LUCY O’BRIEN . Like an Icon Buch

Madonna Ciccone ist die bestverdienende Sängerin aller Zeiten. Sie ist eine der berühmtesten lebenden Pop-Ikonen, wahrschein- lich sogar die bekannteste Frau auf der Welt. Wie kaum eine an- dere Künstlerin prägte Madonna die Popkultur des 20. Jahrhun- derts. Seit über 25 Jahren ist sie eine der meistfotografierten und meistdiskutierten Frauen der Welt. Lucy O’Brien beleuchtet in ihrer ausführlich recherchierten Biographie die faszinierende Lebensgeschichte dieser einzigartigen Künstlerin. Sie hinterfragt bestehende Klischees, analysiert ihre Musik und führt aufschluss- reiche Interviews mit Musikern und Produzenten, die mit Ma- donna gearbeitet und sich noch nie so offen zu ihr geäußert ha- ben. O’Brien zeigt, wie sehr Madonna unsere Kultur beeinflusst hat und in welchem Maße sie Tanz, Film, visuelle Kunst, The- ater und Fotografie einsetzt. Außerdem erfahren wir, wie und vor allen Dingen warum Madonna sich immer wieder neu erfin- det. Zudem führte O’Brien Interviews mit Künstlerinnen wie Tori Amos, Laurie Anderson, Jeanette Winterson und Tracey Emin, um den kulturellen Kontext sichtbar zu machen, in dem Madon- na wurde, was sie ist. »Madonna. Like an Icon« ist ganz einfach die definitive Madonna-Biographie.

Autorin

Lucy O’Brien schreibt seit den frühen 80er-Jahren über Musik, Feminismus und Popkultur. Bevor sie für verschiedene Magazine und Zeitschriften wie »NME«, »Sunday Times«, »Marie Claire« und »« schrieb, spielte sie in einer Punkband. Sie hat bereits erfolgreiche Biographien über Dusty Springfield und Annie Lennox verfasst sowie eine preisgekrönte Geschichte der Frauen in Rock, Pop und Soul. Lucy O’Brien lehrt Medien- und Kommunikationswissenschaft am Londoner Goldsmith’s Col- lege und an der Westminster University und lebt mit ihrem Mann, einem Musiker, und ihren zwei Kindern in London. Lucy O’Brien MADONNA Like an Icon

Die Biographie

Aus dem Englischen von Winfried Czech und Frauke Meier Die Originalausgabe erschien 2007 unter dem Titel »Madonna. Like an Icon« bei Bantam Press, an imprint of Transworld Publishers, London.

SGS-COC-1940

Verlagsgruppe Random House fsc-deu-0100 Das für dieses Buch verwendete fsc-zertifizierte Papier München Super liefert Mochenwangen.

1. Auflage Deutsche Erstveröffentlichung April 2008 Copyright © der Originalausgabe 2007 by Lucy O’Brien Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2008 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Umschlaggestaltung: Design Team München Umschlagfoto: Armando Gallo/ Retna Ltd./Intertopics Redaktion: Kerstin von Dobschütz NG . Herstellung: Str. Satz: DTP Service Apel, Hannover Druck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck Printed in Germany ISBN: 978-3-442-46660-3

www.goldmann-verlag.de Für Malcolm, Erran und Maya und Dorothy O’Brien (1906–1951)

Inhaltsverzeichnis

Danksagung ...... 009 Einführung ...... 011

Buch I: Die Taufe 1 Tod ...... 023 2 Ein magischer Ort ...... 041 3 Arroganz und Dreistigkeit ...... 067 4 Jam Hot ...... 095

Buch II: Das Geständnis 5 Krank und verdorben ...... 125 6 Wie ich aufhörte, mir Sorgen zu machen, und Madonna lieben lernte ...... 138 7 Make-up à la Hollywood ...... 155 8 Und wo bin ich in dem Bild? ...... 178 9 Die Sünde ist in dir ...... 197 10 Reine, nackte Haut ...... 221 11 Der gefallene Engel ...... 250 12 Ich nehme nur das auf, was ich brauche . . . . . 294 Buch III: Die Absolution 13 Bits und Nullen und Einsen ...... 331 14 Feste arbeiten, Feste feiern ...... 369 15 Popstar-Mama ...... 403 16 , American Wife ...... 426 17 Abba auf Drogen ...... 446 18 Von Gott gekommen ...... 474

