Institut für Technikfolgen- abschätzung und Systemanalyse TECHNIKFOLGENABSCHÄTZUNG Theorie und Praxis 19. Jahrgang, Heft 2 – Juli 2010

Editorial 3

Schwerpunkt : ein Thermostat für die Erde? G. Sardemann, A. Grunwald: Einführung in den Schwerpunkt 4 G. Sardemann: Die Welt aus den Angeln heben. Zur Geschichte 8 des Climate Engineering T. Wiertz, D. Reichwein: Climate Engineering zwischen 17 Klimapolitik und Völkerrecht: Status quo und Perspektiven T. Leisner, St. Müller-Klieser: Aerosolbasierte Methoden des 25 Climate Engineering. Eine Bewertung K. Ott: Argumente für und wider „Climate Engineering“. 32 Versuch einer Kartierung A. Oschlies: Weitere Diskussion erforderlich! Bericht von der 42 „Asilomar International Conference on Climate Intervention “ Chr. Rösch, M. Achternbosch, J. Schippl, G. Sardemann: Climate 43

Engineering Light. Natürliche Prozesse der CO2-Speicherung

TA-Projekte S. Höller, P. Viebahn: Kritische Abschätzung der CO2- 53 Lagerkapazitäten in Deutschland. Ein Beitrag für den öffentlichen Diskurs um CCS als Klimaschutzoption O. Hurtig, L. Leible: Mobil mit Biomasse. Techno-ökonomischer 59 Vergleich des Einsatzes von Strom, SNG und Fischer-Tropsch- Kraftstoff aus Biomasse im Pkw-Bereich R. Bräutigam: Forschung im Bereich der Entwicklung Neuer 62 Materialien. Das Spannungsfeld zwischen wissenschaftlicher Profilbildung und Technologietransfer – das Projekt InnoMat

TA-Konzepte und -Methoden R. van Est, B. Walhout: Waiting for Nano – Very Actively. 67 A Long-term View on the Role of the Rathenau Institute in Stimulating the Dutch Debate on M. Nentwich: Technikfolgenabschätzung 2.0 74

Fortsetzung Seite 2 Technikfolgenabschätzung • Assessment

Fortsetzung des Inhaltsverzeichnisses

TA-Institution H. Shiroyama: Limits of Past Practices and Possible Future 80 Institutionalization of TA in Japan

Diskussionsforum R. Meyer: Politik oder Markt: Wer soll über die Nutzung der 84 Grünen Gentechnik entscheiden? Anmerkungen zum Beitrag von Christoph Willers in TATuP

Rezensionen B. Launder, M. Thompson (eds.): Geo-Engineer­ing Climate 89 Change: Environmental Necessity or Pandora’s Box? (Rezension von T. Wiertz) B. Bürgler: Demokratische Legitimität in der internationalen 91 Umweltpolitik (Rezension von A. Rechkemmer) B. Pötter: Tatort Klimawandel. Täter, Opfer und Profiteure einer 94 globalen Revolution (Rezension von G. Sardemann) G. Banse, E.-O. Reher (Hg.): Allgemeine Technologie – 96 Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft G. Banse, E.-O. Reher (Hg.): Fortschritte bei der Herausbildung der Allgemeinen Technologie G. Banse, E.-O. Reher (Hg.): Allgemeine Technologie – verallgemeinertes Fachwissen und konkretisiertes Orientierungswissen zur Technologie (Sammelrezension von K. Krug)

Tagungsberichte Die Ethisierung der Technik und ihre Bedeutung für die 101 Technikfolgenabschätzung. 10. Österreichische TA-Konferenz (Wien, Österreich, 31. Mai – 1. Juni 2010) (von K. Mader und G. Kamp) Eco-efficiency for sustainability. Report on the rd3 International 104 Conference on Eco-Efficiency (Egmond aan Zee, The Netherlands, June 9–11, 2010) (by R. Meyer and W.-R. Poganietz) Die Asse säuft ab – Gorleben was nun? Bericht von der 107 „Fachtagung zum Salzstock“ (Dannenberg, 16.–17. April 2010) (von S. Kuppler) Wissenschaftlicher Nachhaltigkeitsdialog zwischen Polen und 110 Deutschland. Bericht von der III. Polnisch-Deutschen Konferenz „Nachhaltige Entwicklung – von der wissenschaftlichen Forschung zur politischen Umsetzung“ (Katowice, 25.–27. November 2009) (von M. Wachowiak)

ITAS-News 113

TAB-News 123

Netzwerk TA 128

Veranstaltungen 133

Seite 2 Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010

EDITORIAL

EDITORIAL

Der Turmbau zu Babel gilt noch heute als die dürfte manchem schwer über die Lippen kom- paradigmatische Geschichte der Selbstüber- men. Die Idee, die Erdatmosphäre technisch zu schätzung des Menschen. Ob nun die von Gott kühlen wie ein Büro in einem heißen Sommer verordnete Sprachverwirrung die Ursache des und dabei lediglich andere Mittel zielorientiert Scheiterns war, wie es im biblischen Original anzuwenden, führt zu kontroversen Reaktio- heißt, oder die Entfremdung durch Lohnarbeit, nen. Sie reichen von Empörung, besonders bei wie Fritz Lang in dem Film „Metropolis“ die Umweltengagierten, die vor unkontrollierbaren Babel-Geschichte gedeutet hat: Scheitern bleibt Entwicklungen warnen, bis hin zu Gefühlen der Scheitern. In beiden Deutungen jedenfalls lag Erleichterung, dass es auf diese Weise gelingen das Scheitern des Turmbaus von Babel nicht in könnte, einen dramatischen Klimawandel doch der Technik (etwa in Stabilitäts- oder Material- noch zu verhindern. Angesichts der wahrhaft problemen), sondern im sozialen Kontext be- globalen Dimension eines Climate Engineering gründet. Andere Beispiele dagegen zeigen, dass ist diese Mischung aus Schauder und Faszination auch Technik selbst menschlichen Träumen der psychologisch sicher verständlich. Machbarkeit und des garantierten Erfolgs einen Hybris-Befürchtungen und Warnungen, Streich spielen kann. Technikfolgenabschätzung dass der Mensch nicht „Gott spielen“ dürfe, sind kann ein Lied davon singen, wie nicht intendierte jedoch für sich keine Argumente. Wo sollten be- Folgen von Technik immer wieder die beabsich- lastbare Kriterien auch herkommen, mit denen tigten positiven Effekte konterkarieren. geprüft werden kann, was Hybris ist und was Befürchtungen des Scheiterns gehören heu- nicht? Hybris-Warnungen drücken Intuitionen, te zur gesellschaftlichen Debatte hochfliegender Befindlichkeiten und Sorgen aus. Diese sind als technischer und wissenschaftlicher Pläne; häufig solche ernst zu nehmen und sorgfältig zu prüfen, treten sie bereits in ihrem Vorfeld oder in frü- sie ersetzen jedoch nicht belastbare Argumente. hen Phasen auf. Bei besonders weitreichenden Hinter manchen Befindlichkeiten mögen reale Ambitionen und gerade angesichts „grandioser“ Probleme stehen, hinter anderen jedoch vielleicht Vorhaben wird immer wieder vor menschlicher nicht. Diese Unterschiede gilt es herauszufinden Hybris und Selbstüberschätzung gewarnt. In – und dazu will dieses Heft für den Bereich des Climate Engineering einen Einstieg erlauben. schöner Gleichzeitigkeit werden einerseits futu- ristische, teils utopisch anmutende Visionen über (Armin Grunwald) zukünftige technische Möglichkeiten erzählt, andererseits aber auch Warnungen kommuni- « » ziert, die sehr grundsätzlich mit „Playing-God“- Vorwürfen operieren. Unterschwellig oder offen wird dabei gar nicht so selten an den Turmbau im alttestamentarischen Babel erinnert. Gerade hat Craig Venter behauptet, das erste künstliche Lebewesen geschaffen zu haben, jeden- falls das erste Lebewesen mit künstlichem Erbgut. Die Synthetische Biologie, zu deren Vätern Venter gehört, ist eines der aktuellen Felder, in denen von „homo creator“ gesprochen und dabei befürchtet wird, dass Menschen „Gott spielen“. Auch das Thema des Schwerpunkts dieses Heftes steht bei Kritikern im Verdacht der Hy- bris. Allein das Wort „Climate Engineering“

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Durch Climate Engineering wird das Klimasy-Klimasy- SCHWERPUNKT stem als Ganzes zum Objekt gezielter technischer Beeinflussung gemacht. Dabei soll mit gewoll- ten, global und langfristig wirksamen Maßnah- Climate Engineering: ein men dem erwarteten Klimawandel gegengesteu- ert werden – verbunden mit der Hoffnung, dass Thermostat für die Erde? dadurch seine Folgen bewältigbar bleiben. Im Grunde geht es darum, mit global eingesetzten Techniken die Atmosphäre künstlich zu „küh- Einführung in den Schwerpunkt len“, um der Erderwärmung entgegen zu wirken. Technisch gibt es drei konzeptionelle Ansätze: von Gerhard Sardemann und Armin (1) Es könnte die von der Sonne zur Erde kom- Grunwald, ITAS mende Strahlungsenergie durch eine Ab- schattung mittels Folien im Weltraum redu- Der anthropogen verursachte Klimawandel ziert werden. gehört zu den großen Themen der Gegenwart. (2) Es könnte die planetare „Albedo“ der Erde Angesichts der schleppenden klimapoliti- gesteigert werden, so dass von der einge- schen Schritte, der Trägheit der Umstellung auf nichtfossile Energiequellen, des auf ökolo- strahlten Sonnenergie ein höherer Anteil in gische Belange wenig Rücksicht nehmenden den Weltraum reflektiert würde und somit Wirtschaftswachstums in vielen Industrie- nur ein kleinerer Teil von der Atmosphäre und Schwellenländern und einer weiter wach- absorbiert würde. Technisch könnte dies bei- senden Erdbevölkerung mit zunehmendem spielsweise durch gezielte Einbringung von Energiehunger mehren sich die Zweifel, dass Aerosolen in die Stratosphäre realisiert wer- sich das Zwei-Grad-Ziel auch unter günsti- den (Leisner, Müller-Klieser in diesem Heft), gen weiteren Entwicklungen überhaupt noch aber auch Maßnahmen wie das „Weiß-Strei- erreichen lässt. Rückkopplungseffekte könn- chen“ von Straßen oder Hausdächern gehö- ten zu einer Welt mit klimatischen Bedingun- ren in diese Kategorie. gen führen, die in weiten Teilen für den Men- (3) Es könnte versucht werden, der Atmosphäre schen nicht mehr tragbar sind. Angesichts in großem Umfang Kohlendioxid zu entzie- dieser Möglichkeiten ist es verständlich, dass hen und zu lagern oder weiterzuverwenden – jenseits der bekannten Vermeidungs- und (zu regionalen als Alternative zu globalen An- Anpassungsstrategien – nach weiteren Mög- sätzen, die an Nebenfolgen reich sind, siehe lichkeiten gesucht wird, den Klimawandel zu Achternbosch et al. in diesem Heft). bewältigen. In diesem Zusammenhang ist die nicht ganz neue Idee des „Geoengineering“ Von den klassischen auf den Menschen fokussie- in die Diskussion gekommen (zur Geschichte renden Ansätzen zum Umgang mit dem Klima- vgl. Sardemann in diesem Schwerpunkt). Seit wandel („Adaptation“ und „Mitigation“)Mitigation“) unter-unter- der Nobelpreisträger Paul Crutzen (2006) die scheidet sich das „Climate Engineering“ durch absichtliche Beeinflussung des Klimas als einen prinzipiell anderen Blick allein auf das „ultima ratio“ vorgeschlagen hat, um den Kli- Klimasystem: Dieses wird mit den Augen des In- mawandel abzumildern oder gar zu vermei- genieurs betrachtet. Es werden „Stellschrauben“ den, ist international eine Debatte in Gang gesucht (z. B. Aerosole und ihre Konzentration), gekommen, die bislang vorwiegend in den Wissenschaften geführt wird. In Abgrenzung mit denen auf das System eingewirkt werden von anderen Formen eines „Geoengineering“ soll. Damit wäre �����������������������������Climate Engineering ����������alles an- wollen wir in diesem Schwerpunkt, da es um dere als ein „sanfter“ Eingriff in natürliche Ab- die gezielte Beeinflussung des Klimas mit läufe (Meyer-Abich 1984), sondern eine massive technischen Mitteln geht, von „�������������Climate Engi- Intervention. Bereits die bloße Idee des Climate neering“ sprechen. Engineering zeugt von einer Wiederkehr (oder

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einem Weiterleben) sehr weitgehender Kontroll- lösen könnten, könnte ein rasch wirkendes ����Cli- wünsche des Menschen über die Natur. mate Engineering möglicherweise katastrophale Vor dem Hintergrund der ökologischen Entwicklungen verhindern oder abfedern helfen Debatten der letzten Jahrzehnte und mancher – zumindest für eine begrenzte Zeitspanne. negativer Erfahrungen mit Technikfolgen ist es Alle diese Argumente, Erwartungen und keine Überraschung, dass die Betrachtung der Befürchtungen operieren in einem Ozean des Atmosphäre als System, das gezielt gesteuert Nichtwissens. Weder über die technischen Op- oder beeinflusst werden solle, sofort Sorgen vor tionen, ihre ökologischen und ökonomische neuen und unbekannten Nebenfolgen solcher Seiten, die politische Umsetzbarkeit noch über Maßnahmen weckt. Wachsen die Herrschaft des rechtliche Fragen (dazu Wiertz, Reichwein in Menschen über die Natur und seine Eingriffs- diesem Heft) besteht auch nur annähernde Klar- möglichkeiten weiter, so wachsen auch Größe, heit. Folgende Risikotypen, die jeweils mit ei- Auswirkungen und Reichweite möglicher Risi- genen Unsicherheiten und Beständen an Nicht- ken. Anzeichen von Empörung sind zu erken- wissen verbunden sind, können nach Grunwald nen – besonders bei Umweltengagierten, die (2010) unterschieden werden: von menschlicher Hybris reden und vor unkon- trollierbaren Entwicklungen warnen. Würde die • Risiken der vorbereitenden Experimente: Ex- historische Erfahrung, dass jede Technik auch perimente sind notwendig, um die Wissensde- nicht intendierte Folgen hat, nicht auch für ����Cli- fizite zu beheben. Zumindest einige dieser Ex- mate Engineering gelten? Wer sagt, dass diese perimente müssten in der realen Atmosphäre Technologie, die nicht intendierte Folgen bis- gemacht und hinreichend großskalig ausgelegt heriger Technik kompensieren soll, nicht selbst werden, um daraus lernen zu können. Bereits wieder nicht intendierte und nicht vorhergesehe- diese Experimente könnten ungewollte und ne, vielleicht auch nicht vorhersehbare Folgen möglicherweise nicht auf einen kleinen Be- haben wird? Dieser Gedanke ist kein Argument reich beschränkte Folgen haben. per se gegen das Climate Engineering, macht • Risiken im politischen Prozess: Climate������������� Engi- aber deutlich, dass „der Einsatz steigt“ – und da- neering ��������������������������������������erfordert, weil es eine globale Tech- mit die Verantwortung zunimmt. nologie mit globalen Folgen wäre, „Global Umgekehrt gibt es aber auch Gefühle der Governance“. Da es jedoch wie beim politipoliti-- Hoffnung, dass es mittels Climate EngineerEngineer-- schen Umgang mit dem Klimawandel Gewin- ing vielleicht einen rettenden Strohhalm gebe, ner und Verlierer sowie unterschiedliche In- trotz der Unzulänglichkeit der bisherigen Be- teressen gibt (vgl. die jüngste Kopenhagener mühungen um Mitigation einen dramatischen UN-Klimakonfe­renz), kann es zu politischen Klimawandel noch zu verhindern. Auch eine Konflikten (etwa durch das Vorpreschen ein- Art Erleichterung kommt vor: Man könnte sich zelner wirtschaftlich mächtiger Staaten) oder vielleicht die Mühen und ökonomischen Kosten zu Entscheidungsblockaden kommen. von Mitigation und Adaptation sparen. Und es • Rechtliche Unsicherheiten: In weitgehender gibt das bereits erwähnte Argument von Crut- Abwesenheit einer „Global Governance“ gibt zen, das dafür spricht, die technischen Optionen es zurzeit keine Vorstellung, wie ein „����Cli- eines „Climate Engineering“ zumindest durch mate Engineering“ völkerrechtlich umgesetzt Forschung in Bezug auf Potenziale und Risiken werden könnte (Wiertz, Reichwein in diesem näher zu untersuchen: „Climate Engineering“, Heft). Die Beeinflussung der Atmosphäre als insbesondere das Aerosol-Verfahren, könnte eine Bestandteil der Global��������������������������� Commons �������������hat weitrei- Art „Notfalltechnologie“ sein. Für den Fall, dass chende völkerrechtliche Implikationen. Vermeidungsstrategien nicht ausreichen, um das • Risiken im Betrieb: Aufgrund bislang nicht Klima in einem für Menschen verträglichen Be- bekannter Wechselwirkungen könnte es zu reich zu halten, oder im Fall plötzlicher unvor- unvorhergesehenen ökologischen oder atmo- hergesehener systemischer Effekte, die eine er- sphärischen Effekten kommen. Angesichts der hebliche Beschleunigung des Klimawandels aus- langen Zeit, über die ein Climate Engineering

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aufrechterhalten werden müsste, sind derarti- Zu all diesen Fragen besteht ohne Zweifel erheb- ge Szenarien sorgfältig zu prüfen. licher Forschungsbedarf, genauso offensichtlich • Risiken in der Aufrechterhaltung über lange besteht Bedarf an ethischer Reflexion über die Zeit: Da das Climate������������������������������ Engineering����������� über Jahr- abzuwägende Verantwortbarkeit und deren Kri- hunderte oder Jahrtausende hinweg angewen- terien (Ott in diesem Heft). Angesichts der schie- det werden müsste, ist es notwendig, dass ren Größe der Herausforderung und der ebenfalls auch die politischen und ökonomischen Vor- schieren Größe der involvierten Verantwortungs- aussetzungen dafür aufrecht erhalten werden, fragen ist es nicht überraschend, dass die invol- was erhebliche Anforderungen an die gesell- vierten Wissenschaftler und Industrievertreter schaftliche Stabilität einschließt. bereits eine internationale Konferenz zu diesen • Risiken eines Betriebsabbruchs: Wenn der Fragen veranstaltet und dafür den geschichts- Betrieb eines globalen Climate-Engineering- trächtigen Ort Asilomar in Kanada gewählt ha- Systems für längere Zeit eingestellt oder ganz ben (Oschlies in diesem Heft). abgebrochen werden müsste (z. B. aufgrund Das vermutlich größte Risiko des Climate mangelnder Ressourcen oder eines Krieges, Engineering könnte jedoch ein ganz anderes sein, oder aufgrund erst später erkannter negativer eines, das mit der Technik des Climate����������������� Engineer- Umweltfolgen), so würde dies vermutlich zu ing ��������������������������������������������als solcher wenig zu tun hat. Climate������������� Engi- einem raschen Ansteigen der Erdmitteltem- neering ����������������������������������������könnte dazu verleiten, Vermeidungsstra- peratur führen, da der Kühlungseffekt schnell tegien mit weniger Ernst zu verfolgen, könnte gar nachlassen würde. Dies würde große Teile eine Haltung des „Weiter-so!“ in Bezug auf die Nutzung fossiler Energieträger motivieren und der Menschheit vor erhebliche Herausforde- Umsteuerungsstrategien zu einer nachhaltigen rungen stellen. Energieversorgung konterkarieren. Die Autobau- • Risiko durch Missbrauch: Climate Engineer-Engineer- er z. B. könnten den Systemwandel hinausschie- ing �����������������������������������������könnte auch für feindselige Zwecke miss- ben und die Energieversorgungsunternehmen braucht oder einseitig ohne Rücksicht auf die bräuchten nicht über CO -arme Kraftwerke nach- Nebenfolgen in anderen Ländern eingesetzt 2 zudenken. Das größte Risiko der Kommunikati- werden. Generell jedoch sind Missbrauchsbe- on ist, dass eine „neue Sorglosigkeit“ im blinden fürchtungen keine starken Argumente gegen Vertrauen auf technische Lösungen einzieht, dass die Technologie per se, sondern eher Appel- Vermeidungsstrategien es schwerer haben kön- le oder dem Ruf nach Verpflichtungen, durch nen, und dass daraus, wenn die �������������Climate-Engi- die Gestaltung von Climate Engineering und neering-Maßnahmen������������������������������������� nun doch nicht funktionie- sorgfältiger Überwachung entsprechenden ren oder inakzeptable Nebenwirkungen haben, Möglichkeiten vorzubeugen. eine nahezu ausweglose Situation entstehen kann. • Unsicherheiten in klimapolitischer Hinsicht: Auf der politischen Ebene ist das Thema Die Auswirkungen von Climate Engineering noch kaum angekommen. Es gibt erste Selbstver- auf das internationale Klimaschutzregime sind ständigungen im Wissenschaftssystem, so z. B. im schwer abzuschätzen. In den bisherigen Ver- „Nationalkomitee Global-Change-Forschung“, in handlungen zur Klimarahmenkonvention hat der „Deutschen Forschungsgemeinschaft“ und in diese Option keine Rolle gespielt. „Climate����������� En- der britischen „Royal Society“. Im US-amerika- gineering��������������������������������������“ als technische Option der Industrie- nischen Repräsentantenhaus hat es kürzlich eine länder dürfte weitere Diskussionen zu Gerech- Anhörung gegeben. Das Büro für Technikfolgen- tigkeitsfragen in Gang setzten – insbesondere, Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) wenn es um die genau wie beim Klimawandel wurde im Juni dieses Jahres mit einer Studie für selbst ungleich verteilten regionalen Auswir- den Deutschen Bundestag beauftragt. Bislang sind kungen geht. Andererseits könnten auch die sämtliche Stellungnahmen vorsichtig und zurück- Schwellenländer durchaus ein Interesse daran haltend. Sie betonen die Notwendigkeiten wei- entwickeln, durch Climate Engineering ihre terer Forschung der technischen Optionen, aber Entwicklungsmöglichkeiten zu „verbessern“. auch die Untersuchung der Risiken. Dass Tech-

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nikfolgenabschätzung und Ethik einschließlich Literatur sozioökonomischer, rechtlicher und politikwis- Crutzen, P.J., 2006: �����������������������������Albedo Enhancements by Strat- senschaftlicher Untersuchungen wesentliche Bei- ospheric Sulfur Injections: A Contribution to Resolve träge zu einer umfassenden Beurteilung des ����Cli- a Policy Dilemma? In: Climatic Change 77 (2006), S. mate Engineering leisten müssen, ist unbestritten. 211–219 Vor dem geschilderten Hintergrund ist das Meyer-Abich, K.M., 1984: Wege zum Frieden mit der Hauptziel dieses Schwerpunktheftes, eine Einfüh- Natur – Praktische Naturphilosophie für die Umwelt- rung in die laufende und weiter an Fahrt gewin- politik. München nende Debatte über das Climate Engineering zu Grunwald, A., 2010: Der Einsatz steigt. Globale Ri- geben. Diese Einführung kann nicht umfassend siken. In: Politische Ökologie 120 (2010), S. 37–41 sein – dafür ist die wissenschaftliche Entwicklung schon zu umfangreich geworden. Sie beansprucht Kontakt aber, die aus Sicht der Technikfolgenabschätzung Dipl.-Meteorologe Gerhard Sardemann wesentlichen Fragen anzusprechen. So geht es um Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Institut für Technikfolgenabschätzung und System- 1. die Geschichte des Climate Engineering und analyse (ITAS) des Geoengineering (Sardemann), die deutlich Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe zeigt, in welch hohem Maße Kontrollwünsche Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 27 34 Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 06 des Menschen über die Natur involviert sind; E-Mail: [email protected] 2. ausgewählte technische Optionen des Climate Engineering auf globaler Ebene und seiner Auswirkungen unter besonderer Berücksichti- « » gung der Unsicherheiten, insbesondere bezo- gen auf die Forschungen zu Aerosolen (Leis- ner, Müller-Klieser); 3. kleinteiligere und regional einsetzbare Kon- zepte eines Climate Engineering, die sich der CO -Bindung widmen (so z. B. über ein „����Cli- 2 Weitere Links mate Farming“ durch Ausdehnung der Wald- Eine Sammlung weiterführender Links zum und Moorflächen und die Kultivierung von Thema Climate Engineering findet sich auf den Mikroalgen in Achternbosch et al.); Global-Change-Seiten der ITAS-Homepage: 4. die rechtlichen, insbesondere die völkerrecht- http://www.itas.fzk.de/eng/infum/gch_CE.htm. lichen Fragen im Bezug auf das �������������Climate Engi- neering (Wiertz, Reichwein) und 5. eine Reflexion des Climate Engineering in ethischer Hinsicht (Ott). Mit diesem Schwerpunkt beteiligt sich TATuP an der aktuellen Debatte über Climate- und Geo- engineering. Der Schwerpunkt soll dazu beitra- gen, dass dieses Thema auch aus Perspektive der Technikfolgenabschätzung in den Wissen- schaften und der interessierten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen und diskutiert wird. Um diese Debatte konstruktiv fortsetzen zu können, müsste ein Teil der relevanten Facetten des Cli- mate Engineering auch vertieft erforscht werden.

Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 7 SCHWERPUNKT

Die Welt aus den Angeln heben damaligen Sowjetunion mit der Verbesserung Zur Geschichte des Climate Engineering (улучшение) oder Beeinflussung (воздействие) des Klimas, wobei die Entwicklung dort der ame- rikanischen zum Teil voranging. Auf die sowjeti- von Gerhard Sardemann, ITAS schen Beiträge wurde man im Westen erst durch Ein knapper Abriss der Geschichte des Cli����- die amerikanischen Übersetzungen und Biblio- mate Engineering ���������������������������wird in diesem Beitrag ge- graphien aufmerksam, die im Übrigen vor allem liefert. Er handelt im Wesentlichen von der deswegen angefertigt wurden, um über den Geg- Entwicklung des Wunsches des Menschen, ner im Kalten Krieg Bescheid zu wissen. seine Umwelt zu kontrollieren und zu verbes- Der geschichtlichen Entwicklung des Geo- sern. Der Abriss beginnt bei den frühen Ver- engineering hat sich insbesondere James Rodger suchen des Regenmachens und reicht von Fleming als ausgewiesener „Klimahistoriker“ den Ideen, die Oberfläche der Erde durch den mit einer Zahl kritischer Arbeiten angenommen, Bau von Dämmen und Kanälen zu verändern und Meeresströmungen umzulenken bis hin in denen er die militärische Vergangenheit des zu Eingriffen in die Zirkulation der Atmosphä- Geoengineering betont (Fleming 1998, ders. re, die insbesondere nach der Einführung von 2004, ders. 2006, ders. 2007). Auch Spencer Computern und Computermodellen möglich Weart gibt in seinem im Internet offen zugäng- schienen. Climate Engineering als „„techno-�������techno- lichen Werk „The Discovery of Global WarmWarm-- logical fix“ für ungewollte Beeinträchtigun-Beeinträchtigun- ing“ interessante Einblicke in die Geschichte des gen des Klimas und der Atmosphäre durch Geoengineering (Weart 2009). die auf Technik basierende Entwicklung des Keith hat in einem Übersichtsartikel den Menschen wird seit Mitte der 1960er Jahre in den USA und der Sowjetunion diskutiert, ist Begriff Geoengineering als eine (a) mit Vorsatz in diesem Sinne aber noch nie realisiert wor- durchgeführte (b) großskalige Manipulation der den. Am Anfang stand die Beeinflussung der Umwelt definiert und als weitere Bedingung Sonneneinstrahlung, während das Manage- hinzugefügt, dass es sich dabei (c) um eine Ge- ment des Kohlenstoffkreislaufes erst in den genmaßnahme oder einen „technological fix“ 1970er Jahren in Erwägung gezogen wurde. handele (Keith 2000). Mit dem Begriff „Climate Engineering“ wird das Thema weiter eingegrenzt auf das Problem des Klimawandels, manchmal 1 Einleitung soll das aber auch nur heißen, dass man sich mit Die Verwendung der Begriffe „Climate����������������� Engineer- dem „Strahlungsmanagement“ (SRM) befasst ing“ und „Geoengineering“ ist erst seit Anfang und nicht mit der Entfernung von Kohlendioxid der 1990er Jahre gebräuchlich. Den Begriff des aus der Atmosphäre (CDR). Wigley (2006) un- „Geoengineering“ im Zusammenhang mit dem terscheidet in diesem Sinne zwischen Climate Klimaproblem gibt es aber schon seit 1977, als Engineering und Carbon Cycle Engineering. er von Marchetti quasi en passant im Titel seiner Bei der Beschäftigung mit den Wurzeln des Climate Engineering wird man sich nicht Arbeit über das Verklappen von CO2 am Mee- resboden eingeführt wurde. Davor, und zwar seit auf Aktivitäten beschränken können, für die alle etwa 1945, spricht man in amerikanischen Publi- drei Faktoren der Keith’schen Definition zutref- kationen von Weather- oder Climate-„Control“ fen. So trifft z. B. auf das „Regenmachen“ (oder bzw. „Modification“. Dabei bedeutet Control von „-verhindern“) nur der ‚Vorsatz‘ zu. Aber gera- vorneherein eine beabsichtigte Beeinflussung, de die in den 1950er Jahren durchgeführten Ver- während es bei Modification, insbesondere wenn suche des „cloud seeding”, ob zu Zwecken der es sich um das Klima handelt, auch um eine un- Bewässerung, im kriegerischen Einsatz oder zur beabsichtigte Beeinflussung durch den Menschen Abwehr von Hurrikanen, zeigen schon deutlich, gehen kann – eben eine, die durch die „anthro- mit welchen grundsätzlichen Schwierigkeiten pogene“ Freisetzung von CO2, Luftschadstoffen, man auch beim Climate Engineering zu rech-rech- Staub oder Wärme hervorgerufen wird. Außer nen haben wird. Das reicht vom Nachweis der in den USA beschäftigte man sich auch in der Wirksamkeit des eingesetzten Verfahrens über

