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Sendung vom 28.05.1999

Manfred Rommel Alt-Oberbürgermeister von im Gespräch mit Jürgen Martin Möller

Möller: Zu Gast bei Alpha-Forum ist heute der langjährige Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel. Herr Rommel, "langjährig" heißt in Ihrem Fall genau 22 Jahre. Seit zwei Jahren sind Sie im Ruhestand: Haben Sie noch so etwas wie einen anhaltenden Pensionsschock? Rommel: Einen Schock hatte ich nie: Aber das "Geschäft" läuft mir noch nach. Möller: Das heißt, der Ruhestand ist immer noch eher ein Unruhestand. Rommel: Ja, denn ich bin ja so daran gewöhnt, etwas zu schaffen, daß ich gar nicht von einem Tag auf den anderen aufhören konnte. Ich habe sogar etwas getan, was ich früher immer belächelt habe: Ich habe meine Erinnerungen niedergeschrieben. Aber ich hoffe doch, daß ich mich im Lauf der Zeit an den Müßiggang noch gewöhnen kann. Möller: Sie haben Weihnachten 1998 Ihren siebzigsten Geburtstag gefeiert. Beim Nachlesen Ihrer Daten ist mir aufgefallen, daß Sie am 24. Dezember Geburtstag haben. Wie nimmt man als Kind so etwas eigentlich wahr? Fühlt man sich da nicht um die Hälfte eines möglichen Geschenkdatums betrogen? Wie haben das Ihre Eltern mit Ihnen als Kind gemacht? Rommel: Ich habe morgens etwas bekommen, und ich habe abends etwas bekommen. Aber natürlich nicht morgens den linken Schuh und abends den rechten. Meine Eltern, besonders mein Vater, haben mir die Bedeutung dieses Geburtstags in so leuchtenden Farben geschildert, daß ich das als eine Auszeichnung empfunden habe... Möller: ...mit dem Christkind zusammen Geburtstag zu haben. Rommel: Ja, daß ich mit dem Christkind zusammen Geburtstag habe – genau wie Dschingis Khan, der ebenfalls an diesem Tag geboren wurde, was mir aber erst, als ich älter geworden bin, bekannt wurde. Möller: Bleiben wir gleich bei der Familiensphäre. Ihr Vater war , der weltberühmte oder zumindest weltbekannte Feldmarschall in der NS-Zeit. Es hat Sie sozusagen Ihr Leben lang immer ein bißchen begleitet, daß Sie auch als Sohn Ihres Vaters definiert wurden. Wie lange haben Sie das kommentarlos ertragen, und wann wurde es Ihnen lästig? Oder wurde es Ihnen gar nicht lästig, daß Sie immer auch so ein wenig über Ihren Vater definiert wurden? Rommel: Ich habe mich daran gewöhnt. Ich habe mich wirklich daran gewöhnt, und es macht mir nichts mehr aus. Eine Zeit lang habe ich wirklich gedacht: Ich bin doch aber auch noch eine eigene Persönlichkeit! Aber ich habe dann in der Verwaltung die gleiche Besoldungsgruppe wie mein Vater erlangt: Das hat dann auch mein Selbstwertgefühl erhöht. Möller: Ja, nun, daß Sie eine eigene Persönlichkeit sind, darüber braucht man nicht lange zu reden. Sie gelten weltweit als der bekannteste Kommunalpolitiker Deutschlands und haben auch weltweit Ehrungen erlangt. Das geschah sicherlich nicht auf dem Umweg über Ihren Vater, sondern direkt über Ihre Leistungen als Oberbürgermeister. Das ist auch das, womit Sie in den letzten Jahrzehnten am bekanntesten geworden sind. Ich stehe nun vor der Schwierigkeit, die vielfältigen Aspekte, die sich im Zusammenhang mit Ihrer Person und Ihrer Biographie ergeben, zu sortieren. Ich würde es daher für richtig halten, wenn wir das nicht chronologisch machen, sondern mit dem Oberbürgermeister Manfred Rommel anfangen. Das waren Sie ab 1974 für 22 Jahre. War das für Sie der Traumjob? War das der Job, den Sie eigentlich immer schon erreichen wollten: Oberbürgermeister zu sein – und nichts anderes mehr? Rommel: Nein, ich wollte eigentlich gar nicht Oberbürgermeister werden. Ich war damals Ministerialdirektor und ein beamteter Staatssekretär im Finanzministerium. Ich hatte eher auf einen Posten in der baden- württembergischen Landesregierung geschielt. Möller: Sie sind ja auch einmal gegen Lothar Späth um den Posten des Ministerpräsidenten angetreten. Rommel: Das war meine letzte Sünde auf politischem Gebiet. Danach habe ich keine anderen Ämter mehr angestrebt. Möller: Das hatten Sie aber schon selbst angestrebt, dazu wurden Sie sozusagen nicht hingetragen? Rommel: Da wurde ich zwar von einigen schon hingetragen, aber es war ja letztlich nicht dramatisch: Die Entscheidung zugunsten von Lothar Späth war eine gute Entscheidung gewesen. Ich habe mir deswegen auch nicht meine Kissen feucht geweint, sondern war eigentlich recht beruhigt, daß ich in Stuttgart bleiben konnte, denn inzwischen hatte ich dieses Amt des Oberbürgermeisters wirklich schätzen gelernt. Möller: Sie waren damals ja so etwas wie ein Unikum: Sie waren der erste christdemokratische Oberbürgermeister in einer deutschen Großstadt. Rommel: In Karlsruhe war das schon vorher der Fall gewesen, aber Karlsruhe ist kleiner als Stuttgart. Ich war der erste in einer Großstadt mit mehr als 500000 Einwohnern. Möller: Sie wurden