Perspektiven

Attraktiv weil digital - damit zu tun, dass nur gut erschlossenes Archiv- Archivgut auf dem Weg ins Internet gut sinnvoll digital zu benutzen ist.

Europäische und nationale Initiativen haben in Mit großen Anstrengungen, für die ich allen den vergangenen Monaten die Digitalisierung Beteiligten danke, ist das erste Ziel der Online- von Bibliotheks- und Archivgut als Instrument Bereitstellung der aktuellen Beständeübersicht entdeckt, um Information bereitzustellen, orien- erreicht und auch vom Ziel, die ersten 10% der tiert am jeweiligen Bedarf und an der in der Findmittel als Online-Findbücher im Internet Tendenz schwindenden Mühe, welche man anzubieten, sind wir mit derzeit über 400 aufzuwenden bereit ist, um Erkenntnisgewinn Produkten im Internet gar nicht mehr so weit und Nutzen aus Archiv- oder Bibliotheksgut zu entfernt. Das 2005 gestartete Retrokonversions- ziehen. Zweifellos sind derartige Aktivitäten programm der in analoger Form vorhandenen hervorragend geeignet, die kulturelle Vielfalt und Findmittel wird in drei Jahren rund eine weitere die differenzierte Betrachtung von Sachverhalten Million Titelaufnahmen in allgemein nutzbaren zu fördern. digitalen Inhalt verwandeln. Unser Archivgut selbst wird in diesem Jahr in Pilot-Anwendungen Das Bundesarchiv ist für solche Initiativen wie Bilddatenbank und Bereitstellungsmodell aufgeschlossen und betreibt seit Jahren attraktive für Akten im Rahmen des von der Mellon Stif- Leitanwendungen wie die Kabinettsprotokolle tung geförderten Projekts im Internet auf- der Bundesregierung Online, die mit Drittmitteln scheinen. im Rahmen der Verteilten Digitalen For- schungsbibliothek der Deutschen Forschungs- Damit ist das Bundesarchiv von den anzu- gemeinschaft ins Internet eingestellt werden strebenden 1% digitalisierten Archivguts aber konnten. In einem Kooperationsprojekt stellt das noch weit entfernt. Wir müssen uns klar machen, Bundesarchiv inzwischen über 6000 Wochen- dass die Digitalisierung von 1% unseres schaubeiträge im Internet recherchierbar zur Archivguts bedeuten würde, 3000 laufende freien Nutzung zur Verfügung und hat neben den Meter Schriftgut oder 30 Millionen Blatt zu themenbezogenen digitalisierten Dokumenten konvertieren und aufzubereiten, um nur die Zahl seiner Website auch herausragende zeitge- aus dem Schriftgutbereich zu nennen. Allein für schichtliche Quellen digital publiziert wie die die technische Seite der Aufbereitung wären kompletten Aufzeichnungen über die Gespräche mehr als 25 Millionen Euro erforderlich, ohne der Staatssekretäre Bahr und Kohl, die 1970 bis dass die Investition nachhaltig gesichert wäre. 1973 zu deutschlandpolitischen Marksteinen wie Die Abteilungsleiterkonferenz hat sich daher auf dem Transitabkommen, dem Verkehrsvertrag Ihrer letzten Sitzung mit einer Strategie zur und dem Grundlagenvertrag führten. digitalen Bereitstellung von Archivgut des Bundes beschäftigt. Diese stellt sicher, dass die Das Bundesarchiv wird daher von den neuer- mit der digitalen Bereitstellung von Archivgut lichen Digitalisierungsinitiativen nicht über- verbundenen Arbeiten in die Arbeitsprozesse des rascht und es ist durchaus vorbereitet, mit zusätz- Bundesarchivs eingebettet bleiben und dass die lichen Mitteln der Forschung und interessierten besonderen und zusätzlichen Aufwendungen für Bürgern hochinteressante zeitgeschichtliche die digitale Konversion und die Bereitstellung im Quellen in digitaler Form bequemer zugänglich Internet den Prinzipien der Wirtschaftlichkeit zu machen. Die bisherige Digitalisierungs- und Nachhaltigkeit folgen. strategie hat sich dabei bewährt. Vor mehr als zehn Jahren hatte ich in der Fachdiskussion Hartmut Weber bereits den Ansatz vertreten, dass für Archive zunächst einmal anzustreben sei, 100% der Beständeübersichten und mindestens 10% der Findmittel digital bereitzustellen, bevor man daran denken könne, 1% des Archivguts selbst in digitaler Form zu präsentieren. Dies hat auch

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 „Für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet“: Einweihung der Neubauten für das Filmarchiv in Hoppegarten

Statement beim Pressegespräch Das Sammeln, Bewahren, das Auswerten, am 24. August 2005 Analysieren, Zeigen und Diskutieren von Filmen und ihren Produktions- und Rezeptionszusam- Wenn Sie die inhaltliche Breite meines Ressorts menhängen ist eine kulturelle Aufgabe, die nicht mit meinem Dienstkalender in ein wichtendes allein wegen des ständig wachsenden Medien- Verhältnis setzen würden, erhielten Sie - wenn bedarfs an Bedeutung gewinnt. Sie wird auf der nicht eine Überraschung - so zumindest doch ein ganzen Welt von Filmarchiven, Kinematheken Bekenntnis: Über keine kulturpolitische Frage und Filmmuseen wahrgenommen, die die Filme habe ich in den letzten Jahren so oft, so intensiv als Zeugnisse der Geschichte, Kultur und Wirt- und so vielschichtig gesprochen und verhandelt schaft begreifen und bewahren. Alte Filme wie über den deutschen Film. Ob bei der Novel- berichten von untergegangenen Städten, ver- lierung des Filmfördergesetzes, beim Deutschen schwundenen Bräuchen, den Bedrückungen der Filmpreis, bei der Berlinale, bei unseren Kino- Kleinstadt und vom höfischen Zeremoniell. Sie programm- oder Verleiherpreisen: immer wieder bezeugen Arbeiteraufstände, den menschenver- ging es darum, die Chancen des deutschen Films achtenden Wahn des NS-Regimes, den Holo- in Produktion, Vermarktung und Vertrieb zu caust, die Teilung Europas und nicht zuletzt die stärken. Immer ging es um die kulturelle wie glückliche Einigung unseres Kontinents. Kein finanzielle Zukunft eines Leitmediums, ohne das Wunder also, dass neben der UNESCO auch der wir heute in einer ganz anderen Gesellschaft Europarat und die Europäische Union inzwi- leben würden. Immer wieder stand die Frage im schen Empfehlungen zur Sicherung von Filmen Raum, wie man den deutschen Film mit seiner und anderen audiovisuellen Überlieferungen inhaltsreichen Prägung marktfähig halten könne, ausgesprochen haben, um dieses spezielle Kul- ohne Abstriche am intellektuellen Potential turgut auf Dauer zu schützen. hinzunehmen. Die Erfolge, die deutsche Filme in den letzten Jahren bei Festivals und an der Kino- In Deutschland hat sich der Deutsche Kine- kasse errangen, bestätigen mich in dieser Arbeit. matheksverbund dieser Aufgabe verschrieben, und in diesem Verband kommt der Abteilung Der Film ist mehr als Hollywood. Noch heute Filmarchiv des Bundesarchivs die Aufgabe eines kommt er nicht allein von dort; vor allem gab es zentralen deutschen Filmarchivs zu. Das Film- ihn in Europa längst, als die heutige Welt- archiv bemüht sich um die möglichst voll- hauptstadt des Films noch eine staubige Klein- ständige Sicherung der deutschen Filmpro- stadt war. Die Wiege der Filmkunst stand in duktion - von den ersten Filmen der Brüder Deutschland, und die Geburtshelfer und He- Skladanowsky bis zu aktuellen Produktionen, die bammen der bewegten Bilder hoben so manches wir gerade noch im Kino bewundern können. frühe Meisterwerk in oder , Dabei führt das Archiv eine bereits 1919 mitunter sogar auf märkischer Wiese ans Licht begründete Tradition fort, die selbst während der der Welt. Auf diese Tradition sind wir stolz und Teilung Deutschlands erhalten blieb, auch wenn wurden darin von der UNESCO bestätigt, die vor in Ost und West anders gesammelt und bewertet vier Jahren Fritz Langs 1926 vollendeten Ufa- wurde. Film „Metropolis“ als erstes Filmkunstwerk überhaupt ins „Memory of the World“ aufnahm. Heute beheimatet das Bundesarchiv beinahe eine Dort steht es gleichberechtigt neben Beethovens Million Filmrollen und ist damit eines der grö- 9. Symphonie und verpflichtet uns, außer der ßten Filmarchive der Welt. Spielfilme deutscher Neuproduktion von Filmen auch den Erhalt und Produktion oder Koproduktion werden inzwi- die Pflege des filmischen Erbes intensiv voran- schen vollständig gesammelt, wobei es das zutreiben. Und wie könnten wir dies besser Bundesarchiv allerdings schwerer hat als etwa dokumentieren, als mit der Einweihung des sein französisches Pendant, das von einer gesetz- modernsten Filmarchivs Deutschlands unter dem lichen Depotpflicht für Filme profitieren kann, Dach des Bundesarchivs. die es hierzulande nur für Bücher gibt. Um so

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Staatsministerin Christina Weiss mit dem Präsidenten des Bundesarchivs. Bild: Bundesarchiv erfreulicher ist es, wenn die Sammlung durch gehen weiter: Mit einem neuen Benutzungs- private Archive ergänzt wird, wie dies vor knapp zentrum des Bundesarchivs in Berlin-Lichter- vier Wochen durch die Überführung der Film- felde wird das deutsche Filmerbe in einer Media- sammlung der Lufthansa geschah, die immerhin thek mit Freihandbestand künftig noch benutzer- die größte Sammlung zur deutschen Luftfahrt- freundlicher präsentiert werden können. Ich geschichte der Öffentlichkeit darstellt. Dieses wünsche den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Beispiel sollte Schule machen! des Filmarchivs, vor allem aber allen Nutzer- innen und Nutzern spannende Erlebnisse mit Sie können sich hier in Dahlwitz-Hoppegarten dem spannendsten Erbe der Geschichte des 20. selbst davon überzeugen, dass das deutsche Jahrhunderts - ich wünsche dem deutschen Film Filmgedächtnis in den Händen des Bundes- alles Gute. archivs sehr gut aufgehoben ist. Selbst im inter- nationalen Vergleich stechen die Restaurierungs- Staatsministerin Christina Weiss, Beauftragte der werkstätten hervor, wobei die neuen, speziell auf Bundesregierung für Kultur und Medien die Konservierung und Bearbeitung der alten, besonders gefährdeten Cellulosenitratfilme aus- gelegten Anlagen weltweit ohne Konkurrenz Die neuen Speziallager für Filme und sind. Ich bin überzeugt davon, dass die Bau- Werkstätten für die Filmbearbeitung kosten von rund 11 Millionen Euro in Dahlwitz- Hoppegarten sehr gut angelegt sind, zumal es Der schlechte bauliche Zustand der Lager- und höchste Zeit war, die stark asbestverseuchten Bearbeitungsgebäude in Berlin-Wilhelmshagen Einrichtungen, die die DDR in Berlin-Wilhelms- auf dem Gelände des ehemaligen Staatlichen hagen hinterlassen hatte, zu ersetzen. Filmarchivs der DDR, der provisorische Cha- rakter der Unterbringung der Nitrofilmma- Das Bundesarchiv ist jetzt technisch für die terialien aus Koblenz in Obersayn und natürlich Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gerüstet das Ziel, Lager- und Bearbeitungskapazitäten der und kann die Erwartungen der modernen Wis- seit 1990 vereinigten Filmarchive mittelfristig sens- und Informationsgesellschaft erfüllen, und zusammen zu führen, legten schon damals nahe, das nicht nur durch die Bereitstellung von über neue Bauten an einem neuen Standort zu 6000 recherchierbaren Wochenschaubeiträgen errichten. Doch es vergingen noch einige Jahre, aus insgesamt 60 Jahren. Und die Planungen in denen verschiedene Varianten geprüft und

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 auch verworfen wurden, ehe die Entscheidung Die neuen Gebäude für den Standort Hoppegarten (damals noch: Dahlwitz-Hoppegarten), eine kleine Gemeinde In den neuen Spezialmagazinen sind jetzt alle im vor den Toren , fiel und die Finanzierung Besitz des Bundesarchivs befindlichen Nitro- durch Zusage des Beauftragten für Kultur und Medien stand. „Unter den Gesetzen und Verordnungen, mit denen es der Präsident des Bundesarchivs zu tun Die Arbeit in Berlin-Wilhelmshagen litt zu- haben wird, ist das Sprengstoffgesetz eines, wenn nehmend unter massiven Behinderungen auf- Sie so wollen, der explosivsten. 80 000 Rollen grund der baulichen Verhältnisse: Zum Beispiel Nitrofilm, die im Filmarchiv lagern, sind - um im musste das Ausheben und Reponieren der Bild zu bleiben - eine geballte Ladung archiva- Nitrofilmmaterialien in asbestbelasteten Maga- lischer Probleme. Es ist nicht zu verantworten, zinen unter Schutzkleidung ausgeführt werden. dass in diesem hochsensiblen Bereich der Archi- Der Transport zum Bearbeitungsgebäude war vierung die Umkopierung auf Sicherheitsfilm nur aufwendig - von den Beschränkungen im Hoch- langsam vorankommt und dass die Lagerungs- sommer ganz zu schweigen. Der Ansatz der bedingungen durch Asbest und durch Verfall der Entwickler- und Fixierbäder mit Trockenchemi- Gebäude immer unhaltbarer werden. Davon habe kalien war eine staubige Angelegenheit und ich mich überzeugt, als ich das Archiv in verlangte hohe körperliche Belastungen ab. Wilhelmshagen ... besichtigte. Ungeachtet der Zudem war die Technik zur Klimatisierung der zwangsläufigen Vergänglichkeit des Materials Arbeitsräume schon lange nicht mehr funktions- sind diese Filme ... ein wertvoller Teil unseres fähig. Auch hier gerieten wir speziell im kulturellen Erbes. Hier sehe ich einen vordring- Hochsommer oft an die Grenzen des Zulässigen. lichen Handlungsbedarf - auch aus Verantwor- Insgesamt herrschte in Berlin-Wilhelmshagen tung für die kulturelle Überlieferung der DDR. eine zu hohe Arbeitsplatzdichte. Sichtungstische Vor allem aber fühle ich mich den Mitarbeiter- mit Tonwiedergabe standen oft nicht in separaten innen und Mitarbeitern in Wilhelmshagen ver- Räumen. Die Folge: Andere Mitarbeiterinnen, pflichtet, Verhältnisse, welche die Arbeitssicher- die im selben Raum arbeiteten, mussten wohl heit und Gesundheit berühren, so schnell wie oder übel mithören - keine gute Voraussetzung, möglich zu ändern“. um sich auf die eigene Arbeit zu konzentrieren. Staatsminister Dr. Michael Naumann bei der Amtseinführung von Prof. Weber am 3. Februar Die konkreten Planungen für den Neubau eines 2000. Nitrozelluloselagers für maximal 78.000 Rollen Film und eines Filmbearbeitungsgebäudes auf bundeseigenem Gelände in Hoppegarten be- kinefilmmaterialien, etwa 75.000 Rollen, zusam- gannen 2000. Baustart war 2002. Nachdem mengezogen worden. Dort werden nun u.a. bereits im März 2004 der erste Bauteil eines besonders gefährdete Kinofilme aus der Frühzeit Neubaus für das Filmarchiv, das Nitrozellu- der deutschen Filmproduktion aufbewahrt. Etwa loselager, in Betrieb genommen werden konnte, 20.000 Rollen wurden aus den bisher in war zum Jahreswechsel 2004/2005 auch das Obersayn in der Nähe von Koblenz stationierten zweite Gebäude der ersten Bauphase bezugs- Containern, 55.000 Rollen aus den asbestbe- fertig. Dort liegen jetzt die Arbeitsplätze der 35 lasteten Filmlagern in Berlin-Wilhelmshagen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die zuvor in antransportiert. Berlin-Wilhelmshagen tätig waren. Das Nitrofilmlager ist ein oberirdischer Bau mit Mit der Fertigstellung des Baus, den der Bund 40 Lagerräumen, die jeweils mit zwei Regal- mit 11 Millionen Euro gefördert hat, ist eine reihen à 11 m Länge bestückt sind. Jeder dieser wichtige Etappe für die Zusammenführung aller 34 qm großen Räume verfügt über eine autarke Filmmaterialien des Bundesarchivs an einem Klimatisierung, die Temperaturen von + 6 /+/- Standort abgeschlossen. In einem weiteren Bau- 2°C bei 50 +/-5 % relativer Luftfeuchte ge- abschnitt soll ab dem Jahre 2008 ein zweiter währleistet. Die Filme lagern somit etwa 6°C Komplex mit Magazinflächen für die Lagerung kühler als in Obersayn bzw. Berlin-Wilhelms- von etwa 1,3 Millionen verschiedener Träger mit hagen. Einmal täglich erfolgt ein automatisch audiovisuellen Aufzeichnungen entstehen. gesteuerter Austausch der Raumluft. Die Druck- entlastungsflächen der Lagerräume sind als

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 geschlossene Wand in Leichtbauweise ausge- sigen Gebäudes sind u.a. Büros, Umkleide- führt. Ein Erdwall wurde aufgeschüttet, um im räume, ein Speiseraum, eine mechanische Werk- Falle einer Explosion die benachbarten Verkehrs- statt und eine Film- und Videovorführung unter- bzw. Wohnflächen zu schützen. Die Zugangs- gebracht. berechtigung ist über Chipkarten geregelt. Am Eingang ermöglicht eine Präsenzanzeige die Kontrolle darüber, wer sich im Gebäude aufhält. Die Ausstattung der Werkstätten

Das Bearbeitungsgebäude ist über einen Ver- Der Bereich der Filmbearbeitung umfasst Räume bindungsraum, der auch der Anlieferung und für die Sichtung, die manuelle Bearbeitung, die dem Versand von Filmmaterialien dient, indirekt Reinigung, die Lichtbestimmung, die Kopierung, mit dem Nitrolager verbunden. So ist ein unkom- die Entwicklung, die Ton- bzw. Videoumspie- plizierter Zugriff auf die Materialien möglich. lung und die Projektion von Filmmaterial. Alle Das Gebäude ist oberirdisch teilweise ein-, teil- Räume sind klimatisiert und für die Bearbeitung weise zweigeschossig, teilweise unterkellert von Nitrofilmen zugelassen. Sie besitzen Not- ausgeführt. ausgänge ins Freie, wobei das Obergeschoss über eine entsprechende Fluchtweggalerie ver- Im Kellerbereich befinden sich die klimatech- fügt. Spezielle feuer- und explosionsfeste Nitro- nischen Anlagen, die Notstromzentrale, und die filmaufbewahrungsschränke, in der Regel drei IT-Zentrale. Außerdem sind dort die Anlagen für bis sechs Stück je Raum, ermöglichen die ge- die Herstellung und Regenerierung der Bäder der fahrfreie Aufbewahrung von jeweils sechs Rollen Filmentwicklung sowie zur Filterung der per- Film. Die Schränke sind zu diesem Zweck über chlorethylenbelasten Abluft der Filmnasskopie- eine entsprechende Öffnung an Rauchgas- rung und -reinigung installiert. Im eingeschossig schächte angeschlossen. ausgeführten Gebäudebereich und im Oberge- Die Räume wurden mit neuen filmtechnischen schoss des zweigeschossig ausgeführten Ge- Geräten ausgestattet, die vorhandenen - teilweise bäudebereichs liegen die Räume für die Film- über 15 Jahre alt, speziell aus den Bereichen bearbeitung. Im Untergeschoss des zweigeschos- manuelle Bearbeitung, Reinigung, Projektion -

Der Neubau in Hoppegarten. Bild: Bundesarchiv

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 entsprachen zum Zeitpunkt des Umzuges längst schrumpfte Filme und eine Kontakt-Schritt- nicht mehr dem Stand der Technik. Kopiermaschine für die Kopierung von Tönen und Titeln. Für die Sichtung und manuelle Bearbeitung von Filmen stehen jetzt eine ganze Reihe von Film- Die Filmentwicklung ermöglicht die Bearbei- bearbeitungstischen mit speziellen Eigen- tung von 35mm SW-Positiv- und -Negativ- schaften zur Verfügung. Besonders hervorzu- materialien. Während am Standort Berlin-Wil- heben sind folgende Möglichkeiten: helmshagen die Herstellung der Bäder manuell auf der Grundlage fester Chemikalien erfolgte, - Bearbeitung von geschrumpften Filmmate- wurde in Hoppegarten der weitestgehend auto- rialien durch die Ausstattung mit speziellen matische Ansatz mittels Flüssigkonzentraten, Filmtransportzahnkränzen, sogenannter Kitchemie, eingeführt. Die Steue- - projektionslichtadäquate Beurteilung von rung des Systems erfolgt weitestgehend PC- Farbmaterialien durch die Ausstattung mit gestützt. Die Ventilzustände der verschiedenen Xenonlichtquellen, Kreisläufe sind über die PC-Monitore visuali- - Bildschirmdarstellung der gesamten Film- siert, so dass eine komfortable Kontrolle ge- breite, also einschließlich der Perforation und währleistet ist. etwaiger Randsignaturen, - Sichtung von 70mm-Filmmaterialien über Für die Vorführung von Film- und Video- Videomonitor, materialien wurde ein Zuschauerraum mit 35 - Parallelsichtung mittels Doppelschirmtisch bei Plätzen eingerichtet. Projiziert werden können identischer Farbtemperatur der Projektions- 16 und 35mm Filme, diverse Videoformate und lichtquelle, PC-Bildsignale. Hervorhebenswert ist die Mög- - automatische kontinuierliche Messung der lichkeit der Projektion von Filmen auf Nitro- Filmschrumpfung über die gesamte Rollen- zellulosebasis. Eine spezielle technische Aus- länge, stattung der Projektoren und natürlich die - Filmsichtung mit variabler Wiedergabege- entsprechenden baulichen Voraussetzungen des schwindigkeit. Projektionsraumes sind Grundlage dafür. Da die Filmprojektoren auf Drehgestellen montiert sind, In Vorbereitung ist die Ankopplung der Mess- ist sowohl der klassische Überblendbetrieb als tische an das IT-Netz, um zukünftig Messwerte auch die Parallelprojektion für den Vergleich von zentral abspeichern und auf Netzdruckern aus- Filmen möglich. Alle wichtigen Funktionen der geben zu können. Filmprojektoren, u. a. die Wiedergabegeschwin- digkeit (Standbild bis Schnelllauf) können über Für die Reinigung von Filmmaterialien finden ein Pult im Zuschauerraum gesteuert werden. drei verschiedene Systeme auf Grundlage der Eine Schaltmatrix und ein Audiomixer er- Flüssigkeiten Perchlorethylen, Isopropanol und möglichen das vergleichende Abhören von Film- Wasser Verwendung. Eine Behandlung mit und Videotonquellen inklusive eines Abgleichs Perchlorethylen und Ultraschall bleibt den am der Pegel. stärksten verschmutzten Materialien in Vor- bereitung auf eine Umkopierung vorbehalten. Es Noch sind wir nicht vor allen Problemen gefeit. handelt sich zum Beispiel um verharzte Ölrück- Besonders in Bezug auf Klimatisierung und stände, die von Projektoren herrühren. Mit Sonnenschutz gibt es in Hoppegarten noch Be- Isopropanol werden leichter verschmutzte Be- darf an Feinabstimmung. Aber in Anbetracht der nutzerstücke gereinigt. Die mit Wasser be- widrigen Umstände, mit denen in den letzten triebene Reinigungsmaschine ist vorrangig für Jahren in Berlin-Wilhelmshagen zunehmend die Behandlung mikrobiologisch befallener gekämpft werden musste, ist der Umzug in den Filme geeignet. Neubau ein Riesenfortschritt.

Drei moderne Kopiermaschinen stehen für die Egbert Koppe Kopierung von 35mm-Filmmaterialien bereit: eine Kontakt-Durchlauf-Kopiermaschine mit Nassoption, geeignet für geschrumpfte Film- materialien, eine optische Schritt-Kopierma- schine mit Nassoption für hochgradig ge-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Reinhold Frank. Das Beispiel eines aufrechten Demokraten und Christen. Vortrag bei der VI. Reinhold Frank-Gedächtnisvorlesung

Wenn ich, wie anlässlich der heutigen Reinhold Juden und - ich füge bewusst hinzu - an den Sinti Frank-Gedächtnisvorlesung in Rastatt bin, will und Roma, der Gründung und dem Schicksal des ich immer auch an die große Badische Revolu- Staates Israel, dem Wesen des Totalitarismus, tion von 1848/49 erinnern, die leider gescheitert aber eben doch besonders stark mit den Frauen ist. Deutschland ist ja nicht nur eine verspätete und Männern des Widerstands, mit ihren Mo- Nation, sondern auch eine verspätete Demo- tiven und ihrer ethischen Grundhaltung. kratie. Das hat mich beeindruckt, innerlich tief bewegt Ich möchte zunächst ein Wort der Hochachtung und fürs Leben geprägt. Es ist einer der beiden sagen. Ein Wort der Hochachtung gegenüber Motivationsstränge, die mich in die Politik Reinhold Frank, einem großen Sohn unseres geführt haben. Ich kam zur Überzeugung, dass Landes, der für seine Überzeugung, der für man sich in einem demokratischen Gemein- Freiheit und Menschenrechte im Widerstand wesen freiwillig engagieren muss, um Totali- gegen die Menschheitsverbrechen des National- tarismus und Unmenschlichkeit zu verhindern. sozialismus in den Tod ging. Ich verneige mich Vor allem kam ich zu der festen Überzeugung, vor ihm. In allen meinen Reden zum Widerstand dass man verhindern muss, dass Menschen habe ich ihn, sein Beispiel und Schicksal wieder in solche Gewissensqualen kommen wie erwähnt. Als wir unsere neue Landesvertretung dies tatsächlich im Dritten Reich der Fall war. Es in Berlin eingeweiht haben, habe ich vor der bestand die Möglichkeit der Bewährung oder des Einweihungsfeier zwei Kränze niedergelegt. Den Versagens, dies war mit einer täglichen Über- einen auf dem Nachbargrundstück, dem Bendler- forderung der normalen Menschen verbunden. block, für Claus Graf Schenk von Stauffenberg und den zweiten in Plötzensee für Eugen Bolz Wir brauchen eine Wertordnung und eine staat- und Reinhold Frank. Ich habe unser Land und liche Ordnung, die Menschen gestattet, ihre unseren Neubeginn in Berlin bewusst in die eigenen Lebensziele zu verwirklichen und ihnen Tradition dieser Persönlichkeiten unseres Landes nicht Heroismus abfordert. Das habe ich als gestellt. Grundüberzeugung verinnerlicht. Ich denke da- bei oft an eine Szene aus Brechts „Leben des Mein zweites Wort geht an seine Familie. Die Galilei“, in der ein Schüler Galileis voller Be- Kinder haben in ganz jungen Jahren ihren Vater geisterung ausruft: „Unglücklich das Land, das verloren, Frau und Kinder lebten nach dem Mord keine Helden hat!“ Und Galilei erwidert darauf: und der Hinrichtung in großer Unsicherheit und „Nein, unglücklich das Land, das Helden nötig Ungewissheit. Es ehrt das Institut für Geschichte hat.“ der Universität Karlsruhe, es ehrt die For- schungsstelle „Widerstand gegen den National- Nicht der Geschichtsunterricht in der Schule sozialismus im deutschen Südwesten“, es ehrt machte mich hungrig auf diese Themen. Er das Bundesarchiv in Rastatt und die Stadt begann zweimal bei den Frühkulturen und Rastatt, dass sie das Andenken an Reinhold endete zweimal mit dem Ersten Weltkrieg. Frank durch eine jährliche Gedächtnisvorlesung aufrechterhalten. Es waren Bücher, die mich zunehmend inte- ressierten und motivierten. Ich erhielt sie von Gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung. meiner Mutter, einer einfachen Bäuerin, aber Als Angehöriger des Jahrgangs 1939 habe ich einer gescheiten Frau. Das erste war das Fischer- das Dritte Reich nicht mehr bewusst erlebt. Aber Bändchen „Die Weiße Rose“ von Inge Scholl. ich habe mich in jungen Jahren, während meiner Ich habe es verschlungen und weite Passagen der Schulzeit und danach, mit keinem Thema inten- Flugblätter bald auswendig gekannt. Das zweite siver beschäftigt als mit dem Widerstand im war ein Buch aus dem Münchener Kaiser-Verlag, Dritten Reich und damit zwangsläufig auch mit „Du hast mich heimgesucht bei Nacht“, mit dem Nationalsozialismus, dem Niedergang der Abschiedsbriefen und Aufzeichnungen von Weimarer Republik, dem Völkermord an den Widerstandskämpfern, die von den National-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 sozialisten ermordet wurden, herausgegeben von Widerstandes um Graf Stauffenberg und General Helmut Gollwitzer, Käthe Kuhn und Reinhold Beck, aber auch mit einfachen Menschen, die der Schneider. Von da führte ein direkter Weg zu Stimme ihres Gewissens folgten, wie dem aus Historikern der ersten Nachkriegszeit, Walther dem Kreis Altenheim stammenden Schreiner- Hofer in Bern, Hans Rothfels in Tübingen und gesellen Johann Georg Elser, der im Münchener Gerhard Ritter in Freiburg. Ich habe also eine Bürgerbräukeller ein erfolgloses Bombenattentat innere Nähe zu diesem Thema und habe deshalb auf Hitler verübte. Diese Reihe der Beispiele für die Einladung zu diesem Vortrag gerne ange- Tapferkeit, Widerstand und persönlichen Mut nommen, ich betrachte die Zusage als eine be- ließe sich noch lange fortsetzen. Diese Men- scheidene Geste der Hochachtung und der Ver- schen haben mit ihrem Widerstand gegen Un- neigung vor Reinhold Frank und vor den großen recht und Unmenschlichkeit die Grundlage Persönlichkeiten des Widerstands. gelegt für eine Neuordnung in der Nachkriegs- zeit, eine Neuordnung, in der Menschenwürde, I. Menschenrechte und der Schutz des Lebens zu den höchsten Werten unserer Verfassung wurden. Nachdem die Alliierten den deutschen Wider- stand im Dritten Reich über viele Jahre in seiner II. Bedeutung nicht erkannten und zum Teil nicht verstanden oder gar diffamierten, erklärte Reinhold Frank wurde am 23. Juli 1896 in Winston Churchill 1946 in einer Rede vor dem Bachhaupten bei Saulgau geboren. Er war der britischen Unterhaus: „In Deutschland lebte eine Sohn eines Landwirts. Er hatte eine Zwillings- Opposition, die zu dem Edelsten und Größten schwester, Maria, er wuchs in einer neunköp- gehörte, was in der politischen Geschichte der figen Familie auf. Der Vater war schon 1904 Völker hervorgebracht wurde“. verstorben, die Mutter ermöglichte dem Sohn den Besuch des erzbischöflichen Gymnasial- Der Karlsruher Rechtsanwalt Reinhold Frank konvikts in Sigmaringen. 1914 ist er, wie viele, gehörte zu dieser Opposition. Sein Name steht freiwillig in ein Feldartillerie-Regiment einge- heute stellvertretend für jene Menschen, die treten und hat auf eigenen Wunsch in der während des Dritten Reiches trotz großer Gefahr, Infanterie gekämpft. Die anfängliche Begeiste- trotz Unterdrückung und Diktatur und unter rung ging zurück wie bei vielen, vielen anderen, Einsatz des eigenen Lebens den Aufstand des die voll Enthusiamus in den Krieg gezogen Gewissens wagten. Eugen Bolz wurde am waren. Er selbst wurde dreimal verwundet, sein gleichen Tag hingerichtet wie Reinhold Frank. Bruder ist im Krieg gefallen. 1918/19 studierte er Die Studenten Hans und Sophie Scholl, Chris- Rechtswissenschaften in Freiburg, später in toph Probst, Willi Graf, Alexander Schmorell, Tübingen. Er wurde Mitglied in der katholischen Hans Leipelt und Professor Kurt Huber, um nur Studentenverbindung Arminia. Nach dem Ab- die bekanntesten Namen zu nennen, wollten sich schluss seiner Ausbildung 1923 trat er in die nicht mit der Gewaltherrschaft und der zynischen Kanzlei des Karlsruher Rechtsanwalts Franz Unmenschlichkeit der Nazi-Herrschaft abfinden. Xaver Honold ein, ein hoch angesehener Anwalt, Sie riefen zum Widerstand gegen das Regime der später badischer Gesandter in Preußen war. auf, sie wollten, wie es in ihrem letzten Flugblatt Das Land hat dieses Grundstück nicht verkauft, vom Februar 1943 hieß, ihren Mitbürgern die sondern wir haben es nach der Wiedervereini- Augen für das furchtbare Blutbad öffnen, das die gung eingebracht. Zusammen mit dem Grund- Nationalsozialisten in ganz Europa angerichtet stück der württembergischen Gesandtschaft in hatten. Für ihren Einsatz für Freiheit und Preußen sind wir auf diese Weise kostenlos zu Menschenwürde mussten sie einen hohen Preis einem Grundstück für unsere Landesvertretung bezahlen. im Tiergartenbereich in erster Lage gekommen.

