intelligenzen bürgerli- deutscher Sozialdemokrat zu heißen. außer Ihnen verwalten kann: Sie sind der große und stolze Weltanschauung sei. cher Herkunft rudelweis verraten und Vertreter der echten geistigen Kultur in Und diese zu verteidigen, auf ihrer Warte verlassen, um zu den Fleischtöpfen der 1 Auszug, veröffentlicht in: Die Internationale, Jg. all ihrem Glanz und Schimmer. Wenn zu stehen ist seit mehr als einem Men- Herrschenden zurückzukehren, können 6, 1923, Heft 3. Das Original wurde bisher nicht gefunden nach Marx und Engels das deutsche Pro- schenalter Ihr Amt. Jetzt sehen freilich wir ihnen mit verächtlichem Lächeln letariat der historische Erbe der klassi- die Erben der klassischen Philosophie nachblicken: Geht nur! Wir haben der 2 Gemeint ist die Marx-Biographie von Franz schen deutschen Philosophie ist, so sind – seit dem furchtbaren Zusammenbruch deutschen Bourgeoisie doch das Letzte Mehring (Gesammelte Schriften, Bd. 3) Sie der Vollstrecker dieses Vermächtnis- im Weltkriege – wie elende Bettler aus, und Beste weggenommen, was sie noch ses gewesen. Sie haben aus dem Lager die von Ungeziefer gefressen werden. an Geist, Talent und Charakter hatte: der Bourgeoisie gerettet und zu uns, ins Aber die ehernen Gesetze der geschicht- Franz Mehring. Lager der sozial Enterbten, gebracht, lichen Dialektik, die Sie so meisterhaft Ich bleibe immer herzlichst u aus: Rosa Luxemburg: Gesammelte was noch an goldenen Schätzen der ein- dem Proletariat tagaus, tagein zu erklä- Ihre Briefe, Dietz Verlag, Berlin/DDR 21987, stigen geistigen Kultur der Bourgeoisie ren wußten, werden es mit sich bringen, R. Luxemburg Bd. 5, S. 104 u. 350 „Die Weltherrschaft des Imperialismus ist eine historische Notwendigkeit – aber auch ihr Sturz durch die proletarische Internationale“ ROSA LUXEMBURG IN: DIE KRISE DER SOZIALDEMOKRATIE (JUNIUS-BROSCHÜRE), ZÜRICH 1916

Internationalismus und Gegenmacht heute AB 11.00 UHR: BEITRÄGE VON • KLAUS GIETINGER, Regisseur, Autor, Köln • SAMIR DIAB, l´Université Libanaise, Mitglied des Politbüros der KP Libanons • DOMENICO LOSURDO, Philosoph, Italien • GEORGINA ALFONSO GONZÁLES, Stellvertretende Leiterin des kubanischen Philosophie-Instituts • SARA FLOUNDERS, International Action Center, USA • AHMAT SANDOKHO, Generalsekretär der Partei der Unabhängigkeit und Arbeit Senegals (PIT) • MUMIA ABU-JAMAL, Journalist, politischer Gefangener, USA • Moderation: Dr. Seltsam

außerdem: • Beiträge zur Lage der politischen Gefangenen • Ausschnitte aus dem Film „Kubanische Träume“ und Gespräch mit dem Regisseur HANS-PETER WEYMAR • Beiträge zu den Anti-NATO-Aktivitäten: WOLFGANG RICHTER/GBM zum Europäischen Friedenskongress XIV. Internationale und Jugendbündnis zum Stand der Vorbereitungen Anti-NATO-Gipfel • Chor der sozialdemokratischen Führung. Beitrag des Berliner GRIPS-THEATERS aus dem aktuellen Stück „Rosa“ Gespräch mit VOLKER LUDWIG (Theaterleiter und Autor) AB 13.30 UHR PARALLELPROGRAMM Rosa Luxemburg Jugendtreff en zur Vorbereitung der Aktionen gegen das NATO-Jubiläum: Kein Frieden mit der NATO • Mit Vertretern von Jugendverbänden (u. a. der SDAJ, Linksjugend/Solid, DIDF-Jugend, Gewerkschaftsjugend, SDS, der KNE aus Griechenland) und anderen internationalen Gästen AB 18.00 UHR: PODIUMSDISKUSSION Konferenz 2009 Europäische Union – EINTRITTSPREISE Das nette Imperium von nebenan Gesamtkarte (Vorträge, Diskussion, Konzert): • Die Europäische Union: Militarisierung, Demokratie- und Sozialabbau. Wie kann eine eff ektive 21 Euro ermäßigt 15 Euro, internationale Gegenwehr der Linkskräfte auss