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die vermuteten Nebenfolgen bis hin zu ethischen von Cumulus-Wolken mit Niederschlag führen. und (völker-)rechtlichen Gesichtspunkten. An- Erst 115 Jahre später hat man Feldversuche in dere Vorschläge zur Klimamodifikation, darunter Frankreich und in Afrika durchgeführt (Byers auch solche, die man heutzutage durchaus dem 1974). Übrigens sah Espy die Atmosphäre damals Climate Engineering zurechnet, sind ursprüng-ursprüng- schon als gigantische Wärmekraftmaschine. In lich nicht als Lösung eines Problems vorgebracht seiner „pathological history of weather and clicli-- worden, sondern sollten zunächst nur der Verbes- mate modification“ beginnt für J.R. Fleming mit serung und Optimierung des Klimas dienen. Espy der erste der drei Zyklen von „Promise“ und „Hype“ (Fleming 2006). Dieser erste Zyklus, der ungefähr 100 Jahre andauerte, war in den USA vor 2 Der Glaube versetzt Berge: Wetterschießen und Pluvikultur allem gekennzeichnet durch die Unternehmungen der „pluviculturists�����������������������������������������������������������������������������“, die mit allerlei pseudo-wis- Beginnen wir mit etwas, das mit Climate������������� Engi- senschaftlich verbrämtem Mummenschanz die neering nur die Absicht zur Manipulation gemein Erzeugung von Regen versprachen. hat: das Wetter zu verändern, Unwetter zu ver- hindern oder Trockenheiten zu beenden. Auf den einschlägigen Volks- oder Aberglauben sei hier 3 Die Welt aus den Angeln heben? nur kurz verwiesen. So wurde für jede Art von Den Prototyp des modernen technikgetriebenen Klimastress ein besonderer Heiliger angerufen; Geoengineering findet man bei Jules Verne in sei- was so weit geht, dass es möglich ist, die Zahl nem Roman „Sans Dessus Dessous“ von 1889. von Bittprozessionen und die dabei angebeteten Dieser Roman, auf den auch Fleming (2006) hin- Schutzheiligen als Proxy für das vergangene Kli- weist, handelt von dem Versuch, die Erdachse ma heranzuziehen (Pfister 1999, S. 17). Gegen durch das Abfeuern eines entsprechend massiven drohende Unwetter, insbesondere Hagel, ging Projektils geradezustellen, dadurch das arktische man mit viel Getöse vor und veranstaltete mit Eis abzuschmelzen und der Welt ein gleichmä- Böllern ein Wetterschießen im Glauben, damit ßigeres Klima ohne die lästigen Jahreszeiten zu die Wolken auseinandertreiben zu können. 1750 bescheren. Hauptgrund des irrwitzigen Unterfan- ließ Kaiserin Maria Theresia das Wetterschießen in ihren Landen verbieten, es soll sich aber bis gens war allerdings der Abbau der unter dem Eis heute regional gehalten haben. vermuteten riesigen Kohlevorräte. Was die mathe- Auch die ersten praktischen Versuche zur matischen Grundlagen für das Verfahren angeht, Regenerzeugung in der zweiten Hälfte des 19. so hat sich Jules Verne für diesen Roman eine Jahrhunderts waren mit viel Lärm verbunden. wissenschaftliche Vorlage mit dem Titel „Le Ti- Nachdem schon Plutarch darüber berichtete, dass tan moderne“ von dem französischen Minenbau- 1 es nach großen Schlachten besonders intensiv reg- ingenieur Albert Badoureau ausarbeiten lassen. ne und man dies nach der Einführung des Schieß- Zu den erwarteten Nebenfolgen durch das Gera- pulvers durchaus bestätigt fand, wurden 1890 in destellen der Erdachse gehörten dramatische Än- den USA öffentlich geförderte Tests mit Spreng- derungen des Meeresspiegels und Verne spricht stoff gemacht, der von Ballonen und Raketen in von unvorstellbaren Wanderungsbewegungen die Atmosphäre gebracht und dort gezündet wur- der Erdbewohner. Aufgrund eines Rechenfehlers de. Die Förderung der Versuche wurde aber nach verschwand das von einer Riesenkanone im Kili­ drei Jahren wieder eingestellt, nachdem vor allem mandscharo abgefeuerte Projektil glücklicherwei- Meteorologen Zweifel an der Wissenschaftlich- se wirkungslos im Weltall. Noch im Jahr 1956 keit des Verfahrens vorbrachten (Byers 1974). nahm der amerikanische Vizepräsidentschaftskan- Einen der ersten Vorschläge auf wissen- didat Estes Kefauver dieses Szenario zum Anlass, schaftlicher Basis, bei dem es um die Erzeugung nach der Wirkung einer Wasserstoffbombenex- von Regen ging, machte James P. Espy im Jahr plosion auf die Lage der Erdachse zu fragen. Man 1839: Das Entzünden großer Feuer würde dem- konnte ihn jedoch beruhigen und verwies auf die nach zu lokalen Aufwinden und der Entstehung stabilisierende Wirkung des Äquatorwulstes der

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Erde, was im Übrigen auch schon Jules Verne und nen und hat die Realisierung Atlantropas bis zu Badoureau getan hatten (MacDonald 1969). seinem Tod 1952 betrieben. Durchaus einer Realisierung näher waren Im Grunde schon moderner und weniger Ideen, die tiefer liegenden Teile der unter statisch als diese Vorschläge, die an Wasserspiele Wasser zu setzen, um dort blühende Landschaf- am Strand erinnern, waren die Pläne Thomas Jef- ten zu schaffen. Jules Verne verewigte sie 1905 fersons, die man in seinen 1786 veröffentlichten in seinem Roman „L’invasion de la mer“. Schon gesammelten Papieren nachlesen kann. Er wollte viele Jahre früher, in der Pariser Zeitschrift „La den Isthmus von Panama öffnen, zunächst durch Revue Moderne“ vom November 1869, schlägt einen kleinen Kanal, um danach die Kräfte der Georges Lavigne zu diesem Zweck den Bau ei- Natur walten zu lassen, die durch Strömungen nes Kanals vor, der viel kürzer sein könne als der eine größere Öffnung erzeugen würden. Durch soeben feierlich eröffnete Suez-Kanal. Die Saha- diese Maßnahme wäre vor allem der Schifffahrt ra sei ein Krebs, der an Afrika nage, unheilbar, gedient, insbesondere durch die Eliminierung und man könne sich seiner nur entledigen, indem des Golfstroms, der das Navigieren damals so man ihn ertränke (nach Marçot 2004). Ob die schwer machte (vgl. Fleming 1998, S. 30). Jeffer- son dachte dabei noch nicht an die Auswirkungen Idee nun von Lavigne stammte oder dem Geo- des Golfstroms auf das Klima, aber spätestens graphen Francois Élie Rodaire, jedenfalls mach- Anfang des 20. Jahrhunderts gab es Vorschläge, te sich letzterer mit Unterstützung von Ferdinand den Golfstrom umzulenken, um zu einem gleich- de Lesseps an die Verwirklichung des Projekts, mäßigeren Klima zu kommen. Jedenfalls wettert das nach van Laaks (1999) letztendlich an „allzu 1929 H.A. Marmer in der Geographical Review großer Zögerlichkeit“ scheiterte und sicherlich gegen „the absurdity of the proposals for changing auch daran, dass sich de Lesseps mit dem Bau the course of the Gulf Stream in the interests of a des Panama-Kanals übernommen hatte. Das end- more equable climate“. (Marmer 1929, S. 476)2 gültige Aus kam 1892, aber die Idee selbst wurde In der Sowjetunion dachte man noch in den nicht zu den Akten gelegt und noch etwa 20 Jah- 1960er Jahren daran, die Beringstraße durch ei- re später ist ein Prof. Etchegoyen damit in Paris nen Staudamm abzuriegeln, dort ein riesiges erneut aufgetreten (Thompson 1912). Atomkraftwerk zu bauen, um eine Art künstlichen Das Projekt ist eines der vielen „Weißen Ele- Golfstrom zur Erwärmung des Nordpolarmeeres fanten“, die Dirk van Laak in seinem gleichnami- zu erzeugen (Borisov 1969; van Laak 1999). Die- gen Buch über den Anspruch und das Scheitern ses und andere in diesen Jahren vorgeschlagene technischer Großprojekte im 20. Jahrhundert an- Großprojekte hatten letztlich das Ziel, das Eis des führt (van Laak 1999). Ein anderes war der gigan- Polarmeeres abzuschmelzen und das Klima in tische „Atlantropa-Plan“ des deutschen Architek- den Polarregionen gemäßigter zu gestalten. Man ten Herman Sörgel aus dem Jahr 1927. Durch ei- sah sich hier vom Programm der Kommunisti- nen Damm vor der Straße von Gibraltar sollte das schen Partei angespornt, den Reichtum und die Mittelmeer von der „Frischwasser“-Zufuhr des Kräfte der Natur im Interesse des Volkes zu nut- Atlantiks abgetrennt werden und somit durch den zen und dafür auch Methoden zur Beeinflussung Verlust an Wasser aufgrund der vergleichsweise des Klimas zu entwickeln (Rusin, Flit 1964). hohen Verdunstung an Volumen und Oberfläche abnehmen; dass dabei das untergegangene Atlan- 4 Nun machen wir uns unser Wetter selbst: tis wieder auftauchen würde, hat dem Unterneh- Modellieren und Modifizieren men den Namen gegeben. Sörgel verstand sein Projekt vor allem als Mittel zur Zusammenarbeit Die im Folgenden zitierte Literatur aus der Zeit aller maßgeblichen Völker Europas. „Die zuneh- nach dem 2. Weltkrieg bescherte dem Autor eine mende Kooperation auf allen Gebieten hätte eine Art Déjà-vu-Erlebnis. Schließlich war sie zu langfristige Friedensgarantie bedeutet“ (van Laak einem großen Teil schon zur Abfassung eines 1999, S. 170). Sörgel hatte aber auch keine Skru- Buchbeitrages zur historischen Entwicklung der pel, sein Projekt den Nationalsozialisten anzudie- Wahrnehmung des CO2-Problems herangezogen

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worden (Sardemann 1997), ohne aber dabei zu Study ebenfalls in Princeton wirkte. Es ist das registrieren, dass neben der unbeabsichtigten Verdienst von James R. Fleming, das fast verges- Beeinflussung und Beeinträchtigung der Atmo- sene Papier von Zworykin vom Oktober 1945 mit sphäre durch Landnutzungsänderungen und die dem Titel „Outline of Weather Proposal“ (1945), Freisetzung von Staub und Abgasen fast immer zusammen mit Kommentaren von J. v. Neumann auch deren absichtliche Beeinflussung bis hin und dem aus Südafrika stammenden Ozeanogra- zu einer Kontrolle des Wetters und des Klimas phen Athelstan F. Spilhaus, ausgegraben und in mitgedacht wurde. Diese Kontrollmöglichkeiten der von ihm herausgegebenen Zeitschrift „His����- wurden einerseits als große Chance gesehen, die tory of Meteorology“ veröffentlicht zu haben.3 Umwelt des Menschen zu sichern und zu verbes- In diesem Outline preist Zworykin die Vor- sern, vor allem aber ging es darum, im Kalten teile einer verlässlichen Wettervorhersage, die Krieg den Gegner beeindrucken zu können. angesichts der Entwicklung neuartiger elektro- Mit dem Aufkommen elektronischer Rech- nischer Rechenanlagen und einem wesentlich ner zum Ende des Zweiten Weltkrieges steht die erweiterten meteorologischen Messnetz und mo- exakte Erfassung des Wettergeschehens und die derner Übertragungstechnologien in den Rahmen sichere Wetterprognose als Menetekel am Him- der Möglichkeiten gerückt sei. Er fügt hinzu: „… mel. Allerdings waren es keine Meteorologen, weather prediction based on a scientific knowl- die 1945 diese Hoffnungen schürten und in Ge- edge of the factors influencing weather would danken sogar noch einen Schritt weiter gingen: be the first step in any attempt in the control of „Even the farmer benefitsbenefi ts little by weather prepre-- weather, a goal recognized as eventually possible diction; it would not seem sufficient to tell him, by all foresighted man.” (Zworykin 1945, S. 61). however accurately, that he will starve in the Nach Zworykin waren alle bisherigen Vorschlä- coming season. In weather control meteorology ge, das Wettergeschehen lokal oder global (letz- has a new goal worthy of the greatest effort.” teres bspw. durch das Umlenken des Golfstroms (Zworykin 1945, S. 78) Es soll nun aber nicht oder anderer Meeresströmungen) zu beeinflus- der Faden wieder aufgenommen werden, der sich sen durch einen Mangel an „adequate knowledge von der „Pluvikultur“ weiterspinnt über den im- of cause and effect“ gekennzeichnet (ders. 1945, mensen Entwicklungsaufwand zur lokalen Wet- S. 65). Allerdings gilt das auch für die von ihm terbeeinflussung in den 1950er oder 1960er Jah- selber vorgetragenen Vorschläge. So schlägt er, ren, dem Einsatz während des Vietnamkrieges, den Krieg wohl noch vor Augen, den großflächi- bis hin zu aktuellen Anwendungen beispielswei- gen Einsatz von Flammenwerfern oder die Frei- se zur Kontrolle des Wetters während der Olym- setzung atomarer Energie vor. Die Strahlungs- pischen Sommerspiele 2008 in China. bzw. Wärmebilanz ließe sich durch künstlichen Hier geht es um die 1945 in Princeton in den Nebel, durch Öl auf dem Wasser oder Alumini- USA eingeleitete Entwicklung hin zu einer nume- um oder Ruß („carbon“)carbon“) auf LandflLandflächen ächen beein-beein- rischen Modellierung des Wettergeschehens, der flussen. Meeresströmungen könnten durch Wär- großräumigen Zirkulation der Atmosphäre und mequellen oder -senken, physikalische Barrieren letztendlich des Klimas – mit dem Hintergedan- oder aber Veränderung der Oberflächenbeschaf- ken, hierdurch auch die Folgen eines Eingriffs in fenheit beeinflusst werden. Geographische -Ver das Wettergeschehen oder Klima abschätzbar zu änderungen (z. B. durch die großräumige Beein- machen. Die Initiatoren dieser Entwicklung wa- flussung der Vegetation) hätten ebenfalls weitrei- ren, wie gesagt, keine Meteorologen, sondern es chende Klimaänderungen zur Folge. Zworykin handelte sich um den Fernsehpionier russischer räumt ein, dass eine experimentelle Überprüfung Abstammung Vladimir Kosma Zworykin, damals der genannten Vorschläge äußerst schwierig sei Associate Research Director������������������� des ��������������Radio Corpora- und verweist auf die Möglichkeiten, stattdes- tion of America (RCA) Laboratory in Princeton sen ein „rapidly computing model“ einzusetzen und den in Budapest geborenen Mathematiker (ders. 1945, S. 66). Abschließend findet sich in John von Neuman, der am Manhattan Projekt seinem Outline der Vorschlag zur Schaffung ei- mitgearbeitet hatte und am Institute for Advanced ner internationalen Organisation, in deren Aufga-

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benbereich es einerseits fallen würde, den Scha- auch auf aktuelle Arbeiten sowjetischer Autoren den durch „catastrophic������������������������������������ distur­bances“���������� abzuwen- bezieht. Er weist darin auf die Notwendigkeit den und andererseits „to benefit the world to the hin, unbeabsichtigten Einflüssen der Menschen greatest extent by improved climatic conditions auf die Atmosphäre entgegenzuwirken, wobei where possible.“ Er fügt unter Betonung hinzu: im Kontext seiner weiteren Ausführungen davon „Such����������������������������������������������� an international organization may contrib- auszugehen ist, dass dabei an eine Kompensati- ute to world peace by integrating the world inter- on durch eine ingenieurtechnische Beeinflussung est in a common problem and turning scientific der Atmosphäre und des Klimas gedacht wird: energy to peaceful persuits.” (ders. 1945, S. 68). „The inadvertent influences of man’s activity Von Neumann hat das Thema mit Zworykin may eventually lead to catastrophic influences diskutiert und war überzeugt, dass das Problem on global climate unless ways can be developed der Wettervorhersage eine ideale Anwendung für to compensate for undesired effects. Whether the die neu entwickelten Elektronengehirne wäre, auf time remaining for bringing this problem under denen gerade die Berechnungen zur Wasserstoff- control is a few decades or a century is still an bombe liefen. Das Thema Wetter- und Klima­ open question.” (Fletcher 1969, S. 15). Fletcher beeinflussung greift er übrigens auch in seinem gebraucht in seinem Text übrigens den Begriff häufig zitierten Beitrag Can „ we survive Tech-Tech- “climate machine”, was ja den Zugriff durch den nology?“ 1955 in Fortune auf, wo er allerdings Ingenieur durchaus nahelegt, wohingegen der auch auf gar nicht so friedfertige Wettermodifika- Doyen unter den deutsche Klimatologen, Her- tionen hinweist. Er setzt hier die globalen Folgen aus dem Einsatz von Atomwaffen mit den ebenso mann Flohn, betonte, dass man die Diskussion globalen Folgen von Klimamanipulationen auf von Projekten zur Klimabeeinflussung, die da- eine Stufe (von Neumann 1955, S. 151). mals auch in Deutschland aufgrund der aus den USA herüberschwappenden Nachrichten im Ge- spräch waren, nicht nur Journalisten oder Inge- 5 Einen Mangel beheben nieuren überlassen sollte, „deren hochfliegende Phantasie in keiner Weise durch nüchternes Fach- Die Behebung eines vom Menschen verursach- wissen des Meteorologen eingeschränkt wird“ ten Schadens war im Jahr 1965 das Thema des (Flohn 1970, S. 161). Im selben Aufsatz Flohns Berichts „��������������Restoring the �Q����������������������uality of our Environ- findet sich folgendes Zitat, das die Ziele der Wet- ment“, der vom „Science Advisory Committee“ terkontrolle mit denen des im heutigen Sinne (PSAC) des damaligen US-Präsidenten Johnson gebrauchten Geoengineering zur Behebung der erarbeitet worden war. Um die negativen Auswir- durch menschliche Beeinflussung verursachten kungen eines Anstiegs des CO -Gehalts in der At- 2 Schäden zu versöhnen scheint (wobei man über mosphäre zu kompensieren, wurden von der be- den grammatikalischen Fehler im Original hin- treffenden PSAC-Arbeits­gruppe um Roger Revel- le Geoengineering-Maßnahmen vorgeschlagen. weglesen möge): „Früher oder später muss unter Die Reduktion anthropogener Emissionen oder dem Druck des fortschreitenden Bevölkerungs- wachstums die unbeabsichtigte Klimamodifikati- Entfernung von CO2 aus der Atmosphäre wurde nicht in Erwägung gezogen, stattdessen ging es on in eine geplante, durch Modellrechnungen in um eine Erhöhung der Erdalbedo beispielsweise ihren Effekten vorausberechnete Klimaverbesse- durch das Ausbringen von reflektiven Partikeln rungen übergehen“ (Flohn 1970, S. 163). auf den Ozeanen. Für eine einprozentige Erhö- In jenen Jahren ist es allerdings gar nicht so hung der Albedo wurden pro Jahr 500 Millionen sehr eine CO2-induzierte Klimaerwärmung, ge- Dollar an Kosten veranschlagt (PSAC 1965). gen die man die Methoden der Klimakontrolle Im März des Jahres 1969 fasst Joseph O. in Stellung bringen wollte, schließlich sah man Fletcher, Polarflieger, Geophysiker und Mitarbei- sich sinkenden Temperaturen entgegen, sondern ter der „RAND Corp.“, seine Gedanken zum The- fürchtete auf der einen Seite ganz allgemein die ma „Managing Climatic Ressources“ in einem „Grenzen des Wachstums“ und beobachtete an- internen Papier zusammen, worin er sich häufig dererseits in vielen Regionen der Welt humani-

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täre Katastrophen, die durch die Unbilden des österreichischen Laxenburg (IIASA) verstärkt Klimas verursacht schienen. Gedanken, wo das „Energy Systems Program“ unter Wolfgang Häfele Wissenschaftler aus al- ler Welt anzog. So schrieb William D. Nordhaus 6 Kohlenstoff-Management seine Ideen zu diesem Thema, die er zusammen mit Cesare Marchetti ausgearbeitet hatte, in ei- Im Laufe der 1970er Jahre schwindet der Glaube nem internen IIASA-Bericht nieder (Nordhaus an die Möglichkeiten, die Folgen des anthropoge- 1975). Ausgehend von einer Betrachtung des nen Einflusses auf das Klima durch gewollte Kli- Kohlenstoffkreislaufes und möglicher anderer mabeeinflussung zu kompensieren. So wird im Kontrollstrategien, die er in der unten im Ori- NAS-Bericht aus dem Jahre 1977 mit dem Titel ginal reproduzierten, etwas launigen Tabelle 1 „Energy and Climate” der Vorschlag des PSAC zusammenfasste, geht es Nordhaus um die Fra- aus dem Jahr 1965, die Albedo der Erde durch ge: „…������������������������������������������� how can we limit the concentration of at- das Verteilen reflektiver Partikel auf den- Oze mospheric carbon dioxide to a reasonable level?“ anen zu erhöhen, wegen seiner Nebenwirkungen (Nordhaus 1975, S. 9) Wenn er in der Tabelle von als undurchführbar angesehen: „The disadvan-disadvan- „band-aids“ (Pflaster) spricht, dürfte er damit die tages of such a scheme are obvious and may be im Text genannte Verhüllung arktischen Eises insuperable. The material might eventually pile mittels „gauze“ (Gaze; aber auch: Verbandmull) up on the coastlines of the world, with unaccept- zur Veränderung der Albedo gemeint haben. able environmental consequences, and the effect on fisheries might be disastrous.” (NAS 1977, Tab. 1: Kontrollstrategien4 S. 13) Stattdessen werden Maßnahmen erwogen, das CO2 in Biomasse zu überführen und dort zu speichern. Zum einen denkt man daran, die Sen- kenfunktion des Ozeans zu vergrößern, indem durch Düngung die photosynthetische Produk- tion organischer Kleinstlebewesen erhöht wird. Durch den Einsatz von 10 Mio. Tonnen Phosphor könnten 300 Mio. Tonnen an organischem Koh- lenstoff durch Absinken aus den oberen Was- serschichten entfernt werden. Außerdem geht es um eine Vergrößerung des Baumbestandes in den bestehenden Waldgebieten der Erde, wobei die Entwicklung durch Wirtschafts- und Bevöl- kerungswachstum eher in die entgegengesetzte Richtung, nämlich Verringerung der Waldflächen gehe, oder aber auch um die Anlage von Planta- gen, deren Holz man nach dem Schlagen gegen

Verfall schützen müsse, um das CO2 dauerhaft zu binden. Letzteres hatte 1976 schon Freeman Quelle: Nordhaus 1975, S. 7 J. Dyson vorgeschlagen (Dyson 1976). Anderer- seits sollte es aber auch möglich sein, Biomasse Marchetti schlug damals, ebenfalls in einem energetisch einzusetzen, um damit fossile Brenn- internen IIASA-Bericht (mit der Nummer RM- stoffe einzusparen. Die dadurch zu erreichende 76-17, 1976), zum ersten Mal vor, CO2 aus dem Abgasstrom von Kraftwerken abzutrennen, zu Vermeidung fossiler CO2-Emissionen wird dabei als der vielversprechendere Weg angesehen. verflüssigen und in der Tiefsee zu deponieren. Im darauffolgenden Jahr erschien dieser Bericht Über den Umgang mit CO2 aus einer recht allgemeinen, systemanalytischen Perspektive als Veröffentlichung in der ersten Ausgabe der machte man sich schon um 1975 im Internatio- gerade neu von Stephen H. Schneider gegründe- nal Institute for Applied Systems Analysis im ten Zeitschrift „Climatic Change“. Im Titel des

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Berichts „On Geoengineering and the CO2 Prob- Die Vorstellung vom Wetter und Klima als lem“ (Marchetti 1977) taucht zum ersten Mal etwas den Gesetzen der Mechanik Unterworfe- das Wort „Geoengineering“ im Zusammenhang nem, als Wärmekraftmaschine, mathematischem mit der Lösung des CO2-Problems auf. Marchet- oder Computer-Modell führte zu der Überzeu- ti hält es hier nicht mehr für nötig, diesen Be- gung, man brauche nur an den richtigen Stell- griff im Text einzuführen, im zugrundeliegenden schrauben zu drehen, um zum gewünschten Er- IIASA-Bericht heißt es aber zumindest im Vor- gebnis zu kommen. In den meisten Fällen geht wort, �����������������������������������������Geoegineering���������������������������� sei „a���������������������� kind of ‚system syn- es um eine Verbesserung oder Optimierung der thesis‘ where solutions to global problems are Umwelt des Menschen. Bei den Großprojekten, attempted from a global view”. die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhun- Es scheint aber, dass dieser Begriff in den derts vorgeschlagen wurden, stand die Idee von folgenden Jahren ohne Widerhall bleibt, bevor einem großen Ganzen im Vordergrund, während er 1992 im Jahr der Verabschiedung der Klima- beim modernen Geoengineering oder Climate rahmenkonvention im NAS-Bericht „Policy���������� Im- Engineering ganz partikulär die Problemlösung plications of Greenhouse Warming: Mitigation, der treibende Faktor ist. Adaptation, and the Science Base”��������������� wieder aufge- Viele halten Geo- oder Climate Engineering griffen und als Oberbegriff für nahezu alle heute schon allein deshalb für diskreditiert, weil es sich noch diskutierten Ansätze des Climate����������������� Engineer- bei den Ideengebern häufig um Ingenieure und ing eingeführt wird. Dabei wurde (fast möchte um Militärs handelt. Immer wieder stößt man man hinzufügen: „natürlich“) nicht vergessen, auch in der neueren Zeit auf Namen, die man eher darauf hinzuweisen, dass „… because the climate mit der Entwicklung der Atom- und Wasserstoff- system and its chemistry are poorly understood, bombe verbindet als mit Klimaproblemen. Die these options must be considered extremely care- Anfangszeiten waren zudem von Abenteurern, fully.“ (NAS 1992, S. 59) Als dann 1994 auf dem Scharlatanen und spleenigen Einzelkämpfern „AAAS Annual Meeting“ in San Francisco die bevölkert. Auch wenn von allen Seiten immer Frage gestellt wird „������������������������Could We/Should We Engi- wieder betont wurde und auch immer noch wird, neer the Earth‘s Climate?“, liegt die Benutzung dass die Kontrolle des Wetters und Klimas nur des Begriffs „Climate Engineering“ natürlich in internationaler Zusammenarbeit möglich sein nicht fern. Der einzige Beitrag, der zumindest in sollte, zeigt ein Blick in die Vergangenheit, dass der Ankündigung der Veranstaltung den Begriff immer unilateral und meist mit militärischem „Climate Engineering“ in der Überschrift trägt, Hintergrund agiert wurde. So dürfte Geoengi- stammt übrigens aus dem Los Alamos National neering auch heute noch eine militärische Option Laboratory und enthält den verräterischen Satz: für den Fall sein, dass durch Klimaänderungen „Many Climate Engineering needs match those induzierte Konflikte überhand nehmen sollten. of defense technologies“ (Canavan 1994). Ein Blick in die Vergangenheit zeigt auch, dass immer wieder Ideen bei aus heutiger Sicht 7 Schlussfolgerungen fundamentalem Unwissen in die Welt gesetzt wurden. Auf der einen Seite waren dies Menschen Es ist charakteristisch für Climate Engineering, mit großer Fantasie, aber kaum Fachwissen, de- dass mit der Verbrennung fossiler Brennstoffe nen auf der anderen Seite Fachleute gegenüber- zwar ein Experiment globalen Ausmaßes begon- standen (darunter Meteorologen und Meeres- nen wurde, dass aber alle Vorschläge, die jemals kundler), die zur Zurückhaltung mahnten. Viele eine Klimamodifikation in einer ähnlichen Grö- Ideen sind aufgrund ihrer „Nebenwirkungen“ ßenordnung zum Ziel hatten, von einer Realisie- verworfen worden – teils aufgrund neuerer For- rung weit entfernt waren und immer noch sind. schungsergebnisse, teils aufgrund widersprüchli- Es handelt sich hier also vornehmlich um eine cher Ergebnisse bei Feldexperimenten, wenn sie Geschichte von mehr oder weniger plausiblen denn durchgeführt wurden. Oder es setzte sich Theorien und Ideen sowie von Erfindungen, die der gesunde Menschenverstand durch, nachdem bislang keiner ausprobieren konnte. der erste „hype“ der Idee vorüber war.

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Die hier dargestellten Positionen zur Ge- das im Wesentlichen auf Entwicklungen in den schichte des Climate������������������������������������� Engineering ������������������sind nur eine er- USA, auch wenn viele der ursprünglichen Ideen ste Skizze und der Bias zu Gunsten der US-ameri- aus der Sowjetunion kamen. Dass man dort, bzw. kanischen Literatur ist augenscheinlich. Insbeson- heute in Russland, ebenfalls, ja fast noch stärker dere bei der sowjetischen und russischen Literatur, und vielleicht unbekümmerter, die Tradition der aber auch im nicht-angelsächsischen Sprachraum Wetter- und Klimamodifikation aus der Mitte des wäre genauer zu recherchieren. Wenn wir aller- letzten Jahrhunderts weiterpflegt, zeigt beispiels- dings heute im „westlichen Wissenschaftssystem“ weise der aktuelle Aufsatz von Izrael et al. (2009), von Climate Engineering sprechen, bezieht sich der das Potenzial unterschiedlicher Geoenginee-

Einschlägige Begriffe und Abkürzungen in diesem Schwerpunkt zu Climate Engineering

Eine technikorientierte Strategie, um den beschleunigten Klimawandel im CE Climate Engineering Notfall ingenieurwissenschaftlich zu mildern oder zu bekämpfen. CE durch Beeinflussung der kurzwelligen Strahlungsbilanz der Erdatmo- SRM Solar Radiation Management sphäre a) durch Abschattung mittels Folien und Spiegeln im All oder b) durch eine Veränderung der Albedo der Erde

CE-Konzept mit dem Ziel, CO2 als Ursache für den Klimawandel langfri- stig aus der Atmosphäre zu entfernen. Letztendlich geht es dabei um eine CDR Carbon Dioxide Removal Modifikation der langwelligen Strahlungsbilanz bzw. deren Rückgängig- machung.