Sie teilen dieses Schicksal mit Männern des Reinhold Frank heiratete die Karlsruherin Glaubens wie Dietrich Bonhoeffer oder dem aus Annemarie Werner. Aus der Ehe gingen vier Mannheim stammenden Pater Alfred Delp, mit Kinder hervor. 1933 - das war sein erstes Politikern, dem früheren Leipziger Oberbürger- öffentliches Amt - wurde er für die Zentrums- meister Carl Friedrich Goerdeler, mit Gewerk- partei Abgeordneter im Karlsruher Bürgeraus- schaftern und Sozialdemokraten wie Julius schuss, der wenige Wochen später gezwungener- Leber, mit den Vertretern des militärischen maßen sich selbst auflösen musste. Es war also

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 eine sehr kurze öffentliche Tätigkeit. Karl Ramstein, mit Siegfried Kühn und mit Alfred Ibach. Sie trafen sich wöchentlich, was Die Kanzlei Honold/Frank, später allein geführt ganz gewiss fast sensationell erscheint, wenn durch Reinhold Frank, war über viele Jahre eine man überdenkt, wie sehr jegliche öffentliche und Anlaufstelle für Gefährdete, für Straffällige, für private Tätigkeit überwacht worden ist. Er Gesinnungsfreunde, für Männer des Wider- sammelte einen weiteren Kreis, zu dem auch stands. Reinhold Frank war ein glänzender Straf- Friedrich Werber, Wilhelm Bauer und andere verteidiger. Auch unter Gefährdung seines gehörten. Reinhold Frank hatte ja einen regel- eigenen Lebens verteidigte er Widerstands- mäßigen Kontakt zu Goerdeler und zu Eugen kämpfer, vor allem auch solche aus dem Elsass, Bolz und zum Haus Bosch in . Zwei er verteidigte katholische Pfarrer, Männer und Wochen hielt sich war Eugen Bolz bei der Frauen aus der kirchlichen und aus der gewerk- Familie Frank auf während eines geplanten schaftlichen Widerstandsbewegung. Noch am Attentatstermins, der dann unter widrigen Um- Tag des 20. Juli war er in Berlin und hat dort eine ständen nicht zustande gekommen ist. Übrigens: Elsässerin vor dem Volksgerichtshof verteidigt. Keinen dieser Freunde hat Frank später in Ver- nehmungen auch nur im Ansatz belastet oder gar Der entscheidende Kontakt zum Zentrum des verraten. politischen Widerstands, zu Goerdeler, kam wohl erst im Februar 1943 zustande. Es gibt unter- Ihn selbst erwartete ein schlimmes Schicksal, schiedliche Informationen, von wem der Kontakt wie wir alle wissen, weil sein Name wohl auf hergestellt worden ist, die einen sagen von einer Adressenliste stand, die vermutlich bei Eugen Bolz, die anderen, er sei über das Haus Goerdeler gefunden wurde. Er wurde schon am Bosch zustande gekommen. Jedenfalls wurde 21. Juli in Karlsruhe verhaftet. Es begann das Reinhold Frank politischer Unterbeauftragter für Drama. Er wurde zur Vernehmung nach Stuttgart Baden, und er war für die Zeit nach dem Ende gebracht, anschließend ins Berliner Reichs- des Nationalsozialismus als badischer Staats- sicherheitshauptamt und dann in die Strafanstalt präsident vorgesehen. Berlin-Tegel, bei Haftbedin-gungen, deren Schrecken von anderen geschildert wurden oder Reinhold Frank sammelte mit großer Umsicht die man nur erahnen kann. und Vorsicht Gleichgesinnte und Freunde um sich. Einen engeren Kreis mit Franz Sprauer, mit

Bei der diesjährigen Reinhold Frank-Gedächtnisvorlesung (v.l.): Erwin Teufel, Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg a.D., Gerlinde Hämmerle, Vorsitzende des Fördervereins, Regierungs- präsidentin a.D., und der Präsident des Bundesarchivs. Foto: Manfred Mayer

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Am 12. Januar 1945 wurde ihm der Prozess am unbedingtes Verhältnis zur Herrschaft des Rechts Volksgerichtshof gemacht. Freisler konnte sich und der unverfügbaren Menschenwürde jedes revanchieren. Er kannte den Anwalt, der viele Einzelnen. Glaube war für ihn Lebenspraxis und Widerstandskämpfer vertreten hatte. Mithäft- Grundorientierung. Bei aller engen Bindung an linge sagen, niemand habe damit gerechnet, dass die Kirche und auch an das Zeitbedingte war es Frank zum Tode verurteilt wird - er selbst wohl ein sehr eigenständiger Glaube, der politisches auch nicht. Er hat sich selbst verteidigt, wie Handeln ebenso sehr erlaubte wie beeinflusste. berichtet wird, logisch und geschickt, aber er Er sah sich, wie er seiner Frau schrieb, im Leben, fand keinen Glauben. Freisler befand Reinhold im Leiden und im Sterben in Gottes Hand. Er hat Frank der Mitwirkung am Hochverrat schuldig, uns allen ein Beispiel gegeben. denn „wer zu Lebzeiten unseres Reichs Vor- bereitungen nationalismusfeindlicher Art trifft, III. ist Hochverräter wie der, der den Umsturz durch eigene Gewalt anstrebt“. In seiner großen autobiographischen Erzählung „Schreiben oder Leben“ schildert der spanische Am Tag danach schrieb Reinhold Frank fol- Schriftsteller und Politiker Jorge Semprun, der genden Brief an seine Frau: „Nun, liebe Anne- während des Zweiten Weltkriegs Häftling im marie, erschrecke nicht und behalte es zunächst Konzentrationslager Buchenwald war, die Situa- für Dich: Ich bin gestern zum Tod verurteilt tion der Befreiung des Lagers. Es ist der 12. worden. Es ist hart. Ob das Urteil vollstreckt April 1945, die Geschichte ist also frisch. Es wird, weiß ich nicht. Ich habe heute ein bedarf keiner besonderen Gedächtnisanstren- Gnadengesuch gemacht. Ich hoffe, daß es Erfolg gung, auch keiner glaubwürdigen überprüften hat, Euretwegen. Warten wir ab und stellen wir Dokumente. Der Tod steht noch im Präsens. Man alles in Gottes Hand“. Das Todesurteil wurde am braucht nur hinzuschauen. Die Wirklichkeit ist 23. Januar 1945 vollstreckt, als die Alliierten da, verfügbar, auch das Wort. Was Semprun hier teilweise schon im Land standen. beschreibt, ist die unmittelbare Erfahrung eines Überlebenden, eines Augenzeugen, der noch ein- Dieser grausame und sinnlose Tod bedrückt uns mal davongekommen ist und nun Zeugnis von noch heute. Reinhold Frank hat uns in der Nach- dem Schrecklichen ablegt, das er erfahren hat. kriegszeit gefehlt. Seine Freunde, die er um sich scharte, haben ausnahmslos nach dem Zweiten Der Augenzeuge braucht keine Beweismittel und Weltkrieg Ämter beim Aufbau unseres Landes keinen theoretischen Überbau. Er steht mit seiner übernommen. ganzen Person für das, was er erlebt hat und worüber er berichtet. Einen solch unverstellten Woher nahm Reinhold Frank seine Überzeu- Zugang zur Wirklichkeit des Dritten Reiches gung, seine Kraft, seinen Widerstandswillen? haben heute nur noch ganz wenige von uns. Das ist mir urplötzlich aufgegangen, als ich Mehr als ein halbes Jahrhundert ist seit dem völlig unerwartet vor Jahren auf dem Friedhof Ende des NS-Regimes vergangen. Die Zahl der des kleinen oberschwäbischen Weilers Bach- Menschen, die noch aus eigener Erfahrung über haupten stand und dort an der Außenwand des die Schrecken der Nazi-Diktatur berichten Kirchleins einen Epitaph auf Reinhold Frank können, wird immer kleiner. Die Zeugen, die uns fand. Den aufrechten Gang, die Kraftquelle des aus eigener Anschauung von Terror, Krieg und Glaubens und die Immunität gegen den Nati- Gewalt, aber auch vom Widerstand, von Auf- onalsozialismus hat er aus dem Elternhaus, aus opferung und Hingabe berichten können, sterben der Schule, aus seiner oberschwäbischen Hei- und verstummen. Ihr Gedächtnis verwandelt sich mat, in der Hitler und die Nationalsozialisten in in Geschichte. Ihre Erfahrung wird zur Über- keiner freien Wahl der Weimarer Republik, ja lieferung. nicht einmal in der letzten „noch freien Wahl“ des März 1933 eine Mehrheit bekamen. Nie Die Möglichkeit, die Geschichte des Dritten haben sie eine Mehrheit bekommen in dieser Reiches durch bloßes Hinschauen zu erfahren seiner Heimat, sondern fürchterliche Abfuhren. und damit zu erfassen, wie der Zeitzeuge Semprun sie beschrieben hat, haben wir heute Auch all seine Freunde und Weggefährten kamen nicht mehr. Der Tod der Opfer des NS-Regimes aus diesem katholisch-christlichen Milieu. Der steht für uns nicht mehr im Präsens. Ob wir das Christ und Jurist Reinhold Frank hatte auch ein wollen oder nicht - er ist dabei, Geschichte zu

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 werden. Dieser Prozess der Historisierung ist söhnung von Kapital und Arbeit in der sozialen ebenso banal wie unvermeidlich. Die Zeit bleibt Marktwirtschaft und schließlich die europäische nun einmal nicht stehen. Das ist schrecklich und Einigung und eine Friedensordnung in Europa, tröstlich zugleich. Aber dennoch gilt, dass das dies alles wurzelt auch in den furchtbaren Lehren Dritte Reich nicht irgendein beliebiges Kapitel des Dritten Reiches und in dem entschiedenen unserer Geschichte ist oder wird. Wir können es Willen, dass diese Schrecken sich nicht wieder- nicht in der gleichen Weise historisieren wie den holen dürfen. Dreißigjährigen Krieg oder die Judenpogrome des Mittelalters. Dazu liegt es uns viel zu nahe. Wir sehen also, dass bei der Historisierung des Dazu geht seine Geschichte uns viel zu sehr an. Dritten Reiches weit mehr auf dem Spiel steht als die Erinnerung an eine Epoche, die all- Aber wie soll unsere Gesellschaft die Erinnerung mählich immer weiter in die Geschichte an jene furchtbaren zwölf Jahre wach halten, zurücksinkt. Was auf dem Spiel steht, ist nicht wenn es keine Zeugen mehr gibt, die aus eigener nur die Geschichte, sondern ist unsere Gegen- authentischer Erinnerung über diese Zeit wart und unsere Zukunft. Was bedeutet es für berichten können? Wie wollen wir junge Men- uns, wenn das „Nie wieder“ der Jahre nach 1945 schen gegen die Verführungskraft radikaler mit wachsendem zeitlichem Abstand zum Heilslehren schützen, wenn niemand mehr da ist, Dritten Reich an Unmittelbarkeit und an Unbe- der aus eigener Anschauung berichten kann, dingtheit verliert? Und aus welchen Quellen soll wohin eine solche ideologische Verblendung sich das Engagement für Freiheit, Demokratie führen kann? Was soll in Zukunft an die Stelle und Menschenrechte, für die europäische des Augenzeugenberichtes treten? Wie sollen wir Einigung, für eine stabile Weltfriedensordnung mit der Geschichte des Dritten Reiches um- speisen, wenn die Lehren des Dritten Reiches gehen? verblassen? Diese Fragen müssen sich vor allem diejenigen stellen, die in naiver und leichtsin- Die Lehren, die wir aus dem Dritten Reich niger Weise glauben, es sei nun allmählich an der gezogen haben, sind nicht einfach Geschichte, Zeit, einen Schlussstrich unter das düsterste sondern sie sind Gott sei Dank bis heute Kapitel der deutschen Geschichte zu ziehen. bestimmend für unsere Gegenwart geblieben. Aber die Geschichte kennt keine Schlussstriche. Unser langjähriger Bundespräsident Richard von Was sie kennt, sind Lehren und Beispiele, Weizsäcker hat einen zunächst gar nicht so positive wie negative, und es liegt allein an uns, verständlichen Satz geschrieben, über den ich ob wir uns diesen Lehren stellen oder ob wir uns viel nachgedacht habe. Er sagt, die Weimarer ihnen verweigern. Republik ist nicht daran zugrunde gegangen, dass es zu viele Kommunisten gab. Sie ist nicht Wer meint, man könne heute oder in naher daran zugrunde gegangen, dass es zu viele Zukunft über die Menschheitsverbrechen des Nationalsozialisten gab. Sie ist daran zugrunde Dritten Reiches genauso reden wie über jede gegangen, dass es zu wenig Demokraten gab. beliebige andere Epoche unserer Geschichte, der Und das ist doch wohl eine der wichtigsten übersieht nicht nur das große Leid der Opfer der Folgerungen, die wir ziehen müssen. NS-Diktatur, er übersieht den durch Gewalt verursachten, je persönlichen Tod von Millionen Für viele politisch engagierte Menschen aus von Menschen. Er übersieht auch die prägende meiner Generation waren die Erfahrungen von Kraft, die die Erfahrung der Schrecken des Gewalt und Diktatur prägend für den eigenen Dritten Reiches für die freiheitlich-demokra- Weg zu einem politischen Engagement. Was uns tische Grundordnung unseres Landes hatte und damals beseelte und motivierte, war ein ent- hat. Der Umgang mit der Geschichte hat unmit- schiedenes „Nie wieder“. Nie wieder Krieg, nie telbare Auswirkung auf unsere Gegenwart. wieder Gewaltherrschaft, nie wieder sollten in Vergangenheit ist nichts Abgeschlossenes. Die unserem Land Menschenrechte mit Füßen Perspektive, aus der ich meine Vergangenheit getreten werden. Dieses „Nie wieder“ beseelte betrachte, beeinflusst immer auch meine Gegen- auch die Väter und Mütter des Grundgesetzes. wart und Zukunft. Aus der Geschichte kann man Die Bundesrepublik, ihre Grundrechte, ihre nur lernen, wenn man sie nicht aus dem tag- föderale Ordnung mit einer Teilung und Kon- täglichen Abwägen in Entscheidungsprozessen trolle der Macht, ihr Bekenntnis zum frei- verbannt. Geschichtslosigkeit führt in Beliebig- heitlichen und sozialen Rechtsstaat, die Aus- keit.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Der israelische Philosoph Avishai Margalit weist rung“ beschreibt die Tatsache, dass eine Gruppe in seinem Büchlein „Ethik der Erinnerung“ von Menschen die gleiche Erfahrung gemacht darauf hin, dass Erinnern und Vergessen keine hat. Eine „geteilte Erinnerung“ dagegen ist eine ethisch neutralen Handlungen oder Vor- Erinnerung, die niemals abgeschlossen ist, kommnisse sind. Vielmehr sind sie eingebettet in sondern über die immer wieder neu nachgedacht tief liegende Vorstellungen vom ethisch Ange- und auch gestritten wird. Die geteilte Erinnerung messenen und vom Moralisch Gebotenen. Für ist auf Institutionen angewiesen, die diese Er- Margalit ist die Erinnerung die Grundvoraus- innerungsarbeit ermöglichen und unterstützen. setzung für Mitleid und Solidarität. Wer sich Archive gehören dazu, Museen gehören dazu, nicht erinnert, verweigert den Opfern seine ebenso wie Gedenkstätten, Straßennamen, Denk- Anteilnahme und sein Mitgefühl. Deshalb ist die mäler oder Veranstaltungen wie die, zu der wir Erinnerung nicht einfach nur ein memo-tech- uns heute versammelt haben. Gerade jetzt, wo nischer Vorgang, sondern eine Handlung, die die Zahl der Augenzeugen immer kleiner wird, sich an ethischen Maßstäben messen lassen die die Geschichte des Dritten Reiches authen- muss. tisch vermitteln können, gewinnen diese Institu- tionen der Erinnerung an Bedeutung. Ich möchte dem noch einen weiteren Gedanken hinzufügen: Wer sich nicht erinnert, weigert sich, Gedenkstätten sind authentische Orte der Er- aus der Geschichte zu lernen. Er verweigert sich innerung, sie sind wichtige Forschungsstätten - sich und anderen - die Erlösung, deren Ge- und nicht zuletzt wirken sie mit ihrer Arbeit auch heimnis, wie es in einem alten jüdischen Sprich- in die Gegenwart hinein, indem sie bei den wort heißt, die Erinnerung ist. In einer solchen Besuchern das Bewusstsein für Demokratie und Ethik der Erinnerung sehe ich den eigentlichen Menschenwürde stärken und sie zum Eintreten Schlüssel zu einem angemessenen Umgang mit gegen Totalitarismus, Extremismus, Antisemitis- der Geschichte des Dritten Reiches. Wir können mus und Fremdenfeindlichkeit ermutigen. Für das Verschwinden der Zeugen und die Historisie- die baden-württembergische Landesregierung rung nicht aufhalten. Aber es liegt sehr wohl in war und ist die Gedenkstättenarbeit deswegen unserer Hand, mit welcher Haltung wir die ein wichtiges Anliegen. Wir wollen, dass an Erinnerung an diese düsterste Epoche pflegen Orten der Erinnerung das Andenken an die und welche Lehren wir daraus ziehen. Menschen wach gehalten wird, die das national- sozialistische Unrecht nicht tatenlos hinge- Wir brauchen, wie der langjährige tschechische nommen haben. Staatspräsident Havel formuliert hat, die natür- liche Ehrfurcht vor dem unendlichen Leiden Der Philosoph Hans Jonas, der nach der unserer Nächsten. Diese Grundhaltung muss Machtergreifung Hitlers aus Deutschland fliehen unsere Erinnerung an das Dritte Reich, unsere musste, hat einmal darauf hingewiesen, dass das Auseinandersetzung mit seiner Geschichte Dritte Reich ein gestörtes Verhältnis zur Zeit bestimmen. „Zerreißt den Mantel der Gleich- gehabt habe. In den jüngeren Anhängern des gültigkeit, den Ihr um Euer Herz gelegt habt“, Nationalsozialismus sah Jonas eine Generation, heißt es im fünften Flugblatt der Weißen Rose die sich anschickte, um der Zukunft Willen die vom Januar 1943. Mitleid und Solidarität mit den Gegenwart zu verschenken. Im Glauben an die Opfern muss auch die ethische Richtschnur für utopischen Verheißungen ihrer Führer luden sie unseren Umgang mit der Geschichte des Dritten zum Teil schwere Schuld auf sich selbst und Reiches sein. Der leidenschaftliche Aufruf brachten großes Unglück über andere Völker, „Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit“ gilt aber auch über unser eigenes Land. Wenn ich auch uns und unserer Erinnerung an die Zeit der diese Zeitdiagnose von Hans Jonas auf unsere NS-Diktatur. gegenwärtige Gesellschaft übertrage, sehe ich IV. eine andere Tendenz. Ich frage mich, ob wir nicht manchmal Gefahr laufen, im Namen einer Ein zweiter Punkt ist mir in diesem Zusam- naiven Gegenwartsgläubigkeit unsere Geschich- menhang noch wichtig: Erinnerung ist mehr als te zu verschenken. Aber wer sich seiner Ge- ein individueller Akt des Einzelnen. Margalit schichte nicht stellt, der entzieht auch seiner unterscheidet in seiner „Ethik der Erinnerung“ Gegenwart und der Zukunft den Boden. Auch zwischen der gemeinsamen und der geteilten aus diesem Grund wende ich mich gegen eine Erinnerung. Der Begriff „gemeinsame Erinne- Schlussstrichmentalität und gegen die Vor-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 stellung, dass man das Dritte Reich genauso be- schien über Nacht an einer Reihe Münchener trachten könne wie jede andere Epoche unserer Häuser gleichzeitig die Aufschrift „Der Geist ist Geschichte. lebendig“. Ihr Geist möge lebendig bleiben in unserem Volk. „Aus Schweigen wird Verschweigen“, sagt Fritz Stern. Die Erinnerung an das Dritte Reich hat für Erwin Teufel mich über das politische und historische Inte- resse hinaus eine hohe moralische Bedeutung, die sich vor allem aus zwei Quellen speist: Erstens aus dem Mitleid mit den Opfern und mit den Angehörigen der Opfer, und zweitens aus dem Willen, eine Lehre aus dem düstersten Kapitel unserer Geschichte zu ziehen, damit es sich niemals wiederholt. Die Erinnerung an diese schreckliche Zeit darf nicht allein in den luftleeren Raum der theoretischen Reflexion oder einer hohlen Betroffenheitskultur verbannt werden, sondern sie muss einen Platz in unserem Leben, das heißt in unserem Fühlen und Erkennen und Handeln behaupten. Keinem Nachgeborenen bleibt vor seinem Gewissen die Frage erspart, wo er gestanden hätte. Bei den Verbrechern? Bei den Widerstandskämpfern? Bei den Begeisterten? Bei den Mitläufern? Bei denen, die sich recht und schlecht durchge- schlagen haben? Bei den Opfern? Bei den Tätern?

Es geht mir nicht um nachgeholten Widerstand, sondern um unser Verhalten heute. Mitleiden mit Menschen, die in Not sind im eigenen Land und weltweit. Hinschauen und nicht wegsehen. Helfen und heilen durch das Wort und das gelebte tätige Beispiel müssen Kategorien unseres eigenen Verhaltens heute sein. Das Mitleiden rettet uns, sagt Jan Sobrino. Werte und Überzeugungen – und genau darum geht es, wenn wir an die Opfer des Nationalsozialismus und den Widerstand gegen Hitler erinnern – Werte und Überzeugungen gewinnen ihre Be- deutung nicht dadurch, dass wir sie deklamieren, sondern erst dann, wenn wir unser Handeln an ihnen ausrichten. Genau darum geht es, wenn wir an die Opfer des Nationalsozialismus und den Widerstand gegen Hitler erinnern. Reinhold Frank hat dies getan. Es war für ihn die Konsequenz aus einer christlich-humanistischen Werthaltung. Für die Verteidigung dieser Werte gegen ein verbrecherisches Regime hat er sein Leben geopfert. Reinhold Frank hat den Mantel der Gleichgültigkeit zerrissen, und dies unter den Bedingungen des Terrors. Wir verneigen uns heute in Ehrfurcht und Dankbarkeit vor ihm und vor allen Gleichgesinnten. Wenige Tage nach der Hinrichtung von Hans und Sophie Scholl er-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Die andere Seite der Tyrannei. Vortrag bei dem Kolloquium „Justiz und Verwaltung: Stützen des NS-Regimes und zugleich Voraussetzung des Holokaust?“

Unter den wenigen bekannt gewordenen Rich- Räume erlebt hatte, war von den obersten tern oder anderen Angehörigen der Justiz, die Justizorganen nicht viel zu hoffen“. sich in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft offen dem Unrecht widersetzt Man möchte meinen, dass der spätere Präsident haben, ragt der Name von Lothar Kreyssig her- des Volksgerichtshofes einer solchen Haltung vor. Er war beim Amtsgericht Brandenburg/ eines Richters mit schärfster Ablehnung, wenn Havel als Vormundschaftsrichter tätig und hatte nicht gar, wie in seinen Verhandlungen, mit in dieser Eigenschaft von der „Euthanasie“- unkontrollierter Wut begegnete. Erstaunlicher- Aktion erfahren, durch die seit Anfang 1940 weise war das nicht der Fall. Freisler meinte aufgrund eines Geheimbefehls Hitlers viele der zwar, dass der Wille des „Führers“ eine Rechts- in Heil- und Pflegeanstalten untergebrachten grundlage darstelle, war aber - so Kreyssig - psychisch Kranken von dort in Tötungsstellen „sichtlich bemüht, meine kritische Einstellung in verbracht und dort ermordet wurden; die Aktion gewisser Weise aufzunehmen und zu zeigen, daß forderte bis zu ihrer Einstellung, die auch durch auch er den Dingen nicht unkritisch gegenüber- öffentliche Proteste wie insbesondere die von stand“. Kardinal Graf zu Galen bewirkt wurde, zehn- tausende von Toten. Kreyssig untersagte den In einem zweiten Gespräch, das etwa einen Leitern der Heil- und Pflegeanstalten in seinem Monat später stattfand, ging Kreyssig noch Bereich, betreute Personen ohne seine Zu- weiter und erklärte, er würde jetzt die für die stimmung zu verlegen. In einer an das Reichs- Euthanasieaktion Verantwortlichen wegen Mor- justizministerium gerichteten Denkschrift ma- des anzeigen. Zu seinem Erstaunen bestärkte ihn chte er im Juli 1940 auf die ihm bekannt gewor- Freisler in diesem Vorhaben, nannte ihm den denen Umstände aufmerksam1. Kreyssig war Reichsleiter in der Kanzlei des „Führers“ als den einer von damals etwa 1400 Vormundschafts- mit der Durchführung der Tötungsaktion Be- richtern, und von keinem anderen sind ähnliche fassten und die Generalstaatsanwaltschaft beim Proteste oder Gegenvorstellungen bekannt ge- Kammergericht als die für eine Strafanzeige worden. zuständige Stelle. Natürlich blieb die Anzeige ohne Ergebnis, ebenso wie auch eine weitere Kreyssig selbst berichtet über das Gespräch, das Eingabe in dieser Sache an die Reichskanzlei, im Sommer 1940 auf seinen Protest hin im die Kreyssig im Frühjahr 1941 unternahm. Reichsjustizministerium stattfand. Sein Ge- sprächspartner war der damalige Staatssekretär Aber der Richter, der nach Vermerk des Roland Freisler, der spätere Präsident des Kammergerichtspräsidenten „von einer durch Volksgerichtshofes, dessen Rolle vor allem in den nationalsozialistischen Staat herbeigeführten dem Verfahren gegen die am 20. Juli 1944 Rechtsnot des deutschen Volkes“ gesprochen Beteiligten als schrecklichstes Symbol einer hatte, wurde nicht etwa bestraft oder verfolgt, enthemmten, nationalsozialistisch ideologi- sondern lediglich - auch auf eigenen Antrag - sierten Blutjustiz gilt. Freisler begegnete einem unter Beibehaltung der Ruhestandsbezüge in den Richter, der im März 1940 in dem gegen ihn Ruhestand versetzt; das gegen ihn eingeleitete eingeleiteten Dienststrafverfahren seine Be- Dienststrafverfahren wurde eingestellt. Die bei obachtung schriftlich niedergelegt hatte, „daß Richtern oder Verwaltungsbeamten, die in neben z.B. den Konzentrationslagern nun auch Vorgänge der damaligen Zeit verstrickt waren, die Heil- und Pflegeanstalten vollkommen vom gern vorgebrachte Schutzbehauptung, man habe Recht ausgenommen sind“, und der nach eigener Schlimmeres verhüten wollen oder hätte, wäre Bekundung meinte: „nach dem, was ich seit man dem Unrecht entgegengetreten, „den Kopf 1933 über die schrittweise Entfernung und riskiert“, ist zumindest im Falle des Richters Verkehrung von Rechtsetzung und Rechtsübung, Kreyssig widerlegt, der sich damals, gerade über die seuchenhafte Ausbreitung rechtsfreier Mitte vierzig Jahre alt, als Ruheständler seinem

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Bauernhof widmen konnte, auch nicht Soldat urteilt worden. Viele Jahre lang hat die Recht- werden musste und der übrigens nach dem sprechung des Bundesgerichtshofes es abge- Kriege eine angesehene Rolle in der Evan- lehnt, die vom Volksgerichtshof gefällten Todes- gelischen Kirche spielte. Er gehört zu den ganz urteile als Rechtsbeugung zu verurteilen, mit der wenigen Richtern, die dem nationalsozialis- Begründung, dass gerade der Fanatismus und tischen Unrecht entgegentraten. die ideologische Verbohrtheit der hieran be- teiligten Richter und Staatsanwälte sie daran hinderte, die Verurteilungen als vorsätzlichen Gehilfen der Macht Verstoß gegen das Recht zu verstehen. Je mehr also der beteiligte Richter oder Staatsanwalt von Die große Mehrzahl der in dieser Zeit tätigen dem NS-Gedankengut erfüllt war, desto weniger Richter übte ihre Ämter weiter aus, als sei nichts konnte ihm der Vorwurf gemacht werden, das geschehen, sie wendeten die Gesetze an, ohne Unrecht zu erkennen, an dem er beteiligt ge- sich die Frage zu stellen, ob diese Recht oder wesen war. Unrecht darstellten. Die wenigen, die nach 1945 zur Rechenschaft gezogen wurden, verteidigten Erst als viele Jahre nach dieser Rechtsprechung sich, sofern sie überhaupt die Willkürherrschaft die Beteiligung von DDR-Richtern an Unrechts- wenigstens nachträglich einräumten, oft mit der urteilen, zu denen auch Todesurteile gehörten, Behauptung, sie hätten Schlimmeres verhüten zum Gegenstand von Gerichtsverfahren wurde, wollen. So bezeichnete , bis änderte der Bundesgerichtshof in einer be- 1942 Staatsekretär im Reichsjustizministerium merkenswerten Entscheidung vom November und später amtierender Reichsjustizminister, vor 1995 diese Rechtsprechung. Sie sei „auf erheb- dem amerikanischen Militärgerichtshof 1947 die liche Kritik gestoßen, die der Senat als berechtigt Justiz in der Zeit der NS-Herrschaft als eine erachtet“. „Durch Willfährigkeit gegenüber den „einsame, umbrandete Insel“: „Ich mußte er- politischen Machthabern abgestumpfte Täter leben, wie die Gewalt immer wieder anstürmte einer Rechtsbeugung sind hiernach nicht aus und wie man dieser Gewalt, um sie nicht völlig subjektiven Gründen straflos. ...Ein Richter, der triumphieren zu lassen, gewisse Opfer bringen in blindem Gehorsam gegenüber staatlichen mußte“. Machthabern meint, sich auch dann im Einklang mit Recht und Gesetz zu befinden, wenn er über die Grenzen des gesetz- lich Zulässigen hinaus den Willen der Staatsführung vollzieht und dabei in der geschilderten Weise Menschen- rechte verletzt, unterliegt keinem den Vorsatz (der Rechtsbeugung) berüh- renden Irrtum” ... „Hätte sich die Rechtsprechung schon damals bei der Prüfung richterlicher Verantwortung für Todesurteile an Kriterien orien- tiert, wie sie der Senat in seiner heutigen Entscheidung für Recht erkennt, hätte eine Vielzahl ehema- liger NS-Richter strafrechtlich wegen Freisler bei einer Verhandlung. Rechtsbeugung in Tateinheit mit Kapital- Bundesarchiv, Bild 151/2/42A verbrechen zur Verantwortung gezogen werden müssen. Naheliegend wären viele von ihnen ... Gescheitert ist der Versuch, wenigstens die entsprechend zu verurteilen gewesen. ... Darin, Richter für ihre Taten einstehen zu lassen, die daß dies nicht geschehen ist, liegt ein folgen- als Mitglieder des Volksgerichtshofes oder der schweres Versagen bundesdeutscher Strafjustiz”. anderen Sondergerichte in besonders eindeu- Dies war eine späte Erkenntnis. Sie kam zu spät tiger Weise Gehilfen und Vollstrecker des Un- für die gerichtliche Nachprüfung des Verhaltens rechtsregimes gewesen sind. Nicht ein einziger von Richtern oder Staatsanwälten in der NS-Zeit, Richter des Volksgerichtshofes ist jemals für deren Taten inzwischen verjährt sind. seine Beteiligung an den NS-Verbrechen ver-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Justiz als Herrschaftsinstrument Verfolgung unterdrückter Teile der Bevölkerung des NS-Regimes auch juristisch guthießen.

Es reicht aber nicht aus, auf das besonders Die Nürnberger Gesetze von 1935, insbesondere offenkundige Unrecht zu verweisen, das mit dem das Blutschutzgesetz, wurden durch die Recht- Justizterror durch den Volksgerichtshof oder sprechung des Reichsgerichts noch weit über durch die Sondergerichte etwa bei der An- ihren Wortlaut hinaus auf z. B die nicht wendung der Polen-Strafrechtsverordnung ver- ausdrücklich für strafbar erklärten Auslands- bunden war. Auch die normale, in ihrem Aufbau, beziehungen ausgedehnt. Aufgabe der Justiz sei ihrem richterlichen Personal und - abgesehen es nicht, wie es in einer Entscheidung des von den Ausnahmegerichten - in ihrer Zu- Großen Senats des Reichsgerichts heißt, bei der ständigkeit gegenüber der Weimarer Zeit unver- Gesetzesauslegung „am Wortlaut zu haften“; die änderte Justiz war an dem Unrecht beteiligt und Rechtsprechung müsse in das „innerste Wesen“ wurde zu einem der Herrschaftsinstrumente des des Gesetzes eindringen und zu ihrem Teile NS-Regimes. mithelfen, die Ziele des Gesetzgebers - das war unter den damaligen Umständen der „Führer- Gewiss wurden in den Zivilgerichten die wille“ - zu verwirklichen. Oberstes Gesetz sei üblichen Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage die Einfühlung in die Absichten der gesetz- des Bürgerlichen Gesetzbuches und anderer gebenden politischen Führung. Wenn sich Gesetze behandelt und erledigt, und die Straf- ergebe, daß ein Gesetz bestimmte Fragen nicht justiz beschäftigte sich mit der alltäglichen ausdrücklich geregelt habe, so sei es „Recht und Kriminalität, wie Ladendiebstählen und Be- Pflicht der Rechtsprechung, aus der Gesamtheit trügereien. Allein schon die mit dem Kriegs- der gesetzlichen Bestimmungen zu entnehmen, beginn bestehenden Verhältnisse veränderten welche Lösung dem Willen des Gesetzgebers auch die Reaktionen der Justiz und führten zu und dem gesunden Volksempfinden entspricht“2. zunehmender Härte bei der Aburteilung etwa von Diebstählen unter Ausnutzung der Verdunkelung Die Richter, die solches in ihre Entscheidungen oder nach Luftangriffen; hinzu kamen neue, schrieben, waren ganz überwiegend keine barbarisch angewandte Straftatbestände wie das fanatischen Nationalsozialisten - deren Anteil an Abhören von Feindsendern, das zur Todesstrafe der Richterschaft nach 1933 wird auf etwa 10 führen konnte oder der vage, jedem rechts- Prozent geschätzt -, sondern zumeist waren sie staatlichen Empfinden widersprechende Tatbe- schon in der Weimarer Zeit im Amt gewesen und stand der „Wehrkraftzersetzung“, der jede blieben bis auf die Richter, die aus rassischen skeptische Bemerkung über die Kriegslage oder und politischen Gründen 1933 entlassen wurden, jeden Witz zu einer tödlichen Gefahr machen im Amt. Im größten Oberlandesgerichtsbezirk konnte. An solchen Verfahren sind viele Richter Hamm wurden von 613 Richtern 31 aus solchen beteiligt gewesen. Die normalen, zivilen Straf- Gründen entlassen; 95 Prozent behielten ihr Amt gerichte haben während der NS-Zeit etwa 16.000 während der NS-Zeit bei oder wurden nur Todesurteile verhängt, die zumeist auch voll- allmählich beim Erreichen der Altersgrenze streckt wurden. Hinzu kamen etwa 25.000 ersetzt3. Wer nicht über SA oder SS Karriere Todesurteile der Kriegsgerichte. Demgegenüber machte und vielleicht durch besonders regime- hat das faschistische Italien zwischen 1931 und treues Verhalten seine Aufstiegschancen in der 1943 nur 88 zum Tode Verurteilte hingerichtet. Justiz verbessern konnte, durchlief, wie vor und nach dieser Zeit, die richterliche Laufbahn nach Auch in das scheinbar ideologiefreie Zivilrecht den üblichen Kriterien, wie der durch das drang die NS-Weltanschauung ein, so etwa, Examen nachgewiesenen fachlichen Befähigung. indem Juden der Kündigungsschutz für Miet- wohnungen durch die Rechtsprechung ver- Im höchsten Gericht, dem Reichsgericht in weigert wurde oder diesen bei der Anwendung , gehörten immerhin knapp die Hälfte der der zivilrechtlichen Generalklauseln, etwa des Richter der NSDAP an. Das Reichsgericht war § 242 BGB, der Rechtsschutz genommen wurde. schon vor 1933 durch antirepublikanische und Es gibt auch einzelne Entscheidungen von autoritäre Neigungen hervorgetreten und be- Zivilrichtern, die sich diesem Trend wider- mühte sich nach der Machtergreifung, den setzten, aber die meisten folgten widerspruchslos Erwartungen der Machthaber zu entsprechen. den Entscheidungen höherer Gerichte, die die Dabei wurde kein erkennbarer Druck von außen

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 auf das Gericht ausgeübt. Der Umstand, dass von hinein und auf der Straße inszenierten Radauauf- den 110 Richtern und Staatsanwälten 54,5 Pro- tritten und Schlägereien, Sympathie entgegen- zent aus Akademikerfamilien und 40,5 Prozent brachten. aus Familien mit anderem bürgerlichen Hinter- grund stammten, erklärt wenig4. Auch die ge- Hitler hat die Richter und das Recht auch nicht zielte Heranführung von aus Arbeiter- oder geliebt. In seinen Äußerungen finden sich viele Bauernfamilien stammenden jungen Juristen an abfällige Bemerkungen über die Juristen. Noch den Richterberuf, wie er später in der DDR in seiner Reichstagsrede vom 25. April 1942 sagt stattfand, hat die dortige Justiz nicht vor er, er werde „Richter, die ersichtlich das Gebot Irrwegen und der Anpassung an die Macht- der Stunde nicht erkennen, ihres Amtes ent- strukturen bewahrt. heben“. Golo Mann spricht in seiner Darstellung jener Zeit davon, dass in den ersten Wochen nach der Machtergreifung, als Görings Polizeiterror Die „Magie von Gesetz und Recht“ gegen die Verfassung verstieß, die Gerichte noch hiergegen einschritten, die Freilassung von Man kann wahrscheinlich davon ausgehen, dass Verhafteten verfügten und Zeitungsverbote auf- den meisten Richtern, die 1933 die Macht- hoben. Dies - so Golo Mann - wandelte sich ergreifung durch die Nationalsozialisten er- durch die Notverordnung von 28. Februar und lebten, die neuen Herrscher unangenehm und das Ermächtigungsgesetz - „diese beiden Tricks unheimlich waren. Dass sie zum großen Teil der genügten, um den ganzen ungeheuren Apparat Weimarer Demokratie skeptisch oder offen des Rechtsstaats den Terroristen zu unter- ablehnend gegenüberstanden, war eine Haltung, werfen“. Es war die „Magie von Gesetz und die sie mit vielen Angehörigen der bürgerlichen Recht“; die Epoche ist charakterisiert durch „das Schichten teilten. Doch wenig spricht dafür, dass Versteckspielen zwischen Recht und Unrecht, sie den „Proleten“, als die sie die Machthaber dies Weitermachen des Normalen, Gesetzlichen bezeichneten – mit deren brutalem und unzivi- unter dem Dach des Verbrechens“. lisiertem Auftreten, den bis in den Reichstag

Nach dem Kolloquium (v.l.): Prof. Majer, Universität Karlsruhe, Prof. Benda, Präsident des Bundesverfassungsgerichts a.D., Bundesinnenminister a.D., Prof. Goll, Justizminister des Landes Baden-Württemberg. Foto: Rainer Wollenschneider

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Hinzu kam der persönliche Mythos des Reichs- die eine Seite der Tyrannei; um das Ganze zu präsidenten Hindenburg, von dem das Volk erfassen, muß man aber beide zugleich im Auge annahm, er und die würden eigent- haben“. lich Verbrecherisches nicht hinnehmen, und so war das, was sie billigten, nicht eigentlich böse, Das Grundgesetz ruft dazu auf, dass der Richter obgleich es so aussah. Eine ähnliche und für Gesetz und Recht zu achten hat, und es stellt die Bürokratie und Justiz besonders wichtige Funk- Instrumente bereit, um dem vor allem in der tion hatten die bürgerlichen Minister im Reichs- Verfassung normierten höheren Recht auch dann kabinett, die als Garanten des fortbestehenden Geltung zu verschaffen, wenn der Gesetzgeber Rechtsstaates erschienen. Golo Mann meint: sich dieser Bindung nicht bewusst ist oder „Die nackte Alleinherrschaft von Gangstern hiergegen verstößt. Die Erinnerung daran, dass hätten die Deutschen sich 1933 nicht gefallen Richter in einer dunklen Zeit zu Gehilfen des lassen, hätte der feine Organismus… nicht aus- Unrechts geworden sind, dass sie bewusst oder gehalten. Hier mußte das Anomale, Ungesetz- aus mangelndem Rechtsbewusstsein unwil- liche sich hinter dem Normalen Gesetzlichen lentlich zu Mitwissenden und Mitwirkenden verbergen, sonst hätte die Bürokratie nicht mit- geworden sind, sollte wachgehalten werden. Sie gemacht, ohne die Deutschland nicht leben hilft uns, jede Wiederholung schon in Ansätzen konnte“5. zu verhindern.

Das sind Versuche, das Unerklärliche zu er- klären. Die Älteren, die diese Zeit bewusst miterlebt haben, werden das besser verstehen als die Jüngeren, die heute beim Anblick einer alten Wochenschau, in der Hitler erscheint, völliges Anmerkungen Unverständnis äußern über die Faszination, die von diesem Menschen ausging. Und auch der 1) Vgl. hierzu die Schilderung von Susanne Willems, Lothar junge Jurist von heute muss erschrecken, wenn Kreyssig. Vom eigenen verantwortlichen Handeln. Eine er einzelne Entscheidungen aus der damaligen biographische Studie zum Protest gegen die Euthanasie- verbrechen in Nazi-Deutschland, Göttingen 1995. Zeit liest, die von nicht als Fanatikern hervorge- 2)Vgl. hierzu Gerhard Werle, „Das Gesetz ist Wille und tretenen ganz normalen, dem Recht verbundenen Plan des Führers“ – Reichsgericht und Blutschutzgesetz, und doch selbst dem offenkundigen Unrecht NJW 1995, S. 1267 ff. gegenüber zumindest ahnungslosen Richtern 3) Theo Rasehorn, Richterbriefe und Rechtspflege heute, in: verfasst worden sind. Es gibt leider auch ge- H. Boberach (Hrsg.), Richterbriefe, Boppard 1975, S. 485 f. nügend Äußerungen von nach 1945 hochange- 4) Zu den Angaben über das Reichsgericht vgl. Klaus Bästlein, Als Recht zu Unrecht wurde, Aus Politik und sehenen Staatsrechtslehrern, die zwischen 1933 Zeitgeschichte B 13-14/89 vom 24.3.1989, S. 3 ff, 15 f. und 1945 dazu beigetragen haben, das Recht und 5) Golo Mann, Deutsche Geschichte des 19. und 20. die Justiz zu korrumpieren und sie zu einem Jahrhunderts, Frankfurt 1958, S. 840 f. Werkzeug des staatlich organisierten Terrors zu machen. Der Glaube an das gesetzte Recht, der Rechtspositivismus, war, wie die Begegnung zwischen Lothar Kreyssig und Roland Freisler zeigt, bis in die Führungsschichten der Justiz hinein fest verankert, und er hat das Bewusstsein, dass auch gesetztes Recht tiefstes Unrecht sein kann, zerstört.

