Swr2-Musikstunde-20110209.Pdf
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__________________________________________________________________________ 2 SWR2 • Musikstunde DEUTSCHE SCHULE UND ITALIENISCHE LEICHTIGKEIT Otto Nicolai, 3. Folge Mittwoch, 9. Februar 2011, 9.05 – 10.00 Uhr Karl Dietrich Gräwe Das Erlebnis Italien steigerte noch Nicolais unermüdlichen Lerneifer, die Aufträge zu Konzertauftritten und die privaten Einladungen wuchsen über das von Berlin gewohnte Maß hinaus, der Erlebnishunger zog ihn in alle Richtungen, zur Musik, zur Kunst, zu Land und Leuten, wobei er für die bedeutenden Zeitgenossen ebenso viel Appetenz entwickelte wie für erotische Abenteuer. Der Anlass, auf Bellinis Tod einen Trauermarsch zu komponieren, hatte Nicolai mit dem Teatro Valle in Rom in Berührung gebracht, die Theaterluft verdrehte ihm den Kopf, und er hatte nur noch im Sinn, die rückwärts den Alten Meistern zugewandte Archäologie einzustellen und Opern für das Hier und Heute zu erfinden. Was ihm fehlte, waren ein Libretto und eine scrittura, der Kompositionsauftrag eines Theaters. Dass er von Anbeginn viele Lieder - und in Italien lauter italienische – geschrieben hatte, erwies sich als nützliche Fingerübung. Es war kein Zufall, dass er sich gleich Verse von Felice Romani vornahm, dem bevorzugten Librettisten von Vincenzo Bellini. Il mistero, „Das Geheimnis“: „Wenn ich ruhig neben dir sitze, erscheine ich der Welt wie ein stiller See, und niemand ahnt, wie es mir in der Brust tobt, solange du so grausam zu mir bist“, spricht ein junger Mann zur spröden Frau. Musik 1 2’51“ Il mistero, „Das Geheimnis“, eines der italienischen Lieder von Otto Nicolai, auf Verse von Felice Romani. Der Sänger war Olaf Bär, am Klavier begleitete Helmut Deutsch. „Gib du mir gute Verse, dann schreibe ich dir gute Musik“, hatte Vincenzo Bellini seinem erklärten Lieblings-Textdichter versprochen, dem sprachgewandtesten und fleißigsten Librettisten Italiens zwischen Metastasio und Arrigo Boito. Auch Verdi hat Il mistero vertont. Wo Nicolai hinkam in Italien, der Signor Maestro Ottone war ein gern gesehener Gast, sei es bei der Aristokratie, bei den besseren bürgerlichen Familien, beim Klerus oder bei einer örtlichen Stadtkapelle. Bei geselligen Tafelfreuden geschah es oft, dass er aus dem Stegreif ein Lied improvisierte, in das die Anwesenden begeistert einstimmten. Gioacchino Rossini, vor zehn Jahren noch der in ganz Europa angebetete Operngott, hatte seine Komponistentätigkeit für das Theater inzwischen beigelegt und sich nach Bologna zurückgezogen. Ihm und seiner ersten Frau, der Sängerin Isabella Colbran, machte Nicolai seine verehrungsvolle Aufwartung und kam zu einem Urteil, das die Welt zu jener Zeit offenbar nicht teilte: „Er ist noch nicht alt und hat ein galantes Gesicht. Die ganze Welt spricht schlecht von seinem Charakter. Kann man denn ein so großer Künstler und zugleich ein so schlechter Mensch sein?“ Nicolai kam zu gegenteiliger Ansicht, und nachdem Rossini in den höchsten Tönen über Beethovens Klaviersonaten geschwärmt hatte, verlängerte der Besucher umgehend seinen Aufenthalt in der Stadt. Immer das Ziel vor Augen, in Mailand an einen Opernauftrag zu kommen, wälzte Nicolai in seinem Kopf die Frage, wie eine Vereinigung der deutschen und der italienischen Schule zu erreichen sei. „Deutsche Schule muss sein, das ist die erste Bedingung“, von dieser Gewissheit ging er aus, um dann zu einer Folgerung zu gelangen, die den Altersgenossen Schumann in Leipzig missbilligend die Nase rümpfen ließ: „Aber italienische Leichtigkeit muss dazukommen“, forderte Nicolai. „So ist Mozart entstanden, und wenn ich seinen Geist 3 Otto Nicolai, 3. Folge hätte, so könnte ich auch was Gutes machen.“ Als Schumann diese Sätze unter die Augen kamen, schüttelte er nur den Kopf. „Ein so gescheiter Mann – und Vorschläge wie Vermischung der Stile!“ verzweifelte er und versuchte, Nicolai mit der Publikation einer spöttischen Gardinenpredigt lächerlich zu machen. Für Schumann bestand italienische Oper aus nichts als „Kanarienvogelmusik“ und „Haarbeutelmelodien“ – eine Auffassung, die ihm bei seinen eigenen – vergeblichen – Opernversuchen noch zum Verhängnis werden sollte. Der Weg, der Otto Nicolai endlich zu seinem ersten Opernerfolg führen sollte, war lang und verschlungen. Erst drei Jahre später und mit seiner zweiten Oper kam er zu dem durchschlagenden Erfolg. Der jedoch war so triumphal wie überraschend, und plötzlich lagen Donizetti und Nicolai Kopf an Kopf im Wettlauf um die Gunst des Publikums. Il Templario, „Der Tempelritter“, hieß Nicolais zweiter und glücklicher Anlauf auf die Lieblingskunst der Italiener. Die Geschichte war dem überaus beliebten - und ungemein verwickelten - Ritterroman Ivanhoe von Sir Walter Scott nachgestaltet. Heinrich Marschner hatte gut zehn Jahre vorher bereits