2000 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 21 Flussgebietsuntersuchungen von Joachim Wald

1. Einführung Gesucht waren immer flächendeckende Hochwasser- schutzkonzeptionen, die auf den neuesten hydrologi- Aufgrund der zahlreichen Hochwasserereignisse in schen Daten aufbauen und umweltverträgliche, alle den Jahren 1990 – 1995 mit teilweise katastrophalen Beteiligten zufriedenstellende Lösungen zur Verbesse- Schäden (siehe Abb. 1 bis 4) wurden in vielen Gebie- rung des Hochwasserschutzes aufzeigen. Als wesent- ten in Baden-Württemberg in den letzten Jahren Lö- liche Elemente sollten diese Hochwasserschutz- sungen zur Verbesserung des Hochwasserschutzes konzeptionen sowohl zentrale als auch dezentrale gesucht. Die betroffenen Städte und Gemeinden setz- Rückhaltemöglichkeiten beinhalten bzw. alternative ten sich hierzu mit den zuständigen Fachbehörden oder ergänzende lokale Hochwasserschutzmaßnah- zusammen und definierten Vorgaben und Ziele zur Er- men entlang der Gewässer vorschlagen. arbeitung zukünftiger Schutzkonzepte. Alle Beteiligten, sowohl die betroffenen Gemeinden als Die wesentlichen Forderungen der Beteiligten waren: auch die eingeschalteten Fachbehörden waren sich einig, dass die Ausarbeitung einer Konzeption, die all - Es sollten ganzheitliche Lösungskonzepte ent- diese Aspekte berücksichtigt, nur im Rahmen einer wickelt werden, die das gesamte Einzugsgebiet umfassenden Flussgebietsuntersuchung erfolgen einbeziehen. kann, die die hydrologischen und hydraulischen Zu- sammenhänge für das gesamte Einzugsgebiet mit Hil- - Die Wirkung von Hochwasserschutzmaßnah- fe von mathematischen Modellen detailliert erfasst und men auf die Unterlieger war aufzuzeigen. in der optimierte Lösungen anhand von Simulations- rechnungen, Kostenvergleichen und ökologischen Be- wertungen entwickelt werden können. - Ökologische und ökonomische Aspekte mussten in die Lösungsfindung einbezo- gen werden.

Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 22 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 2000

2. Ablauf einer Flussge- bietsuntersuchung

Bei den zahlreichen Flussgebietsuntersu- chungen, die wir in den letzten Jahren durchgeführt haben, hat sich dabei die in Abb. 5 dargestellte Vorgehensweise be- währt.

Der Schwerpunkt einer Flussgebietsuntersu- chung besteht in dem Aufbau und der Anwendung von mathematischen Modellen (Computermodelle), mit denen das Abfluss- verhalten, der Niederschlag-Abfluss-Prozess im gesamten Einzugsgebiet und die Ab- flussvorgänge in den Gewässern möglichst genau nachgebildet werden können. Hierzu sind sowohl hydrologische als auch hydrauli- sche Berechnungsmodelle notwendig. Durch Simulationsrechnungen können mit diesen Modellen dann die Auswirkungen von Veränderungen im Einzugsgebiet und die Wirkungen von in Frage kommenden Maß- nahmen auf die Abflüsse und die Wasser- stände in den Gewässern aufgezeigt und analysiert werden.

2.1 Vorarbeiten / Datenerhebungen

Es sind eine Reihe von Vorarbeiten und be- gleitende Arbeiten durchzuführen, die den Einsatz dieser Modell e erst ermöglichen. Neben der Auswertung und Aufbereitung von topographischen Kar- ten und hydrologischen Daten gehört hierzu auch die Erfassung der Gewässer durch Ver- messungsarbeiten.

2.2 Hydrologische Untersuchungen

Für die Berechnung der bei Hochwasser an- fallenden Wassermengen wird ein flächen-

Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 2000 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 23

In Abb. 6 ist dies beispielhaft für ein fiktives kleines Einzugsge- biet dargestellt. Wie detailliert hier teilweise vorgegangen wird, zeigen die nachfolgenden Bei- spiele aus der Praxis.