Abscheiden von CO2 direkt aus dem Abgasstrom mit dem Ziel es mög- CCS Carbon Capture and Storage lichst dauerhaft unterirdisch zu speichern. Erste Vorschläge sahen eine Lagerung auf dem Meeresgrund vor. CCS zählt zu den CDR-Konzepten. Der „Zwischenstaatlicher Ausschuss für Klimaänderungen“ fasst in re- Intergovernmental Panel on IPCC gelmäßigen Abständen den Wissensstand der Klimaforschung zusammen. Climate Change Der letzte ausführliche Bericht (AR4) erschien 2007 United Nations Framework Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen; in Kraft getreten am 21. UNFCCC Convention on Climate Change März 1994 Protokoll zur Klimarahmenkonvention, in dem zum ersten Mal verbind- liche Reduktionsverpflichtungen für die Industrieländer (außer den USA) KP Kyoto Protokoll festgelegt wurden. Das 1997 in Kyoto ausgehandelte und 2005 in Kraft getretene Protokoll läuft im Jahr 2012 aus. Einer der projektbezogenen Mechanismen des KP, der die nachhaltige Entwicklung in den Entwicklungs- und Schwellenländern fördern soll und CDM Clean Development Mechanism es den Industrieländern erlaubt, sich in solchen Projekten erzielte Emissi- onsreduktionen gutschreiben zu lassen Ein weiterer der projektbezogenen Mechanismen des KP zur gemeinsa- JI Joint Implementation men Umsetzung von Projekten in den Industrieländern Maß für das Rückstrahlvermögen von Oberflächen (a=0 bei voller Ab- sorption; a=1 bei voller Reflektion) Die kurzwellige Albedo bezieht sich a Albedo auf die Sonneneinstrahlung und erreicht bei Schnee und Wolken einen Wert von a=0,9, während Wasser und Wald mit Albedowerten bis 0,05 dunkel erscheinen. Beim Überschreiten der sog. „Kipp-Punkte“ wechselt das Klima unauf- haltsam in einen anderen stabilen Zustand. Der Übergang ist möglicher- Tipping Points weise mit abrupten, drastischen Klimaänderungen verknüpft und der resultierende Klimazustand könnte es in manchen Regionen recht unge- mütlich werden lassen. Quelle: Eigene Zusammenstellung / GS

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ring-Ansätze miteinander vergleicht. Darin wird the Advancement of Science Annual Meeting San zwar, gerade wenn es um aktuelle Arbeiten geht, Francisco, California. 19–23 February 1994, Los Ala- auf Quellen im Westen verwiesen, aber u. a. auch mos National Laboratory an den Vorschlag des russischen Raumfahrtpio- Dehs, V., 2005: Jules Verne. Eine kritische Biogra- niers Ziolkovski aus den 1920er Jahren erinnert, phie. Artemis und Winkler. Düsseldorf im All reflektierende Objekte zu stationieren, um Dyson, F.J., 1976: Can We Control the Carbon Dioxide die Erde vor der Sonnenstrahlung abzuschirmen. in the Atmosphere? In: Energy 2 (1976), S. 287–291 In der im Westen quasi „Geoengineering-freien Fleming, J.R., 1998: Historical Perspectives on Cli- Phase“ in den 1980ern hinterließ der Auftritt von mate Change. New York Budyko 1988 auf dem Weltkongress „Climate Fleming, J.R., 2004: Fixing the Weather and Climate: and Development“ in Hamburg ein zwiespältiges Military and Civilian Schemes for Cloud Seeding and Echo, als er vor der Limitierung des Einsatzes Climate Engineering. In: Rosner, L. (ed.): The Tech- fossiler Brennstoffe („carbon fuels“) warnte und nological Fix. How people use technology to create betonte, dass es doch möglich sei, aktiv auf das and solve problems. New York, S. 175–200 Klima einzuwirken, falls es notwendig werden Fleming, J.R., 2006: The pathological history of sollte, die globale Erwärmung zu stoppen (Budy- weather and climate modification: Three cycles of ko, Sedunov 1988). promise and hype. In: Historical Studies in the Physi- cal and Biological Sciences 37/1 (2006), S. 3–25 Fleming, J.R., 2007: The Climate Engineers. In: Wil- Anmerkungen son Quarterly 31/2 (2007), S. 46–60 Fletcher, J.O., 1969: Managing Climatic Resources. 1) Siehe dazu Dehs 2005, S. 262. The RAND Corporation. Santa Monica, CA, USA 2) Schon 1924 hatte der deutsche Meereskundler Flohn, H., 1970: Produzieren wir unser eige- Gerhard Schott von der „Torheit von Vorschlägen nes Klima? In: Meteorologische Rundschau 21/6 (…) zur Verbesserung des Klimas“ gesprochen und (1970), S. 161–164 nannte als Beispiele die Absicht, „die Belle-Isle- Straße zu sperren, um dem eisführenden Labra- Izrael, Yu.A.; Ryaboshapko, A.G.; Petrov, N.N., 2009: dorstrom den Zugang zum Golf von St. Lorenz zu Comparative Analysis of Geo-engineering Approach- verwehren“ oder im Falle Wladiwostoks „die kalte es to Climate Stabilization. In: Russian Meteorology Strömung, die an der Westseite des Japanischen and Hydrology 34/6 (2009), S. 335–347 Meeres zieht, von dem Eintritte in den Hafen abzu- Keith, D.W., 2000: Geoengineering the Climate: His- halten“ (Schott 1924, S. 151). tory and Prospect. In: Annual Review of Energy and 3) Von Athelstan F. Spilhaus stammt auch das oben an- the Environment 25 (2000), S. 245–284 geführte Zitat über die vom Hunger bedrohten Farmer. MacDonald, G.J.F., 1969: Wie man die Welt zerstö- 4) Die Tabelle wurde nicht ins Deutsche übertragen, ren kann. In: Calder, N. (Hg.): Eskalation der neuen da es dem Autor um den Tenor der englischen Fo- Waffen. München, S. 189–210 rumilierung geht (die Redaktion). Marçot, J.-L., 2004: Appel d’imaginaire: La mer in- térieure africaine 1869–1887. http://jeanlouis.marcot. Literatur free.fr/meresume.htm (download 9.7.10)

Borisov, P.M., 1969: Can We Control the Arctic Marchetti, C., 1977: On Geoengineering and the CO2 Climate? In: Bulletin of the Atomic Scientists 25/3 Problem. In: Climatic Change 1/1 (1977), S. 59–68 1969, S. 43–48 Marmer, H.A., 1929: The Gulf Stream and Its Budyko, M.I.; Sedunov, Yu.S., 1988: Anthropogenic Problems. In: Geographical Review 19/3 (1929), Climatic Changes. Prepared for the World Congress S. 457–478 Climate and Development, 7.–10. November 1988, NAS – National Academy of Sciences, 1977: Energy Congress Centrum Hamburg and Climate: Studies in Geophysics. Washington, DC Byers, H.R., 1974: History of Weather Modification. NAS – National Academy of Sciences, 1992: Policy In: Hess, W.N. (ed.): Weather and Climate Modifica- Implications of Greenhouse Warming: Mitigation, tion. New York Adaptation, and the Science Base. Washington, DC Canavan, G.H., 1994: Space Sensors for Global Nordhaus, W.D., 1975: Can We Control Carbon Diox- Change. Presented at the American Association for ide? IIASA Working Paper WP-75-63

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PSAC – President’s Science Advisory Committee, Climate Engineering zwischen 1965: Restoring the Quality of Our Environment. Washington, DC Klimapolitik und Völkerrecht Pfister, Chr., 1999: Wetternachhersage. 500 Jahre Status quo und Perspektiven Klimavariationen und Naturkatastrophen (1496– 1995). Bern von Thilo Wiertz und David Reichwein, Uni- Rusin N.P.; Flit, L.A., 1964: Man Versus Climate. versität Heidelberg U.S. Department of Commerce, Office of Technical Services, Joint Publications Research Service, Wash- In den letzten Jahrzehnten haben sich eine ington, DC Reihe von Prinzipien in der internationalen Sardemann, G., 1997: Beeinflussung des globalen Umwelt- und Klimapolitik etabliert. Anhand Klimas durch den Menschen: Historische Entwick- existierender Mechanismen und völkerrecht- lung und Stand des Wissens zum anthropogenen licher Verträge diskutiert der Beitrag, welche Treibhauseffekt. In: Kopfmüller, J.; Coenen, R. Implikationen diese für den Umgang mit Cli����- (Hg.): Risiko Klima. Der Treibhauseffekt als Heraus- mate Engineering��������������������������� haben. Die Techniken könn- forderung für Wissenschaft und Politik. Frankfurt, S. ten insofern zur Bewährungsprobe für die 27–73 (Veröffentlichungen des Instituts für Technik- derzeitige Klimapolitik werden, als ihr Einsatz folgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS), Bd. 4) keinen internationalen Konsens erfordert. Zentral für die politische Diskussion von Cli����- Schott, G., 1924: Physische Meereskunde. Berlin mate Engineering wird daher der Aspekt der Thompson, G.A., 1912: A Plan for Converting the Sa- intertemporalen und geographischen Risiko- hara Desert into a Sea. In: Scientific American August verteilung sein. Ob und inwieweit das Völker- 10, S. 114–125 recht Einsatz und Erforschung von Climate van Laak, D., 1999: Weiße Elefanten. Anspruch und Engineering betrifft, hängt wesentlich von der Scheitern technischer Großprojekte im 20. Jahrhun- Interpretation bestehender Verträge ab. dert. Stuttgart von Neumann, J., 1955: Can We Survive Technology? In: Fortune, June, S. 106-108, S. 151-152 1 Einleitung Weart, S., 2009: The Discovery of Global Warm- Die technologische Möglichkeit einer globa- ing. Juli 2009 Version. http://www.aip.org/history/ climate/ (download 9.7.10) len Klimamanipulation wirft die Frage auf, wie über einen Einsatz von Climate Engineering Wigley, T.M.L., 2006: A Combined Mitigation/Geoen- gineering Approach to Climate Stabilization. In: Sci- entschieden werden sollte. Dabei geht es um ence 314 (2006), S. 452–454 mehr als den „richtigen” Zielwert einer globa- len Oberflächentemperatur, wie es naturwissen- Zworykin, V.K., 1945: Outline of Weather Proposal, October 1945. Princeton, NJ: RCA Laboratories, 12 schaftliche Betrachtungen bisweilen nahelegen: p. + appendices. In: History of Meteorology 4 (2008), Climate Engineering ���������������������������bewegt sich in einem Span- S. 57–78 nungsfeld von Risiken, die dem Klimawandel einerseits und einer gezielten Klimaveränderung Kontakt andererseits zugeschrieben werden. Angesichts räumlich differenzierter Auswirkungen und der Dipl.-Meteorologe Gerhard Sardemann Kontextualität von Wertmaßstäben sind so sehr Karlsruher Institut für Technologie (KIT) unterschiedliche Vorstellungen davon möglich, Institut für Technikfolgenabschätzung und System- analyse (ITAS) wann und in welchem Maße technische Eingrif- Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe fe in das globale Klimasystem sinnvoll oder gar Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 27 34 notwendig sind. Die politische Herausforderung Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 06 ist es also zu klären, in welchen institutionellen E-Mail: [email protected] Zuständigkeitsbereichen eine Entscheidung über Climate Engineering verortet wird und welchen moralischen Rechtfertigungen sie folgt. Bislang « » existieren zwar kaum internationale Rahmen- bedingungen, die sich explizit mit Climate����������� En-

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gineering befassen. In den letzten Jahrzehnten neering ���������������������������������������������jedoch in Frage gestellt: Sollten sich eini- haben sich jedoch eine Reihe von Mechanismen ge der Techniken als so kostengünstig erweisen, und Prinzipien in der internationalen Klimapo- dass ihre Implementierung durch einzelne Staaten litik und im Umweltvölkerrecht etabliert, denen (oder gar nicht-staatliche Akteure) möglich wird, als diskussionsleitende Logiken im Diskurs um setzt eine Veränderung des Status quo keine Eini- Climate Engineering insofern Relevanz beizu-beizu- gung mehr voraus (vgl. Virgoe 2009). messen ist, als sie Aussagen über Verantwortung Die Grenzziehung zwischen akzeptablen und Zuständigkeiten für grenzüberschreitende und gefährlichen bzw. katastrophalen Klimaver- Umweltveränderungen treffen. Die folgende Be- änderungen ist nicht anhand objektiver Maßstäbe trachtung soll daher diskutieren, inwiefern bis- zu bestimmen, sondern wird in Anbetracht der herige Prinzipien der Umweltpolitik mit Climate räumlich differenzierten Auswirkungen einer glo- Engineering in Einklang zu bringen sind, und wo balen Erwärmung und von Climate Engineering Climate Engineering diese in Frage stellt. notwendigerweise kontrovers ausfallen. Climate Engineering�����������������������������������, insbesondere „Solar Radiation Ma- nagement” (SRM), verringert nicht nur die Ge- 2 Eine Herausforderung für die fahren des Klimawandels, sondern impliziert eine konsensorientierte Klimapolitik geographische und soziale Umverteilung der Ri- Mit der Anerkennung eines anthropogenen und siken von Umweltveränderungen durch die Tech- globalen Klimawandels stellt sich für die Politik niken einerseits und steigende Treibhausgaskon- die Herausforderung, die Zuständigkeiten und zentrationen andererseits. Wann eine Intervention Verantwortungen für grenzüberschreitende Um- in das Klimasystem als vorteilhaft oder notwendig weltveränderungen zu ordnen. Die Konferenz erscheint, hängt also maßgeblich von den betrach- der Vereinten Nationen über Umwelt und Ent- teten Skalen und der Gewichtung der technischen wicklung im Jahr 1992 und die dort verabschie- und klimatischen Risiken ab. Zu Konflikten könn- dete Klimarahmenkonvention (United Nations te es insbesondere dann kommen, wenn klimati- 1992c) sind hierfür insofern wegweisend, als sie sche Veränderungen – ob durch �����������������Climate Engineer- die gemeinsame aber unterschiedliche Verant- ing oder eine unkontrollierte globale Erwärmung wortung der Länder als zentrales Prinzip der Kli- – als Problem nationaler Sicherheit interpretiert mapolitik hervorheben. Aus der Erkenntnis, dass werden. Der Verweis auf nationale Sicherheits- in einer Welt globalisierter Umweltschäden ge- interessen könnte für Staaten schließlich die dis- meinschaftliches Handeln notwendig ist, entsteht kursive Legitimation bieten, sich über bestehende ein Regime, das sich auf Expertenbewertungen internationale Normen und Verträge hinwegzuset- über den Zustand der Erde sowie auf konsensba- zen. Ein Szenario, in dem einzelne Staaten oder sierte Entscheidungen unter der Klimarahmen- eine „Koalition der Willigen” Climate����������������� Engineer- konvention und dem Kyoto-Protokoll stützt. ing ��������������������������������������������ohne Abstimmung mit der internationalen Ge- Die Motivation für eine technologische Kli- meinschaft einsetzen, ist dann denkbar, wenn an- mamanipulation ergibt sich aus den Gefahren des gesichts realer oder erwarteter Schäden durch den Klimawandels, die insbesondere dann zu erwarten Klimawandel der Druck auf Entscheidungsträger sind, wenn Tipping Points, also kritische Punkte in einigen Ländern wächst (Virgoe 2009). im Klimasystem überschritten werden (The Royal Die Frage nach verantwortlichem Handeln Society 2009). Im Anschluss an die Mechanismen angesichts der Möglichkeit technologischer Inter- derzeitiger Klimapolitik könnte eine Entscheidung ventionen im Klimasystem stellt sich also insofern über den Einsatz von Climate Engineering gegen neu, als konsensbasierte Politik nicht mehr not- einen „gefährlichen Klimawandel” auf Grundlage wendig aus den zur Verfügung stehenden Strategi- einer Experteneinschätzung, beispielsweise durch en folgt. Staaten könnten im eigenen Interesse oder das IPCC, und einer internationalen Einigung ge- unter Verweis auf ein globales Allgemeinwohl zu troffen werden. Das Konsensprinzip der Klima- Climate Engineering greifen. Damit wird zwar politik, ohne das wirksame Emissionsreduktionen auch die Entscheidungsfindung erleichtert, wenn nicht umzusetzen sind, wird durch �������������Climate Engi- nicht alle potenziell betroffenen Akteure „am sel-

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ben Strang” ziehen müssen. Jedoch wirft ein sol- gen Ländern lässt sich durch „negative” Emissio- ches Szenario erneut die Frage nach Gerechtigkeit nen anderswo wettmachen. Der gleiche Gedanke in der Klimapolitik auf: Sollten „Großemittenten” liegt Climate Engineering-Techniken zu Grunde, die Technologie als Ausweg aus den Verhandlun- die Kohlendioxid aus der Umgebungsluft binden gen um verbindliche (und ökonomisch unbeque- sollen („Carbon Dioxide Removal“, CDR). me) Emissionsreduktionen sehen, würde Climate Das Subsidiary Body for Scientific and Engineering zum Idealbild einer neo-kolonialen Technological Advice (SBSTA) unter der Klima- Umweltpolitik, in dem einige mächtige Staaten rahmenkonvention beschäftigt sich seit längerem über das globale Klima befinden. Die Gerechtig- mit der Frage, ob eine Kohlenstoffsequestrierung keitsfrage stellt sich auch in zeitlicher Dimension, an Emissionsquellen (CCS) als CDM-Maßnah- wenn Climate Engineering einen Risikotransfer me anzuerkennen sei. Kritiker wenden ein, dass auf künftige Generationen mit sich bringt. dies den notwendigen Übergang zu regenerati- ven Energiesystemen weiter aufschieben würde. Zu einer Einigung kam es bislang nicht, insbe- 3 Climate Engineering als Teil einer sondere, da die Gewährleistung der „MRV-Krite- nachhaltigen Klimastrategie? rien” (Measurable, Reportable, Verifiable) nicht Das Prinzip der Nachhaltigkeit bzw. einer nach- gegeben ist (Watanabe et al. 2007). Sollten die- haltigen Entwicklung ist ein Schlüsselelement se Probleme gelöst werden, wäre der Weg auch internationaler Verträge zu Umwelt- und Kli- offen für solche Climate Engineering-Verfahren, mapolitik. Ziel des Prinzips ist eine Entwick- die in einem analogen Verfahren CO2 aus der lung, welche die Bedürfnisbefriedigung künfti- Umgebungsluft abscheiden und geologischen ger Generationen nicht einschränkt – so hält es Lagerstätten zuführen. Es bleibt jedoch unge- der Brundtland-Bericht von 1987 fest (WCED wiss, wann eine Speicherung als dauerhaft und 1987). Die Klimarahmenkonvention bezieht sicher gelten kann. Inwieweit die Technik dem nachhaltige Entwicklung vor allem auf fortge- Nachhaltigkeitsprinzip entspricht, ist daher frag- setztes ökonomisches Wachstum, auch um den würdig. Auch der Vergleich zur „Endlagerung” Entwicklungsinteressen der Entwicklungs- und radioaktiver Abfälle liegt nahe. Schwellenländer Ausdruck zu verleihen (United In keinem Fall eine Alternative zu Emis- Nations 1992c). „Grüne Technologien”, insbeinsbe-- sionsreduktionen sind SRM-Techniken: Die sondere im Bereich der Erneuerbaren Energien, Risiken einer globalen Erwärmung würden be- werden dabei zum Vehikel einer Politik, die ei- stenfalls hinausgezögert. Würde ein Einsatz von nen weltweit steigenden Energiebedarf mit den ansteigenden Treibhausgaskonzentrationen be- Zielen des Klimaschutzes in Einklang bringen gleitet, müsste er kontinuierlich aufrechterhalten muss – technologischer Fortschritt und Tech- und intensiviert werden, um einen zunehmenden nologietransfer bieten für die Klimapolitik den Treibhauseffekt zu kompensieren. Für die jewei- Schlüssel zu „nachhaltigem Wachstum”. ligen politischen Träger des Eingriffs ergäbe sich Kann Climate Engineering im Sinne der ein erheblicher Kosten- und Koordinationsauf- Klimarahmenkonvention Teil einer nachhaltigen wand, besonders dann, wenn unerwünschte Ne- Klimastrategie sein, also auch eine Alternative beneffekte der Verfahren erst nach einigen Jahren zu Emissionsreduktionen? Der „��������������Clean Develop- offenbar werden und Kompensationsforderungen ment Mechanism” (CDM) des Kyoto-Protokolls nach sich ziehen. Das Problem einer zunehmen- verknüpft den Marktgedanken des Emissionshan- den Versauerung der Ozeane bliebe bestehen. dels mit den Zielen nachhaltigen Wachstums in Climate Engineering als (vorübergehende) Staaten des globalen Südens. Industrienationen Alternative zu Emissionsreduktionen ist damit, können durch Projekte in diesen Staaten ihren neben einer geographischen Neuverteilung mög- Reduktionsverpflichtungen nachkommen und licher Umweltschäden, auch ein Risikotransfer gleichzeitig einen Beitrag zu deren Entwick- auf künftige Generationen und erscheint als Wi- lung leisten. Der Mechanismus basiert auf einem derspruch zum Nachhaltigkeitsprinzip. Trotzdem

Kompensationsprinzip: Der CO2-Ausstoß in eini- wird die Technologie nicht nur als Katastrophen-

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maßnahme erwägt, sondern auch als Übergangs- Marktbasierte Mechanismen für SRM, bei- lösung, um den Umbau (westlicher) Wirtschafts- spielsweise in Form von „Strahlungskrediten” systeme hinauszuzögern (Lane et al. 2009). Eine wie sie am Rande der Diskussion auftauchten solche Darstellung beruht auf der Annahme, dass (Gaskill 2004), sind angesichts der komplexen zukünftige Generationen die Herausforderungen Auswirkungen der Techniken kaum denkbar. Für des Klimawandels besser, d. h. kostengünstiger einige CDR-Verfahren wäre der Weg offen, soll- bewältigen können. Das Argument scheint dann ten Probleme der Mess- und Überprüfbarkeit ei- vereinbar mit einer „kosteneffizienten” nachhal- ner CO2-Speicherung geklärt werden (s. o.). Doch tigen Entwicklung im Sinne der Klimarahmen- die Marktorientierung derzeitiger Klimapolitik konvention – jedoch nur unter dem Postulat tech- stößt auch auf Widerstand. Kritiker argumentie- nologischen Fortschritts. ren, sie sei der Versuch westlicher Industrienatio- nen, sich von der historischen Verantwortung für die globale Erwärmung „freizukaufen”. Sie ver- 4 Ein Markt für Klimaretter? schärfe die ökonomischen Gegensätze zwischen Nord und Süd, anstatt sie zu beseitigen (Bumpus, Um Klimaschutzmaßnahmen dort zu realisieren, Liverman 2008). Unter diesem Gesichtspunkt er- wo sie am günstigsten umzusetzen sind, haben scheint Climate Engineering als ein zweifelhaftes sich marktbasierte Steuerungsmechanismen Versprechen westlicher Wissenschaftler, das zum als Grundlage der internationalen Klimapolitik Spielball ökonomischer Interessenspolitik werden durchgesetzt. Neben dem Clean Development könnte. Durch vermeintlich kostengünstiges ����Cli- Mechanism (CDM) ermöglicht das Kyoto-ProKyoto-Pro-- mate Engineering würden dann Umweltrisiken in tokoll auch gemeinsame Projekte der Industrie­ Länder des globalen Südens „exportiert”, ohne die nationen (Joint Implementation, JI) und einen Rolle globaler Wirtschaftsverhältnisse als ursäch- internationalen Emissionsrechtehandel. Damit lich für den Klimawandel zu reflektieren. werden starke finanzielle Anreize für privatwirt- schaftliches Engagement gegen den Klimawan- del gesetzt. Sollten CDR-Verfahren unter den 5 Die Politik der Unsicherheit und projektbasierten Instrumenten des Kyoto-Proto- die Grenzen des Vorsorgeprinzips kolls anerkannt werden, würde dies den Weg für einen breiten Einsatz eröffnen. Sowohl für die Erforschung von Climate Engi-Engi- Trotz unklarer Rahmenbedingungen über neering als auch für die Klimawissenschaften gilt, die kommerzielle Verwertbarkeit von CDR haben dass Befunde über zukünftige Auswirkungen mit sich einige Unternehmen gegründet, die auf eine Unsicherheiten behaftet sind. Um trotz dieser Un- langfristige Anerkennung unter den marktbasier- sicherheiten handlungsfähig zu bleiben, berufen ten Mechanismen der Klimapolitik spekulieren sich internationale Verträge auf das „Precaution- und auch eigene Forschung betreiben (Bronson ary Principle”, also ein Vorbeuge- oder Vorsorge- et al. 2009). Während die Involvierung privater prinzip (Martin 1997). Kritiker von Climate������������� Engi- Akteure in Erforschung und Entwicklung von neering �����������������������������������������sehen in einer Feldforschung oder Imple- Climate Engineering zusätzliche Finanzmittel mentierung der Techniken unbekannte Gefahren bereitstellen könnte, argumentieren Kritiker, für Umwelt und Menschen und lehnen diese unter dass dies eine systematische Unterbewertung der Verweis auf das Vorsorgeprinzip ab (Bronson et Risiken zur Folge hätte. Privates Engagement bei al. 2009). Ob das Prinzip jedoch gegen technische der globalen Klimamanipulation gilt es aus die- Interventionen spricht, ist einerseits abhängig von ser Sicht zu unterbinden. Während einige Wis- der verwendeten Definition, andererseits von der senschaftler bereits über Patente verfügen, bei- Bewertung der möglichen Gefahren durch Klima- spielsweise im Bereich „Carbon Air Capture”, wandel und Climate Engineering. haben sich die ETC Group und Oxford Geoengi- Inhalt und Verbindlichkeit des Prinzips sind neering für eine prinzipielle Nicht-Patentierbar- aufgrund der Inkonsistenz seiner Anwendung um- keit der Techniken ausgesprochen (Bronson et al. stritten (Bodansky 2008, S. 601). Mehrheitlich 2009, http://www.oxfordgeoengineering.org). wird die völkerrechtliche Verbindlichkeit inzwi-

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schen allerdings angenommen (Trouwborst 2007). Europäische Kommission sieht in ihrer Interpre- Die Kernaussagen sind in Grundsatz 15 der Rio- tation des Prinzips Unsicherheit als einen vorüber- Deklaration festgehalten. Danach darf ein Mangel gehenden Mangel an Wissen. Politische Entschei- an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit dungen können sich jedoch an den verfügbaren, kein Grund dafür sein, „kostenwirksame Maß- wenn auch begrenzten, wissenschaftlichen Er- nahmen zur Vermeidung von Umweltverschlech- kenntnissen orientieren (Todt, Lujan 2008). Hin- terungen aufzuschieben”, wenn schwerwiegende gegen sehen einige Umweltschutzorganisationen oder bleibende Schäden drohen (United Nations Unsicherheit als eine der Technologie inhärente 1992b). Eine Übertragung des Vorsorgeprinzips Eigenschaft, so dass jenseits eines gewissen Grads auf ���������������������������������������������Climate Engineering�������������������������� sieht sich jedoch mit ei- an Komplexität die gesellschaftliche Kontrollier- ner doppelten Unsicherheit konfrontiert: Climate barkeit grundsätzlich in Frage zu stellen ist und Engineering�������������������������������������� adressiert schließlich die möglicher- eine „Auslese” der Technik erforderlich ist (Todt, weise „schwerwiegenden” Auswirkungen des Lujan 2008). Während erstere Position politische Klimawandels und birgt gleichermaßen neue Ri- Entscheidungen durch eine Ausweitung wissen- siken für Mensch und Umwelt. schaftlicher Forschung und Beratung zu verbes- Eine eindeutige Entscheidung unter dem sern sucht, sieht Letztere hierin keine ausreichen- Vorsorgeprinzip ist nur dann möglich, wenn ein de Kontrolle. Vielmehr müsse dann unter breiter Vergleich der jeweiligen potenziellen Schäden gesellschaftlicher Beteiligung über Erforschung unter Berücksichtigung ihrer Eintrittswahrschein- und Einsatz der Technik entschieden werden. lichkeiten machbar ist. Gerade dies ist jedoch in Ob eine rein wissenschaftliche Bewertung Anbetracht der Unsicherheiten in den Klimawis- der Risiken von Climate Engineering ausreichend senschaften fraglich. Zu klären ist daher, wem ist, oder ob bereits über die Erforschung unter die Beweislast zukommt: Einige Autoren argu- breiter gesellschaftlicher Beteiligung entschie- mentieren, dass das Vorsorgeprinzip eine Be- den werden sollte, ist also wesentlich abhängig weislastverschiebung dergestalt impliziert, dass von dem zu Grunde gelegten Risikokonzept. Ein Befürworter von Climate Engineering die Un-Un- „Expertenkodex” wurde von der Royal Society in bedenklichkeit nachweisen müssten (Bodansky die Debatte gebracht und im Frühjahr 2010 auf 1996). Der Ansicht, dass das Vorsorgegebot zu einer Konferenz im kalifornischen Asilomar dis- einer Beweislastverschiebung führen kann, hat kutiert (The Climate Response Fund 2010; siehe der Internationale Gerichtshof in Den Haag sich auch Oschlies in diesem Schwerpunkt). Die ETC- allerdings nicht angeschlossen (IGH, Urteil vom Group fordert hingegen eine internationale Kon- 20.4.10, Argentinien vs. Uruguay, Rn. 164). Das vention zur Evaluierung neuer technischer Ver- kann bedeuten, dass die Bedrohung von schwer- fahren, an der die globale Zivilgesellschaft aktiv wiegenden oder irreversiblen Schäden durch ����Cli- beteiligt sein sollte (Bronson et al. 2009). mate Engineering von Gegnern dieser Techniken nachgewiesen werden müssten. Aus politischer Sicht ist zu fragen, auf wel- 6 Climate Engineering unter bestehenden che Legitimität sich eine regionale Umverteilung völkerrechtlichen Verträgen von Risiken stützt, sollte eine globale Abwägung im politischen Diskurs zu Gunsten von Climate Stehen zusätzlich bestehende internationale Ver- Engineering ausfallen. Eine Kompensation ist nur träge einer Erforschung bzw. einem Einsatz der bedingt möglich, da eine kausale Zuordnung von unterschiedlichen Techniken entgegen? Da bis- Schadensfällen zu Climate������������������������������� Engineering������������, beispiels- her kein völkerrechtlicher Vertrag explizit auf weise durch Extremwetterereignisse, im komple- Climate Engineering ausgerichtet ist (Bodansky xen Klimasystem kaum möglich sein wird. 1996), gilt es zu untersuchen, inwiefern Climate Ob das Vorsorgeprinzip grundsätzlich ge- Engineering-Verfahren in den Anwendungsbe-Anwendungsbe- gen eine Anwendung von Climate EngineerEngineer-- reich bestehender rechtlicher Rahmenbedingun- ing spricht, hängt auch mit dem ihm zu Grunde gen fallen und welche Rechtsfolgen sich hieraus liegenden Unsicherheitsbegriff zusammen. Die ergeben. Dabei ist zwischen den unterschiedli-

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chen Techniken, insbesondere zwischen SRM Konsensprinzip. Dies gilt auch für die Aufnahme und CDR zu differenzieren. neuer Stoffe. Verbindlich würde eine solche Ände- MacCracken führt die ENMOD-Konvention rung jedoch nur für jene Staaten, die diese darauf- (United Nations 1976) als ein Beispiel für einen hin ratifizieren. In der Vergangenheit wurden dem Vertrag an, der möglicherweise auf SRM zu be- Protokoll, dem 196 Staaten angehören, wiederholt ziehen ist (MacCracken 2006). Jedoch verpflich- neue Substanzen hinzugefügt. Prinzipiell ist dies ten sich die unterzeichnenden Vertragsparteien also auch für Schwefel denkbar, sollten Studien der Konvention lediglich, umweltverändernde über einen signifikanten Ozonabbau durch SRM Techniken nicht zu militärischen Zwecken oder bestätigt werden (ähnlich Virgoe 2009). in sonstiger feindlicher Absicht gegenüber einem Auch das Übereinkommen über weiträu- anderen Vertragsstaat zu nutzen (Virgoe 2009). mige grenzüberschreitende Luftverunreinigung Laut Artikel 3 des Übereinkommens steht der (United Nations 1979), das in den 1970er Jahren Vertrag der Nutzung umweltverändernder Tech- in Reaktion auf zunehmende Luftverschmutzung niken für friedliche Zwecke nicht im Weg, son- und sauren Regen geschlossen wurde, hat in sei- dern lässt allgemein anerkannte Grundsätze und ner derzeitigen Form keine direkten rechtlichen die geltenden Vorschriften des Völkerrechts un- Auswirkungen auf Climate Engineering. Die berührt (Zedalis 2010). weite Definition von Luftverunreinigung bezieht Vor dem Hintergrund, dass durch den Ein- sich ebenfalls auf eine „abträgliche Wirkung”, satz von Schwefelaerosolen ein signifikanter die für Climate Engineering nicht eindeutig zu Abbau der Ozonschicht droht (Heckendorn et al. entscheiden ist (s. o.). Zu dem Übereinkommen 2009), könnte das Wiener Übereinkommen zum existiert ein Protokoll, das sich explizit mit ei- Schutz der Ozonschicht (United Nations 1985) ner Reduktion von Schwefelemissionen befasst sowie dessen Montrealer Protokoll den Einsatz (United Nations 1994). In dessen Präambel wird von SRM-Techniken begrenzen (United Nations die Verhinderung einer Versauerung hervorgeho- 1987). Die Vertragsparteien verpflichten sich ge- ben. Ob diese jedoch durch SRM mit Schwefel­ eignete Maßnahmen zu treffen, um die menschli- aerosolen zu befürchten ist, bezweifeln einige che Gesundheit und die Umwelt vor schädlichen Autoren (Kravitz et al. 2009). Auswirkungen anthropogener Veränderungen der Im Frühjahr 2009 löste ein deutsch-indisches Ozonschicht zu schützen. Aus rechtlicher Sicht Experiment zur Eisendüngung im Südatlantik ausschlaggebend ist, ob „erhebliche abträgliche” eine Kontroverse um die Regulierung solcher Auswirkungen zu erwarten sind, wie es das Über- Unternehmungen aus. Sowohl unter der London einkommen formuliert. Zwar lassen sich diese aus Dumping Convention (United Nations 1972) wissenschaftlicher Sicht durchaus annehmen. Im zum Schutz der Meere vor Verunreinigungen als Sinne der Wiener Vertragsrechtskonvention sind auch unter der Biodiversitätskonvention (United aber nicht allein der Wortlaut eines Vertragstextes, Nations 1992a) wurde Ozeandüngung daraufhin sondern auch Systematik und Telos für die Ausle- behandelt. Die Ergebnisse fasst eine Resolution gung der Vertragsbestimmungen von Bedeutung. der Generalversammlung der Vereinten Natio- Wenn das Ziel von Climate Engineering also ist, nen zusammen: Während die wissenschaftliche die negativen Auswirkungen des Klimawandels Forschung vor dem Hintergrund der Forschungs- zu verringern, ließe sich die Anwendbarkeit des freiheit prinzipiell erlaubt bleibt – hierin folgt Übereinkommens in Frage stellen (Zedalis 2010). sie der UN Seerechtskonvention – gilt dies nicht

Das Montrealer Protokoll verpflichtet die für den Einsatz einer Ozeandüngung zur CO2- Vertragsstaaten – in Ergänzung zum Wiener Über- Sequestrierung. Die im Konsens angenommene einkommen – zu konkreten Reduktionszielen für – wenn auch rechtlich unverbindliche – Resolu- verschiedene Stoffe. Aus völkerrechtlicher Per- tion formuliert, dass eine Ozeandüngung jenseits spektive ist das Protokoll insofern bemerkens- „legitimer wissenschaftlicher Interessen” nicht wert, da es für einige Entscheidungen nur einer erlaubt sein sollte (Res. A/RES/63/11). Lediglich Zweidrittel-Mehrheit der Vertragsparteien bedarf, kleinräumige Experimente in Küstengewässern, entgegen dem im Völkerrecht überwiegenden die für eine Ozeandüngung jedoch wenig geeig-

