Goethe-Handbuch Supplemente
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Goethe-Handbuch Supplemente Band 1: Musik und Tanz in den Bühnenwerken Bearbeitet von Gabriele Busch-Salmen, Manfred Wenzel, Andreas Beyer, Ernst Osterkamp 1. Auflage 2008. Buch. xv, 562 S. Hardcover ISBN 978 3 476 01846 5 Format (B x L): 17 x 24,4 cm Gewicht: 1164 g Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Literaturwissenschaft: Allgemeines > Einzelne Autoren: Monographien & Biographien Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. 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Er hatte Oper durchaus eigene Wege beschreiten wolle. seine geplante erste Reise nach Italien in Hei- Dem von Wieland propagierten »regelmäßigen delberg abgebrochen und war der Einladung des Theater« hatte er bereits 1771 in seinem Genie- um einige Jahre jüngeren Herzogs Carl August Manifest Zum Schäkespears Tag eine Absage er- gefolgt. Noch ohne eine klar umrissene amtliche teilt,5 so daß sich seine Farce gegen das fünfak- Funktion genoß er dessen Vertrauen, denn seit tige Singspiel nach dem episodenreichen, älte- dem Erscheinen der ersten dramatischen Arbei- sten euripideischen Drama um den Opfertod ten, vor allem seines Erfolgsromans Die Leiden Alcestes und deren Wiederkehr als Kritik an des jungen Werthers, eilte ihm der Ruf eines so Wielands Überzeugung liest, mit Stoffen »aus außergewöhnlichen wie streitbaren literarischen der heroischen Zeit« ein »Gefühl des Wunder- Geistes voraus. Auch in der allenthalben von baren« erregen und »ein öffentliches Vergnügen Weimar angefachten Debatte um die deutsche von der edelsten Art« versprechen zu können, Oper bezog er unmißverständlich Position, denn das »gewiß nicht ohne nützlichen Einfluß auf nur wenige Monate vor seiner Ankunft erschien Geschmack und Sitten« sein würde.6 Die zen- seine nach Art eines Lukianischen Totenge- trale Szene im 2. Akt des Werks, den Abschied sprächs verfaßte Farce Götter, Helden und Wie- Alcestes von ihren Kindern vor ihrem Opfertod, land.1 Ohne zu ahnen, daß ihn sein Geschick so hatte Wieland programmatisch von Christian bald in Christoph Martin Wielands Nähe brin- Gottlieb Geyser nach einer Zeichnung von Chri- gen würde, persiflierte der kaum Fünfundzwan- stian Wilhelm Steinhauer als Titelkupfer für den zigjährige dessen Singspiel Alceste, das von ho- Druck des Klavierauszuges stechen lassen, ein hen Erwartungen begleitet im Mai 1773 im Blatt, mit dem man sich angewöhnt hat, den Weimarer Hoftheater mit der Musik von Anton Beginn der deutschsprachigen Oper auch ikono- Schweitzer uraufgeführt worden war und große graphisch zu markieren (Abb. 1). öffentliche Resonanz erfuhr. Begleitet hatte Daß Goethe von der Sujetwahl und Machart Wieland das Unternehmen mit ehrgeizigen dieses Singspiels irritiert war, ließ er den Juri- operntheoretischen Texten, die er in seinem sten Gottlob Friedrich Ernst Schönborn im Juni Teutschen Merkur einrückte; Weimar war also 1774 in einem ausführlichen Brief wissen. Er neben Leipzig zu einer der wichtigsten Stätten für das deutsche Singspiel geworden.2 Wieland 3 Johann Friedrich Reichardt: Alceste von Wie- bezog in diesen Texten freilich eine Position, die land und Schweizer, o.O., o.D. In: ADB, Bd. nicht nur die Stürmer und Dränger auf den Plan 33, Berlin/Stettin 1778, Kap. VIII, S. 307–335. 4 Zur Diskussion um das Libretto und die Partitur rief. Es meldeten sich all jene zu Wort, die dem siehe Gabriele Busch-Salmen: »Uebrigens ein »Posaunenschall« (Johann Friedrich Reichardt) Werk voll Fehler und Nachlässigkeiten« – Wie- mißtrauten, dem »großen Geschrey von unend- land/Schweitzers Alceste in der opernästheti- schen Debatte. In: Beatrix Borchard, Claudia 1 MA 1.1, S. 681–693. Maurer Zenck (Hg.): Alkestis: Opfertod und 2 Briefe an einen Freund über das deutsche Sing- Wiederkehr. Interpretationen, Frankfurt a.M. spiel, Alceste. In: Der teutsche Merkur I (1773), S. 2007, S. 97–111. 34–72 und S. 223–243; Versuch über das Teutsche 5 MA 1.2, S. 411ff. Singspiel, und einige dahin einschlagende Gegen- 6 Versuch über das deutsche Singspiel und einige stände. In: ebd., III (1775), S. 63–87 und S. 156– dahin einschlagende Gegenstände. In: Sämmtli- 17 3 . che Werke VIII, Bd. 26, Leipzig 1796, S. 239. 