Goethe-Handbuch Supplemente

Band 1: Musik und Tanz in den Bühnenwerken

Bearbeitet von Gabriele Busch-Salmen, Manfred Wenzel, Andreas Beyer, Ernst Osterkamp

1. Auflage 2008. Buch. xv, 562 S. Hardcover ISBN 978 3 476 01846 5 Format (B x L): 17 x 24,4 cm Gewicht: 1164 g

Weitere Fachgebiete > Literatur, Sprache > Literaturwissenschaft: Allgemeines > Einzelne Autoren: Monographien & Biographien Zu Inhaltsverzeichnis

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

2 2 2 2 2 2 2 2 2 2 3

3 3 3 3 3 3 3 3 4 4 4 4 4 4 4 4 4 4

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb I 003.07.20083.07.2008 17:10:4317:10:43 UhrUhr 1

Theaterpraxis in Weimar lichen, unbeschreiblichen Verdiensten«3, das der ersten Aufführung vorausging und dem Singspiel bereits im Vorfeld die Einlösung der Neukon- zeption eines deutschsprachigen Musiktheaters Vorbemerkung prophezeite.4 Das mochte auch Goethe bewogen haben, sich mit seinem Dramolett unter die Kri- Mit dem Eintreffen Johann Wolfgang Goethes tiker zu reihen und zu signalisieren, daß er in in Weimar am 7. November 1775 begann für die der Frage einer künftigen deutschsprachigen kleine Residenzstadt eine neue Ära. Er hatte Oper durchaus eigene Wege beschreiten wolle. seine geplante erste Reise nach Italien in Hei- Dem von Wieland propagierten »regelmäßigen delberg abgebrochen und war der Einladung des Theater« hatte er bereits 1771 in seinem Genie- um einige Jahre jüngeren Herzogs Carl August Manifest Zum Schäkespears Tag eine Absage er- gefolgt. Noch ohne eine klar umrissene amtliche teilt,5 so daß sich seine Farce gegen das fünfak- Funktion genoß er dessen Vertrauen, denn seit tige Singspiel nach dem episodenreichen, älte- dem Erscheinen der ersten dramatischen Arbei- sten euripideischen Drama um den Opfertod ten, vor allem seines Erfolgsromans Die Leiden Alcestes und deren Wiederkehr als Kritik an des jungen Werthers, eilte ihm der Ruf eines so Wielands Überzeugung liest, mit Stoffen »aus außergewöhnlichen wie streitbaren literarischen der heroischen Zeit« ein »Gefühl des Wunder- Geistes voraus. Auch in der allenthalben von baren« erregen und »ein öffentliches Vergnügen Weimar angefachten Debatte um die deutsche von der edelsten Art« versprechen zu können, Oper bezog er unmißverständlich Position, denn das »gewiß nicht ohne nützlichen Einfluß auf nur wenige Monate vor seiner Ankunft erschien Geschmack und Sitten« sein würde.6 Die zen- seine nach Art eines Lukianischen Totenge- trale Szene im 2. Akt des Werks, den Abschied sprächs verfaßte Farce Götter, Helden und Wie- Alcestes von ihren Kindern vor ihrem Opfertod, land.1 Ohne zu ahnen, daß ihn sein Geschick so hatte Wieland programmatisch von Christian bald in Christoph Martin Wielands Nähe brin- Gottlieb Geyser nach einer Zeichnung von Chri- gen würde, persiflierte der kaum Fünfundzwan- stian Wilhelm Steinhauer als Titelkupfer für den zigjährige dessen Singspiel Alceste, das von ho- Druck des Klavierauszuges stechen lassen, ein hen Erwartungen begleitet im Mai 1773 im Blatt, mit dem man sich angewöhnt hat, den Weimarer Hoftheater mit der Musik von Anton Beginn der deutschsprachigen Oper auch ikono- Schweitzer uraufgeführt worden war und große graphisch zu markieren (Abb. 1). öffentliche Resonanz erfuhr. Begleitet hatte Daß Goethe von der Sujetwahl und Machart Wieland das Unternehmen mit ehrgeizigen dieses Singspiels irritiert war, ließ er den Juri- operntheoretischen Texten, die er in seinem sten Gottlob Friedrich Ernst Schönborn im Juni Teutschen Merkur einrückte; Weimar war also 1774 in einem ausführlichen Brief wissen. Er neben Leipzig zu einer der wichtigsten Stätten für das deutsche Singspiel geworden.2 Wieland 3 Johann Friedrich Reichardt: Alceste von Wie- bezog in diesen Texten freilich eine Position, die land und Schweizer, o.O., o.D. In: ADB, Bd. nicht nur die Stürmer und Dränger auf den Plan 33, Berlin/Stettin 1778, Kap. VIII, S. 307–335. 4 Zur Diskussion um das und die Partitur rief. Es meldeten sich all jene zu Wort, die dem siehe Gabriele Busch-Salmen: »Uebrigens ein »Posaunenschall« (Johann Friedrich Reichardt) Werk voll Fehler und Nachlässigkeiten« – Wie- mißtrauten, dem »großen Geschrey von unend- land/Schweitzers Alceste in der opernästheti- schen Debatte. In: Beatrix Borchard, Claudia 1 MA 1.1, S. 681–693. Maurer Zenck (Hg.): Alkestis: Opfertod und 2 Briefe an einen Freund über das deutsche Sing- Wiederkehr. Interpretationen, Frankfurt a.M. spiel, Alceste. In: Der teutsche Merkur I (1773), S. 2007, S. 97–111. 34–72 und S. 223–243; Versuch über das Teutsche 5 MA 1.2, S. 411ff. Singspiel, und einige dahin einschlagende Gegen- 6 Versuch über das deutsche Singspiel und einige stände. In: ebd., III (1775), S. 63–87 und S. 156– dahin einschlagende Gegenstände. In: Sämmtli- 17 3 . che Werke VIII, Bd. 26, Leipzig 1796, S. 239.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 1 003.07.20083.07.2008 17:10:5017:10:50 UhrUhr 2 Theaterpraxis in Weimar