Durch eine möglichst feine Un- terteilung des Einzugsgebiets in kleine Teilflächen ist die Mög- lichkeit gegeben, die gebiets- charakteristischen Eigenschaf- ten, wie z.B. die Topografie, die jeweilige Landnutzung und den Bewuchs, sehr detailliert ent- sprechend den örtlichen Gege- benheiten einzugeben. Auf- grund ihres unterschiedlichen Abflussverhaltens werden be- Abb. 6: Bausteine eines hydrologischen Flußgebietes baute Flächen und Landflächen innerhalb des Flussgebietsmo- detailliertes hydrologisches Flussgebietsmodell aufge- dells dabei meist getrennt behandelt (Abb. 7). Damit baut, in dem das gesamte Einzugsgebiet aufgeteilt in besteht die Möglichkeit auch kanalnetzspezifische eine Vielzahl von Teilflächen und Gewässerstrecken Sonderbauwerke, wie z.B. Regenüberlaufbecken, Re- erfasst werden kann. genrückhaltebecken oder Stauraumkanäle, zu berück-

sichtigen. Die versiegelten Flächen (A red ) wer- den i.d.R. gemäß den Angaben im allgemei- nen Kanalplan im Flussgebietsmodell er- fasst.

Eingangsgröße in das Flussgebietsmodell sind immer räumlich und zeitlich verteilte Nie- derschläge, die auf die einzelnen Teilflächen als „Gebietsniederschläge“ angesetzt wer- den. Für jedes einzelne Teilgebiet wird dann im Modell unter Berücksichtigung der gebietscharakteristischen Eigenschaften der Niederschlag-Abfluss-Prozess mathema- tisch „modelliert“. Dabei wird bei den Landflä- chen neben dem Basisabfluss (Grundwasser) nur der hoch-wasserrelevante Direktabfluss erfasst, der sich vor allem aus dem Oberflä- chenabfluss und dem oberflächennahen Zwi- schenabfluss zusammensetzt.

Da alle Teilgebiete im Flussgebietsmodell über das ebenfalls erfasste Gewässersystem miteinander verknüpft und der Ablauf der Hochwasserwellen in den Gewässerstrecken unter Berücksichtigung der Zuflüsse aus den Teilgebieten mit hydrologischen Flood-Rou- ting-Verfahren nachgebildet werden, kann so- mit der Ablauf eines Hochwasserereignisses für das gesamte Einzugsgebiet simuliert wer- den.

2.3 Hydraulische Untersuchung

Eine detaillierte Aussage über Wasserstände und die Wirkung von Eingriffen am Gewässer

Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 24 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 2000 selbst ist mit einem hydrologischen Modell allein noch dann eine umfassende Analyse der Hochwasserab- nicht möglich. Dies lässt sich nur mit einem mathema- flussverhältnisse im gesamten Einzugsgebiet möglich. tischen Fließgewässermodell aufzeigen, mit dem die Die hydraulischen Berechnungen liefern hierzu die Abflussvorgänge im Gewässer selbst unter Berück- Aussagen über die Leistungsfähigkeiten der Gewässer sichtigung sämtlicher Bauwerke und der vorhandenen bzw. die maximalen Wasserspiegellagen für die Ab-flussquerschnitte hydraulisch simuliert werden berechneten Maximalabflüsse der verschiedenen Jähr- können. Hierzu muss jedoch in der Regel nicht das lichkeiten. Damit ist eine Einschätzung des Ist-Zu- gesamte Gewässersystem erfasst werden. Es reicht standes und der aktuellen Hochwassergefahr möglich. oftmals aus, wenn man sich hierbei auf die Strecken Gleichzeitig ist damit die Vergleichsbasis für die Unter- konzentriert, an denen eine Verbesserung des Hoch- suchung von möglichen Hochwasserschutzmaßnah- wasserschutzes angestrebt wird. Um die Auswirkun- men geschaffen und sind die Zielgrößen für eine Ver- gen von Hochwasserschutzmaßnahmen auf die Unter- besserung des Hochwasserschutzes vorgegeben. lieger aufzeigen zu können, sollten diese Gewässer- strecken jedoch weitgehend zusammenhängend un- 2.6 Untersuchung von Hochwasserschutz- tersucht werden. Die Zuflusswellen von den oberhalb maßnahmen liegenden Einzugsgebieten bzw. aus Nebengewässern werden dabei aus dem hydrologischen Flussgebiets- Als mögliche Maßnahmen zur Verbesserung des modell übernommen. Hochwasserschutzes in einem Einzugsgebiet werden in einem ersten Schritt alle verfügbaren Standorte zur 2.4 Modellanpassung Hochwasserrückhaltung erhoben und deren Wirkung auf den Hochwasserabfluss untersucht. Für jeden Sowohl das eingesetzte hydrologische Flussgebiets- Standort müssen hierzu die erforderlichen Grundda- modell als auch die hydraulischen Fließgewässer- ten, wie z.B. maximales Rückhaltevolumen und maxi- modelle müssen „kalibriert“ werden, d.h. die Modellpa- male Dammhöhe, ermittelt und bereitgestellt werden. rameter müssen so angepasst werden, dass die Mo- Basierend auf diesen Daten können sie dann als delle die Abflussbildung bzw. Abflussprozesse auf al- Hochwasserrückhaltebecken in dem Flussgebietsmo- len Flächen im Einzugsgebiet und in den Gewässern dell simuliert werden. möglichst gut nachbilden. Diese „Modellanpassung“ erfolgt durch Nachrechnung gemessener Hochwasser- Mit Hilfe des hydrologischen Flussgebietsmodells wer- ereignisse. den in einer Vielzahl von Simulationsläufen aus den potentiellen Hochwasserrückhaltebeckenstandorten 2.5 Simulation von Bemessungsereignissen die Rückhaltestandorte ausgewählt, die für die Her- stellung des angestrebten Hochwasserschutzgrades Die Bemessung von wasserbaulichen Maßnahmen im untersuchten Einzugsgebiet erforderlich sind. Da- oder Bauwerken erfolgt üblicherweise für Abflüsse oder bei hat sich gezeigt, dass ergänzende lokale Hoch- Wasserstände, denen eine bestimmte Auftretens- wasserschutz- und Verbesserungsmaßnahmen ent- wahrscheinlichkeit (Jährlichkeit) zugeordnet werden lang der Gewässer immer miteinbezogen werden soll- kann. Bei hydrologischen Flussgebietsuntersuchun- ten. Die Optimierung von Anzahl und Größe der erfor- gen wird dabei davon ausgegangen, dass räumlich ver- derlichen Hochwasserrückhaltebecken sowie die Ent- teilte Niederschläge einer bestimmten Jährlichkeit, die wicklung von lokalen Hochwasserschutzmaßnahmen auf das Einzugsgebiet niedergehen, in den Gewässern muss dann im Wechsel zwischen hydrologischen und Abflüsse bzw. Wasserstände der gleichen Jährlichkeit hydraulischen Berechnungen durchgeführt werden. Mit hervorrufen. Die in einem Gebiet anzusetzenden Be- den hydraulischen Fließgewässermodellen werden messungsniederschläge können den KOSTRA -Tabel- hierbei die Möglichkeiten zur Beseitigung besonders len (KOSTRA = Koordinierte Starkniederschlags-Re- kritischer Schwachstellen bzw. zur Erhöhung der gionalisierungs-Auswertungen) des Deutschen Wet- Leistungsfähigkeiten in den Gewässern untersucht. terdienstes (DWD) entnommen werden bzw. direkt beim DWD angefordert werden. Da es für eine Jährlich- Die Ermittlung der erforderlichen Hochwasserrückhal- keit (Wiederkehrzeit) in Abhängigkeit der Nieder- tebecken und die Auslegung der lokalen Maßnahmen schlagsdauer aber unterschiedliche Niederschlagshö- erfolgt dann für einen festgelegten Hochwasser- hen bzw. Niederschlagsintensitäten gibt, müssen im- schutzgrad (meistens für die Herstellung eines 50- mer mehrere Niederschlagsdauern mit dem hydrologi- oder 100-jährlichen Hochwasserschutzes in den Orts- schen Flussgebietsmodell untersucht werden, um die lagen). Die Zahl der Hochwasserrückhaltebecken und maßgebende Niederschlagsdauer (=> Maximalab- die Abflüsse aus den Becken werden dabei so fest- fluss) festlegen zu können. Üblicherweise werden hier- gelegt, dass das zur Verfügung stehende Rückhaltevo- zu Niederschlagsdauern von 0,25 Stunden bis 72 lumen der einzelnen Becken beim ungünstigsten der Stunden für Wiederkehrzeiten von 10, 20, 50 und 100 simulierten Niederschlagsereignisse mit der Wieder- Jahren untersucht. kehrzeit von 50 oder 100 Jahren gerade voll ausgenutzt wird und bei keinem Ereignis der gewählten Jährlich- Durch Verknüpfung der hydrologischen Berechnungs- keit überläuft. Untersucht werden hierzu Nieder- ergebnisse mit den hydraulischen Berechnungen ist schlagsereignisse mit Dauern von 0,25 h bis minde-

Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 2000 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 25 stens 72 h. Damit ist gewährleistet, dass die Nieder- aus der Sicht der Landschaftspflege und des Natur- schlagsdauer ermittelt wird, bei der das größte Rück- schutzes unterzogen werden. haltevolumen erforderlich wird. Dies ist in vielen Fällen nicht das Ereignis mit der größten Abflussspitze. 2.8 Hochwasserschutzkonzeption

2.7 Bewertung der vorgeschlagenen Lösun- Es empfiehlt sich, am Ende einer Flussgebietsunter- gen suchung die vorgelegten Lösungsvorschläge mit den betroffenen Gemeinden, den beteiligten Fachbehörden Neben den hydrologischen und hydraulischen Kriterien und Vertretern des Naturschutzes abzustimmen, so ist die Auswahl der vorzuschlagenden Hochwasser- dass als Endergebnis dann unter Abwägung aller schutzmaßnahmen aber auch unter Kostengesichts- Aspekte und Interessen eine realisierbare Hoch- punkten und unter Einbeziehung der ökologi- wasserschutzkonzeption vorliegt. Diese Konzeption schen Belange zu treffen. Im Rahmen der Optimie- ist dann die Grundlage für die Planung der Hochwas- rung der Zahl von erforderlichen Hochwasserrückhalte- serschutzmaßnahmen. becken und der Festlegung der lokalen Hochwasser- schutzmaßnahmen sollen deshalb im Rahmen einer 3. Beispiele für durchgeführte Flussgebiets- Flussgebietsuntersuchung auch die Kosten für alle er- untersuchungen forderlichen Einzelmaßnahmen abgeschätzt werden, um das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei der Lösungsfin- Um eine Vorstellung zu bekommen, wie detailliert Ein- dung einbeziehen und abwägen zu können. zugsgebiete in Flussgebietsuntersuchungen erfasst, wie z.B. die räumlich verteilten Niederschläge erhoben Ökologische Grundsätze sollten bereits bei der Su- oder welche Ergebnisse aus einer Flussgebietsunter- che nach potentiellen Hochwasserrückhalteräumen suchung abgeleitet werden können, werden nachfol- berücksichtigt werden. Nach der Auswahl der aus hy- gend 3 abgeschlossene Flussgebietsuntersuchungen drologischer Sicht notwendigen bzw. am besten geeig- vorgestellt. neten Hochwasserrückhaltebeckenstandorte müssen jedoch noch einmal alle vorgeschlagenen Standorte 3.1 Flussgebietsuntersuchung „Böllinger unter Einbeziehung der dann vorliegenden hydrologi- Bach“ schen Ergebnisse (erforderliche Dammhöhen, Ein- stauhöhen- und Einstauflächen, Überflutungs- Das Einzugsgebiet des Böllinger Baches (Abb. 8) häufigkeiten) einer gezielten ökologischen Bewertung weist bis zur Einmündung in den eine Fläche

Abb. 8: Flussgebietsuntersuchung Böllinger Bach Gliederung des Einzugsgebietes in Teileinzugsgebiete und System- skizze

Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 26 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 2000