118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 1 003.07.20083.07.2008 117:10:507:10:50 UUhrhr 2 Theaterpraxis in Weimar Abb. 2: Christian Gottlieb Geyser nach Wilhelm Steinhauer: Titelkupfer Alceste von [Christoph Martin] Wieland und [Anton] Schweitzer, Klavierauszug Leipzig 1774 habe »auf Wielanden [...] ein schändlich Ding abgeschmackte gezierte hagre blasse Püppgens drucken lassen, unterm Titel: Götter, Helden die sich einander Alzeste! Admet! nannten, vor und Wieland, eine Farce« und »turlupinire ihn einander sterben wollten, ein Geklingele mit auf eine garstige Weise über seine moderne ihren Stimmen machten als die Vögel und zu- Mattherzigkeit in Darstellung iener Riesenge- letzt mit einem traurigen Gekrächz verschwan- stalten der marckigen Fabelwelt«.7 den.«8 Seinen Herkules läßt er ausrufen, Wie- Das vielfältige antike Gewand der Tragikomö- land hingen »immer noch die scheelen Ideale die des Euripides gegen ein bürgerliches Rühr- an«, er könne »nicht verdauen daß ein Halbgott stück vertauscht zu sehen, in dem ihrer antiken sich betrinkt und ein Flegel ist seiner Gottheit Größe beraubte Personen agieren, kommentiert ohnbeschadet«9; seine Philippika gipfelt in dem Goethe sarkastisch, indem er seiner Alzeste die Satz, er »beschmitzt[e]« mit dem Spott sein »ei- Worte in den Mund legt: »Da erscheinen zwei 8 MA 1.1, S. 682. 7 WA IV, Bd. 2, S. 170–177. 9 Ebd., S. 692. 118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 2 003.07.20083.07.2008 117:10:517:10:51 UUhrhr Vorbemerkung 3 gen Gewand«, er stellt »sich dar, und bekennt: »diese kleine Schrift allen Liebhabern der pasqui- da hab ich nichts gefühlt«.10 nischen Manier als ein Meisterstück der Persiflage und sophistischem Witze, der sich aus allen mögli- Goethe gehörte also zu denjenigen, die zu chen Standpunkten sorgfältig denjenigen auswählt, Zeiten tiefgreifender struktureller und inhaltli- aus dem ihm der Gegenstand schief vorkommen cher Veränderungen im Gefolge Shakespeares muss, und sich dann herzlich lustig darüber macht, auf den deutschen Bühnen vom Musik- und dass das Ding so schief ist!«12 Sprechtheater andere Impulse als die eines »blü- henden Odeon« Wielandscher Definition erwar- Derart beschämt, »prostituiert«, wie er sagte, teten. Daß er sich in dieser Richtung seit seiner bedauerte Goethe später die Mutwilligkeit der Leipziger Studienzeit zu engagieren begonnen Farce, konnte nach seiner Ankunft in Weimar in hatte, kommentiert J.M.R. Lenz in einem Brief freundschaftliche Nähe zu Wieland treten und vom 20. Mai 1775 an Sophie v. La Roche, in dem entfaltete in den ersten Jahren eine vom damali- er auf Goethes frühe musiktheatralische Versu- gen »Geniewesen« geprägte Aktivität. »Von allen che hinweist und dessen künftiges Wirkungsfeld Seiten walfahrteten Kraft- und Dranggenies hie- an einer großen Bühne sieht: »Warum lassen Sie her, um auf Göthes Flügeln auch mit zur Sonne ihn denn so viel Operetten machen? [...] Wenn aufzufliegen, in deren wohlthätigen Stralen sich Sie denn doch seine Muse sein wollen, so ver- jener so schön sonnete«, so charakterisiert der führen Sie ihn in ein großes Opernhaus, wo er Weimarer Gymnasialdirektor Karl August Bötti- wenigstens Platz für seine Talente finden könnte, ger die Situation. Wieland, so Böttiger weiter, wenn man es erst von Metastasios Spinneweben habe den jungen Dichterkollegen während des rein ausgefegt hätte.«11 ersten Weimarer Jahrzehnts als einen Mann er- Goethe entschied sich anders. Er ließ sich lebt, der »aller Künste Meister seyn, […] alle dauerhaft auf eine ökonomisch eingeschränkte Culturstufen u. Arten zu seyn in sich repräsenti- kleine Residenzstadt ohne ein »großes Opern- ren« wolle.13 Treffend charakterisierte er damit haus« ein, die er überdies zu einem Zeitpunkt das vielfältige Wirken Goethes und macht spür- erreichte, als der von Herzogin Anna Amalia bar, daß er sich von seinem ersten öffentlichen wesentlich beförderte musiktheatralische Hö- Auftreten in einer repräsentativen Hofredoute henflug eine empfindliche Zäsur erfahren bis zu seinen experimentellen musik- und mußte. Am 6. Mai 1774 hatte ein Schloßbrand sprechtheatralischen Werken für das Liebhaber- den Hof aller Theatereinrichtungen beraubt. theater als Schauspieler, Sänger, Tänzer, Schrift- Goethe kam also an eine Wirkungsstätte, die, steller und Staatsmann auf die Bedingungen bevor man wieder ein Hoftheater mit eigenen dieses Hofes vollkommen einließ. Er schrieb Baulichkeiten und einem Ensemble