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net sind, hält sie für vertretbar. Die bisherigen gewohnheitsrechtlich anerkannten Prinzip 17 der politischen Entscheidungen zu einer Eisendün- Rio-Erklärung nationale Umweltverträglichkeits- gung machen also eine großräumige Ausweitung prüfungen durchzuführen. Diese völkerrechtli- der Forschung zu Ozeandüngung oder einen Ein- chen Pflichten zeigen, dass auch ein potenziell satz in absehbarer Zukunft unwahrscheinlich. unilateral agierender Staat Informations- und Konsultationspflichten nachkommen müsste an- gesichts der möglichen Gefahren und Nebenwir- 7 Rechtliche Grenzen für globale kungen, die von �����������������������������Climate Engineering ����������nach der- Umweltbeeinträchtigungen zeitiger Einschätzung ausgehen. Doch nicht nur bestehende Verträge gilt es zu berücksichtigen. Für Climate Engineering rele-rele- 8 Fazit vant ist auch das Verbot grenzüberschreitender Umweltbeeinträchtigungen als ein verbindlicher Die Debatte um Climate Engineering wird weit Grundsatz des Völkergewohnheitsrechts (Vitzt- komplizierter, wenn man gegenüber der rein tech- hum, Bothe 2007). Demnach ist es Staaten un- nischen Umsetzbarkeit die politischen und völ- tersagt, auf ihren Territorien Aktivitäten nachzu- kerrechtlichen Herausforderungen und Konse- gehen oder zuzulassen, von denen signifikante quenzen heraushebt, die sich aus den Techniken grenzüberschreitende Umweltbeeinträchtigun- ergeben. Wie die Diskussion zeigt, lassen sich gen ausgehen könnten (Beyerlin 2000; Bodansky zwar wenige der bisher bestehenden völkerrecht- 2008). Grenzüberschreitend heißt in dem Fall, lichen Regeln direkt auf Climate Engineering dass das Hoheitsgebiet eines anderen Staates übertragen. Jedoch wird deutlich, dass Staaten betroffen ist; eine geographische Nachbarschaft angesichts grenzüberschreitender Umweltver- ist hingegen nicht Voraussetzung. Für die An- änderungen vielfach zu kooperativem Verhalten wendbarkeit muss darüber hinaus ein Kausalzu- tendieren – und hinsichtlich transnationaler Um- sammenhang bestehen (Vitzthum, Bothe 2007): weltbeeinträchtigungen auch dazu verpflichtet Diesen nachzuweisen erscheint für direkte Schä- sind. Einerseits kann Climate Engineering dem den durch großräumige Stoffeinträge (Eisen oder entgegenstehen, wenn die Notwendigkeit ei- Schwefel) möglich, kaum jedoch für Verände- ner Kooperation nicht mehr gegeben erscheint, rungen im komplexen Klimasystem. Im Hinblick andererseits kann die Bereitschaft zu gemein- auf Letztere könnten Staaten also nur bedingt für schaftlichem Handeln in Umweltfragen auch als ihr Handeln verantwortlich gemacht werden. Perspektive für eine mögliche internationale Re- Angesichts der großen Schwierigkeiten, kau- gulierung von Climate�������������������������������� Engineering �������������gesehen wer- sale Prozesse nachzuweisen, spielt der Gedanke den. Für die konkreten Rechtsfolgen, die das Um- der internationalen Kooperation eine immer grö- weltvölkerrecht hinsichtlich Climate Engineering ßere Rolle im Umweltvölkerrecht (Shaw 2008). auferlegt, wird schließlich ausschlaggebend sein, Daher statuiert das dem Umweltvölkerrecht zu- wie das Precautionary Principle oder der Begriff grundeliegende Prinzip der Prävention auch pro- der abträglichen Wirkung im Hinblick auf techni- zedurale kooperative Pflichten, um grenzüber- sche Klimaveränderungen ausgelegt werden. schreitenden Umweltbeeinträchtigungen frühzei- Zentraler Gegenstand der Diskussionen um tig zu begegnen. Grundsatz 19 der Rio-Erklärung Climate Engineering ist die Frage von VerantVerant-- über Umwelt und Entwicklung stellt inzwischen wortung und Gerechtigkeit. Die internationale völkergewohnheitsrechtlich verbindliche Noti- Klimapolitik ist immer wieder Gegenstand von fikations- und Konsultationspflichten gegenüber Kritik, die sich gegen das politische Übergewicht potenziell betroffenen Staaten über Tätigkeiten der großen Industrienationen richtet. Sie stellt auf, die schwerwiegende grenzüberschreitende ein auf globaler Ebene bis dato beispielloses schädliche Auswirkungen auf die Umwelt haben Forum bereit, in dem Staatsvertreter der ganzen können. Dies bestätigte jüngst der Internationale Welt unter dem kritischen Blick von Nichtregie- Gerichtshof in einem Urteil (20.4.10, Argentini- rungsorganisationen um eine wirksame Klima- en vs. Uruguay). Zudem sind nach dem völker- politik ringen – bislang jedoch ohne messbaren

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Erfolg. Die Prinzipien einer konsensorientierten MacCracken, M., 2006: Geoengineering: Worthy internationalen Politik stehen dann zur Dispo- of Cautious Evaluation? In: Climatic Change 77/3 sition, wenn die Diskussion um technologische (2006), S. 235–243 Klimaveränderungen zum Spielball nationaler Martin, P.H., 1997: If You Don’t Know How to Fix und ökonomischer Interessen wird. Problema- It, Please Stop Breaking It! The Precautionary Princi- tisch ist dies insofern, als die meisten Techniken ple and Climate Change. In: Foundations of Science 2 eine geographische Umverteilung klimatischer (1997), S. 263–292 Risiken einerseits implizieren und einen Risiko- Shaw, M.N., 2008: International Law. Cambridge transfer auf künftige Generationen andererseits, The Climate Response Fund, 2010: Unprecedented In- sollten sie als Alternative zu Emissionsreduk- ternational Conference Focuses on Social and Ecologi- tionen eingesetzt werden. Eine politische Regu- cal Ramifications of Climate Intervention. Press Release; lierung von Climate Engineering muss sich also http://www.climateresponsefund.org (download 20.7.10) vor allem fragen, wie sie den gesellschaftlichen The Royal Society, 2009: Science, Governance and Umgang mit der Technologie zu ordnen vermag, Uncertainty. London ohne den Anspruch auf mehr globale Partizipati- Todt, O.; Lujan, J.L., 2008: A New Social Contract for on und Gerechtigkeit zu verwerfen. Technology? On the Policy Dynamics of Uncertainty. In: Journal of Risk Research 11/4 (2008), S. 509–523 Literatur Trouwborst, A., 2007: The Precautionary Principle in General International Law: Combating the Babylo- Beyerlin, U., 2000: Umweltvölkerrecht. München nian Confusion. In: RECIEL 16/2 (2007), S. 185–195 Bodansky, D., 1996: May We Engineer the Climate? United Nations, 1972: Convention on the Prevention of In: Climatic Change 33/3 (1996), S. 309–321 Marine Pollution by Dumping of Wastes and Other Mat- Bodansky, D. (ed.), 2008: The Oxford Handbook of ter. In: United Nations Treaty Series 1046 (1972), S. 120 International Environmental Law. Oxford United Nations, 1976: Convention on the Prohibition Bronson, D.; Mooney, P.; Wetter, K.J., 2009: Retool- of Military or Any Other Hostile Use of Environmen- ing the Planet? Climate Chaos in Geoengineering tal Modification Techniques. In: United Nations Trea- Age. A report prepared by ETC Group. Swedish Soci- ty Series 1108 (1976), S. 151 ety for Nature Conservation United Nations, 1979: Convention on Long-range Bumpus, A.G.; Liverman, D.M., 2008: Accumulation Transboundary Air Pollution. In: United Nations by Decarbonization and the Governance of Carbon Off- Treaty Series 1302 (1979), S. 217 sets. In: Economic Geography 84/2 (2008), S. 127–155 United Nations, 1985: Vienna Convention for the Pro- Gaskill, A., 2004: Summary of Meeting with U.S. tection of the Ozone Layer. In: United Nations Treaty DOE to Discuss Options to Prevent Abrupt and Long- Series 513 (1985), S. 293 Term Climate Change; http://www.see.ed.ac.uk/~shs/ United Nations, 1987: Montreal Protocol on Sub- Climate%20change/Geo‑politics/Gaskill%20DOE. stances that Deplete the Ozone Layer. In: United Na- pdf (download 21.7.10) tions Treaty Series 1522 (1987), S. 3 Heckendorn, P.; Weisenstein, D.; Fueglistaler, S. et al., 2009: The Impact of Geoengineering Aerosols on United Nations, 1992a: Convention on Biological Diver- Stratospheric Temperature and Ozone. In: Environ- sity. In: United Nations Treaty Series 1760 (1992), S. 142 mental Research Letters 4/4 (2009), 045108, S. 1–12; United Nations, 1992b: Rio Declaration on Environment doi: 10.1088/1748-9326/4/4/045108 and Development. Report of the United Nations Confer- Kravitz, B.; Robock, A.; Oman, L. et al., 2009: Sul- ence on Environment and Development, A/CONF.151/26 furic Acid Deposition from Stratospheric Geo- United Nations, 1992c: United Nations Framework engineering with Sulfate Aerosols. In: Journal Convention on Climate Change. In: United Nations of Geophysical Research 114 (2009), D14109, Treaty Series 1771 (1992), S. 107 doi:10.1029/2009JD011918 United Nations, 1994: Protocol to the 1979 Conven- Lane, L; Bickel, J.E.; Galiana, I. et al., 2009: Copen- tion on Long-range Transboundary Air Pollution on hagen Consensus on Climate: Advice for Policymak- Further Reduction of Sulphur Emissions. In: United ers. Copenhagen Nations Treaty Series 2030 (1994), S. 122

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Virgoe, J., 2009: International Governance of a Pos- Aerosolbasierte Methoden des sible Geoengineering Intervention to Combat Climate Change. In: Climatic Change 95/1 (2009), S. 103–119 Climate Engineering Vitzthum, W.; Bothe, M. (eds.), 2007: Völkerrecht. De Eine Bewertung Gruyter-Lehrbuch. Berlin Watanabe, R.; Duckat, R. et al., 2007: Carbon Capture von Thomas Leisner, Karlsruher Institut für and Storage under the Clean Development Mecha- Technologie, und Stefan Müller-Klieser, Uni- nism. JIKO Policy Paper 4/2007, Wuppertal Institute versität Heidelberg for Climate, Environment and Energy WCED – World Commission on Environment and Devel- In diesem Beitrag wird ein kurzer Überblick opment, 1987: Our Common Future: Report of the World über das atmosphärische Aerosolsytem ge- Commission on Environment and Development. United geben, soweit dies zum Verständnis der ae- Nations Environment Programme, UNEP/GC/14/13 rosolbasierten Methoden der künstlichen Kli- Zedalis, R.J., 2010: Climate Change and the National mabeeinflussung nötig ist. Hieraus werden Academy of Sciences‘ Idea of Geoengineering: One dann die zwei derzeit am meisten diskutierten American Academic’s Perspective on First Conside- Möglichkeiten, eine künstliche Abkühlung des ring the Text of Existing International Agreements. Erdklimas herbeizuführen, abgeleitet. Dies In: European Energy and Environmental Law Review sind die Ausbringung von Aerosolpartikeln in 19/1 (2010), S. 18–32 der Stratosphäre sowie die Erhöhung der Wol- kenhelligkeit in der Troposphäre mithilfe von künstlichen Kondensationskeimen. Zu diesen Kontakt beiden Vorschlägen wird der Stand der Dis- Thilo Wiertz, Dipl. Geograph kussion über die Machbarkeit sowie mögliche Geographisches Institut Nebenwirkungen zusammengefasst. Daraus Universität Heidelberg abgeleitet wird verallgemeinernd besprochen, Berliner Str. 48, 69120 Heidelberg welche wissenschaftlichen und gesellschaft- Tel.: +49 (0) 62 21 / 54 - 45 49 lichen Probleme mit einer künstlichen Klima- E-Mail: [email protected] kontrolle verbunden sind. Abschließend wird erläutert, warum und wie nach unserer Mei- nung das Climate Engineering trotz der damit « » verbundenen Probleme und Bedenken mit hoher Dringlichkeit erforscht werden sollte.1

1 Einleitung

Macht über die natürlichen Kräfte von Wetter und Klima zu erlangen, zählt zu den urzeitlichen Träu- men der Menschheit, die entsprechende Fähigkeit Hinweis wurde allerdings nur Gottheiten oder deren Günst- Siehe in diesem Zusammenhang auch die Bespre- lingen zugestanden. Mit der Entdeckung und Be- chung des Sammelbandes von B. Launder und M. herrschung der nuklearen Kräfte schien dieser Thompson („Geo-Engineering Climate Change“) im Rezensionsteil dieses Heftes. Traum in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts erstmals in erreichbare Nähe zu kommen. Visio- nen einer menschengeformten Umwelt aus den 40er und 50er Jahren des vergangenen Jahrhun- derts beinhalteten dabei nicht nur die Kontrolle über das Klima, sondern strebten eine Umgestal- tung des Erdsystems zum Nutzen seiner mensch- lichen Bewohner an (siehe dazu den Beitrag von Sardemann in dieser Ausgabe). Frühe Versuche dieses Geoengineering endeten aber meist in ei-

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nem ökonomischen und ökologischen Desaster, zu erreichen suchen, und jenen Maßnahmen, wel- wofür die Verwandlung des Aral-Sees in eine che durch großtechnische Maßnahmen „Tonne für Steppenlandschaft nur das prominenteste Beispiel Tonne“ die Emission der Klimagase rückgängig ist. Aufgrund dieser schlechten Erfahrungen und machen wollen (Keith 2000; Royal Society 2009). auch aufgrund der engen Beziehung des Geoengi- Zu den Verfahren mit großem Hebel gehören die neering zu militärischen Fragestellungen war For- meisten SRM-Maßnahmen aber auch der CDR- schung zu einer absichtlichen Klimamodifikation Vorschlag, Kohlendioxid durch eine Düngung für die meisten Geowissenschaftler ein Tabu. der Weltmeere aus der Atmosphäre zu entfernen Die bis heute anhaltende Zurückhaltung der und als Carbonat in die Tiefsee zu „exportieren“. Geowissenschaften beginnt sich langsam zu än- Diese Maßnahmen haben gemeinsam, dass sie dern, seit es mehr und mehr klar wird, dass die aufgrund des großen Hebels billig sein können, Menschheit dabei ist, durch ihre schiere Zahl und potentiell schnell wirken, aber große Nebenwir- Aktivität den Energiehaushalt der Atmosphäre kungen befürchten lassen, wohingegen die zweite unumkehrbar zu verändern. Der Nobelpreisträger Klasse als „langsam, eher nebenwirkungsarm und Paul Crutzen prägte den Begriff des Anthropozäns teuer“ charakterisiert werden kann (Keith 2009). für diese beginnende Phase der menschlichen Do- Auch wenn einige dieser Attribute kritisiert wer- minanz aller Kompartimente der Geosphäre (Crut- den können (und in diesem Beitrag auch kritisiert zen 2002). Er war es auch, der eine absichtliche werden), ist diese Einteilung doch hilfreich bei der künstliche Beeinflussung des Klimasystems im Bewertung der CE-Maßnahmen hinsichtlich ihrer Jahre 2006 wieder auf die Agenda der Klima- und ökologischen Folgen und ihrer gesellschaftlichen Geoforschung brachte, in dem er sie als mögliche Akzeptanz. Es ist zu beachten, dass SRM-Maß- „Ultima Ratio“ beschrieb, falls alle Anstrengun- nahmen zwar auf kurzer Zeitskala wirksam wer- gen der Eindämmung des Klimawandels scheitern den können, die Dauer ihres Einsatzes aber an die sollten (Crutzen 2006). Seitdem steigt die Anzahl Lebensdauer des CO in der Atmosphäre gebun- der entsprechenden Arbeiten in der wissenschaft- 2 den ist, welche mehrere tausend Jahre beträgt. Ein lichen Literatur stark an, das Thema ist demnach früherer Abbruch dieser Maßnahmen hätte einen auf der Agenda nicht nur der naturwissenschaftli- abrupten Klimawandel zur Folge, an welchen eine chen Forschung angekommen. Anpassung nicht mehr möglich wäre. CDR Maß- Die Maßnahmen zur Klimakontrolle über Climate Engineering (CE) lassen sich in zwei sehr nahmen hingegen müssten über einen sehr langen unterschiedliche Klassen einteilen. Einerseits Zeitraum (viele Jahrzehnte) aufgebaut werden, ihr kann man das anthropogen emittierte Kohlendi- Einsatz könnte allerdings beendet werden, sobald die CO -Konzentration wieder auf ein akzeptables oxid – und möglicherweise andere Klimagase – 2 künstlich wieder aus der Atmosphäre entfernen Niveau gesenkt ist. Entsprechende Anstrengun- („Carbon Dioxide Removal“, CDR); andererseits gen vorausgesetzt, könnte dies „bereits“ nach ei- wird vorgeschlagen, den Anteil der direkt in den nigen hundert Jahren erreicht sein. Damit scheint Weltraum zurückreflektierten Sonnenstrahlung eine konzertierte Anwendung beider Maßnahmen (die „Albedo“) durch technische Maßnahmen zu geeignet, zunächst kurzfristig das Klima zu sta- erhöhen („Solar Radiation Management“, SRM). bilisieren und dann auf einer mittleren Zeitskala Unter letzteren Vorschlägen spielt eine Modifika- die Ursache des Klimawandels zu beseitigen. In tion des natürlichen Aerosolsystems in der Tropo- diesem Sinne wären die SRM-Maßnahmen eine sphäre oder der Stratosphäre eine zentrale Rolle. Übergangstechnologie. Eine ähnliche, aber im Detail doch abwei- Da die wichtigsten SRM-Maßnahmen über chende Klassifikation der CE-Vorschläge unter- eine Manipulation des atmosphärischen Aerosols scheidet zwischen solchen Verfahren, welche ei- funktionieren, soll hier zunächst eine Einführung nen „großen Hebel“ zur Klimabeeinflussung ver- in dieses Feld erfolgen, bevor die zwei wichtig- wenden, d. h. die eine Änderung der Erdtempera- sten SRM-Maßnahmen detaillierter besprochen tur durch eine geeignete Manipulation des Klima- werden. Anhand der dort gefundenen Erkennt- systems mit vergleichsweise geringem Aufwand nisse wird abschließend der Einsatz und die For-

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schung in diesem Gebiet aus der Sicht des Natur- relativ großen abkühlenden Beiträge durch den wissenschaftlers bewertet. direkten und indirekten Klimaantrieb der Aeroso- le (der sechste und siebte Balken) ins Auge. Der „große Hebel“, den die Aerosole im Klimasystem 2 Aerosole und Klima ausüben, zeigt sich besonders deutlich, wenn man Die Temperatur der Erdoberfläche ergibt sich aus ihre vergleichsweise geringe Konzentration be- dem Gleichgewicht zwischen eingestrahlter Ener- rücksichtigt. Ein Klimaantrieb von ähnlicher Grö- ßenordnung wie durch CO wird durch eine Mas- gie der Sonne im sichtbaren und nahen infraroten 2 und der Abstrahlung der Erde im infraroten Spek- senkonzentration von Aerosolen erzeugt, die etwa tralbereich. Für eine Erde ohne Atmosphäre ergä- einen Faktor 10.000 geringer ist. Auch wenn in be sich so eine mittlere Jahrestemperatur von ca. diesem Vergleich die deutlich geringere Lebens- -15°C. Die Atmosphäre transmittiert das einge- dauer der Aerosole im Vergleich zu CO2 nicht be- strahlte Sonnenlicht, hält aber einen Teil der Wär- rücksichtigt wurde, so illustriert Abbildung 1 je- meabstrahlung der Erdoberfläche zurück. Durch doch klar, warum Eingriffe in das Aerosolsystem diesen natürlichen „Treibhauseffekt“ liegt die die aussichtsreichsten Kandidaten für ein Climate mittlere Temperatur der Erdoberfläche derzeit bei Engineering����������������������������������� durch SRM sind. Mit vergleichswei- ca. +15°C. Die wichtigsten Treibhausgase sind das se geringem Aufwand kann ein großer kühlender Kohlendioxid und der Wasserdampf. Aufgrund Effekt verbunden sein. Es lohnt sich jedoch, auch der weitgehend mit flüssigem Wasser bedeckten einen Blick auf die Fehlerbalken der Abbildung 1, Erdoberfläche, spielt letzterer eine Sonderrolle, da sowie auf die rechte Spalte zu werfen, die Klima- seine Konzentration nicht durch Emissionen und wirksamkeit der Aerosolprozesse ist wesentlich Senken beschrieben wird, sondern fast ausschließ- unsicherer als die der klassischen Treibhausgase. lich eine Funktion der Temperatur selbst ist. Da- rüber hinaus kann der Wasserdampf in kälteren Regionen der Atmosphäre kondensieren und Wol- 3 Aerosolbasiertes Climate Engineering ken bilden, die ihrerseits die Sonneneinstrahlung Aerosolbasiertes Climate Engineering begeg­ abschirmen, aber auch die Wärmeabstrahlung der net der erhöhten Absorption der langwelligen Erde behindern. Durch diese Rückkopplungsme- Wärmestrahlung durch Treibhausgase mit einer chanismen hat der Wasserdampf ein großes Poten- Verminderung der kurzwelligen solaren Ein- tial, um den Treibhauseffekt der anderen Klima- gase zu modifizieren und zu verstärken. strahlung. Es stehen dabei zwei Möglichkeiten Aerosolpartikel – das sind die festen Schweb- der gezielten Beeinflussung des atmosphärischen stoffe in der Atmosphäre – tragen zur Trübung der Aerosolsystems im Mittelpunkt des Interes- Atmosphäre durch die Streuung von Sonnenlicht ses, die in etwa auch den beiden Beiträgen der bei und erhöhen so die Erdalbedo. Neben diesem Aerosole in Abbildung 1 entsprechen. Es wird direkten Klimaeffekt, dienen sie jedoch auch als zum einen vorgeschlagen, durch die künstliche Kondensationskeime für die Wolkenbildung. Da Erzeugung von Aerosolpartikeln in der Strato- die Rückstreufähigkeit der Wolken bei vorgege- sphäre direkt die Albedo, das heißt das Rück- benem Gesamtwassergehalt stark von der Anzahl streuvermögen der Erde zu erhöhen. Eine erhöh- der kondensierten Tröpfchen abhängt, haben die te Albedo hat immer eine Abkühlung des Klimas Aerosole, auch auf diesem indirekten Weg über zur Folge, da das zurückreflektierte Sonnenlicht die Wolkeneigenschaften, einen starken Einfluss nicht mehr zur Erderwärmung beiträgt. Partikel auf den Strahlungshaushalt der Atmosphäre. mit einem Radius von ca. 0,5 µm können in der In Abbildung 1 (nächste Seite) werden die Stratosphäre eine lange Lebensdauer von einigen wichtigsten anthropogenen Einflussfaktoren auf Jahren erreichen und verbinden dies mit einer das Klima quantifiziert und der natürlichen Va- hohen massenspezifischen Rückstreufähigkeit. riabilität gegenübergestellt. Neben den gut durch- Zum anderen will man die Albedo von niedrig mischten, langlebigen Treibhausgasen (die ober- liegenden Meereswolken durch die Versprühung sten beiden Balken in Abb. 1) fallen die beiden von Seesalz-Aerosolen indirekt beeinflussen.

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Abb. 1: Quantifizierung der wichtigsten Einflussfaktoren auf das Klima (global gemittelter Strahlungsantrieb (SA) im Jahr 2005 gegenüber 1750)*

* Der global gemittelte Strahlungsantrieb (SA) im Jahr 2005 gegenüber 1750 (beste Schätzwerte und 5-95 %

Unsicherheitsbereiche) für CO2, CH4, N2O und andere wichtige Faktoren und Mechanismen, zusammen mit der typischen geographischen Ausdehnung (räumliche Skala) des Antriebs und einer Beurteilung des Grades des wissenschaftlichen Verständnisses (GDWV). Aerosole aus explosiven Vulkanausbrüchen führen zu einer zusätzlichen episodischen Abkühlungsphase für ein paar Jahre nach einer Eruption. Die Bandbreite geradlini- ger Kondensstreifen schließt keine anderen möglichen Effekte der Luftfahrt auf die Bewölkung mit ein.

Quelle: BMBF 2007, S. 4

Die Klimawirksamkeit stratosphärischer Ae- densiert. Die so entstehenden Schwefelsäure­ rosole kann in der Natur beobachtet werden. Der aerosole verweilen bis zu zwei Jahre in der Stra- Vulkan Pinatubo auf den Philippinen brachte mit tosphäre und verteilen sich innerhalb von drei seinem Ausbruch im Jahre 1991 eine geschätzte Wochen über die gesamte Hemisphäre zwischen Menge von 14 bis 20 Mio. t Schwefeldioxid in Äquator und den mittleren Breiten. Der spektral die Stratosphäre (Stenchikov et al. 1998). Das integrierte Transmissionskoeffizient der Atmo- Schwefeldioxid reagiert mit Hydroxylradikalen sphäre fiel beim Ausbruch des Pinatubos von ca. und Wasser zur Schwefelsäure (H2SO4), welche 0,93 auf 0,79 ab. Diese Verminderung der solaren zusammen mit Wasser zu feinen Partikeln kon- Einstrahlung spiegelte sich in einer für ca. 3 Jahre

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um ein halbes Grad Celsius geringeren, global ge- ein Viertel der Meeresoberfläche bedecken und mittelten Bodentemperatur wider (Robock 2000). typischerweise eine relative geringe Anzahldich- Wollte man diesen natürlichen Effekt künst- te von Wolkentropfen von unter 150 pro Ku- lich herbeiführen, so müsste Schwefel dabei bikzentimeter besitzen. Diese entstehen haupt- in Form von H2S oder SO2 in die Stratosphäre sächlich durch Kondensation von Wasserdampf transportiert werden, um dort Schwefelsäure- an natürlichen Seesalz-Partikeln, welche durch aerosole zu bilden. Dies wäre einerseits durch Winde über den Meeren entstehen. Um eine die Nutzung aktueller Technologien, wie z. B. Kühlwirkung auf das Klima zu erzielen, die einer

Flugzeuge, Wetterballons oder Artilleriegeschüt- Verdopplung der CO2-Konzentration entspricht, ze möglich, andererseits wäre es möglich neue müsste sie durch den Einsatz von künstlichen Technologien zu entwickeln, die diese Aufgabe Aerosol-Emittern so angehoben werden, dass in effizienter bewältigen könnten. Die bisherigen den Wolken Partikelkonzentration von ca. 400 Abschätzungen zu den Kosten der Ausbringung pro Kubikzentimeter für die Kondensation von belaufen sich z. B. bei der Nutzung von Tank- Tröpfchen bereit stehen. Nach dem Vorschlag flugzeugen auf wenige Milliarden Dollar/Jahr. der Proponenten des Verfahrens würde dies be- Diese Kosten hängen jedoch stark von der Höhe deuten, dass beispielsweise eine Flotte von 1.500 der Ausbringung ab (Robock et al. 2009). Schiffen, die Seesalzaerosole emittieren, aufge- Weniger diskutiert werden Techniken, baut werden müsste die jeweils 20 l Salzwasser Schwefelspezies auf Bodenhöhe zu emittieren, die pro Sekunde versprühen (Rasch et al. 2008). den Transport durch die Troposphäre ohne Oxi- Eine Sprühtechnik, die den dort gestellten An- dation überstehen. Es wäre z. B. vorstellbar, den forderungen genügt, steht derzeit allerdings nicht natürlichen Transport von Schwefel in die Stra- zur Verfügung. Beim Einsatz von aktuell zur Ver- tosphäre über das biogene Carbonylsulfid zu ver- fügung stehender Technik wäre unter anderem der stärken. Zu dieser Option fehlen detaillierte Un- Energieaufwand der Schiffe prohibitiv groß. Des tersuchungen, vermutlich auch deshalb, weil Un- Weiteren zeigen globale Klimamodelle, die die sicherheiten in den zugrundeliegenden Prozessen Funktion der Aerosole im Detail beinhalten, dass bestehen (Chin, Davis 1995; Barkley et al. 2008). eine komplexe Wechselwirkung zwischen natürli- Neben den Schwefelaerosolen ist es auch chen und künstlich erzeugten Seesalz-Aerosolen vorstellbar, andere künstlich hergestellten Par- in den Wolken stattfindet. Die Konzentration der tikel in die Stratosphäre auszubringen, die mit Partikel wird zwar stark erhöht, sie stehen aber erwünschten optischen und mikrophysikalischen nicht für die Kondensation von Wolkentröpfchen Eigenschaften ausgestattet sind (Teller et al. zur Verfügung, da sie den Sättigungsdampfdruck 1997). Bisher wurde jedoch noch kein Vorschlag so erniedrigen, dass in 20 % der Fälle insgesamt für die Möglichkeit einer Produktion dieser Na- sogar weniger Aerosolpartikel für die Bildung von nopartikel in großer Stückzahl erbracht. Wolkentröpfchen bereit stehen (Korhonen et al. Der zweite Vorschlag zur Modifikation der 2010). Als untere Grenze wird vermutet, dass die Wolkenalbedo in den unteren Atmosphärenschi- Sprührate mindestens fünfmal höher sein müsste, chten stammt von John Latham (1990). Twomey als ursprünglich angenommen (Rasch et al. 2008). entdeckte, dass eine Erhöhung der Aerosolkon- Über diese speziellen technischen Probleme zentrationen in Wolken dazu führt, dass sich das hinaus sind allen Methoden des SRM die folgen- zur Verfügung stehende Wasser auf mehr Tröp- den generellen Probleme bzw. Nebenwirkungen fen verteilt. Die Gesamtoberfläche der Streuzen- gemeinsam: tren wird erhöht und mehr Sonneneinstrahlung 1. Eine Kompensation der Treibhausgasbeding- kann reflektiert werden, die Wolken erscheinen ten Erderwärmung wird durch SRM höchstens weißer (Twomey 1977). Dieser Effekt soll nun im räumlichen und zeitlichen Mittel erreicht, durch die Ausbringung von Seesalz-Aerosolpar- da die Abstrahlung von Wärme jederzeit und tikeln künstlich verstärkt werden. überall – mit nur geringer Variabilität – statt- Besonders geeignet hierfür sind tief liegen- findet, während die solare Einstrahlung stark de, ozeanische Stratocumulus-Wolken, die ca. von der geographischen Breite und der Jah-