Alexis de Tocqueville hat davon gesprochen, dass man mühelos neben jedem Despoten einen Juristen finden kann, „der dessen Willkürakte in eine Ordnung und Übereinstimmung bringt. Die einen liefern die Macht, die anderen das Recht. An dem Schnittpunkt, an dem sie sich begegnen, entsteht ein Despotismus, der der Menschheit kaum die Luft zum Atmen läßt; wer nur an den Fürsten denkt, nicht an den Juristen, kennt nur

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 „Wechselwirkungen. Frühe Wege zur Souveränität in Deutschland“. Rede bei der Ausstellungseröffnung

Die Ausstellung, zu deren Eröffnung wir heute Deutsche Reich existierte fort, besaß aber keine hier zusammengekommen sind, könnte auch den Regierung. Die Verhandlungen über einen deut- Titel tragen: „Das dritte Newtonsche Axiom und schen Friedensvertrag scheiterten in den Nach- der Kampf der beiden deutschen Staaten um die kriegsjahren an der mangelnden Bereitschaft der Anerkennung ihrer Unabhängigkeit und Selbst- Alliierten, ihren Einfluss in und auf Deutschland bestimmung“. Doch wer kommt schon auf die aufzugeben. Der Zonenzusammenschluss im Idee und verquickt das physikalische Prinzip mit Westen und die Abgrenzung der Ostzone sowie zeitgeschichtlichen Vorgängen? Haben sie wirk- die parallel betriebene Gründung der beiden lich nichts miteinander zu tun? deutschen Staaten war bereits eine erste Wech- selwirkung. Die Westmächte taten den offiziellen Ältere, aber durchaus auch jüngere Herrschaften Schritt, gründeten die Bundesrepublik Deutsch- unter uns kennen den Begriff aus den Beipack- land und stellten sie vom 21. September 1949 an zetteln von Pillen und Tropfen. In der Pharmazie unter Besatzungsstatut, während Stalin für die kann es durch die Gabe von mehreren Medi- Teilung öffentlich nicht verantwortlich sein kamenten zwischen ihnen zu „Wechselwir- wollte, jedoch anschließend im Oktober 1949 die kungen“ kommen, wenn die Wirkung eines Me- DDR-Gründung zuließ. dikaments ein anderes verstärkt, abschwächt oder sogar ganz aufhebt. Im Grunde ist hier nur Bundeskanzler Adenauer war bestrebt, die drei das Prinzip von actio und reactio gemeint, eben Westmächte möglichst schnell zur Beendung des das von Isaac Newton erkannte Phänomen. Eine Besatzungsregimes zu bewegen. Sein Angebot Person in einem Boot mit Steinen beginnt, diese eines deutschen Verteidigungsbeitrags als Reak- aus dem Boot zu werfen. Was passiert? Das Boot tion auf die in der DDR sich im Aufbau be- fängt mit jedem Steinwurf an, sich in die entge- findende kasernierte Volkspolizei bot dazu den gengesetzte Wurfrichtung zu bewegen. Die Hebel und war die zweite große Wechselwir- Person drückt zwar die Steine von sich weg - kung. Mit seiner Politik der Westbindung wollte vollzieht also eine actio -, doch drücken die er vier Ziele erreichen: für die Bundesrepublik Steine in gleicher Weise auch die Person und Handlungsfreiheit herstellen, Sicherheit und damit das Boot von sich fort - es folgt die reactio. Schutz vor einem Angriff der Sowjetunion er- Nicht viel anders verhielt es sich in der Deutsch- langen, die Westmächte verpflichten, das Ziel landpolitik Anfang der 1950er Jahre. Je mehr der Wiedervereinigung zu unterstützen, und jede Seite Ballast der Kriegszeit von sich ge- ihren Schutz für West-Berlin gewährleistet worfen und Schritte zur Unabhängigkeit ein- sehen. geleitet hatte, desto mehr entfernten sich die beiden deutschen Staaten voneinander - ganz im Aus dem anfänglichen Gedanken Ende 1950/ Sinne des Newtonschen Axiom. Anfang 1951, das Besatzungsstatut durch einen Sicherheitspakt zu ersetzen, entwickelte sich bald ein System von Verträgen. Eckpfeiler waren Die Pariser Verträge der Deutschland-Vertrag vom 26. Mai 1952 und der tags darauf unterzeichnete Vertrag über die Die dicksten Brocken wurde 1955 ins Wasser Gründung der Europäischen Verteidigungs- geworfen. Zu ihnen gehörten die am 5. Mai 1955 gemeinschaft (EVG), die als Rahmen für den in Kraft getretenen Pariser Verträge. Sie mar- deutschen Verteidigungsbeitrag dienen sollte. kierten die erste große Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Zehn Jahre Trotz der Aufstände des 17. Juni 1953 blieben waren vergangen seit der bedingungslosen die Verhandlungen der Vier Mächte auf der Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8. Berliner Konferenz im Januar/Februar 1954 Mai 1945 und der Übernahme der obersten erfolglos. Während die Westmächte in erster Gewalt in Deutschland durch die vier alliierten Linie endlich die Ratifikation der Verträge unter Hauptsiegermächte des Zweiten Weltkriegs am Dach und Fach bringen wollten, tat die sowje- 5. Juni 1945. Damit begann das Übel: Das tische Führung alles, die Eigenständigkeit der

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 DDR gegen die Isolierungs- und Nichtan- und DGB am 29. Januar 1955 an die Spitze einer erkennungspolitik des Westens zu stärken. In Protestkundgebung in der Frankfurter Pauls- einer einseitigen Erklärung vom 25. März 1954 kirche und verabschiedeten ein „Deutsches hatte Moskau mit der DDR „gleiche Bezie- Manifest“. Moskau lockte am 15. Januar 1955 hungen wie mit anderen souveränen Staaten“ mit dem angeblichen Einverständnis, freie aufgenommen und ihr formal bescheinigt, „nach eigenem Ermessen über ihre inneren und äußeren Angelegenheiten einschließlich der Fragen der Beziehungen zu Westdeutsch- land zu entscheiden“. Diese Formulierung stammte – wel- che zufällige Wechselwirkung – fast wortwörtlich aus dem Deutschland-Vertrag von 1952.

Das Mehrheitsvotum der französischen Nationalver- sammlung am 30. August 1954 gegen die Aufnahme der Ratifizierungsdebatte über den EVG-Vertrag stürzte die Westintegrationspolitik in ihre Staatssekretär Hallstein, Kanzler Adenauer und Botschafter größte Krise. Auf den Außen- Blankenhorn während der Konferenz in Paris vom 19. bis 23.10.1954. ministerkonferenzen in Lon- Bundesarchiv, Bild 183-27107-0001 don und Paris Ende Sep- tember und im Oktober 1954 rang Adenauer den Wahlen als ersten Schritt zur Wiedervereinigung drei Westmächten das Zugeständnis ab, den zuzulassen und erklärte den Kriegszustand Deutschland-Vertrag zu modifizieren und das wohlgemerkt mit Deutschland - nicht nur mit der Besatzungsstatut aufzuheben. Die Bundesrepu- DDR – für beendet. Einen Schritt, den die blik Deutschland erhielt demnach „die volle Westmächte bereits im Juli 1951 vollzogen Macht eines souveränen Staates über ihre in- hatten, lange bevor die Verträge im Mai 1952 neren und äußeren Angelegenheiten“. Im Gegen- abgeschlossen wurden. zug zur Verzichtserklärung der Bundesregierung, die Einheit Deutschlands gewaltsam wieder- Die Gegner der Verträge und natürlich die herzustellen, verpflichteten sich die Drei Mächte Regierung in Ost-Berlin führten hauptsächlich vertraglich, die Bundesrepublik bei der fried- drei Argumente ins Feld. Zum einen: Die Auf- lichen Erreichung dieses Ziel zu unterstützen. stellung deutscher Soldaten und ihre Eingliede- Zunächst blieben die alliierten Notstandsrechte rung in die NATO werde die Teilung Deutsch- bestehen, bis die Bundesrepublik 1968 die um- lands besiegeln. Angesichts des Ost-West-Kon- strittenen Notstandsgesetze verabschiedete. flikts wachse die Gefahr, dass Deutschland erneut zum Schlachtfeld einer militärischen Auseinandersetzung werde, möglicherweise so- Wiedervereinigung und/oder Westbindung? gar eines Atomkrieges. Zum anderen: Der Fort- bestand alliierter Vorbehaltsrechte beweise den Im Deutschen Bundestag war die Ratifizierung Mangel an Souveränität der Bundesrepublik. Die der Pariser Verträge heftig umstritten, genau so Notstandsrechte würden es den Drei Mächten wie die Ostverträge der Regierung Brandt/Scheel jederzeit erlauben, die oberste Gewalt wieder an Anfang der 1970er Jahre. Anknüpfend an die sich zu ziehen. Und zudem: Der Deutschland- „Ohne-mich-Bewegung“ im Jahre 1951, mit der vertrag leiste ihnen Vorschub, nichts für die teils Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, linke Wiedervereinigung tun zu müssen. Sie würden Katholiken und Vertreter der Evangelischen die Oder-Neiße-Linie als endgültig betrachten Kirche öffentlich gegen Pläne der Wieder- und sich mit der Teilung zufrieden geben. bewaffnung protestiert hatten, stellten sich SPD

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Hinter diesen Auseinandersetzungen stand die schaft zu dokumentieren, wobei ein aufrichtiger Furcht, nach Ratifikation der Verträge könnten Wille zu Kompromissen bei keiner beteiligten alle Verhandlungen mit der Sowjetunion über die Partei bestand. Statt dessen bevorzugten sie die Wiedervereinigung endgültig gescheitert sein. bewährte Verzögerungspolitik. Im Kern ging es um die politische Frage: Hat die Bundesrepublik mittels Westintegration und Wie- derbewaffnung den richtigen Weg zur Wieder- Der 5. Mai 1955 vereinigung beschritten, oder hat sie mit der Anerkennung machtpolitischer Realitäten Chan- „Wir sind ein freier und unabhängiger Staat“, der cen vergeben? Und es ging um die moralische „jetzt die Souveränität und damit die Freiheit Frage: Hätte sie nicht aus Verantwortung für das zurückgewonnen“ hat, verkündete Bundeskanz- ganze Deutschland auf die Westintegration zu- ler Adenauer am 5. Mai 1955 stolz und stärkte gunsten einer unbestimmten Wiedereinigungs- damit das Selbstbewusstsein der jungen Bundes- option verzichten müssen? Nach Ratifizierung republik. Doch wusste er genau: Ihre Souveräni- der Verträge im März 1955 schwelte dieser Streit tät war politisch definiert und unterlag alliierten vor allem zwischen Adenauer und dem FDP- Vorbehaltsrechten für Deutschland als Ganzes, Vorsitzenden Dehler weiter und führte am Jah- solange das Land geteilt war und keine Friedens- resende zum Bruch der Regierungskoalition. regelung existierte.

Für die Westmächte ging es nicht um die Frage, Wie nützlich diese für die Bestrebungen aller Wiedervereinigung oder Westintegration. In Bundesregierungen nach Wiederherstellung der ihren Augen hatte Deutschland lediglich die deutschen Einheit waren, stellte sich in Zeiten Wahl zwischen Westintegration sofort und Wie- der Entspannungspolitik Anfang der 1970er dervereinigung unter westlichen Vorzeichen Jahre heraus. Sowjetische Regierung und SED- später oder beides, Westintegration und Wie- Führung machten im Gleichklang unverändert dervereinigung unter westlichen Konditionen die Pariser Verträge, den NATO-Beitritt der später. In eine davon abweichende Lösung hätte Bundesrepublik und die Wiederbewaffnung für Washington nie eingewilligt. So gesehen, hatte die Zementierung der nationalen Spaltung und die Genfer Konferenz schon deshalb keine den fehlgeschlagenen Friedensvertrag verant- Erfolgsaussichten, weil sie den Alliierten mehr wortlich. Diesen Vorwürfen konnte sich die als Feigenblatt diente, ihre Verhandlungsbereit- sozialliberale Regierung Brandt/Scheel in den

Der Hohe Kommissar der USA Conant (l.) unterzeichnet am 5.5.1955 die Proklamation über die Aufhebung des Besatzungsstatuts. Bundesarchiv, Bild 145-68987

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Verhandlungen über den Moskauer Vertrag von 1970 und den Grundlagen-Vertrag von 1972 stets mit dem Hinweis auf die Verantwortung der Vier Mächte für Deutschland als Ganzes erwehren. Die Bände der VI. Reihe der „Dokumente zur Deutschlandpolitik“ belegen dies.

Belegen mit Umfragezahlen lässt sich auch, dass die Westdeutschen im Mai 1955 ihre vermeint- liche Souveränität als nicht so gravierenden Einschnitt ansahen, wie es heute den Anschein hat. 43 Prozent waren über die Souveränitäts- erklärung gar nicht informiert, nur 28 Prozent meinten, es ändere sich etwas an der Selb- ständigkeit der Bundesrepublik. Allem Anschein nach glaubte die öffentliche Meinung, die Sou- veränitätserklärung sei eine reine Formsache, Ministerpräsident Grotewohl bei der Vertrags- eine Maßnahme im Kalten Krieg, habe aber für unterzeichnung am 14.5.1955 in Warschau. das deutsche Volk selbst keine Konsequenzen. Bundesarchiv, Bild 183-30562-0001. Die Antwort der Sowjetunion blieb nicht aus. Sie demokratischen Staates - beitragen“, stürzte die reagierte am 14. Mai 1955 mit der Gründung des Bundesregierung in ein Dilemma. Niemand Warschauer Pakts unter Einbeziehung der DDR. vermochte genau einzuschätzen, ob sich mit Mit Billigung Moskaus proklamierte Minister- einem Botschafteraustausch die Möglichkeit zu präsident Grotewohl für die DDR ebenfalls einen bilateralen Verhandlungen über die Wiederver- Wiedervereinigungsvorbehalt, der damals aller- einigung eröffnete, oder ob Moskau mit der dings nicht im genauen Wortlaut, sondern nur Aufnahme diplomatischer Beziehungen letzten sinnentstellt veröffentlicht wurde. Die Option für Endes nur die Zementierung der Zweistaatlich- ein kommunistisches, neutralisiertes oder gar keit Deutschlands intendierte. westlich orientiertes Gesamtdeutschland war damit erhalten geblieben. Adenauer sah in der Einladung zunächst eine Bestätigung seiner bisherigen Westintegrations- politik. Moskau konnte den veränderten Status Reisediplomatie der Bundesrepublik nicht negieren; und die These von der sowjetischen Verweigerungs- Alles wäre gar nicht so kompliziert gewesen, haltung nach In-Kraft-Treten der Pariser Verträge hätten die Kremlherren nicht am 7. Juni 1955 als schien widerlegt. Verhandlungen in Moskau zu Reaktion auf die Inkraftsetzung der Pariser führen boten Chancen, aber auch nicht unerheb- Verträge mit der Einladung Adenauers nach liche Risiken, dessen war sich das Kabinett Moskau geantwortet. Für die Presse war das bewusst. Die expansionslüsternen Kremlherr- damals ein „Paukenschlag“; für Adenauer kam scher persönlich kennen und einschätzen zu diese Einladung keineswegs unvorhergesehen. lernen, eine eigene Ostpolitik zu entwickeln, im Sicherlich erwartete er sie nicht an jenem Tag, westlichen Bündnis aus eigener Anschauung als er das Amt des Außenministers an Heinrich mitreden zu können, wenn es im Ost-West-Ver- von Brentano abgab. Doch schon Ende April/ hältnis um die Beziehungen zur Sowjetunion Anfang Mai kursierten im Kanzleramt Gerüchte ging, alles das hatte unschätzbare Vorteile. über eine unveränderte sowjetische Verhand- lungsbereitschaft. Wiederum könnte der Direktkontakt mit Moskau Der Zeitpunkt der Einladung im Vorfeld der sich aber auch das Verhältnis zu den Westmächten abzeichnenden Viermächte-Konferenz kam für und vor allem die Implementierung der Pariser ihn allerdings äußert ungelegen. Insbesondere Verträge, vor allem den Aufbau der Bundeswehr, der Hinweis, die Herstellung diplomatischer beeinträchtigen. Adenauers Westintegrations- Beziehungen werde „zur Lösung des gesamtna- politik wäre damit desavouiert. Überdies würde tionalen Hauptproblems des deutschen Volkes - es schwieriger werden, den Alleinvertretungsan- der Wiederherstellung der Einheit des deutschen spruch gegenüber der DDR aufrechtzuerhalten.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Zu alledem stellte die ungeklärte Kriegs- und vereinigungspolitik brauchte, in Moskau zu Zivilgefangenenfrage - Zahlen schwankten von erreichen. rund 10.000 bis weit über 100.000 Personen - ein Hemmnis und zugleich die Mindestvoraus- setzung auf dem Weg zur Normalisierung der Chancen und Risiken Beziehungen dar. In dieser heiklen Lage ließ sich die Reise auf Adenauer konnte die Einladung aus innen- und jeden Fall nicht mehr abbiegen, auch wenn es außenpolitischen Gründen nicht ablehnen. Da ihm vielleicht lieber gewesen wäre. Andererseits gab es zum einen die überzogenen Erwartungen wusste er: Die Sowjetunion war die vierte für in den Koalitionsparteien, der Presse und in der Deutschland als Ganzes verantwortliche Macht. öffentlichen Meinung. Manche sahen die Wie- Der Schlüssel zur Wiedervereinigung lag in dervereinigung zum Greifen nahe. Das vor- Moskau. Wollte jemals ernsthaft darüber herrschende innenpolitische Klima war von der verhandeln, waren direkte Beziehungen unver- Annahme geprägt, der Kanzler werde nun nach zichtbar. Bonns Eigengewicht gegenüber den vollzogener Westintegration mit den Sowjets Westmächten würde sich verstärken und die über die Wiedervereinigung verhandeln und Bundesrepublik wäre auf gesamteuropäischem dabei vielleicht einen Modus für die Rückkehr Parkett als politischer Faktor präsent. Damit der Kriegsgefangenen erreichen. Die Reise war würde die Bundesregierung um ein weiteres Prä von einem breiten Konsens getragen. 82 Prozent gegenüber der SED-Führung verfügen, die der Befragten meinten, Adenauer solle die damals keinerlei Perspektive besaß, ihrerseits Einladung annehmen, nur 3 Prozent rieten ab. Beziehungen zu den Westmächten aufzunehmen. Infiziert vom internationalen Entspannungs- Folglich drehten sich alle Diskussionen nicht um gerede bauten sich übergroße Hoffnungen hin- das Ob, sondern lediglich um den geeigneten sichtlich einer sowjetischen Konzessionsbereit- Zeitpunkt und die Konditionen, unter denen schaft auf. Beziehungen zwischen Bonn und Moskau auf- genommen werden sollten. Zum anderen kam hinzu, dass sich der Kanzler in einer außenpolitischen Zwangslage befand. Ebenso deutlich waren die Konsequenzen einer Trotz des NATO-Beitritts der Bundesrepublik solchen Entscheidung vorausgesehen worden. steckte seine Westintegrationspolitik vollends in Dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Schwierigkeiten. Der Abschluss des öster- zur Sowjetunion die Bundesregierung arg in reichischen Staatsvertrages Mitte Mai und Er- Argumentationsnöte bringen würde bei der klärungen Eisenhowers ließen bei Adenauer die Fortsetzung der Nichtanerkennungs- und Iso- Befürchtung aufkommen, Washington könnte lierungsstrategie gegenüber der DDR, darüber angesichts der sowjetischen Entspannungsbereit- war man sich in Bonn lange vor der Moskau- schaft zu einer Neutralisierung Deutschlands Reise im Klaren. Schon nach der vermeintlichen neigen. Adenauer hatte jedenfalls alle Hände voll Souveränitätserklärung der Sowjetunion für die zu tun, die westlichen Verbündeten zur deutsch- DDR vom 20. März 1954 zeichnete sich ab, dass landpolitischen Prinzipientreue zu drängen. es für die Bundesregierung von Tag zu Tag schwieriger würde, den Alleinvertretungsan- Nur mit Mühe vermochten sie auf der Genfer spruch durchzusetzen und es kaum mehr aus- Gipfelkonferenz das Junktim Sicherheit und reichte, die Anerkennung der DDR nur intern als Wiedervereinigung auf die Tagesordnung der unfreundlichen Akt zu bezeichnen. nachfolgenden Außenministerkonferenz zu hie- ven. Chruschtschows Rede in Ost-Berlin auf der Die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Rückreise von Genf nach Moskau war von Bundesregierung drehten sich im Kern um den schockierender Offenheit. Sie gab zu erkennen: politischen Stellenwert, dem die Aufnahme der Die Sowjets waren nicht bereit, die deutsche Beziehungen beizumessen wäre. Von Brentano Frage auf Kosten der DDR zu bereinigen. plädierte im Grunde für eine Strategie des Alles- Adenauer sah die Genfer Konferenz als einen oder-Nichts, des Jetzt-oder-Nie, die Wiederver- vollen sowjetischen Triumph. Umso schwieriger einigungsfrage aufs Tapet zu bringen, weil man war es nun für ihn, den Erfolg, den er aufgrund eigentlich nichts zu verlieren, sondern nur die des innenpolitischen Drucks in der Wieder-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Sowjets etwas zu gewinnen hätten. Der neue Tatsächlich führte Adenauer in Moskau einen Bundesaußenminister beurteilte die Lage vor- Zweifrontenkampf: gegen die Angriffe seiner wiegend nach moralischen Gesichtspunkten. Die Gäste und gegen die Hardliner aus dem Aus- Rückführung der Kriegsgefangenen stelle eine wärtigen Amt. In Wirklichkeit waren es die rein humanitäre Frage dar, deren Lösung eine Deutschen, die von den Sowjets hingehalten Vorbedingung für die Normalisierung sei. Ade- wurden. Konnte Adenauer es wirklich riskieren, nauer hingegen sah die Aufnahme der Bezie- die Verhandlungen platzen zu lassen und damit hungen pragmatisch, wohlwissend, dass die die Ost-West-Entspannungspolitik zu torpedie- Rückkehr der Kriegsgefangenen „die einzige ren? Nein, meinte Blankenhorn. Überdies: Die Frage“ sein würde, wie Hallstein festhielt, „die Sowjets wollten die Kriegsgefangenen freigeben, uns in der Öffentlichkeit etwas einbringt“. das hatte Chruschtschow schon im Juli 1955 der SED-Führung mitgeteilt; fraglich war nur der taktisch günstigste Zeitpunkt. Sie waren offenbar Verhandlungspoker auch von der Prinzipientreue und Standfestigkeit Adenauers zum Beispiel bei den Diskussionen Adenauer war Realist genug, die wirklichen über die Kriegsursachen beeindruckt. Verhandlungsoptionen richtig zu taxieren und dementsprechend fein justiert seine Delegation Genau genommen hielt Adenauer nur an zwei zusammenzusetzen. Den Koalitionspartner FDP Punkten eisern fest: Ohne Gegenleistungen und die Minister Erhard und Kaiser ließ er außen konnte er der Aufnahme der Beziehungen nicht vor, um öffentlich nicht zusätzliche Wieder- zustimmen, und die deutschlandpolitische Grund- vereinigungshoffnungen zu schüren und bei den position der Bundesregierung musste gewahrt Sowjets vorerst keine Zuversicht auf Wirt- bleiben. Adenauers Entschluss entgegen allen schaftsvereinbarungen zu wecken, die Oppo- Warnungen seiner Berater, der Freilassung der sition durch Carlo Schmid als Zeugen beteiligen, 9626 Kriegsgefangenen auf Bulganins Ehren- damit sie eingebunden war und bei einem Miss- wort zu vertrauen, resultierte aus situativen erfolg keine nachträglichen Vorwürfe gegen die Einschätzungen, seiner Lebenserfahrung und Regierung erheben und daraus Nutzen ziehen Menschenkenntnis. Im „Brief zur deutschen Ein- konnte. Bundestag und Bundesrat wurden mit heit“, den die Bundesregierung bei Unterzeich- den Vorsitzenden der Auswärtigen Ausschüsse, nung des Vertrags von Moskau 1970 übergab, Kiesinger und Arnold, ebenfalls berücksichtigt, formulierte sie nochmals ihr Ziel: „auf einen so dass in ihren Gremien allen anschließend klar- Zustand des Friedens in Europa hinzuwirken, in gemacht werden konnte, wie aussichtslos es dem das deutsche Volk in freier Selbstbestim- momentan wäre, mit Moskau über die deutsche mung seine Einheit wiedererlangt“. Eine Wieder- Frage zu sprechen. Insgeheim verfolgte Ade- vereinigung kam nur nach Erlangung der Frei- nauer drei Maxime: nicht an den Westverträgen heit für die Menschen in der DDR und nach rütteln lassen, die Wiedervereinigung zur Spra- Gewährung des Selbstbestimmungsrechts in che bringen, keine Aufnahme der Beziehungen Form freier Wahlen in Betracht. ohne Vereinbarung über die Rückkehr der Kriegsgefangenen. Die Aussichten auf ein posi- tives Verhandlungsergebnis spielte er herunter, Ergebnisse der Moskau-Reise kultivierte aber gleichzeitig den Eindruck, nur bei Wiedervereinigungsfortschritten werde er der Die Freilassung der Kriegsgefangenen gegen Aufnahme diplomatischer Beziehungen zustim- Bulganins mündlich gegebenes Ehrenwort war men. das Maximum des Erreichbaren und kompen- sierte Adenauers Misserfolg in der Wiederver- Alles kam auf den Verlauf der Verhandlungen an. einigungsfrage, ohne diesen spürbar werden zu Im Gegensatz zu dem später von Adenauer lassen, da die Aufnahme diplomatischer Be- verbreiteten Bild der gegenseitig sich die Fäuste ziehungen das Ziel der Wiedervereinigung nicht zeigenden Verhandlungsführer sprang der Kanz- unmöglich machte. ler keineswegs so hart und unnachgiebig mit den Kremlherren um. Er verhandelte sachlich, Machen wir abschließend auf eine weitere höflich, besonnen, blieb klar bei seinem Stand- Wechselwirkung aufmerksam. Wenige Tage punkt, wo es ihm angebracht schien, reagierte nach dem Adenauer-Besuch kam eine SED- aber auch zeitweilig geschmeidig und flexibel. Delegation nach Moskau. Bis in ähnliche For-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Nach der Landung in Köln/Bonn am 14.9.1955. Bundesarchiv, Bild 146-2005-0141 mulierungen hinein - wie sie in den Pariser Ver- tungen ihnen gegenüber zu beeinträchtigen. Es trägen festgehalten worden waren - gewährte die war eine logische Folge der politischen Souve- Kreml-Führung am 20. September 1955 nun ränitätserklärung aufgrund der Pariser Verträge auch der DDR formal die freie „Entscheidung und daher aus Adenauers Sicht „keine Welten- über Fragen der Innenpolitik und Außenpolitik, wende“, sondern ein ganz normaler Vorgang. einschließlich der Beziehungen zur deutschen Dadurch wurden Gegensätze nicht vermindert, Bundesrepublik“ in der Hoffnung, ihr werde jedoch direkte Einwirkungsmöglichkeiten er- internationale Anerkennung beschert. öffnet - jene Handlungsoptionen, die am 3. Okto- ber 1990 zur Wiederherstellung der deutschen In seiner Regierungserklärung am 22. September Einheit in Freiheit führten und dem wiederverei- 1955 betonte Adenauer, die Anerkennung der nigten Deutschland mit Inkrafttreten des Zwei- DDR durch Drittstaaten werde die Bundes- plus-Vier-Vertrages am 15. März 1991 die volle regierung „auch künftig“ als unfreundlichen Akt Souveränität bescherte. Das war eine späte ansehen. Die Aufnahme diplomatischer Bezie- Wechselwirkung zu den Ereignissen des Jahres hungen zur Sowjetunion war somit nicht die Ur- 1955. sache, sondern der Anlass für die anschließend offiziell verkündete Hallstein-Doktrin, mit der Was kann man dieser heute eröffneten Aus- die Bundesregierung mehr als ein Jahrzehnt lang stellung wünschen? Wechselwirkungen natür- die weltweite Anerkennung der DDR verhin- lich; dass möglichst viele Besucher sie sehen und derte. In Wirklichkeit wurde 1955 eine längst sie ganz im Sinne des Newtonschen Axioms bestehende Praxis fortgesetzt. Wirkungen zeigt.

Mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen Hanns Jürgen Küsters zur Sowjetunion tat die Bundesregierung selbst den größten Schritt hin zu einem selbstständigen Partner der Westmächte, ohne ihre Verpflich-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Vortrag zur Zugänglichkeit von Unterlagen staatlicher Archive bei der deutsch-russischen Historikerkonferenz in Moskau

Zwei Tage nach dem Wintereinbruch mit minus Die Förderung der Kooperation deutscher und 10 Grad und dem ersten Schnee in Moskau be- russischer Historiker ist auch eine der grundle- gann am 28. Oktober 2005 die deutsch-russische genden Aufgaben des DHI in Moskau2. Das DHI Historikerkonferenz. Drei Tage lang wurde das ist - basierend auf einer gemeinsamen Initiative Thema „Nachkriegsgeschichte Deutschlands: der Krupp3- und der ZEIT-Stiftung4 - im Som- deutsch-russische Erfahrungen und Perspekti- mer 2003 als Projekt der bundesunmittelbaren ven“ intensiv erörtert. „Stiftung Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland“ (DGIA)5 ins Leben ge- Veranstalter der Konferenz waren die Arbeits- rufen und im November 2004 beim Ministerium gruppe zur Erforschung der deutschen Zeit- für Bildung und Wissenschaft der Russischen geschichte Moskau, die Stiftung zur Auf- Förderation mit dem Rechtsstatus einer „Reprä- arbeitung der SED-Diktatur Berlin, die Baye- sentanz“ der Stiftung DGIA akkreditiert worden. rische Landeszentrale für politische Bildungs- arbeit München, das Deutsche Historische Nach Umbauten und Renovierungen hat das DHI Institut Moskau (DHI), die Konrad-Adenauer- inzwischen seine Arbeitsräume im Institut für Stiftung, Außenstelle Moskau, und der For- wissenschaftliche Information auf dem Gebiet schungsverbund SED-Staat von der FU Berlin. der Gesellschaftswissenschaften (INION)6 be- zogen. Insgesamt sieben Mitarbeiter, darunter Die Veranstaltung war für die russischen neben dem Direktor Prof. Dr. Bernd Bonwetsch7 Teilnehmer als landesweiter Workshop von zwei deutsche und zwei russische Historiker, Historikern an den Universitäten, die deutsche haben mit der offiziellen Eröffnung am 12. Geschichte lehren, konzipiert. Sie sollten die September 2005 die Arbeit aufgenommen. Sie aktuellen deutschen Diskussionen über die werden unterstützt von einem Wissenschaft- Folgen des Krieges für Deutschland, die Teilung lichen Beirat, dem deutsche und russische und die Rekonstruktion eines deutschen Na- Historiker angehören. Das Institut bemüht sich tionalstaates kennenlernen. Das Ziel der deut- darum, der deutschen Russland- und der rus- schen Veranstalter war es, diesen Workshop zu sischen Deutschlandforschung einen Stützpunkt nutzen, um die Verbindungen russischer His- mit Arbeitsplätzen, Kommunikationsmöglich- toriker zu deutschen Universitäten und wissen- keiten, Literatur und praktischer Hilfe zu bieten. schaftlichen Einrichtungen zu fördern. Das Herzstück des DHI ist die Bibliothek, die Das Studium der Geschichte Deutschlands im derzeit aufgebaut wird. Ihr Schwerpunkt liegt auf 20. Jahrhundert war und ist ein aktuelles Thema dem Gebiet der deutsch-russischen Geschichte in der Geschichtswissenschaft Russlands. Nach- und ihrem internationalen Zusammenhang vom dem zunächst die Untersuchung von totalitären 18. bis 20. Jahrhundert. Stipendien und Prakti- Diktaturen im Mittelpunkt stand, begann in- kumsplätze ermöglichen jungen Wissenschaftlern zwischen eine Analyse des politischen Systems aus Deutschland und Russland einen vorüberge- der Bundesrepublik, der demokratischen Ord- henden Aufenthalt am Institut. Speziell für nung und der Alltagsgeschichte, einer für die russische Dozenten der deutschen Geschichte russische Geschichtswissenschaft neuen Diszi- werden vierwöchige Kurzstipendien zur Weiter- plin. Die Arbeitsgruppe zur Erforschung der bildung am Institut vergeben. Neuesten Geschichte Deutschlands unter Lei- tung von Dr. Alexander Vatlin und Dr. Tatjana Die Konferenz selbst fand in einem Vortragssaal Timofeewa, beide wissenschaftliche Mitarbeiter innerhalb des Gebäudes des INION, neben den der historischen Fakultät der Moskauer Lomo- Räumlichkeiten des DHI, statt. Sie wurde vom nossow-Universität, stellt auf einer Internetseite Vorstandsvorsitzenden der Stiftung Aufarbeitung u. a. eine Datenbank der Wissenschaftler und der SED-Diktatur, Rainer Eppelmann8, eröffnet. wissenschaftlichen Einrichtungen, die zu The- men der neuesten Geschichte Deutschlands for- Mit 17 Referenten von deutscher sowie 18 Re- schen, zur Verfügung1. ferenten von russischer Seite war ein umfang-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 reiches Programm innerhalb von 9 Sektionen sprach über Archivmaterialien zu den deutsch- vorgesehen. Es beinhaltete u.a. Themen wie: die sowjetischen Beziehungen in der Chruscht- Kriegsfolgen, die Beziehungen der beiden deut- schow-Epoche. Aus seinen Ausführungen wurde schen Staaten, den Mauerfall 1989 sowie die aber auch deutlich, dass ein Großteil der Außenpolitik des vereinigten Deutschlands. Dank Unterlagen gesperrt und damit für die Forscher der Abgabedisziplin der Referenten konnten nicht zugänglich ist. Dies führte zu einer erregten Wochen vorher die Vortragsthesen übersetzt, Diskussion über die Zugangsbedingungen zu gedruckt und den Teilnehmern übersandt werden. russischen Archiven bzw. ihren Akten, auch im Vergleich zur Bundesrepublik. Nikita Petrow von Mit Hilfe der Simultanübersetzung während der der Gesellschaft MEMORIAL Moskau10 refe- Konferenz entfielen sprachliche Barrieren, ins- rierte über die schwierige Suche nach Doku- besondere der deutschen Teilnehmer. Die rus- menten zur Tätigkeit der sowjetischen Staats- sischen Teilnehmer zeichneten sich in der Regel sicherheit in der DDR bzw. SBZ in russischen durch hervorragende deutsche Sprachkenntnisse Archiven. aus.

Eine Sektionssitzung unter Leitung von Prof. Dr. Die Diskussionsmöglichkeiten während der Klaus Tenfelde vom Institut für soziale Bewe- Konferenz wurden sehr intensiv genutzt und gungen an der Ruhr-Universität Bochum9 wid- beim gemeinsamen Mittag- oder Abendessen mete sich der Archivlandschaft in Deutschland fortgesetzt. und Russland. In seinen Schlussworten wies der Direktor des Unter großer Aufmerksamkeit der Teilnehmer DHI, Prof. Dr. Bernd Bonwetsch, auf die Be- erläuterte die Autorin den Zugang zu den deutung solcher Konferenzen für die russischen Archiven in der Bundesrepublik und deren historischen Germanisten hin, die sich eine Nutzungsbedingungen. Darüber hinaus stellte sie weitere Fortsetzung und Intensivierung der die im Internet vorhandenen Nutzungs- und Kontakte wünschen. Recherchemöglichkeiten für Historiker vor. Die Konferenz zeigte auch, dass in der Ein- Michail Prosumenschtschikow vom Russischen schätzung der deutschen Geschichte z. T. sehr Staatsarchiv für moderne Geschichte in Moskau unterschiedliche Standpunkte vertreten werden.

