Volk, Wille, Herrschaft

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Volk, Wille, Herrschaft DEMOKRATIE E-PAPER Volk, Wille, Herrschaft Was versteht Pegida Dresden unter „Volks- souveränität“ und welche Vorstellungen demokratischer Ordnung hängen damit zusammen? HANNAH EITEL Weiterdenken – Heinrich-Böll-Stiftung Sachsen im Juni 2016 „Vollziehe ich die kollektive Erregung mit, symbolisiert im Schrei der Akklamation oder im Pfiff der Verachtung, dann trägt mich das Echo; höre ich diese Äußerung von außen, so er- schreckt sie mich als überspülende Brandung, in der die Artiku- lation, die Einzelmerkmale verschwinden.“ 1 Alexander Mitscherlich 1 „Massen - oder: Zweierlei Vaterlosigkeit“, in Analytische Sozialpsychologie / Texte aus den Jahren 1910- 1980, hg. von Helmut Dahmer (Gießen: Psychosozial-Verlag, 2013), 402. 2 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung ................................................................................................................................. 4 2. Zur methodischen Vorgehensweise ............................................................................. 14 3. Was heißt Volkssouveränität? ........................................................................................ 24 3.1 Monarchomachische Volkssouveränität: Widerstand gegen Tyrannei .................. 27 3.2 Jean-Jacques Rousseau: Volkssouveränität als kollektive Autonomie .................... 31 3.3 Von Rousseau zur Diskussion der Volkssouveränität ................................................... 37 3.3.1 Carl Schmitt: radikal-konkretistische Volkssouveränität ................................................... 38 3.3.2 Peter Kielmansegg: institutionalisierte Souveränität ........................................................... 43 3.3.3 Jürgen Habermas: diskursive Volkssouveränität ................................................................... 47 3.3.4 Ingeborg Maus: prozedural-rechtliche Volkssouveränität ................................................. 50 3.4 Von völkischer Konkretisierung zur prozessualen Entsubjektivierung ................. 54 4. „Wir sind das Volk!“ Volkssouveränität bei Pegida ................................................. 61 4.1 Entwicklung von Pegida und des Diskurses ..................................................................... 61 4.1.1 Entwicklung Pegidas ........................................................................................................................... 61 4.1.2 Strukturanalyse: Islam, Volk, Souveränität und Widerstand ............................................ 64 4.2 Feinanalyse: „ihr habt unseren Anweisungen zu folgen!“ ............................................ 68 (a) Lutz Bachmann, 24.11.2014 ............................................................................................................................. 68 (b) Lutz Bachmann, 01.12.2014 ............................................................................................................................. 72 (c) Tatjana Festerling, 09.02.2015 ........................................................................................................................ 74 (d) Tatjana Festerling, 09.03.2015 ....................................................................................................................... 76 (e) Tatjana Festerling, 30.03.2015 ........................................................................................................................ 80 (f) Lutz Bachmann, 06.04.2015 .............................................................................................................................. 83 (g) Tatjana Festerling, 21.09.2015 ........................................................................................................................ 87 (h) Tatjana Festerling, 18.01.2016 ....................................................................................................................... 90 5. Mit der Mistgabel gegen das Verschwörungsphantasma ...................................... 96 6. Ausblick: Mit Volkssouveränität gegen abstrakte Herrschaft? ........................ 104 Literaturverzeichnis ............................................................................................................ 112 Anhang ..................................................................................................................................... 119 3 1. Einleitung „Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als potentiell be- drohlicher denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.