Anhang Zitatnachweis ...... 497 Ausgewählte Bibliografie ...... 521 Diskografie ...... 525 Videos, Filme, Theaterstücke und Bücher ...... 547 Bildnachweis ...... 555 Register ...... 559 Danksagung

Als Erstem und ganz besonders danke ich Malcolm Boyle für seine Liebe, seinen Humor und seine Inspiration. Ein Riesen- dank geht an meinen Rechercheur Rob Diament (Leadsänger und Songwriter der Band Temposhark und Besitzer eines ein- drucksvollen Madonna-Archivs). Wann immer es schwierig wurde, haben mich seine Intelligenz und sein Enthusiasmus inspiriert. Dank auch an meine Agentin Jane Turnbull sowie an meine Lektoren und Lektorinnen Doug Young und Sarah Ems- ley von Bantam Press und Mauro DiPreta von HarperCollins US für ihre Unterstützung und ihren Glauben an dieses Buch. Ein weiterer Dank geht an Robert Sabella für seine Hilfe und sein Fachwissen. Als Nächstes danke ich meinen Interviewpartnern, die aus- nahmslos alle so großzügig waren, mir ihre Zeit zu opfern und mit mir ihre Erinnerungen auszutauschen. Was mich dabei überraschte, war die erstaunliche Kraft der Kreativität und der Energie von so vielen Menschen, die Madonna gekannt und mit ihr gearbeitet haben. Die Fülle des Materials, das ich auf diese Weise erhielt, war so überwältigend, dass nicht alles in dieses Buch einfließen konnte. Im Einzelnen geht mein Dank an: Edward Acker, Lorenzo Agius, Tori Amos, Nancy Andersen, Camille Barbone, Andre Betts, Jimmy Bralower, Ginger Canzo- neri, Louise Carolin, Ingrid Chavez, Gardner Cole, Pablo Cook, Wendy Cooling, Marie Cooper, Wyn Cooper, Andrae Crouch,

 Kevin Cummins, Marius De Vries, Bill DeYoung, Kim Drayton, Johnny Dynell, Andy Earle, Julia Eccleshare, Brigitte Echols, Ul- rich Edel, Deborah Feingold, James Foley, Geoff Foster, Randy Frank, Bruce Gaitsch, Salim Gauwloos, Jon Gordon, , Ramon Hertz, Richard Hojna, Barney Hoskyns, Anthony Jack- son, Mark Kamins, Mihran Kirakosyan, Danny Kleinman, Pearl Lang, Brian McCollum, Melodie McDaniel, Alex Magno, Bob Magnusson, , Charles Melcher, Bill Meyers, Peter Mor- se, Rick Nowells, Melinda Patton, Guy Pratt, Princess Julia, Ra- istalla, Tim Rice, Dustin Robertson, Sandy Robertson, Earle Se- bastian, Susan Seidelman, Tony Shimkin, Guy Sigsworth, Peter Sparling, Billy Steinberg, Peggy Vance, Carlton Wilborn, Doug Wimbish, Dick Witts und Peter York. Des Weiteren danke ich vielmals Heather Bradford, Sarah Cheang, Wendy Fonarow, Louise Kerr, Adrian Neale, Susan O’Brien, Daniel Theo und Jane Turner für ihre wunderbare Hil- fe bei der Recherche. Und zum Schluss – aber deshalb nicht we- niger herzlich – gehen meine Liebe und mein Dank an meine Familie für alles, was sie mir gegeben hat. Einführung