Abb. 2: Christian Gottlieb Geyser nach Wilhelm Steinhauer: Titelkupfer Alceste von [Christoph Martin] Wieland und [Anton] Schweitzer, Klavierauszug Leipzig 1774

habe »auf Wielanden [...] ein schändlich Ding abgeschmackte gezierte hagre blasse Püppgens drucken lassen, unterm Titel: Götter, Helden die sich einander Alzeste! Admet! nannten, vor und Wieland, eine Farce« und »turlupinire ihn einander sterben wollten, ein Geklingele mit auf eine garstige Weise über seine moderne ihren Stimmen machten als die Vögel und zu- Mattherzigkeit in Darstellung iener Riesenge- letzt mit einem traurigen Gekrächz verschwan- stalten der marckigen Fabelwelt«.7 den.«8 Seinen Herkules läßt er ausrufen, Wie- Das vielfältige antike Gewand der Tragikomö- land hingen »immer noch die scheelen Ideale die des Euripides gegen ein bürgerliches Rühr- an«, er könne »nicht verdauen daß ein Halbgott stück vertauscht zu sehen, in dem ihrer antiken sich betrinkt und ein Flegel ist seiner Gottheit Größe beraubte Personen agieren, kommentiert ohnbeschadet«9; seine Philippika gipfelt in dem Goethe sarkastisch, indem er seiner Alzeste die Satz, er »beschmitzt[e]« mit dem Spott sein »ei- Worte in den Mund legt: »Da erscheinen zwei 8 MA 1.1, S. 682. 7 WA IV, Bd. 2, S. 170–177. 9 Ebd., S. 692.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 2 003.07.20083.07.2008 17:10:5117:10:51 UhrUhr Vorbemerkung 3

gen Gewand«, er stellt »sich dar, und bekennt: »diese kleine Schrift allen Liebhabern der pasqui- da hab ich nichts gefühlt«.10 nischen Manier als ein Meisterstück der Persiflage und sophistischem Witze, der sich aus allen mögli- Goethe gehörte also zu denjenigen, die zu chen Standpunkten sorgfältig denjenigen auswählt, Zeiten tiefgreifender struktureller und inhaltli- aus dem ihm der Gegenstand schief vorkommen cher Veränderungen im Gefolge Shakespeares muss, und sich dann herzlich lustig darüber macht, auf den deutschen Bühnen vom Musik- und dass das Ding so schief ist!«12 Sprechtheater andere Impulse als die eines »blü- henden Odeon« Wielandscher Definition erwar- Derart beschämt, »prostituiert«, wie er sagte, teten. Daß er sich in dieser Richtung seit seiner bedauerte Goethe später die Mutwilligkeit der Leipziger Studienzeit zu engagieren begonnen Farce, konnte nach seiner Ankunft in Weimar in hatte, kommentiert J.M.R. Lenz in einem Brief freundschaftliche Nähe zu Wieland treten und vom 20. Mai 1775 an Sophie v. La Roche, in dem entfaltete in den ersten Jahren eine vom damali- er auf Goethes frühe musiktheatralische Versu- gen »Geniewesen« geprägte Aktivität. »Von allen che hinweist und dessen künftiges Wirkungsfeld Seiten walfahrteten Kraft- und Dranggenies hie- an einer großen Bühne sieht: »Warum lassen Sie her, um auf Göthes Flügeln auch mit zur Sonne ihn denn so viel Operetten machen? [...] Wenn aufzufliegen, in deren wohlthätigen Stralen sich Sie denn doch seine Muse sein wollen, so ver- jener so schön sonnete«, so charakterisiert der führen Sie ihn in ein großes Opernhaus, wo er Weimarer Gymnasialdirektor Karl August Bötti- wenigstens Platz für seine Talente finden könnte, ger die Situation. Wieland, so Böttiger weiter, wenn man es erst von Metastasios Spinneweben habe den jungen Dichterkollegen während des rein ausgefegt hätte.«11 ersten Weimarer Jahrzehnts als einen Mann er- Goethe entschied sich anders. Er ließ sich lebt, der »aller Künste Meister seyn, […] alle dauerhaft auf eine ökonomisch eingeschränkte Culturstufen u. Arten zu seyn in sich repräsenti- kleine Residenzstadt ohne ein »großes Opern- ren« wolle.13 Treffend charakterisierte er damit haus« ein, die er überdies zu einem Zeitpunkt das vielfältige Wirken Goethes und macht spür- erreichte, als der von Herzogin Anna Amalia bar, daß er sich von seinem ersten öffentlichen wesentlich beförderte musiktheatralische Hö- Auftreten in einer repräsentativen Hofredoute henflug eine empfindliche Zäsur erfahren bis zu seinen experimentellen musik- und mußte. Am 6. Mai 1774 hatte ein Schloßbrand sprechtheatralischen Werken für das Liebhaber- den Hof aller Theatereinrichtungen beraubt. theater als Schauspieler, Sänger, Tänzer, Schrift- Goethe kam also an eine Wirkungsstätte, die, steller und Staatsmann auf die Bedingungen bevor man wieder ein Hoftheater mit eigenen dieses Hofes vollkommen einließ. Er schrieb Baulichkeiten und einem Ensemble einrichtete, Dramen, Libretti, Texte für Maskenzüge, er cho- von ausgeprägten Liebhaberinteressen, einigen reographierte die Redouten, Ballveranstaltungen ambitioniert künstlerisch Produzierenden, einer und genoß in all dem die freundschaftliche Un- kleinen Hofkapelle und der Stadtpfeiferei ge- terstützung insbesondere Herzog Carl Augusts, prägt war, wie im Folgenden ausführlich darzu- der ihn rasch in den Weimarischen Staatsdienst stellen sein wird. Wieland hatte kurz zuvor seine aufsteigen ließ. Betroffenheit über Goethes Angriffe souverän Goethes Vorstellungen vom Musiktheater wa- gekontert und seinen Anzeigentext im Teutschen ren von Eindrücken und intensiven Anregungen Merkur mit dem vielzitierten Satz geschlossen, während seiner Studienzeiten in Frankfurt, der »Verfasser dieses Werkleins« wolle wohl Leipzig und Straßburg geprägt. Er nahm fortan einmal mehr beweisen, »daß er Shakespeare aktiv an der Entwicklung des Bühnenwesens in seyn könnte, wenn er wollte« und empfahl 12 Der teutsche Merkur, Juni 1774, II, S. 351. Siehe auch den Kommentar in MA 1.1, S. 990. 10 Ebd., S. 688. 13 Karl August Böttiger: Literarische Zustände und 11 Jacob Michael Reinhold Lenz: Werke und Zeitgenossen. Begegnungen und Gespräche im Briefe, hg. von Sigrid Damm, Bd. 3, Leipzig klassischen Weimar, hg. von Klaus Gerlach und 1987, S. 318f. René Sternke, Berlin 1998, S. 79.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 3 003.07.20083.07.2008 17:10:5217:10:52 UhrUhr 4 Theaterpraxis in Weimar