Bei der Konferenz: (v.l.) Michail Prosumenschtschikow, Petra Rauschenbach, Prof. Klaus Tenfelde. Foto: privat

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Daher wurde vorgeschlagen, eine erneute His- Gastprofessuren an der Universität Innsbruck und an der torikerkonferenz zu organisieren und die sech- Staatsuniversität Kemerowo in Westsibirien inne. Seit 2003 ziger und siebziger Jahre stärker zu untersuchen. ist er Gründungsdirektor des DHI Moskau. 8) ist seit 1998 Vorstandsvorsitzender Dann sollen auch Länder wie Polen und die der Stiftung. Tschechoslowakei in die Betrachtungen einbe- 9) www.ruhr-uni-bochum.de. Prof. Dr. Klaus Tenfelde ist zogen werden. Geschäftsführender Leiter des Instituts für soziale Be- wegungen und Vorsitzender der Stiftung Bibliothek des Das Programm wurde mit einem Empfang des Ruhrgebiets. Das Institut hat sich inzwischen zu einem Zentrum für Forschung auf dem Gebiet der sozialen Landesbeauftragten der Konrad-Adenauer-Stif- Bewegungen, insbesondere der internationalen und 11 tung für die Russische Förderation ,Dr. Tho- deutschen Arbeiterbewegung entwickelt. Von ihm sind mas Kunze12, einer Stadtrundfahrt, der Besichti- zahlreiche Veröffentlichungen zur Sozialgeschichte des 19. gung der Tretjakow-Gemäldegalerie und einem und 20. Jahrhunderts erschienen. feierlichen Abendessen auf angenehme Art und 10) www.memo.ru. Die Menschenrechtsorganisation Inter- Weise ergänzt. nationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Men- schenrechte und soziale Fürsorge wurde 1988 vom Atomphysiker und Dissidenten Andrej Sacharow gegründet. Als Ergebnis der Historikerkonferenz wird ein 1992 wurde die Gesellschaft von einer Allunionsgesellschaft Tagungsband mit den Vorträgen und der je- in eine Internationale Gesellschaft umgewandelt, gleich- weiligen Übersetzung gedruckt. zeitig erfolgte die Gründung der Russischen Gesellschaft MEMORIAL. Als Ziel der Gesellschaft wird u. a. „der Kampf gegen den Totalitarismus und die Wiederherstellung Petra Rauschenbach der historischen Wahrheit über die Verbrechen des totalitären Regimes durch Öffnung des Zugangs zu Informations- quellen, wie z. B. Archive, Bibliotheken und Museen“ ge- nannt. Finanzielle Unterstützung erhält MOKIAL u. a. von der Ford-Stiftung (USA) und der Heinrich-Böll-Stiftung. 11) www.kas.de. Die Außenstelle Moskau der Konrad- Anmerkungen Adenauer-Stiftung wurde 1991 akkreditiert. Sie sieht ihre Hauptaufgabe darin, die demokratische Entwicklung im 1) www.rusgermhist.ru Land, das Vertrauen und die gegenseitige Verständigung 2) www.dhi-moskau.org zwischen Deutschland und Russland allseitig zu fördern. 3) www.krupp-stiftung.de. Die gemeinnützige Alfried 12) Dr. Thomas Kunze hat Geschichte, Germanistik und Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung nahm am 1. Januar Pädagogik an den Universitäten Jena und Leipzig studiert, 1968 ihre Tätigkeit auf. Mit ihren Erträgen fördert sie war von 1990-1995 Leiter des Ausländeramtes sowie des Projekte im In- und Ausland in den Satzungsbereichen Amtes für Kommunalaufsicht im Landratsamt Leipzig. Wissenschaft in Forschung und Lehre, Erziehungs- und 1995 bis 2000 arbeitete er als Programmlehrkraft der Bildungswesen, Gesundheitswesen, Sport, Literatur, Musik Bundesrepublik Deutschland in Constanta, Rumänien. und bildende Kunst. 4) www.zeit-stiftung.de. Die 1971 gegründete gemein- nützige ZEIT-Stiftung Ebelin und Gerd Bucerius fördert Projekte in Wissenschaft und Forschung, Bildung und Erziehung, Kunst und Literatur. Der größte Teil der finanziellen Bewilligungen entfällt mit 56 Prozent auf den Bereich Wissenschaft und Forschung. 5) www.stiftung-dgia.de. Die rechtsfähige bundesummit- telbare Stiftung mit Sitz in Bonn wurde durch Gesetz des Deutschen Bundestages am 1. Juli 2002 errichtet. Die Stiftung unterhält Deutsche Historische Institute in London, Paris, Rom, Warschau und Washington D. C. sowie das Deutsche Institut für Japanstudien Tokyo und das Orient- Institut Beirut/Istanbul. 2006 wird das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris in die Stiftung aufgenommen. Das Deutsche Historische Institut Moskau wird bis 2009 als Projekt der Stiftung DGIA geführt. 6) www.inion.ru. Das Institut wurde 1969 gegründet. Die Bibliothek des Institutes stellt über 13,5 Millionen Bücher und Periodika für Benutzer zur Verfügung. 7) www.dhi-moskau.de. Prof. Dr. Dr. h. c. mult Bernd Bon- wetsch war nach seinem Studium der Geschichte, Slawistik und Vergleichenden Erziehungswissenschaft in Hamburg, Berlin, der Stanford University, California und anschlie- ßender Promotion u. a. als Professor für osteuropäische Geschichte an der Ruhr-Universität Bochum tätig und hatte

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Die Bewertung und Erschließung von Schriftgut zur Entwicklung von Wissenschaft und Technik in der DDR von 1948 bis 1967

Auf dem Gebiet naturwissenschaftlich-tech- Im folgenden wird erläutert, welche Aspekte bei nischer Forschungen sind in der DDR nicht nur der Bewertung und Erschließung der unter- Pläne aufgestellt, sondern - im Unterschied zu schiedlich gewachsenen Überlieferungskom- anderen Gebieten - über gut zehn Jahre hinweg plexe, die hier pragmatisch als Dienstakten und von einer Vielzahl von Einrichtungen auch re- Forschungsberichte bezeichnet werden1, eine lativ präzise Berichte über die Erfüllung der Rolle spielten. Dem sind wenige institutionen- Vorhaben gefertigt worden. Zusammen mit den und bestandsgeschichtliche Angaben vorauszu- Dienstakten, die von den Vorgängern des Minis- schicken. teriums für Wissenschaft und Technik über- liefert wurden, geben diese Berichte einen de- tailreichen Einblick in die Forschungspolitik Geschichte der Institutionen der DDR und in das Profil von Akademie-, Uni- versitäts- und Hochschulinstituten, den Minis- Unter der Bestandssignatur DF 4 und der Be- terien und Ämtern unterstellter Institute sowie standsbezeichnung Ministerium für Wissen- betrieblicher Forschungs- und Entwicklungs- schaft und Technik wird die Überlieferung der stellen in den 1950er Jahren bis in die erste Institutionen der DDR zusammengefasst, die Hälfte der 1960er Jahre. zentralstaatliche Funktionen auf dem Gebiet der Leitung und Planung wissenschaftlich-tech- Vor kurzem wurde die Bewertung und Erschlie- nischer Arbeit wahrgenommen haben. Es handelt ßung der zum Bestand Ministerium für Wissen- sich dabei sowohl um die Stellen, die nach ihrer schaft und Technik (DF 4) gehörenden Über- Funktion und Rechtsstellung als Vorgänger bzw. lieferung aus den Jahren 1948 bis 1967 abge- Nachfolger des 1967 gegründeten Ministeriums schlossen, soweit die Laufzeit der Akten diesen für Wissenschaft und Technik anzusehen sind, Zeitraum nicht überschreitet. Interessenten kön- als auch um die neben diesen Stellen beste- nen sich nun über diese Archivalien im Internet henden Beratungsgremien, wie z.B. den 1957 in Online-Findbüchern oder im Bundesarchiv in gegründeten Forschungsrat. Es sind im ein- Findbuch-Ausdrucken einen Überblick verschaf- zelnen: fen.

Wegen des Umfangs der katalogisierten Akten- - die Hauptverwaltung Wissenschaft und Tech- titel entstanden folgende Teilfindbücher: nik bei der Deutschen Wirtschaftskommission (31. März 1949 bis 6. Oktober 1949), - Teil 1: Dienstakten der Rechtsvorgänger und - die Hauptabteilung Wissenschaft und Technik Beiräte 1948-1967, beim Ministerium für Planung (7. Oktober - Teil 3: Jahresberichte zu Forschungsaufträgen 1949 bis 7. November 1950), der Akademie-Institute 1952-1963, - das Zentralamt für Forschung und Technik bei - Teil 4: Jahresberichte zu Forschungsaufträgen der Staatlichen Plankommission (8. November der Universitäten und Hochschulen 1952- 1950 bis 31. August 1957), 1963, - die wissenschaftlich-technischen Beiräte beim - Teil 5: Jahresberichte zu Forschungsaufträgen Zentralamt für Forschung und Technik (12. sonstiger Institute und Betriebe 1952-1963 Februar 1951 bis 30. Juni 1954), (1969). - die Zentralen Arbeitskreise für Forschung und Technik (1. Juli 1954 bis Ende der 1980er Ein später zu erarbeitendes Findbuch (Teil 2) Jahre), wird die Dienstakten des Ministeriums für - das Zentrale Amt für Forschung und Technik Wissenschaft und Technik aus den Jahren 1967 beim Forschungsrat der DDR (1. September bis 1990 umfassen. 1957 bis 11. Oktober 1961),

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 - der Beirat für naturwissenschaftlich-technische Bestandsgeschichte Forschung und Entwicklung beim Ministerrat, der sogenannte Forschungsrat (24. August Die im Bestand DF 4 Ministerium für Wissen- 1957 bis 2. Oktober 1990), schaft und Technik zusammengefasste Über- - das Staatssekretariat für Forschung und Tech- lieferung entstammt dem Verwaltungsarchiv des nik (12. Oktober 1961 bis 12. Juli 1967), Ministeriums für Wissenschaft und Technik, in - das Ministerium für Wissenschaft und Technik das sie teilweise im Ergebnis von Veränderungen (13. Juli 1967 bis 12. April 1990), der Organisationsstrukturen, teilweise im Zuge - das Ministerium für Forschung und Tech- regulärer Abgaben der aktenführenden Stellen nologie (13. April 1990 bis 2. Oktober 1990). gelangte. Dem Zentralen Staatsarchiv als dem damals zuständigen Endarchiv wurde die im Diese unter verschiedenen Bezeichnungen, in Verwaltungsarchiv erfasste Überlieferung, so- unterschiedlichen Organisationsformen und weit sie nicht wegen geringer Bedeutung und Zuordnungen bestehenden Registraturbildner abgelaufener Aufbewahrungsfristen vernichtet hatten eine weitgehend gleichartige Aufgaben- worden war, in drei Komplexen übergeben: stellung, die bereits in der Begründung der Bildung der Hauptverwaltung (HV) Wissen- - in den Jahren 1980 bis 1982: Jahres- und schaft und Technik bei der Deutschen Wirt- Abschlussberichte von Forschungs- und Ent- schaftskommission (DWK) im März 1949 wicklungsstellen aus dem Zeitraum 1949 bis formuliert wurde: 1966 (1969) im Umfang von ca. 547 lfm (mit Bündelliste); - Planung, Leitung und Organisation wissen- schaftlicher Forschungsarbeit im Zusammen- - im Jahr 1989: als archivwürdig bewertete und hang mit Grundaufgaben des Wirtschaftsplanes, durch eine Verzeichnungskartei erschlossene - Kontrolle der Nutzbarmachung der Forschungs- Akten aus der Tätigkeit der Rechtsvorgänger ergebnisse für Industrie, Transport und Land- des Ministeriums für Wissenschaft und wirtschaft, Technik aus dem Zeitraum 1948 bis 1961 im - Heranziehung hervorragender Gelehrter2. Umfang von ca. 36 lfm;

Dementsprechend war die Arbeitsweise der - im Jahr 1990: die dem Verwaltungsarchiv bis Rechtsvorgänger des Ministeriums für Wissen- zum September 1990 übergebenen und dort schaft und Technik von der Vorstellung geprägt, verwahrten Unterlagen aus der Tätigkeit des die Arbeit sämtlicher Forschungseinrichtungen Ministeriums und seiner Rechtsvorgänger aus der DDR zentralstaatlich anzuleiten und zu den Jahren 1961 bis 1989 im Umfang von ca. beaufsichtigen, was u.a. in der Verordnung über 495 lfm (mit Abgabeverzeichnissen). die Registrierung der naturwissenschaftlich- technischen Forschungs- und Entwicklungs- - Im Jahr 1998 wurden dem Bundesarchiv vom stellen vom 15. Februar 19513 und in der von Bundesministerium für Forschung und Tech- 1952 bis 1963 geltenden umfassenden Berichts- nologie (BMFT) weitere Unterlagen des Minis- pflicht Ausdruck fand. An die Stelle dieser teriums für Wissenschaft und Technik sowie des Berichtspflicht trat ein Informations- und Doku- Ministeriums für Forschung und Technologie mentationssystem des zum 1. Oktober 1963 übergeben, die noch für die laufenden gebildeten Zentralinstitutes für Information und Dienstgeschäfte des BMFT benötigt worden Dokumentation4, das zunächst allerdings keine waren. Diese Abgabe umfasste etwa 7,5 lfm. Forschungsberichte mehr „sammelte“, sondern mit dokumentarischen Mitteln Forschungs- ergebnisse nachwies, die berechtigte Interes- Bewertung und Erschließung der senten von den Instituten und Betrieben selbst Dienstakten beziehen konnten. Ab 1973 wurden Berichte und Dissertationen zu naturwissenschaftlich-tech- Die 1989 übergebenen Akten aus dem Zeitraum nischen Forschungs- und Entwicklungsaufgaben 1948 bis 1961, die von der Archivarin des dann vom Zentralinstitut für Information und Ministeriums für Wissenschaft und Technik, Dokumentation schließlich verfilmt und gespei- Inge Lärmer, bzw. unter ihrer Leitung, in chert5. Abstimmung mit dem Zentralen Staatsarchiv

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 bewertet und auf Karteien verzeichnet worden der Zentralen Arbeitskreise als Ebene, auf der waren, sind im Bundesarchiv bereits 1997 in detaillierte fachliche Arbeit geleistet wurde, einem vorläufigen Findbuch ausgewiesen wor- wurde nur in denjenigen Fällen archiviert, in den. Dabei wurden die im Verwaltungsarchiv des denen der Gegenstand von besonderer Relevanz Ministeriums für Wissenschaft und Technik auf war, zumal in der Überlieferung der Anteil der Grundlage der „Ordnungs- und Verzeich- organisatorischer Maßnahmen überwog. Gut- nungsgrundsätze für die staatlichen Archive der achten für einzelne Investitionsvorhaben wurden DDR“ zusammengestellten Inhaltsangaben und ebenfalls nur in Einzelfällen aufbewahrt, da auch das Ordnungssystem weitgehend übernommen. in anderen Beständen noch entsprechende Unter- lagen zu erwarten sind. Da es sich um eine relativ komprimierte Über- lieferung handelt und die Anfangs- und Auf- Für den Bereich der internationalen Zusammen- bauphase des Systems der staatlichen Lenkung arbeit wurde davon ausgegangen, dass Unter- von Wissenschaft und Forschung in umfassender lagen auch beim Ministerium für Auswärtige Weise dokumentiert werden sollte, konnte im Angelegenheiten, beim Volkswirtschaftsrat der Bundesarchiv für diesen Teil die Archivwürdig- DDR (Bestand DE 4) und beim Rat für Gegen- keit bestätigt und auf weitere Kassationen ver- seitige Wirtschaftshilfe (RGW) überliefert sein zichtet werden. Die zuvor im Verwaltungsarchiv werden und Doppelüberlieferungen in Grenzen veranlassten Schriftgutvernichtungen sind aus zu halten sind. Folglich wurden nur ausgewählte den Abgabeverzeichnissen zu ersehen. Sie ent- Teile dieses Schriftgutes archiviert, namentlich sprechen weitgehend üblichen archivischen Be- die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der fried- wertungsmaßstäben. lichen Nutzung der Kernenergie im Rahmen des RGW, aber auch die Beteiligung des Staats- Für die Akten des Zeitraums 1961 bis 1967, die sekretariates für Forschung und Technik an der 1990 in das Bundesarchiv gelangten, lagen Koordinierung von Wissenschaft und Technik jedoch nur Abgabeverzeichnisse vor. Diese innerhalb des RGW. Überlieferung, die Struktur und Tätigkeit des 1961 gegründeten und 1967 aufgelösten Staats- Personalakten wurden nach dem im Bundes- sekretariats für Forschung und Technik doku- archiv erstellten Bewertungskatalog nach Stich- mentiert, wurde im Jahr 2004 von Daniel Jost jahren bzw. -monaten bewertet. Eine Bewertung und Henning Pahl im Rahmen des Referenda- nach Gehaltsstufen musste unterbleiben, da An- riates bewertet und erschlossen, um beide Über- gaben zur Besoldung fehlten. Auch umfasste die lieferungsteile in einem Findbuch zusammenzu- zu bewertende Überlieferung keine Personal- fassen. akten von Nomenklaturkadern, weshalb der Per- sonalbestand der Führungsebene an dieser Stelle Die aufzubewahrende Überlieferung des Staats- keinen Niederschlag finden konnte. sekretariats für Forschung und Technik sollte vor allem seine Rolle als Lenkungsorgan der Wissenschaftspolitik sowie ausgewählte Schwer- Informationen verdichten punktthemen der Forschung belegen, darunter beispielsweise die Genese des Maschinellen Bei der Auswahl von Archivgut aus dem Bereich Rechnens, die Forschung auf dem Gebiet der der Planung des wissenschaftlich-technischen Kerntechnik und die Entwicklung von Doping- Fortschritts wurde ein Längs- und Querschnitts- mitteln. modell angewandt. Die Überlieferung für das Stichjahr 1963 wurde als Querschnitt in der ge- Bei der Bewertung dieser Aktenportion wurde samten Breite archiviert, d.h. mit allen Unter- nach dem Top-Down-Prinzip vorgegangen, d.h., lagen zu den Teilplänen des Volkswirtschafts- die Überlieferung des Büros des Staatssekretärs planes sowie den Berichten über die Planer- wurde vorrangig als archivwürdig bewertet, die füllung. Anliegen war es dabei, die Verantwort- der untergeordneten Struktureinheiten jedoch, lichkeiten des Staatssekretariates für Forschung soweit sie ähnliche Sachverhalte enthielt, in der und Technik und die Zusammenarbeit mit Regel kassiert. Von der Kassation ausgenommen anderen staatlichen Institutionen sowie Be- wurden - soweit überhaupt vorhanden - Sach- trieben zu dokumentieren. Das Stichjahr 1963 akten, die sachliche Betreffe über einen gewissen wurde gewählt, weil für dieses Jahr eine Zeitraum zusammenfassten. Die Überlieferung aussagekräftige Überlieferung vorlag und zudem

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Prof. Dr. Gustav Hertz, Neffe von Heinrich Hertz, informiert den Staatssekretär für Forschung und Technik am 4.1.1963 darüber, dass das von ihm geleitete Wissenschaftsgremium den Vorstellungen der Regierung zur Kernforschung zustimmt. Bundesarchiv, DF 4/2192

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 ein ausreichender zeitlicher Abstand zu den rates, für die im Bestand „Tonaufnahmen von verwaltungsorganisatorischen Veränderungen Tagungen des Forschungsrates“ unter der Be- der Jahre 1961 und 1967 bestand. standssignatur DF 8 Ton ein separates Findmittel vorliegt, sowie Unterlagen des Zentralen Arbeits- Im Längsschnitt wurden über den gesamten kreises Schweißtechnik, die gesondert in das Zeitraum hinweg die Berichte zur Planerfüllung Archiv gelangten und unter der Bestandssignatur zur Aufbewahrung ausgewählt, da sich darin DF 8 und der Bestandsbezeichnung Forschungs- Planungs- und Leitungsprozesse relativ kom- rat der DDR benutzt werden können. primiert abbilden. Grundlegend für die Kassation der sonstigen Planunterlagen war die Tatsache, In der Regel stellte die Aufbewahrungseinheit dass wesentliches Schriftgut in der Überliefe- (Aktenband mit einer Archivnummer) die Ver- rung des Ministerrates (Bestand DC 20) und der zeichnungseinheit dar; im Ausnahmefall wurden Staatlichen Plankommission (Bestand DE 1) zu die voneinander abgegrenzten Vorgänge inner- finden ist. halb der Aktenbände verzeichnet. Für die Ver- zeichnung und die Anfertigung des Findbuches Weil der Bestand im Unterschied zu herkömm- wurde das Datenbanksystem BASYS-S genutzt, lichen Fachbereichen eher Querschnittsfragen in das auch die Datensätze aus dem mittels dokumentiert und die Akten des Staatssekre- Textverarbeitung erstellten vorläufigen Findbuch tariats darüber hinaus infolge der unbefriedi- übertragen worden waren. genden Schriftgutverwaltung umfangreiche historisch wenig bedeutsam erscheinende Infor- Für die Ordnung des Bestandes gab es auf Grund mationen enthielten, bestand die Absicht, bei den der häufigen Veränderungen der Organisations- Dienstakten aus den Jahren 1961 bis 1967 ver- strukturen, fehlender Aktenpläne und mannig- gleichsweise strenge Bewertungsmaßstäbe anzu- faltiger Bearbeiter-Ablagen kein Registratur- legen, nachdem eine relativ großzügige Archi- system, das hätte übernommen werden können. vierung der vorhergehenden Dienstakten und der Deshalb wurde das bereits im Verwaltungsarchiv Jahresberichte der Forschungsstellen erfolgt war. erarbeitete Ordnungsschema, das sich an den Deshalb wurde eine Beschränkung des Um- Verwaltungsstrukturen und den Aufgaben der fanges der aus dieser Portion auszuwählenden Registraturbildner orientiert, verwendet und nur Archivalien auf ein Drittel der vorgefundenen unmaßgeblich überarbeitet. Überlieferung als gerechtfertigt angenommen. Diese angestrebte Quote hat in Zweifelsfällen als Für einen Teil der Akten wurden die Zugangs- Katalysator gewirkt und die Umsetzung der an- nummern des Verwaltungsarchivs beibehalten, gestrebten Bewertungsmaßstäbe vermittelt, so während der bereits im Verwaltungsarchiv ver- dass aus den Dienstakten der Jahre 1948 bis zeichnete Teil der Akten umsigniert werden 1967 letztendlich 1656 Akteneinheiten im Um- musste, um eindeutige Aktenbestellungen zu fang von ca. 56 lfm als Archivgut ausgewählt ermöglichen. Die neu vergebenen Signaturen wurden. (40001 bis 41154) lassen die bei der Bearbeitung im Verwaltungsarchiv vergebenen früheren Da die Überlieferungen verschiedener aufein- Archivnummern (1 bis 1154) erkennen, wodurch ander folgender Verwaltungsstellen und ihrer sich die Erstellung einer Konkordanz zwischen Beratungsgremien in den Registraturen nicht alter und neuer Signatur erübrigte. unterschieden wurden und ihre Verflechtung in Hinsicht auf Gliederung und Aufgabenwahr- nehmung es überdies rechtfertigt, wurde von Bewertung und Erschließung der einer nachträglichen Bestandstrennung abge- Forschungsberichte sehen. Der zu erwartende Aufwand und die Gefahr möglicher Verfälschungen haben die Von 1952 bis 1962 sind die naturwissenschaft- eventuelle Mühe des Benutzers, die genaue lichen Institute sowie Betriebe, die mehrere in Herkunft einzelner Schriftstücke an Hand akten- Jahresplänen enthaltene Forschungsvorhaben kundlicher Merkmale zu bestimmen, weit über- oder technische Entwicklungsprojekte bearbeitet wogen und eine gemeinsame Ausweisung inner- haben, verpflichtet gewesen, den für Forschung halb eines Findbuches angeraten sein lassen. und Technik zuständigen zentralen Stellen jährlich nach vorgegebenem Schema über ihre Im Findbuch unberücksichtigt bleiben die Ton- Arbeit zu berichten. 1963 waren dann lediglich bandprotokolle von Sitzungen des Forschungs- ausgewählte, in den folgenden Jahren nur noch

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 vereinzelte Einrichtungen berichtspflichtig. merte Fragen der Mehrfachüberlieferung aus7. Außerdem waren bei Beendigung von For- Die zu den Forschungsberichten geführte Kartei schungsvorhaben themenspezifische Abschluss- ist für die Übergabe an das Archiv nach großen berichte vorzulegen. Sachgruppen geordnet und die Lagerungsfolge der Berichte in Bündellisten nachgewiesen Im Ergebnis dieser Regelungen sind bei den worden. Mit der Umordnung der Kartei konnte Rechtsvorgängern des Ministeriums für Wissen- jedoch die angestrebte Erleichterung thema- schaft und Technik 547 lfm Jahres- und Ab- tischer Recherchen nur bedingt erreicht werden, schlussberichte von Forschungs- und Entwick- da die Gliederungstiefe so gering war, dass zu lungsstellen eingegangen, trotz der vielfältigen vielen Sachgebieten mehrere Karteikästen institutionellen Veränderungen erhalten ge- durchblättert werden mussten. blieben und 1980 bis 1982 dem Zentralen Staats- archiv übergeben worden. Diese Forschungsbe- Die Bündellisten fungierten, da die Berichte richte sind allen Anzeichen zufolge von Anfang nicht die üblichen fortlaufenden Zugangs- an getrennt von den übrigen Akten an einer nummern erhalten hatten, als Brücke zwischen Stelle verwaltet worden und nicht auf ver- den auf der Kartei erfassten Schlüsselnummern schiedene Sachbearbeiterregistraturen aufgeteilt und den in den Regalen nach Themen-Nummern gewesen. der Jahrespläne gereihten Abschlussberichten bzw. den nach Kenn-Nummern der Forschungs- Nachdem das Staatssekretariat für Forschung einrichtungen jeweils Jahrgangsweise gelagerten und Technik ab 1965 auf die Anforderung von Jahresberichten. Aber nicht so sehr den umständ- Jahres- und Abschlussberichten verzichtet hatte, lichen Benutzungsmodalitäten, sondern eher hatte es sich 1966 mit der Absicht, die umfang- dem geringen Interesse, für Forschungszwecke reichen Forschungsberichte dem Deutschen Zen- auf die Berichte zurückzugreifen, ist die tralarchiv zu übergeben, an die Staatliche Archiv- Differenz zwischen den Nutzungserwartungen verwaltung gewandt. Da Ausfertigungen der und der tatsächlichen Nutzung der Überlieferung Berichte häufig, allerdings nicht durchgängig, in den darauffolgenden Jahren zuzuschreiben. auch bei den Forschungseinrichtungen sowie bei den jeweils übergeordneten Fachministerien Als 15 Jahre nach Übernahme der Forschungs- vorhanden waren, wurde zunächst innerhalb des berichte die Auflösung der inzwischen zum staatlichen Archivwesens nach einer prakti- Bundesarchiv gehörenden Außenstelle Coswig kablen Möglichkeit gesucht, je ein Exemplar der vorbereitet wurde, führte die Schere zwischen Berichte dauerhaft zu sichern ohne mehrfache dem Umfang der Überlieferung und der Anzahl Aufbewahrungen in Kauf zu nehmen6. potenzieller Nutzer deshalb zu erneutem Nach- denken über die Archivwürdigkeit der Unter- Eine Entscheidung wurde zunächst verschoben, lagen. Die Analyse von Entstehungszweck und da die beim Staatssekretariat für Forschung und Informationsgehalt der Unterlagen bestätigte, Technik vorliegenden Berichte nach damaliger dass es sich um eine umfassende und anschau- Schätzung nur 80 bis 85 Prozent der jemals liche Dokumentation zu Planung und Berichter- angefertigten Berichte ausmachten, aber auch stattung auf dem Gebiet wissenschaftlicher For- die übrigen Stellen keine kompletten Überliefe- schungen und technischer Entwicklungen, zur rungen aufweisen konnten und den staatlichen Vielfalt der Forschungseinrichtungen, zu den Archiven Lagerungsflächen und der Situation wirtschaftlichen und wissenschaftsorganisato- entsprechende abgestimmte Bewertungskonzep- rischen Bedingungen, unter denen sie arbeiteten tionen fehlten. sowie zu den erbrachten Leistungen und auf- gewendeten finanziellen und personellen Res- 1977 sind die Forschungsberichte dem Zentralen sourcen handelte, die nur in geringem Grade Staatsarchiv (so hieß das Deutsche Zentralarchiv Eingang in Publikationen gefunden hatte. inzwischen) erneut angeboten worden. Die daraufhin - trotz begrenzter Magazinreserven - Die anschließende Analyse der Struktur des getroffene Übernahme-Entscheidung betonte - Schriftgutes führte dann zur Differenzierung unter Hinweis auf sowjetische Erfahrungen - den zwischen Jahresberichten der Forschungs- und Wert der Berichte für die Wissenschaftsge- Entwicklungsstellen und Berichten, die ein- schichte und zur Dokumentation des wissen- zelnen Forschungsvorhaben galten. Dabei er- schaftlich-technischen Fortschritts und klam- wiesen sich die Jahresberichte, die in verbind-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 licher Gliederung allgemeine und themen- Bundesarchivs verwendend. Die Gliederung und bezogene Angaben enthalten, als ein Extrakt, der Verdichtung der Verzeichnungsangaben (Zu- Verwaltungsverfahren und Zustandsbeschrei- sammenfassung der Berichte zu Serien) oblag bungen für dieses Gebiet ausreichend repräsen- dann schließlich der Verfasserin dieses Berichtes. tativ dokumentiert. Diese Jahresberichte, deren Umfang 120 lfm beträgt, wurden deshalb 1998 Um die in rund 13 000 Datensätzen beschriebene innerhalb des Bestandes Ministerium für Wis- Überlieferung überschaubar zu strukturieren, senschaft und Technik für archivwürdig be- sind die Kenn-Nummern für die verwaltungsor- funden. Auf eine weitere Aufbewahrung der ganisatorische Unterstellung der Forschungs- ausführlichen Berichte zu den einzelnen For- stellen herangezogen worden. Sofern nicht schungen (427 lfm) wurde dagegen verzichtet. bereits Eigenbezeichnungen (z.B. der Univer- sitäts-Institute) eine eindeutige Zuordnung er- Kontrovers ist zu diesem Zeitpunkt diskutiert möglichten, ist die Bedeutung der auf den worden, ob auch die themenspezifischen Berichte Berichten vermerkten und als „Aktenzeichen“ dazu beitragen sollten, Überlieferungslücken zur erfassten Kenn-Nummern in den „Organisa- Tätigkeit ehemaliger volkseigener Betriebe zu torischen Nomenklaturen Forschung und Tech- schließen. Solche Überlieferungslücken mussten nik bzw. Forschung und Entwicklung“8 ermittelt inzwischen in Anbetracht kurzfristiger Abwick- und der Klassifikation zugrunde gelegt worden. lungen von Betrieben und Betriebsarchiven ver- Dabei war nicht zu vermeiden, dass die häufigen mutet werden. Der diesbezügliche Informations- verwaltungsorganisatorischen Veränderungen zu gehalt der Forschungsberichte schien jedoch im einigen Brüchen in den Berichtsserien führten9. Verhältnis zum Umfang überwiegend technischer Um diese Brüche in Grenzen zu halten, sind oder naturwissenschaftlicher Informationen zu kurzlebige Veränderungen von ein bis zwei gering. Jahren bei der verwaltungsorganisatorischen Zu- ordnung mitunter unberücksichtigt geblieben. Natürlich ist auch eine Auswahl von Forschungs- Innerhalb der Klassifikationsgruppen wurde IT- berichten nach der Bedeutung der Forschungen gestützt nach dem Beginn der Laufzeit der erwogen worden. Bei der vorgefundenen Struk- Serien bzw. Akten und darunter nach den Namen tur des Schriftgutes wurde sie jedoch als viel zu der Forschungsstellen sortiert. aufwändig angesehen, während sie für die Bestände der Fachministerien, deren Überliefe- Während der mühsamen Ordnungsarbeiten rung ebenfalls Ausfertigungen von Forschungs- drängte sich mitunter die Frage auf, ob in diesem berichten enthält, aus dem Bestands-Kontext Fall der Ordnungsaufwand gerechtfertigt sei heraus denkbar erscheint. Dagegen ist die - 1966 oder ob ein Datenpool, in dem der Benutzer IT- schon einmal angedachte - Aussonderung der in gestützt suchen kann, ausreichen würde. Die verschiedenen Archiven und Beständen vorkom- innere Stimme der Archivarin betonte dann den menden Jahresberichte von Forschungsstellen Wert der dargestellten Zusammenhänge und des jetzt dank der Online-Präsenz der erarbeiteten Überblicks, der Verdichtung und der sach- Findbücher in den Bereich des Möglichen kundigen Strukturierung der Informationen als gerückt. Dienstleistung für die Benutzer. Aus deren Sicht ist die Antwort vermutlich ambivalent, je nach- Ordnungsarbeiten, Verzeichnung, dem, ob komplexere Entwicklungen oder einge- Serienbildung grenzte und terminologisch eindeutige Sach- verhalte zu untersuchen sind. Gelegentliche Arbeitspotenziale nutzend wurde 1997 nach und nach mit der Auflösung der Nachdem die Arbeit geschafft ist, verbindet sich Bündel, der Vergabe von Archivnummern und nun die Zufriedenheit über den Überblick, den der Verzeichnung der Jahresberichte begonnen. die Findbücher ermöglichen, mit der Neugierde, Die ersten Titel wurden von Inge Redlich noch wie sich die archivische Arbeitsmethodik in handschriftlich auf Karteien aufgenommen. Abhängigkeit von den Fortschritten auf dem Helga Krusch trug die Titel ab 1999 bereits in die Gebiet der Informationstechnik entwickeln wird. Thomson-Datenbank ein. Das Gros der Ver- zeichnungsarbeit leistete aber Uta Wittkowsky im Verlauf der Jahre 2001 bis 2004, zunächst die Thomson-, dann die BASYS-S-Datenbank des

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Aus Unterlagen über Forschungen auf dem Gebiet der Steroide, aus denen u.a. die Herstellung von - zum Doping verwendeten - Anabolika erwuchs. Das Protokoll der letzten Arbeitstagung wurde am 15.8.1964 „aus Zweckmäßigkeitsgründen“ nur auszugsweise weitergereicht. Bundesarchiv, DF 4/4466

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Informationsgehalt der Jahresberichte Neben den bereits genannten Kolleginnen und Kollegen haben Hannelore Rexhausen (Über- Entgegen früheren Annahmen, die den über- tragung der Textdatei in die BASYS-S-Daten- wiegenden Teil der zum Bestand gehörenden bank), Chris Fengler (Online-Stellung der Find- Berichte der Deutschen Akademie der Wissen- bücher), Mitarbeiter der Magazindienste, in schaften zuschrieben10, lässt sich im Ergebnis der besonderem Maße Udo Quante (Signierung der Ordnungsarbeiten feststellen, dass im Bestand Akten und sehr kooperative Übermittlung der zu DF 4 ca. 1 600 Jahresberichte von Akademie- verzeichnenden Aktenportionen aus dem Zwi- Instituten (Institute der Akademie der Wissen- schenarchiv Hoppegarten nach Berlin-Lichter- schaften, der Akademie der Landwirtschafts- felde), Kraftfahrer und Haushandwerker sowie wissenschaften, der Deutschen Bauakademie, der Kollegen/innen der Referate G 1 und Z 6 b Anteil Bergakademie Freiberg und der Medizinischen an der Erarbeitung der umfangreichen Find- Akademien Dresden, Erfurt, Magdeburg sowie bücher. Allen daran Beteiligten danke ich für die Akademie für Sozialhygiene, Arbeitshygiene und gute Zusammenarbeit und hoffe, dass sie die Ärztliche Fortbildung), ca. 5 100 Berichte von Freude an einem sinnvollen, sichtbaren und Instituten und Lehrstühlen der Universitäten und beständigen Arbeitsergebnis mit mir teilen. Da- Hochschulen und ca. 6 500 Berichte weiterer, den rüber hinaus möchte ich Daniel Jost und Ministerien oder anderen Stellen unterstellter Henning Pahl für die Darlegungen zur Bewer- Institute sowie betrieblicher Forschungs- und tung und Erschließung der Dienstakten des Entwicklungsstellen überliefert sind. Staatssekretariates für Forschung und Technik, deren Übernahme aus der Findbucheinleitung sie Zumeist enthalten die Jahresberichte in einem mir freundlicherweise gestattet haben, vielmals allgemeinen Teil eine zusammenfassende Dar- danken. stellung der von der Forschungseinrichtung geleisteten Arbeit, der eingesetzten finanziellen Gisela Haker und personellen Kapazitäten, des erwarteten Nutzens der Forschungsergebnisse, der Koopera- tionsbeziehungen und der Perspektiven der Anmerkungen Forschungsstelle sowie in einem speziellen Teil fachliche Kurzberichte zu den einzelnen Themen 1) Die umfangreichen Berichte der Forschungs- und der Pläne Forschung und Technik bzw. Neue Entwicklungsstellen sind bei den Vorgängern des Technik. Ministeriums für Wissenschaft und Technik von Anfang an von den übrigen Akten getrennt verwaltet worden. Dieser Die Jahresberichte stellen eine relativ dichte, Umstand und ihr Umfang führten dazu, dass sie hier gesondert betrachtet werden, obwohl freilich Berichte gleichartige und präzise Überlieferung zur Viel- unterstellter Einrichtungen Bestandteil von Dienstakten sein falt naturwissenschaftlicher Forschungen und können. technischer Entwicklungen sowie zur Vielzahl 2) Vgl. § 22 der Verordnung über die Erhaltung und die staatlich finanzierter Forschungseinrichtungen Entwicklung der deutschen Wissenschaft und Kultur, die der DDR in den Jahren 1952 bis 1963 dar. Das weitere Verbesserung der Lage der Intelligenz und die Spektrum umfasst nicht nur alle industriellen Steigerung ihrer Rolle in der Produktion und im öffent- lichen Leben vom 31. März 1949. (ZVO Bl. I Nr. 28 vom Bereiche, sondern auch Medizin, Botanik, Land- 21. April 1949). wirtschaft, Veterinärmedizin, Geologie, Meteoro- 3) Verordnung über die Registrierung der naturwis- logie und Astronomie. Die Unterlagen dokumen- senschaftlich-technischen Forschungs- und Entwicklungs- tieren volkswirtschaftliche Schwerpunkte, wirt- stellen vom 15. Febr. 1951. (GBl. Nr. 22). schaftliche und wissenschaftsorganisatorische 4) Anordnung über die Errichtung des Zentralinstitutes für Bedingungen, unter denen die Forschungs- Information und Dokumentation vom 30. September 1963. (GBl. II Nr. 93, S. 737 ff.). einrichtungen arbeiteten, aufgewendete Mittel 5) Anordnung zur Bereitstellung von Informationen über und erbrachte Leistungen. Sie erscheinen für wissenschaftlich-technische Ergebnisse und zur zentralen wissenschaftsgeschichtliche und forschungspoli- Erfassung von Forschungs- und Entwicklungsberichten tische Auswertungen allgemeinen und ver- sowie von Dissertationen vom 13. August 1973 (GBl. I Nr. gleichenden Charakters ebenso wie für spezielle 41 S. 426 ff.). Studien zur Entwicklung einzelner Forschungs- 6) Stellungnahmen zur Frage der Übernahme der Samm- lung der Forschungsberichte, 1966-1967. (BArch DO einrichtungen geeignet. Auch bei wirtschaftshis- 6/1245). torischen und verwaltungsgeschichtlichen Unter- 7) Protokoll der Beratung der Bewertungskommission des suchungen wird ihre Auswertung von Nutzen Zentralen Staatsarchivs vom 13. September 1977. (BArch sein können. DO 6/1235).