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reszeit abhängt. In den Polarwintern beispiels- Oberfläche der Partikel bis hin zu ungewollten weise fällt die Sonneneinstrahlung auf nahe- Rückwirkungen auf die Wolkenbildung (Rasch zu Null, während dennoch in beträchtlichem et al. 2008; Heckendorn et al. 2009; Korhonen et Maße Wärme abgestrahlt wird. Trotz dieses al. 2010). Diese Probleme werden in den Klima- zeitlichen und räumlichen Ungleichgewichtes modellen, die die Wirksamkeit von SRM belegen des Energieflusses bestätigen numerische Kli- sollen, derzeit nur unzureichend oder überhaupt mamodelle die Möglichkeit einer weitgehen- nicht behandelt. Konzeptionell sind die vorge- den Kompensation der Erderwärmung durch schlagenen SRM-Methoden oft bestechend ein- SRM. Dies ist der schnellen räumlichen Um- fach, es zeigt sich aber bei näherer Betrachtungs- verteilung der Wärme durch die globale atmo- weise häufig, dass der Teufel im Detail liegt. sphärische Zirkulation zu verdanken, welche Eine nähere Beschäftigung mit den einzelnen sich den neuen Antrieben anpasst. Durch diese Methoden würde unter Umständen zeigen, dass Änderung der Zirkulation ist jedoch auch eine zur Kompensation der auftretenden technischen Änderung in der räumlichen Verteilung der Probleme ein hoher Aufwand erforderlich ist, der Wind- und Niederschlagszonen zu erwarten, die vermeintlich niedrigen Kosten eines globalen die derzeit noch nicht ausreichend quantifiziert SRM als Wunschtraum entlarvt. werden kann. Diese Unsicherheit wird für ae- rosolbasierte Methoden noch größer, wenn zu- sätzlich deren wichtige Rolle im Wasserkreis- 4 Bewertung lauf berücksichtigt wird. Aerosole wirken hier Die Befürworter des Climate Engineering ver-ver- nicht nur als Kondensationskeime für die Wol- sprechen, eine wesentlich günstigere Alternative kenbildung, sondern sie tragen als Eiskeime zum teuren Aufbau einer CO -freien Energiever- wesentlich zur Entstehung des Niederschlags 2 sorgung anbieten zu können. Es gibt jedoch ge- bei. Eine Klimabeeinflussung durch Aerosole wichtige Gründe, die gegen einen großangelegten ohne gleichzeitige Beeinflussung des Nieder- menschlichen Eingriff ins Erdklima sprechen. schlags ist daher kaum vorstellbar. (Hegerl, Der Aufbau eines funktionierenden Climate Solomon 2009; Jones et al. 2009). Engineering wäre eine extreme Herausforderung 2. SRM reduziert nicht die Konzentration der an die Kooperation der gesamten Menschheit, Treibhausgase und damit nicht deren sonstige sich auf ein wünschenswertes Klima zu einigen, Nebenwirkungen. So würde beispielsweise in obwohl es dabei Gewinner und Verlierer geben einer SRM-gekühlten Welt die Versauerung würde. Die Kosten der technischen Umsetzung der Meere durch CO weiter stattfinden (Orr 2 müssten ebenso verteilt werden wie die vermu- et al. 2005). teten oder nachgewiesenen Lasten der Neben- 3. SRM-Maßnahmen müssten sehr langfristig wirkungen. Dieses System müsste stabil über durchgehalten werden. Eine Aufgabe oder viele Jahrhunderte funktionieren, je länger es ein Versagen der SRM Methode nach einigen bereits installiert ist, desto verheerender wären Jahrzehnten hätte einen rapiden Klimawandel die Folgen eines Ausfalls. Aber selbst wenn die zur Folge, der keine Zeit für eine Anpassung technischen Probleme überwunden und die La- der Ökosysteme und der Gesellschaft lässt sten der Nebenwirkungen der Klimamanipulati- (Brovkin et al. 2009). on durch internationale Vereinbarungen auf die Neben diesen generellen Nachteilen gibt es für Weltgemeinschaft gerecht verteilt wären, würde jede konkret vorgeschlagene Methode des SRM Climate Engineering ���������������������������zu einer faktischen Aufga- eine Vielzahl von technischen und atmosphä- be des Verursacherprinzips führen. Im Gegensatz renphysikalischen Detailproblemen, die bislang zu anderen, mit Risiken behafteten großtechni- nicht ausreichend untersucht sind. Das reicht von schen Unterfangen, wäre in einem künstlichen Vorgängen der Koagulation und Sedimentation, Klima die kausale Rückführung eines Versagens die mit einer Ausbringung der Aerosolpartikel oder einer Havarie auf eine technische Maßnah- in hoher Konzentration und Menge einhergehen, me nicht mehr möglich. Die Verantwortung für über unbeabsichtigte chemische Vorgänge an der eine Naturkatastrophe wie einen extremen Sturm

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oder eine große Überflutung könnte weder einer bal Governance of Climate Engineering“���������� des Mar- bestimmten ��������������������������������Climate Engineering �������������Maßnahme zu- silius-Kollegs der Universität Heidelberg für viele geschrieben werden, noch könnte solch eine Ver- stimulierende Diskussionen. antwortung wirksam bestritten werden. Derartige Ereignisse könnten demnach zum Auslöser inter- Literatur nationaler Spannungen werden, oder vorhandene Barkley, M.P.; Palmer, P. I.; Boone, C. D. et al., 2008: verstärken. Dies gilt umso mehr, als es nicht a Global Distributions of Carbonyl Sulfide in the Up- priori ausgeschlossen ist, dass das �������������Climate Engi- per Troposphere and Stratosphere. In: Geophysical neering tatsächlich zu aggressiven Maßnahmen Research Letters 35 (2008), L14810 missbraucht werden könnte. BMBF – Bundesministerium für Bildung und For- Die oben aufgeführten Argumente lassen schung, 2007: Zwischenstaatlicher Ausschuss für Kli- eine Lösung des Klimaproblems durch Climate maänderungen (IPCC, WMO/UNEP). Climate Change Engineering ������������������������������������eher problematisch erscheinen. Den- 2007: Synthesis Report. Übersetzung des BMBF noch wird es schwer möglich sein, �����������Climate En- Brovkin, V.; Petoukhov, V.; Claussen, M. et al., C. 2009: gineering �������������������������������������durch ein Moratorium einfach zu ver- Geoengineering Climate by Stratospheric Sulphur In- bieten. Die vorgeschlagenen Maßnahmen wären jections: Earth System Vulnerability to Technological teilweise für einzelne mittelgroße Staaten oder Failure. In: Climatic Change 92 (2009), S. 243–259 sogar für vermögende Individuen umsetzbar. Im Chin, M.; Davis, D.D., 1995: A Reanalysis of Carbo- Falle einer fortschreitenden Klimaveränderung nyl Sulfide as a Source of Stratospheric Background Sulfur Aerosol. In: Journal of Geophysical Research oder nach größeren meteorologischen Naturkata- 100 (1995), S. 8993–9005 strophen könnte der Ruf nach den scheinbar ein- fachen, billigen und schnell wirkenden Climate Crutzen, P.J., 2002: Geology of Mankind. In: Nature 415 (2002), S. 23 Engineering Maßnahmen so laut werden, dass eine pauschale Ablehnung nicht mehr aufrecht Crutzen, P.J., 2006: Albedo Enhancements by Strat- ospheric Sulfur Injections: A Contribution to Resolve zu erhalten ist. Besonders für einen solchen Fall a Policy Dilemma? In: Climatic Change 77 (2006), ist es wichtig, dass die Kosten sowie Nebenwir- S. 211–219 kungen und Konsequenzen des Climate Engi-Engi- Heckendorn, P.; Weisenstein, D.; Fueglistaler, S. et neering bereits im Detail erforscht sind, um zu al., 2009: The Impact of Geoengineering Aerosols on einer begründbaren Entscheidung zu gelangen. Stratospheric Temperature and Ozone. In: Environ- Ohne eine vorausgehende umfassende Analyse mental Research Letters 4/4 (2009), 045108, S. 1–12; könnte man zu der Auffassung kommen, mit ����Cli- doi: 10.1088/1748-9326/4/4/045108 mate Engineering liege ein Werkzeug bereit, um Hegerl, G.C.; Solomon, S., 2009: Risks of Climate im Bedarfsfall einen gefährlichen Klimawandel Engineering. In: Science 325 (2009), S 955–956 zu begrenzen. Dieses Gefühl der Sicherheit kann Jones, A.; Haywood, J.; Boucher, O., 2009: Climate die Anstrengungen für eine Vermeidung des Kli- Impacts of Geoengineering Marine Stratocumulus mawandels dämpfen und uns in der Zukunft mit Clouds. In: Journal of Geophysical Research 114 weniger Optionen ausgestattet finden. Daher (2009), D10106 erscheint eine transdisziplinäre Forschung zum Keith, D.W., 2000: Geoengineering the Climate: His- Climate Engineering nach dem Vorsorgeprinzip tory and Prospect. In: Annual Review of Energy and geboten. Sie hinterfragt, ob Climate EngineerEngineer-- the Environment 25 (2000), S. 245–284 ing in Zukunft technologisch umsetzbar wäre, Keith, D.W., 2009: Engineering the Planet. In: Sch- welche Kosten entstünden und welche meteo- neider, S.H.; Rosencranz, A.; Mastrandrea, M.D. ; rologischen, politischen oder gesellschaftlichen Kuntz-Duriseti, K. (Hg.): Climate Change Science Nebenwirkungen zu erwarten wären. and Policy, S. 494-502 Korhonen, H.; Carslaw, K. S.; Romakkaniemi, S., 2010: Enhancement of Marine Cloud Albedo via Con- Anmerkung trolled Sea Spray Injections: A Global Model Study of the Influence of Emission Rates, Microphysics and 1) Die Autoren danken Herrn Prof. Ulrich Platt und Transport. In: Atmospheric Chemistry and Physics 10 den weiteren Mitgliedern des Projekts „��������The Glo- (2010), S. 4133–4143

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Latham, J., 1990: Control of Global Warming? In: Argumente für und wider Nature 347 (1990), S. 339–340 Orr, J.C.; Fabry, V.J.; Aumont, O. et al., 2005: An- „Climate Engineering“ thropogenic Ocean Acidification over the Twenty-first Versuch einer Kartierung Century and its Impact on Calcifying Organisms. In: Nature 437 (2005), S 681–686 von Konrad Ott, Universität Greifswald Rasch, P.J.; Crutzen, P.J.; Coleman, D.B., 2008: Ex- ploring the Geoengineering of Climate using Strat- Der Beitrag stellt einen ersten Versuch dar, ospheric Sulfate Aerosols: The Role of Particle Size. eine Kartierung der Argumente für und wider In: Geophysical Research Letters 35 (2008), L02809 einen großmaßstäblichen technischen Ein- Rasch, P.J.; Tilmes, S.; Turco, R.P. et al., 2008: An griff in das Klimasystem der Erde vorzuneh- Overview of Geoengineering of Climate using Strat- men, um dadurch den Folgen des Treibhaus- ospheric Sulfate Aerosols. In: Philosophical Transac- effektes entgegen zu wirken. Eine solche Kar- tions of the Royal Society A366 (2008), S 4007–4037 tierung ist eine Voraussetzung für einen glo- balen Diskurs, der angesichts der vielen Ri- Robock, A.: 2000: Volcanic Eruptions and Climate. In: siken und Unsicherheiten dringend geboten Reviews of Geophysics 38 (2000), S. 191–219 ist. Fokussiert wird eine bestimmte Option Robock, A.; Marquardt, A.; Kravitz, B.; Stenchikov, im Spektrum des Klima-Engineering, nämlich G., 2009: Benefits, Risks, and Costs of Stratospheric die Option, die obere Atmosphäre mit Sulfa- Geoengineering. In: Geophysical Research Letters 36 taerosolen anzureichern. Im Anschluss an (2009), L19703 die Darstellung der wesentlichen Argumente Royal Society, 2009: Geoengineering the Climate: wird eine vorläufige Urteilsbildung versucht.1 Science, Governance and Uncertainty. RS Policy Document 10/09. London 1 Einführung Stenchikov, G.L.; Kirchner, I.; Robock, A. et al., 1998, Radiative Forcing from the 1991 Mount Pinatubo Vol- Die Debatte um „Climate Engineering“ (CE) canic Eruption. In: Journal of Geophysical Research 103 (1998), S. 13.837–13.857 nimmt Fahrt auf. Vor kurzem wurde in Asilomar (Kanada) eine Konferenz abgehalten. Deutsche Teller, E.; Wood, L.; Hyde, R., 1997: Global Warming and Ice Ages: I. Prospects For Physics-Based Modu- Universitäten bieten Sommerkurse an. Medien lation Of Global Change. 22nd International Semi- greifen das Thema auf. In Deutschland hat sich nar on Planetary Emergencies, Erice (Sicily), Italy, eine Verantwortungsinitiative aus Wissenschaft- August 20–23, 1997; http://chemtrails911.com/docs/ lern unterschiedlicher Disziplinen gebildet, die scatteringEdTellerwithnotes.pdf (download 22.7.10) bislang zu mehreren DFG-Rundgesprächen und Twomey, S., 1977: The Influence of Pollution on the zu einer Forschungsstrategie geführt hat, an der Shortwave Albedo of Clouds. In: Journal of the At- auch Philosophen und Ethiker mitwirken werden. mospheric Sciences 34 (1977), S. 1149–1152 Wenn ich Studenten, Kollegen, Nachbarn und Bekannte über die neue Climate-Enginee­ Kontakt ring-Debatte informiere, ernte ich immer ähnähn-- liche intuitive Reaktionen. Sie reichen von der Prof. Dr. Thomas Leisner Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Verwunderung darüber, dass „so etwas über- Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) haupt diskutiert wird“ über eine politisch gefärb- Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe te Empörung darüber, dass ausgerechnet in den Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 65 USA, die mit guten Gründen als klimapolitischer Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 43 32 „Schurkenstaat“ bezeichnet werden können, die- E-Mail: [email protected] se Option favorisiert wird, bis hin zu fassungslo- sem Entsetzen über die Anmaßungen der Mach- barkeit. Die hierzulande verbreiteten Intuitionen « » sprechen insofern die klare Sprache von Nein- Stellungnahmen. Ethisch betrachtet, sind morali- sche Intuitionen so etwas wie die Rohmaterialien praktischer Diskurse, die gewiss keine Sicherheit

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verbürgen, aber auch nicht als belanglos abgetan gezogen werden sollten (und welche nicht). Es werden können. Dies sehen auch Befürworter geht also zunächst nicht um die Details einzelner von CE-Forschung ähnlich: „It is a healthy sign Schemata (wie die Wahl der Diskontrate oder die that a common first response to geoengineering Monetarisierung ökologischer Schäden), sondern is revulsive.“ (Keith et al. 2010, S. 427) um die Wahl der geeigneten Schemata selbst. Mit In naturwissenschaftlichen Kreisen werden Immanuel Kant kann man derartige grundsätz- immer ein Wissensdefizit und ein Forschungs- liche Fragen mit Hilfe der Unterscheidung von desiderat geltend gemacht. Ein moralisches oder Verstand und Vernunft näher fassen: Der Verstand politisches Urteil zu CE muss allerdings auf einer entwickelt vielfältige Maximen des Handelns und belastbaren wissenschaftlichen Informationsba- Schemata der Beurteilung, während die Vernunft sis über Möglichkeiten, Konsequenzen und, nicht diese Maximen und Schemata kritisch reflektie- zuletzt, Risiken von CE beruhen. Insofern sind ren können muss. Unterbleibt solche Reflexion, Forschungsaktivitäten zu begrüßen. Allerdings können die Leistungen des Verstandes ethisch in wird auch unter Naturwissenschaftlern mehrheit- die Irre führen. Eine Möglichkeit besteht darin, lich anerkannt, dass großmaßstäbliche Feldversu- die verschiedenen Schemata der Technikethik che etwa mit Sulfatinjektionen in der Stratosphä- und der Technikfolgenabschätzung (Grunwald re nicht durch das Prinzip der Forschungsfreiheit 2002; Ott 2005) auf CE zu beziehen. CE wäre ein abgedeckt sind, da es sich um Handlungen in Musterbeispiel für den Einsatz von TA-Konzep- und an der Realität handelt. Der Habitus vieler ten, darunter auch solchen, die partizipative Ele- deutscher Naturwissenschaftler ist generell eher mente fordern (Skorupinski, Ott 2000). vorsichtsorientiert. Auch die Deklaration, die Die Charakteristika des jeweiligen Problems am Ende der Asilomar-Konferenz verabschiedet sollten bei der Auswahl der Schemata eine ge- wurde, betont die Prinzipien von Verantwortung, wichtige Rolle spielen dürfen. Armin Grunwald Transparenz und Partizipation (Committee 2010). (2010) hat nun darauf aufmerksam gemacht, dass In ökonomischen und sozialwissenschaft- einige CE-Optionen Charakteristika aufweisen, lichen Kreisen neigt man dazu, CE-Optionen die ein besonders hohes Maß an Vorsicht recht- anhand der gängigen Entscheidungsschemata fertigen: dazu gehören z. B. globale Skalierung, zu beurteilen, also anhand (1) von Kosten-Nut- mögliche Irreversibilität, unabsehbare Neben- zen-Analysen oder (2) anhand einer „Rational- wirkungen, Risikotransfer in die Zukunft. CE ist Choice“-Theorie in Verbindung mit einer Portfo- aufgrund dieser Merkmale ein Musterbeispiel lio-Konzeption aller Möglichkeiten, den Klima- für „post normal science“: Entscheidungen von wandel und seine Auswirkungen zu begrenzen. enormer Tragweite müssen auf einer unsicheren Im Bericht der Royal Society werden „harte“ von Wissensbasis moralisch und politisch verantwor- „weichen“ Kriterien der Bewertung unterschieden tet werden. Es handelt sich bei einigen CE-Op- (Royal Society 2009). Hierzu habe ich an ande- tionen um den Risikotypus, für den Hans Jonas rem Ort gefordert, den vermeintlich weichen ethi- (1979) seine Heuristik der Furcht und das Primat schen Kriterien größere Bedeutung beizumessen der Unheilsprognose entwickelt hat. Nun können (Ott 2010, S. 61). Die Unterscheidung zwischen wir die Verantwortungsethik von Jonas nicht ein- sog. harten technischen und ökonomischen und fach in Gänze übernehmen; vielmehr müsste es sog. weichen ethischen Kriterien ist keineswegs darum gehen, die CE-Optionen in einer Verbin- selbstverständlich und sollte den Diskurs nicht dung aus Diskurs- und Verantwortungsethik zu präjudizieren. Die CE-Optionen dürfen auch nicht thematisieren, wie sie u. a. Karl Otto Apel und stillschweigend dahingehend bewertet werden, ob Dietrich Böhler für die Epoche der ökologischen sie besser in den Rahmen des Konzepts namens Krise vorgeschlagen haben (siehe Apel 1990, S. „science“ passen. Dies wäre ein Szientismus, der 17–22). Entscheidend für die Beurteilung sind wissenschaftsethisch zwar längst widerlegt ist (Ott letztlich natürlich Argumente, aber das Wissen 1997), aber immer noch wirksam zu sein scheint. darum, wie hoch der Einsatz ist, führt zu einem Es ist insofern keineswegs klar, welche geschärften Verantwortungsbewusstsein nicht Entscheidungsschemata zur Beurteilung heran- zuletzt bei der Prüfung der vorgebrachten Argu-

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mente. Eine kritische Prüfung darf auch ideolo- das Grundprofil der CE-Typen, wenngleich- si giekritische und diskurssoziologische Aspekte cherlich nicht alle Details. Als Beschreibungsfo- umfassen, so wenn gefragt wird, wer bestimmte lien bieten sich Machbarkeit, Wirksamkeit, d. h. CE-Optionen offensiv propagiert. Effektivität („Klimapotenzial“), Forschungspro- Die Schemata des technischen und öko- fil, Risiken, Ungewissheiten, involviertes Ak­ nomischen Verstandes müssen daher durch ein teursnetzwerk und dergleichen an. Beschreibun- diskursethisches Schema ersetzt werden. Dieses gen sollen (möglichst wertfrei) verdeutlichen, muss in der Wirklichkeit des Diskurses selbst womit wir es jeweils zu tun haben. Ausgehend seine Überlegenheit unter Beweis stellen. Ein hiervon sollten Wissensdefizite und Forschungs- solcher Denkrahmen wird im ersten Teil dieses fragen identifiziert werden. Aufsatzes skizziert. Im zweiten Teil werden Ar- CDR stehe ich in Forschung und Anwen- gumentationsmuster versammelt, die für und ge- dung aufgeschlossen gegenüber. Einzelne For- gen eine bestimmte Einsatzvariante von CE spre- men wie etwa Aufforstung, Moorschutz, Schutz chen. Im dritten Teil wird dann eine vorläufige des Kohlenstoffs in Böden etc. weisen viele Stellungnahme gewagt. Querverbindungen zu kluger Anpassung sowie zum Schutz und der nachhaltigen Nutzung bio- logischer Vielfalt auf. Forschungen zu derartigen 2 Diskursanalytischer Denkrahmen ökologischen und naturschutzaffinen CDR-Op- Ein analytisches Schema von einzelnen Kompo- tionen sollten verstärkt gefördert werden (siehe nenten von CE-Optionen umfasst eine Reihe von dazu Achternbosch et al. in diesem Heft). Wie Unterscheidungen. Die erste Unterscheidung ver- kann und soll ein globales und naturschutzaffi- ortet CE in der übergreifenden Problematik des nes CDR-Management konzipiert und realisiert Klimawandels. Maßnahmen, den Klimawandel werden, das zugleich die Resilienz der Böden, und seine Folgen zu begrenzen, unterscheiden Wälder, Moore etc. stärkt und große temporäre sich in die Triade von a) Emissionsvermeidung C-Speicher anlegt? Langfristig könnten Verbin- (mitigation), b) Anpassung an den Klimawandel dungen aus nachhaltiger Biomassenutzung und (adaptation) und c) climate engineering (CE). CCS interessant sein, um so die CO2-Konzen- Diese Dreiecksbeziehung verlangt es, die einzel- trationen in der Atmosphäre zu verringern. Auch nen Teilrelationen zu bestimmen. Hierzu werden die Querverbindungen aus Anpassung und CDR häufig Vokabeln wie „komplementär“, „einander verdienen eine deutlich verbesserte Forschungs- nicht ausschließend“, „unterstützend“ verwendet. förderung. Vornehmlich die DFG sollte eine sol- Allerdings ist eine statische Betrachtung dieser che transdisziplinäre Umwelt-, Naturschutz- und Teilrelationen unzureichend. Es kommt vielmehr Klimaforschung verstärkt fördern. entscheidend darauf an, die politische Dynamik Es ist bezeichnend, dass CDR zwar immer dieses Beziehungsgefüges zu konzipieren. So genannt, aber nur selten propagiert wird. Zumeist könnte CE verbaliter als allenfalls kurzfristige wird gesagt, CDR wirke zwar positiv, aber leider Ergänzung zu mitigation bestimmt werden, wäh- (zu) langsam. Das ist richtig, zeigt aber, dass eine rend CE sich realiter zur Alternative entwickelt. Kombination aus strikter Vermeidung, kluger Die Bestimmung der Teilrelationen ist relevant, und gerechter Anpassung sowie ergänzenden, wenn es darum geht, Bedingungen zu formulie- naturschutzorientierten CDR-Maßnahmen eine ren, unter denen CE erlaubt sein könnte. kohärente, konsistente und klimaethisch attrak- Die zweite Unterscheidung differenziert tive globale Strategie darstellt (Ott 2009), deren zwischen Typen des CE. Hier hat sich die Un- Zeitfenster sich noch keineswegs geschlossen terscheidung zwischen Carbon Dioxide Removal hat. Was SRM-Protagonisten von naturschutzaf- (CDR) und Solar Radiation Management (SRM) finen CDR-Maßnahmen halten, geht aus folgen- eingebürgert. Beide Typen lassen sich weiter dem Zitat hervor: „Most people probably don’t nach Unterformen differenzieren. Alle Subtypen think of planting trees as geoengineering. I doubt von CE können bereits jetzt in ihren Grundzügen whether most of you would have come if this charakterisiert werden. Wir kennen gleichsam program were on afforestation.“ (Schelling 1996,

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S. 305) Der Ausdruck „program” bezieht sich auf zuführen, wenn andere Nationen hiervon nicht die Tagung, auf der Schelling seine Vorschläge betroffen wären. Ein entsprechender Feldversuch zu (unilateralem) SRM unterbreitete. Bezeich- in tropischen Gebieten hingegen bedürfte der Zu- nend ist dies, weil Schelling offenbar an einen stimmung der dortigen Staaten. Hintergrundkonsens appellieren konnte, dass es Eine vierte Unterscheidung bezieht sich auf bei CE letztlich um SRM gehe. den epistemischen Hintergrund des CE-Diskur­ SRM kann differenziert werden nach a) welt- ses. Mindestens ebenso wichtig wie die Frage raumgestützten Reflektoren, b) technischer Erzeu- nach der naturwissenschaftlichen Basis (Theorien, gung von Wolken und c) Einbringen großer Men- Modelle, Experimente) ist auch die Frage, welche gen von Sulfaten in die Stratosphäre. Es dürfte sozialwissenschaftlichen Annahmen herangezo- weitgehend Konsens bestehen, dass die Beschrei- gen werden, um die politische Dimension von CE bungen der Sulfat-Option ein Eigenschaftsprofil zu beleuchten. Hierbei ist an Theorien internatio- ergeben, aufgrund dessen man die These vertreten naler Beziehungen (Neorealismus versus Institu- kann, dass diese Option die eigentliche ethische tionalismus), Spiel- und Entscheidungstheorie, Versuchung darstellt (Royal Society 2009; Ott Governance-Theorien etc. zu denken. Derartige 2010; Leisner, Müller-Klieser in diesem Heft). Theorieangebote sind niemals wertfrei, da sie Das Einbringen von Sulfaten in die obere Atmo- häufig über den involvierten Rationalitätsbegriff sphäre verspricht eine schnelle Wirkung auf die mit normativen Fragen in Verbindung stehen. Es Erdtemperatur, ist technologisch machbar, verur- handelt sich um performative Theorien, die po- sacht vergleichsweise geringe direkte Kosten der litische Wirklichkeiten nicht einfach abbilden, Einbringung und ist unilateral durchführbar. Somit sondern vielmehr diese beeinflussen und prägen. kann man affirmativ geltend machen, es handele Auch sind die Konzepte, mittels derer Risiken ab- sich um eine effektive, effiziente und machbare geschätzt werden sollen, niemals wertfrei (Skoru- Lösung, die von allen großen Staaten entschlossen pinski, Ott 2000). Die ethischen Wertungen wer- durchgeführt werden könnte. Im Folgenden wird den in einigen Risikotheorien durch das Konzept daher diese Option fokussiert. der subjektiven Erwartungswerte verdeckt. Die dritte Unterscheidung betrifft das Ver- Vor dem Hintergrund dieser Unterscheidun- hältnis von Forschung und Einsatz. Hier ist zwi- gen geht es also darum, einer problematischen schen theoretischer Forschung (Modellierung), Handlungsoption (Sulfateinbringung in die obe- Experimenten unter Laborbedingungen, Frei- re Atmosphäre) mit Gründen einen deon­tischen landversuchen und dem wirklichen Einsatz etwa Operator (verboten, geboten, erlaubt) zuzuordnen, der Sulfat-Option zu unterscheiden. Besonders diese Zuordnung dann an Bedingungen zu knüp- umstritten sind großmaßstäbliche Feldversuche fen, hinsichtlich der Unterscheidung von Recht mit Sulfaten in der Atmosphäre. Solche Versuche und Moral zu differenzieren usw. Um dies ethisch erscheinen aber erforderlich, wenn man belast- verantwortlich tun zu können, müssen zunächst bare Aussagen über die Klimawirksamkeit tref- die einschlägigen Argumente betrachtet werden. fen möchte. Feldversuche, die einen messbaren Nachweis auf das Klima haben sollen, müssten so 3 Argumentationsmuster Pro und Contra großmaßstäblich sein, dass es sich im Grunde be- reits um den Einsatz der betreffenden Technolo- In einem ersten Schritt müssen substantielle Pro- gie handelte (Blackstock, Long 2010, S. 527). Di- und Contra-Gründe gesammelt und geprüft wer- rekte Eingriffe mit realen Konsequenzen stehen den. Die Prüfung umfasst eine interne Analyse jedoch unter wissenschaftsethischen Prinzipien der jeweiligen Voraussetzungen und eine Zuord- wie dem einer wohlinformierten Zustimmung der nung einzelner Argumente zueinander. Die bloße hiervon Betroffenen. So wäre es vielleicht durch Anzahl der Gründe ist natürlich unwesentlich, das Prinzip der territorialen Souveränität gedeckt, deren Güte bzw. Gewicht ist entscheidend. Frei- wenn USA, Russland und Kanada beschlössen, lich haben Gründe kein messbares spezifisches einen begrenzten Feldversuch mit Sulfaten über, Gewicht wie materielle Stoffe. Güte und Ge- sagen wir, Alaska, Jakutien oder Manitoba durch- wicht von Gründen stellen sich eher während des

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Diskurses sukzessive heraus. Da der CE-Diskurs Gewohnheiten und ökonomische Besitzstän- noch in den ersten Anfängen steht, kann über das de. SRM lässt sich in Ländern wie vor allen Gewicht einzelner Gründe hier nicht endgültig den USA politisch leichter „verkaufen“ als befunden werden. Allenfalls kann man zuletzt eine Umstellung auf emissionsarme Produk- einige vorläufige Einschätzungen zu Güte und tion und Konsumption. Dadurch werde SRM Gewicht einzelner Gründe anbieten. Zunächst für viele Politiker faktisch attraktiv. geht es um eine Sichtung im Überblick, die noch • „Innovation“-Argument. Das Innovation- stärker als es im Folgenden geschieht, auf die Argument besagt, dass durch CE techno- Unterscheidung von Feldversuchen und Einsatz logischer Fortschritt stimuliert werde, was bezogen werden müsste. zu Patenten, neuen Verfahren etc. führe und attraktive Geschäftsfelder und Jobs schaffen würde. Eine SRM-Industrie würde Teil eines 3.1 Die zentralen Argumente der industriellen Komplexes, in dem hohe Rendi- Befürworter ten auf investiertes Kapital winkten. • „Do-it-alone“-Argument. Es besagt, dass Auf der Seite der Befürworter finden sich im We- Vermeidung die dauerhafte Kooperation vie- sentlichen folgende Argumente: ler Nationen bedarf, während die Sulfat-Opti- • „Arming-the-Future“-Argument. Dieses Ar- on von einem Staat oder einer kleinen Gruppe gument besagt, dass wir moralisch verpflich- von der Richtigkeit ihres Handelns überzeug- tet sind, sämtliche Optionen zu erforschen, ter und entschlossener Staaten zum Wohle der um zukünftigen Generationen eine optimale gesamten Menschheit durchgeführt werden Entscheidungsgrundlage zu bereiten. Es be- kann. Befürworter dieses Argumentes mei- zieht sich primär auf Forschungen bis hin zu nen, da der Einsatz von SRM völkerrechtlich Feldversuchen, nicht auf den Einsatz. Dieses nicht reguliert ist, könne er bis auf weiteres Argument kann mit weiteren Argumenten ge- als legal gelten. Ob dieses Argument wirklich stützt werden, die besagen, dass man sich für ein pro- oder nicht vielmehr ein contra-Argu- Notsituationen vorbereiten und auch über „ul- ment ist, steht nicht fest. 1 tima-ratio“-Optionen verfügen können sollte. Diese pro-Argumente verdienen Beachtung, da • „Lesser-Evil“-Argument. Es besagt, dass der sie die eingangs erwähnten Intuitionen konterka- Einsatz der Sulfat-Option im Vergleich zu rieren. Es ist fair zu sagen, dass diese Argumente einem durch Vermeidung (mitigation) unge- vor allem in den USA vertreten werden. Daher tre- bremsten Klimawandel das kleinere Übel sein ten sie gleichsam im Gewande von (burschikosen) dürfte. Die implizite Ethik des Arguments Mentalitäten auf, die manche Europäer schätzen, liegt in der Übelabwägung. andere hingegen nicht. Es fragt sich daher, ob es • „Efficiency“-Argument. Das Efficiency-Argu- sich um universalisierbare Gründe handelt. Um ment besagt, dass die direkten und die (schwer dies herauszufinden, müsste die SRM-Debatte abschätzbaren) indirekten Kosten des Einsat- globalisiert werden, was bislang nicht der Fall ist. zes der Sulfat-Option geringer sind als die Ko- Vielfach scheint in den USA der Glaube vorzu- sten von Vermeidung und Anpassung, so dass herrschen, alles, was sich nach westlichen Stan- es eine Verschwendung von volkswirtschaftli- dards als „top science“ qualifizieren lasse, sei das chen Ressourcen wäre, Vermeidung und An- weltweit höchste und verlässlichste Wissen über- passung prioritär zu behandeln. Das Argument haupt. Es könnte sich hierbei um einen epistemi- beruht auf der neoklassischen Ökonomik. schen Imperialismus handeln, der innerhalb des • „Easiness“-Argument. Dieses Argument be- US-Wissenschaftssystems gar nicht mehr als pro- sagt, dass es politisch und kulturell leichter blematisch empfunden wird. Einige der genannten ist, die Sulfat-Option durchzuführen als Men- Gründe, nämlich das Easiness-, Innovation- und schen und Industrien zur Vermeidung von Do-it-alone-Argument scheinen eher partikulari- Emissionen zu bewegen. Durch SRM vermei- stischer Natur zu sein: Nicht für alle lockt dieses de man unliebsame Eingriffe in Lebensstile, Innovationspotenzial, nicht alle Nationen könnten