Mitteldeutschland teil, dessen wichtigster Anre- nationales Ereignis gefeiert wurde. Im 1766 auf ger der in Leipzig wirkende Johann Adam Hiller der Rannischen Bastei errichteten Komödien- war. In seiner Autobiographie Dichtung und haus – mit dem von Goethe beschriebenen be- Wahrheit legte Goethe sich später darüber Re- rühmten Vorhang seines Lehrers Adam Friedrich chenschaft ab, wenn er mit einer Mischung aus Oeser – hatten die neuen Singspiele, aufgeführt Hochmut und Spott die gefeierten Muster der von gastierenden Theatertruppen und musika- neuen Modegattung als »realistischen Dämon« lisch begleitet von Ratsmusikern sowie Mitglie- tituliert, der sich des Theaters mit »Zustands- dern des Konzertorchesters, schließlich einem und Handwerksopern [...] bemächtigt hatte«,14 festen Theaterorchester, einen idealen Auffüh- gegen die er seine eigenen Konzepte setzte. rungsort. »Die Operetten machen seit einigen Wie sehr er sich indessen in einem Kontinuum Jahren, wie in Italien und Frankreich, also auch bewegte und am sachsen-weimarischen Hof in in Deutschland, den Hauptgegenstand des Thea- eine vielfältig geprägte Theaterlandschaft kam, ters«, so konnte der Dichter Johann Wolfgang in der sein Enthusiasmus auf einen wohlbereite- Andreas Schöpfel 1773 in der Vorrede zu seinem ten fruchtbaren Boden fallen konnte, möge ein ersten Singspiel Die Frühlingsnacht (Operette in kurzer Rückblick auf die Geschichte des deut- einem Akt) schreiben und Hiller und Weiße als schen Singspiels im Rahmen der mitteldeut- diejenigen preisen, deren »Verdienste um das schen Theaterpraxis deutlich machen. Theater längst entschieden« seien.16 Ausgehend von Leipzig wurde die Weiterent- wicklung dieser Gattung von den kleineren mit- teldeutschen Höfen befördert, die schon in der I. Mitteldeutschland Frühzeit der Oper in reger Beziehung zueinan- der standen, als die Residenzen Weißenfels, Die Messe- und Universitätsstadt Leipzig galt Naumburg und Leipzig mit nahezu identischen schon in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts Spielplänen ein Dreieck bildeten.17 Daß insbe- als der Ort, in dem die deutsche Operettenge- sondere die Hoftheater der Residenzen Gotha schichte ihren Ausgang nahm. Diesen Beginn und Weimar im Verlaufe des 18. Jahrhunderts zu datierte Christian Heinrich Schmid in seiner literarisch geprägten Hochburgen des deutschen Chronologie des deutschen Theaters von 1775 mit Singspiels werden konnten, hat mithin eine Vor- dem Jahr 1752, denn am 6. Oktober hatte im geschichte. Sie waren Teil der thüringischen Leipziger Komödienhaus die von Christian Felix Hoftheaterlandschaft, die sich unter der Förde- Weiße neu gefaßte Posse Der Teufel ist los oder rung ambitionierter Fürsten auf engstem Raum die verwandelten Weiber nach Charles Coffeys gebildet hatte, denn Thüringen zerfiel im 18. The devil to pay, mit der Musik von Johann Ge- Jahrhundert in eine Vielzahl von Kleinterrito- org Standfuß Premiere.15 Daran konnte Weiße rien.18 Die räumliche Nähe von mindestens 25 wenig später mit seinem musikalischen Partner Johann Adam Hiller anknüpfen und über meh- 16 Hans-Albrecht Koch: Das deutsche Singspiel, rere Jahre das aus den englischen und französi- Stuttgart 1974 (= Sammlung Metzler, Realien schen Entwicklungslinien gewonnene Muster zur Literatur Bd. 133), S. 48. Auch Jörg Krämer, ebd. für das deutsche Singspiel etablieren, das als 17 Zum Beziehungsgeflecht der Thüringer Spiel- stätten siehe Erdmann Werner Böhme: Die frühdeutsche Oper in Thüringen, Stadtroda 14 Vierter Theil, 17. Buch, WA I, Bd. 29, S. 43. 1931. Nachdruck Giebing/Obb. 1969, S. 14 f. 15 Chronologie des deutschen Theaters. Leipzig 18 Dazu ausführlich Konrad Scheurmann (Hg.): 1775, Neudruck hg. von Paul Legband, Berlin Neu entdeckt: Thüringen – Land der Residen- 1902 (= Schriften der Gesellschaft für Theater- zen. [2. Thüringer Landesausstellung, Schloß geschichte 1), S. 103. Ausführliche Darstellung Sondershausen], Bd. 3, Essays, Mainz 2004. von Jörg Krämer in: Deutschsprachiges Musik- Dort bes. den Beitrag von Reinhard Jonscher: theater im späten 18. Jahrhundert, Bd. 1, Tübin- Dynastien und Territorien im Thüringer Raum gen 1998, S. 130–160. (1485–1806), S. 84–94.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 4 003.07.20083.07.2008 17:10:5217:10:52 UhrUhr I. Mitteldeutschland 5

