<<

Sport

Vielleicht ist das Bild beiläufig entstan - den. Vielleicht auch nicht. Bilder haben NATIONALMANNSCHAFT Macht. In jedem Fall hat das Foto von der Kanzlerin und Özil eine besondere Geschichte. Kanzlerin im Sperrgebiet Seit der WM vor vier Jahren ist die Na - tionalmannschaft der größte Sympathie - Wie es zum Foto von Angela Merkel und Mesut Özil kam träger im Land, und das aktuelle Team gilt auch noch als Musterbeispiel für gelunge - ne Integration: Mesut Özil, , elmut Kohl war der sechste Kanz - Merkel ist ein Fan geworden und gibt , Jérôme Boateng, Cacau, ler der Bundesrepublik, aber der die unbekümmerte Mutter der National - , 8 von 20 Nationalspielern Herste, der ins Heiligtum des deut - elf. Als sie die Mannschaft im Kanzleramt haben einen Migrationshintergrund. Und schen Fußballs vordrang: in die Kabine empfing, servierte sie schon mal gegrillte das in Zeiten der Integrationsdebatte, der der Nationalmannschaft. Helmut Kohl, Hähnchen und Pizza vom Lieferservice. Sarrazin-Thesen, der Geschichten über der wuchtige Pfälzer. Wer auch sonst? Die Spieler schätzen, dass Merkel so Mietverträge mit Islam-Klausel. Am 29. Juni 1986 passierte es, Deutsch - locker ist. Es wundert sich auch niemand Es kann einem Politiker nicht schaden, land hatte gerade in Mexiko das Finale mehr darüber, dass sie hin und wieder, sich im Kreise dieser Mannschaft, einer der Weltmeisterschaft gegen Argentinien wie Helmut Kohl, in der Kabine erscheint. Art Musterdeutschland, zu zeigen. verloren. Der ehemals schlanke Mittel - Am Freitag vorvergangener Woche, Drei Tage vor dem Länderspiel gegen läufer der SV Phönix 03 Ludwigshafen nach dem Länderspiel gegen die Türkei die Türkei überreichte Bundespräsident drückte bei der Siegerehrung auf der Eh - in Berlin, schaute sie erneut vorbei. Aber Wulff im Schloss Bellevue Bundestrainer rentribüne Karl-Heinz Rummenigge an dieses Mal war es anders als sonst. Joachim Löw das Bundesverdienstkreuz, die Brust, Klaus Augenthaler und Hans- Peter Briegel; Felix Magath versuchte noch, sich abzuwenden. Kurz darauf gab es für Kohl in der Umkleide Champagner. Er stand zwischen den Spielern und trank aus einem Pappbecher. Er war an dem Abend der einzige Gewinner. Er hatte Neuland betreten. In den Jahren darauf wurde Kohl zum Stammgast in der Spielerkabine. 1996 besuchte er das Team während der Euro - pa meisterschaft in England. „Helmut, senk den Steuersatz!“, sangen die Spieler nach dem 2:1 im Finale gegen Tschechien. Als Mehmet Scholl später gefragt wurde, wie es denn war, mit dem Kanzler der Einheit in der Umkleide, antwortete er: „Eng.“ Die Kabine der deutschen National - mannschaft ist ihre Privatsphäre, eigent - lich soll nichts, was drinnen gesagt oder getan wird, nach außen dringen. Sie ist ein Sperrgebiet für die Öffentlichkeit, ein A P D