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 8) Überliefert unter BArch DF 4/64182 bis 64201; Angaben zur Datierung dieser Nomenklaturen enthält das Findbuch Teil 1 zum Bestand DF 4. 9) Z.B. ist das Institut zur Steigerung der Pflanzenerträge Paulinenaue - seiner Unterstellung folgend - von 1952 bis 1956 bei der Akademie der Wissenschaften und von 1957 bis 1963 bei der Akademie der Landwirtschaftswissen- schaften zu finden. Und beim Zentralinstitut für Schweiß- technik Halle, das von 1952 bis 1958 den Maschinenbau- ministerien, von 1959 bis 1962 der Staatlichen Plan- kommission und 1963 bis 1965 dem Volkswirtschaftsrat unterstand, wechseln die Klassifikationsgruppen, denen die Angaben zu den Berichten zugeordnet wurden, ebenfalls entsprechend. 10) In der 1977 erarbeiteten Vorlage für die Beratung der Bewertungskommission des Zentralen Staatsarchivs wurden ca. 70 % der Forschungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zugeschrieben. (Dienstakte 7351-23/1).

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Teilnahme am Stage technique international d’archives

Am diesjährigen Stage vom 6. April bis zum kollegen moderiert. Mehrere einheimische und 15. Juni nahmen 41 Kolleginnen und Kollegen ausländische Gastdozenten, in der überwiegen- aus 31 Ländern teil. Dabei überwogen deutlich den Mehrheit ausgewiesene Experten der je- die Vertreter afrikanischer und osteuropäischer weiligen Fachgebiete, sowie die Kursteilnehmer Archive (Algerien, Burkina Faso, Mali, Ma- gestalteten den Ablauf in Form von Vorträgen, rokko, Niger, Senegal, Togo, Tunesien, Albanien, Workshops (atéliers), runden Tischen, Gruppen- Bulgarien, Ungarn, Polen, Tschechien, Rumä- arbeit und Diskussionsbeiträgen. Die Kursteil- nien, Slowakei, , Serbien und Monte- nehmer waren ausdrücklich dazu aufgefordert, negro). Eine Kollegin kam aus dem Nahen Osten das Programm aktiv mitzugestalten und Anre- (Libanon). Es waren jedoch auch Kollegen aus gungen sowie auch Kritik unmittelbar einzu- weiter entfernten Regionen angereist, darunter bringen. von den Komoren, Haiti, Kanada (Québec), Armenien und Argentinien. Hinzu kamen Archi- Ein weiteres Novum war, dass darüber hinaus vare aus west- und südeuropäischen Ländern Vertreter der Direction des Archives de France (Belgien, Spanien, Italien, Luxemburg, Frank- (DAF) und des Archivrats das Potenzial, eine reich) sowie sogar aus einem nordeuropäischen derart große Anzahl an motivierten Kollegen aus Land (Norwegen). Deutschland war neben mir aller Welt versammelt zu haben, dazu nutzten, in mit einer weiteren Kollegin aus dem Stadtarchiv produktiver Zusammenarbeit internationale Pro- Mainz vertreten. jektideen zu entwickeln.

Eine allgemeine Einführung, durchgeführt durch Konzeption der Fortbildungsveranstaltung das Ausbildungsreferat, diente unter anderem der Koordinierung der bereits im Vorfeld geplanten Auf mehrfach vorgetragene Anregungen seitens Vorträge und praktischen Arbeiten der Kursteil- früherer Kursteilnehmer und Moderatoren des nehmer. Den offiziellen Auftakt zu der Veran- Kursprogramms hat sich der Ansatz, den Stage staltung bildete eine Begrüßung durch die Direk- weniger als Fortbildungsprogramm in Form von torin der staatlichen Archivverwaltung, gefolgt Frontalunterricht vornehmlich über Aspekte der von einem Empfang im Garten des Hôtel d’Assy französischen Archivwissenschaft, denn als in den Archives nationales und einer Führung Forum für internationalen Erfahrungsaustausch durch die Gebäude und Magazinräume des zu nutzen, wahrnehmbar durchgesetzt1. Ent- Centre Historique. sprechend waren bereits im Vorfeld der Veran- staltung die speziellen Arbeitsbereiche der Teilnehmer und deren Wünsche hinsichtlich der Grundlagen und archivfachliche inhaltlichen Ausgestaltung des Programms ab- Zusammenarbeit gefragt worden. Grundsätzlich blieb man bei einem den traditionellen Zielen der Veran- Als erstes wurde die Thematik „Allgemeines und staltung verpflichteten generalistischen Ansatz internationale Kooperation” behandelt. Christine (Kernaufgaben der archivarischen Praxis), setzte Martinez, die für die internationalen Bezie- zugleich jedoch deutliche Akzente auf von den hungen Verantwortliche bei der Direction des Teilnehmern gewünschte Themen von aktueller Archives de France, leitete diesen Abschnitt. Im Bedeutung: z.B. Verzeichnungsstandards und Mittelpunkt standen vier thematische Schwer- Einsatz neuer Technologien bei der Findmittel- punkte: erstellung, internationale Vernetzung bei der Bereitstellung von Findmitteln, Umgang mit - Ziele und internationale Projekte des Inter- elektronischen Akten, bestandserhalterische Ar- nationalen Archivrats, Zusammenarbeit von beit angesichts von Naturkatastrophen, Archiv- ICA und DAF mit internationalen Gremien. neubauten. - Ausbildung von Archivaren im internationalen Das Gesamtprogramm war in mehrere Module Vergleich: Als Gastdozent stellte Hans Scheur- von jeweils etwa einer Woche bis zu zehn Tagen kogel das reformierte Ausbildungskonzept der unterteilt und wurde von französischen Fach- Amsterdamer Archivschule vor und verglich

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 deren stärker die Praxis der einzelnen Aus- den Komoren und im Niger stellte Christine zubildenden antizipierenden Ansatz unter Martinez die Konzeption der im Entstehen anderem mit dem generalistischen Ansatz der begriffenen Europäischen (Eurbica-)Archiv- Archivschule Marburg. Kursteilnehmer re- rechtsdatenbank vor. ferierten über die Spezifika der Archivars- ausbildung in Spanien, Argentinien und im Libanon. Bestandsbildung, Schriftgutverwaltung und Bewertung - Besonders interessant war eine Präsentation des Portail international archivistique franco- Der zweite Abschnitt der Veranstaltung stand phone (PIAF) mit seinem noch im Aufbau unter dem Thema „Archivarische Praxis”. Das befindlichen Online-Ausbildungsangebot so- erste Modul fokussierte die „Sammeltätigkeit der wie eines Projekts zur Online-Schulung von in Archive” und wurde geleitet von Edouard den Ländern der EU mit Überlieferung zu Vasseur (Centre des Archives Contemporaines/ auswärtigen Beziehungen befassten Archi- CAC). Die Praxis der öffentlichen Archive in varen. Insbesondere das PIAF-Online-An- Frankreich, sowohl die Arbeit der „missions“ der gebot, das die Mehrzahl der afrikanischen, aus Archives nationales in den abgebenden Minis- den ehemals französischen Kolonien stam- terien und im CAC als auch in den Regionen, menden Kursteilnehmer positiv bewertete, wurde behandelt. In mehreren Kleingruppen könnte Anregungen für ein Online-Angebot in wurden Besuche bei ausgewählten „missions" den archivfachlichen Kontakten anderer euro- durchgeführt. päischer Archive mit den jeweiligen ehemals kolonial verwalteten Ländern bieten. Im weiteren Sitzungsverlauf ging es um den Umgang mit laufender Schriftgutverwaltung, - Verwaltung von Archiven, administratives zwischenarchivischen Funktionen sowie um die System, Archivnetze in ausgewählten Ländern: Umsetzung des Dokumenten-Lebenszyklus- Exemplarisch wurden die Verhältnisse in konzepts im internationalen Vergleich. Gemein- Frankreich, Argentinien, Burkina Faso, Mali, samkeiten und Unterschiede wurden herausgear- Belgien, Tschechien, Togo, Luxemburg, im beitet und als ein Fallbeispiel das System im Senegal, in Polen und in Deutschland vor- Centre d’Archives et de Documentation (CAD) gestellt. Anschließend diskutierten wir Vor- im französischen Außenministerium vorgestellt. und Nachteile von zentralistischen versus Ein Vortrag befasste sich mit der ISO-Norm dezentralisierten Organisationsformen. Zahl- 15489 zum Records Management und ihrer reiche Nachfragen zu den Auswirkungen des Adaption im französischen Milieu. In einem Föderalismus auf das deutsche Archivwesen Gastvortrag stellte David Leitch von den zeigten, wie fern den meisten, selbst den sich britischen National Archives die dortigen Spezi- um Dezentralisierung bemühenden Ländern fika der Verwaltung von laufendem Schriftgut die Vorstellung ist, nicht nur die Kompetenzen und zwischenarchivischer Bearbeitung dar. in Budgetangelegenheiten, sondern auch jene Insbesondere ging er auf die unter erheblichen für fachliche Fragen zu delegieren. Zeitdruck gestellte Umstellung auf elektronische Aktenführung in den Behörden ein. Kursteil- Bei einem Besuch des Service historique de la nehmer ergänzten Informationen zur jeweiligen défense im Château de Vincennes und der Praxis in Kanada (Québec), Ungarn, dem Niger Archives départementales de l’Oise in und in Belgien. Beauvais wurden grundsätzliche Fragen der Verwaltung von Archiven in Form von Fall- Die Leiterin der Archives départementales du studien eines von der französischen Archiv- Nord, Rosine Cleyet-Michaud, stellte ein Projekt direktion unabhängigen und eines regionalen der Bewertungskommission des ICA vor. Aus Archivs vorgeführt. Der Leiter des Depar- einem Abgleich der internationalen Bewertungs- tementalarchivs Finistère stellte die strategi- praxis soll eine Art von Handreichung hervor- sche Planung für sein Haus vor. Ein Kurs- gehen. Über die Bewertungspraxis in Rumänien, teilnehmer führte in die spezielle Situation auf Belgien, Kanada, im Senegal und Niger be- den Komoren ein. richteten Kurskollegen. Ein jeweils ganztägiger - Archivrecht: Nach einer Einführung in die Besuch im Centre des archives contemporaines Archivgesetzgebung in Tunesien, Algerien, auf in Fontainebleau und in den Archives diploma-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 tiques im französischen Außenministerium be- privaten Archivbeständen. Dabei ging es vor schlossen das Modul. allem um gesetzliche Grundlagen und Methoden des Erwerbs. Kursteilnehmer stellten die Ver- hältnisse in Kanada und Frankreich (Kirchen- Erschließung, Findmittelerstellung, Umgang archiv) vor. mit elektronischer Überlieferung Im letzten Abschnitt des Moduls ging es noch Das sich anschließende Sitzungsmodul „Archi- einmal um das Grundproblem des „Records vische Tätigkeiten” leitete Claire Sibille, die für management“, um elektronische „Archive“, diesbezügliche Standards Verantwortliche der elektronische Verwaltung, technische und juris- französischen Archivverwaltung. Hier ging es tische Aspekte, elektronische Signatur, Probleme zum Auftakt zunächst um Sinn und Zweck und Erfahrungen in Frankreich sowie die interna- nationaler und internationaler Normen und tionale Kooperation auf diesem Gebiet (Inter- Standards im allgemeinen und schließlich spe- pares, Erpanet). Als Fallbeispiel für den Umgang ziell in Anwendung auf Archive. Im Vordergrund mit elektronischen Dokumenten (vor allem E- stand dabei die Verzeichnung. Die bisher er- Mails) in der laufenden Schriftgutverwaltung zielten Ergebnisse hinsichtlich des interna- wurde die Situation im Archiv des französischen tionalen Austauschs von Erschließungsdaten Außenministeriums vorgestellt. Deutlich wurde (ISAD-G, ISAAR [CPF], EAD) und die Ein- hierbei ein weiteres Mal, dass es bisher noch führung bzw. Anwendung von Standards in nicht gelungen ist, komplexe Verwaltungsabläufe verschiedenen Ländern wurden erörtert. Kurs- in allen Anforderungen, die zu stellen sind, teilnehmer stellten die Praxis in Rumänien und gerecht werdender Weise in elektronische Work- Algerien vor. Als französisches Fallbeispiel für flows umzuwandeln. Bei einem Besuch des die Arbeit in den Regionalarchiven wurden die Archivs der Versicherungsgesellschaft Société Verhältnisse in den Archives départementales des générale in La Défense war das dortige mecha- Pyrénées-Atlantiques vorgeführt. Dabei zeigte nische Aktentransportsystem zu bestaunen. sich, dass in Frankreich insgesamt zwar ein hoher Grad an Standardisierung in der prak- tischen Arbeit der staatlichen Archive erzielt Archive und Öffentlichkeit wird, man aber dennoch mit regionalen Be- sonderheiten und Erfordernissen zu kämpfen hat. Das folgende Modul stand unter dem Thema „Benutzung und öffentlichkeitswirksame Selbst- Zum Thema „Produktion von Findmitteln” darstellung von Archiven” und wurde geleitet wurden die hierbei gesetzten Prioritäten sowie von der mit der Öffentlichkeitsarbeit der die angewandten Methoden und technischen Archives nationales Beauftragten, Ariane James Mittel hinterfragt. Nach einer Einführung in die Sarazin. aktuelle Situation in Mali und Serbien-Mon- tenegro konnte ich das Projekt „Aufarbeitung Aufschlussreich waren die Vorstellung der des NS-Archivs des Ministeriums für Staats- Benutzungsstatistik in den Archives départemen- sicherheit im Bundesarchiv“ vorstellen2. Im tales de la Seine-Maritime sowie die Beiträge Anschluss daran ergab sich eine Diskussion über von Kursteilnehmern über die Archivbenutzung die Frage, inwieweit es archivfachlich zweck- in Albanien, dem französischen Militärarchiv in mäßig sei, ähnlich geartete Sammlungen auf- Vincennes, in Québec und Haiti. Instruktiv war zulösen respektive in ihrem Verbund zu belassen. auch ein Besuch in den Archives départemen- tales de l’Essonne in Chamarande. Dort wurden Zur Frage der Bereitstellung von Online-Find- die Abläufe im Lesesaal sowie Maßnahmen der mitteln wurden als französische Fallstudien die Öffentlichkeitsarbeit und Archivpädagogik de- Situation in den Archives départementales de la monstriert sowie die Nutzung von Internet und Savoie und im Centre des archives d’outre-mer Intranet erläutert. vorgestellt. Kurskollegen aus Spanien, Albanien und Armenien berichteten von ihren Erfahrungen In den Lesesälen vieler französischer Archive und Problemen bei der Produktion von Find- liegen Handreichungen aus, die den Benutzer mitteln. nicht nur mit sachlichen kurzen Texten zum Ein weiterer Diskussionsschwerpunkt war der sorgfältigen Umgang mit Archivalien anhalten Umgang mit Sammlungsgut, Nachlässen und sollen. Vielmehr sind diese Faltblätter mit

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 bildlichen Darstellungen versehen, die zum Teil Mondadori. Aus einer Initiative von mangels sehr humoristisch-karikaturistisch anmuten, im Anerkennung ihres Stellenwerts im kulturellen Layout fast comicartig wirken. Dabei infor- Leben fast unsichtbaren Archivaren wurde mieren sie nicht nur über das, was im Umgang erstaunlich schnell eine öffentlichkeitswirksame mit den Archivalien laut Benutzungsordnung zu Aktivität, die breite Resonanz fand. In den vermeiden ist, sondern bieten dazu auch kurze Schreibkursen nehmen Professoren, Studenten weiterführende Erläuterungen. Man hat fest- und Schüler Anregungen auf, die den kreativen gestellt, dass diese visuell wahrnehmbare Auf- Umgang mit Archivalien fördern helfen - stärker bereitung Benutzer stärker anspricht als rein noch als traditionelle Ausstellungen, die Be- sachlich formulierte Texte. Denkbar wären nutzer in der Regel nur passiv wahrnehmen. Ein sicher auch in ähnlicher Manier aufbereitete Stück wurde sogar bereits von einer Theater- Handreichungen zum praktischen Ablauf von schule aufgeführt. Benutzungen für solche Benutzer, die sich nicht über das Internet vorinformieren konnten oder Archivpädagogik im internationalen Vergleich wollten und das Personal in Benutzersälen mit- war ein weiterer Schwerpunkt des Moduls. Unter unter über Gebühr zeitlich in Anspruch nehmen. anderem trug als Gastdozent Joachim Pieper über die archivpädagogischen Aktivitäten in Zum Themenbereich Archivöffentlichkeit und Nordrhein-Westfalen vor. Bei einem Besuch des spezifische Öffentlichkeitsarbeit leisteten Kurs- Historial de la grande guerre in Péronne wurde teilnehmer aus Bulgarien und Norwegen sowie ausführlich die moderne Ausstellungskonzeption die Kollegin aus dem Stadtarchiv Mainz interes- der Gedenkstätte dargelegt. Ergänzend wurden sante Beiträge. Unter anderem wurden ein- weitere der umliegenden Gedenkstätten für die schlägige Internetseiten erläutert. Gefallenen des Ersten Weltkriegs besichtigt.

Cristina Cenedella, Mitarbeiterin des Archivs der Pio Albergo Trivulzio in Mailand, stellte ein Bestandserhaltung äußerst innovatives italienisches Projekt vor, das die Öffentlichkeit auf das kreative Potenzial Das letzte Veranstaltungsmodul war der Be- aufmerksam machen soll, das Archive und ihr standserhaltung gewidmet. Es wurde moderiert Archivgut zu bieten haben. Sowohl für Archivare von der Leiterin der Abteilung Bestandserhaltung als auch für Archivbenutzer äußerst inspirierend der Archives nationales, Marie-Claude Delmas, sind die von „frustrierten” Archivaren 1998 ins und in eine gemeinsam mit der International Leben gerufenen „Schreibwerkstätten”. In diesen Federation of Library Associations and Insti- Schreibkursen wollen sich Archivare einer narra- tutions (IFLA-PAC), Bibliothèque nationale de tiven Aufbereitung der Inhalte ihrer Archivalien France und CCL d’Arles ausgerichteten Fortbil- nähern, um archivische Überlieferung lebendig dungsveranstaltung integriert, an der zusätzlich zu vermitteln. „Dokumente erzählen. Schreib- etwa zwanzig französische Archivarskollegen techniken für einen narrativen Zugang zu teilnahmen. Themen waren die Methoden zur dokumentarischen Quellen” nennt sich das Pro- Ermittlung von Archivgut, das konservatorischer jekt, das von einer Professorin für Erzähltechnik Bearbeitung bedarf, die Ziele des Comité interna- unterstützt wird. tional du Bouclier Bleu und weiterer einschlä- giger Organisationen und Institutionen, Neu- Angestrebt wird keine freie Erzählung im Stil bauten von Archivgebäuden (inklusive Besuch historischer Romane, sondern eine rein narrative des neuen Gebäudes der Archives départemen- Umsetzung von Inhalten nach erfolgter fachlich tales des Yvelines in Montigny-le-Bretonneux), seriöser Interpretation ausgewählter Quellen. Die sachgerechte Magazinräume (mit Führung durch beteiligten Archivare erheben also keinen schrift- die verschiedenen Magazintypen, über die das stellerischen Anspruch, sondern verstehen sich Centre historique des Archives nationales ver- als Archivare, die mehr Aufmerksamkeit der fügt), sowie die internationale Kooperation bei Öffentlichkeit auf ihre Archive ziehen wollen. der Katastrophenplanung. 2001 entstand ein erstes Buch („I documenti raccontano”), inzwischen sind zwei weitere auf Als ausländische Gastdozenten sprachen Anna dem Markt, von der Region Lombardei und der Czajka vom Zentrallabor für Konservierung in Stiftung Mondadori herausgegeben, die Seite an Polen unter anderem über die internationale Seite arbeitet mit dem berühmten Verleger Zusammenarbeit bei der Behebung der Flut-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Handreichung zur Information von Benutzern

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 schäden in polnischen Archiven und Alison Außenministeriums durch. Bemerkenswert war Walker von der British Library über präventive die sehr spezielle Benutzersaalordnung, die aus bestandserhalterische Maßnahmen. Sicherheitsgründen ein Betreten bzw. Verlassen des Saals nur in Begleitung und zu festgelegten Uhrzeiten erlaubt. Eine Vorbestellung von Exkursionen und individuelle Archivalien ohne vorher bereits erfolgte Ein- praktische Arbeit schreibung vor Ort war leider auch nicht mög- lich. Das Sitzungsprogramm wurde unterbrochen von einer Exkursionswoche. Sie führte in diesem Jahr Im Archiv des Außenministeriums konnte ich die in den Süden des Landes. Erster Programmpunkt Zeit zusätzlich nutzen für Gespräche mit einer war ein Besuch der Archives départementales de Mitarbeiterin des Centre d’Archives et de l’Aude in Carcassonne. Dort wurde vor allem das Documentation, Anne-Sophie Maure, über den umfangreiche Programm an Öffentlichkeitsarbeit Umgang mit laufendem und quasi zwischenar- vorgestellt, unter anderem recht interessant chivisch zu bearbeitendem Schriftgut aus der gestaltete „Werkstätten“ für Kinder, die man an Administration des Ministeriums im CAD einer- die historischen Hilfswissenschaften und Archi- seits sowie über Geschäftsordnungen (GGO, valien auf spielende Weise heran zu führen GOBarch), Verwaltungsabläufe, Registraturen, versucht. Es folgte ein Besuch im Stadtarchiv in Altregistraturen und zwischenarchivische Ver- Toulouse, dessen Direktor ein aufwändiges Pro- fahren in Deutschland andererseits. Dabei wurde jekt zur Digitalisierung von Katasteraufzeich- speziell auch die Problematik der „Übersetzung“ nungen vorstellte. Weitere Höhepunkte waren die von Verwaltungsvorgängen in elektronisch unter- reiche Kartenabteilung und ein Rundgang durch stützte Abläufe erörtert. die Magazine, die in einem ehemaligen Wasser- werk untergebracht sind, so dass schwierige Ein weiterer Tag galt Besprechungen einer bauliche Voraussetzungen zu überwinden waren. Gruppe von Kollegen, die sich mit Fragen der Bei einem Besuch der Archives départementales internationalen Archivterminologie beschäftigen. du Tarn in Albi stand die Digitalisierung von Diese „groupe de reflexion” hatte sich aus den Personenstandsdaten im Vordergrund. verschiedenen Arbeitsgruppen des Stage heraus zusammengefunden und will sich auch nach Die letzte Arbeitswoche vor Abschluss der Abschluss dieser Fortbildungsmaßnahme weiter- Veranstaltung war individuellen Hospitanzen hin mit dem Problem beschäftigen, wie ein vorbehalten. Gemeinsam mit zwei weiteren aktuellen Ansprüchen entsprechendes kompara- Kurskolleginnen konnte ich der Alten Abteilung tives mehrsprachiges Wörterbuch der archivfach- der Archives nationales einen Besuch abstatten. lichen Terminologie erstellt werden kann. Ein Rundgang durch die Siegelwerkstatt der Abteilung war besonders eindrucksvoll, zumal Nach mehreren bilanzierenden Abschlussbe- dort gerade einer der regelmäßig abgehaltenen sprechungen, in denen unter anderem eine Be- Lehrgänge für Konservatoren stattfand und man urteilung von Inhalten und Ablauf der Ver- uns sozusagen am „lebenden Objekt“ die gän- anstaltung durch die Kursteilnehmer erbeten gigen Restaurierungsmethoden erklärt hat. wurde, schloss der Stage mit einer zeremoniellen Zusätzlich wurden Arbeiten zur Herstellung von Verabschiedung der Teilnehmer. Siegelreproduktionen sowie die vorhandenen Findmittel für die umfangreiche Sammlung vorgeführt. Zu Fragen über die Findmittel zu den Gesamtbewertung der Veranstaltung Schriftgutbeständen der Abteilung, der Anwen- dung moderner Technologien und internationaler Der neue Ansatz, den Stage interaktiver zu Standards bei der Produktion von Findmitteln gestalten, als Forum für den Erfahrungsaus- sowie der Bestandserhaltung konnten wir mit tausch zu nutzen, wurde von den meisten der dem Leiter der Abteilung, Bruno Galland, sehr beteiligten Archivare begrüßt. Man mag gewisse instruktive Gespräche führen. organisatorische Unzulänglichkeiten kritisieren, die bei einem immerhin fast dreimonatigen Individuelle Recherchen, die dem Zweck dienen quasi-Dauertagungsprogramm naturgemäß je- sollten, exemplarisch Erfahrungen als Benut- doch fast nicht zu vermeiden sind. zerin zu sammeln, führte ich im Archiv des

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Die Ausgestaltung der praktischen Arbeitswoche lichen Recherchen gewinnen. Wird man die hätte noch effektiver vorbereitet werden können. Anzahl der Archivbesuche künftighin möglicher- Es erwies sich, dass Kursteilnehmer überflüs- weise etwas reduzieren, um dem Tagungs- sigerweise Zeit verloren z.B. mit der Anmeldung programm mehr zeitlichen Spielraum zu geben, in den zu besuchenden Archiven. Auch könnte kann sich eine gleichzeitige Reform des durch detailliertere Information über die sich Programms hin zu noch mehr - äußerst instruk- bietenden Möglichkeiten und entsprechende tiven - Hospitanzen und praktischen Arbeiten Koordination bereits im Vorfeld der Veran- vermutlich sehr positiv auswirken. staltung das individuelle Programm an Hospi- tanzen in den Arbeitsbereichen der französischen Die unterschiedliche Herkunft der Kursteil- Fachkollegen reibungsloser organisiert werden. nehmer im Hinblick auf Ausbildung, Archivtyp, administrative Traditionen und nicht zuletzt Diese Kritik verliert jedoch deutlich an Gewicht kulturellen Kontext habe ich persönlich als gegenüber der insgesamt sehr positiven Bilanz, besonders förderlich wahrgenommen, da dies die angesichts der großen Programmvielfalt und eine Rückbesinnung auf die wesentlichen des im überwiegenden Teil des Veranstaltungs- Fragen, auf gemeinsame Kernprobleme und ablaufs ermöglichten aktiven Erfahrungsaus- Prioritätensetzungen in der beruflichen Tätigkeit tauschs zu ziehen ist. Letzterer gestaltete sich bewirkte. Mit der ab und zu notwendigen äußerst lebendig, da, von sehr wenigen Aus- kritischen Distanz zum persönlichen Arbeits- nahmen abgesehen, alle Teilnehmer regelmäßig umfeld erzielt man meines Erachtens einen das Wort ergriffen und die in den Heimatländern produktiven Umgang nicht nur mit den im erworbenen Erfahrungen in die Diskussionen Tagungsprogramm gebotenen Detailfragen. einbrachten. Der Ansatz, das Programm stärker den Bedürfnissen der Kursteilnehmer anzu- Angesichts der insgesamt sehr angenehmen und passen und diese aktiv an der Ausgestaltung produktiven Arbeitsatmosphäre habe ich meine partizipieren zu lassen, kann insgesamt nur Teilnahme am diesjährigen Stage als starken begrüßt werden und lässt sich bei entsprechen- fachlichen und persönlicher Zugewinn empfun- dem Engagement und Interesse derselben in den den. Als positiver Begleiteffekt kommt das Folgejahren sicherlich zunehmend wirkungs- intensive Training der Fremdsprachenkenntnisse voller in die Realität umsetzen. hinzu. Wie auch in den vorangegangenen Jahren üblich, wurde zum Auftakt der Veranstaltung ein Als besonders bemerkenswert hervorzuheben ist Französisch-Konversations-Kurs zur Auffri- die Offenheit der Direction des archives de schung der sprachpraktischen Fertigkeiten ange- France, auf die sich wandelnden Bedürfnisse des boten. Von nachhaltigerer Wirkung waren aller- berufspraktischen Alltags und die sich daraus dings die lebhaften Diskussionen während des ergebenden Anforderungen an Fortbildungsver- Tagungsprogramms und die intensiven Ge- anstaltungen flexibel zu reagieren und das spräche unter den Kollegen. immerhin sehr ressourcenaufwändige Programm entsprechend weiterzuentwickeln. Zu danken ist Als sehr positiv empfand ich, dass der Stage über auch für die Bemühungen, ein möglichst viel- reine Diskussion und Reflexion hinausgehend, seitiges Programm zu bieten und als Gastdo- die bei einer derart zeitintensiven Fortbildung zenten ausgewiesene Experten der jeweiligen allein nicht befriedigen können, auch Raum zum Fachgebiete zu gewinnen. konstruktiven Arbeiten bot. Besonders hervorzu- heben ist hierbei das Engagement der für die Mehrere Besuche von Archiven verschiedenen internationalen Beziehungen Verantwortlichen Typs, nicht zuletzt während der traditionell der DAF sowie auch der Vertreter des Sekre- durchgeführten Studienreise, konnten die wäh- tariats des Internationalen Archivrats, die ein rend der Tagungen theoretisch diskutierten Forum für die gemeinsame Erarbeitung von Fragen anhand direkter Anschauung in die Praxis Projektideen boten. übersetzen helfen. Bei den Besichtigungen wur- den neben allgemeinen Präsentationen zugleich Es ist geplant, den Stage insgesamt stärker zu jeweils modulbezogene thematische Studien- einem Forum auszubauen, das noch nach- schwerpunkte gewählt. Zusätzliche Einblicke in haltigere Ergebnisse produziert. Auf diese Weise die Praxis konnte man in der Woche der könnte diese Veranstaltung neben dem Ausbau individuellen praktischen Arbeiten und persön- persönlicher Netzwerke eventuell zusätzlichen

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Nutzen für die internationale archivfachliche Zusammenarbeit erbringen.

Angesichts der deutlich positiven Bilanz, die ich aus dem Besuch dieser Veranstaltung ziehen kann, würde ich mir persönlich sehr wünschen, dass auch zukünftig Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit zur Teilnahme am Stage geboten wird.

Sabine Dumschat

Anmerkungen

1) Vgl. den Beitrag der deutschen Kursteilnehmer des Stage 2004, in: Der Archivar 58 (2005), H. 2, S. 124-126). 2)Über erste Erschließungsarbeiten am Gesamtkomplex der Z-Bestände hat Michael Hollmann berichtet: Das „NS- Archiv des MfS“ und seine archivische Bewältigung durch das Bundesarchiv, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, 9. Jg. Heft 3/2001, S. 53-62. Informationen über den Fort- gang der Arbeit sind nachzulesen in dem Beitrag von Sabine Dumschat und Ulrike Möhlenbeck: Aufarbeitung des „NS- Archivs“ des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR: Abschluss der ersten Projektphase, in: Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, 12. Jg. Heft 2/2004, S. 40-46. Diese Texte zum Projekt „NS-Archiv“ sind auch zu finden unter www.bundesarchiv.de/aufgaben/organisation/abtei- lungen/reich/00381/index.html.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Bewertung und Erschließung des Bestandes B 141 - Bundesministerium der Justiz

Am 20. September 1949 wurde das erste Ministerium ist Herausgeber des Bundesgesetz- Bundeskabinett gebildet und Dr. blattes und des Bundesanzeigers. (FDP) zum Bundesminister der Justiz ernannt. Mit Kabinettbeschluss vom 23. September 1949 nahm das Bundesministerium der Justiz (BMJ) Organisation, Aktenordnung und als oberste Justizverwaltungsbehörde seine Überlieferung Tätigkeit mit rund 80 Beschäftigten auf. Gegen- wärtig verfügt das BMJ über ca. 750 Bedien- Nach einem vorläufigen Organisationsplan vom stete, von denen etwa 80 Prozent am Hauptsitz November 1950 bestand das BMJ aus fünf des Ministeriums in Berlin tätig sind. Die in Abteilungen, die seit 1952 folgende Bezeich- Bonn verbliebene Dienststelle mit ca. 20 Prozent nungen tragen: der Beschäftigten erledigt überwiegend Verwal- tungsaufgaben. Z Verwaltungsabteilung I Bürgerliches Recht, Zivilverfahren Die Aufgaben des Ministeriums sind vornehm- II Strafrecht, Strafverfahren lich die klassischen Gebiete des Rechts: III Handelsrecht, Wirtschaftsrecht IV Öffentliches Recht. - das gesamte bürgerliche Recht (Schuldrecht, Sachenrecht, Familienrecht, Erbrecht), Die oben genannten Abteilungen, deren Anzahl - das Handels- und Gesellschaftsrecht, zwischen 1949 und 1970 gleichgeblieben war, - das Urheberrecht und das Recht des gewerb- bestehen bis heute fort. Als weitere Abteilungen lichen Rechtsschutzes, kamen seitdem hinzu: - das Strafrecht und das Strafvollzugsrecht, - das Gerichtsverfassungsrecht, - Eine eigene Abteilung R Rechtspflege wurde - das Verfahrensrecht der einzelnen Gerichtsbar- im Zuge der sozialliberalen Reformpolitik im keiten außer Arbeits- und Sozialgerichtsbar- November 1970 eingerichtet. keit, - Ausgelöst durch den deutschen Einigungs- - das Dienst- und Berufsrecht der Richter, prozess bestand zwischen 1991 und 1996 eine Staatsanwälte, Rechtsanwälte, Notare, Patent- zusätzliche Abteilung V - Bereinigung von anwälte und Rechtspfleger. DDR-Unrecht. - Die Abteilung E (Europarecht, Völkerrecht, Das BMJ ist ferner zuständig für die mit der Rechtsentwicklung) wurde schließlich vor Herstellung der Einheit Deutschlands erwach- dem Hintergrund des europäischen Einigungs- senen Aufgaben im Bereich der strafrechtlichen, prozesses und der damit verbundenen Rechts- verwaltungsrechtlichen und beruflichen Reha- entwicklung im Jahre 1996 ins Leben gerufen. bilitierung und der offenen Vermögensfragen. Des weiteren werden die Wahl der Bundesver- Zur Zeit gliedert sich das BMJ in folgende fassungsrichter sowie der Richter an den drei sieben Abteilungen: Obersten Gerichtshöfen des Bundes (Bundes- gerichtshof, Bundesverwaltungsgericht und Bun- Z Zentralabteilung (Justizverwaltung) desfinanzhof) vorbereitet. R Rechtspflege I Bürgerliches Recht Gemeinsam mit dem Bundesministerium des II Strafrecht Innern (BMI) ist das BMJ für das Verfassungs- III Handels- und Wirtschaftsrecht recht verantwortlich. Es prüft die Rechtsförm- IV Verfassung; Verwaltungsrecht; Rechts- lichkeit aller Gesetze und ist zu beteiligen, wenn prüfung Fragen verfassungsrechtlicher, völkerrechtlicher E Europarecht; Völkerrecht; Internationale und europarechtlicher Art berührt werden. Das und Europäische Organisationen.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Die Aufgaben des BMJ haben sich in einem fristen“ (= ohne Aufbewahrungsfrist seitens des organisatorisch insgesamt stabilen Rahmen Ministeriums), die punktuell verstreut in den entwickelt. Aufgabenverschiebungen von und zu einzelnen Hauptgebieten des Bestandes vorlagen. anderen Ministerien haben vergleichsweise we- nige stattgefunden: Am 1. Februar 1953 wurde Da über lange Zeit jeweils nur ein(e) Mit- die Zentrale Rechtsschutzstelle an das Aus- arbeiter/in des zuständigen Fachreferates mit den wärtige Amt abgegeben, am 11. November 1969 Bewertungs- und Erschließungsarbeiten an die Verwaltungsgerichtsbarkeit einschließlich diesem gewichtigen und häufig benutzten Gerichtsverfassung und Verfahren vom BMI Bestand befasst war, gingen diese bedauerlicher- übernommen, am 11. November 1969 die Fi- weise nur schleppend voran. Auch auf Grund nanzgerichtsbarkeit einschließlich Gerichtsver- anderer Aufgabengewichtungen, wie verstärkte fassung und Verfahren vom Bundesministerium Auskunftserteilung aus den noch in Koblenz der Finanzen übernommen, am 7. Juli 1970 hat lagernden R-Beständen, Dienstzeitnachweise das BMJ die Zuständigkeit für das Bundes- (2811-Recherchen) sowie Ermittlungsverfahren disziplinargericht vom BMI erhalten. von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaften aus dem In- und Ausland wegen Beteiligung Der seit November 1970 im Organisationsplan Betroffener an NS-Gewaltverbrechen und Ver- ausgewiesene Beauftragte für Menschenrechts- brechen gegen die Menschlichkeit, lagen die fragen war zunächst der Amtsleitung unmittelbar Bewertungszahlen in früheren Jahren bei ca. unterstellt und ist seit 1976 der Abteilung IV 1500 bis 3000 Archivalieneinheiten (AE) - zugeordnet. angesichts der steigenden Abgabemengen aus dem Ministerium ein äußerst unbefriedigender Die Aktenordnung des BMJ zeichnet sich durch Zustand. eine besondere Stabilität aus. Ihr liegt die „Anweisung für die Verwaltung des Schriftguts in Mit der fortschreitenden Verbesserung der den Justizverwaltungsangelegenheiten“ (General- Archivaren zur Verfügung stehenden Arbeits- aktenverfügung) gemäß Beschluss der Justiz- mittel (z. B. IT-Arbeitsplätze) und den aus ministerkonferenz vom 4. Dezember 1952 zu- persönlichen Aufschreibungen ab dem Jahre grunde. Die Generalaktenverfügung unterschei- 2000 verstärkt erarbeiteten Bewertungskatalogen det neun ihrerseits in Gruppen und Untergruppen zu einzelnen Hauptgebieten des Bestandes unterteilte Hauptgruppen, denen die entstehenden konnten die Bewertungszahlen deutlich ge- Akten zugeordnet werden: steigert werden. Zudem konnten erfreulicher- weise in den letzten drei Jahren zwei Sach- 1 Verfassung und Verwaltung bearbeiter an diesem Bestand eingesetzt werden. 2 Rechts- und Dienstverhältnisse der Staatsbe- Nach den Höchstzahlen von vorübergehend ca. diensteten 16.000 Archivalieneinheiten pro Jahr (u.a. be- 3 Zivilrecht und Zivilrechtsgang (einschl. dingt durch Rückstandsaufarbeitung von Gerichtsverfassung) kassablen Serien) liegen die Bewertungszahlen 4 Strafrecht, Strafrechtsgang, Strafvollzug und zuletzt bei durchschnittlich 10.000 AE pro Polizei Bearbeiter. Waren im Juli 2000 von ca. 146.000 5 Finanzwesen abgegebenen Archivalieneinheiten etwa 46.000 6 Kultur, Wohlfahrtspflege und Umweltschutz AE bearbeitet, konnten im November 2002 7 Wirtschaftsangelegenheiten bereits 78.000 AE von 173.000 abgegebenen AE 8 Land- und Forstwirtschaft als bearbeitet gezählt werden, im April 2005 9 Verteidigung und auswärtige Angelegen- waren es gar 123.000 AE von ca. 190.000 heiten. übernommenen Akten - in Prozentzahlen ausge- drückt eine Steigerung von 32 % im Jahre 2000, über 45 % im Jahre 2002 bis hin zu 65 % im Bewertung und Erschließung April 2005.