Es war das Jahr 1985, in dem ich zum Madonna-Fan wurde. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich eines Abends ins Zimmer meiner Freundin trat, die Fernsehen schaute, und mich neben sie setzte. »Was läuft gerade?«, erkundigte ich mich. »Das ist Madonna. Sie zieht ihre Show ab«, erwiderte sie. »Oh, nein!« Fast wäre ich auf der Stelle wieder verschwunden. Für mich war Madonna lediglich diese käsig blasse Poptussi, die sich für das Video zu Like a Virgin, in Kunstfasern geklei- det, lasziv in einer venezianischen Gondel räkelte. »Nein, war- te doch«, sagte meine Freundin. »Sie ist wirklich ziemlich gut. Ziemlich lustig. Sie hat irgendetwas an sich, das sehr anzie- hend ist.« Also sah ich weiter zu. Und schon nach wenigen Minuten hatte es mich gepackt. Die Frau, die in den Top of the Pops wie ein hilfloses Starlet wirkte, hatte offenbar doch einige Stär- ken und Fähigkeiten zu bieten. Und tatsächlich war es gerade das Video ihrer Like a Virgin-Tour gewesen, durch das so viele Menschen zum ersten Mal begriffen, was so faszinierend an ihr war. Sie strahlte eine warme, überschwängliche Energie aus, sie sprach ihr weibliches Publikum auf eine direkte Art an. Sie war etwas pummelig, und es scherte sie kein bisschen. Sie lächelte viel, zwinkerte der Menge zu und lud sie damit ein, sich mit ihr zu amüsieren. Und ihre Musik – rhythmuslastig, tanzbar und dabei mit einer eingängigen Melodie – war sehr ansprechend.

11 Mit der Like a Virgin-Tour hatte sie mein Interesse geweckt, mit dem Film Susan … verzweifelt gesucht gewann sie meine Bewunderung. Sie spielte fröhlich, rotzfrech, unbekümmert. Das war nicht nur ein weiterer künstlicher Retorten-Star, das war sie selbst. Danach vollführte Madonna eine Reihe gezielter Verwandlungen, vom wasserstoffblonden Vamp der True Blue- Ära Mitte der 80er zur dunkelhaarigen geheimnisvollen Verfüh- rerin in Like a Prayer. Für ein ehemals katholisches Mädchen war Letzteres sehr inspirierend. Das Video der Blonde Ambiti- on-Tour mit einer reumütigen Madonna in seinem riesigen Kir- chenschiff ließ mir das Herz stocken. Es folgten der kommerzielle Glanz des Films Dick Tracy so- wie die dekadente Eleganz des Videos zu Justify My Love, von Jean-Baptiste Mondino in einem anonymen Pariser Hotel in Schwarzweiß gefilmt, der unverblümte Spaß von Vogue, dem Soundtrack für einen Sommer des Tanzes, sowie die Enthül- lungen in Madonnas -Buch und in der Dokumentation Truth or Dare, in Deutschland unter dem Titel In Bed with Ma- donna erschienen. Sie sagte einmal über sich, »ich ziehe es vor, den Leuten im Gedächtnis zu bleiben, statt in Vergessenheit zu geraten«, aber damals, im Jahr 1992, ging sie damit selbst für ihre treuesten Fans bis hart an die Schmerzgrenze. Trotzdem bewunderte ich auch weiterhin ihren Abenteuer- geist, ihre Furchtlosigkeit und die Art, wie sie in ihrem Werk al- ternative kulturelle Lebensentwürfe meisterte – von den S&M- Lesben in ihrem Sex-Buch über die gelungene Darstellung einer Schwulen- in Confessions on a Dancefloor bis hin zu dem Video zu Like a Prayer, wo sie einen schwarzen Christus voll auf den Mund küsste. All das tat Madonna stets mit einem wa- chen Auge darauf, dass sie auch für den Mainstream populär blieb. Für ihre Hauptrolle in dem Film beispielsweise ver- wandelte sie sich in eine konventionellere Hollywood-Ikone. Nachdem sie Mutter geworden war, schien es beinahe, als seien ihre rebellischen Tage vorüber und sie bodenständig geworden,

12 doch dann veröffentlichte sie 1998 das wagemutig experimen- telle Album und 2001 Music. Mit diesen Platten ge- wann sie ihre ersten Grammy Awards und wurde endlich von der Rock-Gemeinde als ernsthafte Künstlerin anerkannt.

