Irene Kletschke Klangbilder Beihefte zum Archiv für Musikwissenschaft ------herausgegeben von Albrecht Riethmüller in Verbindung mit Reinhold Brinkmann †, Ludwig Finscher, Hans-Joachim Hinrichsen, Birgit Lodes und Wolfram Steinbeck

Band 67 Irene Kletschke Klangbilder

Walt Disneys „Fantasia“ (1940)

Franz Steiner Verlag 2011 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Bibliografische Information der Deutschen National- bibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

ISBN 978-3-515-09828-1

Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenver- arbeitungsanlagen. © 2011 Franz Steiner Verlag, Stuttgart Gedruckt auf säurefreiem, alterungs beständigem Papier. Druck: Offsetdruck Bokor, Bad Tölz Printed in Germany

Meiner Mutter

INHALTSVERZEICHNIS

DANKSAGUNG ...... ……… 9

EINLEITUNG ...... 11

1. IM JAHR 1940 ...... 17 1.1 Vom Toncartoon zum ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm ...... 17 1.2 Disney als moralisches Aushängeschild Hollywoods ...... 23 1.3 Im Dienste der Propaganda ...... 27 1.4 Das Ende des Goldenen Zeitalters ...... 31

2. DIE MUSIK IN DEN CARTOONS UND FILMEN DES DISNEY STUDIOS...... 35 2.1 Techniken der Synchronisierung ...... 35 2.2 Die Sound Cartoons ...... 42 2.3 Die Silly Symphonies ...... 45 2.4 Die Filmmusicals ...... 49

3. ENTSTEHUNG UND REALISIERUNG VON FANTASIA...... 53 3.1 Der Weg zu Fantasia ...... 53 3.2 Leopold Stokowski und Deems Taylor ...... 65 3.3 Fantasound – ein Tonformat nicht nur für Fantasia ...... 72 3.4 Konzertfilm oder Filmkonzert? ...... 76 3.5 Fantasia zwischen Aufführung und Erzählung ...... 83 3.6 Vom Misserfolg zum „Klassiker“ ...... 85

4. ILLUSTRATION, ASSOZIATION, VISUALISIERUNG: TOCCATA AND FUGUE IN D MINOR...... 91 4.1 Inszenierungen des Musizierens ...... 92 4.2 Gelenkte Assoziationen ...... 96 4.3 Disneys gemäßigte Abstraktion ...... 100 4.4 Kontrapunkt, Fugenthema und Echo ...... 106 4.5 Schlussteil: Phantasie und Gegenständlichkeit ...... 116 4.6 Illustration und Visualisierung: Der Soundtrack ...... 119 8 Inhaltsverzeichnis

5. MICKEYMOUSING: THE SORCERER’S APPRENTICE...... 125 5.1 „Music that tells a story?” ...... 125 5.2 Exkurs: Mickeymousing ...... 129 5.3 Mickeymousing in The Sorcerer’s Apprentice ...... 132 5.4 Der Mehrwert von Cartoon-Musik ...... 137

6. BILDERBALLETT: MUSIK UND BEWEGUNG...... 141 6.1 Hommage an das Ballett: Dance of the Hours ...... 143 6.2 Naturballett: The Nutcracker Suite ...... 149 6.3 Film als Choreographie: Rite of Spring ...... 156 6.4 Bacchanal auf dem Lande: The Pastoral Symphony...... 166

7. DAS ENDE: NIGHT ON BALD MOUNTAIN UND AVE MARIA...... 179 7.1 Das Profane und das Heilige ...... 179 7.2 Das Ende als Bruch mit dem Konzertformat ...... 182 7.3 Ringform und der „Circle of Life“ ...... 185 7.4 Spekulationen zum Schluss von Fantasia ...... 187