Hofhaltungen führte zu einer dichten Verflech- später vollzog sich mit dem Engagement der tung der Theateraktivitäten, der Angleichung Abel Seylerschen Schauspielergesellschaft, die der Organisationsstrukturen und des Auffüh- nach dem Weimarer Schloßbrand im Mai 1774 rungskanons sowie zu einem Austausch von am Gothaer Hof eine neue Bleibe fand, der Personal. Die gegenseitige Konsultation und Wandel von der privilegierten Spielberechtigung Kommunikation vor allem unter Nachbarn, im zum festangestellten Hofpersonal, das im Falle Weimars mit den Residenzen Weißenfels, Schloßtheater unter der Aufsicht des Hofmar- Rudolstadt und Gotha, prägte einen relativ ge- schallamts einen geregelten Theaterbetrieb auf- schlossenen kulturellen Raum, in dem sich im nehmen konnte. musikalischen und theatralischen Bereich eigene Das Rückgrat des höfischen Musikbetriebs – Formen und Strukturen entwickelten.19 Der fa- und damit auch der Oper – waren und blieben tale, vom pietistischen Gelehrten und Gothaer ungeachtet der Krise, in die die Hofmusik ab der Rektor der Fürstenschule, Gottfried Vockerodt, Mitte des 18. Jahrhunderts allgemein geriet, hier ab 1696 durch seine Schrift Mißbrauch der freyen wie andernorts die Hofkapellen und Stadtpfeife- Künste/ insonderheit/ Der Music, nebenst abge- reien, die für den Hof und die Kirche zu spielen nöthigter Erörterung der Frage:/ Was nach D. hatten.23 Diese musikalischen Collegien ergänz- Luthers und anderer Evangelischen Theologorum ten sich je nach Anlaß und Bedarf, auch waren und Politicorum Meinung/ von Opern und Co- keineswegs alle Mitglieder professionelle Musi- mödien zu halten sey? 20 ausgelöste »thüringische ker oder Sänger. In beträchtlichem Umfang war Opernstreit« mit einer Flut von Streitschriften, man vielmehr auf Liebhaber aus dem Hofperso- in denen die Rolle der Musik an den Höfen und nal oder, wie etwa in Rudolstadt oder Jena, die der Anteil der Fürsten als auf der Bühne Agie- Mitglieder der »Collegia musica« und die Chöre rende grundsätzlich diskutiert wurde, war bei- der Gymnasien angewiesen. Die professionellen gelegt.21 In dessen Folge entstanden an fast allen Kräfte waren zudem nicht ausschließlich auf der Bühnen erhebliche Spielplanlücken, in Gotha Bühne oder in der Kirche tätig, sondern taten gab es in den Jahren 1701 bis nach 1720 des 18. zu dem in diversen anderen Bereichen Dienst.24 Jahrhunderts keine Opernaufführung mehr, so Eine besondere Exklusivität der vom Hof initi- daß erst mit dem Hofkapellmeister Gottfried ierten Festveranstaltungen ließen diese Verhält- Heinrich Stöl(t)zel eine zweite, bescheidene nisse kaum zu. Die Kleinheit der thüringischen Blüte einsetzen konnte.22 Ein halbes Jahrhundert Territorien erzwang in allen gesellschaftlichen Bereichen eine gewisse soziale Offenheit der 19 Erdmann Werner Böhme: Die frühdeutsche Aktivitäten des Hofes. Der Umstand, daß die Oper, Einführung, S. 14; Juliane Riepe: Musik Hofkapellisten sowohl am Hof als auch in der der Macht – Macht der Musik. Die Musik an Kirche zu spielen hatten, daß der Hofkapellmei- den sächsich-albertinischen Herzogshöfen Wei- ßenfels, Zeitz und Merseburg, Schneverdingen ster wie die Sänger und Musiker beide Bereiche 2003 (= Ständige Konferenz Mitteldeutsche Ba- bedienten, mag als eine primäre, wenngleich rockmusik, Sachsen-Anhalt und Thüringen äußerliche Triebkraft der Säkularisation verstan- e. V.). den werden. Am Hof wurde jedenfalls das 20 Frankfurt 1697. Kommentierte Wiedergabe des 3. Kapitels: Von der Beschaffenheit und Würckungen der heutigen Opern und Comoe- dien. In: Quellentexte zur Konzeption der euro- 23 Erich Reimer: Die Hofmusik in Deutschland päischen Oper im 17. Jahrhundert, hg. von Heinz 1500–1800. Wandlungen einer Institution, Wil- Becker, Kassel 1981, S. 186–188. helmshaven 1991. 21 Dazu ausführlich Erdmann Werner Böhme, 24 Siehe dazu das Sozialprofil in dem Sammel- ebd., S. 108 ff. band: Musik am Rudolstädter Hof. Die Ent- 22 Europäische Literatur am Gothaer Fürstenhof. wicklung der Hofkapelle vom 17. Jahrhundert Katalog zur Sommerausstellung der Universitäts- bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, Thüringer und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, bear- Landesmuseum Heidecksburg, Rudolstadt 1997. beitet von Wolfgang Ranke, Gotha 1999, S. 17 Auch Horst Fleischer: Vom Leben in der Resi- und S. 59. Dort umfangreiche Bibliographie. denz. Rudolstadt 1646–1816, Rudolstadt 1996.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 5 003.07.20083.07.2008 17:10:5317:10:53 UhrUhr 6 Theaterpraxis in Weimar