Mit der systematischen und kontinuierlichen Be- Den Benutzern konnten aus den oben be- wertung und Erschließung des Bestandes B 141 schriebenen Gründen über Jahre neben den wurde bereits in den frühen 1980er Jahren be- Ablieferungsverzeichnissen des Ministeriums gonnen. Vorhergehende Bewertungen beschränk- lediglich Karteien (Datenbankausdrucke) der als ten sich fast ausschließlich auf Akten mit „Null- archivwürdig bewerteten Akten zur Auswertung

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 zur Verfügung gestellt werden. Erst im Jahre Reformen des Gerichtsverfassungs- und Rechts- 1999 erschien das von Frau Hübel bearbeitete pflegerrechts, des Zivilprozessrechts und des Publikationsfindbuch (Band 69 Teil 1) zum Rechts der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Hauptgebiet 4 Strafrecht. Eine wesentlich er- Akten zum Deutschen Richtergesetz mit Ände- weiterte Neuauflage dieses Bandes wird derzeit rungsgesetzen. von Frau Völkel (jetzt Ref. B 1b) vorbereitet. Die Konferenzen der Justizminister und -sena- Dazu wird zu gegebener Zeit gesondert zu be- toren. richten sein. Gerichtsorganisation und materielles bürger- liches Recht (wie Recht der Schuldverhältnisse, Die mehrjährige Arbeitsplanung im Referat B 2 Sachenrecht, Familienrecht, Eherecht, Verwandt- sieht vor, in möglichst kurzen Abständen Find- schafts- und Vormundschaftsrecht, Erbrecht). bücher zu weiteren Hauptgebieten des Bestandes Handels-, Aktien-, Bilanz- und Gesellschafts- vorzulegen. Dies geschah im Jahre 2004 mit dem recht; Urheberrecht, gewerblicher Rechtsschutz Findbuch zum Hauptgebiet 3 Zivilrecht (Band 69 und Patentwesen. Teil 2 in zwei Teilbänden). Dieses Findbuch Verfahrensrecht der streitigen (z. B. Zwangsvoll- wurde zwischenzeitlich auf den Internetseiten streckung, Konkursangelegenheiten) und der des Bundesarchivs auch online gestellt. Des freiwilligen (Zivil-)Gerichtsbarkeit, wie Regis- weiteren wurden jetzt die Findbücher zu den terangelegenheiten, Notariatssachen und Grund- Hauptgebieten 2 Rechts- und Dienstverhältnisse buchangelegenheiten. der Staatsbediensteten (Mai 2005) und 8 Land- und Forstwirtschaft (Juni 2005) vorgelegt. Damit Hauptgebiet 4 Strafrecht: sind von der Überlieferung des BMJ vier der Akten und Materialien zur Strafrechtsreform, insgesamt neun Hauptgebiete durch Findbücher darunter der komplexe Gesetzgebungsprozess; zugänglich. Sitzungsprotokolle der Großen Strafrechtskom- mission sowie zahlreiche rechtsvergleichende Gutachten. Überlieferungsschwerpunkte der Unterlagen zur Verfolgung von NS-Verbrechen einzelnen Findbücher einschließlich einer umfangreichen Sammlung von Urteilen der zuständigen Gerichte; Tätigkeit Hauptgebiet 2 Rechts- und Dienstverhältnisse der Zentralen Stelle der Landesjustizverwal- der Staatsbediensteten: tungen in ; Akten zur Aufarbeitung Akten zu den Rechts- und Dienstverhältnissen des NS-Unrechts und zur Verjährungsdebatte. der Richter und Beamten; Fortbildung ein- Tagungen, Sitzungsprotokolle und Referate des schließlich Deutscher Richterakademie. Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwalts- Dienstbezüge (u.a. Richterbesoldung, Besoldung kammer. der Bediensteten beim Deutschen Patentamt). Akten über Maßnahmen zur Bekämpfung von Rechtsstudium einschließlich Reform sowie Hochverrat und Staatsgefährdung sowie Ver- juristische Prüfungen und Vorbereitungsdienst; gehen gegen die Landesverteidigung und An- Anerkennung von im Ausland abgelegten Prü- griffe gegen die verfassungsmäßige Ordnung. fungen. Strafverfahrenrecht, Strafvollstreckung und Straf- vollzug. Polizeiangelegenheiten; polizeiliche und Personalvertretungen im BMJ einschl. Ge- verwaltungsrechtliche Schutzmaßnahmen; Auf- schäftsbereich sowie Berufsorganisationen (z. B. rechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Deutscher Richterbund, Bund Deutscher Rechts- Ordnung. pfleger, Bund Deutscher Justizbeamten, Deut- scher Gerichtsvollzieherbund, Deutsche Justiz- Gewerkschaft).

Hauptgebiet 3 Zivilrecht: Akten zur „Justizreform im allgemeinen“, mit dem Schriftgut und den Protokollen der zu- ständigen Kommissionen zur Vorbereitung der Reform der Zivilgerichtsbarkeit sowie der einge- setzten Ausschüsse und Arbeitsgruppen.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Hauptgebiet 8 Land- und Forstwirtschaft: Akten zum Naturschutz, Pflanzenzucht und Saatgut; zum Tierschutz einschließlich Tierheil- wesen, Bekämpfung von Tierseuchen; Flurbe- reinigung; Kleingartenschutz; zum Landwirt- schaftlichen Pachtrecht und zum Höferecht; Wasserrecht; Jagd und Fischerei. Vorgesehen ist, die Reihe mit einem Findbuch zum Hauptgebiet 1 Verfassung und Verwaltung fortzusetzen.

Reinhold Bauer Nachlässe von Politikern der Bundesrepublik Deutschland im Bundesarchiv. Eine Übersicht

Im September 2004 fand die Tagung „The (Nachlass, Teilnachlass), Lebenszeit, Funktion, American Presidential Libraries and the Laufzeit des Bestandes (nicht identisch mit den Memorial Foundations of German Politicians“ Lebensdaten), Umfang, Erschließungszustand, des Deutschen Historischen Instituts in Washing- Hinweis auf besondere Benutzungsbedingungen ton statt. Dort stellte der Präsident des Bundes- und auf weitere Teilnachlässe in anderen Ar- archivs Professor Dr. Hartmut Weber Politiker- chiven. Die Angaben erheben keinen Anspruch nachlässe aus der Bundesrepublik Deutschland auf Vollständigkeit und werden immer wieder und der DDR vor, die im Referat B 5 des ergänzt. Genannt wird jeweils nur die wichtigste Bundesarchivs bzw. in der Stiftung Archiv der Funktion. Parteien und Massenorganisationen der DDR bearbeitet werden. Zusätzliche Hinweise zur Person und kurze Be- schreibungen der Bestände finden sich online in Im Rahmen der Vorbereitung auf diese Tagung der ZENTRALEN DATENBANK NACHLÄS- wurde eine Übersicht über Nachlässe von Poli- SE (www.nachlassdatenbank.de). Weitere Aus- tikern, die in der Bundesrepublik hohe Ämter künfte erhalten Interessierte beim Bundesarchiv eingenommen haben, mit Verwahrort in Koblenz (Postadresse: Bundesarchiv, 56064 Koblenz oder erarbeitet, die hier allen Interessierten zur Ver- eMail. [email protected]) fügung gestellt wird. In diese Übersicht wurden folgende Informationen übernommen: Name Manuela Vack

Name Laufzeit Umfang Erschließungs- besondere Nutzungs- sonstiges (nicht zustand bedingungen identisch mit Lebenszeit)

Anders, Georg 1949-1967 1,0 lfm Findbuch nein Teilnachlass: Archiv der (1895 - 1972) sozialen Demokratie der Staatssekretär Friedrich-Ebert-Stiftung

Barzel, Rainer 1947-1984 36 lfm vorläufiges ja (1924 - ) Verzeichnis – Bundesminister

Blücher, Franz 1946-1959 11,8 lfm vorläufiges nein Teilnachlass: Archiv (1896-1959) Verzeichnis des Liberalismus der Bundesminister Friedrich-Naumann -Stiftung, Nordrhein- Westfälisches Haupt staatsarchiv Düsseldorf

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Name Laufzeit Umfang Erschließungs- besondere Nutzungs- sonstiges (nicht zustand bedingungen identisch mit Lebenszeit)

Böning, Eberhard 1965-1987 1,2 lfm Unverzeichnet nein (1929-1988) Staatssekretär

Brentano, Heinrich 1943-1964 5,0 lfm Findbuch nein von (1904-1964) Bundesminister

Brill, Hermann 1912-1960 12 lfm teilweise nein Teilnachlass: Archiv der (1895-1959) bearbeitet sozialen Demokratie Bundestags- der FES, Hessisches abgeordneter Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

Bucher, Ewald 1962-1989 2,5 lfm vorläufiges nein (1914-1991) Verzeichnis Bundesminister

Carstens, Karl 1957-1992 33 lfm Findbuch ja Teilnachlass: weitere (1914-1992) Unterlagen im Bundespräsident Politischen Archiv des Auswärtigen Amts

Claussen, Wilhelm 1921-1976 1,0 lfm vorläufiges nein (1901-1980) Verzeichnis Staatssekretär

Dichgans, Hans 1948-1980 5,9 lfm vorläufiges nein Teilnachlass: Archiv (1907-1980) Verzeichnis der Christlich- Bundestags- Demokratischen abgeordneter Politik der KAS

Ertl, Josef 1948-1989 14,0 lfm vorläufiges nein Teilnachlass: (1925-2000) Verzeichnis Archiv des Liberalismus Bundesminister der Friedrich- Naumann-Stiftung

Gallus, Georg 1977-1989 9,6 lfm vorläufiges ja (1927- ) Verzeichnis Staatssekretär

Haack, Dieter Ohne Angabe 3,2 lfm vorläufiges nein (1934-) (nach 1934) Verzeichnis Bundesminister

Harkort, Günther 1940-1970 0,5 lfm vorläufiges nein (1905-1986) Verzeichnis Staatssekretär

Hase, Karl-Günther 1953-2005 vorläufiges ja von (1926- ) Verzeichnis Staatssekretär, Botschafter

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Name Laufzeit Umfang Erschließungs- besondere Nutzungs- sonstiges (nicht zustand bedingungen identisch mit Lebenszeit)

Hasinger, Albrecht 1970-1993 3,8 lfm vorläufiges ja (1935-1994) Verzeichnis Staatssekretär

Heile, Wilhelm 1906-1969 3,2 lfm vorläufiges nein (1881-1969) Verzeichnis Landtagsabgeordneter

Heuss, Theodor 1902-1953 21,4 lfm Publikations- nein Nachlass bis 1933 (1884-1963) findbuch größtenteils von Heuss Bundespräsident selbst vernichtet. Teilnachlässe: Deutsches Literaturarchiv Marbach Germanisches National- museum Nürnberg Theodor-Heuss-Stiftung

Höcherl, Hermann 1953-1978 7, 5 lfm vorläufiges nein Teilnachlass: Archiv (1912-1989) Verzeichnis für Christlich-Soziale Bundesminister Politik der Hanns- Seidel-Stiftung

Hüttebräuker, 1971-1980 4 AE Findbuch nein Teilnachlass: Rudolf Archiv der Universität (1904-1996) Hohenheim Staatssekretär

Kaiser, Jakob 1900-1961 12 lfm Findbuch nein (1888-1961) Bundesminister

Kattenstroth, 1906-1971 3,2 lfm unverzeichnet nein Ludwig (1906-1971) Staatssekretär

Katzer, Hans 1928-1984 44 lfm Findbuch ja Teilnachlass: Archiv (1919-1996) der Christlich- Bundesminister Demokratischen Politik der KAS

Kiechle, Ignaz 1984-1992 2,7 lfm Findbuch nein (1930-2003) Bundesminister

Kraft, Waldemar 1945-1975 1,5 lm Findbuch nein (1898-1977) Bundestags- abgeordneter

Lauritzen, Lauris 1947-1980 16 lfm Findbuch nein (1910-1980) Bundesminister

Lehr, Robert 1929-1953 1,1 lfm vorläufiges nein Teilnachlass: (1883-1956) Verzeichnis Staatsarchiv Düsseldorf Bundesminister

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Name Laufzeit Umfang Erschließungs- besondere Nutzungs- sonstiges (nicht zustand bedingungen identisch mit Lebenszeit)

Lex, Hans Ritter 1949-1968 1,0 lfm vorläufiges nein von (1893-1970) Verzeichnis Staatssekretär

Lindrath, Hermann 1922; 3 AEFindbuch (1896-1960) 1927-1960 Bundesminister (1961)

Lübke, Heinrich 1934; 7,5 lfm Findbuch nein (1894-1972) 1945-1969 Bundespräsident

Lüders, 1907-1966 8,5 lfm vorläufiges nein Marie-Elisabeth Verzeichnis (1878-1972) Bundestags- abgeordnete

Möller, Alex 1937-1985 148 lfm vorläufiges ja (1903-1985) Verzeichnis Bundesminister

Niklas, Wilhelm 1894-1953 6 AE vorläufiges nein Teilnachlass: Archiv (1887-1957) Verzeichnis der Christlich- Bundesminister Demokratischen Politik der KAS

Preusker, 1937-1990 0,55 lfm Findbuch nein Victor-Emanuel (1913-1991) Bundesminister

Pünder, Hermann 1919-1957 12,5 lfm Findbuch nein Teilnachlass: Nordrhein- (1888-1976) Westfälisches Haupt- Bundestags- staatsarchiv Düsseldorf; abgeordneter Archiv der Christlich- Demokratischen Politik der KAS

Rasner, Will 1956-1971 3 AE Findbuch Teilnachlass: (1920-1971) Archiv der Christlich- Bundestags- Demokratischen Politik abgeordneter der KAS

Schäffer, Fritz 1889-1967 3,2 lfm Abgabelisten ja Teilnachlass: Archiv für (1888-1967) (1979) und Findbuch Christlich-Soziale Politik Bundesminister der Hanns-Seidel-Stiftung

Scheel, Walter 1967-1988 15 lfm vorläufiges ja Teilnachlass: Archiv des (1919- ) Verzeichnis Liberalismus der Bundespräsident Friedrich-Naumann- Stiftung

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Name Laufzeit Umfang Erschließungs- besondere Nutzungs- sonstiges (nicht zustand bedingungen identisch mit Lebenszeit)

Schiller, Karl (1896); 14,00 lfm Findbuch nein Originale des verfilmten (1911-1994) 1931-1990 439 AE Teils im Walter-Eucken- Bundesminister (Nr. 266- Institut in Freiburg 349 auf Film)

Schneider, Wolfgang 1922-1949 5 AE Findbuch nein Teilnachlass: (1906-1984) Archiv der Christlich- Staatssekretär Demokratischen Politik der KAS

Schuberth, Hans 1963 1 AE Findbuch nein Teilnachlass: (1897-1976) Archiv der Christlich- Bundesminister Demokratischen Politik der KAS

Schwarz, Werner 1955-1965 1,1 lfm unverzeichnet nein Teilnachlass: (1900-1982) Archiv der Christlich- Bundesminister Demokratischen Politik der KAS

Schwarzhaupt, 1938-1984 5,9 lfm Findbuch nein Teilnachlass: Elisabeth Archiv der Christlich- (1901-1986) Demokratischen Politik Bundesministerin der KAS; Evangelisches Zentralarchiv, Berlin, Institut für Stadt- geschichte, Frankfurt

Seebohm, 1945-1965 1,1 lfm vorläufiges ja Teilnachlass: Hans-Christoph Verzeichnis Sudetendeutsches Archiv, (1903-1967) München Bundesminister

Spiecker, Karl 1945-1950 0,10 lfm Findbuch nein Teilnachlass: BArch (1888-1953) Berlin, Abt. DDR, Landtagsabgeordneter Nordrhein-Westfälisches Mitglied des Hauptstaatsarchiv Bundesrates Düsseldorf, Moskau

Storch, Anton 1970 1 AE Findbuch nein (1892-1975) Bundesminister

Thedieck, Franz 1925-1966 7,5 lfm Findbuch nein Teilnachlass: (1900-1995) Archiv der Christlich- Staatssekretär Demokratischen Politik der KAS

Wildermuth, 1898-1952 1,0 lfm unverzeichnet nein Teilnachlass: Eberhard (1955) BArch-Militärarchiv (1890-1952) Bundesminister

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Zur Geschichte der Eisenbahnen: Die Reichsbahnakten im Bestand R 5 - Reichsverkehrsministerium, Teil 2: Organisationsentwicklung, Bestandsgeschichte, Quellenwert

Teil 1 gab einen Überblick über die Entwicklung das waren vor allem die Betriebs- und Verkehrs- der Reichseisenbahnen von 19. Jahrhundert bis abwicklung und alle fachlichen Aufgaben, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Daran an- nicht dem Ministerium, einer OBL, einem schließend wird im Folgenden die organisa- Zentralamt oder besonderen „Geschäftsfüh- torische Entwicklung – Struktur und wichtigste renden Direktionen“ vorbehalten waren. Bei Dienststellen –, die Bestandsgeschichte und die letzteren wurden bestimmte Geschäfte mehrerer Überlieferungsbildung dargestellt. RBDen nur von einer geführt. Das traf zum Beispiel auf das Werkstättenwesen zu, d.h. diese geschäftsführenden Direktionen3 leiteten und Oberbetriebsleitungen und überwachten die Tätigkeit aller Werkstätten bei Reichsbahndirektionen den Ausbesserungswerken ihres Gruppenbezirks, während die übrigen örtlichen RBDen mit der Zur Kontrolle und Beaufsichtigung der großen Verwaltung der Werkstätten nichts zu tun hatten. Verkehrsachsen bestanden seit 1920 drei Ober- Jede RBD war in der Regel in fünf Fachab- betriebsleitungen (OBL) als Organe des Reichs- teilungen aufgegliedert, die den Eisenbahn- verkehrsministeriums (RVM): Die OBL West in abteilungen des RVM bzw. der Deutschen , die OBL Süd in München und die OBL Reichsbahn-Gesellschaft (DRG) entsprachen. Ost in Berlin. Letzterer war das Hauptwagen- amt1 angegliedert, das die tägliche Verteilung der Der Präsident der RBD führte außerdem unter leeren Güterwagen auf die Reichsbahndirek- der Bezeichnung „Der Reichsbevollmächtigte tionen (RBD) für das gesamte Reichsgebiet zu für Bahnaufsicht“ die Aufsicht über die Privat- regeln hatte. Jede OBL wurde von einem Präsi- bahnen, Kleinbahnen und Straßenbahnen des all- denten geleitet und bestand aus zwei Abtei- gemeinen Verkehrs in seinem Bezirk. Nach einer lungen, deren Leiter die Bezeichnung Oberbe- „Übersicht über die RBDen am Ende des Ge- triebsleiter bzw. Oberverkehrsleiter trugen. Die schäftsjahres 1943 auf Grund ihres Anteils an der OBL unterstanden direkt dem RVM und hatten Betriebslänge, dem Personalbestand, den Be- Weisungsbefugnis für Maßnahmen, die über den triebs- und Verkehrsleistungen der Reichsbahn“ Bezirk einer einzelnen RBD hinausgingen, bei- vom Juni 1944 bzw. November 1943 war die spielsweise die Zusammenstellung und den Ein- RBD Dresden nach der Betriebslänge, dem satz der verschiedenen Sonderzüge. Insofern Personalbestand und im Güterverkehr (Fracht- standen die OBL über den RBDen. briefe) die größte RBD4.

Im März 1940 wurden die OBL ohne Aufgaben- Die in der „Gruppenverwaltung Bayern“ zusam- veränderungen in Generalbetriebsleitungen (GBL) mengefassten RBDen Augsburg, Ludwigshafen, umbenannt. Bei der GBL Ost bestand ein beson- München, Nürnberg, Regensburg und Würzburg deres Dezernat für den Personenwagendienst, unterstanden bis Ende 1933 der Hauptverwal- dem die Zugbildung sowie die Verteilung und tung der DRG nur mittelbar und wurden erst der Ausgleich der Reisezugwagen oblag. nach der Auflösung der Gruppenverwaltung Bayern ab Anfang 1934 in der Reihe der anderen Räumlich war das Reichsgebiet in die Bezirke RBDen geführt. von anfangs 24 und schließlich 31 Reichsbahn- direktionen aufgeteilt2, die als Mittelbehörden in Die RBDen waren regionale Organe. Deshalb der Reichsbahnstruktur fungierten und die sich werden Akten, die dort entstanden sind und in der Regel auf die Eisenbahndirektionen der geführt wurden, zuständigkeitshalber nicht im Ländereisenbahnen vor 1920 zurückführen las- Bundesarchiv – das nur für die zentrale Verwal- sen. Der Präsident einer RBD fasste die ge- tungsebene zuständig ist –, sondern in Staats- samten Reichsbahngeschäfte in seinem Bezirk archiven aufbewahrt. zusammen und leitete sie voll verantwortlich;

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Reichsbahn-Zentralämter, weitere lagen, die im Zusammenhang mit den gigan- Dienststellen und sonstige Behörden tischen Plänen zum Aus- und Umbau dieser Städte standen. Die Zentralämter waren als Behörden den - Je eine Oberste Bauleitung für „Elektrisie- RBDen gleichgeordnet und ähnlich wie diese rung“6 in Leipzig und Salzburg für die Elek- organisiert. Zu ihren Hauptarbeitsgebieten ge- trifizierung größerer Strecken über mehrere hörten die großen Aufgaben der Konstruktion RBDen hinweg und für den Bau der not- von Fahrzeugen aller Art sowie von Maschinen, wendigen Stromversorgungsanlagen. Anlagen und Geräten und deren Einkauf. Es gab - Zur Stromversorgung aller elektrisch betrie- 3 Zentralämter: Je eines in Berlin (siehe Bestand benen Strecken wurde 1939 eine besondere R 4304) und München (gebildet nach der Elektrische Oberbetriebsleitung in Innsbruck Auflösung der Gruppenverwaltung Bayern Ende eingerichtet, die die Lastverteilung zwischen 1933) und seit Juli 1942 das Zentralamt für den verschiedenen Stromquellen (bahneigenen, Sozial- und Personalwesen in Berlin (siehe städtischen und privaten Kraftwerken) zu Bestand R 4314). regeln und zu überwachen hatte.

Zwischen den RBDen und den Dienststellen des Während die Wirtschafts- und Rechnungsfüh- Außendienstes standen die Ämter. Sie waren in rung der übrigen Abteilungen des RVM vom der Regel den RBDen unterstellt und hatten den Rechnungshof des Deutschen Reichs (siehe örtlichen Dienst zu überwachen. Es gab in jeder Bestand R 2301) geprüft wurde, war dieser für RBD - abhängig von der Größe der Bezirke und die Reichsbahn als ein selbständig wirtschaf- vom Umfang der Geschäfte - 10 bis 20 Betriebs- tendes Sondervermögen des Reichs nicht zu- ämter, und jeweils etwa 4 bis 8 Verkehrsämter ständig, sondern es gab hier eine eigene Orga- und Maschinenämter. Nach Bedarf richtete man nisation der Rechnungsprüfung in Form des für große Bauten Neubauämter ein. Außerdem Hauptprüfungsamts und der Prüfungsämter bei gab es Vermessungsämter, Abnahmeämter und den RBDen und den Zentralämtern. Versuchsämter (siehe Bestand R 4313), die zum Teil jedoch den Zentralämtern unterstanden. Auf Für zentrale Aufgaben der Verkehrswerbung der Stufe der Ämter standen ebenfalls die für die bestand das Reichsbahn-Werbeamt für den Per- Erhaltung der Fahrzeuge zuständigen Reichs- sonen- und Güterverkehr in Berlin. 1925 wurde bahnausbesserungswerke, die anfangs noch als die Reichsbahn-Filmstelle gegründet, die nach Werkstättenämter fungierten. Die Geschäfte der Umbildung des RVM seit 1937 zunehmend jedes Amts führte ein Amtsvorstand, der meist auch vom Gesamtbereich des Ministeriums für die Qualifikation eines Betriebsingenieurs hatte. die Herstellung und Verwaltung von Werbe- und Ausbildungsfilmen genutzt wurde. 1941 erfolgte Bei den Dienststellen des Außendienstes handelt die Umbenennung in Filmstelle des RVM. es sich um die Masse der eigentlichen Betriebs- und Verkehrsstellen, die den praktischen Dienst der Eisenbahn als Verkehrsanstalt an der Basis Neue Organisationsstrukturen ab 1919: abzuwickeln hatten und von denen es zu keinem Eisenbahnabteilungen des RVM bzw. der Zeitpunkt weniger als 15.000 gab. Dazu gehörten Reichsbahn-Gesellschaft Bahnhöfe und Haltepunkte, Güterabfertigungen, Bahnmeistereien, Fahrleistungsmeistereien (für Mit Wirkung vom 6. Oktober 1919 wurden das elektrisch betriebene Strecken), Betriebswerke bisherige Reichsamt für die Verwaltung der und Betriebswagenwerke5, Kraftwagenbetriebs- Reichseisenbahnen (siehe Bestand R 4201) und werke, Wasserwerke, Elektrizitätswerke, Gasan- das Reichseisenbahnamt (siehe Bestand R 4101) stalten und Holztränkanstalten. An der Spitze im RVM vereinigt, das selbst erst als Zentral- jeder Dienststelle stand der Vorsteher. behörde für die neuen Reichseisenbahnen in der Entstehung begriffen war. Neben den im RVM Auf dem Bausektor existierten zeitweise die bereits in Bildung befindlichen Abteilungen für folgenden Stellen: Wasserstraßen sowie für Luft- und Kraftfahr- wesen (vgl. R 5 Findbuch Bd 1 und Bd 2) kam es - Je eine Reichsbahnbaudirektion in Berlin und bis Ende 1919 zur Einrichtung von folgenden München für die Umgestaltung der Bahnan- drei Eisenbahnabteilungen:

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 - E I: Eisenbahnverwaltungsabteilung mit der Zusätzlich zu den drei oben genannten kam es Aufgabe, die Übernahme der Staatseisen- bis Januar 1921 zur Einrichtung folgender bahnen auf das Reich vorzubereiten und die anderer Abteilungen des RVM: Reichseisenbahnen in Elsass-Lothringen zu liquidieren, E II: Personalabteilung - E A: Eisenbahnaufsichtsabteilung für die bis- E IV: Betriebsabteilung her vom Reichseisenbahnamt wahrgenom- E V: Tarifabteilung menen Geschäfte und E VI: Finanzabteilung - E III: Verkehrsabteilung für das Zusammen- E VII: Abteilung für Maschinentechnik wirken der verschiedenen Verkehrszweige und E VIIa: Abteilung für elektrischen Zugbe- die Ausnutzung des Transportraums ein- trieb und Brennstoffwirtschaft schließlich des Beförderungs- und Abferti- E VIII: Bauabteilung gungsdienstes. Die Organisationsstruktur änderte sich bis 1924 Nur die Eisenbahnverwaltungs- und die -auf- mehrmals, einzelne Abteilungen wurden aufge- sichtsabteilung verblieben entsprechend der ver- löst, andere zusammengelegt. änderten Aufgabenstellung beim RVM, nachdem 1924 die DRG gegründet worden war. Alle Dagegen blieb die Struktur der DRG von 1924 anderen später zu beschreibenden Eisenbahn- bis 1937 relativ konstant: abteilungen gehörten bis 1937 zur DRG und erst danach wieder zum RVM. E I Verkehrs- und Tarifabeilung: Wagen-, Beförderungs- und Abfertigungsdienst; Voll funktionstüchtig konnte das RVM erst nach Güter-, Tier- und Personentarife, dem Staatsvertrag vom 1. April 1920 werden. Zu E II Betriebs- und Bauabteilung: Fahrpläne den ersten Amtshandlungen des neuen Ministers und Zugbildung; Lokomotiv- und gehörte der Erlass der „Vorläufigen Verwaltungs- Wagendienst; Unterabteilung E IIa: ordnung der Reichseisenbahnen“ vom 26. April Bauabteilung: Sicherungs- und Vermes- 19207. Darin ist festgehalten, dass der RVM sungswesen, Bau und Unterhaltung der seine Befugnisse mit Hilfe eines oder mehrerer Bahnanlagen, Stellvertreter (Staatssekretäre) durch die Eisen- E III Maschinentechnische Abteilung: Loko- bahnabteilungen und durch die Zweigstellen des motiv- und technischer Wagendienst; RVM ausübt. Es gab anfangs drei Staats- Bau von Fahrzeugen und Fahrzeug- sekretäre: Einen „nichttechnischen“ (Stieler) und teilen, Maschinen und Geräten; Unter- einen technischen (Kumbier); der dritte (Boden- abteilung E IIIa: zeitweise für Werk- stein) leitete die Geschäfte der größten Zweig- stätten, stelle Preußen-Hessen. E IV Finanz- und Rechtsabteilung: Geld- und Kreditfragen, Betriebs- und Ver- Unmittelbar unter den drei Staatssekretären mögensfragen; Unterabteilung E IVa: wurden folgende Angelegenheiten bearbeitet: Rechtsabteilung, Personal, Presse, Zwischenstaatliches, Friedens- E V Personalabteilung: Personalhaushalt; stelle, Statistik und Organisation. Beamten- und Arbeitsrecht; Laufbahn- und Ausbildungswesen; Wohnungs- Eine Anlage zur Vorläufigen Verwaltungsord- und Wohlfahrtswesen, nung8 zählt die Zuständigkeiten des RVM für E VI Verwaltungsabteilung: Organisations- Eisenbahnen im einzelnen auf, von denen die und Hausangelegenheiten, Beziehungen meisten aus der Bezeichnung der nachfolgend zu zur Reichsregierung, internationale An- nennenden Abteilungen ohne weiteres deutlich gelegenheiten, Verwaltungsrat, Frei- werden. Deshalb sollen daraus nur solche Auf- fahrtwesen, Statistik, Geschäftsberichte, gabengebiete angeführt werden, die sich nicht in Pressedienst, Propaganda, Auskünfte an den Abteilungsbezeichnungen widerspiegeln: Ausländer; Unterabteilung VIa: Perso- Vergabe von Arbeiten und Lieferungen, An- und nalien der oberen Beamten, Verkauf von Grundstücken sowie deren Ver- mietung und Verpachtung, Haushalts-, Kassen-, Rechnungs- und Materialwesen sowie Nieder- schlagung fiskalischer Forderungen.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 E VII neu gebildet 1924 als Einkaufsab- Bestandsgeschichte teilung: Beschaffung von Oberbau-, Werk- und Betriebsstoffen, Loko- Die Reichsbahnakten teilen im wesentlichen das motiven, Wagen, Maschinen und Ge- allgemeine Schicksal deutscher zeitgenössischer räten; im Februar 1936 zusammen- Quellen im Zweiten Weltkrieg und in der gelegt mit der Maschinentechnischen Nachkriegszeit. Um die Akten vor Bomben- Abteilung zur neuen Maschinentech- schäden zu schützen, wurden sie seit 1943 aus nischen und Einkaufsabteilung E III. dem Dienstgebäude in Berlin W 8, Voßstraße 35, in Ausweichstellen ausgelagert. Bekannt sind: Außerdem gab es an der Spitze der DRG zwei Freiberg (E IV A), Schloss Oederan und Langen- „Gruppen“, die dem Generaldirektor bzw. sei- Striegers bei Chemnitz in Sachsen, Meiningen nem Stellvertreter direkt unterstanden: (E V) und Arnstadt in Thüringen, Güldensee bei Zeesen in Brandenburg (E VI), Malente-Grems- Gruppe A (Allgemeine Gruppe): entsprach der mühlen, Pansdorf und Pönitz in Schleswig- Allgemeinen Verwaltung. In ihr ist anscheinend Holstein, Lützow bei Schwerin in Mecklenburg, die Abteilung E VI aufgegangen. Stecklenberg im Harz und Garmisch-Parten- kirchen in Bayern. Gruppe L (L = Landesverteidigung): 1935 für Eisenbahnmilitärische Angelegenheiten gebildet: Zusammenarbeit mit der Wehrmacht vor allem in Amtszeiten der Reichsverkehrsminister: Transport-, Material-, Organisations-, Bau- und 13.2.1919 – 1.5.1920 Bahnschutzangelegenheiten. Johannes Bell, Zentrum 1.5.1920 – 8.6.1920 Die Auflösung der DRG und die Überführung , MSPD ihrer Abteilungen in das RVM 1937 war mit 25.6.1920 – 12.8.1923 keinen nennenswerten Änderungen der Ge- , parteilos schäftsverteilung und des Personals verbunden, 13.8.1923 – 15.12.1924 d.h. die Struktur der Eisenbahnabteilungen des , DDP RVM ab 1937 blieb zunächst die gleiche wie die 5.1.1925 – 17.12.1926 der Hauptverwaltung der DRG. Es konnten nur Rudolf Krohne, DVP die folgenden vier wesentlichen Veränderungen 29.1.1927 – 12.6.1928 in der Zeit des Zweiten Weltkrieges nachge- Wilhelm Koch, DNVP wiesen werden: 28.6.1928 – 6.2.1929 Theodor von Guérard, Zentrum - Von Januar 1941 bis Juli 1942 hat es offen- 13.4.1929 – 27.3.1930 sichtlich als E VI und E VII zwei Bauabtei- , Zentrum lungen gegeben und E II hieß nur noch Be- 30.3.1930 – 7.10.1931 triebsabteilung. Theodor von Guérard, Zentrum - In E IV kam es im Januar 1941 außer der 9.10.1931 – 30.5.1932 weiter bestehenden Unterabteilung IV a Gottfried R. Treviranus, KVP (Rechtsabteilung) zur Einrichtung einer 1.6.1932 – 2.2.1937 weiteren Unterabteilung IV b für Privat- und Paul Freiherr Eltz von Rübenach, Kleinbahnaufsicht. parteilos - Ab 1. August 1942 wurde im RVM als E VII 2.2.1937 – 8.5.1945 eine spezielle Planungsabteilung aufgebaut, Julius Dorpmüller, parteilos die den Ausbau des europäischen Verkehrs nach dem Krieg planen sollte. Sie muss aber bald wieder aufgelöst worden sein, denn im Der Lagerungsort am Ende des Zweiten Welt- letzten überlieferten Geschäftsverteilungsplan krieges war entscheidend für den weiteren vom Oktober/November 1944 erscheint sie Verbleib der Unterlagen: Älteres Schriftgut, das nicht mehr. vom RVM bereits an das Reichsarchiv in Pots- - In diesem letzten Geschäftsverteilungsplan dam abgegeben worden war, ist im April 1945 wird noch eine Unterabteilung III a für die bei einem Bombenangriff auf das Magazinge- Werkstätten genannt. bäude des Reichsarchivs verbrannt. Die in den