LITERATURVERZEICHNIS...... 195

PERSONENREGISTER...... 203

DANKSAGUNG

Es lässt sich wohl ohne Übertreibung als Tatsache festhalten, dass Walt Disney das 20. Jahrhundert kulturell und ästhetisch geprägt hat. In der Musikwissenschaft spielen seine bis heute ausnehmend beliebten Filme jedoch kaum eine Rolle, ob- wohl die Musik großen Anteil an ihren Erfolgen hat. Die vorliegende Arbeit stellt Fantasia in den Mittelpunkt, um neben dem Thema der Visualisierung von Musik auch nach den Gründen zu fragen, warum Disney und der Cartoon in der Musik- wissenschaft bisher noch wenig Beachtung gefunden haben. Sie wurde im Win- tersemester 2009/10 als Dissertation im Fach Musikwissenschaft am Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften an der Freien Universität Berlin ange- nommen; Gutachter waren Prof. Dr. Albrecht Riethmüller und Prof. Dr. Christa Brüstle. Die Disputation fand am 20. Mai 2010 statt. Die Arbeit ist mit der Unterstützung von zahlreichen Menschen entstanden. Meinem Doktorvater Albrecht Riethmüller möchte ich an dieser Stelle neben der intensiven Betreuung der Dissertation insbesonders dafür danken, dass er es im- mer wieder verstanden hat, mein Denken über Musik von Vorurteilen befreit in neue Bahnen zu lenken. Meiner Zweitgutachterin Christa Brüstle danke ich für die zahlreichen inspirierenden Ideen, hilfreichen Korrekturen und Ermutigungen. Darüber hinaus gilt mein Dank Guido Heldt, Tobias Plebuch, Clemens Risi, den Teilnehmern der Kolloquien und Studierenden eigener Seminare sowie meinen Kollegen an der UdK Berlin und HfM Hanns Eisler Berlin, mit denen ich immer wieder Teile dieser Arbeit diskutieren durfte und von denen ich fruchtbare Anre- gungen erhielt. Bei meinen Eltern Heide und Gottfried Kletschke möchte ich mich für die Unterstützung und vielen Möglichkeiten in meinem Leben bedanken, die mich letztendlich auch zur Musikwissenschaft und zum erfolgreichen Abschluss dieser Arbeit gebracht haben. Für den liebevollen Rückhalt über all die Jahre dan- ke ich Henrik von Maltzahn von ganzem Herzen. Im Jahr 2007 hatte ich die Gelegenheit, für die vorliegende Arbeit nach Los Angeles reisen zu können, um in der Animation Research Library der Disney Stu- dios zu forschen. Dort wird unerschöpfliches Material – über 60 Millionen Objek- te – zu den Filmen aufbewahrt: Skizzen, Storyboards, Modelle, Hintergründe, Zelluloids, Dokumente, Filme, Kameras etc. Ich danke Lella Smith und Fox Car- ney, die mich vor Ort betreut haben. Keinen Zugang habe ich leider zu den Walt Disney Archives bekommen, in denen u.a. die Notizen aus den zahlreichen Kon- ferenzen und vermutlich die Partituren sowie Stimmen von Leopold Stokowskis Bearbeitungen der Kompositionen lagern: „The only possibility of looking at the story meetings in the Archives would be to get an exception to the rule about [the] use of the Archives from our company’s Legal Department,“ schrieb mir der Chef des Archivs, David R. Smith, im August 2007. Meine Anfrage bei Kristine Wil- der, Senior Paralegal bei der Walt Disney Company, wurde jedoch bedauerli- 10 Danksagung cherweise ablehnend beantwortet. Während die Animation Research Library der Disney Studios auch z.B. die Ausstellung „Il était une fois: Walt Disney“ in Paris, Montreal und München unterstützte, scheinen die Archive einer anderen Politik zu unterliegen. Deren restriktive Haltung gegenüber externen Wissenschaftlern, gepaart mit dem eigenen Engagement der Walt Disney Company bei der Wah- rung, Aufbereitung und Vermittlung ihrer historischen Bestände, hat vermutlich sowohl wirtschaftliche als auch künstlerische Gründe, die jedoch alle den Wunsch offenbaren, die Kontrolle über Marke und Produkte bzw. Autor und Schaffen zu behalten. Dennoch waren die von der Walt Disney Company herausgegebenen Bücher und DVDs mit den restaurierten Filmen, Materialien und Kommentaren von unschätzbarer Hilfe für die vorliegende Arbeit. In Los Angeles konnte ich außerdem in der Margaret Herrick-Bibliothek der Academy of Motion Picture Arts and Sciences (AMPAS) und dem University of California (UCLA) Film and Television Archive alte Filmkopien, Bücher und Zeitschriften einsehen, die ich in Deutschland nicht hatte bekommen können. Un- terstützt wurden meine Recherchen ferner von Edward Johnson von der Leopold Stokowski Society und Nancy M. Shawcross von der Rare Book and Manuscript Library der University of Pennsylvania, wo ein Teil des Nachlasses von Stokows- ki liegt. In der Bibliothek der Deutschen Kinemathek/Museum für Film und Fern- sehen in Berlin konnte ich auf die Kritikensammlung zu Fantasia zurückgreifen. Bedanken möchte ich mich außerdem bei der Bibliothek der Deutschen Oper Ber- lin, die mir die Partitur zum Tanz der Stunden zur Verfügung stellte, beim Berli- ner Videodrom, das einen unglaublichen Schatz an amerikanischen Videos ver- leiht, sowie bei Peter Wengel von der UdK Berlin, der mir die amerikanischen Formate überspielte. Für das eingehende Korrekturlesen sei Juliane Schöwing, Henrik von Maltzahn und Heide Kletschke herzlich gedankt.