dann sehr bekannt dafür, daß Sie die Interessen der Kommunen gegenüber den anderen staatlichen Instanzen sehr selbstbewußt in die Hand genommen haben – auch in Ihrer Eigenschaft als Präsident des Deutschen Städtetags. Was ist denn dabei für Sie sozusagen als Kern dieses Interessenkampfes übriggeblieben? Um was geht es da? Rommel: Es geht darum, daß praktische Erfahrungen in die politische Theorie schneller Eingang finden. Die Ebene, auf der in der Praxis die meisten Erfahrungen gemacht werden, ist nun einmal die kommunale Ebene. Ich würde es wirklich begrüßen, wenn kommunale Erkenntnisse, Bewertungen und Überlegungen auf die Bundespolitik und auch auf die Landespolitik einen stärkeren Einfluß hätten. Möller: Die Kommunen besitzen kein Verfassungsorgan, das ihre Interessen vertreten würde. Sie haben, wie ich glaube, selbst einmal diesen Vergleich gezogen: Die Länder können sich sozusagen über den Bundesrat einbringen – die Kommunen nirgends. Und Sie haben sogar zwar nicht ernsthaft vorgeschlagen, aber doch mit der Überlegung gespielt, ob man denn nicht so ein Gremium schaffen sollte, das auch die Interessen der großen Gemeinden organisieren könnte. Rommel: Das habe ich eine Zeit lang gedacht, aber inzwischen bin ich davon wieder abgekommen, denn das würde die deutsche Politik nur noch komplizierter machen. Das würde die Entscheidungsfindung nur noch mehr erschweren. Aber es müßte sich ebenso das Bewußtsein verändern: auch in den politischen Parteien. Aber dort gibt es immer noch Hierarchievorstellungen klassischer Art: Der Oberste ist der, der am nächsten beim Höchsten ist. Und die, die nur unten so herumwursteln, sind lediglich die Parteitruppe. Darum sind unsere Parteioberen ja auch häufig mit den kommunalen Politikern so unzufrieden, weil sie sagen, die würden andauernd nur jammern und sich beklagen. Aber das ist wirklich die einzige Waffe, die die Kommunen haben. Aber wie gesagt, die Welt ändert sich so schnell, daß man es sich nicht erlauben kann, die ständig sich erneuernden praktischen Erfahrungen der Kommunen außer acht zu lassen und beiseite zu schieben. Möller: Der frühere Bundeskanzler Kohl hat das ja ganz handfest ausgedrückt. Er hat gesagt: "Keiner kann so gut jammern wie der Manfred Rommel, wenn es ganz konkret ums Geld geht." Rommel: Ja, aber ich habe ihn ja immer geschont, denn ich habe meine ganze Fähigkeit zu jammern ihm gegenüber nie eingesetzt. Abgesehen davon, hätten wir ja sowieso nichts bekommen. Nein, ich muß zu schon noch eines sagen: Helmut Kohl hat uns immer wieder Zusicherungen gegeben hinsichtlich der Gewerbesteuer, die er dann auch eingehalten hat. Möller: Sie sagen, Sie haben ihn geschont. Sie galten aber trotzdem – soweit man die interne Diskussion in der Union über die Presse mitverfolgen konnte – immer als einer, der die Union dazu gezwungen hat, über Themen nachzudenken, die so ein wenig aus einer anderen Ecke gekommen sind. Bleiben wir daher doch bei einem im Augenblick aktuellen Diskussionspunkt, dem Umgang mit Ausländern. Auf dem Gebiet haben Sie ja als Oberbürgermeister auch ganz konkrete Erfahrungen gemacht. Welche Lehren würden Sie denn daraus ziehen? Rommel: Ja, ob populär oder nicht: Ich meine, wir haben ein nachhaltiges Interesse daran, daß sich möglichst viele unserer Mitbürger ohne deutschen Paß um die deutsche Staatsangehörigkeit bemühen und sie anstreben. Denn diese Menschen werden ja weiter in unseren Städten leben: Sie werden in der überwiegenden Mehrzahl nicht mehr zurückgehen. Wir müssen daher verhindern, daß hier Teilgemeinschaften außerhalb der allgemeinen Bürgergemeinschaft entstehen, die sich nicht gerecht behandelt fühlen. Hier in Stuttgart leben ja 25 Prozent der Bürger ohne deutschen Paß. Bei der Jugend in der Schule sind es über 30 Prozent und im Kindergarten sind es 40 Prozent. Möller: Ich korrigiere mich hier insoweit, als das natürlich schon längst zu großen Teilen keine Ausländer mehr sind: Sie sind nur noch nicht volle Inländer. Rommel: Ja, sicher, aber sie sollten auch einen deutschen Paß bekommen, sie sollten politische Verantwortung übernehmen und mitwirken können. Da ich ein Optimist bin, glaube ich, daß dies der Integration dienen würde. Ich glaube auch, daß es der Integration dient, wenn man mit der doppelten Staatsangehörigkeit großzügiger umgeht, wenn man z. B. den Kindern, die hier geboren werden, unter gewissen Voraussetzungen automatisch die deutsche Staatsangehörigkeit gibt und wenn man auch sonst die doppelte Staatsangehörigkeit zuläßt. Ob das bis zu einem Rechtsanspruch gehen soll, ist eine andere Frage. Ich möchte hier natürlich meine Parteifreunde wegen ihrer Aktion dagegen auch nicht beschimpfen: Sie haben sicherlich gute Gründe. Aber das ist eben meine Erfahrung als Stuttgarter Oberbürgermeister. Meine Sorge ist, daß am Schluß ein Drittel