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Berliner Diensträumen verbliebenen Akten hat dessen Nachfolger stammt, wurden diese Akten die Deutsche Verwaltung für Verkehr und später zuständigkeitshalber ins GStA überführt. Zu das Verkehrsministerium der DDR in sein Beginn der Erschließungsarbeit stellten die Verwaltungsarchiv übernommen und 1955 im dortigen Kollegen jedoch fest, dass einige Umfang von ca. 80 lfm. an das damalige Hundert Akteneinheiten, die im oben genannten Deutsche Zentralarchiv in Potsdam übergeben. preußischen Ministerium begonnen worden Darunter befand sich aber auch Schriftgut der waren, nicht in der RBD Berlin, sondern im Nicht-Eisenbahnabteilungen (vgl. R 5 - Find- RVM fortgeführt wurden. Deshalb war folgende bücher Bde 1 und 2), so dass der umfangmäßige Bestandsabgrenzung notwendig: Dem Bundes- Anteil der Reichsbahnakten nicht beziffert archiv wurden alle Akten übergeben, die werden kann. Ebenso kann heute nicht mehr entweder nach April 1920 im RVM weitergeführt nachgewiesen werden, welches Schriftgut aus oder erst nach April 1920 angelegt worden den in der Sowjetischen Besatzungszone bzw. in waren; alle bis zu diesem Zeitpunkt abge- der DDR befindlichen Auslagerungsstellen wann schlossenen Akteneinheiten verblieben im GStA. in das Potsdamer Archiv kam. Im November 2004 wurden 323 Akteneinheiten Die von den westlichen Besatzungsmächten mit Seehafenstatistiken (22 Kartons = 2,5 lfm), beschlagnahmten Akten wurden nach und nach die Einzelnachweise zur Ein-, Aus- und Durch- den zonalen Verkehrsverwaltungen und später fuhr einzelner Waren in den deutschen Seehäfen der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn zum Gegenstand hatten, an das Staatsarchiv zurückgegeben und gelangten von dort in Hamburg abgegeben. mehreren Abgaben zwischen 1955 und 1966 in das Bundesarchiv. Die Hauptmasse der Reichs- bahnunterlagen - mindestens 200 lfm - wurde im Überlieferungsbildung Jahre 1960 von der Volksrepublik Polen an das Deutsche Zentralarchiv in Potsdam übergeben. Das im Bundesarchiv aufbewahrte Schriftgut der Eisenbahnabteilungen der DRG und des RVM Grob geschätzt wurden zwei Drittel der Bahn- umfasst zur Zeit 7071 Akteneinheiten9. akten in Potsdam bzw. in der Außenstelle Coswig und ein Drittel in Koblenz aufbewahrt. Eine grundsätzliche Entscheidung für die Er- Erst 1996, als die Masse der Akten aus der Zeit schließung der Reichsbahnakten musste schon des Deutschen Reiches von Koblenz an den zu Beginn der ersten Bearbeitung des Bestandes neuen Standort des Bundesarchivs in Berlin- RVM 1967 im Deutschen Zentralarchiv ge- Lichterfelde gebracht wurde, konnten die troffen werden. Diese Entscheidung ist in Unterlagen der zentralen Verwaltungsebene der gleicher Weise auch für den im Bundesarchiv Reichsbahn zusammengeführt werden. Nach der aufbewahrten Teil des Bestandes erfolgt: Die Auflösung des Archivdepots Coswig Ende 1998 Selbständigkeit der Deutschen Reichsbahn- lagert der Bestand gegenwärtig im Zwischen- Gesellschaft blieb unberücksichtigt. Die Akten archiv Hoppegarten bei Berlin und ist dort zu der Abteilungen ihrer Hauptverwaltung sind vom benutzen. Schriftgut der Eisenbahnabteilungen des RVM vor 1924 und nach 1937 nicht getrennt worden, Schließlich kamen im Jahre 2002 insgesamt obwohl es sich nach dem archivischen Pro- 1000 Akteneinheiten (27 lfm) aus zwei venienzprinzip streng genommen um zwei Aktenübergaben zu den Reichsbahnakten hinzu: Überlieferungen handelt. Maßgebend hierfür war 516 Aktenbände (14 lfm) vom Landesarchiv die Tatsache, dass durch die zeitweilige Ver- Berlin und 484 Akteneinheiten (13 lfm) vom selbständigung kein Bruch in der Registratur- Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz führung eingetreten war, denn die meisten Akten (GStA). Beide Zugänge stammten aus dem waren weitergeführt worden, sowohl nach 1924 Altaktenbestand der 1994 aufgelösten RBD als auch ab 1937. Daraus folgt, dass es wenig Berlin, waren zunächst ins Landesarchiv gelangt sinnvoll gewesen wäre, alle Akten, die in den und dort als bestandsfremd, d.h. zum RVM beiden Eisenbahnabteilungen des RVM während gehörig, ausgesondert worden. Nachdem sich bei der Existenz der DRG 1924 bis1937 entstanden der Durchsicht ergeben hatte, dass ein großer waren, als gesonderte Klassifikationsgruppen Teil der Überlieferung aus dem Preußischen aufzustellen. Ministerium der öffentlichen Arbeiten und

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Außerdem sprachen folgende Gründe für diese In der zentralen Aktenführung weist das RVM Vorgehensweise: bzw. die DRG eine Besonderheit auf, die es in keiner anderen zentralen Dienststelle des Deut- - Die Akten im einzelnen danach durchzusehen, schen Reiches gab. Der im Zuge der Büroreform ob sie im RVM oder in der DRG entstanden zum Jahresbeginn 1928 eingeführte und im waren, wäre mit einem unvertretbar hohen Prinzip bis zur Auflösung der Reichsbahn gültige Arbeitsaufwand verbunden gewesen. neue Aktenplan beruhte nicht - wie sonst meist - Viele der Leitungsfunktionen, die beide Eisen- üblich - auf der Dezimalklassifikation, sondern bahnabteilungen des RVM 1924 bis 1937 zu war nach dem „mnemotechnischen“ System erfüllen hatten, wie z.B. die Vorbereitung von aufgebaut, d.h. seine Positionen bestanden Gesetzen, musste auch die Hauptverwaltung ausschließlich aus Buchstaben. Dieser voraus- der DRG zur gleichen Zeit wahrnehmen. schauend angelegte Aktenplan teilte den Ge- - Es geht stets und in allen zeitlichen Perioden samtkomplex des anfallenden Schriftguts in 23 um ein und dieselbe Reichsbahn und jeder mit Großbuchstaben gekennzeichnete Haupt- Aktenband gibt klar zu erkennen, ob die DRG gruppen ein, so dass der erste große Buchstabe oder das RVM dieses oder jenes Schriftstück die Hauptgruppe, der zweite kleine Buchstabe verfasst hat. die Gruppe sowie der dritte und weitere kleine Buchstaben die weiteren Untergliederungen Im Bestand verblieben sind nur die Akten, die in bezeichneten. der Hauptverwaltung bzw. im RVM selbst entstanden sind; das Schriftgut nachgeordneter Beispiele: Dienststellen war schon während der ersten BBetrieb Bearbeitung ausgesondert und jeweils als Bb Bildung der Züge, allgemeines eigener Bestand aufgestellt worden. Auch Bbw Beistellung besonderer Wagen während der abschließenden Bearbeitung sind Bbwd Benutzung der Dienstwagen ca. 300 Akten als bestandsfremd ausgesondert und vor allem in die Bestände R 4101, R 4304 FFahrzeuge und R 4307 sowie in die Fachbibliothek des Fk Bauart (Konstruktion) von Fahr- Bundesarchivs integriert worden. zeugen und Fahrzeugteilen Fkw Bauart von Wagen Dagegen gehört eine große Zahl von Druck- Fkwg Bauart von Güterwagen schriften aller Art weiter zum Bestand, vor allem Dienstvorschriften, die deshalb nicht - wie sonst Es handelte sich um einen Rahmenaktenplan, üblich - als Amtsdrucksachen an die Bibliothek d.h. die selbständige Bildung von Unterakten abgegeben wurden, weil die Bearbeitung, He- durch Anfügung weiterer Buchstaben war rausgabe und Überarbeitung von Dienstvors- gestattet. Es wurden Aktenzeichen mit sieben chriften gerade bei der Bahn einen integralen Buchstaben vorgefunden. Im vorliegenden Find- Teil der Verwaltungstätigkeit darstellten und buch sind in der Regel nur Aktenzeichen mit vier darstellen: Dies wird ohne weiteres deutlich bei Buchstaben erfasst; nur dort, wo es der Klassi- Fahrdienst-, Brems- oder Abrechnungsvorschrif- fikation dienlich war, erscheint der fünfte ten, die massenhaft als Dienstvorschriften über- Buchstabe. Unterakten sind auch daran erkenn- liefert sind. bar, dass hinter den letzten Buchstaben ein Personen- oder Ortsname oder auch eine Zahl, Registraturverhältnisse letztere z.B. bei der Beschaffung von Stoffen für Maschinen, Geräte und Werkzeuge, angefügt Die Akten wurden sowohl dezentral als auch werden konnte. zentral geführt. Eine dezentrale Aktenführung (Expedientenregistraturen, „Fachakteien“, Sach- Bei den Aktenzeichen muss beachtet werden, bearbeiterregistraturen) ist nur bei einigen Ab- dass für die Anfangszeit des RVM bis Mitte der teilungen nachweisbar und betraf weniger 1920er Jahre viele Akten der Vorgängerbehörden wichtige, ständig wiederkehrende oder gleich- der Länder im RVM weitergeführt worden förmige Vorgänge wie z.B. Verwaltung von waren, ohne dass neue Aktenzeichen vergeben Drucksachen, Niederschlagung von Vertrags- wurden. Dadurch sind Irritationen möglich, weil strafen, Gebührenverwaltung oder Organisation solche Registratursignaturen z.T. genau so des Vermessungs- und Liegenschaftswesens. aussehen wie die Aktenzeichen des RVM10.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Auch im RVM entstandene Akten, die bereits vor geschlossen. Dabei handelte es sich um eine der Einführung des Aktenplans 1928 abge- Überarbeitung, also keine Neuordnung und schlossen waren, haben kein neues Aktenzeichen Neuverzeichnung, mit Ausnahme der Reichs- mehr erhalten. bahnakten, die im Jahre 2002 hinzugekommen waren, mit dem Ziel der Herstellung eines Generell kann die Registraturführung der einheitlich gegliederten Findbuchs. Es konnten Reichsbahnakten im RVM nicht als gut nur solche Aktentitel und Enthält-Vermerke eingeschätzt werden. Beispielsweise wurde nicht überprüft und korrigiert werden, die in ihrer konsequent zwischen Einkauf und sonstiger Aussage unklar waren und z.T. in der über- Beschaffung von Fahrzeugen und Fahrzeugteilen lieferten Form nicht zu klassifizieren gewesen unterschieden, obwohl es unterschiedliche wären. Aktenzeichen dafür gab. Das hat zur Folge, dass Nutzer beide Gruppen überprüfen sollten. Wegen Die jetzt vorgelegte Fassung weist Spuren der der z.T. inkonsequenten Aktenzeichen konnten lange zurückliegenden ersten Bearbeitung auf - diese häufig nicht maßgeblich sein für die der vielen daran beteiligten Mitarbeiter und der Bildung von Bandfolgen und Serien in den unterschiedlichen Verzeichnungspraxis im Zen- vorliegenden Findbüchern. Ebenso war es - tralen Staatsarchiv Potsdam und im Bundes- beispielsweise bei Bahnhöfen - bei der Art des archiv Koblenz. So ist z.B. sichtbar, dass zu den Aktenplans nicht möglich, diese in nur einer einzelnen Inhalten von Enthält-Vermerken nicht Gruppe alphabetisch nach Orten zu reihen. grundsätzlich auch die zeitliche Erstreckung angegeben werden musste. Diese fehlenden Die Ordnung und Aufbewahrung der Akten, lag Datierungen nachträglich, also während der PC- bei vier Hauptakteien (Sammelakteien, Registra- Findbucherstellung, zu ergänzen, musste in turen): Anbetracht des dafür notwendigen Arbeitszeit- aufwandes unterbleiben. - Hauptaktei A: Tarife und Verkehr, zeitweise untergliedert in Ag = Tarife, Aw = Güterverkehr Ein weiteres Bearbeitungsproblem stellten die und Ap = Personen-, Gepäck- und Express- bei den Reichsbahnakten üblichen langen Band- gutverkehr, reihen dar, die sich aus der Unterstellung der 30 - Hauptaktei B: Betrieb, bis 40 RBDen unter das RVM ergab. Bandreihen - Hauptaktei C: Verwaltungs-, Rechts-, Finanz- mit 50 und mehr Einzelbänden zu einem Titel und Personalangelegenheiten, sind durchaus keine Seltenheit. Wenn außerdem - Hauptaktei D: Bauwesen, technische und zu einer Aktengruppe mehrere Titel mit langen Liegenschaftsangelegenheiten, Stoff- und Bandreihen gehörten, führte das zu sehr umfang- Gerätewesen, Schifffahrt. reichen Aktengruppen (im Extremfall mit mehr als 100 Akten). Nicht immer war es zweck- mäßig, solche Gruppen zu teilen. Es war ande- Probleme bei der Bearbeitung rerseits auch aus Zeitgründen nicht möglich, die langen Bandreihen durch neue Enthält-Vermerke Die Reichsbahnakten sind in den 70er und 80er „aufzulockern“. Jahren des 20. Jahrhunderts geordnet und verzei- chnet worden. Im Ergebnis war in Koblenz ein Die Klassifikation orientiert sich in den Haupt- vorläufiges Findbuch (Loseblattfolge in einem gruppen nach der Abteilungsstruktur, in den Stehordner) und in Potsdam eine Findkartei Gruppen und Untergruppen nach Aktenplan- entstanden, die unterschiedlich gegliedert waren. positionen. Es wurde Wert darauf gelegt, maxi- Damals konnte die Bearbeitung an beiden mal bis zur vierten Stufe zu gliedern, weil die Standorten nicht kontinuierlich erfolgen, sondern ohnehin sehr breit gefächerte Struktur mit 12 musste immer wieder unterbrochen werden und Hauptgruppen sonst zu unübersichtlich ge- dauerte mehrere Jahre. worden wäre.

Die Zusammenführung der verschiedenen Teil- Jede Hauptgruppe umfasst durchschnittlich 580 überlieferungen und die Erfassung mit dem Akteneinheiten. Die Zuordnung bestimmter BASYS-S-Erschließungsprogramm wurde nach Akten war häufig problematisch, weil manche der Fertigstellung des Findbuchs R 5, Band 2 im Sachtitel mit gleichem Recht in mehrere Klassi- Sommer 2003 begonnen und im Juli 2005 ab- fikationsgruppen passten. Beispielsweise wäre es

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 nicht angebracht gewesen, alle Aktentitel zum archiven, vor allem im GStA und im Landes- Behälterverkehr (Containerverkehr) in nur eine archiv Berlin, befinden, soweit sie noch exis- Klassifikationsgruppe „Behälterverkehr“ einzu- tieren. ordnen, denn solche Aktentitel gehören ohne Zweifel auch in die Gruppen Güterverkehr, Die das Ausland betreffenden Akteneinheiten Fahrzeugwirtschaft, Einkauf und internationale sind in der Klassifikations-Hauptgruppe 11 zu Eisenbahnorganisationen, weil jeder dieser finden. Titel, bei denen der Sachzusammenhang Dienstbereiche damals wesentlich mit Behältern wichtiger erschien als das betreffende Land, sind zu tun hatte. Nach althergebrachten Erschlie- aber auch in anderen Hauptgruppen zu finden. ßungsmethoden hätten hier immer wieder Ver- Wenn alle Titel zu einem Land gesucht werden, weise angebracht werden müssen. Das ist nicht also auch die unter Sachbetreffen verborgenen, mehr erforderlich, weil die online-Suchfunktion empfiehlt sich deshalb unbedingt die Benutzung im PC und die Indices (Sach-, Orts- und Per- des Ortsindex. sonenindex) im ausgedruckten Findbuch leicht zu einem gesuchten Begriff und den dazu vor- Die sehr zahlreich überlieferten Handakten (ca. handenen Akten führen. 250 Akteneinheiten) befassen sich ihrem Ent- stehungszusammenhang nach meist mit sehr Statistiken unterschiedlicher Art und Intensität unterschiedlichen Themen und mussten deshalb konnten ebenfalls nicht als Hauptgruppe aufge- als eigene Hauptgruppe aufgestellt werden. In stellt werden, sondern mussten bei der zuge- den meisten Fällen wäre es nicht möglich hörigen Sachgruppe verbleiben, weil der Akten- gewesen, sie einer bestimmten Klassifikations- plan des RVM so angelegt war. gruppe zuzuweisen.

Innerhalb der Klassifikationsgruppen sind die Als Ausnahmen sollten beachtet werden: Akten - ihrem Inhalt entsprechend - chronolo- gisch, nach Aktenplanpositionen oder nach den - Wenn der überwiegende Inhalt einer Handakte gegebenen Sachzusammenhängen geordnet. doch grundsätzliche Fakten zu einer Sach- gruppe enthielt, wurde sie dort klassifiziert. Obwohl eine Vorbemerkung zu den Indices die - Wenn der Name der aktenführenden Person getroffene Auswahl der Stichworte erläutert, soll nicht zu ermitteln war, musste die als solche auch an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, erkennbare Handakte einem Sachkomplex dass ein Begriff aus irgendeiner Stufe der zugeordnet werden. Klassifikation generell nur dann als Index- Stichwort erscheint, wenn es in der betreffenden Die Bandzählung war oft nicht konsequent, d.h. Akte nicht ohne weiteres vermutet werden kann. bei langen Bandreihen stimmten die Bandzahlen des öfteren nicht mit der chronologischen Alle RBD-Bezirke sind unabhängig von ihrer Abfolge der einzelnen Bände überein. Die heutigen Zugehörigkeit zu Nachbarstaaten Ursache kann nur in der ursprünglichen Ver- Deutschlands immer alphabetisch, also von zeichnung der Akten liegen: Es gab „Sonder- Augsburg bis Wuppertal, gereiht, d.h. es sind akten“ und/oder „Beiakten“, die jeweils in sich auch die österreichischen RBDen der damals nummeriert waren, deren eigene Bandzählung sog. „Ostmark“ (Linz, Villach, Wien) einbe- aber nicht beachtet wurde, sondern man hat bei zogen. der Verzeichnung in diesen Fällen oft nur eine Bandreihe zu einem Aktentitel gebildet. Dies In der Hauptgruppe Bauwesen, Gruppe Neubau musste logischerweise entweder zu doppelten von Bahnen, die mit mehr als 1.000 Akten- Bandzahlen und/oder zu zeitlichen Brüchen in bänden überliefert ist, wurde zwecks besserer der Bandfolge führen. Leider waren solche Übersicht darauf verzichtet, die stereotyp immer Mängel bei der Masse der überlieferten Reichs- gleichen Aktentitel „Eisenbahn von A nach B“ bahnakten nur dadurch reparabel, dass will- oder „Anlage einer Eisenbahn von A bis B“ so zu kürlich neue Bandfolgen gebildet11 und somit die verwenden, sondern hier sind als erstes Ord- vorgefundenen Bandzahlen verändert wurden. nungsmerkmal generell nur die Orte genannt. Wenn außerdem bei langen Bandreihen die Gerade in dieser Gruppe können sich frühere Anfangsbände fehlen, muss angenommen Bände aus der Zeit der Länder- und Staats- werden, dass diese entweder - falls sie nicht in eisenbahnen durchaus noch in den Staats- Landesarchiven aufbewahrt werden - bereits im

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 RVM kassiert worden oder verloren gegangen existiert im zuständigen Fachreferat des Bundes- sind. archivs ein Einzelnachweis. Deshalb sollen an dieser Stelle nur die folgenden Beispiele für Die Datierung erfolgt in der Regel nur in Jahres- kassierte Akten genannt sein; sie geben die zahlen. Umfasst die Akte nur einige Monate entsprechenden Aktenplanpositionen an: innerhalb eines Jahres, sind diese nach Möglich- keit angegeben. Bei fehlender Datierung er- - Fkb-Fks: Bauart von Teilen für verschiedene scheint „o.Dat.“. Fahrzeugarten, im einzelnen: Bremsklötze, Puffer und Federn sowie Schmiervorrich- tungen: 82 Bde, Bewertung und Kassationen - Fkwp: Bauart der verschiedenartigsten Teile für Personenwagen wie Türen, Fenster, Eine erste Bewertung des Schriftguts wurde Schilder, Beleuchtung, Aborte: 72 Bde, bereits in der Behörde vorgenommen. Die - Iop: Arbeitspläne im Oberbau für Bahnunter- „Dienstvorschrift über das Aktenwesen“ vom 1. haltungsarbeiter: 22 Bde, Dezember 192712 unterschied zwischen Schrift- - Iwss: Aufhebung von Überwegen und Schlie- stücken von dauerndem Wert, die „zu den Akten“ ßung von Schranken: 24 Bde. genommen werden und solchen, die als „Weg- legesachen“ behandelt werden sollten. Diese sind in der Regel zwei Jahre nach ihrer Ent- Quellenwert und Überlieferungslage stehung vernichtet worden. Darüber hinaus ist festzustellen, dass im RVM rigoros in massen- Der Quellenwert der hier verzeichneten Reichs- haft angefallenen Verkehrs- und Tarifakten bahnakten ist immens: Sie sind die wichtigste kassiert worden ist13. archivalische Quellengruppe zur Erforschung und Darstellung der Geschichte der zentralen Während der Ordnung und Verzeichnung der Verwaltungsebene der Reichsbahn im Zeitraum Reichsbahnakten in den 1970er und 1980er 1920 bis 1945. Die Masse der Akten ist in den Jahren ist nur vorsichtig und sporadisch kassiert 20er bis 40er Jahren des 20. Jahrhunderts ent- worden. Es wurden nur Doppelstücke oder Akten standen, nicht wenige gehen zeitlich bis in das vernichtet, die ohne jeden Zweifel keinen 19. Jahrhundert zurück, wenn sie unter den historischen Wert besaßen wie z.B. Buchungs- Ländereisenbahnen begonnen und von der DRG belege für Büromaterial oder Einzelnachweise weitergeführt wurden. Einzelne Akten reichen über Gebührenerhebungen. auch bis nach 1945.

In Vorbereitung auf die computergestützte In unterschiedlicher Breite werden bis auf Erschließung kamen im März 2003 bei der geringe Ausnahmen alle Aufgabengebiete wider- Durchsicht der bisherigen Findmittel Zweifel gespiegelt. Wenn auch die Verluste infolge des auf, ob es sinnvoll wäre, alle dort verzeichneten Zweiten Weltkrieges nicht so gravierend sind Akten unbewertet in das neue Findbuch zu wie bei den anderen Verkehrsbereichen, so ist übernehmen. Das Bundesarchiv war der Mei- doch aus einem ganzen Strukturteil, der sog. nung, dass möglicherweise viele Akteneinheiten „Gruppe L“ (Eisenbahnmilitärische Angelegen- über allzu spezielle Einzelheiten entweder ganz heiten), fast gar nichts überliefert. Diese Verluste kassiert werden oder nur ab einem bestimmten werden nur zu einem kleinen Teil durch die Stichjahr, z.B. 1933 oder 1939, aufgehoben, die Sammlungen Sarter (vgl. R 5 Anhang 1) und früher abgeschlossenen Akten jedoch vernichtet Kreidler (vgl. R 5 Anhang 2) ausgeglichen. werden könnten. Da es sich in der Mehrzahl um technische Vorgänge handelte und kein Archivar Sehr breit überliefert sind dagegen finanzielle solche Detailkenntnisse besitzen kann, wurde die und Rechtsangelegenheiten, allgemeine Per- Deutsche Bahn AG als Nachfolger der Deut- sonalbetreffe, Bausachen, Tarife, Fahrzeuge aller schen Reichsbahn konsultiert, die ihrerseits Art14 und Ingenieurbauangelegenheiten (Ausbau Fachleute, vor allem im DB Museum in Nürn- von Strecken, vor allem Brücken- und Wege- berg, einbezog. Im Ergebnis bestärkten die bau)15, Ausführung und Auswirkungen des Fachleute das Bundesarchiv in vollem Umfang Versailler Vertrages, Privat- und Kleinbahnen bei seinen Kassationsentscheidungen. Hierzu (218 Bde) sowie internationale Beziehungen,

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 darunter die Verhandlungen und Beschlüsse des für den größten Teil dieser Gebiete zuständig wurde, dort Internationalen Eisenbahnverbandes. Technische also keine neuen RBDen eingerichtet wurden. Vorschriften aller Art finden sich in großer Zahl 5) Bahnbetriebswerke hatten bei wenig Betrieb den ge- samten Lokomotiv- und technischen Wagendienst abzu- in Bauakten sowie in der Gruppe Zeug- und wickeln, während an verkehrsreichen Punkten eigene Be- Stoffwirtschaft16. Die Sitzungsprotokolle des triebswerke für Lokomotiven und daneben Betriebswagen- Verwaltungsrats sind mit mehr als 80 Bänden so werke als gesonderte Dienststellen bestanden. gut wie vollständig überliefert. Die letzte Klassi- 6) = damals gebräuchliches Wort für Elektrifizierung. fikationsgruppe Handakten stellt eine wertvolle 7) RGBl 1920, S. 797-799. 8) Ebenda, S. 800-804. Ergänzung zu den Sachakten dar und sollte 9) Die lfm-Zahl festzustellen ist nicht möglich, weil die deshalb vor allem bei technischen und orga- Reichsbahnakten lagerungs- und signaturmäßig nicht von nisatorisch-strukturellen Fragestellungen unbe- den anderen Bereichen des Verkehrswesens getrennt sind dingt durchgesehen werden. (Siehe Findbücher Bde 1 + 2 des Bestandes R 5 RVM). Für Nutzer wird dies dadurch deutlich, dass die Archivsigna- Im R 5 - Findbuch Band 2 gibt es bereits ca. 20 turen in der Regel durcheinander in den Klassifikations- gruppen erscheinen. Akteneinheiten mit Dokumenten zur Reichs- 10) z.B. „Fr“ = Friedensvertrag (?); dieses „Fr“ gibt es aber bahn, die im Kraftverkehr und Straßenwesen im mnemotechnischen Aktenplan des RVM nicht. sowie im Hauptbüro des RVM anfielen. Ebenso 11) Um nicht immer wieder den in vielen Findbüchern des sind in den vorliegenden Eisenbahn-Findbüchern Bundesarchivs allzu häufig anzutreffenden Vermerk „Be- auch viele Akten über Kraftfahrzeuge und merkung Bandfolge: Bandzählung archivisch“ anbringen zu müssen, ist generell auf diesen Vermerk verzichtet worden. Kraftverkehr und sogar über Schifffahrt (Boden- 12) R 5 / 13205. seeschifffahrt, Schiffbausachverständige, Ostsee- 13) Beispielsweise sind bei den Tarifen für die Beförderung häfen, Bau von Schiffen) enthalten, denn die von Holz alle vor 1929 angefallenen Bde, insgesamt 19, Reichsbahn blieb nicht auf den Schienenverkehr bereits im RVM kassiert worden. Ebenso ist davon beschränkt, sondern engagierte sich in allen auszugehen, dass bei dem ursprünglich mit 40 Bänden Verkehrsbereichen. In diesem Zusammenhang vorhandenen Titel „Rollfuhrdienst und Sammelspedition“, wovon nur noch die letzten 6 Bde überliefert sind, 34 Bde sind auch Dokumente zum Konkurrenzverhältnis bereits im RVM vernichtet worden sind. Schiene - Straße - Wasserweg in der Klassifika- 14) Für Laien auf dem Gebiet des Bahnbetriebs wäre zu tionsgruppe 6.1. vorhanden. beachten, dass unter Fahrzeugen nicht nur Kraftfahrzeuge, sondern von alters her alle Arten von Lokomotiven und Im Zuge der oben angeführten Aktenabgaben aus Wagen zusammengefasst werden. 15) Wie speziell die Überlieferung ist, sollen folgende dem Landesarchiv Berlin und aus dem Ge- kuriose Beispiele belegen: Es hat 1928 einen „Sonder- heimen Staatsarchiv mussten z.T. bestehende ausschuß zur Festsetzung von Grenzmaßen für den Bandfolgen zerrissen werden. Das war not- Knickwinkel von Ablaufbergen“ gegeben und es sind sogar wendig bei langen Bandreihen. Wenn es um Quellen über Wünschelrutengänger vorhanden! einen verhältnismäßig geringen Teil einer Akten- 16) So war z.B. bereits Ende der 1930er Jahre von einheit ging, der entweder vor 1920 begann oder Windkraftwerken die Rede. nach 1920 fortgeführt wurde, ist die Bestands- Bedauerlicherweise sind im letzten Heft in Teil 1 des abgrenzung großzügig und vernünftig, d.h. nicht Beitrags zu den Reichseisenbahnen die Angaben zu den streng nach dem archivischen Provenienzprinzip, Anmerkungen nach Nr. 23 verloren gegangen, die deshalb geregelt worden. an dieser Stelle nachgetragen werden. Die Redaktion bittet, das Versehen zu entschuldigen.

Ulrich Roeske 23) Hier wäre vor allem die Betriebskostenrechnung zu nennen. 24) Eine der wesentlichsten technischen Innovationen war die Ausrüstung der Güterzüge mit der sog. Kunze-Knorr- Anmerkungen Bremse, einer durchgehenden automatischen Druckluft- bremse. 1) Das Hauptwagenamt unterstand vorher dem Zentralamt 25) An bemerkenswerten Neubauten aus dieser Zeit sollen Berlin. nur die Errichtung des Hindenburgdamms (1923-1927), des 2) Wichtigste Veränderungen: Zwischen 1930-1937 Auf- Rügendamms (1931-1936) und die Zugspitzbahn (1928- lösung der RBDen Ludwigshafen, Magdeburg, Oldenburg 1930) erwähnt werden. und Würzburg, 1935 neu hinzu RBD Saarbrücken und 1938 26) vgl. hierzu R 5 - Findbuch Bd 2, S. IV f. neu hinzu die RBDen Wien, Linz und Villach. 27) Kopper, Christopher, S. 9. 3) insgesamt 10: Berlin, Breslau, Dresden, Hamburg, 28) Im März 1936 wies der Generaldirektor der DRG die Kassel, Köln, Königsberg, München, Stuttgart und Wien. RBDen und Zentralämter an, in bezug auf den Stempel- 4) Az. 4 Aü, R 5 / 16236. Dies erklärt sich daraus, dass die gebrauch der Dienststellen die Bezeichnung „Gesellschaft“ RBD Dresden nach der Annexion des Sudetengebietes 1938 zu vermeiden. Vgl. Eisenbahnen in Deutschland, S. 168.

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 29) Kopper, Christopher, S. 21 f. Hinweise auf Quellen zum Eisenbahnwesen 30) Dem entsprach, dass ihr überliefertes Symbol, der in anderen Beständen Adler, durch den Hakenkreuzadler ersetzt wurde. 31) Mitte der dreißiger Jahre wies die Reichsbahn als größtes Unternehmen der Welt ein bilanzmäßiges Vermögen Wie bereits ausgeführt, sind Akten über das von 23 Milliarden Reichsmark auf, vgl. Eisenbahnen in Eisenbahnwesen in den deutschen Ländern bis Deutschland...,S. 200. 1920 in den jeweils regional zuständigen Staats- 32) Geschichte der Eisenbahn in Deutschland. Katalog zur archiven der deutschen Bundesländer zu finden. neuen Dauerausstellung im Deutschen Bahn-Museum, Bd Die Vorgängerakten der vorrangig relevanten 2: Im Dienst von Demokratie und Diktatur. Die Reichsbahn 1920-1945, Nürnberg 2002, S. 10; künftig: „Katalog DB- zentralen preußischen Eisenbahnverwaltung be- Museum...“. finden sich im Bestand Ministerium der öffent- 33) Eisenbahnen in Deutschland..., S. 204. lichen Arbeiten im Geheimen Staatsarchiv 34) Ebenda, S. 202. Preußischer Kulturbesitz in Berlin. 35) Ebenda, S. 174. 36) Ebenda, S. 196. Die Mitgliedszahl der Eisenbahnver- Im Bundesarchiv kommen die folgenden weit- eine, die in einem Reichsverband zusammengeschlossen waren, stieg von 400.000 im Jahr 1933 auf mehr als eren Bestände in Betracht: 650.000 im Jahr 1937. R 2 Reichsfinanzministerium, 37) vgl. R 5 / 2170 und Bestand R 4304. Aktenplangruppe Ve(rkehr), 38) Katalog DB-Museum..., S. 104. R 3 Reichsministerium für Rüstung 39) Ende 1943 taten schließlich ca. 190.000 Frauen in allen und Kriegsproduktion Bereichen der Reichsbahn Dienst, mit einer Arbeitszeit von 54-56 Stunden pro Woche; vgl. Eisenbahnen in Deut- R 5 Anhang 1 Sammlung Sarter schland..., S. 235. R 5 Anhang 2 Sammlung Kreidler 40) Ebenda. R 11 Reichswirtschaftskammer 41) Pro Person und Schienenkilometer erhielt sie 0,04 RM, R 13 Wirtschaftsgruppen für Kinder unter 10 Jahren 0,02 RM! Vgl. Eisenbahnen in R 43 Reichskanzlei Deutschland..., S. 240. Diese Gelder stammten aus dem R 50 Organisation Todt Vermögen jüdischer Bürger selbst, das ihnen infolge der 11.Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom November R 124 Eisenbahnverwaltun in den be- 1941 „zugunsten des Reiches“ entzogen worden war; vgl. setzten Gebieten Verfolgung und Verwaltung. Die Rolle der Finanzbehörden R 132 Reichsverkehrsgruppe Schienen- bei der wirtschaftlichen Ausplünderung der jüdischen bahnen und Fachgruppe Neben- Bevölkerung in Berlin. Dokumentation einer Ausstellung bahnähnliche Kleinbahnen und im Haus am Kleistpark, Berlin 2003, S. 7. 42) Eisenbahnen in Deutschland.... Private Bahnen 43) Verwaltungsgeschichte..., S. 935. R 901 Auswärtiges Amt R 3001 Reichsjustizministerium R 3102 Statistisches Reichsamt, v.a. Privat- und Kleinbahngesellschaften R 3301 Reichsministerium für Wieder- aufbau R 3901 Reichsarbeitsministerium R 4101 Reichseisenbahnamt R 4201 Reichsamt für die Verwaltung der Reichseisenbahnen R 4202 Generaldirektion der Eisen- bahnen in Elsaß-Lothringen R 4304 Reichsbahnzentralamt Berlin R 4306 Hauptverkehrsdirektion Brüssel R 4307 Verein Mitteleuropäischer Eisen- bahnverwaltungen R 4308 Reichsbahn - Waisenhort R 4309 Reichsbahn-Versicherungsanstalt R 4310 Sonderbeauftragter des RVM für Ausweichwerke R 4312 Deutscher Bevollmächtigter für die deutsch-polnischen Verhand- lungen über Oberschlesien – Unterkommission Eisenbahnen

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 R 4313 Reichsbahn-Versuchsämter Gall, Lothar; Pohl, Manfred (Hrsg.), Die Grunewald Eisenbahn in Deutschland – Von den Anfängen R 4314 Reichsbahn-Zentralamt für bis zur Gegenwart, München 1999 Sozial- und Personalwesen R 4315 Oberste Bauleitung für Gottwaldt, Alfred B., . Elektrisierungen Kulturgeschichte und Technik, Transpress Verlag R 4316 Generalbetriebsleitung Ost 2000 R 4317 Generalverkehrsdirektion Osten, Warschau Im Dienst von Demokratie und Diktatur. Die R 4323 Reichsbahnzentrale für den Reichsbahn 1920-1945. Katalog zur Daueraus- deutschen Reiseverkehr stellung des DB Museums Nürnberg, 2002 Kl. Erw. 409 Nachlasssplitter Karl Stieler Kl. Erw. 750 Nachlasssplitter Julius Kopper, Christopher, Handel und Verkehr im 20. Dorpmüller Jahrhundert. = Enzyklopädie Deutscher Ge- schichte Band 63, hrsg. von Lothar Gall, Chronologisch geordnete Zeitungsausschnitte München 2002 und Druckschriften zum Eisenbahnwesen ent- halten die Bestände NS 5 VI und R 8034 II. Lichtenstein, Heiner, Mit der Reichsbahn in den Diese Quellen stellen vielfach einen wertvollen Tod. Massenstransporte in den Holocaust, Köln Ersatz für fehlende archivalische Quellen dar, 1985 besonders dann, wenn es nur um Daten und Zusammenhänge von Ereignissen sowie um das Mierzejewski, Alfred C., The Most Valuable breite Spektrum unterschiedlicher politischer Asset of the Reich. A History of the German Meinungen zu konkreten Maßnahmen geht. National Railway. Vol. 1 1920 – 1932. Chapel Hill / London 1999, Vol. 2: 1933 – 1945. Chapel Auswahl einschlägiger Literatur: Hill / London 2000

Die Reichsbahn. Amtliches Nachrichtenblatt der Reimer, Michael / Volkmar Kubitzki, Eisenbahn Deutschen Reichsbahn(-Gesellschaft), Berlin in Polen 1939-1945. Die Geschichte der Gene- 1924-1945: raldirektion der Ostbahn, transpress-Verlag, zeitweise unter folgenden anderen Titeln: 1.Aufl. 2004 1924-1925: Mitteilungen der Deutschen Reichs- bahn-Gesellschaft Sarter, Adolf, Die deutschen Eisenbahnen im 1925-1933: Amtliches Nachrichtenblatt der Deut- Kriege, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1930 schen Reichsbahn-Gesellschaft 1934-1935: Amtliches Nachrichtenblatt der Deut- Schymanietz, Peter Arthur, Die Organisation der schen Reichsbahn-Gesellschaft und der Gesell- deutschen Eisenbahnen 1835-1975, Freiburg schaft Reichsautobahnen 1977 1936-1938: Amtliches Nachrichtenblatt der Deut- schen Reichsbahn und der Gesellschaft Reichs- autobahnen 1938-1941: Amtliches Nachrichtenblatt der Deut- schen Reichsbahn und der Reichsautobahnen 1941-1945: Amtliches Nachrichtenblatt der Deut- schen Reichsbahn

Stationsverzeichnis der Eisenbahnen Europas (früher: Dr.Kochs Stationsverzeichnis). Nach amtlichem Material i.A. des Vereins Mitteleuro- päischer Eisenbahnverwaltungen hrsg. von A. Nether, 51. Auflage, Berlin 1936 Deutsche Verwaltungsgeschichte, hrsg. von Kurt A. Jeserich u.a., Bd 4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stutt- gart 1984

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Unterlagen der Wehrwirtschafts- und Rüstungsdienststellen der Wehrmacht. Wie Auszubildende erschließen lernen

Gegenwärtig betreut das Bundesarchiv-Militär- wirtschafts- und Rüstungsamt (WiRüAmt) um- archiv sechs Auszubildende sowohl des ersten benannt, dessen rüstungswirtschaftliche Ab- als auch des zweiten Lehrjahres für den Beruf teilung am 7. Mai 1942 als Rüstungsamt in das der Fachangestellten für Medien- und Informa- Reichsministerium für Rüstung und Kriegs- tionsdienste. Neben Unterrichtsblöcken an der produktion eingegliedert wurde. Das im Ober- Berufsschule in Calw absolvieren die Auszu- kommando der Wehrmacht verbliebene Wehr- bildenden in den einzelnen Referaten Prakti- wirtschaftsamt (WiAmt) erhielt am 15. Februar kumsphasen, um ihnen die archivische Arbeit 1943 wieder die Bezeichnung Wehrwirtschafts- näher zu bringen und damit sie ihre Kenntnisse stab und wurde am 28. März 1944 in Feld- erproben können. wirtschaftsamt umbenannt.