EINLEITUNG

Fast 70 Jahre nach seiner Premiere fasziniert Walt Disneys Film Fantasia heute noch immer mit seinem Konzept, Musik mit Zeichentrick zu verknüpfen. Die Bil- der geben nicht nur Zeugnis über den kulturellen Kontext, in dem sie 1940 ent- standen und in den folgenden Jahrzehnten aufgenommen worden sind. Sie bieten auch mögliche Antworten auf alte wie neue Fragen, die sich der Musikwissen- schaft und Musikpraxis stellen: Welche Strategien und Techniken gibt es, Musik in Bilder zu übersetzen und beide zu kombinieren? Wie kann Musik als Bestand- teil audiovisueller Medien sinnvoll beschrieben und deren spezifische Wirkung erfasst werden? Welche Rolle spielt die Aufführungssituation, wenn Musik insze- niert wird? Das Interesse an der Visualisierung von Musik sowie am Wechselver- hältnis von Sehen und Hören zieht sich wie ein roter Faden durch die Musik-, Kunst- und Filmgeschichte. In Zeiten von Digital Concert Halls, Public Viewing und Live-Übertragungen von Opern ins Kino ist Fantasia außerdem ein Muster- beispiel, wie Aufführungen medial vermittelt sein und dennoch als gegenwärtig inszeniert und erlebt werden können. Nicht von ungefähr verhalten sich heute Musikvideos (einst bei Viva und MTV, nun auf Youtube) zu CDs wie das Kino in den Anfängen des Tonfilms zum Radio und zeigen die Stars beim Musizieren in Bühnen- oder Studioumgebung. Umgekehrt sind im digitalen Zeitalter die Bilder von Film, Video und Computer inzwischen fester Bestandteil vieler konzertanter und musiktheatraler Aufführungen. Deren Spiel mit den verschiedenen medialen Ebenen prägte auch Fantasia, wo die fiktive Situation einer Aufführung mit den Erzählungen der einzelnen Filmepisoden kombiniert wird. Aktuell ist Fantasia zudem nach wie vor in seiner pädagogischen Ambition, möglichst viele Menschen mit so genannter klassischer Musik zu erreichen und sie für diese zu begeistern. Zwischen dem noch frühen Tonfilm und der Digitalisierung heute lassen sich weitere Parallelen ziehen. Beide Techniken ermöglichten neue Formen, die zwi- schen den traditionellen Künsten stehen. Klangkunst, Medienkunst, elektroakusti- sche Musik, inter- sowie transmediale Musik- und Theateraufführungen spielen einerseits wie Fantasia mit dem (erzeugten, behaupteten und manipulierten) Zu- sammenhang von Klang, Bild und Szene, andererseits mit der Möglichkeit, aku- stische und visuelle Aufnahmen jederzeit speichern, abrufen oder – heute in Echt- zeit – entstehen lassen zu können. In erster Linie als eine Monographie über Fan- tasia konzipiert, fragt die Studie auch nach der heutigen Bedeutung des Films und schlägt eine Brücke von der Gegenwart bis zurück zu seiner Entstehungszeit. Hi- storische Informationen zur Produktion und Rezeption werden mit analytischen Beschreibungen verbunden, die es ermöglichen sollen, zu neuen Schlüssen über Fantasia zu kommen. Der Titel weist bereits darauf hin, dass der Schwerpunkt der Untersuchung auf der Visualisierung von Musik sowie auf dem audiovisuellen Zusammenspiel von Klang und Bild liegt. Im Vordergrund steht dabei der Zei- 12 Einleitung chentrickfilm, so dass dieses Buch zunächst ein Beitrag zur Geschichte und Theo- rie der Filmmusik ist, speziell der Musik im Cartoon. Künstlerisch handelt es sich bei Fantasia jedoch zugleich um einen Sonderfall, da der Film für sein Grund- konzept, Musik zu visualisieren, auf die unterschiedlichsten Vorläufer zurück- greift und nicht eindeutig einer „Disziplin“ oder einem „Genre“ zugeordnet wer- den kann. So wie Fantasia selbst von der Musik, von anderen Cartoons, Animati- ons-, Musical- und Spielfilmen, von der Bildenden Kunst, von der Architektur, von der Literatur, vom Ballett und von anderen Bühnenformen inspiriert ist, flie- ßen in die Untersuchung dieses Films neben den historischen Zusammenhängen ebenso analytische, ästhetische wie theoretische Überlegungen aus den gemein- samen Feldern dieser Disziplinen ein. Über die Musik in Fantasia ist bisher erstaunlich wenig veröffentlicht wor- den. Die meisten Publikationen gehören entweder zur Fan-Literatur oder konzen- trieren sich auf die visuelle Leistung des Films als Zeichentrickfilm. Die beiden bisher einzigen Bücher zu Fantasia zeigen dies exemplarisch: Zur Premiere des Films erschien 1940 in New York Walt Disney’s Fantasia von Deems Taylor, ein großformatiger Band mit zahlreichen Skizzen, Zeichnungen und dekorativ gesetz- ten Notenbeispielen der eingängigsten Themen. Nach einem Vorwort von Leo- pold Stokowski und einem Grußwort von Walt Disney berichtet Taylor aus der Perspektive der Beteiligten von der Entstehung des Films und erzählt die Ge- schichten der einzelnen Episoden nach. Das Buch zielt darauf ab, dass der Zu- schauer das Filmereignis nachbereiten und noch einmal in seiner Erinnerung erle- ben kann, und ist heute – in Zeiten von Video und DVD – vor allem Sammler- stück, weniger Sekundärliteratur zu Fantasia. Anders verhält es sich mit dem 1983 ebenfalls unter dem Copyright der Walt Disney Productions erschienenen Buch Walt Disney’s Fantasia von John Culha- ne. Zahllose Zitate aus Konferenznotizen, aus Briefen und aus Verträgen sowie viele Fotos, Skizzen und Bilder, die in den Disney Archiven lagern, liefern einen lebendigen Eindruck von der Entstehung und Rezeption des Films sowie von der damaligen Atmosphäre im Studio. Culhane hatte als Siebzehnjähriger im August 1951 Walt Disney über dessen Tochter Diane kennen gelernt. Er verdankte die- sem Treffen nicht nur seit dieser Zeit den Zugang zum Studio, den Archiven und der Animation Research Library, sondern auch den persönlichen Kontakt zu zahl- reichen an Fantasia beteiligten Animatoren. Dank des Vertrauens, das er bei den Walt Disney Productions als informierter Fan und begeisterter Wissenschaftler zugleich genoss, ist ein unnachahmlich fundiertes wie unterhaltsames Buch ent- standen. Von Interesse für eine musikwissenschaftliche Arbeit ist Fantasia einerseits wegen der Verbindung von Musik und (Zeichentrick-)Film, andererseits als Vi- sualisierung von Musik, die mit ihren Bildern und den Reaktionen auf diese (z.B. in Rezensionen) viel vom Denken über Musik verrät. Hervorzuheben an musik- wissenschaftlichen Arbeiten zu Fantasia sind an dieser Stelle Albrecht Riethmül- lers Beitrag Landschaft in der Musik, Landschaft zur Musik. Beethovens Pastorale und Walt Disneys Fantasia (1984), Nicholas Cooks Analyse des Rite of Spring in Analysing Musical Multimedia (1998), Mark Clagues Aufsatz Playing in ’Toon. Einleitung 13