der Bevölkerung keinen deutschen Paß hat, daß hier in der Gesellschaft Teilgesellschaften entstehen könnten und daß damit die Chance einer gemeinsamen Verantwortung für die Stadt nicht genützt wird. Möller: Das paßt zu dem Profil, das Sie seit vielen Jahren in der Öffentlichkeit besitzen: Das Stichwort dabei ist, daß Sie z. B. auch auf diesem Gebiet eine liberale Reaktion zeigen. Eine Geschichte, die in die Anfangszeiten Ihrer Oberbürgermeisterzeit fiel und die in diesen Zusammenhang mit hinein gehört, möchte ich bei der Gelegenheit auch noch einmal ins Gedächtnis rufen. Es gab damals in den aufgeregten Jahren des Baader-Meinhof- Terrorismus bzw. in dessen Vorfeld eine ganz bestimmte Geschichte, in der Sie eine wichtige Rolle gespielt haben. Der damalige Direktor des Stuttgarter Schauspiels, Claus Peymann, hatte mittels eines Zettels in der Theaterkantine zu einer Spende für eine Zahnbehandlung von Gudrun Enßlin aufgerufen. Deswegen wurde er sozusagen als Sympathisant bei bestimmten Teilen Ihrer Partei für unmöglich erklärt. Sie sind damals diesem Theaterdirektor Peymann ganz dezidiert beigestanden. Rommel: Erstens einmal ist es so, daß Claus Peymann ein ganz bedeutender Theatermann ist: Das brauche ich eigentlich gar nicht mehr zu sagen, denn das weiß inzwischen wirklich jeder. Ich habe deswegen in seiner Person für Stuttgart eine große Chance gesehen. Außerdem habe ich diese Sammlung von Geldern für einen Zahnersatz der Terroristen nicht für eine Solidaritätsbekundung gehalten. Und es ging dann auch um eine Frage der Gerechtigkeit: Das war nämlich kein Kündigungsgrund. Aus verschiedenen politischen Lagern – nicht nur aus der CDU – ist nämlich sofort die Forderung erhoben worden, Peymann fristlos zu entlassen. Viertens war es so, daß es mich immer gestört hat, daß man jemanden sehr schnell als Sympathisanten der Terroristen hinstellt, wenn er nur einmal ein paar Worte gesagt hat, die auf ein gewisses Verständnis hingewiesen haben. Es ist nämlich gefährlich, wenn man alle möglichen Leute, die eigentlich nichts damit zu tun haben, dem Terroristenumfeld zurechnet. Aber das ist im übrigen auch erkannt worden, denn inzwischen gibt es in Baden- Württemberg niemanden mehr, der sagen würde, es sei falsch gewesen, sich für Claus Peymann einzusetzen. Möller: Aber in diesen aufgewühlten Jahren gab es dann sogar noch ein Nachspiel zu dieser Geschichte. Als von den Stammheimer Häftlingen drei Selbstmord verübt hatten, wollten die Angehörigen, daß sie gemeinsam auf einem Stuttgarter Friedhof beerdigt werden. Dabei gab es eine ähnliche Aufregung, in der Sie als Oberbürgermeister auch wieder eingreifen mußten. Rommel: Ja, da hatte ich die Sorge, daß sich in diesem Fall die schwäbische Neigung zum Schreiberwesen und zur Bürokratie in Gestalt eines Streites durchsetzen könnte, ob sie in Stuttgart überhaupt beerdigungsberechtigt wären und wenn ja, wo, usw. Dieses schauerliche Schauspiel wollte ich dann nicht bieten, und darum habe ich verhältnismäßig schnell entschieden, daß man die drei zusammen beerdigt – so wie es auch dem Wunsch von Herrn Enßlin entsprochen hat. Ich wollte nämlich auch die Familie Enßlin nicht unnötig quälen und ärgern. Aber da haben sich eben auch manche aufgeregt und behauptet, daß es deswegen dort eine "Gedenkstätte" geben würde, zu der die Leute pilgern und bei der sie dann mit finsteren Mienen und erhobenen Fäusten demonstrieren würden. Nichts davon ist jedoch eingetreten, nichts. Inzwischen hat sich die ganze Sache beruhigt. Möller: Kommen wir noch einmal ganz kurz zurück zu Claus Peymann: Als der dann nach Bochum gegangen ist, sind Sie auch einmal dorthin ins Theater gefahren, um sich eine Aufführung von ihm anzuschauen. Rommel: Jawohl, da bin ich dann auch nach Bochum gefahren. Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm. Möller: Das geschah also auch aus Interesse am Theater und war nicht in erster Linie eine politische Demonstration. Rommel: Nein. Natürlich sind alle Theaterdirektoren dieser Qualität schwierig. Claus Peymann hat natürlich nicht gerade nach dem Prinzip gelebt, möglichst jeden Ärger zu vermeiden – im Gegenteil. Aber ich fand das, was er gemacht hat, wirklich ausgesprochen amüsant. Er hat im Theater ganz einfach Bedeutendes geleistet: Er hat bei uns einen "Faust" aufgeführt, Faust I und II, der nicht allen "ernsthaften" Goethefreunden gefallen hat – aber das war eine Präsentation, die Goethe selbst gefallen hätte. Das war alles unglaublich unterhaltsam, auch bei Faust II, dieser doch sehr schwierigen Materie. Ich habe eben schon damals, in dieser Zeit, gesehen, daß der Mann etwas Ungewöhnliches ist. Möller: Aber Sie würden sich doch einigermaßen richtig beschrieben fühlen, wenn man sagt: Innerhalb der großen Bandbreite der Volkspartei CDU gehören Sie mit Sicherheit zum liberalen