NR. 132 | FREITAG, 9. JUNI 2017 MUSIK | 13

HIGHLIGHTS Budapester Disneyträume der Woche „Die Schöne und das Biest“ zählt zu den größten Hits aus dem Hause Disney. Auch das Musical schreibt eine eigene Erfolgsgeschichte. Vom 13. bis 30. Juli ist die deutschsprachige Inszenierung des Budapester Operettentheaters in der Dresdner Semperoper zu erleben. Ein Besuch hinter den Kulissen von „Die Schöne und das Biest“ in der Donaumetropole.

„Der Rebell des So Königs“ in der Oper Der Marquis von „Cinq-Mars“ ist zurück: Charles Gounods „Rebell des Königs“ ist zum ersten Mal seit 140 Jahren wieder auf die Opernbühne geklettert – in Leipzig. Regie bei diesem 1877 komponierten opulenten Sittenbild um Liebe und Intrigen am Hofe des französischen Königs Ludwig XIII. führt Anthony Pilavachi. Und wie zuvor bei bei Verdis „Rigoletto“ und Leoncavallos „Pagliacci“ hat er auch für diese Mantel- und-Degen-Geschichte am französischen Hof grandiose Bilder gefunden. Ebenso grandios sind die stimmlichen und instru- mentalen Seiten der Produktion. Oper Leipzig, 11. Juni, 18 Uhr

Little Steven Mi auf der Parkbühne Vor 25 Jahren ging Steven Van Zandt alias Wundervolle Kostüme, phantasiereiches Bühnenbild: Belle (Kitti Jenes) und das Biest (Sandor Barkoczi) in der verborgenen Bibliothek. Foto: Stefan Malzkorn Little Steven mit seiner Band, den Disciples Of Soul, auf Tour. Der Gitarrist und Mitbe- gründer der E-Street-Band gilt als treu- VON KERSTIN LEPPICH und dessen Herz schließlich von der schö- Tanzende Teller, hüpfende Teetassen Hineinsteigen ist eine Herausforderung. Die Philosophie. Schließlich arbeiten die ester Gefolgsmann von „Boss“ Bruce nen und gutherzigen Belle erweicht wird, und lebende Standuhren: Jede Menge Gäste hinter der Bühne wagen diese trotz Schauspieler und Sänger hart dafür. Springsteen und ist aus der E-Street-Band in rosa Jugendstilgebäude in einer spielt auf einem verzauberten Schloss mit Handwerk, dazu viel Phantasie und Kreati- des freundlichen Angebots lieber nicht. Die „Sie müssen nicht nur schauspielern nicht mehr wegzudenken. Nun hat er ein E unscheinbaren Nebenstraße Buda- all seinen skurrilen, aber liebenswerten vität stecken auch in den wundervollen Kos- Darstellerin hingegen bewegt sich in dem können, sondern auch perfekt singen und neues Solo-Album geschrieben, auf dem er pests, der Eingang ist stilvoll aber schmal. Bewohnern. Wo würde das verwunschene tümen, die Designerin Erszebet Turi auf der 20 Kilo schweren Kostüm auch noch elegant tanzen“, sagt Lörinczy. Seine Darsteller sin- zu seinen musikalischen Wurzeln, dem Doch wenn sich die Türen des Operetten- Schloss besser hinpassen als auf die Bühne kleinen Bühne des Hauses präsentiert. zur Musik und schmettert ihre Arien. gen nicht selten sowohl in Musical- wie Rhythm and Blues, zurückkehrt. Prompt ist theaters öffnen, dann betritt der Gast eine dieses Budapester Kitschpalastes? Dabei sind viele der phantastischen Stücke Eingepackt in Schaumstoff und in viele auch in Operettenproduktionen, was hohe auch seine alte Band, die Disciples Of Soul, andere Welt: Hier umfängt ihn der Charme Dessen sind sich auch die Macher weit mehr als gewöhnliche Theaterkostü- Kilogramm schwere Stoffschichten gehüllt, Anforderungen an ihre sängerischen wieder am Start; und natürlich stehen einer vergangenen Zeit. 1894 gegründet bewusst: „Wir bringen das Stück nur an sol- me. Das liegt nicht nur an den unzähligen spricht so mancher Darsteller von seinem Fähigkeiten stellt und auch unter Profis kei- Songs wie „I Am A Patriot“ oder „Voice Of und von Wiener Architekten gebaut, hat chen Orten auf die Bühne, die dem Zauber, ungewöhnlichen Materialien, wie Metall- Kostüm augenzwinkernd nur als „Mobiler ne Selbstverständlichkeit