Abb. 9: Flussgebietsuntersuchung Elsenz/Schwarzbach Räumliche Gliederung des Einzugsgebietes in Teileinzugsgebiete und Systemskizze des Flussmodells von 49 km 2 auf. Es umfaßt die Ortslagen Treschklin- In der Flussgebietsuntersuchung wurden 26 mögliche gen, Fürfeld und Bonfeld der Stadt Bad Rappenau so- Standorte für Hochwasserrückhaltebecken unter- wie die Ortslagen Biberach und Böllinger Höfe der sucht. Es zeigte sich, dass für die Herstellung eines Stadt Heilbronn, die in den letzten Jahren immer wie- 100-jährlichen Hochwasserschutzes insgesamt 6 der von Hochwasser betroffen waren. Hochwasserrückhaltebecken sowie 13 ergänzende lo- kale Hochwasserschutzmaßnahmen zur Beseitigung Insbesondere beim Hochwasserereignis im Dezember von Schwachstellen an Gewässern/Verdolungen benö- 1993 traten in mehreren Ortsteilen teilweise katastro- tigt werden. Mit diesen Maßnahmen wären bei den phale Überflutungen auf, die erhebliche Schäden verur- Hochwassern im Dezember 1993, Juni 1994 und Fe- sachten. Besonders stark betroffen war von diesem bruar 1997 keine Überschwemmungen in den Ortsla- Hochwasser die Ortslage Biberach. Erneute gen aufgetreten. Überschwemmungen gab es dann bereits ein halbes Jahr später beim Hochwasserereignis im Juni 1994. 3.2 Flussgebietsuntersuchung „Elsenz- Hier waren vor allem im Ortsteil Treschklingen große Schwarzbach“ Schäden zu verzeichnen. Aber auch in der Ortslage Fürfeld und in geringerem Maße in Bonfeld kam es bei Katastrophale Überflutungen zahlreicher Ortschaften diesen Ereignissen zu Überflutungen in den Ortslagen. (Abb. 3 und 4) bei den außergewöhnlichen Hoch- Auf diese beiden teilweise katastrophalen Hoch- wasserereignissen im Dezember 1993 und im Juni wasserereignisse folgte schon im Februar 1997 ein et- 1994 mit Schäden in Höhe von mehr als 300 Mio. DM was kleineres Ereignis, bei dem erneut Ortslagen waren der Anlass für die betroffenen Gemeinden im überflutet wurden. Aufgrund dieser Häufung an Scha- Einzugsgebiet von Elsenz und Schwarzbach (Abb. 9), densfällen war es für die betroffenen Gemeinden un- eine Flussgebietsuntersuchung in Auftrag zu geben. ausweichlich, eine Verbesserung des Hochwasser- Das Ziel war es, ein Gesamtkonzept für die Verbesse- schutzes für ihre Ortslagen anzustreben. Die Städte rung des Hochwasserschutzes in diesem Raum auf- Bad Rappenau und Heilbronn verständigten sich dar- zustellen. auf, gemeinsam eine flächendeckende, optimierte Hochwasserschutzkonzeption für das gesamte Ein- Zur Koordination und Steuerung der Flussgebietsun- zugsgebiet des Böllinger Baches zu entwickeln. Die tersuchung wurde eine Arbeitsgruppe gebildet, der Grundlagen hierfür sollten im Rahmen einer Flussge- Vertreter der Gemeinden, der Landratsämter, der Was- bietsuntersuchung erarbeitet werden. serwirtschafts-, Landwirtschafts-, Flurbereinigungs-,

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Forst- und Naturschutzverwaltung, der Landesanstalt Hieran sind 439 Teileinzugsgebiete (Landflächen) und für Umweltschutz sowie der Regional-, Kreisbauern- 117 Stadtflächen (versiegelte Flächen) angeschlos- und anerkannten Naturschutzverbände angehörten. sen. Den Vorsitz dieser Arbeitsgruppe übernahm das Re- gierungspräsidium Karlsruhe. Weiterhin wurden Ar- Die hohe räumliche Diskretisierung erlaubte es, lokale beitskreise eingerichtet, die sich mit Fragen der de- Charakteristika wie Unterschiede in Bodennutzung zentralen Rückhaltung von Hochwassern, der Vermin- (Bodenbearbeitung), Geologie, Topographie, Nieder- derung des Oberflächenabflusses von land- schlag und Vorfeuchte detailliert zu erfassen und damit wirtschaftlich genutzten Flächen durch geänderte Be- hydrologisch weitgehend homogene Teileinzugsgebie- wirtschaftungsmethoden und der Abgrenzung von te zu erhalten. Überschwemmungsgebieten beschäftigten. Neben dem hydrologischen Flussgebietsmodell wur- Die Ausarbeitungen der einzelnen Arbeitskreise bilde- den für insgesamt ca. 90 km Gewässerstrecke hy- ten eine wesentliche Grundlage bei der Aufstellung der draulische Fließgewässermodelle erstellt. Damit war zu untersuchenden Hochwasserschutzvarianten. So es möglich, den Hochwasserabfluss in den wichtig- wurden z.B. die meisten möglichen Hochwasserrück- sten Gewässern hydrodynamisch nachzubilden, die haltestandorte vom Arbeitskreis „Retention“ in Zusam- sich einstellenden Wasserstände darzustellen und lo- menarbeit mit den einzelnen Gemeinden erhoben. Das kale Maßnahmen an den Gewässern zu untersuchen. Ziel war es, möglichst viele kleine dezentrale Standor- te für Hochwasserrückhaltebecken zu finden, die sehr Die aufgestellten Modelle wurden durch Nachrechnung gut in die Landschaft eingebunden werden können. des Hochwasserereignisses vom 20.- 23. Dezember 1993 kalibriert. Die räumliche Niederschlagsverteilung Als mögliche Maßnahmen wurden vom Arbeitskreis bei diesem Ereignis wurde aus Regenmesseraufzeich- Retention im Einzugsgebiet von Elsenz und Schwarz- nungen ermittelt. Abb. 8 zeigt die Verteilung der Ge- bach schließlich 217 potentielle Standorte zur Hoch- samtniederschlagshöhen, die im Einzugsgebiet zwi- wasserrückhaltung erkundet. Diese sollten alle in dem schen 105 mm und 180 mm variieren (beim Ereignis im Flussgebietsmodell erfasst und untersucht werden. Juni 1994 wurden bis zu 246 mm in 3 Stunden gemes- Aufgrund der Vielzahl von zu untersuchenden HRB- sen!). Die zeitliche Verteilung dieser Niederschläge, Standorten und den vielen Ortslagen (28 Gemeinden), die über 2 Tage gefallen waren, wurden aus Regen- die sich über das gesamte 542 km 2 große Einzugsge- schreiberaufzeichnungen übertragen. Daneben be- biet verteilen, musste ein sehr detailliertes hydrologi- steht heute auch die Möglichkeit, die räumliche und sches Flussgebietsmodell aufgebaut werden. Das er- zeitliche Niederschlagsverteilung, die als Eingabe in stellte Flussgebietsmodell für das Einzugsgebiet von ein Flussgebietsmodell benötigt wird, aus Radarmes- Elsenz und Schwarzbach umfasst 485 Modellknoten. sungen zu übernehmen. Abb. 11 zeigt hierfür beispiel-