Seit der Tour Who’s That Girl im Jahr 1988 habe ich jede Live- Show von Madonna gesehen und ihre künstlerische Entwick- lung verfolgt. Ebenso habe ich ihren persönlichen Werdegang beobachtet, in dem ich viele Parallelen zu dem meinigen ent- deckte. Wir gehören derselben Generation an. Wie Madonna war auch ich ein moralisch gestraucheltes katholisches Mäd- chen, das stark vom Feminismus angetrieben wurde. Ich spielte in einer reinen Mädchenband und lernte den Kitzel eines Auf- tritts vor Publikum kennen. Wie sie fühlte ich mich zum Punk und zur Underground-Clubszene hingezogen. Wie sie konzen- trierte ich mich auf meine Karriere, bis ich später meinen Le- benspartner traf und heiratete. Wie sie brachte ich nach meinem vierzigsten Lebensjahr zwei Kinder (ein Mädchen und einen Jungen) zur Welt. In vielerlei Hinsicht ist ihre Geschichte ty- pisch für meine Generation. Sie zeigt, wie der Feminismus uns Frauen Mut machte, uns aber gleichzeitig – trotz des Kampfes um unsere Freiheit – immer noch ein scharfer Konflikt zwi- schen unserer Arbeit und unserer Rolle als Mutter bevorstand. Mit ihrer Musik und Kunst sagt Madonna eine Menge dar­ über aus, was es heißt, eine Frau zu sein. Sie kleidet das Thema in eine Alltagssprache und versteckt es bis zur Unkenntlichkeit in diversen Bildern, bringt damit aber jedes Mal eine Saite zum Schwingen. Als Songwriterin, die sich auf Künstlerinnen kon- zentriert hat, fasziniert sie mich stets aufs Neue. Was mich be- sonders beeindruckt, ist ihre Einzigartigkeit. Sie verfügt nicht über die Stimmgewalt einer Billie Holiday oder Ella Fitzgerald, und sie hat auch nicht eine ganze Generation mit rauem Rock ’n’ Roll wie Janis Joplin oder Patti Smith infiziert, aber ihre atemberaubende Bandbreite macht sie zu einer überragenden

13 Erscheinung in der zeitgenössischen Musik. Wie eine diebische Elster im Kulturbetrieb hat sie sich unzähliger unterschiedlicher Quellen bedient und all diese musikalischen Einflüsse zu einer eigenen Vision gebündelt. Schon das allein ist ein Kunstwerk. »Ich bin das Ergebnis von Kunst. Ich bin Kunst. Je suis l’art«, hat Madonna einmal gegenüber Sébastien Foucan gesagt, dem Helden der Stadtparkours-Szene, einem der wichtigsten Tänzer ihrer Confessions-Tour. Angesichts ihres provozierenden Medi- enimages wird gern übersehen, was Madonna als Musikerin und Künstlerin wirklich motiviert. »Es gibt sehr talentierte Sän- gerinnen, die einen Produzenten anheuern und dann von ihm erwarten, dass er die gesamte Arbeit für sie übernimmt«, sagt Guy Sigsworth, einer der Produzenten ihres futuristischen, zur Jahrtausendwende erschienenen Albums Music. »Sie singen die fertigen Songs drei Mal im Studio und gehen dann wieder nach Hause. Madonna gehört nicht zu diesem Typ von Künstle- rinnen. Sie ist zutiefst in den gesamten künstlerischen Prozess eingebunden, sowohl in kreativer Form wie auch in ihrer Funk- tion als Produzentin. Dieser Umstand wird von all denjenigen ignoriert, die ausschließlich auf ihr Image fixiert sind. All die Hits, die sie landete, sind nicht nur dadurch zu Stande gekom- men, dass sie zwanzig Jahre lang ihr äußeres Erscheinungsbild gepflegt hat.« Es ist diese Musik, kombiniert mit einer merkwürdigen, durchdringenden Schönheit, mitreißender Energie und äußerst theatralisch inszenierten Shows, die Madonna zu einer nahezu religiösen Ikone gemacht hat. Als »unbefleckte Empfängnis«, wie der mit ihr befreundete Schauspieler Rupert Everett sie ti- tulierte, wird sie von vielen Fans geradezu angebetet. »Ihre ex- trem hellblauen Augen standen seltsam weit auseinander«, er- zählte er über ihre erste Begegnung in den Achtzigern. »Noch etwas weiter, und sie würden wahnsinnig wirken oder wie das Produkt einer inzestuösen Beziehung. Man erstarrte regelrecht, wenn sie sich auf einen richteten. Sie war in keinerlei Hinsicht