Das Referat MA 5 begleitete im Jahr 2005 fünf Die Aufgaben des Wehrwirtschafts- und Rüs- praktische Ausbildungsabschnitte, in denen tungsamtes bestanden in der Beschaffung von neben der Anfragenbeantwortung und einfachen Waffen und Ausrüstung für die Wehrmacht. Für Ordnungsarbeiten vor allem die archivische die Bereitstellung von Rohstoffen, Arbeits- Erschließungstätigkeit Gegenstand der Betreu- kräften und Transportraum hatte es ebenso zu ung war. Ziel sollte ferner das teamorientierte sorgen wie für die Erkundung und Ausnutzung Arbeiten der Auszubildenden untereinander und des Wirtschafts- und Rüstungspotentials der mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des besetzten Gebiete. Fachreferats sein. Daher entschloss sich das Referat nach Rücksprache mit dem Ausbildungs- Für die praktische Umsetzung dieser Aufgaben leiter Henry Böhm, sich bei der Wahl der zu waren vor allem die nachgeordneten Dienst- erschließenden Bestände auf „verwandte“ Pro- stellen des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes venienzen zu konzentrieren. zuständig. Auf dem Gebiet des Deutschen Reiches waren dies auf der mittleren Ebene 21 Die Wahl fiel auf die Überlieferung der Wehr- Rüstungsinspektionen, denen jeweils ein bis fünf wirtschafts- und Rüstungsdienststellen der Wehr- Rüstungskommandos mit regionaler Zuständig- macht, die umfassend von der vorgesetzten keit nachgeordnet waren. Insgesamt existierten Dienststelle bis in die kleinsten nachgeordneten im „Heimatkriegsgebiet“ 65 Rüstungskomman- Bereiche erhalten geblieben ist. Insgesamt um- dos, wobei allein fünf Kommandos auf den fasst der Bereich „Wehrwirtschaft und Rüstung“ Großraum Berlin entfielen. 99 Bestände, die meist militärtypisches Regis- traturgut enthalten. Somit war es weiterhin mög- Die Inspektionen und Kommandos hatten die lich, mit den Auszubildenden aktenkundliche Rüstungsproduktion zu überwachen und voran- Übungen durchzuführen, die sich vor allem mit zutreiben sowie die Truppen und Verbände von Kriegstagebüchern, Lageberichten aber auch Heer, Marine und Luftwaffe mit den ent- Sachaktenbänden befassten. sprechenden Bedarfsmitteln zu versorgen.

Diese Aufgaben hatten in gleicher Weise die Wehrwirtschafts- und Rüstungsdienststellen: Rüstungs- bzw. Wehrwirtschaftsdienststellen in Aufgaben und Organisation den besetzten Gebieten zu erfüllen. Rüstungs- inspektionen mit Rüstungskommandos exis- Die Wirtschaftsabteilung des Heereswaffenamtes tierten im Protektorat Böhmen und Mähren, im wurde am 1. November 1934 als Dienststelle Generalgouvernement, in Frankreich, Belgien, „Wirtschafts- und Waffenwesen“ ins Wehr- Dänemark sowie in den Niederlanden und den machtamt des Reichswehrministeriums über- Reichskommissariaten Ostland und Ukraine. In führt und im Oktober 1935 in Wehrwirtschafts- Norwegen und Südosteuropa hingegen führten stab (WStb), am 22. November 1939 in Wehr- die Dienststellen die Bezeichnung „Wehrwirt-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 schaftsstab“, denen entsprechend Wehrwirt- schaftsdienststellen“ in das Amtsgericht Vacha/ schaftsoffiziere nachgeordnet waren. Seit 1941 Rhön ausgelagert und schließlich - zusammen bestand ferner die Dienststelle des Deutschen mit Görings Gemäldesammlung - in ein Kali- Wehrwirtschaftsoffiziers in Italien und Sonder- bergwerk verbracht (vermutlich Merkers an der beauftragten des OKH/Heereswaffenamt Rom. Werra), wo es bei Kriegsende von US-Truppen Für das Gebiet der Sowjetunion bildete sich seit beschlagnahmt wurde. Die Rückführung der Februar 1941 der Wirtschaftsstab Ost, dem fünf Akten der Wehrwirtschafts- und Rüstungsdienst- Wirtschaftsinspektionen, 23 Wirtschaftskom- stellen aus den USA erfolgte im Jahre 1960. mandos sowie zwölf weitere Außenstellen nach- geordnet waren. Erschließung von 1960 bis heute

Die Geschichte der Unterlagen Als die Unterlagen das Bundesarchiv erreichten, erfolgte in den 1960er Jahren eine erste Leiter der Dienststelle „Wehrwirtschafts- und Erfassung des Archivgutes auf Karteikarten. Die Waffenwesen“ im Wehrmachtamt des Reichs- Bestände folgen dem Provenienzprinzip, ob- wehrministeriums war seit 1934 Oberst Georg gleich die einzelnen Rüstungsdienststellen sehr Richard Thomas (seit 1940 im Rang eines unterschiedlich zu Bestandsgruppen zusam- Generals der Infanterie). Er steuerte in den mengefasst wurden. Die Unterlagen der Wehr- dreißiger Jahren den Aufbau der Wehrwirt- wirtschafts- und Rüstungsdienststellen finden schaftsorganisation und wurde im November sich heute in den Beständen RW 19 bis RW 32, 1939 Chef des Wehrwirtschafts- und Rüstungs- wobei RW 19 das Wehrwirtschafts- und Rüs- amtes. tungsamt selbst beinhaltet. RW 20 bezeichnet ebenso wie RW 21 je eine Bestandsgruppe für 1942 erfolgte die Trennung von Wehrwirtschaft die Rüstungsinspektionen bzw. -kommandos auf und Rüstung, wobei das Rüstungsamt in den dem Gebiet des Deutschen Reichs. RW 22 bis Zuständigkeitsbereich des Reichsministeriums RW 32 sind schließlich die Rüstungs- bzw. für Rüstung und Kriegsproduktion fiel. Nach Wehrwirtschaftsdienststellen in den besetzten einem Zerwürfnis mit Speer trat Thomas als Gebieten. Diese Überlieferungen sind nach den Chef des Rüstungsamtes zurück. Schließlich einzelnen besetzten Ländern gegliedert und erhielt er im Januar 1943 als „Amtschef z.b.V.“ beinhalten sowohl die Rüstungs- und Wehrwirt- den „Sonderauftrag“, die Geschichte der deut- schaftsdienststellen, die für das gesamte Gebiet schen Wehr- und Rüstungswirtschaft zu ver- zuständig waren, als auch die, die eine be- fassen. Hierfür wurde ein „Archiv der Wehrwirt- stimmte Region verwalteten. schaftsdienststellen“ errichtet. General Thomas wurde wegen eines Verdachts im Zusammen- Anfang der achtziger Jahre erschlossen Herr hang mit dem Attentat vom 20. Juli 1944 Loos und Herr Meyer, ehemalige Mitarbeiter der verhaftet und nach Dachau gebracht. Abteilung MA, die Unterlagen grundlegend und erstellten für zahlreiche Findmittel Findbuchein- Während die Kriegstagebücher, Lageberichte leitungen. und Darstellungen zur Geschichte der nachge- ordneten Dienststellen im Reich und den Nicht nur durch das Bestreben, Online-Findmittel besetzten Gebieten für die Zeit von Kriegsbeginn für die Benutzer bereit zu stellen, sondern auch bis einschließlich September 1944 sukzessive gemäß dem eigenen Anspruch, eine detailliertere ausgesondert und im „Archiv der Wehrwirt- Erschließung der überlieferten Unterlagen durch- schaftsdienststellen“ in Muskau/Oberlausitz ge- zuführen - zumal diese Bestände für die Anfragen sammelt wurden, verblieben die Sachakten in der Landesämter zur Regelung offener Ver- den Registraturen der jeweiligen Dienststellen mögensfragen große Relevanz haben-, wurde und fielen gegen Ende des Zweiten Weltkrieges bereits seit Januar 2005 systematisch mit der Er- der Vernichtung zum Opfer. schließung der Wehrwirtschafts- und Rüstungs- dienststellen begonnen. Das einzig erhalten gebliebene Exemplar von Thomas' Ausarbeitung zur Geschichte der Den Anfang bildeten hierbei die Akten der deutschen Wehr- und Rüstungswirtschaft, von Rüstungsinspektionen (Bestandsgruppe RW 20). der drei Ausfertigungen existierten, wurde Die 470 Archivalieneinheiten wurden von der gemeinsam mit dem „Archiv der Wehrwirt- ehemaligen Auszubildenden Julia Henrichs (jetzt

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 OKW/Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt

Rüstungsinspektionen im Reich (einschließlich Protektorat Böhmen und Mähren sowie Generalgouvernement)

Rüstungskommandos im Reich

Wirtschaftsstab Ost

Wirtschaftsinspektionen

Wirtschaftskommandos

Wirtschaftsaußenstellen

Wehrwirtschafts- und Rüstungsstab Frankreich

Rüstungsinspektionen

Außenstellen

Rüstungsinspektion Belgien

Rüstungskommandos

Rüstungsinspektion Niederlande

Außenstellen

Wehrwirtschaftsstab Norwegen (Oslo)

Wehrwirtschaftsoffiziere Norwegen

Wehrwirtschafts- bzw. Rüstungsstab Dänemark

Wehrwirtschaftsstab Südosten (mit 4 Außenstellen)

Deutsche Wehrwirtschaftsmission Rumänien

Wehrwirtschaftsoffizier Rom

Wehrwirtschaftsoffizier Pressburg

Wehrwirtschaftsoffizier Budapest

Deutsche Industriekommission Bern

Organisation der Wehrwirtschafts- und Rüstungsdienststellen

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Bürosachbearbeiterin in der Bibliothek in schloss Herr Schuler mehrere Überlieferungen Freiburg) erschlossen und in die Datenbank der Bestandsgruppe RH 53 Wehrkreiskom- BASYS-S eingetragen. Neben der Bildung von mandos. Auch bei diesen Beständen konnten Enthält-Vermerken, die den Titel näher be- verschiedene militärtypische Schriftgutformen schreiben und ergänzen, wurde auch die Laufzeit analysiert werden. Dazu zählen neben den der einzelnen Bände überprüft. Ein besonderes genannten Kriegstagebüchern auch Stammtafeln. Augenmerk sollte Frau Henrichs hierbei auf Der Auszubildende befasste sich ebenso mit Rüstungsbetriebe legen, die mehrfach und um- zahlreichen Sachakten, wobei er ein besonderes fassend in den Archivalien genannt sind, und Augenmerk auf Organisationsunterlagen wie diese in den Enthält-Vermerken beschreiben. Da Geschäftseinteilungen und Dienstanweisungen Frau Henrichs mit Schriftgut militärischer legen sollte. Durch die kontinuierliche Betreuung Provenienzen im dritten Lehrjahr bereits vertraut und tägliche Rücksprachen mit dem Fachbereich war, konnte sie die Erschließung besonders konnte Herr Schuler die Überlieferung von sechs rationell durchführen. Die Klassifikation richtet Wehrkreiskommandos grundlegend überarbeiten. sich nach den einzelnen Rüstungsinspektionen, Die Findmittel wurden im August letzten Jahres da die einzelnen Bestände jeweils nicht mehr als online gestellt. 20 bis 25 Bände umfassen und eine weitere inhaltliche Differenzierung in der Klassifikation Um den Auszubildenden den Umgang mit dem nicht möglich - und nicht nötig - war. Das Archivgut zu erleichtern, wurden nicht nur der bestandsübergreifende Findbuch für die Be- Weg eines Schriftstückes durch eine Verwal- standsgruppe RW 20 steht seit Juli 2005 auf der tungseinrichtung anhand der Akten selbst er- Internetseite des Bundesarchivs zur Verfügung. läutert, sondern auch immer wieder Lese- übungen von handschriftlichen Schriftstücken Von den drei Auszubildenden, die bis zum durchgeführt. Spätsommer 2005 dem ersten Lehrjahr ange- hörten, absolvierte Daniel Schuler als einziger Im September 2005 stießen drei weitere Auszu- ein längeres Praktikum im Referat MA 5. Als bildende zum Bundesarchiv-Militärarchiv. Seba- sinnvolle Ergänzung zu den (über)regional zu- stian Schlabitz absolvierte im Herbst seinen ständigen Rüstungsdienststellen im Reich er- ersten Praktikumsabschnitt im Referat MA 5.

Polnische Philipswerke A.G. Warschau, Hauptgebäude des Rüstungsbetriebes, 1940. Bundesarchiv, RW 23/6b

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Um ihm einen Einstieg in die Thematik Erschlie- Schlussredaktion zur Vorbereitung des Online- ßung bieten zu können, sollte er gleichförmige Findbuchs erfolgte im Sommer 2005 durch das Unterlagen in BASYS-S erfassen. Da von den Fachreferat. Ferner steht für den nachgeordneten Rüstungs- und Wehrwirtschaftsdienststellen in Bereich des Wehrwirtschafts- und Rüstungs- den besetzten Gebieten vor allem die Kriegs- amtes der Bestand RW 45 Nachgeordnete tagebücher, Lageberichte und Darstellungen zur Dienststellen des Wehrwirtschafts- und Rüs- Geschichte dieser Dienststellen erhalten ge- tungsamtes mit zentraler Zuständigkeit, der im blieben sind, gab es anhand dieser Bestände die Rahmen meiner Ausbildung im Frühjahr 2004 Möglichkeit, nicht nur den Umgang mit der erschlossen wurde, für Benutzer online bereit. Datenbank BASYS-S sondern vorrangig den Umgang mit Archivgut zu erlernen. Der Aus- Alle Auszubildenden führten und führen ein- zubildende konnte die Erschließung von fünf fache konservatorische Arbeiten wie das Um- Beständen zum Abschluss bringen. Dabei betten in Jurismappen und neue Archivboxen handelt es sich um die Rüstungsdienststellen im sowie das Entfernen von metallischen Gegen- Protektorat Böhmen und Mähren (RW 22), im ständen durch. Frau Henrichs und Herr Schuler Generalgouvernement (RW 23), in den Nieder- hatten ferner die Aufgaben, Materialsammlungen landen (RW 26), in Dänemark (RW 27) und in für die Findbucheinleitungen anzufertigen und Norwegen (RW 28). Der begonnene Bestand themenbezogene Literaturrecherchen durchzu- RW 25 Rüstungsdienststellen in Belgien und führen. Die Erstellung der Findbucheinleitungen Nordfrankreich wurde im Dezember 2005 von selbst erfolgte jedoch durch die ausbildungsbe- Herrn Schlabitz fertiggestellt. gleitende Sachbearbeiterin in MA 5.

Die erhalten gebliebenen Unterlagen des Wirt- schaftsstabs Ost (RW 31) wurden von Rainer Jacobs bereits im Jahre 2004 im Rahmen seines Referendariats umfassend überarbeitet. Eine

Fernmeldetechnische Staatswerke ESW Warschau, Spulenwicklerei, 1940. Bundesarchiv, RW 23/6b

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Online-Findbücher durch Teamarbeit

Um den Austausch und die Absprache der Auszubildenden untereinander weiter zu fördern, wurde im September 2005 mit einem Groß- projekt, an dem sowohl das erste als auch das zweite Lehrjahr arbeitet, begonnen. Die Be- standsgruppe RW 21 Rüstungskommandos um- fasst 65 einzelne Bestände mit einem Gesamt- umfang von rund 2200 Archivalieneinheiten. Die ersten 15 Bestände wurden bereits durch die Auszubildende Stefanie Jahn (1. Lehrjahr) in BASYS-S erfasst. In sich immer wieder unmit- telbar anschließenden Praktikums-phasen sollen alle sechs Auszubildenden an diesem Projekt mitwirken, wobei eine Absprache zur Erschlie- ßungstiefe und der Art der Titelaufnahme un- erlässlich ist. Es ist geplant, bis zum dritten Quartal 2006 ein internetfähiges Produkt vor- legen zu können.

Unabhängig von der Ausbildungsbetreuung, aber mit Blick auf den Abschluss der Arbeiten am Bereich „Wehrwirtschaft und Rüstung“, werden die Unterlagen des Wehrwirtschafts- und Rüstungsamtes (RW 19 und RW 19 Anhang) im Rahmen der Retrokonversion im Laufe des Kalenderjahres 2006 in BASYS-S importiert, inhaltlich überprüft und dem Benutzer als Findmittel zur Verfügung gestellt.

Innerhalb von weniger als zwölf Monaten ge- lang es dem Fachreferat, gemeinsam mit den Auszubildenden rund 50 Bestände abschließend zu bearbeiten und auf der Homepage des Bundesarchivs für Benutzer bereitzustellen - ein schöner Erfolg für alle Beteiligten. Daher möchte sich das Referat MA 5 nicht nur bei den Auszubildenden Julia Henrichs, Jens Feind, Daniel Schuler, Alexandra Schiekel, Sebastian Schlabitz, Stefanie Jahn und Karolin Küchler sondern auch bei den Kollegen Rainer Jacobs und Henry Böhm für die gelungene Zusammen- arbeit bedanken.

Antje Märke

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 Die Rahmenkollektivverträge im Bestand DY 34 - Bundesvorstand des FDGB, Abteilung Arbeit und Löhne

Die Abteilung Arbeit und Löhne des Bundes- Veränderung der Tätigkeit für bestimmte Be- vorstands des FDGB beteiligte sich an der Aus- schäftigtengruppen, arbeitung der Volkswirtschaftspläne und nahm - die arbeitsrechtlichen Fragen im Zusammen- Einfluss auf die Plandiskussionen in den hang mit der Rationalisierung der Produktion Betrieben. Sie nahm Stellung zu Fragen der und dem Strukturwandel in einzelnen Wirt- Arbeitskräftelenkung, der Organisierung des schaftsbereichen. Wettbewerbs und der Förderung der Neuerer- und Aktivistenbewegung. Eine ihrer Hauptauf- Im Interesse der Übersichtlichkeit wurden be- gaben bestand in der Mitwirkung bei der Ge- stimmte arbeitsrechtliche Regelungen in den staltung der arbeitsrechtlichen Regelungen ins- Anlagen aufgenommen. Hierzu zählen zum besondere des Tarif- und Prämiensystems in der Beispiel der Urlaubskatalog, Eingruppierungs- DDR. Aus dieser Zuständigkeit heraus wirkten unterlagen, Vergünstigungen für Betriebszuge- Mitarbeiter des FDGB Bundesvorstandes und hörigkeit, Montageabkommen und der Katalog der Abteilung maßgeblich an der Ausarbeitung, für Erschwerniszuschläge. Zustimmung und Unterzeichnung von Rahmen- kollektivverträgen mit. Vor allem vier Formen der rahmenkollektivver- traglichen Vereinbarungen sind zu nennen:

Inhalte, Formen, Registrierung - Nachträge beinhalten Änderungen und Er- gänzungen der RKV, Anschlussprotokolle und Die Bezeichnung wechselte: Aus dem Rahmen- Vereinbarungen oft im Zusammenhang mit der vertrag in den 1950er Jahren wurde später der Entstehung neuer Produktionszweige. Rahmenkollektivvertrag. Im Jahr 1990 wurden - Anschlussprotokolle belegen die Übernahme die Bestimmungen in der Rahmentarifverein- eines bereits geltenden RKV durch andere barung festgehalten. Vertragspartner insgesamt oder berücksich- tigen die Erfordernisse einzelner Branchen, Der Rahmenkollektivvertrag (RKV) wurde zwi- Betriebe und Berufsgruppen. schen den zentralen Organen des Staatsapparates - Vereinbarungen dokumentieren Sonderrege- bzw. den Räten der Bezirke, den Vereinigungen lungen für Tätigkeiten, Betriebe, Personen- Volkseigener Betriebe, Genossenschaften einer- gruppen und Sachverhalte in einem bestimm- seits und dem Bundesvorstand des FDGB bzw. ten Zeitraum. den Zentralvorständen der Industriegewerkschaf- - Qualifikationshandbücher: Anforderungen an ten oder den Bezirksvorständen andererseits Qualifikation und Verantwortung zur Erledi- abgeschlossen. Auf der Grundlage des Arbeits- gung von Arbeitsaufgaben sind durch die gesetzbuches regelte der RKV die Arbeits- und Arbeitsklassifizierung ermittelt worden und in Lohnbedingungen der Beschäftigten. den Handbüchern ausgewiesen. Als Bestand- teil des RKV liegen vor allem die Handbücher Er enthielt vor allem Bestimmungen über: für Produktionstätigkeiten, für Arbeitsauf- gaben der Hoch- und Fachschulkader und der - die Tariflöhne, Lohnformen, Zuschläge und Meister und Angestellten vor. Entschädigungszahlungen, - die Arbeitszeit, durch das Schichtsystem Der Abschluss des RKV erfolgte für einen bedingte Vergütungen, Überstundenregelung, unbefristeten Zeitraum. Er wurde mit der Dauer und Gewährung von Urlaub und Zu- Bestätigung und Registrierung durch das Staats- satzurlaub, sekretariat für Arbeit und Löhne rechtswirksam. - den Abschluss, die Änderung und Auflösung Dort wurde ein Rahmenkollektivvertragsregister des Arbeitsvertrages bzw. die Kündigungs- geführt, in dem die Eintragung des jeweiligen fristen für bestimmte Personengruppen, die RKV vorgenommen wurde. Es mussten ge- Beförderung sowie alters- und berufsbedingte siegelte und unterschriebene Originale vorgelegt

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 werden, auf denen die Registrierung erfolgte. lfm. Der zeitliche Umfang erstreckt sich von Das galt ebenfalls für Anschlussprotokolle, 1949 bis 1990. Bei den Akten handelt es sich in Vereinbarungen und Nachträge. Für die Druck- der Regel um die amtlich beglaubigten Origi- legung und Veröffentlichung war der Staats- nale. Die gedruckten RKV wurden der Biblio- verlag der DDR zuständig, der auch die thek der Stiftung übergeben und werden dort Verteilung an die Betriebe, Kombinate und nachgewiesen. Kassationsentscheidungen wur- Einrichtungen des Geltungsbereiches gewähr- den nur dann getroffen, wenn Doppelüberliefe- leistete. rungen vorlagen. Das Arbeitsergebnis liegt in einem Online-Findbuch vor.

Archivische Bearbeitung Praktischer und historischer Quellenwert Die Erschließungsarbeiten konzentrierten sich zu Beginn vor allem auf die Zusammenführung Die Notwendigkeit der Bearbeitung der Haupt- unterschiedlicher Findmittel. Das Schriftgut war gruppe Rahmenkollektivverträge innerhalb der in einem vorläufigen Verzeichnis, einem vorläu- Abteilung Arbeit und Löhne zum jetzigen figen Findbuch und auf Karteien innerhalb der Zeitpunkt ergab sich aus der kontinuierlichen Abteilung Arbeit und Löhne des FDGB Bundes- Anfragenentwicklung seitens der Sozialgerichte vorstandes mit unterschiedlichen Aussagen zu der Länder, von Anwaltskanzleien und Privat- einer Akte erfasst. personen. Im Zuge gerichtlicher Verfahren wird um die Unterstützung durch Dokumente bei der Eine Prüfung der Archivalien ergab, dass sich Nachweisführung von Eingruppierungsmerk- bestimmte Schriftgutarten und Sachverhalte malen, der Feststellung und Charakteristik der wiederholten. Aus diesem Grunde erwies sich Arbeitsaufgaben und den Anspruch auf Dienst- die Erarbeitung eines Gliederungsschemas zur zeitanrechung gebeten. Festlegung einer systematischen Reihenfolge der Akten innerhalb einer Einzelgewerkschaft als Die vorliegenden Akten liefern umfangreiches sinnvoll. Quellenmaterial über die Entwicklung der Ar- beits- und Lohnbedingungen in der DDR. Sie Der Ordnungsaufwand war sehr hoch. Vor- belegen die Berücksichtigung gesetzlicher Ver- liegende Akten waren lediglich grob nach ordnungen wie zum Beispiel die Einführung der Einzelgewerkschaften ohne Berücksichtigung 5-Tage-Arbeitswoche und die Erhöhung des inhaltlicher Gesichtspunkte gebildet. Fünf lau- monatlichen Mindestbruttolohnes in den Rah- fende Meter lagen in einer Losen-Blatt-Ablage menkollektivverträgen. Das Material beinhaltet vor. Vor der Formierung der Akten musste die vor allem Aussagen über die Entwicklung der Provenienz der Dokumente bestimmt werden. Löhne und Lohnformen einschließlich Prämie- Den einzelnen RKV wurden die entsprechenden rung und Erschwerniszuschlägen. Nachträge hinzugefügt. Die Unterlagen spiegeln die Einführung von Um eine größere Überschaubarkeit der einzelnen Grundlöhnen für Produktionsarbeiter und die Dokumente zu erreichen, erfolgte die Verzeich- leistungsorientierte Erhöhung der Gehälter der nung der Vereinbarungen nach sachthematischen Meister, Hoch- und Fachschulkader wider. Hinzu Gesichtspunkten innerhalb einer Einzelgewerk- kommt eine Reihe von Festlegungen über die schaft. Die Qualifikationshandbücher wurden Entlohnung bei Wahrnehmung einer über die jeweils am Ende einer Gruppe aufgenommen. Qualifikations- und Tätigkeitsmerkmale hinaus- gehenden Tätigkeit. Materialien über die Ent- Die Schriftstücke waren vielfach mit mehreren wicklung der Lehrlingsentgelte befinden sich Datierungen versehen, unter anderem dem ebenso im Bestand. Datum der Registrierung bzw. des Inkrafttretens. Zur Festlegung des zeitlichen Rahmens einer Einen weiteren Schwerpunkt stellen die Infor- Akteneinheit orientierte sich die Bearbeiterin am mationen über die Gestaltung der Arbeitszeit, Ausstellungsdatum der Dokumente. den Urlaubsanspruch und die Arbeits- und Le- bensbedingungen dar. Die Dokumente zeigen die Die Überlieferung der Rahmenkollektivverträge Anpassung arbeitsrechtlicher Bestimmungen an umfasst nach der Bearbeitung 456 AE bzw. 13 die Veränderung von Produktions- und Struktur-

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 bedingungen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang Tarifvereinbarungen im Bereich Bergbau und Energie, Chemie und Metall sowie Vertragsabschlüsse aus dem Jahre 1990. Des weiteren werden die Gewährleistung eines quali- fikationsgerechten Einsatzes der Beschäftigten, die Abgrenzung und Charakteristik von Arbeits- aufgaben in den verschiedenen Industriezweigen, Betrieben und Einrichtungen sichtbar.

Die Akten belegen auch die Regelungen für Tätigkeiten im Ausland zum Teil unter Be- achtung erschwerter klimatischer Bedingungen bzw. erhöhter Sicherheitsvorkehrungen. Der Bereich der privaten Industrie wird durch Unter- lagen über tarifrechtliche Regelungen, Mitbe- stimmungsrechte am Arbeitsplatz und soziale Maßnahmen dokumentiert.

Ergänzt werden die Unterlagen des FDGB durch die entsprechende Überlieferung aus dem staat- lichen Bereich, vor allem dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne sowie den gedruckten Quellen aus der Bibliothek.

Jana Pautsch

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 „Unbekannte Archive“: Das Archiv der deutschen Frauenbewegung in Kassel

Zum 1983 gegründeten Archiv der deutschen 1889) und Bertha von Suttner (1843-1914), aber Frauenbewegung gehören: auch ein Informationsblatt über die Kochschule des badischen Frauenvereins (1895) oder ein - eine Spezialbibliothek und ein Archiv zur Aufruf des Bundes abstinenter Frauen über die Geschichte von Frauen und Frauenbewegung Gefahren des Alkoholkonsums (o.J.). Die in Deutschland für den Zeitraum 1800 - 1967; Autographen werden sukzessive in KALLIOPE - ein Forschungs- und Studienzentrum zur his- eingegeben, die Nachlässe in der Zentralen torischen Frauen- und Geschlechterforschung; Datenbank Nachlässe des Bundesarchivs nach- - eine Bildungs- und Kultureinrichtung, die gewiesen. Vorträge, Lesungen, Seminare, Ausstellungen initiiert und durchführt. Das Archiv der deutschen Frauenbewegung erhält als laufende Abgabe die Materialien des Mit der Vereinigung von Bibliothek/Archiv, Verbandes ZONTA Deutschland und betreibt als Forschung und Bildung in einer Einrichtung Sonderbestand eine fortlaufende Sammlung zur wird der klassischen Teilung in den Bereich „Autonomen Kasseler Frauenbewegungsge- Archiv/Bibliothek/Dokumentation hier, die For- schichte seit 1974“. schung dort und die Bildung wiederum an anderer Stelle ein ganzheitliches Modell entge- Das Fotoarchiv, eine Sammlung von ca. 3.000 gengesetzt. Es sollen einerseits die Dokumente Abbildungen zu Frauenbewegung und Emanzi- der Frauengeschichte gesammelt, systematisch pationsgeschichte 1848 bis 1968, basiert zu zugänglich gemacht und damit für die Zukunft großen Teilen auf Reproduktionen aus zeitgenös- gesichert werden. Angestrebt wird aber auch, sischen Büchern und Zeitschriften, darüber diese Bewegung zu erforschen und die Ergeb- hinaus enthält es Originalfotografien und Druck- nisse über Publikationen, Veranstaltungen und grafiken. Es handelt sich überwiegend um Ausstellungen ins öffentliche Bewusstsein zu Porträts, daneben auch Abbildungen von Ge- tragen. bäuden, Fotos von Veranstaltungen (Kongresse, Tagungen) und Bilder aus dem Berufsleben. Archiv, Foto- und Pressesammlung Während der Bestand der Bibliothek und der Archivalien nur zur Nutzung in den Räumen des Das Archiv der deutschen Frauenbewegung Archivs der deutschen Frauenbewegung zur erhält kein abgabepflichtiges Archivgut irgend- Verfügung steht, sind Dias und Fotos gegen eine einer Stelle, sondern besteht aus Sammlungsgut, entsprechende Gebühr ausleihbar. Im Rahmen das gezielt „aufgespürt“ und zusammengestellt eines von der VW-Stiftung geförderten Projektes wird. Dort befinden sich in erster Linie Nach- konnten große Teile des Fotobestandes zu- lässe (auch Teilnachlässe und Nachlasssplitter), sammen mit den Beständen einiger anderer Vereinsakten und Sammlungen von Einzel- Archive erfasst, sicherheitsverfilmt und digita- archivalien. Dabei handelt es sich um Nachlässe lisiert werden. Diese Datenbank ist zur Zeit vor frauenpolitisch aktiver Frauen - zum Beispiel Ort, aber noch nicht im Netz nutzbar. von Elisabeth Selbert (1896-1986), der „Mutter des Grundgesetzes“ -, um Akten und andere Die Bibliothek ist als Präsenzbibliothek organi- Materialien von Organisationen wie etwa von siert und umfasst mittlerweile über 23.000 „W.O.M.A.N. - World Organization of Mothers Bände. Gesammelt wird alle Literatur, die sich of all Nations“ (gegründet 1948) oder die mit Leben und Stellung von Frauen in städtische Akte über den „Frauenverein Hann. Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert befasst, Münden“ von 1833 bis 1940. also vor allem Sach- und Fachbücher, aber durchaus auch Romane, Haushalts- und Be- Der Bestand an Einzelarchivalien umfasst etwa nimmbücher u.ä. Ein besonderes Interesse gilt 400 Dokumente der Sachgruppen Autographen, jedoch der organisierten Frauenbewegung; sie Drucksachen und Ausweise/Urkunden. Darunter soll in all ihren Phasen und Erscheinungsformen befinden sich - um einige Beispiele zu nennen - dokumentiert werden. Hier wird deshalb auch Schätze wie Briefe von Fanny Lewald (1811- die vollständige Sammlung aller Dokumente

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005 angestrebt, im Gegensatz zum allgemeinen sent (www.addf-kassel.de). Seit 2002 ist die Bereich des Frauenalltags, wo es um ausführ- Datenbank des Bibliotheksbestandes online re- liche, aber letztlich doch exemplarische Er- cherchierbar, seit 2003 gibt es erste Onlinefind- fassung geht. Neben der Erfassung in einer bücher. Es wird angestrebt, die Online-Daten- eigenen Datenbank wird der Zeitschriften- banken weiter auszubauen und längerfristig die bestand in die ZDB der Staatsbibliothek zu Recherche weiterer Bestände zu ermöglichen. Berlin eingespeist. Zukunftspläne Eine umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung (Pressearchiv) ergänzt die Bibliothek; einige Nach anfänglicher Projektförderung wird das Tageszeitungen und die zentralen Periodika der Archiv der deutschen Frauenbewegung seit 1992 neuen Frauenbewegung und der Geschichts- institutionell durch das Hessische Ministerium forschung werden regelmäßig ausgewertet. In ca. für Wissenschaft und Kunst gefördert und erhält 250 thematischen bzw. biographischen Ordnern einen Mietkostenzuschuss von der Stadt Kassel. finden sich Informationen sowohl zu Protago- Diese Förderung reicht bei weitem nicht aus, nistinnen wie auch zu zahlreichen Themenge- erlaubt jedoch die Einrichtung von vier Teilzeit- bieten der Frauenbewegung, zum Beispiel zur stellen und die Abdeckung der laufenden Sach- Geschichte des § 218, zu Frauen im Exil oder zu kosten mit einem eingeschränkten Etat im Be- den ersten Studentinnen in Deutschland. reich der Bibliotheks- und Archiverwerbung. Um neue Wege zu gehen und langfristig eine größere Forschungs- und Studienzentrum - Unabhängigkeit von öffentlichen Geldgebern zu Bildungs- und Kulturarbeit gewinnen, wurde im Herbst 1992 der „Freun- dinnenkreis des Archivs der deutschen Frauen- Seit 1984 gibt es regelmäßig Forschungsprojekte bewegung“ ins Leben gerufen. Inzwischen zu verschiedenen Themen aus der Frauenge- tragen ca. 100 Freundinnen aus den Bereichen schichte. Darüber hinaus wurden inhaltser- Wissenschaft, Journalismus, Bildung, Politik etc. schließende Zugänge zu Dokumenten der alten durch regelmäßige Spenden einen erheblichen Frauenbewegung entwickelt und hergestellt; so Teil zur Finanzierung bei. wurden für die Zeitschriften „Die Frauenbe- wegung“ (1895 - 1918) und „Die Frau im Staat“ Am 8. März 2003, dem Internationalen Frauen- (1919 -1933) Registerbände erstellt. Inzwischen tag und zugleich dem 20. Jahrestag der Grün- kann auch auf die Mikrofiche-Ausgaben dieser dung des Vereins „Archiv der deutschen Frauen- sowie weiterer Zeitschriften zugegriffen werden, bewegung e.V.“ wurde eine Stiftung gegründet, die das Archiv der deutschen Frauenbewegung die am 1. Januar 2005 die Trägerschaft des gemeinsam mit dem Harald-Fischer Verlag Archivs übernommen hat; ein aus Spenden zu- publiziert hat. Neben einer eigenen Schriften- sammengetragenes Grundkapital von 61.000 € reihe gibt das Archiv der deutschen Frauenbe- ermöglichte dies. Hoffentlich wird es im Laufe wegung seit 1985 eine Zeitschrift heraus: der Zeit weitere namhafte Zustiftungen geben, „Ariadne. Forum für Frauen- und Geschlechter- die die Zukunft des Archivs der deutschen geschichte“. Sie erscheint zweimal im Jahr und Frauenbewegung sicherstellen. ist jeweils einem Themenschwerpunkt gewid- met. Archiv der deutschen Frauenbewegung Cornelia Wenzel Im Bereich der Bildungsarbeit wird zu Vorträgen Gottschalkstr. 57 und Lesungen eingeladen, es werden Ausstel- 34127 Kassel lungen organisiert und eine Stadtrundfahrt Tel.: 0561 - 9893670, Fax: 0561 - 9893672 angeboten: „Die Casselerinnen - Streifzüge E-mail: [email protected] durch zwei Jahrhunderte“. Das vielfältige Enga- www.addf-kassel.de gement des Archivs der deutschen Frauenbe- wegung würdigte die Stadt Kassel 1991 mit der Öffnungszeiten Verleihung des Kulturförderpreises und das Land Di – Do 12.00 bis 16.00 Uhr und nach Verein- Hessen im Herbst 2001 mit der Verleihung des barung, Kopierer, Readerprinter, Scanner vor- Elisabeth-Selbert-Preises. handen. Das Archiv der deutschen Frauenbewegung ist seit 1997 mit einer Homepage im Internet prä- Achim R. Baumgarten

Mitteilungen aus dem Bundesarchiv, Heft 2/2005