ist. America“ auf dem Plan. sich im Budapesti Operettszínhás die Atmo- der dem Stück innewohnt, gerecht wer- teile und Schwämme, die für die Kostüme Sauna“. Hauptdarsteller Sandor Barkoczi Ausgefeilt ist auch jeder Schritt auf der 14. Juni, Parkbühne, 20 Uhr sphäre des Fin de Siècle erhalten. Helle den“, sagt Lörinczy. Die Dresdner Semper- verarbeitet werden. Man denke nur an merkt man die Last seines Kostüms jeden- Bühne. Im großen Tanzsaal des Theaters Marmorböden, weiße und goldene Orna- oper, wo „Die Schöne und das Biest“ im Juli Madame Pottine, die singende Teekanne, falls nicht an, wenn er mit Belle-Darstellerin gibt Choreografin Eva Duda Anweisungen: mente an den Wänden und der Decke, rie- zu sehen sein wird, immerhin genügt den oder an den in einen Dreiarmleuchter ver- Kitti Jenes leichtfüßig über die Bühne tanzt, „Macht den Kreis kleiner. Norman, du sige Lüster und dunkelroter Samt auf den Ansprüchen der Musicalkompanie. wandelten Diener Lumière. von den Treppen herabspringt und auch musst viel gebückter gehen.“ Kurzerhand Sitzen, dazwischen Schwarz-Weiß-Foto- In Budapest öffnen sich die Türen für mal in der Luft herumwirbelt. Seine Trans- macht sie vor, wie sie es sich vorstellt. Nor- grafien, die an schillernde Zeiten erinnern. den Besucher derweil noch ein Stück weiter Wir glauben, formation zum Biest beginnt lange vor dem man Szentmártoni und Dániel Szerémy, die In Ungarn geht man traditionell früh am und ziehen ihn in einen ganz anderen Kos- dass das Musical Betreten der Bühne. 45 Minuten benötigen Darsteller von Gaston und Lefou, proben Abend in die Vorstellung und schaut im mos. Die Welt hinter der Bühne ist zwar die Maskenbildner allein, um aus dem jun- hier gerade ihre Kampfszene: Kämpfen, fal- Operettentheater klassische Operetten, weniger plüschig, aber nicht weniger faszi- die Operette gen Mann mit den feinen Gesichtszügen len und gleichzeitig schön singen, keine aber auch ungarische und internationale nierend. Denn wie so oft im Leben: Je leich- von heute ist das hässliche Biest zu formen: Erst kleben Kleinigkeit. Damit auch in der letzten Vor- Musicals. Und wie passt nun ein Musical in ter etwas auf den Betrachter wirkt – und sie den künstlichen Bart, dann gestalten sie stellung noch alles perfekt sitzt, begleitet ein Operettenhaus? „Wir glauben, dass das „Die Schöne und das Biest“ strahlt die Dis- György Lörinczy die Konturen der Fratze mit reichlich Thea- die strenge Assistenz der Choreografie, Eri- Musical die Operette von heute ist“, sagt neysche Leichtigkeit über die ganzen zwei Intendant des Operetten- terschminke, erst am Schluss kommt die ka Szabó, die Tournee. „Pass auf!“, hagelt György Lörinczy, Intendant des Operetten- Stunden aus – umso mehr Arbeit steckt theaters in Budapest Perücke. es dann auf die Darsteller ein: „Dein kleiner theaters. „Operetten waren ja die Populär- dahinter. Im Musical wird das Biest durch Belle Finger stand zu tief.“ Keine Perfektion ohne musik ihrer Entstehungszeit.“ Für Lörinczy Das beginnt schon lange vor den eigent- erlöst und verwandelt sich kurz vor dem harte Arbeit. ist das moderne Musiktheater deshalb nicht lichen Bühnenproben beim Sprechtraining: Happy End wieder in den strahlendschö- Der Gast hingegen kann sich der Illusion „Kein Pardon“ als minderwertiger als klassische Opern. Man Vor allem die jungen Darsteller des Hauses nen Prinzen. Eine echte Herausforderung von Leichtigkeit hingeben. Sobald sich die Do Musical in der MuKo könne schließlich alles sehr gut und sehr hatten in der Schule Englisch und nicht Ganz zu schweigen von der äußeren für die Theatermacher: Sechs Maskenbild- Türen zum Zuschauerraum schließen und schlecht präsentieren. Und Lörinczy lässt mehr wie die Generation zuvor Deutsch