14 auf eine konventionelle Weise schön, eher ein bisschen so wie ein Picasso … umgeben von einem Energiefeld, das sich wie eine Welle in den Raum ergoss und jeden hinwegspülte, auf den sie traf.« Der Popstar Madonna erschien als die dem 20. Jahrhun- dert gemäße Version einer uralten Ikone. Wo die ursprüngliche Jungfrau Bescheidenheit und Reinheit symbolisierte, predigte diese Madonna dagegen sexuelle Selbstverwirklichung und Spi- ritualität. Für die Autorin Camille Paglia »hat sie die beiden ge- trennten Aspekte der Weiblichkeit – hier die Heilige Jungfrau und Mutter Gottes, Maria, dort die Sünderin und Hure Ma- ria Magdalena – wieder miteinander vereinigt und versöhnt«. Dem pflichtet die Songwriterin Tori Amos bei und fügt hinzu: »Ich denke, dass die Vereinigung der Aspekte ›Madonna‹, ›Hei- lige Jungfrau‹ und Sex den Neustart des historischen Madon- na-Computers bedeutete. Er stand für ein allgemeines sexuel- les Erwachen christlicher Mädchen – katholischer, protestan- tischer, mormonischer und baptistischer Mädchen – und was auch immer es sonst noch an christlichen Glaubensrichtungen gibt. Der Umstand, dass eine Frau namens Madonna die Text- zeile ›Like a Virgin‹ sang, gewann eine Bedeutung, die nicht unter den Teppich gekehrt werden konnte, ebenso wenig wie die Auswirkungen, die es hatte, dass überall auf der Welt kleine Mädchen in den Song mit einstimmten.«

Oft wurde die Frage gestellt, wer eigentlich die »wahre« Madon­ na ist. Das vorherrschende negative Stereotyp ist das einer pu- blikumssüchtigen manipulativen Nervensäge. Für viele Frauen dagegen ist Madonna eine Leuchtfigur des Feminismus. Ich habe ihr Werk immer als geradlinig und autobiographisch empfunden, ihre Persönlichkeit dagegen als komplex und be- stürzend sprunghaft. Nachdem ich bereits die Biographien von solchen für den Feminismus zentralen Künstlerinnen wie Dusty Springfield oder Annie Lennox geschrieben und eine geschicht-

15 liche Abhandlung von Frauen im Musikgeschäft verfasst hatte, wollte ich immer zum Kern dessen vorstoßen, was Madonna antreibt. Letztendlich ist sie mit über 200 Millionen verkauften Alben weltweit und 58 Top-Ten-Titeln allein in Großbritannien die kommerziell erfolgreichste Künstlerin aller Zeiten. Seit dem Erscheinen von Like a Virgin habe ich ein persön- liches Archiv über Madonna aufgebaut, und im Jahr 2005 be- gann ich mit der Arbeit an einem Buch über sie. Ich wollte mir ihr Leben und ihr Werk vor Augen führen, während sie auf die fünfzig zuging – welche Fragen würde das aufwerfen? Wie war es ihr gelungen, bis zu diesem Zeitpunkt eine besonde- re Ästhetik zu erschaffen und zu bewahren, die verschiedene Generationen ansprach? Was war ihr wirkliches Ich? Verwirrt von ihrer widersprüchlichen Persönlichkeit – Vamp, vornehme Dame, Kabbalah-Adeptin und Schamanin –, suchte ich nach einem Anhaltspunkt, um sie zu verstehen. Madonna ist mehr als ein Konglomerat postmoderner Elemente. Sie ist eine Frau aus Fleisch und Blut, aber ihre wechselvolle Identität macht sie zu einem Rätsel. Wann immer ich in eine solche Zwickmühle gerate, ziehe ich mich auf die Musik zurück. Musik hinterlässt einen seelischen Abdruck. In den hörbaren Aufzeichnungen finden sich die Welt und der Geist des Künstlers wieder. Ausgehend von dieser Prä- misse hörte ich mir Madonnas komplettes musikalisches Werk an und stieß auf eine fesselnde Geschichte. Ob nun in Anleh- nung an die katholische Liturgie wie in Like a Prayer, in den dunklen Abgründen in Erotica oder dem tranceartigen Glühen in Confessions on a Dancefloor, in dem sich Madonnas Stimme in der Musik regelrecht auflöst, stets war sie unterwegs auf ih- rer persönlichen Reise. Manchmal verhielt sie sich trotzig oder führte ein Melodram auf, aber häufig wehrte sie sich durch die Musik gegen erlittene Schmerzen und benutzte sie für ihre Su- che nach Freude. Ich wollte mehr darüber in Erfahrung bringen, wie sie die-