Ort, der geheimer sein soll als das Bun - /

N N deskanzleramt. A M G

Es gibt kein Foto, das Kohl in der Um - R E B

kleide mit den Spielern zeigt, an diesen O D I U

Ehrenkodex hat er sich immer gehalten. G Sein Nachfolger Gerhard Schröder, ein Nationalspieler Özil, Kanzlerin Merkel: Pizza und halbe Hähnchen großer Fußballfan, wartete nach dem WM-Finale 2002 vor der Kabine. Er hielt Merkel kam nach dem Spiel in die Um - und die Spieler erhielten das Silberne Lor - staatsmännische Distanz. kleidekabine, sie hatte Bundespräsident beerblatt. Wulff hatte das nach der WM Von Angela Merkel kann man das nicht Christian Wulff im Schlepptau. Und sie in Südafrika angekündigt, am zwölften behaupten. brachte einen Fotografen mit. Es war ein Tag seiner Amtszeit. So schnell war lange Bis zur Weltmeisterschaft 2006 in Mann vom Bundespresseamt, und er kein Präsident mehr mit einem Orden zur Deutschland hatte Merkel von Fußball machte seine Arbeit. Stelle. noch kaum Ahnung; Thomas Steg, ehe - Zwei seiner Bilder wurden in den Die Sportler standen bei der Verlei - mals stellvertretender Regierungsspre - nächsten Tagen veröffentlicht. Auf einem hung etwas verloren rum, Löw sagte hin - cher, malte ihr auf einem Blatt Papier auf, sieht man Merkel mit Miroslav Klose, terher, er hätte lieber trainiert. Die Kanz - wie eine Viererkette aussieht und wie deutscher Torjäger, in Polen geboren. Das lerin unterhielt sich mit Oliver Bierhoff, daraus eine Raute wird. Mittlerweile weiß zweite zeigt, wie die Kanzlerin Mesut dem Manager der Nationalelf, die beiden die Kanzlerin genau, welchen Spieler Özil die Hand schüttelt, dem deutschen haben ein gutes Verhältnis, sie schicken welche Verletzung plagt. Sie flog dem Mittelfeldstar mit den türkischen Wurzeln. sich SMS. Mal sehen, sagte Merkel ihm, Team zur Weltmeisterschaft in Südafrika Merkel trägt ein grünes Sakko und grinst, eventuell komme sie am Freitag spontan hinterher. Bei jedem Tor sprang sie auf Özil trägt obenrum gar nichts und guckt, in die Kabine. In dem Gespräch fiel auch der Tribüne freudig aus dem Sitz. als wisse er nicht recht, wie ihm geschieht. der Name Wulff.

158 % &$ ! 42/2010 Nach dem Abpfiff am Freitag machte sie sich dann, ganz spontan, auf den Weg. Zusammen mit Regierungssprecher Stef - fen Seibert und Wulff betrat Merkel die Umkleide. Mit dabei waren auch Wulffs 16-jährige Tochter Annalena und der Fo - tograf Guido Bergmann. Darüber waren die Leute vom DFB einigermaßen er - staunt. Beide waren nicht angekündigt, und beide haben in der Kabine nichts ver - loren. Aber niemand traute sich, ihnen den Zugang zu verwehren. Guido Bergmann fotografiert für das Archiv des Bundespresseamts, er doku - mentiert offizielle Termine wie Staats - empfänge, Festakte, Vertragsunterzeich - nungen. Er begleitete Merkel und Wulff im Stadion, wo sie waren, war er auch. Weil der Bundespräsident protokollarisch über der Kanzlerin steht, hätte er primär ihn fotografieren müssen, aber irgendwie war Wulff diesmal nur Statist. Als Merkel in die Umkleide marschier - te, „bin ich einfach mal mitgegangen“, sagt Bergmann. „Niemand hat mich auf - gehalten. Es war wohl nichts dagegen ein - zuwenden.“ Die Kanzlerin hätte nein sa - gen können. Tat sie aber nicht. Am Morgen nach dem Länderspiel ge - gen die Türkei meldete sich das Bundes - presseamt, die Chefin vom Dienst, bei Harald Stenger, dem Pressesprecher der Nationalmannschaft: Man habe zwei Bil - der, die man gern an die Agenturen wei - terleiten wolle. Das macht das Bundes - presseamt nur in Ausnahmefällen. Der Auftrag für den Anruf bei Stenger kam von ganz oben, von Regierungssprecher Seibert. Stenger sagte, er könne sich ausnahms - weise vorstellen, die Fotos freizugeben, müsse sich aber erst noch mit Bierhoff und Löw abstimmen. Sie gaben später ihr Okay. „Wir haben das getan, weil das Foto mit der Kanzlerin und Mesut Özil ein Bild mit besonderer Symbolkraft und von gesellschaftspolitischer Bedeutung ist“, sagt Stenger. „Es steht für Integra- tion, für die Rolle, die der Fußball dabei spielt, für die Bedeutung der National - mannschaft. Deshalb haben wir das Tabu gebrochen.“ Wahrscheinlich dachte Angela Merkel genauso. Man könnte auch sagen: Eine Hand wäscht die andere. Steffen Seibert, der Regierungsspre - cher, sagt, es habe nie die Absicht be - standen, „ein Integrationsbild“ zu ma - chen, das Motiv mit Özil sei „ein foto - grafischer Zufall“. Er habe das Bild ausgewählt, weil Özil wie Klose ein Torschütze war. Möglicherweise wird es nie wieder so ein Foto geben, und wenn doch, dann wird es eine Weile dauern. Bis zur Euro - pameisterschaft in zwei Jahren ist kein Besuch der Kanzlerin in der Kabine ge - plant. M G%"&& '#%

% &$ ! 42/2010 159