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allein handeln und nicht alle Bürger aller Nationen (Morrow 2010). Das Argument definiert eine verfügen über so viel Wohlstand wie im Easiness- erfüllbare Legitimitätsbedingung, die faktisch Argument unterstellt wird. einer hohen Hürde gleichkommt. Daher lehnen es Befürworter der Sulfat-Option meist ab. • „Moral-Hazard“-Argument. Das Argument 3.2 Die kritischen Einwände besagt, dass allein die Aussicht auf SRM vie- Auf der Contra-Seite lassen sich im Wesentli- le Akteure dazu bewegen wird, weiterhin viel CO zu emittieren. Warum soll man sich den chen folgende Gründe versammeln: 2 Mühen der Vermeidung noch unterziehen, • „Risk-Transfer“-Argument. Das Argument wenn SRM als Lösung winkt? Das Moral- besagt, dass die Risiken heutigen Handelns, Hazard-Argument������������������������������������ befürchtet die Unterminie- die dadurch entstehen, dass ein von hohen rung von Vermeidungsanstrengungen durch Emissionen geprägtes Wirtschaftsmodell den SRM-Hype, wodurch die Voraussetzung unverändert beibehalten werden soll, auf der SRM-Befürworter, Vermeidungsstrate- elementar unfaire Weise auf zukünftige Ge- gien seien zum Scheitern verurteilt, zu einer nerationen abgewälzt werden. Die Vorausset- self-fulfilling prophecy werde. zungen des Arguments liegen in Annahmen, • „Undermining-Better-Options“-Argument. die sich auf vermutliche Unfairness und auf Dieses Argument besagt, dass speziell die Rechte zukünftiger Generationen beziehen. Sulfat-Option die Chancen für Vermeidung • „Termination-Problem“-Argument. Es be- und Anpassung verbaut. Es kann mit dem sagt, dass dann, wenn die Sulfat-Option zum Moral-Hazard-Argument verbunden werden. Einsatz gelangt, in der Zukunft eine dilem- So könnten viele Investitionsentscheidungen matische Situation auftreten könnte. Falls die in sparsame Techniken und regenerative En- Nebenfolgen der Sulfat-Einbrin­gungen (etwa ergien verhindert werden. SRM würgt gleich- auf Niederschläge, Fotosyntheseleistungen, sam die Diffusion fortschrittlicher Technolo- sauren Regen) sich als unannehmbar erweisen würden und die Konzentration der Treibhaus- gien ab und unterstützt überkommene Indu- gase in der Zwischenzeit weiter angestiegen striestrukturen (Kohle, Öl, Automobilindu- wären, weil viele Akteure auf das Gelingen der strie, Agrobusiness u. a. m.). Sulfat-Einbringung vertraut (gehofft, gewet- • „Political-Economy“-Argument. Das Argu- tet) hatten, stünden zukünftige Generationen ment besagt, dass SRM den militärisch-indu- vor dem Dilemma, entweder mit diesen unan- striellen Komplex und die klimapolitisch reak- nehmbaren Nebenwirkungen zu leben oder ei- tionärsten Industriebranchen einer bestimm- nen rapiden Klimawandel durch das Einstellen ten Variante von Kapitalismus stärkt, die aus der Sulfat-Einbringung herbeizuführen. Zwar vielen Gründen abzulehnen ist. Das Argument könnte man dann immer noch über das klei- weist darauf hin, in welchen Kreisen SRM fa- nere Übel beider Lemmata diskutieren, aber vorisiert wird. SRM gilt dem Political-Econo- selbst das kleinere Übel wäre enorm. Die Prä- my-Argument gemäß als eine Option für eine misse des Arguments lautet, dass man andere Post-Obama-Situation, in der ein Präsident Personen nicht vor Dilemmata stellen sollte auf Geheiß einiger Industrien einmal mehr und dass nur Zyniker meinen, in Dilemmata Entschlossenheit und Stärke zeigen muss. Das zeige sich die wahre moralische Freiheit. Argument ist freilich, wie alle derartigen Ar- • „Informed-Consent“-Argument. Dieses Argu- gumente, voraussetzungsvoll, muss aber nicht ment besagt, dass Handlungen mit globalen deshalb falsch sein. Das Political-Economy- und langfristigen Auswirkungen nur dann legi- Argument kann u. a. durch eine Akteursnetz- tim sind, wenn eine breite und wohlinformierte werkanalyse gestützt werden, derer wir zur Zustimmung der Betroffenen vorliegt. Es über- besseren Kontextualisierung von einzelnen trägt ein Argument, das in der Medizinethik Argumenten dringend bedürfen. Hier liegt in- weithin anerkannt wird, auf die CE-Debatte sofern auch ein Forschungsdesiderat.

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• „Hybris“-Argument. Dieses manchmal auch mente vorgebracht werden. Wichtig dabei ist, „Playing-God“ genannte Argument besagt, dass die genannten Gründe auf Voraussetzungen dass SRM in der Tradition einer Reihe von beruhen, die derzeit keineswegs transparent sind. großtechnischen Eingriffen steht, die eine Art Eine Präsuppositionsanalyse, d. h. eine Explika- von Maßlosigkeit und Vermessenheit darstel- tion aller Voraussetzungen der skizzierten Argu- len, die sich (irgendwann) rächen werden. Der mente ist also noch ein Desiderat. Auch die Be- Mensch schwingt sich durch SRM zur Rolle ziehungen der Argumente zueinander sind nicht eines „Weltingenieurs“ auf, die ihm nicht zu- befriedigend geklärt. Dies aber ist (noch) nicht steht. Hier bieten sich Analogien zu Converg��������- schlimm, da SRM weder in Bezug auf Feldver- ing Technologies und zu Synthetischer BioBio-- suche noch in Bezug auf einen Dauereinsatz akut logie an (Boldt et al. 2009). Diese, wie auch ist und selbst SRM-Befürworter meinen, dass ein SRM, zeigten, dass alle Versuche, der intrin- rasches Handeln, das vollendete Tatsachen schü- sischen Maßlosigkeit technologischen Den- fe, nicht ratsam sei. Der Diskurs beginnt insofern kens durch Technikethik entgegenzuwirken, noch zur rechten Zeit. letztlich oberflächlich blieben. Man könnte hier sogar auf die Technikphilosophie von Martin Heidegger zurückgreifen und SRM 4 Auch die Pro-Argumente könnten sich als Musterbeispiel dafür nehmen, wie das wandeln. Vorläufige Stellungnahme „Ge-Stell“ wirkt bzw., um mit Heidegger zu Man kann Argumente nicht als Argumente ver- sprechen, das Technische selbst kausal wirk- stehen, ohne zu ihnen Stellung zu nehmen. Das sam wird. Es ist allerdings in der Ethik nicht gilt auch unter dem Vorbehalt der Vorläufigkeit klar, wann man auf archaische Moralbegriffe der Stellungnahme. Bis auf weiteres sehe ich auf wie Hybris, Frevel und Verblendung zurück- der Pro-Seite allein das �����������������������Arming-the-Future������-Argu- greifen darf. Hans Jonas (1979) konnte ein ment als Argument von Gewicht. Es legitimiert solches Vokabular aufgrund seines biblischen nur modelltheoretische Forschung und Forschun- Hintergrundes ungleich leichter verwenden gen unter Laborbedingungen. Diese Forschungen als dies säkularen Ethiktheorien möglich ist sollten betrieben werden; die Grenze liegt bei (wie Utilitarismus oder Kontraktualismus). großmaßstäblichen Feldversuchen. Zu diskutie- Diskursethiker müssten innerhalb des CE- ren wäre, ob kleinmaßstäbliche Versuche zulässig Diskurses reflexiv erörtern, ob und wenn ja, wären (wenige Quadratmeilen, wenige Tonnen). unter welchen Bedingungen, dieses Vokabu- Man kann gegen kleinmaßstäbliche Versuche lar angemessen sein könnte. natürlich „slippery-slope“-Argumente anführen. • „Loss-of-Intangible“-Argument. Dieses Argu- Hier wäre zu fragen, ob eine Selbstverpflich- ment bezieht sich vor allem auf den Umstand, tung der internationalen Wissenschaftsgemein- dass die Einbringung von Sulfaten die Farbe schaft die slippery-slope-Befürchtungen entkräf- des Himmels verändert und dass sich das Him- ten könnte. Sicherlich wären dann maßstäbliche melsblau aufhellt. Es geht darum, diesen Ver- Festlegungen zu treffen, die weder logisch noch lust zu bewerten. Einige würden es als Ange- wissenschaftlich abgeleitet werde können. legenheit ästhetischer Präferenzen betrachten. Was das Lesser-Evil-Argument anbetrifft, so Aber ist das die rechte Art der Betrachtung? ist es trivial, dass von zwei unvermeidbaren Übeln Sicherlich ist dies alles zunächst nur eine ober- immer das kleinere zu wählen ist. Weniger trivial flächliche Ansammlung von Argumenten, die zur ist es, sich zu fragen, was getan werden müsste, Beantwortung der Frage herangezogen werden wenn eines von beiden Übeln noch vermieden können, ob, und wenn ja, unter welchen Bedin- werden kann, sich also die Situation der Übelab- gungen entweder großmaßstäbliche Feldversu- wägung in der Zukunft nicht notwendigerweise che mit oder die Einbringung von Sulfaten in der stellen muss. Ob das Lesser-Evil-Argument auch Stratosphäre zulässig sein könnten. Vollständig- noch zutrifft, wenn eine Reihe von Strategien keit wird nicht beansprucht; vielmehr ist damit miteinander verglichen wird, mitigation, adap- zu rechnen, dass in Zukunft noch weitere Argu- tation, naturschutzkonformes CDR und SRM zu

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kombinieren, ist unklar. Die Vertreter des Lesser- teralen Handelns in Verbindungen mit den Legi- Evil-Arguments������������������������������������������� sind in der Bringschuld, das Ar- timitätsproblemen eines solchen Handelns auch gument genauer zu explizieren. Es scheint auf der dazu führen, das Argument von der Pro- auf die Voraussetzung zu beruhen, dass die internationale Contra-Seite zu rücken. Zu dieser Verschiebung Klimapolitik zum Scheitern verurteilt ist (s. u.). des �������������������������������������������Do-it-alone��������������������������������-Argumentes neige ich auch ange- Das Efficiency-Argument gewinnt an Stär- sichts der umwerfend zynischen Begründung von ke, wenn lediglich die Einsatzkosten der Sulfat- Schelling (1996, S. 305), unilaterales Handeln Option mit den Vermeidungskosten von Emis- werde ein kompliziertes Vermeidungsproblem in sionen verglichen werden. Betrachtet man die ein leicht lösbares Verteilungsproblem bezüglich (sehr groben) Kosten-Nutzen-Analysen einiger der anfallenden SRM-Kosten verwandeln. CE-Protagonisten wie Lee Lane vom Ameri- Die meisten Pro-Argumente beruhen auf can Enterprise Institute (Lane, Bickel 2009), so der Prämisse, dass Vermeidungsstrategien zwar trifft man auf sämtliche Probleme von Kosten- wünschenswerter sein mögen als SRM, dass aber Nutzen-Analysen. So werden indirekte Kosten Erfolge nicht zu erwarten sind. Diese Vorausset- der Sulfateinbringung auf Niederschläge, Ernte, zung extrapoliert das Scheitern der bisherigen Ökosysteme usw. von Lane und Bickel als mone- Bemühungen in die Zukunft und nimmt es als ein tär schwer bezifferbar angesehen. Der Umstand, Fa(k)tum hin. Diese Voraussetzung scheint auf dass die indirekten Kosten schwer eindeutig mo- den ersten Blick eine Prognose zu sein, die sich netarisierbar sind, wird von Lane den Kritikern bewahrheiten kann oder nicht. Es könnte sich der Sulfat-Option als mangelnde Wissenschaft- aber hierbei auch um eine Strategie handeln, dar- lichkeit angekreidet („ill defined“). Am Ende darf auf hinzuwirken, dass SRM irgendwann als das man diese Kosten offenbar vernachlässigen. Das kleineres Übel geltend gemacht werden kann. Es wäre ein Fehlschluss, da dann das, was nicht mo- könnte natürlich auch sein, dass die SRM-Optio- netär beziffert werden kann, letztlich doch bezif- nen überwiegend als so riskant empfunden wer- fert wird: nämlich mit null Dollar. Eine kritische den, dass die Staaten in Zukunft die Anstrengun- Reflexion auf Kosten-Nutzen-Analysen, mittels gen zur Emissionsvermeidung verstärken wer- derer der ökonomisch optimale Klimapfad be- den, um SRM vermeiden zu können. Auch sind rechnet werden sollte, wurde mehrfach durchge- die Möglichkeiten eines neuen Multilateralismus führt (etwa Schröder et al. 2002, Kap. 3). Es fragt längst nicht ausgelotet (WBGU 2010) und selbst sich daher wissenssoziologisch, aus welchen die USA beginnen, Klimapolitik zu betreiben. Gründen den Kosten-Nutzen-Analysen ungeach- Wenn man einige Prämissen der Zukunfts- tet aller Einwände immer noch eine derartige Be- verantwortung akzeptiert (Ott 2004) und eine deutung zuerkannt wird.2 pauschale Diskontierung zukünftiger Ereignisse Das Easiness-Argument wäre ethisch nur ablehnt (Ott 2003), dann sind auf der Gegenseite von Belang, wenn ernsthaft Unzumutbarkeiten Risk-Transfer-, Termination-Problem- und Mo­ hinsichtlich mitigation geltend gemacht wer- ral-Hazard-Argument von besonderem Gewicht. den könnten. Andernfalls bezieht es sich nur auf Wir sind demnach verpflichtet, zukünftige Gene- fehlende Motivation, das zu tun, was auch nach rationen nicht ohne Not in mögliche Dilemmata Ansicht der meisten SRM-Befürworter das Bes- von globalem Ausmaß zu bringen. Die Sulfat- sere wäre. Dieses Argument supponiert einige Option ist ohne eine klare „Exit“-Strategie nicht stille Prämissen aus einer ökonomischen Theorie verantwortbar (Royal Society 2009). Hier zeigen demokratischer Wahlen, in denen Wahlentschei- sich auf Seiten der Befürworter Unstimmigkeiten. dungen als Tausch von Stimmen gegen kurzfri- Während die einen behaupten, die Sulfat-Option stige ökonomische Vorteile modelliert werden. sei nur zeitlich befristet erlaubt, räumen andere Ob das Do-it-alone-Argument überhaupt ein, diese Lösung wäre dauerhaft, sofern ihr Ein- ein Pro-Argument ist, ist mehr als fraglich, denn satz dazu führen werde, dass Vermeidungsbemü- die Möglichkeit von Alleingängen technisch hungen reduziert oder eingestellt würden. Miti- hochgerüsteter Nationen ist kein Legitimations- gation ist ohnehin schwierig, wird aber bei der grund. Hier könnte die reale Möglichkeit unila- Realisierung von SRM tendenziell sinnlos. Ge-

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nau dann entsteht ein Szenario äußersten Risikos: gionen verändern, ist kein Grund, die Farbe des

„A world with both rising CO2 concentrations and Himmels generell verändern zu dürfen. geoengineered climate stabilization is compara- ble to an unstable equilibrium held in balance by two opposing forces that grow as a function of 5 Fazit und Positionierung time.“ (Matthews, Caldeira 2007, S. 9952) Eine Die gegenwärtig verfügbaren diskursiven Kon- solche Welt zu hinterlassen, ist meinen morali- stellationen ernst nehmend, halte ich dafür, dass schen Überzeugungen zufolge unverantwortlich. auf der Contra-Seite weitaus mehr Argumente Auch das Moral-Hazard- und das Informed- von Gewicht stehen. Die Befürworter verfügen Consent-Argument erscheinen vom Grundsatz her derzeit über wenig gute Gründe. Ob Befürwor- schwer bestreitbar. Das ����������������������Informed-Consent-Argu������- ter eine Kosten-Nutzen-Analyse ernsthaft als ment schließt die Legitimität von unilateralen Ak- Entscheidungsgrundlage vorlegen werden, bleibt tionen oder von Aktionen einer „coalition of the abzuwarten. Die Pro-Gründe gewinnen aber dann willing“ aus. Die UN sind das geeignete Forum an Gewicht, wenn Vermeidungsstrategien auch für CE-Debatten. Hier darf ich ein persönliches zukünftig scheiterten. Daraus ergibt sich für die Erlebnis einflechten: Auf einer Podiumsdiskussi- Befürworter von SRM die mögliche Strategie, on vor der „Deutschen Gesellschaft für Auswär- ihre Position zu stärken, indem sie Erfolge von tige Politik“ versuchte Lee Lane mir gegenüber mitigation aktiv ver- oder behindern. Es stellt sich das Informed-Consent-ArgumentInformed-Consent-Argument zu entkräf-entkräf- daher sogar die Frage, ob Akteursnetzwerke, die ten, indem er sagte, seiner „cynical perspective“ gegen Vermeidung politisch agieren, nicht ipso (wörtlich) zufolge würde die Anerkennung des facto jegliches moralische Recht verwirken, SRM Arguments nur bedeuten, dass sich die Länder des zu betreiben. Das Scheitern des Klimagipfels von Südens ihre Zustimmung zu SRM teuer würden Kopenhagen ist allerdings zweifellos Wasser auf abkaufen lassen. Diese präsumtive Entkräftung die Mühlen der SRM-Befürworter. Klimapolitisch des Informed-Consent-Prinzips beruht somit auf besonders fatal wäre es, wenn sich die geheimen einer dezidiert zynischen Perspektive, in der die Koalitionäre gegen anspruchsvolle mitigation- Einwände aus den Ländern des Südens gar nicht Strategien, nämlich die USA und China, zu einer mehr als solche angehört und berücksichtigt wer- SRM-Koalition verbündeten, was angesichts der den müssen, sondern nur noch als Versuche inter- chinesischen Tradition der technischen Manipula- pretiert werden, den Preis der Zustimmung in die tion des Wetters kulturell denkbar erscheint. Höhe zu treiben. Ich sehe aber nicht, wie die Ein- Zuletzt möchte ich mein persönliches Be- nahme einer zynischen Perspektive das Informed- kenntnis nicht verleugnen, das auch mit dem Consent-Argument sollte widerlegen können. Hybris-Argument zu tun hat. Edward Teller, der Das Loss-of-Intangible-Argument bedeutet „Vater“ der Wasserstoffbombe und Stratege der mir viel. Das Blau des Himmels erscheint mir als nuklearen Abschreckung, hat in seinen letzten ein Aspekt der Lebenswelt, der uns dadurch in Lebensjahren Berechnungen zu SRM angestellt. seiner Schönheit und in seinem Glanze bewusst Teller und Mitautoren vertreten folgende Positi- wird, dass wir seiner durch technisches Handeln on zur Klimapolitik: „…active management of verlustig gehen könnten. Über die Lebenswelt the radiative forcing of the temperature profiles dürfen Naturwissenschaftler und Berufspoliti- of the Earth’s atmosphere and oceans by the Sun ker nicht verfügen. Es wäre sachwidrig, dieses is an obvious gambit. Indeed, it’s likely the most Problem der Farbe des Himmels als eine Ange- overall practical approach to this particular issue” legenheit ästhetischer Präferenzen zu behandeln. (Teller et al. 2002, S. 1). In diesem Artikel werden Auch hier sind die Stimmen anderer Völker ge- die Grundzüge der Sulfat-Option dargelegt; inso- fragt, weil über die menschheitliche Bedeutung fern ist diese Option Tellers Vermächtnis. Erin- der „lieblichen Bläue“ des Äthers (Hölderlin) nern wir uns auch daran, dass Hans Jonas (1979, nicht in Ökonomie-Departments befunden wer- S. 76) gemahnt hat, bei Risiken von globaler Be- den darf. Die Tatsache, dass wir durch Smog die deutung der Unheilsprophe­tie mehr Gehör zu ge- Farben des Himmels über einzelnen urbanen Re- ben als den Versicherungen der Heilspropheten,

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alles werde gut ausgehen. Es wäre angesichts der at the Asilomar Conference on Climate Intervention SRM-Wagnisse besser, mit Hans Jonas zu fürch- Technologies, March 23, 2010 ten als mit Edward Teller zu hoffen. Ott, K., 1997: Ipso Facto. Zur ethischen Rekonstruk- tion normativer Implikate wissenschaftlicher Praxis. Frankfurt a. M. Anmerkungen Ott, K., 2003: Reflections on Discounting: Some Phil- osophical Remarks. In: International Journal of Sus- 1) Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen ge- tainable Development, Special Issue 6 (2003), S. 7–24 ringfügig überarbeiteten Text, der in ähnlicher Form im Jahrbuch Ökologie 2011 erscheinen wird. Ott, K., 2004: Essential Components of Future Ethics. 2) Eine gründliche Analyse des Arming-the-Future- In: Döring, R.; Rühs, M. (Hg.): Ökonomische Ratio- Arguments­ findet sich bei Gardiner 2010. nalität und praktische Vernunft. Würzburg, S. 83–108 3) Das Political-Economy-Argument bietet hier eine Ott, K., 2005: Technikethik. In: Nida-Rümelin, J. Antwort: Die Neoklassik eignet sich als Legitima- (Hg.): Angewandte Ethik. Stuttgart, S. 568–647 tionswissenschaft für die Interessen der Kapitalak- Ott, K., 2009: Grundzüge der Klimaethik. In: Archi- kumulation in spät-fordistischen, energieintensi- tektenkammer Nordrhein-Westfalen (Hg.): Natur und ven Volkswirtschaften. gebaute Umwelt. Düsseldorf, S. 57–64 Ott, K., 2010: Die letzte Versuchung. In: Internationa- Literatur le Politik 65 (2010), S. 58–69 Apel, K.-O., 1990: Diskurs und Verantwortung. Royal Society, 2009: Geoengineering the Climate. Frankfurt a. M. London Blackstock, J.; Long, L., 2010: The Politics of Geoen- Schelling, T., 1996: The Economic Diplomacy of Geo- gineering. In: Science 327 (2010), S. 527 engineering. In: Climatic Change 33 (1996), S. 303–307 Boldt, J.; Müller, O.; Maio, G., 2009: Synthetische Schröder, M. et al., 2002: Klimavorhersage und Kli- Biologie. Bern mavorsorge. Berlin Committee – Asilomar Conference’s Scientific Organ- Skorupinski, B.; Ott, K., 2000: Technikfolgenabschät- izing Committee, 2010: Statement, 26. March 2010 zung und Ethik. Zürich Gardiner, S.M., 2010 (i. E.) Is „Arming the Future“ Teller, E.; Hyde, R.; Wood, L., 2002: Active Climate Stabilization: Practical Physics-based Approaches to with Geoengineering Really the Lesser Evil. In: Gar- Prevention of Climate Change. Lawrence Livermore diner, S.; Caney, S.; Jamieson, D.; Shue, H. (Hg.): Cli- National Laboratory, April 18, 2002 mate Ethics. Oxford WBGU – Wissenschaftliche Beirat der Bundesregie- Grunwald, A., 2002: Technikfolgenabschätzung – rung Globale Umweltveränderungen, 2010: Klima- Eine Einführung. Berlin politik nach Kopenhagen. Berlin Grunwald, A., 2010: Der Einsatz steigt. In: Politische Ökologie 120 (2010), S. 37–39 Kontakt Jonas, H., 1979: Das Prinzip Verantwortung. Ver- such einer Ethik für die technologische Zivilisation, Prof. Konrad Ott Frankfurt a. M. Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald Keith, D.W.; Parson, E.; Morgan, G., 2010: Research Botanisches Institut on Global Sun Block Needed Now. In: Nature 463 Grimmer Straße 88, 17487 Greifswald (2010), S. 426–427 Tel. +49 (0) 38 34 - 86 41 21 E-Mail: [email protected] Lane, L.; Bickel, J., 2009: Solar Radiation Manage- ment and Rethinking the Goals of COP-15. In: Lane, L.; Bickel, E.; Galiana, I.; Green, C. (Hg.): Copenha- gen Consensus on Climate: Advice for Policymakers. « » Copenhagen, S. 15–21 Matthews, H.; Caldeira, K., 2007 Transient Climate- carbon Simulations of Planetary Geoengineering. In: PNAS 104/24 (2007), S. 9949–9954 Morrow, D., 2010: Ethical Principles for Trials of Climate Intervention Technologies. Paper presented

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Weitere Diskussion erforderlich! nen und der Presse – u. a. eine kanadische Film- Bericht von der „Asilomar International crew, die einen Dokumentarfilm über die Konfe- Conference on Climate Intervention renz drehte. Die große Mehrheit der Teilnehmer Technologies“ kam aus den USA und, mit einigem Abstand, Großbritannien. Aus Deutschland angereist wa- ren zwei Teilnehmer, Entwicklungsländer waren von Andreas Oschlies, IFM-GEOMAR nicht direkt vertreten. Auffallend war, dass man bei vielen der Teilnehmer aufgrund von Firmen- Ende März 2010 trafen sich über 150 Wissen- beteiligungen oder Patentrechten eigene kom- schaftler im Asilomar-Konferenzzentrum an der kalifornischen Pazifikküste, um mögliche Richt- merzielle Interessen nicht ausschließen konnte. linien zur Erforschung von Climate-Engineer�����������������- Hier drängte sich der Verdacht auf, dass mit dem ing-Methoden�������������������������������������������� zu sondieren. Initiatorin der Kon- Versuch einer freiwilligen Selbstkontrolle eine ferenz war Margaret Leinen vom Climate ReRe-- möglicherweise weiterreichende Einschränkung sponse Fund, einer privaten Stiftung, die das Ziel der Forschung durch staatliche Institutionen ver- verfolgt, Forschung zur Abminderung zukünfti- hindert werden sollte. ger Klimaänderungen zu fördern. Die Veranstal- Die ersten beiden Tage der Konferenz wa- tung war angelehnt an eine Vorgängerkonferenz ren gefüllt mit Übersichtsvorträgen, die Vor- und am selben Ort vor 35 Jahren, in der Wissen- Nachteile verschiedener Climate-Engineering- schaftler weitreichende Richtlinien zur verant- Methoden und Implikationen für die Entwick- wortungsvollen Erforschung der damals gerade lung von Governance-StrukturenGovernance-Strukturen sehr aus-aus- entdeckten Möglichkeiten gezielter Eingriffe in gewogen darstellten. Anschließend wurde in den genetischen Code vereinbarten, noch bevor „Breakout“-Gruppen versucht, Richtlinien für staatliche oder zwischenstaatliche Institutionen die Erforschung einzelner Methoden zu entwic- 1 geeignete Kontrollmechanismen etabliert hatten. keln. Hier gab es sehr lebhafte und kontrover- Die Frage, ob dieses Ziel auch auf die dies- se Diskussionen, in denen die Beiträge von der jährige Asilomar-Konferenz („Asilomar����������������� Interna- Forderung nach einem möglichst schnellen und tional Conference on Climate Intervention Tech- nicht durch einschränkende Richtlinien zu behin- nologies“) zu übertragen sei, führte bereits im dernden Einstieg in großskalige Feldexperimente Vorfeld zu einigen Diskussionen, wobei es auch bis zum Ruf nach einem sofortigen Moratorium um mögliche Interessenkonflikte von Organisa- solcher Experimente reichten. Unterstützt von toren und Teilnehmern ging. Darf eine Handvoll den professionell agierenden Diskussionsleitern Wissenschaftler über die Kriterien zur Kontrolle und einem Team sehr aufgeweckter und unbe- der eigenen Forschung entscheiden, wenn doch fangener Studenten als Berichterstatter gelang mögliche Effekte und Nebenwirkungen von es dennoch allen Gruppen, ein mehrheitsfähiges Climate-Engineering-Experimenten jeden Men-Men- Bild wichtiger Elemente von Regulierungsme- schen auf der Erde betreffen können? Aus prak- chanismen zusammenzustellen. tischen Gründen verständlich, jedoch zunächst Die Ergebnisse der verschiedenen Einzel- nicht unbedingt vertrauensbildend war, dass die gruppen wurden am letzten Nachmittag der Kon- Organisatoren sowohl die Namen der Sponsoren ferenz im Plenum vorgestellt. Auch wenn keine als auch der vom Organisationskomitee bestätig- Gruppe eine Patentlösung für ein Regelwerk für ten Teilnehmer erst sehr spät bekanntgaben. eine verantwortungsvolle Erforschung von ����Cli- Dabei war es den Organisatoren gelungen, mate Engineering ������������������������������gefunden hatte, waren die Er- ein breit aufgestelltes und die internationale For- gebnisse eindeutig: Alle Gruppen sprachen sich schung sehr gut repäsentierendes Teilnehmerfeld für ein sehr umsichtiges Vorgehen der weiteren von Naturwissenschaftlern und Ingenieuren, So- Forschung aus, die letztlich unter öffentlicher zial-, Politik- und Wirtschaftswissenschaftlern Kontrolle stattfinden müsse. „Seid sehr vorsich- sowie Ethikern und Philosophen zusammenzu- tig!“ Das war dann auch ein zentrales Motiv des bekommen. Der Teilnehmerkreis umfasste auch abschließenden Abendvortrags von Rob Socolow Vertreter von �����������������������������Non-Governmental-Organisatio�������������- (Princeton University), in dem er eine Liste der

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schlimmsten Climate-Engineering-Alpträume Climate Engineering Light vorstellte, die er die Woche über von den Konfe- Natürliche Prozesse der CO -Speicherung renzteilnehmern gesammelt hatte. Diese reichten 2 von einem Fehlschlag eines großen Feldexperi- ments mit unkontrollierbaren Nebenwirkungen von Christine Rösch, Matthias Achtern- bis hin zu einem „zu guten“ Funktionieren einer bosch, Jens Schippl und Gerhard Sarde- Climate-Engineering-Methode, was einzelne mann, ITAS Akteure dazu verleiten könnte, kurzfristig und lokal optimale Klimabedingungen schaffen zu Nach dem gescheiterten Klimagipfel in Ko- wollen (nicht zu kalte Winter, nicht zu warme penhagen werden Climate-Engineering-Maß­ Sommer, hier ein etwas stärkerer Monsun, dort nahmen zunehmend als ultima ratio zum ein etwas schwächerer...). Schutz des Klimas diskutiert. Dabei stehen Das hochgesteckte Ziel der Organisatoren, großskalige Strategien wie die Verteilung einen Vorschlag für ein Regelwerk oder zumin- von Aerosolen in der Stratosphäre im Vor- dest einen Verhaltenskodex zu entwickeln, wur- dergrund. In diesem Beitrag liegt der Schwer- de nicht erreicht. Ein Abschlusskommuniqué punkt auf weniger risikoreichen, regionalen Ansätzen, die auf eine langfristige Bindung mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit sol- von Kohlenstoff abzielen, z. T. aber auch in cher Regeln und die Forderung nach weiteren den Strahlungshaushalt eingreifen können. Anstrengungen wurde in der letzten Nacht vom Abschätzungen über den Umfang und Zeit- wissenschaftlichen Organisationskomitee ver- horizont des CO2-Speichervermö­gens der fasst und den übrigen Konferenzteilnehmern zur dargestellten bio- und geotechnologischen Unterzeichung angeboten. Weitere Diskussionen Verfahren sind mit Unsicherheiten behaftet. auf nationaler und internationaler Ebene werden Diese lassen sich jedoch durch Fortschritte erforderlich sein, um zu einer befriedigenden in Forschung und Entwicklung verringern. Kontrolle von Climate-Engineering-Forschung Die ausgewählten Ansätze wirken sich nicht zu gelangen. Das Asilomar-Treffen war dafür nur positiv auf das Klima aus, sondern tragen nur ein erster Schritt. Weitere Informationen zum teilweise auch zur Erreichung anderer gesell- Ablauf der Konferenz sind unter http://www.cli- schaftspolitisch relevanter Ziele (z. B. dem materesponsefund.org/ einsehbar. Erhalt der Biodiversität) bei. Diese Multifunk- tionalität sollte bei Klimaschutzmaßnahmen stärker berücksichtigt und angestrebt werden. Anmerkung

1) „BreakoutBreakout“-Gruppen“-Gruppen sind zeitgleich stattfindendestattfi ndende -Ar-Ar 1 Einleitung beitsgruppen, die anschließend ihre Ergebnisse ins Ple- num der Konferenz einbringen.