16 se Reise gestaltete, und während ich das tat, trat ich meine ei- gene an. Sie führte mich von den modernsten Aufnahmestu- dios zu einer Wohnung in Hornsey im Norden Londons, wo Doug Wimbish und die Tackhead-Leute von der Post-Punk- Ära noch immer rumhängen. Ich klapperte mit einer von Ma- donnas Schulkameradinnen diverse Bruchbuden in Michigan ab und durchstreifte die windigen Straßen Detroits. Ich inter- viewte Regisseure am Beckenrand von Swimmingpools in L.A. und fuhr nach New York, um mich mit früheren Freunden und Mitstreitern von Madonna zu treffen. Ich wanderte durch das ländliche Wiltshire und schritt durch die plüschigen Räume des Kabbalah-Zentrums in London. Ich unterhielt mich mit Tän- zern, Choreografen, Musikern und Produzenten – all den Leu- ten, die mit Madonna gearbeitet hatten. Und auf dieser Rei- se erinnerte ich mich an meine eigene katholische Herkunft und an meine Großmutter, die jung gestorben war, nachdem sie sechs Kinder zur Welt gebracht hatte. Ich dachte darüber nach, was es bedeutet, eine Frau einer bestimmten Generation zu sein, geboren im Jahrzehnt des Feminismus, des Punks und der Schwulenbewegung. Und was es bedeutet, in fortgeschrit- tenem Alter Mutter zu werden. Wie der Umstand, Mutter einer Tochter zu sein, eine Frau dazu animiert, sich mit aller Macht dafür einzusetzen, es diesmal richtig zu machen. Meine Nachforschungen über Madonna wurden zu einer nervenaufreibenden Suche. Ich gewann ständig zwei starke, sich widersprechende Eindrücke von ihr. Auf der einen Seite das Bild einer Frau, die rücksichtslos ihren Weg geht und un- sanft mit ihrer Konkurrenz umspringt, auf der anderen Seite das Bild einer Frau, die ich so bisher noch nie wahrgenom- men hatte – niedlich, kindlich und bezaubernd. »In der Öf- fentlichkeit und überall da, wo sie unter Beobachtung steht, gibt sie sich unnahbar, baut eine Mauer um sich herum auf«, erzählte mir der mit ihr befreundete Regisseur James Foley. »Sie wirkt arrogant, als hätte sie Starallüren. Aber wenn sie nach

17 Hause kommt und aus dem Mantel schlüpft, ist es, als streifte sie damit gleichzeitig diese Persönlichkeit ab. Dann verändert sich sogar ihre Aussprache. Aus dem nachgemachten britischen Englisch wird das Amerikanisch eines Mädchens aus Detroit.« Ginge es nur um die Diskrepanz zwischen öffentlichem und privatem Auftreten, wäre dieser Wechsel verständlich. Aber Ma- donna springt auf eine komplexere Art und Weise zwischen diesen beiden Persönlichkeiten hin und her. Ich habe lange ge- braucht, um das Rätsel zu lösen, bis ich mit der Arbeit an die- sem Buch fast am Ende war.

In Interviews wirkt Madonna stets vorsichtig und etwas gestelzt, als »sei sie ihr eigenes Sekretariat«, wie es Norman Mailer ein- mal ausdrückte. Von ihrem berühmten Sinn für Humor, den so viele ihrer Mitarbeiter erwähnen, ist da kaum etwas zu spü- ren. Genauso kann sie sich auch gegenüber Freunden verhal- ten; selbst Ehemänner und Liebhaber verwirrt sie mit undurch- schaubaren Spielchen. Aber jede Menge Leute, die mit ihr gear- beitet haben, sprechen von ihrer menschlichen Wärme und ih- rer entspannten, natürlichen Art. Ist sie also schizophren? Erst als ich Filmaufnahmen von Proben für die Confessions-Tour mit ihr sah, fiel bei mir endlich der Groschen. Madonna wirkte ge- löst und glücklich. Sie war nicht geschminkt, bequem und ein- fach gekleidet, aber man konnte sehen, wie das Tanzen und Singen jede Zelle ihres Körpers regelrecht glühen ließ. Nur während der Arbeit scheint sie wirklich sie selbst zu sein. Abseits davon trägt sie häufig eine Maske, ist ihr Verhalten kon- trolliert. Wenn sie aber in den kreativen Prozess eintritt, fal- len die Masken und Verstellungen, und zum Vorschein kommt sie selbst. Dann ist Madonna von einem Moment zum ande- ren die Summe all dessen, was sie jemals beeinflusst hat. Sie nimmt diese Einflüsse in sich auf – ob sie nun aus dem Kino, der Clubszene, der Literatur oder der visuellen Kunst stam- men – und lässt sich davon durchfluten. Der Welt gegenüber