Opernrepertoire früher säkular als in den Städ- die mit dem sonstigen Aufführungsdivertisse- ten. ments, den Tafeleien, Bällen und Redouten In einigen Residenzen, etwa in Römhild25, wechselten. Aktennotizen wie die aus Rudolstadt Gotha, Meiningen oder Weimar, konnte in überlieferte: »Nach Tafel Coffee getrunken. So- Theaterbauten, sogar in aufwendigen »Comoe- dann Operette der Tarquinius Superbus aufge- dien-Häusern« gespielt werden. Vielfach nutzte führt. Nach deren Endigung in dem großen Saal man aber auch die Nebenräume der Festsäle getantzet.«27 verzeichnen den gewöhnlichen Ver- (z. B. in der Heidecksburg in Rudolstadt, bevor lauf eines Theaterabends, so daß wir davon es 1786 im Nordflügel des Schlosses zum Thea- ausgehen können, daß alle Theaterörtlichkeiten terneubau kam und auf dem Anger 1792 ein mit Gesellschafts- und Spielzimmern eingerich- einfaches Holztheater entstand) oder größere tet waren. Räumlichkeiten wie den Ritter- oder Riesensaal Innerhalb dieser Casualkunst waren im 17. im Obergeschoß des Südflügels des Sonders- und beginnenden 18. Jahrhundert die Singbal- hausener Schlosses, der bei Bedarf zum »Thea- lette noch ein beliebtes Genre, das allmählich trum« hergerichtet wurde. Gespielt wurde auch aus der Mode kam. Dafür entwickelten sich außerhalb des Schlosses in Heckentheatern der neue Formen, insbesondere im Bereich des Parks, in Ball- und Lusthäusern, Pavillons oder Singspiels. Infolge der finanziellen Verhältnisse umgebauten Scheunen, während der Sommer- und der Kapazität des künstlerischen Personals monate vorzugsweise in den Lustschlössern. stießen die musikalischen Produktionen rasch Eine Besonderheit ließ sich Fürst Christian Wil- an Grenzen, die sie nur selten überschritten. Zu helm von Schwarzburg-Sondershausen 1709/10 wichtigen Anlässen und repräsentativeren Festi- in den Park seines Schlosses bauen: ein prächtig vitäten lieh man sich Personal von den umlie- ausgemaltes, oktogonal angelegtes, dreigeschos- genden Höfen, wie andererseits die Herrschaf- siges Karussell mit zwei Emporen, das für Thea- ten in Begleitung ihres Personals gelegentlich terveranstaltungen genutzt wurde. Der reußische auf Reisen in die Nachbarschaft gingen, das bei Fürstenhof Gera griff für die Aufführungen der den Gastgebern aushalf. So wirkten in Weimar Schulspiele, Operetten, Ballette, Serenaden und die »Weißenfelser Kapellknaben« bei einer sze- Lustspiele bei Hoffestlichkeiten und Landtagen nischen Aufführung im Jahr 1697 mit.28 Grund- lange Zeit auf die Räume des Gymnasiums zu- sätzlich entstammte das Personal aus der eigenen rück, in dem Stipendiumsknaben mit der Hof- Umgebung, aus der Nachbarschaft, Kapellmei- musik zusammenwirkten.26 Nicht selten wurde ster wurden häufig aus einer entfernteren klei- auch in den Sälen der Privathäuser von Angehö- nen oder mittleren Residenz übernommen. Be- rigen des Hofes oder vermögender Bürger ge- dingt durch die begrenzten Möglichkeiten ka- spielt. men fast ausschließlich kleinere Formen, nahezu Ein Großteil der musikalischen und theatrali- durchweg in deutscher Sprache, zur Aufführung. schen Arbeiten war Gelegenheitskunst, geschrie- Selten tauchen italienische, französische oder ben für den Geburtstag des Souveräns und seiner lateinische Texte auf. Zu Versuchen, die lokale Gemahlin, die Geburten und Taufen der Erb- Tradition durch Elemente der italienischen nachfolger, für die Genesung eines Mitglieds seria zu bereichern, kam es nur verein- der Herrscherfamilie, den Besuch eines befreun- zelt: So nutzte etwa in den Jahren 1743 und 1745 deten oder verwandten Herrschers und vorab der Vizekapellmeister Christoph Förster am Ru- die Hochzeiten des fürstlichen Hauses. Darüber dolstädter Hof den Anlaß der fürstlichen Ge- hinaus waren auch die Sommeraufenthalte in burtstage, um Musikdramen mit zweisprachig den Lustschlössern und die Karnevalssaison zwingende Anlässe für Theateraufführungen, 27 Zur Geburtstagsfeier der Fürstin, nach Böhme, ebd., S. 174. 25 Fürstliche Baulust, Römhild 1698, siehe Böhme, 28 Christoph-Hellmut Mahling: Studien zur Ge- ebd., S. 152. schichte des Opernchors, Wolfenbüttel 1962, 26 Böhme, ebd., S. 73. S. 144.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 6 003.07.20083.07.2008 17:10:5317:10:53 UhrUhr I. Mitteldeutschland 7