Walt Disney’s Fantasia (1940) and the Imagineering of Classical Music (2004) und Anno Mungens Beobachtungen zur Rezeptionssituation in Fantasia in seinem Buch BilderMusik (2006). Das Thema Musik und Cartoon bzw. Zeichentrickfilm spielte bisher in der Musik- und Filmwissenschaft eine untergeordnete Rolle; al- lerdings wächst das Interesse derzeit. Vereinzelt beschäftigen sich Zeitschriftenar- tikel mit der Musik und den Soundtracks einzelner Studios und einzelner Serien, wie z.B. den Silly Symphonies, oder den Kompositionen spezieller Komponisten, wie z.B. Carl Stalling oder Scott Bradley. Weitgehende Pionierarbeit leistet der Reader The Cartoon Music Book (2002), den Daniel Goldmark und Yuval Taylor herausgegeben haben. Zahlreiche Artikel und Interviews – auch zu Fantasia – gehen auf die Kompositionen prominenter Komponisten, auf spezielle Cartoons und Studios, auf die Verbindung zum Pop, zum Jazz, zur historischen und zur zeitgenössischen „klassischen“ Musik ein, wie z.B. von John Zorn. In seiner Dis- sertation Tunes for ’Toons: Music and the Hollywood Cartoon (2005) konzentriert sich Daniel Goldmark auf die Cartoons der 1930er bis 1950er Jahre, speziell der Warner Bros., von MGM, von Walter Lantz und der Brüder Fleischer. Goldmark untersucht u.a., wie ein Kanon von bekannten „klassischen“ Kompositionen durch die Verwendung in Cartoons noch weiter reduziert und einschließlich seines Per- sonals – Dirigent, Sänger, Musiker, Kritiker – parodiert wurde. Disneys Silly Symphonies und Fantasia fallen hier weitgehend heraus. Sie halten meistens die Balance, diesen kulturellen Kontext sowohl als etwas Ernstzunehmendes als auch etwas Komisches aufgreifen zu können. Aus den vielen Artikeln und Büchern über Walt Disney, über das Disney Stu- dio und über die Disney Filme möchte ich an dieser Stelle nur einige wenige her- vorheben. Richard Schickel veröffentlichte 1968 The Disney Version: The Life, Times, Art and Commerce of Walt Disney. Die Biographie wurde dafür berühmt, dass hier zum ersten Mal das von Walt Disney selbst und vom Konzern weiterhin gepflegte Image des warmherzigen Familienunterhalters und alleinigen kreativen Kopfs des Studios hinterfragt wurde. Erst in den letzten Jahren erschienen die beiden umfangreichen Biografien Walt Disney. The Triumph of the American Imagination von Neal Gabler (2006) und The Animated Man. A Life of Walt Dis- ney von Michael Barrier (2007). Beide Bücher geben einen guten Überblick über den heutigen Stand der Disney-Forschung. Während Schickel bereits in den 1960er Jahren die Unterstützung der Walt Disney Productions versagt blieb, be- kam Neal Gabler Zugang zu den Archiven und konnte auch auf die Hilfe von Da- vid R. Smith (spätere Publikationen von ihm erscheinen unter Dave Smith) zu- rückgreifen, der die Archive 1971 gründete und ihnen seitdem vorsteht. Michael Barrier, der von 1973 bis 1999 mit Hollywood Cartoons: American Animation in its Golden Age ein Standardwerk zur Geschichte des Zeichentrickfilms schrieb, wurde zu seiner Überraschung für seine Biographie der Zugriff zum Archiv ver- weigert. Er konnte jedoch auf die Aufzeichnungen seiner früheren Recherchen im Archiv zurückgreifen. Über die Kompositionen und deren Kontext hinaus, der in dieser Arbeit auch jenseits ihrer Verwendung im Kinosaal im Vordergrund steht, fanden Disneys Zeichentrickfilme weitere Anregungen für ihre Bilder und Erzählungen in der 14 Einleitung europäischen Kultur- und Kunstgeschichte. Mit diesen Einflüssen beschäftigt sich Robin Allans Buch Walt Disney and Europe von 1999. Eine Übersicht über Vor- läufer und – für das 20. Jahrhundert noch viel wichtiger – Nachfolger in der Bil- denden Kunst und im Film gibt außerdem der Ausstellungskatalog Il était une fois: Walt Disney. Aux sources de l’art des studios Disney aus dem Jahr 2006, herausgegeben von Bruno Girveau. Im Rahmen ihrer Schilderung der Arbeitspro- zesse erklären die beiden Disney-Animatoren Ollie Johnston und Frank Thomas in ihrem Buch The Illusion of Life: Disney Animation (1995) auch, wie die Sound- tracks der Cartoons und Filme entstanden. Wichtige Einblicke in die Entstehung von Fantasia gewähren außerdem David R. Smiths Aufsatz