Die ungebrochene Erhöhung der globalen CO2- Kontakt Konzentration durch die anthropogen verursach- te Freisetzung von derzeit 32 Mrd. Tonnen CO Prof. Andreas Oschlies 2 – davon ca. 900 Mio. Tonnen in Deutschland – Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-GEOMAR) erhöht den politischen Handlungsdruck. Nach Düsternbrooker Weg 20, 24105 Kiel dem gescheiterten Klimagipfel in Kopenhagen Tel.: +49 (0) 4 31 / 6 00 19 36 werden immer häufiger Climate-Engineering- E-Mail: [email protected] Maßnahmen als ultima ratio zum Schutz des Kli- Internet: http://www.ifm-geomar.de/index. mas diskutiert. Der Begriff „Climate Engineer-Engineer- php?id=3314&L=1 ing“ (CE) steht für futuristische Mega-Konzepte wie die Installation gigantischer Sonnensegel zur « » Beschattung der Erde oder an die Eisendüngung großer Ozeanflächen zur Intensivierung der CO2- Aufnahme. Es handelt sich hierbei um Maßnah-

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men mit dem „großen Hebel“ (Leisner, Müller- produktion erhöhen, da die heutige CO2-Konzen- Klieser in diesem Heft). tration für die meisten Kulturpflanzen suboptimal In der Öffentlichkeit, vor allem in Europa, ist. Regional können allerdings begrenzte Was- stößt CE auf große Skepsis und fehlende gesell- ser- und Nährstoffverfügbarkeiten eine Nutzung schaftliche Akzeptanz. Vielfach werden die Vor- des höheren CO2-Angebots zur Ertragssteigerung schläge als Versuch gewertet, von einschneiden- verhindern. Landwirtschaftliche Kulturpflanzen den Klimaschutzprogrammen und Verhaltensän- verfügen meist über keine nennenswerte Spei- derungen abzulenken. Das Hauptargument gegen cherwirkung, da sie in der Regel jährlich geern- CE sind jedoch die Unsicherheiten über global tet werden und die Biomasse als Nahrungs- oder und regional sehr unterschiedlich ausfallende Ef- Futtermittel genutzt wird. Dabei wird das gebun- fekte sowie nicht vorhersehbare und nicht inten- dene CO2 zeitnah zur Fixierung wieder freige- dierte Folgen. setzt. Über die Substitution fossiler Energieträger In diesem Kontext besteht Interesse an CE- und Rohstoffe durch nachwachsende Rohstoffe

Konzepten, die sich an natürlichen Prozessen der besteht die Möglichkeit, den Ausstoß an CO2 zu

CO2-Bindung orientieren und diese verstärken verringern. Auf diese CO2-Vermeidungsstraegie oder in technischen Anlagen kopieren wollen. Es soll hier aber nicht weiter eingegangen werden. wird davon ausgegangen, dass sie mit weniger Nachfolgend wird der Fokus auf Wälder und unbekannten und unerwünschten Nebenfolgen Moore gelegt, weil diese terrestrischen Ökosyste- verbunden sind und sich einfacher steuern und me über nachhaltigere und flächenspezifisch deut- umsetzen lassen (siehe dazu Ott in diesem Heft). lich größere Speicherkapazitäten verfügen. Es sei Aus diesem Grund bezeichnen die Autoren diese aber darauf hingewiesen, dass landwirtschaftliche Maßnahmen als „Light-Version“ zur Lösung des Böden mit hohem Humusgehalt in größerem Um-

CO2-Problems. Im folgenden Beitrag werden ei- fang Kohlenstoff enthalten und Maßnahmen wie nige dieser Strategien dargestellt und offene For- der Umbruch von Grünland klimarelevant sind. schungsfragen identifiziert.1 Behandelt werden Strategien zum Erhalt und zur Steigerung des Hu- in diesem Kontext folgende Konzepte: musgehalts in landwirtschaftlichen Böden dienen deshalb auch dem Klimaschutz. Gleichzeitig tra- • „climate����������������������������������������� farming��������������������������“ durch Erhalt und Ausdeh- gen sie zur Erreichung anderer Nachhaltigkeits- nung der Wald- und Moorflächen sowie re- ziele wie dem Bodenschutz bei. gionale Änderungen der Flächennutzung, • biologische Sequestrierung (Umwandlung von Biomasse in Biokohle) und • mineralische Sequestrierung. 2.1 Erhalt und Ausdehnung der Wald- und Moorflächen Die Auswahl strebt keine Vollständigkeit an, sondern soll sowohl bekannte Verfahren als auch Die Wälder der Erde bedecken über vier Mrd. bio- und geotechnologische Lösungsansätze auf- Hektar (entspricht 31 Prozent der Landfläche) zeigen, die sich noch im Stadium der Forschung und stellen große Kohlenstoffvorräte dar. Dieser und Entwicklung befinden. enorme Waldspeicher wird jedoch stetig verklei- nert. Weltweit gingen in den letzten zehn Jahren rd. 13 Mio. Hektar, vor allem in Brasilien und 2 Climate Farming Indonesien, durch Umwandlung in Agrarflächen verloren (FAO 2010). Der Erhalt und die nach- Climate Farming hat zum Ziel, durch land- und haltige Bewirtschaftung von Wäldern, insbeson- forstwirtschaftliche Maßnahmen biologische Koh- dere von tropischen Regenwäldern gehören zu lenstoffspeicher aufzubauen. Pflanzen nehmen den weitreichendsten, schnellsten und billigsten

über die Photosynthese CO2 aus der Atmosphäre Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgas­ auf und nutzen den Kohlenstoff zum Aufbau or- emissionen. Nach Schätzung der FAO (2010) ganischer Verbindungen. Der Anstieg des CO2- speichern die Wälder weltweit 289 Mrd. Ton- Gehalts in der Atmosphäre kann die Biomasse- nen Kohlenstoff allein in ihrer Biomasse. Dieser

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Kohlenstoffspeicher wurde von 2005 bis 2010 wieder aufgelöst, wenn Bäume gefällt und ge- meist durch Brandrodungen um 500 bis 650 Mio. nutzt werden oder diese absterben und mikrobiell Tonnen verringert (FAO 2010; Lippelt 2010). zersetzt werden. Dies gilt auch für Maßnahmen Durch Aufforstung degenerierter Standor- zur Steigerung des Baumwachstums, durch die te und marginaler landwirtschaftlicher Flächen das Treibhausgasproblem in die Zukunft verla- kann der Kohlenstoffspeicher Wald jedoch aus- gert wird, was auch als „buying time“ bezeichnet gebaut werden. Aufforstungsmaßnahmen in ver- wird (Körner 2009). schiedenen Ländern konnten den globalen Net- Eine hohe Biodiversität einer Waldfläche to-Waldverlust auf 5,2 Mio. Hektar pro Jahr im kann die Bedeutung des Waldes als Kohlenstoff- Zeitraum 2000 bis 2010 verringern (FAO 2010). speicher direkt und indirekt beeinflussen. Direkt Dies geschah vor allem in China, wo die Wald- durch ihren Einfluss auf die Höhe, Umsetzungs- fläche in den letzten Jahren allein um vier Mio. rate und Dauerhaftigkeit des Kohlenstoffvorrates Hektar jährlich ausgedehnt wurde, sowie in Eu- und indirekt durch ihren Einfluss auf den Schutz- ropa und in Nordamerika. Die Ausdehnung der status, den die Gesellschaft dieser Fläche zuord- Waldfläche in den genannten Ländern ist jedoch net (Diaz et al. 2009). Das Nachhaltigkeitsziel weniger auf Klimaschutzanreize als vielmehr auf Biodiversität sollte deshalb bei Maßnahmen zur den steigenden Bedarf an Holz als Rohstoff und Nutzung von Wald als Kohlenstoffsenke stärker Energieträger sowie in Europa auch auf fehlen- berücksichtigt werden. de Nutzungsalternativen für Ackerflächen und Neben den Wäldern wirken auch Moore als

Grünlandstandorte zurückzuführen. Nach Anga- terrestrische CO2-Speicher, da sie einen besonders ben der Naturschutzorganisation „Global Part-Part- hohen Anteil an organisch gebundenem Kohlen- nership on Forest Restoration“ könnten weltweit stoff aufweisen. In wachsenden Mooren werden der Atmosphäre bis 2030 durch Aufforstung ins- aufgrund der dauerhaften Wassersättigung des gesamt 70 Mrd. Tonnen CO2 entzogen werden. Substrats die Reste der abgestorbenen Pflanzen Aber nicht allein die reine Waldflächenbilanz langsamer abgebaut als neues Pflanzenmateri- ist bei der Diskussion um Kohlenstoff in Wäldern al produziert wird. Diese häufen sich langfristig entscheidend, sondern auch der Anteil natürlicher zu dicken Schichten Torf auf. Weltweit binden Urwälder. Im Vergleich zu Wirtschaftswäldern die noch torfbildenden Moore jährlich 150–250 speichern diese entscheidend mehr Kohlenstoff Mio. Tonnen CO2 in neu gebildete Torfe. Es wird und nehmen trotz ihres Alters noch immer Koh- geschätzt, dass in den Mooren, die weltweit nur lenstoff auf. Schnellwachsende Holzplantagen ca. drei Prozent der Landfläche bedecken, etwa stellen aufgrund kurzer Um­triebszeiten nur tem- doppelt so viel Kohlenstoff gespeichert ist wie in poräre Kohlenstoffspeicher dar. Demzufolge kann Wäldern, deren Flächenanteil 31 Prozent beträgt eine Plantagenaufforstung nach der Rodung von (FAO 2010). Auch in Deutschland sind wachen- Urwald nicht als ausgeglichen in Bezug auf die de, torfakkumulierende Moore selten geworden. Kohlenstoffbilanz angesehen werden. Der Erfolg Etwa 99 % aller Moore Deutschlands (ca. 1,5 Mio. von Maßnahmen zur nachhaltigen Erhöhung des ha oder 4,2 % der Landesfläche) sind „tot“, d. h. biologisch gebundenen Kohlenstoffs hängt von entwässert und abgebaut, oder werden land- und der globalen Langfrist-Bilanz zwischen Waldver- forstwirtschaftlich genutzt. Durch den Schutz be- lusten und Aufforstungen ab. Durch Änderungen stehender Moore vor Entwässerung und Nutzung in der Bewirtschaftung von Wäldern, vor allem als Siedlungsland, Brennstoff oder Bodenverbes- hinsichtlich der Ernteintervalle und der nachge- serungsmittel kann ihr Kohlenstoffvorrat erhalten lagerten Holzbearbeitung und -nutzung, kann werden. Die Wiedervernässung von degradier- die Festlegung von Kohlenstoff erhöht werden ten Mooren stellt insgesamt eine kostengünstige

(Nunery, Keeton 2010). Maßnahme zur dauerhaften CO2-Bindung dar. Auch bei globalem Nettozuwachs an Wald- In Bezug auf die Bilanzierung der Kohlen- fläche durch Aufforstung bislang nicht bewal- stoffspeicherung durch terrestrische Ökosysteme deter Landflächen wird – über lange Zeiträume bestehen große Unsicherheiten. Hier bedarf es gesehen – dieser zusätzliche Kohlenstoffspeicher wissenschaftlicher Forschung. Auch die Proble-

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matik zunehmender Flächennutzungskonkurren- vinz Almeria beobachtet worden.2 Dort stehen in zen durch Maßnahmen zum Erhalt und Ausdeh- einem semiariden Gebiet auf 26.000 Hektar Ge- nung von Landnutzungen zur Speicherung von wächshäuser (Campra et al. 2008). Kohlenstoff ist wenig untersucht. Forschungs- Regionale Veränderungen des Klimas durch bedarf besteht auch hinsichtlich der Maßnahmen Landnutzungsänderungen sind schon seit langem zur Wald- und Moorbewirtschaftung, die auf bekannt (Fleming 1998, S. 21ff.) und bei der Ana- CO -Speicherung optimiert und an die Vulnerabi- 2 lyse langjähriger Klimareihen zu berücksichtigen lität der Wald- und Moorökosysteme gegenüber (städtische Wärmeinseln vs. landwirtschaftlich den Folgen des Klimawandels angepasst sind. genutzte Regionen). Sie wurden aber zu großen Weiterhin sind Umsetzungsstrategien und För- derinstrumente zur Realisierung der Speicherpo- Teilen als unbeabsichtigt, nicht steuerbar und un- tenziale von Wäldern und Mooren zu entwickeln. vermeidlich hingenommen. Inzwischen besteht jedoch der Wunsch, das Klima lokal so zu beein- flussen, dass durch Treibhausgasemissionen ver- 2.2 Regionale Änderung der ursachte Klimaänderungen zumindest teilweise Flächennutzung kompensiert werden. Pielke et al. (2002) schätzt die Klimaänderungen, die durch Landnutzung Der Temperaturanstieg infolge des Klimawan- verursacht wurden, als ähnlich hoch wie die durch dels kann durch eine Modifikation der Flächen- Treibhausgasemissionen bedingten Effekte. nutzung auf regionaler Ebene auch durch Ein- So haben z. B. Bewässerungsmaßnahmen griffe in den Strahlungshaushalt begrenzt wer- einen kühlenden Effekt („Cool Farming“). Nach den. Es handelt sich hier also um ein regionales Kueppers et al. (2007) beeinflusst die Bewäs- SRM (Solar Radiation Management). Durch den serung das regionale Klima auf verschiedenen weiträumigen Anbau geeigneter Kulturpflan- Wegen. Zum einen wird die Bodenfarbe dunkler zen könnte die Oberflächenalbedo so gesteigert und die Pflanzenproduktivität erhöht, wodurch werden, dass nach Modellrechnungen im Som- die Albedo des Bodens verringert, während die mer eine Abkühlung um ca. 1° C in den mittle- Albedo des Pflanzenbestandes erhöht wird. Zum ren nördlichen Breiten möglich wird (Ridgwell et al. 2009). Die Nutzung dieses „Leaf Albedo anderen wird mehr Wasser über Transpiration Bio-Geoengineering“ könnte durch gentechni-gentechni- und Evaporation verdunstet und über den Ein- sche Veränderung der Kulturpflanzen noch ver- fluss auf die lokale Bewölkung, Niederschläge stärkt werden. Da der Albedoeffekt regional und und Temperatur werden die regionalen Zirkulati- zeitlich begrenzt ist, sollte diese Strategie durch onssysteme verändert.3 Dieses sogenannte „Irri- andere regional wirksame Maßnahmen des ����Cli- gation Climate Engineering“ ist im Wesentlichen mate Engineering ergänzt werden, die nicht in das Ziel des Global-Cooling-Projekts.4 Konkurrenz zu Landnutzungsänderungen zur Zu den Vorteilen des regionalen Climate Speicherung von Kohlenstoff stehen. Engineering ���������������������������������� gehören positive regionale Neben- Grundsätzlich bietet sich in diesem Zusam- effekte, wie z. B. die Verringerung der Vulnera- menhang an, die Albedo von Siedlungsgebieten bilität der Landnutzung (v. a. der Landwirtschaft) beispielsweise durch das „Weißen“ baulicher gegenüber Trockenheit. Der Einsatz erprobter Infrastruktur zu erhöhen (Hamwey 2007). Auch und kostengünstiger sowie einfach umzusetzen- spezifische Bebauungsstrukturen können zu sol- der Verfahren und Techniken sowie der rasche chen Effekten führen. So hat man festgestellt, dass die großflächige Errichtung von Gewächs- Effekt auf die Klimaerwärmung und ihre Folgen häusern durch Reflektion der Sonneneinstrahlung rechtfertigen den Einsatz regionaler Maßnah- die Erwärmung der Erdoberfläche verlangsamt men, ohne dass es internationaler Vereinbarun- und zu einem lokalen Abkühlungseffekt führt. gen bedarf. Allerdings befindet man sich hier in Dieser auch als „Greenhouses Geo-Engineering“ einem Grenzbereich zwischen Klimaschutzmaß- bezeichnete Effekt ist in der südspanischen Pro- nahme und Anpassung (Adaptation).

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3 Umwandlung von Biomasse in Biokohle schritte (Rösch et al. 2009). Ebenso müssen die Anlagen- und Betriebskosten deutlich gesenkt Eine dauerhafte Speicherung des biogen gebun- werden, wenn eine Kommerzialisierung der Mi- denen Kohlenstoffs erfordert eine Umwandlung kroalgenproduktion gelingen soll. Zudem sollte von Biomasse in einen kohleähnlichen Zustand erforscht werden, ob sekundäre Nährstoffquellen („Biokohle“). Technisch möglich ist dies durch (wie z. B. kommunale Abwässer) zur Deckung Erhitzen von organischem Material in einer sau- des Stickstoff- und Phosphatbedarfs der Algen erstofffreien oder sauerstoffarmen Umgebung genutzt werden können. bei niedrigen Temperaturen und unter Druck Versuche zeigen, dass Mikroalgen unter (Lehmann et al. 2006). Bei diesem Prozess der moderaten Reaktionsbedingungen in einer ener­ hydrothermalen Karbonisierung (HTC) wird die gieeffizienten Wiese in ein kohleähnliches Al- Biomasse teilweise unter Verwendung von Ka- genprodukt überführt werden können, das die talysatoren zersetzt („pyrolisiert“) und es ent- Qualität einer bituminösen Kohle besitzt (Heil- stehen poröse Braunkohle-Kügelchen mit einem mann et al. 2010). Der geringe Trockenmassege- hohem Kohlenstoffanteil (90 bis 99 Prozent) so- halt einer Algensuspension (10 % Trockensub- wie gasförmige und flüssige Produkte (Röthlein stanz) ist – im Gegensatz zu anderen Verfahren 2006). Der Biomasseverkohlung wird wegen der Energiegewinnung aus Algen, die höhere TS- der stabilen Lagerung und der hohen Flexibilität Gehalte erfordern und zu deren Erreichung ein bezüglich der Ausgangsbiomasse ein grundsätz- hoher Energieaufwand benötigt wird – ideal für lich großes Potenzial zur Reduktion des atmo- den HTC-Prozess. Erste Lebenszyklusanalysen der Biokoh- sphärischen CO2-Gehalts zugeschrieben (Royal Society 2009). Mit dem als „wässrige Verkoh- leherstellung zeigen, dass einige der Methoden lung“ bezeichneten HTC-Verfahren lassen sich das Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung haben auch feuchte Ausgangsstoffe in Kohle umwan- und zudem Energie und einen hervorragenden deln, ohne sie vorher trocknen zu müssen. In Dünger liefern können (Gaunt, Lehmann 2008). Forschungsprojekten wird deshalb die Eignung Allerdings ist umstritten, ob die Biokohleher- verschiedener feuchter Biomassen (z. B. Klär- stellung vorteilhafter ist als die Substitution von schlämme, Mikroalgen) untersucht (Charisius CO2-intensiven fossilen Energieträgern durch 2010; anonym 2010). Bioenergie (Royal Society 2009, S. 12). Auch Der Einsatz von Mikroalgen als Substrat muss die großtechnische Anwendbarkeit der hätte verschiedene Vorteile: Zum einen könn- Verfahren nachgewiesen werden und gezeigt werden, welche Stabilität die Biokohle in ver- ten bei der Kultivierung von Mikroalgen CO2- haltige Abgase aus Kraftwerken oder Indu- schiedenen Klimazonen und Bodenarten lang- strieprozessen (wie denen in Kraft-, Zement-, fristig hat (Reijnders 2009). Des Weiteren sollte Kalk- oder Papierwerken) direkt genutzt und so erforscht werden, unter welchen Rahmenbedin- das Algenwachstum beschleunigt werden. Zum gungen Biokohle die Aufnahmefähigkeit des zweiten konkurriert die Biomasseerzeugung mit Bodens für Nährstoffe und Wasser verbessern Mikroalgen nicht um fruchtbare Flächen, da sie und die Ertragsfähigkeit des Bodens nachhaltig keine Ansprüche an die Bodenqualität stellt und erhöhen kann. auch auf versiegelten Flächen oder in Salz- und Abwasser kultiviert werden kann. Des Weiteren können Mikroalgen im Vergleich zu traditionel- 4 Mineralische Sequestrierung len Biomasseproduzenten höhere flächenspezifi- sche Erträge produzieren; dies betrifft vor allem Eine Option zur dauerhaften CO2-Sequestrierung die Öl- und Eiweißgehalte (Tredici 2010). Die bietet die mineralische Bindung – ein Verfahren,

Kultivierung in Photobioreaktoren bedarf je- bei dem in einer chemischen Reaktion CO2 in doch aufgrund des hohen Energiebedarfs für das anorganische Karbonate umgewandelt wird. Bei Durchmischen und Kühlen der Algensuspension der mineralischen Bindung werden natürliche sowie für die Algenernte noch deutlicher Fort- Prozesse der Gesteinsverwitterung nachgeahmt,

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die in der Frühzeit der Erdgeschichte eine wich- grünen Peridotit, das in Mitteleuropa allerdings tige Rolle bei der Reduktion von CO2 aus der selten vorkommt. Die Forschung zur minerali- Atmosphäre gespielt haben. Als Produkte dieser schen Sequestrierung konzentriert sich auf die Verwitterung entstehen Carbonate bestimmter häufig vorkommenden Serpentinite (Mg,Fe,Ni)

Metalle, die über geologische Zeiträume stabil 6Si4O10(OH)8, die durch Verwitterung von Peri- sind. Diese Methode zur CO2-Speicherung wur- dotiten entstanden sind. Die weltweit bekannten de 1990 erstmals durch Seifritz vorgeschlagen Perodit- und Serpentinit-Lagerstätten sind in Ab- (Seifritz 1990). Im Los Alamos National Labora- bildung 1 dargestellt. Es wird deutlich, dass diese tory wurden hierzu erste umfangreiche Untersu- Mineralien am häufigsten in Regionen mit ultra- chungen durchgeführt (Lackner et al. 1995). mafischen vulkanischen Gesteinen zu finden sind. Ziel der mineralischen Sequestrierung ist es, In einigen hoch industrialisierten Regionen wie in natürliche Metalloxide in stabile und damit lager- den USA liegt es in großen Mengen vor. fähige Carbonat-Produkte umzuwandeln. Von be- Die chemisch und mineralogisch heterogene sonderem Interesse sind hierbei die Metalle Cal- Zusammensetzung der Magnesiumsilikate und cium und Magnesium, die in der Erdkruste weit ihre Begleitung durch andere Mineralien haben verbreitet sind, jedoch selten in der Natur als bi- zur Folge, dass der nutzbare Magnesiumgehalt näre Oxide (CaO bzw. MgO) vorkommen. Da sie und die Reaktivität für eine Carbonisierung sehr häufig in silikatischen Mineralien gebunden sind, unterschiedlich sein können. Die Reaktionen5 werden eine Reihe bestimmter silikatischer Mine- der Olivine bzw. Serpentine mit CO2 verlaufen ralien als potenzielle Ausgangsstoffe für die mi- exotherm, d. h. der Prozess läuft ohne Energiezu- neralische Sequestrierung gehandelt. Dabei wer- fuhr ab, benötigt aber lange Reaktionszeiten von den Magnesiumsilikate bevorzugt; dies geschieht einigen hunderttausenden Jahren. Die wissen- nicht nur, weil sie reaktiver sind, sondern weil sie schaftliche und technische Herausforderung für auch höhere Metalloxidgehalte als Calciumsili- die mineralische Sequestrierung besteht darin, kate aufweisen und pro Tonne Mineral deutlich einen niederenergetischen und ökonomisch sinn- mehr CO2 binden. Die im oberen Erdmantel am vollen Weg zu finden, die Carbonisierung relativ häufigsten vorkommenden Magnesiumsilikate schnell verlaufen zu lassen. In den letzten 15 Jah- und gesteinsbildenden Minerale sind die Olivine ren wurden große Anstrengungen unternommen,

((MgFe)2SiO4). Olivin ist Hauptbestandteil im die mineralische Sequestrierung voranzubringen.

Abb. 1: Bekannte Perodit- und Serpentinit-Lagerstätten

Quelle: Lackner et al. 1997, S. 21

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Insbesondere im Los Alamos National LaboraLabora-- zementäres Bindemittel hergestellt werden, so ihr tory (Lackner et al. 1997), im Albany Research Konzept. Ein anderes Konzept sieht vor, den Au- Center des ���������������������������������U.S. Department of Energy ��������(Gerde- toklavenprozess so zu konzipieren, dass statt der mann et al. 2007), in Finnland (Zevenhoven, schwerlöslichen mineralischen Carbonate lösliche Kohlmann 2001) und in den Niederlanden (Hui- Hydrogencarbonate erzeugt werden, die man ins jgen et al. 2006) wurden umfangreiche Untersu- Meer leiten könnte (Lackner 2002; Royal Socie- chungen dazu durchgeführt. ty 2009). Dies hätte den Vorteil, dass pro Silikat-

Ein Schlüsselschritt besteht in der Aktivie- Molekül zwei Moleküle CO2 im Meerwasser rung der Magnesiumsilikate für deren anschließen- gebunden wären. Die dadurch erhöhte Hydrogen- de Reaktion mit überkritischem CO2 in gasdicht carbonat-Konzentration des Meerwassers könnte verschließbaren Druckbehältern (Auto­klaven) bei dazu beitragen, der Versauerung des Meerwassers Temperaturen unter 200 °C und unter Drücken entgegenzuwirken. Inwieweit dies für die Biogeo- zwischen 30 und 200 bar. Hierfür kommen me- logie (z. B. Plankton, Muscheln, Korallen) von chanische, thermische und chemische Vorbehand- Vorteil sein könnte, ist ungewiss (Royal Society lungsverfahren zum Einsatz (Gerdemann et al. 2009). Allerdings reagieren calcium-anreichernde 2007; Teir et al. 2009; Chen et al. 2006). Organismen wie Muscheln, Seeigel oder Korallen Die sich in Bezug auf die Reaktionsge- sehr sensibel auf Änderungen der Aragonit-Sätti- schwindigkeit bisher als effektiv erwiesenen Ver- gung des Meereswassers (Matthews et al. 2009; fahren haben einen Energiebedarf von 1,1 GJ/t Feely et al. 2004; Orr et al. 2005).

CO2 (Gerdemann et al. 2007; Huijgen, Comans 2006). Darüber hinaus ist der energetische Auf- wand für das Abtrennen und Verflüssigen des 5 Resümee

CO2 aus den Kraftwerken oder Industrieanlagen

(rd. 200 kWh/t CO2 nach Bossel 2007) als Vor- Die vorgestellten Strategien für ein „Climate aussetzung für die mineralische Sequestrierung Engineering light“ unterscheiden sich von den zu berücksichtigen. Eine umfassende Energie- großtechnischen Mega-Konzepten dadurch, dass und CO2-Bilanz für das Verfahren der minera- sie natürliche bio- und geologische Prozesse zur lischen Sequestrierung einschließlich Transport dauerhaften CO2-Bindung bzw. Änderung des fehlt noch. Es wird jedoch geschätzt, dass der Strahlenhaushalts nutzen oder sich an ihnen ori- Energieverbrauch für die Sequestrierung mehr entieren. Die Maßnahmen haben i.d.R. einen re- als 30 Prozent der Energieerzeugung eines Kraft- gionalen Zuschnitt, und ihre Folgen für Mensch werks in Anspruch nimmt. Des Weiteren bedarf und Umwelt scheinen relativ gut abschätzbar. es einer Bewertung des Verfahrens anhand von Die CO2-Speicherung durch Bäume ist aner- Nachhaltigkeitskriterien. Besondere Bedeutung kannt und erste Maßnahmen zum Schutz der dürfte dabei dem Abbau der Mineralien und der Tropenwälder (z. B. in der deutschen Biokraft- Lagerung der Produkte zukommen, da diese Pro- stoff-Nachhaltigkeitsverordnung 2009)7 wurden zessschritte mit erheblichen Eingriffen in die ergriffen. Allerdings reichen diese nicht aus, um Landschaft verbunden sind. den Kohlenstoffvorrat in den Wäldern zu sichern

Die Umsetzung des Verfahrens vom Labor- und das Potenzial von Bäumen als CO2-Senke maßstab auf großtechnische Verhältnisse stellt eine zu nutzen. Hier besteht Handlungs-, aber auch Herausforderung dar. Dies betrifft insbesondere Forschungsbedarf zur Klärung noch offener Fra- den Transport der großen Mengen an Mineralien gen bei der Kohlenstoffbilanzierung sowie der und die hierfür erforderliche Infrastruktur und Lo- Bewertung zusätzlichen Nutzens der Maßnah- gistik sowie die Rückverbringung in geologische men für Mensch und Umwelt. Die Strategien Strukturen, da die Produktmenge größer ist als die der bio- und geologischen Sequestrierung stehen am „Bergwerk“ entnommene Substratmenge.6 Ei- noch am Anfang der Entwicklung. Hier besteht nen Ansatz zur Lösung des Entsorgungsproblems in vielen Bereichen noch FuE-Bedarf. Potenzi- hat das Startup-Unternehmen Novacem entwic- alabschätzungen hinsichtlich des Beitrags die- kelt: Über ein Sequestrierungs-Verfahren soll ein ser Verfahren zur der CO2-Speicherung und der

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damit verbundenen Kosten sind nicht verfügbar 4) Zum Global-Cooling-Projekt siehe http://www. oder mit großen Unsicherheiten behaftet. theglobalcoolingproject.com/ Auch wenn bisher keine Aussagen über die 5) Für Olivine gilt folgende Reaktion- und Wärme- Potenziale der Verfahren möglich sind, dürften tönung: 1/2 Mg2SiO4 + CO2 = MgCO3 + 1/2 SiO2 -95 kJ/mol, für Serpentine entsprechend: 1/3 die einzelnen Ansätze schätzungsweise nur einen Mg3Si2O5(OH)4 + CO2 = MgCO3 + 2/3 SiO2 + begrenzten Beitrag zum Klimaschutz leisten kön- 2/3 H2O -64 kJ/mol. nen. Im Vergleich zu den großtechnischen Vor- 6) Ein Beispiel: Ein Kraftwerk mit einer Leistung schlägen zur CO2-Speicherung zeichnen sich die von 1 GW benötigt zur CO2-Abscheidung jähr- regionalen Ansätze dadurch aus, dass sie klein­ lich 15 Mio. t Olivin und erzeugt daraus 22 Mio. skalig und gut steuerbar sind. Weil sie im All- t „Produkte“. gemeinen gesellschaftspolitisch akzeptiert sind, 7) Der komplette Name lautet „Verordnung über An- forderungen an eine nachhaltige Herstellung von sind sie auch relativ schnell zu implementieren. Biokraftstoffen“ (BGBl. I 3182). Des Weiteren leisten sie nicht nur einen Beitrag zum Klimaschutz, sondern bieten teilweise wei- tere ökologische oder ökonomische Vorteile: Literatur