eine Oper daraus gemacht, freilich eine deutsche, eine „große romantische“: Der Templer und die Jüdin. Und jetzt, 1840 am Teatro Regio in Turin, war Otto Nicolai am Zuge, südlich der Alpen, mit einem echten Melodramma lirico. Musik 2 8’51“ Il Templario, „Der Tempelritter“, war Nicolais zweite Oper und die mit Abstand erfolgreichste, bevor er neun Jahre später diesen Sieg mit den Lustigen Weibern von Windsor noch einmal übertrumpfte, um gleich danach aus dem Leben gerissen zu werden. Die Ouvertüre zum „Tempelritter“ war zu hören mit dem WDR-Rundfunkorchester Köln unter Michail Jurowski. Der Weg nach Turin und zum Premierenerfolg des „Tempelritters“ führte zuerst nach Mailand, dann nach Wien und von dort ein Jahr später wieder zurück nach Italien. Der erste Opernversuch hieß zunächst Rosmonda, dann Enrico secondo und erlebte bei einem Abstecher nach Triest einen durchaus verheißungsvollen Start. Mailand war die Hauptstadt der Lombardei, die Lombardei war damals österreichisches Gebiet, und Bartolomeo Merelli, der Herrscher über das Teatro alla Scala, war in Personalunion auch Direktor der kaiserlichen italienischen Oper in Wien, des Theaters am Kärntnertor. Merelli residierte in Mailand, sein Statthalter an der Donau hieß Carlo Balochino und war von Beruf eigentlich Schneider. Nicolai würde mit beiden zu tun bekommen. Vorerst machte Merelli ihm Versprechungen und brachte für ihn auch manche Beziehung ins Spiel. Doch Nicolai ließ seine Opernpläne erst einmal ruhen, er verliebte sich in eine Schülerin, Pepina mit Namen, und versuchte, mit ihr in den siebenten Himmel zu entschweben. Pepina allerdings war mit einem älteren Mann verheiratet. Tristan, Isolde und König Marke auf Italienisch, die Leidenschaft der jungen Leute war umso heftiger, hielt aber nicht lange vor, weil die glänzenden Vermögensverhältnisse des ungeliebten Ehemannes auf die Dauer attraktiver waren als die brotlosen Künste des genialen Schwärmers. Merelli schickte Nicolai nach Wien, als Kapellmeister an das Kärtnertortheater, das sich wohl kaiserlich-königlich nannte und vom Kaiser auch eine Subvention erhielt, aber unter der Direktion von Merelli und Balochino als privates Pachtunternehmen betrieben wurde. Erster Kapellmeister war Conradin Kreutzer, bereits seit 15 Jahren in Diensten des Hauses, Komponist der damals vielgespielten Oper Das Nachtlager von Granada, gründlich ausgebildeter und erfahrener Klarinettenvirtuose und nach Möglichkeit darauf bedacht, dieses Instrument in seinen Werken zur Geltung zu bringen. 4 Otto Nicolai, 3. Folge Musik 3 5’59“ Das Mühlrad, ein Beispiel aus dem reichen Schaffen von Conradin Kreutzer auf die Verse von Ludwig Uhland, dem bei den Liedkomponisten der ersten Jahrhunderthälfte überaus beliebten Dichter. Flankiert vom Klarinettisten Fred Ormond und dem Pianisten Martin Katz sang die Sopranistin Julia Broxholm. Nicolai war also Seite an Seite mit Kreutzer Kapellmeister des Wiener Kärntnertortheaters und wurde zunächst einem bunt gemischten Konzertbetrieb und der Aufführung beliebig kombinierter einzelner Opernakte zugeteilt, womit er sich zähneknirschend, aber in der Hoffnung auf bessere Chancen abfand. Seine erste Einstudierung einer vollständigen Oper galt dem Wilhelm Tell von Rossini. In seiner Freizeit gab er, wie immer schon allerorten, privaten Musikunterricht. Die Spannungen mit Balochino und mit Kreutzer waren unvermeidlich und nahmen zu. Nach einem Jahr nahm Nicolai mit einem lachenden und einem weinenden Auge zur Kenntnis, dass sein Vertrag nicht verlängert wurde. Die beiden Jahre, die er danach wieder in Italien verbrachte, mehrten seinen Ruhm als Compositore, als Maestro di musica, als Orchestererzieher und Dirigent von außerordentlichen Fähigkeiten. Es gelang ihm auch, nicht weniger als vier Opernaufträge an sich zu bringen. Enrico secondo in Triest war mehr als ein Achtungserfolg, Il Templario feierte in Turin und dann in vielen anderen Städten wahre Triumphe, die Oper Gildippe ed Eduardo in Genua wiederum ließ sich anmerken, dass nicht nur der Komponist, sondern die ganze Partitur unter Liebesproblemen litt. Das Unheil trat in Mailand zutage. Am Vorabend zur Uraufführung des Proscritto, des „Verbannten“, gab Nicolai seiner Verlobten, der Primadonna Erminia Frezzolini, den Laufpass. Ob unfreiwillig oder vorsätzlich – die daraufhin indisponierte Frezzolini ließ die Premiere in eine Katastrophe umkippen. Am nächsten Tag heiratete sie den Tenorkollegen Antonio Poggi, Nicolai blieb mit doppeltem Gram allein auf der Walstatt. Ohnehin hätte er das Libretto am liebsten gleich abgelehnt, er hatte nur von zwei Übeln das kleinere gewählt. Verdi hatte ihm den Proscritto abgetreten und er, Nicolai, hatte Verdi dafür im Austausch den Nabucco überlassen, den dieser zum Fanal für das Risorgimento machte. Nicolai konnte sich bald mit einer neuen Liebe trösten