The Sorcerer’s Ap- prentice. Birthplace of ‚Fantasia‘ (1976) sowie John Canemakers Artikel The Fantasia That Never Was (1988) und Secrets of Disney’s Visual Effects: The Schultheis Notebooks (1996). Bei den Zitaten aus den Konferenzen, Diskussionen und Briefwechseln zu Fantasia verlasse ich mich auf die Angaben der genannten Autoren. In der musikwissenschaftlichen Literatur zu Fantasia werden entweder ein allgemeiner Überblick über den Film als interessantes Beispiel der (Film-) Musik- geschichte gegeben oder einzelne Passagen von Fantasia herausgegriffen und unter einer übergeordneten Fragestellung besprochen. In dieser Arbeit stehen so- wohl filmmusikalische Aspekte als auch die Rezeptionsgeschichte der Komposi- tionen im Vordergrund, die einerseits selbst in Fantasia aufgegriffen und erzählt wird, andererseits durch Fantasia wiederum geprägt ist. Die ersten drei Kapitel informieren über die Entwicklung, Realisierung und Rezeption von Fantasia. So gibt das erste Kapitel Walt Disney im Jahr 1940 einen Überblick über die wirt- schaftliche, politische und künstlerische Stellung von Walt Disney, seinem Studio, den Cartoons und Zeichentrickfilmen zu Beginn von Fantasia. Auf welches Rüst- zeug die Macher von Fantasia aufbauen konnten, wird im zweiten Kapitel Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios vorgestellt. Das dritte Ka- pitel Entstehung und Realisierung von Fantasia widmet sich dem Projekt selbst: Im Mittelpunkt stehen die außergewöhnliche Zusammenarbeit mit Leopold Sto- kowski und Deems Taylor, die besondere Dramaturgie und neuartige Präsentation des Films sowie die technischen und künstlerischen Erfindungen und Visionen für Fantasia. Die anschließenden Kapitel konzentrieren sich auf die Analyse des Films: Gebündelt unter verschiedenen übergeordneten Themenbereichen, die das Verhältnis zwischen Musik und Bildern im Film betreffen, werden die einzelnen Episoden besprochen. Die Lenkung des Zuschauers und die Legitimierung des Grundkonzepts von Fantasia werden im vierten Kapitel Illustration, Assoziation, Visualisierung anhand der Toccata and Fugue in D minor und der Episode des Soundtracks untersucht. Am Beispiel der The China Plate (1931) und des Sorcerer’s Apprentice wird im fünften Kapitel dargestellt, was Mickey- mousing im Cartoon ausmacht und wie sich Dukas’ Komposition dazu verhält. Gewissermaßen als Umkehrung der Kausalität im Mickeymousing versammelt das sechste Kapitel die Musik von Ponchielli zum Dance of the Hours, von Tschaikowsky zur Nutcracker Suite, von Strawinsky zum Rite of Spring und von Beethoven zur Pastoral Symphony unter der Rubrik Bilderballett: Musik und Be- Einleitung 15 wegung. Dem Schluss des Films ist das letzte Kapitel gewidmet. Anhand der Kombination von Mussorgskys Night on Bald Mountain und Schuberts Ave Maria wird noch einmal nach der Struktur von Fantasia gefragt und eine Einordnung in die Film- und Musikgeschichte vorgenommen. Die Analyse des Films basiert auf der DVD, die im Jahr 2000 in den USA zu- sammen mit und der Dokumentation Fantasia Legacy in der Editi- on Fantasia Anthology erschienen ist. Die als „special, uncut edition“ gepriesene Fassung enthält sowohl die Auftritte von Deems Taylor als auch die Pause zwi- schen der ersten und zweiten Hälfte des Films. Nicht enthalten sind hier allerdings die Auftritte der schwarzen Zentaurette „Sunflower“ in der Pastoral Symphony, die durch die Wahl eines anderen Bildausschnitts ersetzt wurden. Die Analyse der Musik von Fantasia wurde durch Partituren der Kompositionen unterstützt, wie sie in Bibliotheken bzw. bei den Verlagen erhältlich sind. Veröffentlicht wurden Stokowskis Orchestrierung von Bachs Toccata and Fugue in D minor bei Broude Brothers, außerdem ist seine Bearbeitung von Mussorgskys Night on Bare Moun- tain bei der Theodore Presser Company verfügbar. Die anderen Kompositionen (Tschaikowsky, Dukas, Strawinsky, Beethoven, Ponchielli, Schubert) wurden für Fantasia ebenfalls stark gekürzt, umgestellt und bearbeitet, doch wurden sie nie in einer Stokowski-Ausgabe herausgegeben. Welche Partitur für die Untersuchung verwendet wurde, ist jeweils im entsprechenden Kapitel in einer Fußnote angege- ben.