“2 Bis heu- te mahnt Theodor W. Adornos Aufsatz zu genauem Hinsehen, wie antisemitische, völki- sche und autoritäre Ideologien auch innerhalb der demokratischen Ordnung der Bundes- republik fortleben und die Demokratie gewissermaßen ‚von innen‘ unterminieren oder pervertieren können. Trotz ihrer Bekanntheit schlägt sich diese Mahnung in aktuellen Dis- kussionen nur sehr bedingt nieder. Im Bezug auf die Dresdner „Patriotischen Europäer ge- gen die Islamisierung des Abendlandes“ scheiden sich die Geister stattdessen an der Frage: Demokrat*innen, ja oder nein? Sind sie „harte Rechtsextremisten“3? Sind sie „Latenz- nazis“4, die sich der Tatsache nicht voll bewusst sind, dass ihre Einstellungen mitunter ne- onazistisch sind? Sind sie Nazis, die keine Nazis sein wollen?5 Oder sind sie zwar nationa- listisch und ‚ausländerfeindlich‘ eingestellt, aber eben nicht antidemokratisch und rechtsextremistisch?6 Sind sie einfach besorgte Bürger, die einen überhörten Volkswillen etwas plump artikulieren?7 Sind sie also Extremist*innen oder Demokrat*innen? In Anbe- tracht von Adornos Warnung ist die Frage nach Pegida und der Demokratie jedoch gerade nicht als Entscheidungsfrage zu stellen. Zu fragen ist stattdessen danach, ob die Bewegung die Demokratie innerhalb des formal-demokratischen Rahmens aushöhlen könnten. Dazu wäre grundsätzlich zu erläutern, was Pegida-Teilnehmende – aber auch jene, die Pegida zu deuten versuchen – unter Demokratie überhaupt verstehen. Diese Arbeit soll zur Klärung zumindest der ersten Frage beitragen.8 2 Theodor W. Adorno, „Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit?“, in Eingriffe / neun kritische Mo- delle, von dems. (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1964), 126. 3 Thomas de Maizière, zit. nach: FAZ/dpa/AFP, „Ein Jahr Pegida: ‚Bleiben Sie weg von denen, die Hass in unser Land spritzen‘“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Oktober 2015, http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/ein-jahr-pegida-harte-rechtsextremisten-13863942.html. 4 Sascha Lobo, „Die Mensch-Maschine: Nichts sehen, nichts hören, viel sagen“, Spiegel Online, 17. Dezem- ber 2014, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/sascha-lobo-ueber-pegida-der-latenznazi-a-1008971.html. 5 Vgl. Philip Meinhold, „Die Nazis haben den Ruf der Nazis so versaut, dass heute nicht mal mehr Nazis Nazis sein wollen.“, microblog, Twitter, (15. Dezember 2014), https://twitter.com/Philip_Meinhold/status/544577804814532608. 6 Vgl. Hans Vorländer, Maik Herold, und Steven Schäller, PEGIDA / Entwicklung, Zusammensetzung und Deutung einer Empörungsbewegung (Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden, 2016), 104, http://link.springer.com/10.1007/978-3-658-10982-0. 7 Vgl. Werner J. Patzelt, „Die Verortung von Pegida / Edel sei der Volkswille“, Frankfurter Allgemeine Zei- tung, 21. Januar 2015, http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/die-verortung-von-pegida-edel-sei-der- volkswille-13381221.html?printPagedArticle=true#pageIndex_2. 8 Beiträge zum Demokratieverständnis der Teilnehmenden der Debatte über Pegida liefern unter anderem Francesca Barp und Hannah Eitel, „Weil die Mitte in der Mitte liegt. Warum Pegida mit dem Extremismus- Paradigma nicht zu erklären ist und es zur Verharmlosung der Bewegung beiträgt“, in Pegida als Spiegel und Projektionsfläche, hg. von Tino Heim, im Erscheinen (Wiesbaden: Springer VS, 2016); Tino Heim, „Politi- scher Fetischismus und die Dynamik wechselseitiger Projektionen / Das Verhältnis von Pegida, Politik und Massenmedien als Symptom multipler Krisen“, in Pegida als Spiegel und Projektionsfläche, hg. von dems., 4 Die Pegida-Bewegung versammelt sich seit Oktober 2014 mit wenigen Ausnahmen jeden Montag in Dresden. Neben konkreten Einzelforderungen, die sich um das Themengebiet Asyl, Immigration, Islam und ‚Fremde‘ gruppieren, demonstriert sie für grundlegende Prinzipien wie Meinungsfreiheit und Volkssouveränität und in diesem Zusammenhang für Strukturreformen, etwa die Einführung von Plebisziten.9 Denn Pegida versteht sich als Ausdruck eines demokratischen Mehrheitswillens in Deutschland, der von der politischen Elite nicht beachtet wird und dessen Anerkennung und Ausführung sie daher fordert.10 Die Bewegung selbst positioniert sich dabei regelmäßig gegen jegliche Form der Diktatur und gegen Extremismus und versteht sich als Widerstand gegen antidemokratische Politi- ker*innen, Entscheidungen, Strukturen und kulturelle Einflüsse. Wie der einleitende Wi- derstreit in Forschung und Publizistik zeigt, kann dies einerseits als falsche Selbst- wahrnehmung kritisiert oder andererseits als teilweise zutreffende Einschätzung interpretiert werden. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt nun nicht darin, Pegida nach ordnungspolitischen Kriterien auf ihre Verfassungstreue zu überprüfen. Es geht nicht darum, sie vom Vorwurf des Extremismus freizusprechen oder sie als extremistisch zu ‚enttarnen‘, sondern: Mein Erkenntnisinteresse besteht in der Frage, welches Verständnis von Demokratie Pegida hat, und wie ihre Forderungen und Kritiken damit im Zusammen- hang stehen. Wie stellt Pegida Dresden sich eine gute demokratische Ordnung vor?
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