Flügel. Rommel: Ja, das glaube ich schon, aber ich muß zu Ehren meiner Partei sagen, daß sie mir das nie übel genommen hat. Ich kann mich an keinen einzigen Fall erinnern, bei dem man mich hätte zwingen wollen, eine Meinung, die ich hatte, aufzugeben und eine, die ich nicht hatte, anzunehmen. Das muß ich zu Ehren der CDU schon sagen. Möller: Haben Sie selbst von sich den Eindruck, daß das, was Sie als Erwachsener in der Beziehung an politischer Haltung demonstrieren, auch etwas mit Ihren Erfahrungen als Kind und Jugendlicher zu tun hat, auf die wir gleich noch zu sprechen kommen? Rommel: Daran ist gar kein Zweifel. Ich habe natürlich gerade durch das Leben und Schicksal meines Vaters viel über die Ursachen, die Erscheinungsformen und die Folgen des Dritten Reichs nachgedacht. Ich konnte das gar nicht vermeiden. Ich bin da ganz einfach zu folgendem Ergebnis gekommen – das ist eigentlich ein ganz banales Ergebnis, aber das Problem liegt ja immer in der Nichtbeachtung von banalen Wahrheiten: Das Prinzip der Toleranz ist ein ganz entscheidendes und tragendes Prinzip für jede Ordnung einer menschlichen Gesellschaft. Das ist der Respekt vor der Meinung Andersdenkender – sofern sie natürlich nicht etwas denken, was mir meine eigene Freiheit raubt. Aber da sind die Grenzen wirklich sehr fließend. Es braucht auch einen gewissen Optimismus dahingehend, daß man dann, wenn man einen Menschen freundlich behandelt und ihm Vertrauen schenkt, auch eine positive Antwort bekommt. Ich habe in meiner Zeit als Oberbürgermeister – und auch schon vorher – nie erlebt, daß das Vertrauen, das ich jemandem geschenkt habe, entscheidend enttäuscht worden wäre. Das kommt sicher vor, aber das ist äußerst selten. Möller: Gehen wir im Detail zu den Anfängen. Das hieß für Sie, der 1928 geboren ist und dessen Vater Offizier war, daß Sie fünf Jahre alt waren, als Hitler an die Macht gekommen ist. Wie haben Sie dann als Bub diese dreißiger Jahre mitbekommen? Rommel: Ich habe schon gemerkt, daß sich etwas verändert hatte. Aber als Kleinkind sind mir diese Erfahrungen nicht gänzlich bewußt geworden. Ich kann mich noch daran erinnern, daß ich einmal an einer Veranstaltung des Goslaer- Jägerbataillons teilgenommen habe, dessen Kommandeur mein Vater zu der Zeit gewesen ist. Dort wurde das schöne Lied gesungen: "Ich habe mich ergeben mit Herz und mit Hand." Ich dachte, man meint damit das traurige Ende des Ersten Weltkrieges. Auf dem Heimweg habe ich dann meinem Vater und seinen Offizieren meine Verwunderung zum Ausdruck gebracht, daß man eine Niederlage auch noch mit einem Gesang würdigen würde. Mein Vater hat dann zu mir gesagt: "Kein Mensch interessiert sich für deine Meinung. Sei endlich mal ruhig!" Denn ihm war das peinlich gewesen. Diese Offiziers- oder Militärgesellschaften waren ja weitgehend für sich allein: Man war in der Provinz, man hat weithin unter sich verkehrt. Wenn, dann hatte man nur ein paar Bekannte außerhalb dieses Kreises, denn man wurde ja dauernd versetzt. Möller: Die Tradition des Offizierkorps in der Weimarer Zeit war zumindest offiziell so, daß man sich aus der Politik herausgehalten hat. Diese Haltung ging dann nach der Machtergreifung erst einmal so weiter. Rommel: Sie durften ja gar nicht wählen in der Weimarer Zeit, sie durften auch keiner politischen Partei angehören. Sie waren zum Gehorsam verpflichtet, was in der Weimarer Zeit auch dringend notwendig gewesen ist. Dann ist diese Armee in die Verantwortung Hitlers übergegangen. In dem Moment wurde das positive Moment des Gehorsams natürlich ein negatives Prinzip, denn der Gehorsam ist nur eine sekundäre Tugend, deren Wert davon abhängt, wem sie dient. Man hatte das damals aber noch nicht erfaßt, man hatte immer noch gemeint, ein Staat sei wie der andere. Daß sich der Staat jedoch ins Negative verändert hatte und ein Verbrecherstaat geworden ist - gegen eine solche Erkenntnis hat man sich wahrscheinlich auch gewehrt. In der Armee wurde dann natürlich auch die Behauptung, man wäre für Politik nicht zuständig, weil man lediglich Befehle ausführen würde, zu einer Schutzbehauptung. Das muß man schon ganz klar so sehen. So kam es dann eben zu dieser gewaltigen Katastrophe: Niemand hat Hitler zugetraut, daß er in so kurzer Zeit aus der ihm zugefallenen Macht so viel machen kann. Möller: Aber so apolitisch Ihr Vater im Umfeld dieser problematischen Kultur des damaligen Militärs gewesen ist: Es gab dann den Punkt – da herrschte schon Krieg –, als Ihr Vater Sie davon zurückgehalten hat, zur Waffen-SS zu gehen. Auf welcher Schiene kamen Sie denn zu dem Punkt, an dem es für Sie selbst interessant war, als Halbwüchsiger zur Waffen-SS zu gehen? Rommel: Sie hatten schöne Uniformen, sie waren gefürchtet, und das hat mich eben fasziniert. Die Ober- und Untersturmführer hatten so eine besondere Mütze, und