18 teilt sie sich vor allen Dingen und in erster Linie als Tänzerin mit; auf diese Weise verarbeitet und interpretiert sie die auf sie einströmenden Eindrücke. Und was dabei herauskommt, ist nicht zufällig, chaotisch oder beliebig. Das Ergebnis ist in ihrer Welt mit einer Ästhetik verknüpft, die sie ihr Leben lang gestal- tet und gepflegt hat. Wie alle bedeutenden Diven lässt auch Madonna ihr Leben vollständig in ihre Arbeit einfließen. Von ihrer katholisch ge- prägten Kindheit über den Tod ihrer Mutter, dem furchtbaren sexuellen Übergriff in New York, den vehementen Anfein- dungen nach der Veröffentlichung des Sex-Buches bis hin zur Erlösung, die sie in ihrer Mutterrolle gefunden hat, ist Madon- nas Leben ihr Werk, die Grundlage ihrer Existenz. 2006 machte sie weltweit Schlagzeilen, als sie den dreizehn Monate alten David Banda aus einem Waisenhaus in Malawi adoptierte. Dieser Schritt löste eine hitzige Kontroverse darüber aus, ob sie aus einem sozialen Gewissen heraus oder nur aus rein egoistischen Gründen gehandelt hatte. Verletzt von der auf sie niederprasselnden Kritik sagte Madonna im privaten Kreis: »Seit dem Erscheinen meines Sex-Buches Anfang der 90er ist mir nicht mehr so viel Hass entgegengeschlagen. Womit habe ich das nur verdient?« Ihr Stil ist kontrovers, ihr Ehrgeiz ungebrochen, aber noch immer verwandelt sie ihr Leben ständig und obligatorisch in faszinierende Pop-Art. Wie ihr früherer Freund, der Produzent Steve Bray, es formulierte: »Am besten war sie immer darin, dich völlig zu dominieren und dich gleichzeitig irgendwie dazu zu bringen, diesen Zustand auch noch zu genießen.« Madonna ist zu einer Göttin ihrer Zeit und zu einer Ikone geworden, die wir alle gemeinsam erschaffen haben. Dies ist ihre Geschichte.

Lucy O’Brien London, 2007

Buch I: Die Taufe

UNVERKÄUFLICHE LESEPROBE

Lucy O'Brien Madonna. Like an Icon Die Biographie

DEUTSCHE ERSTAUSGABE

Paperback, Broschur, 576 Seiten, 13,5 x 20,6 cm ISBN: 978-3-442-46660-3

Goldmann

Erscheinungstermin: März 2008

Madonna wird 50! – Die definitive Biographie zum Geburtstag der Pop-Ikone am 16.8.2008

Madonna Ritchie Ciccone ist eine der größten Pop-Ikonen und berühmtesten Frauen unserer Zeit. Lucy O’Brien analysiert die faszinierende Lebensgeschichte dieser einzigartigen Künstlerin, die sich immer wieder neu erfunden hat und regelmäßig die internationalen Charts dominiert. Madonnas schwierige Kindheit wird ebenso beleuchtet wie ihre ersten wilden Jahre in New York, die Skandale und Provokationen in den 1990er Jahren, ihre Verwandlung zur englischen Lady, ihre Ehe mit und die viel diskutierte Adoption eines Kindes aus Malawi.

• Aktuell, umfassend, mit vielen bislang unveröffentlichten Fotos und zahlreichen Interviews.

• Ein Muss für alle Fans der erfolgreichsten Künstlerin, die es je gab.