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links: Abb. 12: Flussgebietsuntersuchung Seckach/ -Räumliche Gliederung des Einzugsgebietes in Teileinzugsgebiete rechts: Abb. 13: Flussgebietsuntersuchung Seckach/Kirnau -Lage der Standorte für mögliche Hochwasserrückhaltungen-

haft die Verteilung des Tagesnieder- schlages am 20.12.1993 im Einzugsge- biet von Elsenz und Schwarzbach. Die Radardaten stehen für das 93-er Hoch- wasser vom Deutschen Wetterdienst (DWD, Radar Frankfurt) in einem Raster von 1 km x 1 km mit einer zeitlichen Auf- lösung von 1 Stunde zur Verfügung. Für das Hochwasser vom Juni 1994 wurden vom Forschungszentrum Karlsruhe so- gar Niederschlagsdaten mit einer zeitli- chen Auflösung von 15 Minuten und ei- ner räumlichen Auflösung von 500 m x 500 m bereitgestellt.

In einer Vielzahl von Simulationsläufen mit dem hydrologischen Flussgebiets- modell und den hydraulischen Fließge- wässermodellen wurden aus den 217 er- kundeten Hochwasserrückhaltebecken- standorten die Beckenstandorte ausge- wählt, die für die Herstellung eines 100- jährlichen Hochwasserschutzes und ei- nes Schutzes vor einem Hochwasser wie im Dezember 1993 im Einzugsge- biet von Elsenz und Schwarzbach erfor- derlich sind.

Es zeigte sich, dass von den 217 unter- suchten Hochwasserrückhaltebeckens- tandorten 99 Standorte benötigt werden. Davon müssten 93 Becken neu gebaut werden, bei 6 Becken handelt es sich um einen Ausbau bestehender Hoch- wasserrückhaltebecken. Eine Klassifi- zierung dieser Becken ergab, dass hier- von 50 HRB eine überörtliche Wirkung

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links: Abb. 16: Flussgebietsuntersuchung Seckach/Kirnau -Lage der vorgeschlagenen Hochwasserrückhaltebecken- rechts: Abb. 17: Flussgebietsuntersuchung Seckach/Kirnau -Wirkung der Hochwasserrückhaltebecken beim Bemessungs ereignis HQ100-

zuzuordnen ist. Die übrigen 49 Hochwasserrückhaltebecken bringen dagegen nur eine lokale Verbesserung der Hochwasserabflussverhältnisse für die direkt unterhalb liegende Ortslage.

Ergänzend zu diesen 99 Hochwasser- rückhaltebecken sind 36 lokale Hoch- wasserschutz- und Verbesserungs- maßnahmen an den Gewässern erfor- derlich. Dabei handelt es sich um den bereichsweisen Ausbau von Gewäs- sern, die Errichtung von Ufermauern bzw. die Herstellung von Uferdämmen und weiteren kleineren lokalen Maß- nahmen.