sie haben sich auch den "deutschen Gruß" gegenseitig auf sehr lässige Art erwiesen: Das war von meiner Seite aus ein reines Nachäffen gewesen. Aber mein Vater war davon schon erschüttert, denn er sagte: "Wenn ich bei der bin, dann kannst du auch bei der Wehrmacht, beim Heer, sein." Mein Vater hat mir bei der Gelegenheit das mitgeteilt, was er selbst über die Judenerschießungen in Polen und sogar über die Ermordung von Juden durch Gas wußte. Er hat zu mir gesagt: "Wenn du da hingehst, dann kannst du nie wissen, ob du da nicht mit hineingezogen wirst." Möller: Das steht nun für mich in einem frappierenden Kontrast zu einer Beschreibung Ihres Vaters in der Biographie von Frazer. Denn da wird eine Szene aus dem Jahr 1942/43 beschrieben, die im Führerhauptquartier spielt. Es gab ein Tischgespräch mit Hitler: Das Gespräch kommt auf die negativen Folgen der deutschen Judenpolitik im Ausland, und Ihr Vater stellt Hitler gegenüber allen Ernstes zur Diskussion, warum man nicht einen Juden zum Gauleiter macht, denn so etwas würde ihnen im Ausland doch sehr helfen. Ihr Vater geht dann hinaus, und Hitler dreht sich im Kreise der anderen Zuhörern um und sagt: "Hat der Rommel eigentlich überhaupt noch nicht verstanden, was wir wollen?" Wie interpretieren Sie so einen Vorschlag Ihres Vaters, einen Juden zum Gauleiter zu machen – und das im Jahr 1943? Rommel: Ich weiß nicht, ob er das ernst gemeint hat. Gesagt hat er es, denn er hat es selbst wiederholt zitiert. Er hat dann ja auch gesagt, daß Hitler nachher gesagt hätte, daß Rommel nichts begriffen habe. Ich weiß nicht, ob er etwas begriffen hatte. Mein Vater hatte gegen Juden nichts Prinzipielles: Er hatte ja auch in Afrika, zumindest in Libyen und in Ägypten, nichts gegen Juden unternommen. Er hatte auch Befehle, die Hitler erteilt hatte, daß nämlich frühere deutsche Juden, die in der 8. Britischen Armee dienen und gefangen genommen werden, umzubringen seien, nicht ausgeführt und nicht weitergegeben. Ich weiß nicht, warum er das gesagt hatte: Wahrscheinlich erschien meinem Vater das Thema geeignet, um vorgetragen zu werden. Mein Vater hat ja auch die ganzen britischen Zeitungen gelesen, er hat als Oberbefehlshaber in Afrika auch Auszüge aus den amerikanischen Zeitungen gelesen: Er ist natürlich davon sehr stark beeinflußt und beeindruckt worden. Möller: Na gut, aber er muß ja vor dem Krieg schon auch deutsche Zeitungen gelesen haben. Daraus war ja klar erkennbar: Das Naziregime ohne die Judenfeindschaft wäre nicht das Naziregime gewesen. So gesehen, kann man das beim Nachlesen nur als Provokation gegenüber Hitler verstehen. Oder war er wirklich so naiv zu glauben, daß man so etwas noch machen könnte? Rommel: Ich glaube nicht, daß er so naiv gewesen ist, aber auf jeden Fall hat er es gesagt. Mein Vater hat diesen Judenhaß als Herz- und Kernstück des Nationalsozialismus ganz sicher als etwas höchst Irrationales angesehen. Daran habe ich keinen Zweifel: Aber er war eben doch ein praktischer Württemberger. Möller: Aber er hatte auch noch in einem anderen Punkt Schwierigkeiten bekommen, und das zieht sich als fortlaufendes Argument durch diese ganze Geschichte: Als sich dann der Widerstand ein bißchen organisiert hatte – vor allem auf der militärischen Schiene –, wurde ja darüber diskutiert, ob man denn ein Staatsoberhaupt, das gleichzeitig Oberbefehlshaber ist, überhaupt per Attentat beseitigen kann oder nicht. Ihr Vater war immer strikt dagegen: Glauben Sie, daß er mehr aus moralischen Gründen dagegen gewesen ist oder eher aus taktischen Gründen, um keinen Märtyrer zu schaffen und keine neue Dolchstoßlegende ins Leben zu rufen? Rommel: Mein Vater war sicher aus praktischen Gründen dagegen, denn er hat eben doch gefürchtet, daß erstens das Attentat fehlschlagen könnte oder daß zweitens, wenn es nicht fehlschlägt, erkannt wird, daß die Verschwörer die Urheber des Attentats sind und sich dann die Volksstimmung und die Stimmung der Truppe gegen die Verschwörer wendet. Meinem Vater war also dieser Gedanke sicher nicht angenehm gewesen, denn er hatte während des afrikanischen Krieges von Hitler ziemliche Unterstützung erhalten. Mein Vater konnte ihm auch Dinge sagen, die er sich von anderen nicht angehört hätte. Möller: Ganz offensichtlich mochte Hitler Ihren Vater. Rommel: Das war ganz eindeutig so. Hitler hatte Sympathie und teilweise auch Bewunderung für meinen Vater empfunden: Mein Vater war blond und blauäugig, hatte im Ersten Weltkrieg den Orden „Pour le mérite“ erhalten und konnte auch militärische Operationen erklären. Er hatte in Amerika und in Großbritannien durch den afrikanischen Krieg auch einen mordsmäßigen Ruf bekommen. Das alles hat Hitler durchaus imponiert – Göbbels im übrigen auch. Aber ich glaube, daß die Hauptüberlegung meines Vaters, sich gegen das Attentat auszusprechen, darin