gedruckter italienisch-deutscher Textfassung pflugs Vertonung von Mithridates in Armenien spielen zu lassen.29 Das ist bemerkenswert, deu- zuende, dem letzten Werk eines antiken Opern- tet sich darin doch ein anderer Bildungshorizont programms »bey dem hocherfreulichen Geburts- an als in den südlichen und südöstlichen klei- Feste Der Durchlauchtigsten Fürstin und Frau, neren Territorien des Reiches, in denen der FRAU Bernhardinen Christianen Sophien [...] Einsatz mehrerer Sprachen keine Besonderheit auf gnädigsten Befehl unter-thänigst aufgeführet war. von der Fürstlichen HOF-Capelle«.30 Musiker und Sänger waren durch ihre primä- Mit den sich entwickelnden neuen Formen ren Aufgaben häufig nicht ausgelastet, sie taten ging an einigen Höfen, wenn sie nicht der wirt- daher Dienst in der Küche, im Jagdrevier oder schaftlichen Not gehorchend ihren Musikthea- auf einem anderen Posten bei Hof. Entsprechend terbetrieb hatten einstellen müssen, der Ent- niedrig war das Sozialprestige des musikalischen schluß zu neuen Baulichkeiten einher. In Rudol- Personals. stadt wurde im August 1796 das neue Theater, Wie an vergleichbaren Hofhaltungen in ande- ein über zwei Stockwerke gehender Einbau im ren Regionen auch wurden an den thüringischen Nordflügel der Heidecksburg mit Podium, Or- Höfen Opern und Singspiele fast nie wiederholt, chesterraum, zwei Rängen, Hofloge, einer zeit- wenn es sich nicht um Übernahmen beliebter gemäßen Maschinerie und Beleuchtung eröff- Stücke handelte oder, wie in Weimar, um den net.31 Die formale Erneuerung der Musikthea- frühen Ehrgeiz, einen strukturierten Spielplan tergenres wie die Theaterneubauten an wenigen mit festen Spieltagen zu entwickeln. Die Mehr- Residenzen, markieren eine historische Tendenz zahl der Stücke hatte ihren Zweck nach der zur Zentralisierung der Musiktheaterkultur Aufführung erfüllt, nur wenige fanden den Weg Thüringens. Viele Gründe mögen das Ende ei- aus der Region hinaus an eine größere Bühne. nes fast 80jährigen dezentralen Spielbetriebs mit Eine Ausnahme bildete die Messestadt Naum- meist kurzer Kontinuität bewirkt haben. Einer burg, deren jährliche Meßtage zu Neujahr, der wichtigsten aber ist wohl die mangelnde Ostern und Peter & Paul regelmäßig von Opern- Flexibilität, eine Tradition entsprechend den aufführungen begleitet wurden, die autonom sich wandelnden Bedingungen im ökonomi- gegenüber höfischen Anlässen waren; d. h. hier schen und politischen Bereich weiterzuentwik- bildete sich eine partielle Vermarktung der Oper keln. Was sich in Wien, Paris oder London, aber heraus, wie sie auch in Braunschweig, ebenfalls auch in Neapel, Venedig oder Florenz in Jahr- der Messen wegen, und in Hamburg (bis 1730) hunderten durch Wandel entwickelte und mo- zu erkennen ist. dernisierte, erstarrte in den deutschen Kleinter- Während eine größere Anzahl von Textbü- ritorien vielfach zur Konvention, die nur abge- chern aus den verschiedenen thüringischen Re- brochen, aber nicht reformiert werden konnte. sidenzen erhalten ist, wissen wir von der Musik Ausnahmen bestätigen diese Regel: etwa der nur relativ wenig, der größte Teil des Notenma- Gothaer Hof, in den ab 1729 durch die Einheirat terials ging verloren. Aus Beschreibungen ein- der literatur- und theaterbegeisterten Prinzessin zelner Theaterereignisse läßt sich auf starke Louise Dorothée aus dem Hause Sachsen-Mei- kompositorische Anlehnungen an italienische ningen, die moderne aufgeklärte Literatur Ein- Vorbilder schließen. Die Sujets des mitteldeut- zug hielt; ebenso entfaltete sich der Weimarer schen Singspiels stammen oft aus der griechisch- Hof erst nach der Einheirat Anna Amalias im römischen Mythologie oder der Geschichte. Jahr 1756 zu einer respektablen Theaterstätte. Dieser Typus der frühdeutschen Oper ging 1754 in Rudolstadt mit Christian Gotthelf Schein-

30 Zur Quellenlage dieses von Georg Gebel d. J. 29 Nachweis und Kontext siehe Ute Omonsky: begonnenen Zyklus vgl. Böhme, ebd., S. 175. Werden und Wandel der Rudolstädter Hofka- 31 Siehe Ute Omonsky: Die Hofkapelle in der Zeit pelle. In: Musik am Rudolstädter Hof, Rudol- des bürgerlichen Musiklebens. In: Musik am stadt 1997, S. 41. Rudolstädter Hof, S. 214.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 7 003.07.20083.07.2008 17:10:5417:10:54 UhrUhr 8 Theaterpraxis in Weimar

II. Weimar: Spiel stätten – viel Raum einnahm. Der Bühnenboden war an- Organisationsstrukturen steigend und mit einer unter dem Boden liegen- den modernen Maschinerie ausgerüstet; ein vertiefter Orchestergraben gab maximal 22 an Das Hoftheater in der Wilhelmsburg einem langen Tisch, dem »Musikantenstuhl«, sitzenden Hofkapellmitgliedern Platz. Das Thea- In die 1683 beginnende Regierungszeit Herzog ter war konzipiert worden für die exklusiven Wilhelm Ernsts von Sachsen-Weimar fällt die hofinternen Vorstellungen zu verschiedenen Einrichtung eines Hoftheaters in der Wilhelms- Anlässen und erlebte durch die teilweise Entlas- burg und die Bestallung Johann Samuel Dreses sung der Mitglieder der Hofkapelle während als Hofkapellmeister, der vor allem durch die der Regierungszeit des Nachfolgers Herzog Biographie Johann Sebastian Bachs im Gedächt- Ernst August I. nach dem hoffnungsvollen Be- nis geblieben ist, der nach Dreses Tod im Jahr ginn eine wechselvolle Geschichte. Zur Zeit sei- 1716 als dessen möglicher Amtsnachfolger vom ner Begründung war es ein Instrument der feu- Herzog nicht berücksichtigt wurde. Bis zur Fer- dalen Unterhaltung und Repräsentation, bedurfte tigstellung des barocken Hoftheaters spielte man also keiner größeren Räumlichkeiten, so daß es im »Gartenhause«, dem späteren Bibliotheksge- dem späteren Andrang nur mit Mühe standge- bäude. Mit Singspielen und Operetten zog man halten haben mochte, als in der Regierungszeit auch in das Lusthaus des Landschlosses von Herzogin Anna Amalias schließlich die Öffnung Cromsdorf unweit von Weimar.32 Gemeinsam für ein bürgerliches Publikum vollzogen wurde. mit dem Hofpoeten Johann Christoph Lorber, Im Parterre fanden zu diesem Zeitpunkt auf dem Nachfolger Caspar Stielers, dem »Spaten« maximal 10 langen Bänken nur etwa 70 Zuhörer der Fruchtbringenden Gesellschaft, orientierte und auf einer auf Holzsäulen ruhenden Galerie Drese zusammen mit seinem Vizekapellmeister mit der breiten »Hochfürstl. Durchl. Loge« wei- Georg Christoph Strattner seine Opernproduk- tere 30 Angehörige des Hofstaates Platz. Wäh- tion an den Werken des in Weißenfels wirken- rend die hofinternen Besucher den Saal vom den Johann Philipp Krieger. Seine »in der Fürstl. Schloß erreichen konnten, öffnete sich dem bür- Wilhelmsburg zu Weimar neu-erbauten Schau- gerlichen Publikum ein Portal im Schloßhof.34 platze vorgestellet[e]« Opera Die erhöhete Unmittelbar nach dem Einzug der 16jährigen Dienstbarkeit unter der Königlichen Prinzessin Anna Amalia aus Braunschweig als Gemahlin Tarquinia mit Servio Tullio geschehener glückli- Herzog Ernst August II. Constantins im März cher Vermählung (1697) soll dem Vorbild eines 1756, erwarb die »Doebbelinsche« Schauspieler- Werkes des Hannoveraners Agostino Steffani gesellschaft mit 20 Akteuren und dem Komponi- nachgebildet sein.33 sten Johann Georg Standfuß gegen Zahlung von Als Baumeister des in zwei Etappen in den 6800 Reichstalern die Spielkonzession am Hof- Jahren 1696 und 1697 gebauten Hoftheaters war theater. Das Herzogspaar hegte also trotz maro- der in Hannover als herzoglicher Bauverwalter der Haushaltsverhältnisse, die es in der etwa tätige Venezianer Girolamo Sartorio gewonnen 6000 Einwohner zählenden ländlichen Resi- worden. Der relativ kleine Theatersaal mit einer denzstadt vorfand, die Hoffnung auf eine neue Gesamtlänge von 35 Ellen, einer Breite von 15 Ellen und einer Höhe von 10 Ellen (das ent- spricht 19,60 m × 8,40 m × ca. 5,60 m) lag im 34 Diese Angaben nach dem mit heutigen Maßen Erdgeschoß des Ostflügels des Schlosses, in dem versehenen »Plan der Haupt Etage des ausge- die Bühne mit sechs »unverrückbaren Gassen« branden hiesigen Schlosses« von Carl Friedrich Christian Steiner. Kunstsammlungen zu Wei- mar. Weitere Angaben siehe Adolph Doebber: 32 Details bei Leonhard Schrickel: Geschichte des Lauchstädt und Weimar, eine theaterbauge- Weimarer Theaters von seinen Anfängen bis schichtliche Studie, Berlin 1908. Auch Wilhelm heute, Weimar 1928, S. 15 ff. Bode: Der weimarische Musenhof 1756–1781, 33 Nach Böhme, ebd., S. 197 f. Berlin 1918, S. 69 f.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 8 003.07.20083.07.2008 17:10:5417:10:54 UhrUhr II. Weimar: Spiel stätten – Organisationsstrukturen 9