Nach Abschluss der Flussgebietsun- tersuchung wurde von den Gemeinden der Zweckverband „HOCHWASSER- SCHUTZ Einzugsbereich ELSENZ- SCHWARZBACH“ gegründet, dessen Aufgabe die Umsetzung der Hoch- wasserschutzkonzeption (nur überört- lich wirkende HRB) nach festgelegten Prioritäten sowie der spätere Betrieb und die Unterhaltung der Hochwasser- rückhaltebecken ist. Inzwischen sind bereits 4 Becken fertiggestellt, 3 weite- re Hochwasserrückhaltebecken im Bau und für mindestens 7 Becken die Wasserrechtsverfahren eingeleitet.

3.3 Flussgebietsuntersuchung „Seckach-Kirnau“

Bei dem großen Hochwasser im De- zember 1993 traten auch in nahezu al-

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Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 32 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 2000 len Ortslagen im Einzugsgebiet von Seckach und Kirn- geschlossen und eine detaillierte Flussgebietsuntersu- au katastrophale Überflutungen auf. Die Schäden be- chung in Auftrag gegeben. Das Ziel dieser Fluss- liefen sich auf rund 25 - 30 Mio. DM. Erneute Über- gebietsuntersuchung war die Entwicklung einer Hoch- schwemmungen nur ein Jahr später beim Hoch- wasserschutzkonzeption für das gesamte Einzugsge- 2 wasserereignis im Januar 1995 machten deutlich, biet (A E = 260 km ) von Seckach und Kirnau. Ange- dass auch in diesem Raum eine Verbesserung des strebt wurde ein Gesamtkonzept mit dem neben den Hochwasserschutzes dringend erforderlich ist. wasserwirtschaftlichen auch die ökologischen Aspek- te berücksichtigt werden. Von den beiden Hochwassern besonders stark betrof- fen waren neben Privathäusern und Freizeiteinrichtun- Als Hochwasserschutzmaßnahmen sollten vorrangig gen vor allem auch zahlreiche Industrie- und Gewerbe- dezentrale Hochwasserrückhaltungen mit möglichst betriebe (siehe Abb. 1 und 2), die sich in den Tallagen geringen Dammhöhen vorgesehen werden, mit denen die Hochwasserabflüsse inner- halb des Einzugsgebiets ver- ringert werden können.

Um die Hochwasserentwick- lung mit dem Flussgebietsmo- dell räumlich detailliert nachbil- den zu können, wurde das ge- samte Einzugsgebiet bis zur Mündung in die in 138 Teileinzugsgebiete unterteilt, in denen alle unversiegelten Flächen erfasst sind. Daneben wurden 38 versiegelte Flächen („Stadtflächen“) berücksich- tigt. Das aufgestellte flächen- detaillierte Modell umfasst so- mit 176 Teilflächen (Abb. 10), für die der Niederschlag-Ab- fluss-Prozess in dem Flussge- bietsmodell simuliert wird. Die- se Teilflächen sind über 160 Berechnungsknoten miteinan- der verknüpft.

Ergänzend zu dem hydrologi- schen Modell wurden hydrauli- sche Fließgewässermodelle für alle Gewässer in den Orts- lagen erstellt.

Die Modelle wurden durch Nachrechnung des Hochwas- serereignisses vom Dezember 1993 angepasst. In Abb. 14 ist beispielhaft der Vergleich zwischen gemessener und be- rechneter Abflussganglinie für den Pegel Sennfeld darge- stellt. Außerdem wurden die berechneten maximalen Was- der strukturschwachen Region angesiedelt haben. Die serstände anhand von beobachteten Wasserständen Verbesserung des Hochwasserschutzes ist deshalb (Hochwassermarken, Geschwemmselwerte) in den für diesen Raum insbesondere auch zur Sicherung von Ortslagen überprüft. Abb. 13 zeigt hierzu einen Längs- Arbeitsplätzen in Industrie und Gewerbe unverzichtbar. schnitt für die Seckach im Bereich der Stadt Adels- heim. Nach den beiden Hochwasserereignissen haben sich die betroffenen 9 Städte und Gemeinden im Rahmen Auf der Basis einer Vielzahl von hydrologischen Simu- einer öffentlich-rechtlichen Vereinbarung zusammen- lationsrechnungen mit dem flächendetaillierten hydro-