bestanden hat, daß man dann ja auf irgendeine Weise im Westen mit dem Krieg Schluß machen müßte. Dafür hätte man die Truppe dazu bringen müssen, einen Kapitulationsbefehl zu befolgen. Wenn dann herausgekommen wäre, daß Hitler von Verschwörern umgebracht worden ist, dann wäre das vielleicht schwierig gewesen. Mein Vater hat vor seinem Tod gesagt, der tote Hitler sei gefährlicher als der lebendige. Ich weiß nun nicht, ob das stimmt, denn darüber kann man sehr wohl diskutieren. Aber mein Vater hat immer wieder gesagt, daß er mit dem Attentat selbst nichts zu tun hatte und daß er auch dagegen gewesen wäre. Möller: Aber es hat ihm nichts geholfen, denn er hatte ja auf der anderen Seite offen und deutlich und auch immer wieder mit Denkschriften und dem Versuch, bei Hitler vorstellig zu werden, dafür geworben, daß man die Soldaten vor allem an der Westfront nicht in dieser sinnlosen Weise verheizt. Hitler hat ihm das sehr übel genommen. Wie übel er es ihm genommen hat, ist ja geschichtsnotorisch geworden: Nach dem 20. Juli hat er ihm sozusagen ein Mordkommando auf den Hals geschickt. So mußte Ihr Vater, wenn man so will, einen hohen Preis, den höchst möglichen Preis, für seine Popularität bezahlen. Denn Hitler hat ganz offensichtlich folgendes gefürchtet: Wenn nun auch noch dieser hoch populäre Feldmarschall Rommel zur Gruppe der Verschwörer gezählt wird, dann ist das das Zeichen dafür, daß das Regime am Ende ist. Rommel: Ja, das hat er sicher gedacht. Er wollte wahrscheinlich meinem Vater gegenüber auch den Anschein einer gewissen Großmütigkeit erwecken, indem er ihm trotz seiner Kontakte zu den Verschwörern und trotz seiner eigenen Vorbereitungen die Chance gab, sich selbst umzubringen und so seine Familie zu retten. Möller: Sie waren 15 Jahre alt, als Sie das direkt mitbekommen haben. Da kommt der Vater zu Ihnen und sagt Ihnen, daß er... Rommel: ...in 20 Minuten tot sei. Mein Vater hatte das freilich schon vorher für möglich gehalten. Schon bevor diese beiden Generäle im Auftrag von Hitler gekommen sind, hat er gesagt: "Heute abend wird es sich herausstellen – entweder bin ich dann tot oder die bieten mir eine neue Aufgabe an. Aber im Westen mache ich nichts mehr. Denn jeder Schuß, den wir im Westen abgeben, trifft uns selbst." Es erschien mir so unwirklich, als dann mein Vater zu mir kam und gesagt hat: "In 20 Minuten bin ich tot, weil ich mich entschlossen habe mitzugehen. Sie haben mir zugesichert, daß die üblichen Maßnahmen gegen meine Familie nicht ergriffen werden und im Stab die Sache auch nicht mehr weiterverfolgt werden würde. Sie haben mir verschiedene Aussagen vorgehalten. Die Sache ist für mich erledigt." Sein Ordonnanzoffizier, ein Hauptmann, hat gesagt: "Aber Herr Feldmarschall, Sie können sich doch noch wehren, wir haben doch eine Wache hier im Haus." Mein Vater sagte daraufhin nur: "Ich kann jetzt niemandem mehr Befehle geben." Möller: Es gab daraufhin ja dieses wirklich zynische Schauspiel des Staatsbegräbnisses in Ulm. Sie und Ihre Mutter mußten stumm dabeistehen und das über sich ergehen lassen. Wie haben Sie denn in Ihrer Familie in den Monaten bis zum endgültigen Zusammenbruch des Dritten Reichs über dieses Thema gesprochen? Haben Sie überhaupt darüber gesprochen? Rommel: Mein Vater hatte gesagt: "Wenn irgend etwas über den wahren Hergang bekannt wird, dann holen sie euch am nächsten Tag ab und ihr seid für immer verschwunden. Darum erzählt nichts." Wir haben es aber doch einigen erzählt. Aber dieses Schauspiel war schon wirklich unwürdig, denn viele, die an diesem Staatsbegräbnis als Trauergäste teilgenommen haben, kannten ja auch den wahren Hergang. So war das eben eine makabere Komödie. Meine Mutter und ich sind natürlich mitgegangen und haben die uns zugewiesene Rolle gespielt. Ein Freund meines Vaters, ein früherer Zentrumsabgeordneter, Farny, hat meine Mutter geführt, obwohl er selbst Probleme hatte. Ihm ist dann nachher auch Gott sei Dank nichts passiert. Es hätte auch gar keinen Wert gehabt, sich in diesem Moment zu wehren, denn das Erstaunliche am Dritten Reich war ja, daß diese Führung bis zum Schluß die Kontrolle über das Volk besessen hat. Möller: Sie haben dann das letzte halbe Jahr noch als Flakhelfer durchgemacht. Rommel: Ja, das habe ich gemacht. Ich bin auch noch zum Arbeitsdienst gegangen. Aber von dort bin ich dann abgehauen, als ich gehört habe, daß Ulm und der Wohnort meiner Mutter, Herrlingen, in amerikanischen Händen ist. Anfangs habe ich mich bei der Sache nicht wohlgefühlt: Ich habe meinen Karabiner ins Eck gestellt, habe dem Deutschen Reich sogar meine Patronentaschen und meinen Stahlhelm überlassen und bin nur mit leichtem Gepäck zusammen mit zwei Kameraden verschwunden. Ich habe mir auf dem ganzen Weg vorgestellt, was denn wohl mein Vater dazu sagen würde, daß sein Sohn nun