1. WALT DISNEY IM JAHR 1940

Zahlreiche Mickey Mouse Cartoons, über 70 Silly Symphonies und zwei Zeichen- trickfilme bildeten das Rüstzeug des Disney Studios, um mit Fantasia das Expe- riment eines abendfüllenden Zeichentrickfilms zu klassischer Musik1 zu wagen. In nur wenigen Jahren hatte sich der Self-Made Man Walt Disney vom Werbefilmer zum Pionier des Zeichentrickfilms gewandelt. Diese außergewöhnliche Karriere wurde nicht nur durch den Zusammenfall der Geburt der Mickey Mouse-Figur und des Durchbruchs des Tonfilms ausgelöst. Vielmehr bedingte ein politischer und moralischer Umschwung in Hollywood, dass das Disney Studio zu einem der größten Erfolgsträger in den Jahren der wirtschaftlichen Depression in den USA wurde. Der Kriegseintritt der USA, der Gewerkschaftsstreik seiner Mitarbeiter und der kommerzielle Misserfolg von Fantasia beendeten dagegen die Hochphase des Studios und machten Disneys ambitionierte Pläne für die Zukunft des Zei- chentrickfilms zunichte. Fantasia (1940) blieb ein Markstein im Goldenen Zeital- ter des Disney Studios. Diese Epoche wird in der vorliegenden Arbeit von Steam- boat Willie (1928), dem ersten Toncartoon, bis hin zu Bambi (1942) angesetzt, dem für eine längere Zeit letzten abendfüllenden Spielfilm.

1.1 VOM TONCARTOON ZUM ERSTEN ABENDFÜLLENDEN ZEICHENTRICKFILM

Bereits in der Stummfilmzeit erfreuten sich Cartoons beim Publikum einer unge- wöhnlich großen Beliebtheit. Zu den bekanntesten Charakteren gehörten die von Pat Sullivan und Otto Messmer entwickelte Figur Felix the Cat, Bud Fishers Mutt und Jeff und Max Fleischers Out of the Inkwell-Serie. Die kurzen Trickfilme lie- fen meist im Vorprogramm zu abendfüllenden Spielfilmen und wurden je nach Theater von der Kinoorgel oder einem Orchester begleitet. Ende der 1920er Jahre drohte das Interesse des Publikums an Cartoons allerdings abzunehmen: „By 1927–28, audiences would groan when a cartoon came on. Animation had worn out its welcome. The novelty was gone.“2 Die Einführung des Tonfilms brachte die Rettung: Geräuscheffekte, Dialoge und Musik zusammen mit den animierten Bildern ließen die Cartoons zu einem Unterhaltungsmedium für ein Massenpubli- kum werden, auf das keine der großen Hollywood-Produktionsfirmen – Colum-

1 Der Begriff „klassisch“ wird in dieser Arbeit eher selten im Hinblick auf die Epoche Haydns, Mozarts und Beethovens verwendet. Vielmehr bezeichnet er zu Klassikern gewordene Wer- ke, wobei die Auswahl, was zum jeweiligen Kanon gehört, sehr unterschiedlich ist und von der den Kanon definierenden Gruppe abhängt. 2 Charles Solomon, Enchanted Drawings. The History of Animation. New York 1994, S. 21. 18 1.Walt Disney im Jahr 1940 bia, Radio-Keith-Orpheum (RKO) Pictures, Warner Bros., Paramount, 20th Cen- tury Fox, Universal oder Metro-Goldwyn-Mayer – verzichten wollte. Schon vor (1928) hatte es Cartoons gegeben, die nicht mehr vom Kinoorganisten oder -orchester, sondern von einer im Filmmaterial integrier- ten Tonaufnahme begleitet wurden. 1926 ließ Max Fleischer in My Old Kentucky Home einen Hund die Sätze „Follow the ball, and join in, everybody“ sprechen. In der Folge synchronisierte er weitere seiner früheren Song-Car-Tunes, in denen ein hüpfender Ball dem Publikum die Textsilben zum Mitsingen anzeigte.3 Paul Ter- rys Studio Terrytoons brachte noch zeitlich vor Disney 1928 die erste Äsop-Fabel Dinner Time mit Ton heraus. Wie später häufig bei Disney entstand die Musik vor den Bildern: „Terrytoons claimed to be the first studio to prescore its cartoons. Working with brilliant Ter- rytoons composer Philip A. Scheib, the studio’s animators drew frames to fit his scores, which were recorded in one take.“4 Um nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen und Ausgaben für den Erwerb der Rechte zu vermeiden, benutzten die musikalischen Leiter vieler Studios entweder nicht geschützte Songs oder eigene Hits aus den Musicals der Studios. Das Car- toon Studio der Warner Bros. wurde zunächst sogar in erster Linie dafür geschaf- fen, die eigenen Musicalsongs zu vermarkten. In den frühen 1920er Jahren hatte Disney neben verschiedenen Werbe- cartoons einige animierte Kurzfilme produziert,5 darunter die Laugh-O-Grams, die Serie Alice in Cartoonland, in der eine Schauspielerin in einem gezeichneten Umfeld agierte,6 und die Serie Oswald The Lucky Rabbit. Nachdem der Produzent Charles Mintz 1927 nicht nur Disneys erfolgreichste Figur Oswald gegen dessen Willen übernahm, sondern auch einige seiner wichtigsten Animatoren wie Ru- dolph Ising, Hugh Harmann, Fritz Freleng und Carman Waxman zu Universal abgeworben hatte, mussten sich Walt Disney und auf die Suche nach einem neuen Charakter für ihre Cartoons machen. Im Hinterzimmer des Studios, abgekapselt von den anderen Zeichnern, entwickelte Iwerks die Mäusefigur mit den kreisrunden Ohren, die als Mickey Mouse zu einer der bekanntesten und be-