Abb. 3: Das Schloß- theater in der Wil- helmsburg, 1698. Grund- und Längs- schnitt mit Baudetails

Theaterära.35 Schon im April 1757 allerdings eine neue Bleibe suchen.36 Auch von einigen mußte der Entrepreneur Carl Theophil Doebbe- Mitgliedern der ohnehin mit maximal 12 Musi- lin als Prinzipal zurücktreten, der Hof mit Hof- kern bewußt sparsam besetzten Hofkapelle unter marschall Friedrich Hartmann v. Witzleben als ihrem Kapellmeister Johann Ernst Bach trennte Oberdirektor und Franz Christian v. Dürckheim sich Herzogin Anna Amalia im Zuge drastischer als Direktor übernahm die Truppe. Nach weni- finanzieller Sanierungsmaßnahmen. Erst im gen Monaten setzte der frühe Tod des Herzogs Jahr 1761 wurde mit der Ernennung Ernst Wil- diesen Bemühungen im Jahr 1758 ein Ende. Von helm Wolfs zu ihrem und ihrer Söhne persönli- einigen Mitgliedern abgesehen, zu denen der chem Klavier- und Hofkonzertmeister, den sie spätere Hoftanzmeister und Sänger Johann zum Hofkapellmeister aufsteigen ließ, wieder an Adam Aulhorn gehörte, mußten sich die meisten eine Aufstockung des Kapellbestandes gedacht.37

36 Zu den Vorkommnissen um die Doebbelinsche 35 Zu den wirtschaftlichen und politischen Voraus- Gesellschaft ausführlich Leonhard Schrickel: setzungen siehe Walter Horace Bruford: Die Geschichte des Weimarer Theaters von seinen gesellschaftlichen Grundlagen der Goethezeit, Anfängen bis heute, Weimar 1928, S. 27–39. Frankfurt a. M. 1979. Joachim Berger: Anna 37 Zum wechselhaften Geschick der Weimarer Amalia von Sachsen-Weimar-Eisenach (1739– Hofkapelle Wolfram Huschke: Musik im klassi- 1807). Denk- und Handlungsräume einer »auf- schen und nachklassischen Weimar. Weimar geklärten« Herzogin, Heidelberg 2003. 1982, bes. S. 11ff. Auch Thomas E. Bauman:

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 9 003.07.20083.07.2008 17:10:5517:10:55 UhrUhr 10 Theaterpraxis in Weimar