ein Deserteur ist. Aber ich habe ihn dann sagen lassen, daß das schon richtig war. Das hat mich doch sehr getröstet. Möller: Sie kamen dann in französische Kriegsgefangenschaft. Rommel: Ja, ich bin in französische Kriegsgefangenschaft gekommen. Dabei habe ich natürlich von dem Ansehen, das mein Vater als Soldat besessen hatte, profitiert. Der spätere Marschall Lattre de Tassigny hat mich sofort kommen lassen und zu mir gesagt, daß er mich so bald wie möglich entlassen würde – aber aus politischen Gründen könnte er das noch nicht sofort machen. Ich bin dann in der Tat schon im September 1945 wieder entlassen worden. Möller: Ich habe in Ihrem Buch gelesen, daß es daraufhin in Biberach eine sehr frühe Begegnung mit Fritz Erler gegeben hat, als er dort Landrat gewesen ist. Es gab dort eine politische Unterhaltung zwischen Ihnen beiden. Könnten Sie das kurz erzählen, denn das fand ich sehr spannend. Rommel: Fritz Erler ist im Dritten Reich ja sehr übel mitgespielt worden. Er wurde dann Landrat in Biberach und hat sich außerordentlich stark dafür interessiert, wie die Jugend denkt. Er hat sich auch mit mir unterhalten und zu mir gesagt: "Ist euch eigentlich klar, daß ihr – also du und deine Kameraden – immer noch Faschisten seid?" Denn wir hatten gesagt: "Das Volk kann ja unmöglich selbst regieren, denn da muß man schon Fachleute ranlassen, die davon auch etwas verstehen." Er hat sich aber wirklich rührend um uns gekümmert. Ich habe mindestens vier, fünf Gespräche mit ihm geführt. Erler ist dann von den Franzosen verhaftet worden, weil er offenbar Fremdenlegionären zur Flucht verholfen hatte. Das war natürlich aus der Sicht der französischen Armee nicht gerade ein Kavaliersdelikt. Aber er hat das mit Würde getragen, obwohl er in ein Lager gekommen ist, in dem lauter ehemalige Nationalsozialisten eingesperrt waren. Mir hat der Mann wirklich unglaublich imponiert: Mir imponierte, wie er das, was ihm im Dritten Reich zugefügt worden war, weggesteckt hatte und wie er sich in die Zukunft hinein geöffnet hat. Ich habe mir dann gedacht, daß ich deshalb eigentlich auch zur SPD gehen könnte. Aber da hat dann der Freund meines Vaters, der schon erwähnte Oskar Farny, gesagt: "Dein Vater hätte gewünscht, daß du zu uns kommst! Denn nun sind ja sogar Evangelische bei der CDU zugelassen!" So bin ich dann eben in die CDU eingetreten. Möller: Sie hatten damals ja auch noch Kontakt mit Carlo Schmid: Das hätte Sie auch noch bestärken können, ins andere politische Lager zu gehen. Aber aus welchen Gründen haben Sie dann eigentlich Jura studiert? Rommel: Ich habe Jura studiert, weil ich geglaubt habe, daß ich für nichts besonders begabt bin. Möller: Das war dann sozusagen ein Verlegenheitsstudium. Rommel: Ja, natürlich. Früher wollte ich ja Berufsoffizier werden – gegen den Rat meines Vaters übrigens. Das konnte ich dann ja nicht mehr machen, und so habe ich mich zur Jurisprudenz entschlossen. Möller: Wie vollzog sich eigentlich Ihre politische Bewußtseinsbildung? Wie ging dieses Umsteigen vom jungen Faschisten – als der Sie und Ihre Kameraden von Fritz Erler noch bezeichnet worden waren – zum jungen Demokraten, der in der Union versucht, die Lehren aus der Nazizeit zu ziehen? Wie ging das im Detail vor sich? Rommel: Das Wichtige war, daß man den Demokraten überhaupt einmal zugehört hat. Es gab natürlich mancherlei demokratische Belehrung durch die sogenannte "Neue Zeitung", die damals in München herausgekommen ist. Aber ich habe mir selbst schon auch gesagt, daß ich aktiv etwas tun muß. Auf die Idee, daß ich jemals mit Hilfe meines Parteibuches eine Karriere machen könnte, bin ich gar nicht gekommen. Gebhard Müller, ebenfalls ein Mann von hoher Qualität und hohem charakterlichen Wert, hat mir damals ganz einfach imponiert – genauso wie Konrad Adenauer. Und so bin ich dann geworden, was ich war und bin. Im übrigen habe ich von vornherein immer gesagt, daß man sich in die eigene Parteizugehörigkeit nicht derart hineinsteigern darf, daß man den anderen den Respekt versagt. Ich hatte daher auch immer Achtung vor Mitgliedern der SPD und auch der FDP. Möller: Ich habe auch irgendwo gelesen, und das war sicherlich nicht als Kompliment gedacht, denn es kam aus den eigenen Reihen der Union: "Der Rommel ist der beste SPD-Bürgermeister, den man sich nur vorstellen kann." Rommel: Das hatten meine lieben Parteifreunde auf der Bundesebene gesagt, weil sie dachten, daß es die Pflicht eines Oberbürgermeisters sei, alles zu begrüßen, was von oben kommt, und in goldenen Schalen aufzufangen und zu verteilen. Möller: Auf der kommunalen Ebene stimmt das eben nicht. Rommel: Richtig, das stimmt nicht, so etwas funktioniert nicht. Diese Entgegensetzung von Regierungskoalition und Opposition funktioniert auf kommunaler Ebene nicht. Das funktioniert vor allem im süddeutschen