Berichtsband 7. Erfahrungsaustausch HRB, WBW Fortbildungsgesellschaft, Heidelberg 2000 2000 Fachbeiträge 7. Erfahrungsaustausch 33 logischen Flussgebietsmodell und instationären hy- ren auf modernen hydrologischen und hydraulischen draulischen Berechnungen wurden aus ca. 70 potenti- Berechnungsverfahren, mit denen Hochwasserereig- ellen Standorten (Abb. 13) für mögliche Hochwasser- nisse für das gesamte Einzugsgebiet sehr detailliert rückhaltungen, die im Vorfeld der Untersuchung von nachgerechnet bzw. simuliert werden können. Gleich- der Wasserwirtschaftsverwaltung und der Bezirksstel- zeitig bieten sie die Möglichkeit die Wirkung von mög- le für Natur- und Landschaftsschutz im Einzugsgebiet lichen Hochwasserschutzmaßnahmen zu untersu- von Seckach und Kirnau erkundet wurden, 15 Standor- chen und für das gesamte Einzugsgebiet aufzuzeigen. te ausgewählt (Abb. 16). Die Simulationsrechnungen Um abgestimmte und realisierbare Hochwasser- haben ergeben, dass zusätzlich aber noch 47 ergän- schutzkonzepte zu erhalten, hat es sich als notwendig zende lokale Hochwasserschutz- bzw. Verbes- und richtig erwiesen, bereits im Rahmen von Flussge- serungsmaßnahmen an Gewässern erforderlich sind, bietsuntersuchungen ökologische und ökonomische um einen 100-jährlichen Hochwasserschutz bzw. ei- Aspekte zu berücksichtigen sowie Fachbehörden, be- nen Hochwasserschutz vor einem Ereignis wie im De- troffene Gemeinden und Vertreter des Naturschutzes zember 1993 zu zu erreichen. in die Lösungsfindung einzubeziehen.

Die Wirkung der vorgeschlagenen Hochwasserrück- 5 Literatur haltebecken und lokalen Maßnahmen ist in den Abb. 17 bis 21 dargestellt. Abb. 22 zeigt wie sich diese DWD (1995):„Amtliches Gutachten; Niederschlags- technischen Hochwasserschutzmaßnahmen auf die höhe- und Spenden in Abhängigkeit von Nieder- Überflutungsflächen in der Stadt auswir- schlagsdauer und Überschreitungshäufigkeit für die ken. Anhand der Bilder 1 bis 3 dieser Abbildung sieht Einzugsgebiete Elsenz und Schwarzbach“; Deutscher man, wie sich die Überflutungsflächen durch die vorge- Wetterdienst, Zentralamt, Abteilung Klimatologie, Of- schlagenen Maßnahmen verändern und dass beim fenbach a.M. 100-jährlichen Hochwasser zukünftig keine Überflutun- gen mehr auftreten. Im 4. Bild wird allerdings die Wir- DWD (1997): „Starkniederschlagshöhen für die Bun- kung bei einem 1000-jährlichen Hochwasserereignis desrepublik Deutschland“, Selbstverlag des Deut- aufgezeigt, das im Rahmen einer Risikoanalyse mit schen Wetterdienstes, Offenbach den aufgestellten Modellen untersucht wurde. Man sieht hier deutlich, dass auch nach Durchführung der Hochwasserschutzmaßnahmen ein Restrisiko be- Ihringer,J. (1996): „Softwarepaket für Hydrologie und steht und überschwemmungsgefährdete Bereiche (Ri- Wasserwirschaft, Anwenderhandbuch, Band 1: Hoch- sikoflächen) vorhanden sein werden. wasseranalyse“, Institut für Hydrologie und Wasser- Zur Umsetzung der vorgeschlagenen Hochwasser- wirtschaft (IHW) der Universität Karlsruhe (TH) schutzkonzeption wurde im Sommer 1997 der Zweck- verband „HOCHWASSERSCHUTZ Einzugsbereich LfU (1996): „Handbuch Wasser 2: Das Abflußjahr SECKACH-KIRNAU“ gegründet. Mitglieder dieses 1994 - ein Hochwasserjahr“, Karlsruhe Zweckverbandes sind alle 8 Gemeinden und Städte im Einzugsgebiet.

Inzwischen ist der Zweckverband schon voll in der Rea- lisierungsphase. Abb. 23 zeigt den Stand der Arbeiten im Jahr 2000.

4 Zusammenfassung Anschrif t des V erfassers:

Flussgebietsuntersuchungen haben sich in den letz- Dipl.-Ing. Joachim Wald ten Jahren als ein wichtiges und unverzichtbares Pla- WALD + CORBE Beratende Ingenieure nungsinstrument zur Erarbeitung von zeitgemäßen Am Hecklehamm 18 Hochwasserschutzkonzeptionen erwiesen. Sie basie- 76549 Hügelsheim

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