3 Die Reihe Song-Car-Tune war zuvor eine Serie mit Filmen ohne Tonspur gewesen, bei denen das Publikum den Ton produzierte, indem es mitsang. Vgl. Jon Newsom, „A Sound Idea“. Music for Animated Films. In: Quarterly Journal of the Library of Congress. Vol. 37, Nr. 3–4 (Sommer-Herbst 1980), S. 285. 4 Neil Strauss, Tunes for Toons: A Cartoon Music Primer. In: Daniel Goldmark und Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book. Chicago 2002, S. 6. 5 Disney hatte sich nach dem Handbuch Animated Cartoons: How They Are Made: Their Ori- gin and Development von Edwin George Lutz ausgebildet, das 1920 in New York erschienen war. Edwin George Lutz, Der gezeichnete Film. Ein Handbuch für Filmzeichner und solche, die es werden wollen. Nach dem amerikanischen Werk ‚Animated Cartoons‘. Halle 1927. 6 Paul Dessau schrieb Musik zu dieser Serie für Aufführungen im Berliner Kino Alhambra im Jahr 1928, u.a. zu Alice und ihre Feuerwehr, Alice und die Flöhe, Alice und der Wilde Westen sowie Alice und der Selbstmörder. 1.1 Vom Toncartoon zum ersten abendfüllenden Zeichentrickfilm 19 liebtesten Figuren der Filmgeschichte werden würde.7 Fast zeitgleich leitete die Premiere des Spielfilms The Jazz Singer am 23. Oktober 1927 den Siegeszug des Tonfilms ein und ließ in Walt Disney den Gedanken reifen, die neue Technik auch auf den Cartoon anzuwenden. In einem Treffen am 29. Mai 1928 stellte Disney Neal Gabler zufolge seinem Team die Idee vor, die Mickey Mouse Cartoons mit Ton zu versehen: „Everyone was immediately energized, which may have been part of Walt’s calculation to keep his crew’s spirits from flagging. [Wilfred] Jackson said he was so excited by the idea of a sound cartoon that he could not sleep that night.“8 Im – nach und The Galoppin’ Gaucho – dritten Mickey Mouse Car- toon Steamboat Willie (1928) wurden Animation und Ton endlich vermählt. Walt Disney, Ub Iwerks, und ein kleines Team entwickelten die Musik – basierend auf den beiden Songs A Turkey in the Straw und Steamboat Bill sowie auf Geräuscheffekten mit Kuhglocken, Vogelpfeifen und herumliegendem Werk- zeug – und ließen sie anschließend in New York aufnehmen.9 Vermutlich über- führten der Orchesterleiter des Capitol Theater in New York, Carl Edouarde, der später für die Aufnahme die Musiker dirigierte, oder Carl Stalling die unkonven- tionelle Partitur in auf übliche Weise notiertes Stimmmaterial. Da Geräuscheffek- te, Musik und Stimmen zu dieser Zeit nur auf einer Spur aufgenommen werden konnten, musste bei jeder Unachtsamkeit und jedem Fehler wieder von vorne be- gonnen werden. Edouarde ließ sich zunächst nicht auf das visuelle Metronom ein, das durch kleine Lichtblitze auf dem ablaufenden Film das Tempo der Musik vor- gab, so dass die Aufnahme letztendlich nicht synchron war und komplett wieder- holt werden musste. Während für die erste Aufnahme 20 Musiker engagiert wor- den waren, musste für die Wiederholung aus finanziellen Gründen die Zahl redu- ziert werden – und das, obwohl Disney zur Erhöhung des Kapitals sein Auto ver- kauft hatte.10