Ab 1767 spielte die Schauspielergesellschaft un- konnte, wie die neuesten musiktheatralischen ter Carl Christian Star(c)ke mit dem Ehepaar Stücke. Hier fand Carl Friedrich und Felicitas Abbt im Reithaus an sein Forum, hier sorgten die Uraufführungen der Ilm, das für Theateraufführungen eingerich- der der Herzogin zugeeigneten Singspiele ihres tet wurde; im September 1768 konnte der mit Hofkapellmeisters Ernst Wilhelm Wolf für Fu- der »Gesellschaft teutscher Schaubühne« in sei- rore. Neue Maßstäbe vermochten die Auffüh- nem Theater in Leipzig in Bedrängnis geratene rungen von Johann Adam Hillers Die Jagd sowie, Heinrich Gottfried Koch seine Eröffnungsvor- am 28. Mai 1773, des Singspiels in fünf Aufzügen, stellung im Schloßtheater geben. Schon 1771 Alceste von Christoph Martin Wieland und muß ihm ein Berliner Angebot attraktiver er- Anton Schweitzer zu setzen. Wie schon skizziert schienen sein, so daß er sich abwerben ließ und wurde, trieb vor allem Wielands Alceste in der sich die Herzogin entschloß, der in Hannover damaligen Fachwelt die Diskussion um die deut- wirkenden Abel Seylerschen Gesellschaft ein sche Oper voran. Schon vor der Premiere schrieb veritables Theaterbudget von 10 000 Reichstalern er an seine Freundin Sophie v. La Roche: pro Jahr anzubieten. Mit der von Lessing ge- »Fremde vom ersten Rang und von zuverlässigem rühmten Friederike Hensel, dem gefeierten Urtheil, welche von England, Frankreich und Ita- Conrad Ekhof, den Ehepaaren Boeck und Bran- lien alles gesehen und gehört haben, waren bey der des, der Sängerschauspielerin Franziska Romana repetition beynahe außer sich vor Verwunderung, Koch, einigen Tänzern und Tänzerinnen kamen in Weimar so was zu hören. Musik und Execution sie nach Weimar, wo sie bis zum Schloßbrand [...] sind wirklich das Schönste, was ich jemals ge- hört habe.«39 unter relativ stabilen Bedingungen wirken konn- ten.38 Seinen neugegründeten Teutschen Merkur Einquartiert in einem der Schloßflügel, unter machte er zum Sprachrohr für die Reformen des die Intendanz des Hofmarschalls Friedrich Hart- Hoftheaters, von dessen mustergebender Wir- mann v. Witzleben gestellt, wurden an den in kung er überzeugt war. In der Märzausgabe des Weimar üblichen drei Theatertagen in der Wo- ersten Jahrgangs veröffentlichte er nicht nur che während knapp vier Jahren mehr als 100 seine Programmschrift Briefe an einen Freund Stücke aufgeführt. Im Besitz Anna Amalias war über das deutsche Singspiel, Alceste40, sondern seit dem Tod Johann Christoph Gottscheds unter der Rubrik Theatralische Nachrichten. Wei- (1766) dessen dreibändige Dramensammlung mar auch ein erstes Fazit, in dem er die durch Nöthiger Vorrath zur Geschichte der Deutschen das Theater eingelöste »öffentliche Gemüthser- Dramatischen Dichtkunst, so daß sie ein Manual götzung« zugleich zur »Schule guter Sitten und damals verfügbarer Schau- und Singspiele besaß tugendhafter Empfindungen« machte.41 Im Ma- und gezielt Einfluß nehmen konnte auf die Pro- gazin zur Geschichte des Deutschen Theaters hieß grammgestaltung. Zum Personal der Theaterge- es zeitgleich, daß es der Fürstin zu danken sei, sellschaft gehörten der erfahrene Kapellmeister den »gemeiniglich so unrühmlich behandelten« Anton Schweitzer und zwei Ballettmeister, so deutschen Schauspieler »reichlich entschädigt« daß ein Ballettrepertoire ebenso geboten werden zu haben, es sei zu wünschen, »daß alle deut- schen Höfe für die Nationalbühne soviel thun möchten, als diese große Fürstin thut!«42 Music and Drama in Germany travelling com- pany and its repertory, 1767–1781. PhD. Univ. California, Berkeley 1977, bes. Chapter III.: 39 Brief vom 21. 5. 1773. In: Wielands Briefwech- Weimar, S. 297–375. sel, Bd. 5, Berlin 1983, S. 118. 38 Dazu ausführlich Thomas Bauman, ebd., 40 Der Teutsche Merkur. Des ersten Bandes Erstes S. 305–338. Wilhelm Bode: Der weimarische Stück, S. 34–72 und Drittes Stück, S. 223–243. Musenhof, S. 62–80. Christina Kröll: Gesang 41 Der Teutsche Merkur. Des ersten Bandes Drittes und Rede, sinniges Bewegen. Goethe als Thea- Stück. März 1773, S. 264. terleiter. Ausstellungskatalog hg. von Jörn Gö- 42 Sendschreiben über die Ekhofische Theater-Ge- res. Goethe-Museum Düsseldorf 1973. Bes. sellschaft. In: Magazin zur Geschichte des Deut- S. 72 ff. schen Theaters, 1. Stück, 1773, S. 3 f.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 1100 003.07.20083.07.2008 17:10:5517:10:55 UhrUhr II. Weimar: Spiel stätten – Organisationsstrukturen 11

Abb. 4: Titelblatt zur Ausgabe der komischen Oper: Die Dorfdeputirten von Ernst Wilhelm Wolf, Weimar 1773

Diese in kurzer Zeit zu großer öffentlicher verhindern sollte, daß Seyler »in namenlosem Aufmerksamkeit gelangten Theateraktivitäten Elend« versinke, wie er in einem Bittgesuch an wurden am 6. Mai 1774 mit dem verheerenden die Herzogin befürchtet hatte43, übersiedelte er Schloßbrand jäh unterbrochen. Die Fürstin ver- nach Gotha. Dort gelang mit der Protektion lor ihre Bleibe und ihre im Ostflügel aneinan- Herzog Ernst II. von Sachsen-Gotha-Altenburg dergereiht gelegenen Repräsentationsräume, zu nach Ablauf seiner einjährigen Konzession der denen außer dem Theater in der Bel Étage noch bemerkenswerte Schritt, das Theaterpersonal in der von einer Kuppel überwölbte, etwa 40,5 m den Status von festangestellten Hofbediensteten lange und 16 m breite Festsaal, der »Schöne zu heben. In einem im Juli 1775 aufgesetzten Pro Saal«, gehörte, der seiner Akustik wegen auch memoria wurde beschlossen, das Theater mit als »Sprach- oder Schallsaal« galt, an den sich zwei leitenden Direktoren dem Hofmarschall- ein kleinerer Rittersaal anschloß. Ohne eine ge- amt zu unterstellen und mit dem »artistischen eignete Spielstätte war es freilich nicht möglich, Direktor« Conrad Ekhof einen höfisch-bürgerli- die Seylersche Theatergesellschaft zu halten, so chen Theaterbetrieb mit durchweg deutschspra- daß Herzogin Anna Amalia deren Übernahme am benachbarten Gothaer Hof verhandelte. Aus- 43 Nach Leonhard Schrickel: Geschichte des Wei- gestattet mit einer großzügigen Abfindung, die marer Theaters, S. 54.

118136_GoetheHB.indb8136_GoetheHB.indb 1111 003.07.20083.07.2008 17:10:5617:10:56 UhrUhr