Raum nicht, wo der Oberbürgermeister direkt vom Volk gewählt wird. Ich habe daher immer versuchen müssen, mit der SPD zusammenzuarbeiten – auch mit den Grünen. Ich habe sogar in Einzelfällen mit den Grünen, der SPD und der FDP zusammen gegen meine eigenen Leute gestimmt. Ich habe mich dessen auch nicht geschämt, weil das eben letztlich alles Sachentscheidungen sind. Man darf bei allem politischen Wortschwall nicht vergessen, daß es um sachliche Entscheidungen geht. Dafür muß man sich eben die innere Unabhängigkeit bewahren, und die hat man ja als vom Volk gewählter OB. Möller: Kommen wir noch einmal ganz kurz zurück zu Ihrem Vater. Ist es Ihnen eigentlich in den letzten Jahren das eine oder andere Mal passiert, daß Sie irgendein NPD'ler oder sonstwie rechter Militärfan auf Ihren Vater angesprochen und ihn dabei glorifiziert und heroisiert hat? Hat es so etwas gegeben? Rommel: Ja, das gab es sicherlich. Vor allem hat es auch erhebliche Kritik an mir gegeben: "Wie der wackere Rommel nur so einen traurigen Sohn hat zeugen können?" Manchmal wurde in Briefen, die ich bekommen habe, auch schon einmal angezweifelt, ob ich denn wirklich der Sohn meines Vaters sei oder ob man mich nicht im Krankenhaus bei der Geburt verwechselt habe und daher das falsche Kind aufgezogen worden wäre. Möller: Man soll das ja immer wieder versuchen und dabei auch nie aufgeben: Hatten Sie denn einmal die Gelegenheit, in einer ernsthaften Diskussion mit Leuten aus dieser politischen Ecke darüber zu reden? Konnten Sie ihnen erklären, wo die Grenzen dieser Vorstellungen über den Offizier sind, der als Fachmann unschlagbar, aber politisch manchmal auch ein bißchen naiv ist? Rommel: Darüber habe ich schon wiederholt gesprochen – vor allem im kleineren Kreis. Denn das ist ja ein Grundthema, das ist eines der wesentlichen Themen zur Beurteilung des historischen Sachverhalts: Wie kam es, daß diese Armee Hitler nicht abgesetzt hat? Aber dazu muß man natürlich auch in die Details gehen. Wahrscheinlich hatte die Armee vor dem Jahre 1944 gar keine Chance, Hitler abzusetzen. Hitler hatte die Macht ja so verteilt, daß ein kollektives Gremium von Oberbefehlshabern überhaupt nie zusammentreten konnte. Der Fehler der nachgeborenen Generation besteht sicherlich darin zu glauben, daß man das, was sie selbst hinterher erkannt hat, von vornherein hätte erkennen können. Möller: Das heißt, daß man die Maßstäbe von heute auf die damalige Situation zurückprojiziert. Welche politischen Lehren würden Sie daher für die politische Organisation, die man sich geben muß, aus Ihrer eigenen persönlichen und extremen Erfahrung ziehen? Rommel: Zunächst einmal bin ich der Auffassung, daß man unter keinen Umständen die Demokratie preisgeben darf und daß man unter keinen Umständen die Demokratie in ihrer Funktionsfähigkeit verletzen sollte. Denn solange die Demokratie bestehen bleibt, sind die äußeren Umstände immerhin so, daß solche greulichen Vorfälle wie im Dritten Reich nicht möglich sind. Zweitens bin ich der Meinung, daß man junge Menschen ermutigen muß, sich in den demokratischen Parteien politisch zu engagieren. Man muß sie dazu wirklich ermutigen. Sie haben nämlich selbst sehr viel Gewinn davon: Man wird deswegen nicht unbedingt ein Abgeordneter oder ein Minister usw. – trotzdem kann man einen hohen persönlichen Gewinn daraus ziehen. Es gibt zahllose Möglichkeiten, sich hier politisch einzubringen. Die damalige Katastrophe bestand eigentlich darin, daß die Weimarer Demokratie in sich zusammengefallen ist, daß ein großer Teil der Bürger nicht mehr geglaubt hat, daß diese Weimarer Demokratie noch funktionsfähig sei. Auf diese Art und Weise konnte dann dieser Herr Hitler die am Boden liegende Macht ergreifen. So wurde innerhalb weniger Wochen ein Rechtsstaat zum Unrechtsstaat: Ein Staat, der für das Volk verantwortlich war, wurde zu einem Staat, der das Volk aufopferte und in ein katastrophales Abenteuer hineinführte. Das Entscheidende ist wirklich die Demokratie. Ich bin darüber hinaus auch der Meinung, daß man nicht so tun soll, als ob man die Demokratie erst erfinden müßte. Ich halte das, was wir in der Bundesrepublik haben, im großen und ganzen für gut und ausgewogen und vernünftig. Ich bin insbesondere gegen Volksbegehren und Volksentscheide im Übermaß. Es ist zu bequem für die politischen Parteien zu sagen: "Jetzt fragen wir das Volk, und dann sagen wir, 'ätsch, du hast das ja selbst so haben wollen!'" Die Erfahrungen damit sind auch nicht immer wirklich gut. Klare Verantwortungsverteilung, repräsentative Demokratie und vor allem eine klare Sprache den Bürgern gegenüber: Das ist das, was nötig ist. Möller: Herr Rommel, vielen Dank. Gast bei Alpha-Forum war heute der frühere Oberbürgermeister von Stuttgart, Manfred Rommel.

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