7 Wer wann die Idee zur Mickey Mouse hatte, ist eine der meist diskutierten Fragen der Car- toon-Geschichte. Der Legende nach hatte Disney die Idee für eine Figur namens Mortimer auf der Rückfahrt von New York irgendwo zwischen Chicago und Los Angeles. Lässt sich der geniale Einfall als Anekdote vielleicht besser erzählen, so ist wahrscheinlicher, dass die Figur der Mickey Mouse das Ergebnis einer gezielten Suche nach einem neuen Charakter war. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney. The Triumph of the American Imagination. New York 2006, S. 112f. 8 Neal Gabler, Walt Disney, S. 117. 9 Die Reaktionen auf die erste Probeaufführung der noch live gespielten Musik in der Garage vor den Ehefrauen und Freunden der Beteiligten wird unterschiedlich geschildert: Während laut Disney die Zuhörer „almost instinctively to this union of sound and motion“ reagiert hät- ten, erinnert sich Jackson, dass das Publikum nicht besonders interessiert gewesen sei: „they were all talking about sewing and knitting, and that things that girls talk about.“ Offen ist auch, ob die Musiker die Leinwand sehen konnten oder in einem separaten Raum – so Dis- neys Erinnerung – nach einer „music and sound-effects score“ gespielt haben. Vgl. Michael Barrier, The Animated Man. A Life of Walt Disney. Berkeley 2007, S. 60. 10 Vgl. Jon Newsom, „A Sound Idea“, S. 287. 20 1.Walt Disney im Jahr 1940

Die Premiere von Steamboat Willie am 28. November 1928 war ein enormer Erfolg und führte zum Durchbruch des Soundcartoons: „Sound has descended upon the animated cartoon with a bang, and the bang was going to stay.“11 Das Publikum gab sich begeistert der Illusion hin, dass Zeichentrickfiguren sprechen, singen, Instrumente spielen und sich zum Rhythmus der Musik bewegen können. Das Besondere an Steamboat Willie war, dass Musik und Geräusche ursächlich mit dem bildlich Dargestelltem verbunden schienen. So werden in dem Cartoon verschiedene Tiere auf recht sadistische Art „bespielt“, unter anderem das Gebiss einer Kuh und eine säugende Muttersau. Die Tiere werden zu diegetischen Musik- instrumenten, deren Spiel sich in die nicht-diegetische Musik integriert.12 Der Mickey Mouse Cartoon sollte rückblickend nicht nur das Goldene Zeitalter des Zeichentrickfilms selbst, sondern vor allem das des Disney Studios einleiten. Nach dem Erfolg von Steamboat Willie wurden auch die beiden ersten Mickey Mouse Cartoons Plane Crazy und Gallopin’ Gaucho synchronisiert und ein vier- ter, The Barn Dance, fertiggestellt. Für den fünften Mickey Mouse Cartoon (1929) wurde ein wildes Potpourri u.a. aus dem Prelude in Cis-Moll op. 3, Nr. 2 von Sergej Rachmaninow, Ausschnitten aus George Bizets Carmen und dem Yankee Doodle zusammengestellt. Nur ein Jahr nach der Premiere von Steamboat Willie gründete Walt Disney gemeinsam mit Carl Stalling 1929 eine weitere Trickfilmserie, in der die Musik die Hauptrolle spielen sollte: die Silly Symphonies. Carl Stalling war zuvor als musikalischer Leiter am Isis Theater in Kansas City tätig gewesen und hatte für Disney bereits in der Stummfilmzeit einige Songs sowie die Musik zu den beiden Mickey Mouse Cartoons Plane Crazy und The Galoppin’ Gaucho komponiert.13 Der Cartoon war die erste von insgesamt über 70 Folgen der Silly Symphonies. Während in den Mickey Mouse Cartoons die Musik der Hand- lung folgen sollte, bestimmte hier die Musik das Geschehen. Die Idee dazu hatte Stalling, der mehr als eine bloße Illustration von Songs suchte: „When I told him [Disney] that I was thinking of inanimate figures, like skeletons, trees, flowers, etc., coming to life and dancing and doing other animated actions fitted to music more or less in a humorous and rhythmic mood, he became very much interested.“14 Stallings Nachfolge bei Disney traten vornehmlich Frank Churchill an, der die Musik u.a. zu Snow White and the Seven Dwarfs (1937) schrieb, sowie Leigh Har- line, von dem die Musik zu Pinocchio (1940) stammt.15 Die letzte Silly Sympho-

11 John H. Winge, Cartoons and Modern Music. In: Sight and Sound. Vol. 17, Nr. 67 (Herbst 1948), S. 136. 12 Zur Definition und Diskussion der Begriffe diegetisch und nicht-diegetisch vgl. 5.2 Exkurs: Mickeymousing. 13 Stalling und Disney kannten sich bereits seit der Zeit in Kansas City. Nach der Pleite des Laugh-O-Gram-Studios 1923 vermittelte Stalling ihm einen Auftrag für ein Song-O-Reel, ei- nem Realfilm, bei dem Titelkarten den Zuschauern den Text zum Mitsingen anzeigten. Vgl. Neal Gabler, Walt Disney, S. 73. 14 Mike Barrier, An Interview with Carl Stalling. In: Daniel Goldmark and Yuval Taylor (Hg.), The Cartoon Music Book, S. 41. 15 Vgl. 2. Die Musik in den Cartoons und Filmen des Disney Studios.