Erscheinung von Madame de la Grande ner und Helfer sorgen hinter der Bühne der Vorhang sich öffnet, hält auch ihn nur 2009 feierte in Düsseldorf die Musicalisie- keinen Zweifel, welchen Anspruch er an gelernt. Gesungen wird „Die Schöne und Bouche, die in eine rote Kommode verwan- dafür, dass aus dem Biest innerhalb weni- noch der Zauber des Schlosses und seiner rung von Hape Kerkelings Kult-Film „Kein die Inszenierungen seines Hauses hat. das Biest“ bei den Shows in Deutschland delte Operndiva. Allein an diesem Stück hat ger Minuten ein Prinz wird – eine ausgeklü- Bewohner in seinem Bann. Pardon“ in Düsseldorf Premiere. Die Eine davon: Das Musical „Die Schöne aber in der Landessprache, und selbst hier das Team zwei Wochen getüftelt, sogar gelte Choreografie. „Am Broadway wird „Die Schöne und das Biest“ in der Dresdner Musiktheater-Fassung stammt aus der und das Biest“, einer der größten Erfolge in Budapest werden manchmal deutsche einen Schlosser hinzugezogen. Die Kommo- am Schluss auch schon mal ein anderer Semperoper vom 13. bis 30. Juli 2017. Restkarten Feder des Quatsch-Comedy-Club-Erfin- aus dem Hause Disney und auch für die Aufführungen gespielt. Für die Darsteller de rollt nicht nur, sie ist auch mit zahlreichen Darsteller auf die Bühne geschickt, für uns (ca. 39,50 bis ca. 109,50) sind noch für einige ders Thomas Hermanns – und der führte Budapester Theatermacher ein Dauerbren- bedeutet das hartes Aussprachetraining. Tricks ausgestattet, wie Turi demonstriert: kam das nie in Frage“, sagt Lörinczy. Der Vorstellungen erhältlich, u. a. im LVZ-Medien- bei der Neuproduktion an Leipzigs Musika- ner. Die Geschichte von dem hartherzigen Die Texte werden nach Melodie, nicht nach Wie von Zauberhand – in Wirklichkeit von Darsteller solle seinen verdienten Lohn in haus, in der Ticketgalerie, in allen LVZ-Ge- lischer Komödie auch selbst Regie. Er Prinzen, der von einer Zauberin in ein Sinn gelernt. Das gehört zum Handwerk der Darstellerin im Verborgenen gesteuert – Form des Beifalls des Publikums schon schäftsstellen, über die gebührenfreie Ticket- liefert szenischen und musikalischen Luxus grauslich aussehendes Biest verwandelt der Sänger. öffnet sich die Schublade. Schon das selbst erhalten, verrät der Intendant seine hotline 0800 2181050 sowie auf lvz-ticket.de. wie auf dem Broadway von einst. Denn im Gegensatz zu heutigen Gepflogenheiten gibt’s in Leipzig ein richtiges Orchester und sogar einen Chor – ein so durchgeknallter wie berührender Abend. Ein Amerikaner in Musikalische Komödie, 15.6., 19.30 Uhr Der Trompeter Paul Brody erzählt auf seiner aktuellen CD „Vanishing Night“ eingängige instrumentale Geschichten

VON ULRICH STEINMETZGER Geschichte mit ihrer tragischen Historie sition beseelt. Dazu gibt es kraftvoll eingän- durchschimmert, vergisst er nie den Humor. gige instrumentale Geschichten aus dem Der Trompeter Paul Brody ist ein Jongleur Melodienselig ruft er ein imaginäres Schtetl Schöneberger Hinterhof auf dieser CD, die der Stile, ein einfallsreicher Cocktailanrich- auf und setzt sich dort kapriolenreich zwi- Brody seine am meisten autobiografische ter und als Komponist sein eigener Remixer. schen die Stile. Seine klugen Arrangements nennt, weil sie so schön sein Leben dazwi- Ein begnadeter Geschichtenerzähler ist er bestehen jede Prüfung auf Tiefenschärfe schen abbildet: zwischen Ruhe und Wach- sowieso. Der Amerikaner in Berlin spielt und immer wieder fanfart aus ihnen die heit, Theater und Musik, Sprache und eine von grundierte elektrisierend markante Trompete hervor. Man kann an Melodie, Vergangenheit und Gegenwart. optimistische Melange aus Punk, Country- den Ellington-Solist Bubber Miley denken, Schlussendlich gießt er das in ein titelge- Versatzstücken, New