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NINA METZ

Die Mythen der nahen Zukunft. New- als Style-Phänomen 2.0

New Rave prägte in den vergangenen drei Jahren als popkulturelles Phänomen die Diskussion in Musikmagazinen und Feuilletons. Aber handelt es sich bei diesem tatsächlich um eine Wiederentde- ckung des der späten 1980er und frühen 1990er Jahre, wie es der Genrebegriff nahe legt? Oder gestaltet sich vielmehr, wie von diversen Kritikern angemerkt wird, als eine popkulturelle Mode ohne Substanz, um einen durch das britische Musikmagazin NME ausgelösten Medien-Hype?

1. Der Mythos

Im April 2007 titelt Spiegel Online „New Rave heißt der Pop-Trend des Frühjahrs.“ Es folgt die Be- schreibung der Arbeit des erfolgreichen Alltags des Hamburger Electronica-Duos Digitalism, das die große Aufmerksamkeit, die seine Musik zurzeit erfahre, vor allem deshalb genießen könne, „weil ihre Musik einem neuen lustigen Trend entspricht: New Rave, auch mal Nu-Rave geschrieben.“ Diese „hedo- nistische Pop-Mode dieser Saison“, die aus der Produktion der ‚Hype-Architekten‘ des britischen Mu- sikmagazins New Musical Express stamme, gestalte sich als ein „Rave-Rummel“, der auf die junge englische Band zurückgehe (Dallach 2007). Die Anmerkung bezieht sich auf den ersten und sozusagen den Gründungsmythos des New Rave. Sie bildet den Verweis auf eine Äußerung der Band Klaxons, gegenüber dem britischen Musikmagazin NME, in der diese die selbst- und neu erfundene Genrebezeichnung auf sich anwenden. Diesem „smiley-faced manifesto“ lagen dabei jedoch angeblich die handfesten Gründe einer musikalischen Distinktionsgeste zugrunde: „Rave, the Klaxons reasoned, was the last genre left un-ingested by pop‘ om- nivorous, recycling maw.“ (Empire 2006) In Reaktion auf die verspielte Selbstfestlegung der Band, wird die Phantasie einer Rave-Restaura- tion zum Selbstläufer: Bei Konzerten wird die erstaunte Band von einer euphorischen, in Neon ge- kleideten und mit Leuchtstäbchen ausgerüsteten Fangemeinde belagert, die sich von den folgenden, etwas gelangweilt hervorgebrachten Distanzierungen der Band, gegenüber dem einmalig formulier- ten Begriff, nicht im geringsten stören lässt.1 Die Klaxons selbst äußern sich in einem Interview mit dem Magazin SPEX zu ihren Beweggrün- den für diese stilistische und verbale Selbstkategorisierung folgendermaßen: „Wir haben daraufhin begonnen, unsere Kleidung, also unser Bild in der Öffentlichkeit, als Fashion-Statement zu inszenieren. Wir statteten uns mit den neonfarbigen Klamotten der Rave-Kultur aus, um uns von allen anderen abzu- heben. Längst tragen wir aber nur noch Schwarz, weil es uns langweilig geworden ist, und weil wir ein Spiel spielen – mit der Presse, mit den Erwartungshaltungen, mit den Codes der Mode. Unser Image ist ein Bezugssystem aus Dutzenden von Referenzen und Zitaten. Es ist nur eine Frage von Wochen oder Monaten, bis wir das Schwarz ebenfalls wieder ablegen.“ (Dax 2007)

1 „The Klaxons look slightly astonished at the reaction. The „new rave“ scene they have championed – which has been viewed with scepticism by many – does seem to be thriving“ BBC News: Sound of 2007: Klaxons, 03. 01. 2007, http://newsvote.bbc.co.uk/mpapps/pagetools/print/news.bbc.co.uk/2/hi/entertainment/6189307.stm, 21.11.09 134 NINA METZ

Abb. 1: Die Band Klaxons. ‚Väter‘ des New Rave http://i4.photobucket.com/albums/y150/Saltlick/Klaxons_header.jpg,14.02.2010.

2. Stil-Spiele

Das besondere an New Rave scheint vor allem das zwar durch die Klaxons initiierte, sich aber im Anschluss verhältnismäßig unabhängig von der Positionierung der Band gestaltende Stilkonstrukt zu sein, das bunt und nicht nur in einzelnen Accessoires dem anarchisch-hedonistischen Gestus des Raves der späten 1980er und frühen 1990er Jahre aufgreift. Diese visuelle Erscheinungsform mit ih- ren Rave-Referenzen zeigt sich unbeeindruckt von der, über den spielerischen Einsatz von Sirenen- klängen hinaus, nur wenig Rave kompatiblen, dargebotenen Musik: Im Rahmen einer Konzertkritik im Musikmagazin Intro scheint dem Autor, nachdem dieser zu Beginn eines Klaxons Konzerts ein neonfarbenes Armbändchen erhielt, das er nur widerwillig trägt, der ansonsten homogen wirkende New-Rave Stil2 sowohl deutlich von dem Auftreten der Band Klaxons, die „erstaunlich normal geklei- det“ auf die Bühne kämen, dem Tanzstil während des Events, bei dem „ eher gepogt als geraved „ werde, und vor allem dem Stil der musikalischen Darbietung, deutliche ‚stilistische‘ Brüche aufzuweisen: „Das ist kein Rave, das ist verdammt noch mal Rock. Oder vielleicht Punk. Oder so.“ (Koch 2007) Auch Kitty Empire weist in ihrer Auseinandersetzung auf das Missverständnis hin, dass bei einer Überbetonung des Begriffes Rave, im Bezug auf die als New Rave bezeichnete Musik, schnell pas- sieren könne: „Egged on by the air horns, housey piano synths and levels of MDMA consumption last seen with Old Rave in the early Nineties, bands like Klaxons, Hot Chip (well, sort of), , Datarock and

2 „Neonstäbchen fliegen durch die Gegend, grellpink, rotzgelb und schimmelblau bestimmen in künstlichen Farbtö- nen die Outfits der Eingeweihten. Was nur bedingt schön aussieht. Ich habe mich ja gerade erst schmerzhaft dran gewöhnen müssen, dass in Berlin jeder, der noch krummere Beine und noch weniger Arsch in der Hose hat als ich, sich in eine Röhrenjeans zwängt – jetzt muss man also auch noch unförmige Hinterteile in lilafarbigen Leopard- Leggins ertragen. Wo kauft man so was? Anyway, mutig ist das allemal. Und im Idealfall genauso ironisch gemeint, wie es die Klaxons angedacht haben“ (Koch 2007).