Orleans, Free , an Louis Armstrong, Lester Bowie oder Ste- bendes Spoken-Word-Finale für die Stadt Dub und Osteuropäischem. „Brody schlägt ven Bernstein. Man hört Paul Brody und mit ihrer Flohmarkt-Mentalität. eine Bresche für einen neuen jüdischen beginnt zu schwelgen. Vieles erreicht Paul Brody mit seiner erd- Killing Joke Jazz des 21. Jahrhunderts“, lobte Wieder und ganz besonders ist das so verbundenen Kunst, mit der er auf eine Fr weiter ungebremst und veröffentlichte ihn mit seiner Band auf seiner aktuellen CD „Vanishing Night“. „Harmonie der Disharmonie“ setzt. Deswe- SADAWI auf seinem einflussreichen New Brodys SADAWI-Quintett besteht neben gen will er sich nie in der Bequemlichkeit Metallica, Soundgarden, Nine Inch Nails Yorker Tzadik-Label. ihm nun vollständig aus Berliner Musikern: einrichten. Das Stück „Two Self Portraits“ und viele Größen mehr geben Killing Joke Vor über 20 Jahren kam Paul Brody aus dem Klarinettisten Christian Dawid, inspirierten zwei Bilder des 1944 in Ausch- als für sie prägend an – sei es der Gesangs- San Francisco nach Berlin. Nachdem er mit Schlagzeuger , Bassist witz gestorbenen Malers Felix Nussbaum. stil von Frontmann Jaz Coleman, sei es die einer Duke Ellington-Broadway-Show Martin Lillich und Gitarrist Christian Kögel, Eins zeigt ihn als lebenslustigen jungen brachiale Gewalt ihrer Live-Auftritte, sei es neun Monate durch Europa gezogen war, der hintersinnig schrundige Americana- Mann, eins mit Davidstern, als Signal dafür, der neuartige Sound, den die Briten beschloss er in der Alten Welt zu bleiben. Elemente beisteuert. Eine vierteilige Thea- wie schnell alles kippen kann. All das hat geprägt haben. Seit 2008 ist die Band Grund waren auch familiäre Wurzeln, Jongleur der Stile: der Trompeter Paul Brody. Foto: Elena Graupe tersuite widmet Brody dem Erneuerer der eine Basisnähe, die am schönsten die piep- wieder in Originalbesetzung unterwegs; denen er vor Ort nachgehen wollte. Sein Operninszenierungskunst David Marton, sige Stimme des im Hinterhof seine Runden drei Studioalben sind erschienen. Nun wird Großvater war Anwalt und Schriftsteller in da lebte. Und überdies war die klassische ren Künsten und gab seinem Faible für Lite- indem er Mozart, Haydn, Bach und Purcell radelnden Jungen Max auf den Punkt Jaz Coleman seine ewigen Wahrheiten Wien, biografische Fäden führen zur Litera- europäische Musik ein zusätzlicher Mag- ratur Futter unterm Himmel über Berlin. umarrangiert und für die Textpassagen die bringt: „Papa, der Trompetenmann spielt! ungebremst in Leipzig hinausschreien. Die turhistorie mit Stefan Zweig und Arthur net. Lebensbedingungen und die Kunstsze- Als Instrumentalist individualisierte Bro- charismatische serbische Sängerin Jelena Hör zu!“ Und diesen kann eine solche Setlist umfasst die komplette Spannbreite Schnitzler. Brodys Vater stammt ab von rus- ne in Berlin taten ein Übriges und Brody dy mit überbordendem Musikantentum Kuljic ins Zentrum rückt, die auch an ande- Anteilnahme dann schon mal dazu bewe- der Karriere, die Band spielte sowohl Songs sischen Einwanderern, seine Mutter floh blieb, fusionierte immer wieder und immer einen schneidend mit Traditionen spielen- rer Stelle eine in Dankbarkeit dem polni- gen, vom Moll zum Dur zu wechseln. der ersten als auch der letzten Platte. vor den Nazis aus Österreich. Irgendwann anders amerikanische Kollegen mit einhei- den Ton voller Sentiment, Feuer und Emo- schen Lyriker und Nobelpreisträger Paul Brody’s SADAWI: Vanishing Night. 16. Juni, Werk 2 (Halle D), 20 Uhr war ein Nachgeborener neugierig, wie man mischen Musikern, kollaborierte mit ande- tionalität. Wenn auch stets die jüdische Czesław Miłosz gewidmete Brody-Kompo- Yellowbird enja/Soulfood