• Erhaltene Wälder und Moore sowie aufgefor- anonym, 2010: Grüne Kohle aus feuchter Biomasse. stete Flächen können zum Erhalt der Biodiver- Magazin innovation & energie. Publikation der Ener- sität und Boden- und Wasserschutz beitragen. gieAgentur. NRW, S.10 • Biokohle kann die Bodenqualität verbessern Bossel, U., 2007: Der Weg in eine nachhaltig gestal- und die Flächenerträge steigern. tete Energiezukunft, Perspektiven einer nachhaltigen • Die mineralische Sequestrierung kann bei der Energiewirtschaft. Arbeitskreis nachhaltige Energie- Herstellung zementärer Bindemittel einge- wirtschaft, 9. bis 11. Mai 2007, Saig (Schwarzwald); setzt werden. http://www.koord.hs-mannheim.de/AK-NEW/Vor- trag_Bossel.pdf (download 13.7.10) Diese zusätzlichen Nutzenaspekte sollten stärker Eingang finden in die Bewertung der Verfahren Campra, P.; Garcia, M.; Canton, Y.; Palacios-Oru- eta, A., 2008: Surface Temperature Cooling Trends zum Klimaschutz, denn sie können helfen, die and Negative Radiative Forcing Due to Land Use Kosten der CO2-Speicherung zu verringern und Change Toward Greenhouse Farming in Southeast- die Akzeptanz zu erhöhen. Das sollte bei der ern Spain. In: Journal of Geophysical Research 113 strategischen Ausrichtung der FuE-Politik und (2008), D18109, doi: 10.1029/2008JD009912 von Fördermaßnahmen zum Klimaschutz zu- Charisius, H., 2010: Für eine Handvoll Kohlenstoff. künftig stärker berücksichtigt werden. In: Technology Review Januar 2010, S. 38–42 Chen, Z.Y.; O’Connor, W.K.; Gerdemann, S.J., 2006: Chemistry of Aqueous Mineral Carbona- Anmerkungen tion for Carbon Sequestration and Explanation of Experimental Results. In: Environmental Progress 1) Diese Darstellung der Strategien und die Identi- 25/2 (2006), S. 161–166 fikation komplementärer Forschungsfragen ba- Díaz, S.; Hector, A.; Wardle, D.A., 2009: Biodiversity sieren auf Forschungsergebnissen, die im BMBF- in Forest Carbon Sequestration Initiatives: Not Just a Projekt „Roadmap Umwelttechnologien 2020“ Side Benefit. In: Current Opinion in Environmental erarbeitet wurden (Schippl et al. 2009; Schippl, Sustainability 1/1 (2009), S. 55–60 Rösch 2010). 2) Siehe zum Greenhouses Geo-Engineering http:// FAO – Food and Agriculture Organization of the issuu.com/reflectiveplanet/docs/greenhouse_geo- United Nations (Hg.), 2010: Global Forest Resources engineering. Assessment 2010. http://www.fao.org/forestry/fra/ 3) Die Evaporation ist ein meteorologischer Begriff, fra2010/en/ (download 14.7.10) der die Verdunstung von Wasser auf unbewachse­ Feely, R.A.; Sabine, C.L.; Lee, K. et al., 2004: Impact

nem und in diesem Sinn freiem Land oder Wasser- of Anthropogenic CO2 on the CaCO3 System in the flächen bezeichnet. Oceans. In: Science 305 (2004), S. 362–366

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Fleming, J.R., 1998: Historical Perspectives on Cli- Lehmann, J; Gaunt, J.; Rondon, M., 2006: Bio-char mate Change. Oxford Sequestration in Terrestrial Ecosystems – A Review. Gaunt, J.; Lehmann, J., 2008: Energy Balance and In: Mitigation and Adaptation Strategies for Global Emissions Associated with Biochar Sequestration and Change 11 (2006), S. 403–427 Pyrolysis Bioenergy Production. In: Environmental Lippelt, J., 2010: Kurz zum Klima: Klimakiller Ab- Science and Technology 42 (2008), S. 4152–4158 holzung? In: ifo Schnelldienst 63/01 (2010), S. 44–46 Gerdemann, S.J.; O’Connor, W.K; Dahlin, D.C. et Matthews, H.D.; Cao, L.; Caldeira, K., 2009: Sensi- al., 2007: Ex Situ Aqueous Mineral Carbonation. In: tivity of Ocean Acidification to Geoengineered Cli- Environmental Science & Technology 41 (2007), S. mate Stabilization, In: Geophysical Research Letters 2587–2593 36 (2009), L10706, doi: 10.1029/2009GL037488 Hamwey, R.M., 2007: Active Amplification of the Ter- Nunery, J.S.; Keeton, W.S., 2010: Forest Carbon Stor- restrial Albedo to Mitigate Climate Change: An Ex- ploratory Study. In: Mitigation and Adaptation Strate- age in the Northeastern United States: Net Effects of gies for Global Change 12 (2007), S. 419–439; http:// Harvesting Frequency, Post-harvest Retention, and issuu.com/reflectiveplanet/docs/greenhouse_geoen- Wood Products. In: Forest Ecology and Management gineering (download 22.710) 259/8 (2010), S. 1363–1375 Heilmann, S.M.; Ted Davis, H.; Jader, L.R. et al., Orr, J.C.; Fabry, V.J.; Aumont, O. et al., 2005: An- 2010: Hydrothermal Carbonization of Microalgae. In: thropogenic Ocean Acidification over the Twentyfirst Biomass and Bioenergy 34/6 (2010), S. 875–882 Century and its Impact on Calcifying Organisms. In: Nature 437 (2005), S. 681–686 Huijgen, W.; Comans, R., 2006: Carbon Dioxide Se- questration by Mineral Carbonation. Literature re- Pielke, R.A.; Marland, G.; Betts, R.A. et al., 2002: view update 2003–2004, Energy Research Centre of The Influence of Land-use Change and Landscape the Netherlands, ECN-C--05-022; http://www.ecn.nl/ Dynamics on the Climate System: Relevance to Cli- publicaties/default.aspx?nr=ECN-C--05-022 (down- mate-change Policy Beyond the Radiative Effect of load 13.7.10) Greenhouse Gases. In: Philosophical Transactions of Huijgen, W.J.J.; Ruijg, G.J.; Comans, R.N.J; Witkamp the Royal Society 360 (2002), S. 1–15 G.J., 2006: Energy Consumption and Net CO Se- 2 Reijnders, L., 2009: Are Forestation, Bio-char and questration of Aqueous Mineral Carbonation. In: Landfilled Biomass Adequate Offsets for the Climate Industrial & Engineering Chemistry Research 45 Effects of Burning Fossil Fuels? In: Energy Policy (2006), S. 9184–9194 37/8 (2009), S. 2839–2841 Körner, Chr., 2009: Biologische Kohlenstoffsenken: Ridgwell, A.; Singarayer, J.S.; Hetherington, A.M.; Umsatz und Kapital nicht verwechseln! In: GAIA 4 (2009) Schwerpunkt: CCS (Teil 2), S. 288–293 Valdes, P.J., 2009: Tackling Regional Climate Change By Leaf Albedo Bio-geoengineering. In: Current Bi- Kueppers, L.M.; Snyder, M.A.; Sloan, L.C., ology 19 (2009), S. 146–150 2007: Irrigation Cooling Effect: Regional Cli- mate Forcing by Land-use Change. In: Geo- Rösch, Chr.; Skarka, J.; Patyk, A., 2009: Microalgae physical Research Letters 34 (2007), L03703, – Opportunities and Challenges of an Innovative En- doi:10.1029/2006GL028679; http://www.theglo- ergy Source. In: Congress Center Hamburg (CCH) balcoolingproject.com/ (download 22.7.10) (Hg.): From Research to Industry and Markets. Pro- ceedings zur 17th European Biomass Conference Lackner, K.S., 2002: Carbonate Chemistry for Se- and Exhibition, 29.6.–3.7.2009. Hamburg: Congress questration Fossil Carbon. In: Annual Review of En- vironment and Resources 27 (2002), S. 193–232 Center 2009, 7 Seiten Lackner, K.S.; Butt, D.P. Wendt, C.H. et al., 1997: Röthlein, B., 2006: Zauberkohle aus dem Dampfkoch- Carbon Dioxide Disposal in Mineral Form Keeping topf. In: Wissenschaftsmagazin MaxPlanckForschung Coal Competitive. Los Alamos National Laboratory, 2 (2006), S. 20–26 LA-UR-97-2094, November 1997 Royal Society, 2009: Geoengineering the Climate. Lackner, K.S.; Wendt, C.H.; Butt, D.P. et al., 1995: Science, Governance and Uncertainty. London; http:// Carbon Dioxide Disposal in Carbonate Minerals. In: royalsociety.org/Geoengineering-the-climate/ (down- Energy 20 (1995), S. 1153–1170 load 13.7.10), S. 2839–2841

Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 51 SCHWERPUNKT

Schippl, J.; Grunwald, A.; Hartlieb, N. et al., 2009: Roadmap Umwelttechnologien 2020. In: Wissen- Informationen zum ITAS schaftliche Berichte, FZKA 7519, Karlsruhe Schippl, J; Rösch, Chr., 2010: Optionen und Techno- Das Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) im Karlsruher Institut logien zur Verwertung und Speicherung von CO2. Po- tentiale und Forschungsbedarf. Vertiefungsstudie im für Technologie erarbeitet und vermittelt Wissen Rahmen des Projekts Roadmap Umwelttechnologien über die Folgen menschlichen Handelns und ihre 2020. Karlsruhe Bewertung in Bezug auf die Entwicklung und den Einsatz von neuen Technologien. Alternati- Seifritz, W., 1990: Der Treibhauseffekt. Technische ve Handlungs- und Gestaltungsoptionen werden Maßnahmen zur CO2-Entsorgung. München entworfen und bewertet. ITAS unterstützt da- Teir, S.; Eloneva; S.; Fogelholm, C.; Zevenhoven, R., durch Politik, Wissenschaft, Wirtschaft und die 2009: Fixation of Carbon Dioxide by Producing Hy- Öffentlichkeit, Zukunftsentscheidungen auf der dromagnesite from Serpentinite. In: Applied Energy Basis des besten verfügbaren Wissens und ratio- 86 (2009), S. 214–218 naler Bewertungen zu treffen. Zu diesem Zweck wendet ITAS Methoden der Technikfolgenab- Tredici, M.R., 2010: Photobiology of microalgae schätzung und Systemanalyse an und entwickelt mass cultures: understanding the tools for the next diese weiter. Untersuchungsgegenstände sind in green revolution. In: Biofuels 1/1 (2010), S. 143–162 der Regel übergreifende systemische Zusammen- hänge von gesellschaftlichen Wandlungsprozes- Zevenhoven; R.; Kohlmann, J., 2001: CO2 Sequestra- tion by Magnesium Silicate Mineral Sequestration in sen und Entwicklungen in Wissenschaft, Technik Finland. Second Nordic Minisymposium on Carbon und Umwelt. Das Institut erarbeitet sein Wissen Dioxide Capture and Storage, Göteborg, October vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Probleme 26, 2001; http://www.entek.chalmers.se/~anly/symp/ und Diskurse sowie anstehender Entscheidungen symp2001.html (download 13.7.10) über Technik. Relevante gesellschaftliche Ak- teure werden in den Forschungs- und Vermitt- lungsprozess einbezogen. Außerdem greift das Kontakt ITAS die Problematik der Bewertung von Tech- nik und Technikfolgen mit wissenschaftlichen Dr. Christine Rösch Mitteln auf. Die Forschungsarbeiten des Instituts Karlsruher Institut für Technologie (KIT) haben grundsätzlich einen prospektiven Anteil. Institut für Technikfolgenabschätzung und System- Es geht – im Sinne der Vorsorgeforschung – um analyse (ITAS) Vorausschau der Folgen menschlichen Handelns, Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe sowohl als Vorausschau soziotechnischer Ent- Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 – 27 04 wicklungen (Foresight) als auch als Abschätzung Fax: +49 (0) 72 47 / 82 – 48 06 künftiger Folgen heutiger Entscheidungen. Als E-Mail: [email protected] Richtschnur gilt, dass die Forschungsergebnisse in unterschiedlichen, alternativen Handlungs- und Gestaltungsoptionen gebündelt und in Bezug « » auf ihre Folgen und Implikationen rational be- wertet werden. Das Internetangebot des Instituts finden Sie unterhttp://www.itas.fzk.de .

Seite 52 Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 TA-PROJEKTE

fügbarkeit der gesamten Technologiekette, dem TA-PROJEKTE kraftwerksseitig zur Verfügung stehenden Po-

tenzial an abgeschiedenem CO2, den Kosten von CCS im Vergleich zu erneuerbaren Energien, der Kritische Abschätzung der CO - Umweltverträglichkeit von CCS und den recht- 2 lichen Voraussetzungen ist insbesondere das Po- Lagerkapazitäten in Deutschland tenzial an möglichen CO2-Lagerstätten der bisher Ein Beitrag für den öffentlichen Diskurs unsicherste Aspekt in der gesamten Bewertung. um CCS als Klimaschutzoption Gerade der letzte Schritt in der CCS-Kette ist jedoch essenziell, um Industrie und Politik per- von Samuel Höller und Peter Viebahn, spektivische Möglichkeiten für eine langfristig Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie aufzubauende Infrastruktur aufzeigen zu können.

In der kürzlich veröffentlichten „RECCS- plus-Studie“ wurde die im Jahr 2007 erst- 2 Zielsetzung und methodisches Vorgehen mals erfolgte integrative Bewertung von CCS (Carbon Dioxide Capture and Storage) Ein Schwerpunkt der vorgelegten Studie war für Deutschland aktualisiert. Neben der ver- daher die Betrachtung der Lagerkapazitäten, gleichenden Bewertung von CCS und erneu- die für CO2 aus Deutschland in Frage kommen erbaren Energien wurde auf der Basis einer könnten. Zielsetzung der Analyse war es, sowohl umfassenden Literaturanalyse eine kritische für Deutschland als auch für benachbarte Länder Bewertung des Potenzials für CO2-Lagerstät­ ten im Untergrund vorgelegt. Die abgeschätz- • bereits vorliegende Kapazitätsabschätzungen te untere Grenze von 5 Mrd. t CO2 entspricht hinsichtlich ihres Vorgehens und ihrer Annah- einer Einlagerung der Emissionen aus allen men systematisch zu analysieren und mitein- großen Punktquellen kalkulatorisch von etwa ander zu vergleichen und zwölf Jahren. Aufgrund der in die Abschät- • eine vorsichtige, konservative Abschätzung zung eingehenden vielfältigen Annahmen für die effektive Kapazität im Sinne einer un- bestehen nach wie vor große Unsicherhei- teren Grenze vorzulegen. ten. Dennoch zeigt sich, dass die bisher vor- liegenden Abschätzungen in der Tendenz Voraussetzung für die Ablagerung von CO2 im weit überhöht zu sein scheinen. Vor diesem Untergrund sind Strukturen mit einem geeigne- Hintergrund ist die Schätzung einer unteren ten Porenanteil und einer guten Durchlässigkeit, Grenze sinnvoll, um Industrie und Politik per- damit das Gas injiziert werden und sich im Un- spektivische Möglichkeiten für eine langfri- tergrund ausbreiten kann. Diese Voraussetzun- stig aufzubauende Infrastruktur aufzuzeigen. gen sind in Deutschland in tiefen salzhaltigen Grundwasserleitern (salinen Aquiferen) und in 1 Hintergrund ausgeförderten Erdgasfeldern erfüllt, die Sand- steinschichten in einer Tiefe von 800 bis 2.500 m Mit der RECCS-Studie wurde Anfang 2007 für aufweisen und sich überwiegend auf die Nord- Deutschland die weltweit erste umfassende, in- deutsche Tiefebene und die Nordsee beschrän- tegrierte Bewertung der CCS-Technologie (CO2- ken. Diese Ablagerungsschichten müssen nach Abtrennung und Lagerung) im Vergleich mit oben zur Erdoberfläche mit einer undurchlässi- erneuerbaren Energien vorgelegt (Viebahn et al. gen Deckschicht abgeschlossen sein, damit das 2007). In der kürzlich veröffentlichten RECCS- Gas in den geologischen Formationen verbleibt. plus-Studie wurde dieser Vergleich aktualisiert Aus Sicherheitsgründen wird die Ablagerung auf und erweitert (Viebahn et al. 2010). Als Resümee sog. geologische Fallen beschränkt (May et al. wurden sechs Aspekte hervorgehoben, die als 2005). Fallen sind unterirdische Strukturen, die Bestimmungsfaktoren für eine mögliche Einfüh- einem umgedrehten Eimer ähneln. Das injizierte rung von CCS in Deutschland angesehen werden. CO2 verbleibt in den ersten Jahrzehnten im flüs- Neben dem Zeitpunkt der großtechnischen Ver- sigen Zustand und sammelt sich als Phase in der

Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 53 TA-PROJEKTE

Struktur unter der Deckschicht an. Erst langfris- Die Variation dieses Faktors ist primär auf tig löst sich das Treibhausgas im Porenwasser folgende Annahme zurückzuführen: Befindet und kann bei Sättigung mineralisch ausfällen. sich die Struktur, in die das CO2 eingelagert wird, Bei der Berechnung des Ablagerungspo- in einem offenen System, ist also verbunden tenzials wird methodisch zwischen einem „top- mit einem großen Aquifer, oder ist das System down“- und einem „bottom-up“-Ansatz unter- geschlossen? Vor allem van der Meer und Eg- schieden. Beim „top-down“-Ansatz (oder auch berts (2008) nehmen an, dass jeder Aquifer als „volumetrischen Konzept“) wird von einem Ge- geschlossenes System zu betrachten ist und das samtvolumen der Ablagerungsstätten ausgegan- Formationswasser durch das einströmende CO2 gen, das nach verschiedenen Kriterien wie ausrei- deshalb nicht aus dem System herausgedrängt chendem Porengehalt, Dichte von CO2, Anteil an werden kann. Da die salinen Aquifere salzwas- Fallenstrukturen u. a. eingeschränkt wird. Diese sergesättigte Sandsteinschichten sind, kann dem- Daten werden aus Punktmessungen gewonnen nach nur durch Kompression der vorhandenen bzw. abgeschätzt und auf das gesamte Gebiet Substanzen (Wasser und Gestein) und durch er- verallgemeinert. Das so ermittelte „theoretische höhten Druck im System Platz für CO2 geschaf- Potenzial“ wird durch Anwendung eines Effizi- fen werden. enzfaktors, der die mögliche Wasserverdrängung Dies ist jedoch nur bis zu einem bestimmten und Kompressibilität des Gesteins berücksichtigt, Druckanstieg möglich – darüber hinaus besteht zu einem „effektiven Potenzial“ verringert. Bei die Gefahr, dass z. B. die Deckschicht beschä- der „bottom-up“-Methode werden einzelne Struk- digt und das CO2 wieder freigesetzt wird. Der turen detailliert betrachtet und deren Kapazitäten Effizienzfaktor für geschlossene Systeme setzt zu einem gesamten Ablager­ungspotenzial aufad- sich daher aus diesen beiden Komponenten zu- diert. Während für Aquifere aufgrund mangelnder sammen und ergibt Werte im Bereich von 0,01 Daten meist das (relativ unsichere) volumetrische bis 1 %, bezogen auf den gesamten betroffenen Konzept genutzt wird, werden Kohlenwasser- Aquifer (s. auch Ehlig-Economides und Econo- stofffelder in der Regel mittels des „bottom-up“- mides 2010). Von anderen Autoren angenomme- Ansatzes betrachtet. Das folgende Kapitel gibt die ne, höhere Werte von bis zu 40 % ergeben sich im Ergebnisse für die betrachteten salinen Aquifere Allgemeinen daraus, dass von offenen Systemen (onshore und offshore) und Erdgasfelder wieder. ausgegangen wird, so dass ein großer Anteil des Porenwassers aus der Fallenstruktur in den an- grenzenden Aquifer verdrängt werden kann. 3 Abschätzung der Ablagerungskapazitäten In der RECCS-plus-Studie wird dem ers- in Deutschland ten, konservativen Ansatz gefolgt, da genaue 3.1 Aquifere onshore Erkenntnisse über die Art der Systeme fehlen und aus Sicherheitsgründen die Verdrängung Zur Abschätzung der Lagerungskapazitäten in von Wasser aus einer Struktur verhindert werden Aquiferen unter deutschem Festland wurden vier sollte. Verwendet wird im Basisfall ein Effizienz- existierende Studien vergleichend analysiert, die faktor von 0,1 % mit einer Schwankungsbreite alle den top-down-Ansatz verfolgen (s. Tab. 1). zwischen 0,045 und 1 %. Diese Effizienzfakto- Die in die jeweilige Berechnung eingehenden ren wurden aus Kompressibilitätswerten und ma- Werte für den Anteil der Poren und Fallen im ximal möglichen Druckanstiegen im Untergrund Untergrund variieren nicht besonders stark. Für berechnet (Dose 2008; Ehlig-Economides und die ebenfalls notwendige CO2-Dichte werden Economides 2010; van der Meer 2009; Zhou et Werte zwischen 600 und 700 kg/m3 verwendet, al. 2008). Im Basisfall werden eine Gesamtkom- was jedoch nur Schwankungen zwischen 14 und pressibilität von 10-3/MPa und ein Druckanstieg 17 % verursacht. Essenziell ist dagegen der Ef- von 10 MPa veranschlagt, wie es von diesen Au- fizienzfaktor, der sich je nach Studie zwischen toren als realistisch angesehen wird. 0,01 und 40 % bewegt und somit die Resultate Zur Berechnung der gesamten Kapazität um den Faktor 400 beeinflusst. werden weiterhin eine durchschnittliche Porosi-

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tät von 20 % und eine CO2-Dichte von 600 kg/ pazitätsberechnungen für Deutschland (Tab. 1) m3 angenommen. Für das Basisvolumen wird von gehen von einem hundertprozentigen Austausch 140.000 km2 deutscher Aquiferfläche mit einer aus. Mehrere Autoren (u. a. Holloway et al. 2006; durchschnittlichen Mächtigkeit von 50 m ausge- IEAGHG 2009) sehen diese Annahme jedoch als gangen, angelehnt an Berechnungen von May et zu optimistisch an und argumentieren, dass eher al. (2005). Die Auswahl dieser Werte liefert eine Werte von 65 %, 75 % oder 90 % zutreffend sei-

CO2-Lagerungskapazität in onshore Aquiferen en. Deshalb wurde für die eigene konservative von 0,840 Mrd. t CO2 im Basisfall und 0,378 Mrd. Abschätzung als Basiswert ein Effizienzfaktor t bzw. 8,4 Mrd. t in den Sensitivitätsanalysen. von 75 % verwendet und für die obere Variante auf 90 % erhöht. Gegenüber vorliegenden Ab- schätzungen (2,2–2,8 Mrd. t CO ) reduziert sich 3.2 Aquifere offshore 2 die Ablagerungskapazität der eigenen Abschät- Die erste detaillierte Abschätzung der Ablage- zung damit auf 1,62 Mrd. (Effizienz 75 %) bzw. rungskapazität der deutschen Nordsee wurde im 1,94 Mrd. t CO2 (Effizienz 90 %). GeoCapacity-Bericht (Vangkilde-Pedersen et al. 2009b) veröffentlicht, in dem die Autoren nach 3.4 Gesamtkapazität für Deutschland dem bottom-up-Verfahren vorgehen und geeig- nete Aquiferstrukturen identifizieren. Da die dort Zusammengefasst summiert sich die konservative vorgenommene konservative Abschätzung hin- Basisabschätzung auf eine Ablagerungskapazität sichtlich der in der RECCS-plus Studie angeleg- von etwa 5 Mrd. t CO2 (s. Tab. 1 und Abb. 1). Die ten Kriterien realistisch erscheint, wurde darauf beschriebenen Varianten ergeben rund 4 bzw. 15 verzichtet, eine eigene Abschätzung vorzuneh- Mrd. t CO2. Die Basisschätzung stellt eine wesent- men. Stattdessen wurde die dort abgeschätzte Ka- lich geringere Kapazität im Vergleich zu früheren pazität von 2,9 Mrd. t CO (Spannbreite von 1,88 2 Studien dar, die zwischen 17 und 44 Mrd. t CO bis 4,5 Mrd. t CO ) als konservativ übernommen. 2 2 ermittelt haben. Der Grund ist, wie oben beschrie- ben, insbesondere die Annahme über offene oder 3.3 Erdgasfelder geschlossene Systeme und damit einen entspre- chenden Effizienzfaktor bei den Aquiferen. In Aquiferen war der essenzielle Unterschied Geht man davon aus, dass alle Emissionen zwischen den Abschätzungen der Effizienzfak- aus großen deutschen Punktquellen (>1 Mio. t tor. Auch bei Erdgasfeldern sollte im Sinne ei- CO2/a aus Kraftwerken und Industrie) abgetrennt ner konservativen Abschätzung die Effizienz und gelagert werden sollen, würde die Basiskapa- berücksichtigt werden, die sich hier jedoch dar- zität von 5 Mrd. t CO2 kalkulatorisch für etwa 12

über definiert, wie viel des geförderten Erdgases Jahre reichen (bei CO2-Emissionen von 388 Mio. durch CO2 ersetzt werden kann. Vorliegende Ka- t CO2 im Jahr 2007, einem Energiemehraufwand

Tab. 1: CO2-Ablagerungskapazitäten für Deutschland in verschiedenen Formationen (in Gt CO2) Formation JOULE II GESTCO BGR GeoCapacity Eigene Abschätzung 1996 2004 2005 2009 Basiswert Varianten Saline Aquifere onshore 0,47 23–42 12–28 12 0,84 0,38 / 8,40 Nordsee Aquifere ? ? 4–10 2,9 2,90 1,88 / 4,50 Gasfelder 2,34 2,23 2,75 2,81 1,62 1,62 / 1,94 Ölfelder 0,06 0,10 0,11 marginal vernachlässigbar Gesamt ≈ 3 25–44 19–41 ≈ 17 ≈ 5 ≈ 4 / ≈ 15 * Eigene Abschätzung: Onshore Aquifere: Effizienzfaktor bezogen auf das Aquifervolumen 0,1 % (Basiswert), 0,045 und 1 % (Varianten); Nordsee Aquifere: Ergebnisse aus GeoCapacity übernommen JOULE II: van der Straaten et al. 1996; GESTCO: Christensen und Holloway 2004; BGR: Gerling 2008; May 2009; May et al. 2005; GeoCapacity [konservativ]: (Vangkilde-Pedersen et al. 2009a)

Quelle: Eigene Darstellung (nach Viebahn et al. 2010)

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Abb. 1: Schätzungen für CO2-Ablagerungskapazitäten in Deutschland

Quelle: Eigene Darstellung (Viebahn et al. 2010) für die CCS-Technologiekette von etwa 30 % und tive“, nicht die „passende“ Kapazität darstellen, einer CO2-Abscheiderate von 90 % müssten jähr- könnte sich die Notwendigkeit ergeben, deutsches lich 454 Mio. t CO2 endgelagert werden). Geht CO2 zukünftig zu exportieren. Die Rechtsgrund- man von einem „realistischen“ Szenario aus, lage hierfür wurde durch die CCS-Richtlinie der das in der RECCS-plus-Studie gerechnet wurde, EU geschaffen. In der RECCS-plus-Studie wur- so ergeben sich für den Kraftwerkssektor (ohne den daher auch vorliegende Studien für die für Industrie) bis zum Jahr 2050 in der Summe 1,2 Deutschland in Frage kommenden möglichen „CO -Importländer“ analysiert. Im Gegensatz zu Mrd. t abgetrenntes CO2, das auch im Falle der 2 unteren, konservativen Kapazitätsabschätzung (4 Deutschland wurden hier keine eigene Analyse durchgeführt, sondern die konservativen Szena- Mrd. t CO2) ausreichend verbracht werden könn- te. Berücksichtigt werden muss generell jedoch, rien der jeweiligen Studien übernommen. dass alle vorgelegten Kapazitätsabschätzungen Danach ergibt sich in den Niederlanden, das „effektive“ Potenzial betrachten – dieses Frankreich, Dänemark, dem Vereinigten König- könnte sich aufgrund von Akzeptanzproblemen, reich, Norwegen und Polen eine effektive Abla- gerungskapazität von 44 Mrd. t CO2 (s. Tab. 2). einem „source-sink-matching“ von CO2-Quellen und Senken oder auch aufgrund politischer Fest- Den mit 48 % größten Anteil weist Norwegen mit 21 Mrd. t CO auf, gefolgt vom Vereinigten legungen weiter reduzieren (und wird dann als 2 Königreich mit 15 Mrd. t CO (34 %). In beiden „passende“ Kapazität bezeichnet). 2 Ländern sind diese Kapazitäten ausschließlich in der Nordsee zu finden. Die anderen betrachteten 4 Ausblick Europa Länder haben nur geringe Potenziale zur Verfü- gung. Die so ermittelten konservativen Potenziale

Da alle betrachteten Abschätzungen große Un- würden ausreichen, die kumulierten CO2-Emis- sicherheiten aufweisen und auch nur die „effek- sionen der nächsten 40 Jahre aus allen großen

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Tab. 2: Übersicht der konservativen Kapazitätsabschätzungen zur CO2-Ablagerung anderer EU-Staaten im Vergleich mit den Emissionen aus großen Punktquellen Summe Einheit Niederlande Frankreich Dänemark UKb Norwegenb Polen Ausland Deutschland Gesamt Emissionena Mt/a 92 131 28 258 28 188 725 465 1.190 Emissionen in Gt 3,7 5,2 1,1 10,3 1,1 7,5 28,9 18,6 47,6 40 Jahren Konservative Ablagerungs- Gt 3 1 1 15 21 3 44 5 49 kapazität Rest Gt -0,7 -4,2 -0,1 4,7 19,9 -4,5 15,1 -13,6 1,4 a = Emissionen aus großen Punktquellen von Kraftwerken und Industrie (>0,1 Mt CO2/a) b = nur offshore Quelle: Eigene Darstellung (Viebahn et al. 2010)

Punktquellen der analysierten Länder (47,6 Mrd. nen ein weit wichtigeres Feld darstellen, da dort t CO2) ablagern zu können. Die Mengenunter- viele Prozesse nicht wie im Stromsektor auf er- schiede zwischen Quellen und Senken zeigen je- neuerbare Energien umgestellt werden können. doch, dass hierfür eine umfangreiche Transport- Auch die Energieerzeugung durch Biomasse mit

Infrastruktur aufgebaut werden müsste. nachgeschalteter CO2-Abtrennung wäre denkbar, um langfristig das Treibhausgas der Atmosphä- re zu entziehen („negative Emissionen“). Da die 5 Schlussfolgerungen und Anwendung und das Potenzial von CCS in die- Forschungsbedarf sen Bereichen noch erforscht werden müssen, die Die vorgestellten Ergebnisse geben eine erste Lagerungskapazität jedoch beschränkt ist, bedarf Größenordnung der potenziellen Lagerstätten für es einer Diskussion, potenzielle Lagerstätten für CO aus Deutschland an. Allerdings sind diese möglicherweise wirklich relevante Anwendun- 2 gen vorzuhalten und nicht kurzfristig mit CO aufgrund der sehr allgemeinen Annahmen mit 2 großen Unsicherheiten behaftet. Das von der aus Kraftwerken zu verfüllen. Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh- Ein häufiges Argument der Industrievertre- stoffe zurzeit in Entwicklung befindliche „Spei- ter und Wirtschaftspolitiker lautet, dass die CCS- cherkataster“ ist ein erster Schritt in Richtung Technologie einen großen Exportmarkt erschlie- größerer Genauigkeit. Allerdings muss für eine ßen würde. Dabei wird angenommen, dass auf- wirklich verlässliche Aussage jede potenzielle strebende Nationen wie China oder Indien, die Ablagerungsstätte einzeln geologisch analysiert massiv auf den Ausbau der Kohleenergie setzen, signifikante CO -Reduktion eben nur mit dieser und getestet werden. 2 Andererseits hat die integrative Bewertung Technologie bewerkstelligen können. Ob CCS in innerhalb der RECCS-plus-Studie gezeigt, dass China, Indien und Südafrika tatsächlich relevant CCS im Kraftwerkssektor für Deutschland zum werden könnte und wie das Ablagerungspoten- Erreichen der Klimaziele nicht unbedingt be- zial dieser Länder bewertet werden muss, ist In- nötigt wird und – durch die aus ökonomischen halt eines weiteren Forschungsprojekts des Wup- und verfahrenstechnischen Gründen notwen- pertal Instituts (WI 2010). dige Kopplung an Grundlastkraftwerke – in ei- nen Konflikt mit dem Ausbau der erneuerbaren Literatur Energien gelangen könnte. Dagegen könnte die Christensen, N.P.; Holloway, S., 2004: GESTCO – Anwendung von CCS in großen Industrieanla- Geological Storage of CO2 from Combustion of Fos- gen zur Abtrennung prozessbedingter Emissio- sil Fuel (Summary Report). Brüssel

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Dose, T., 2008: A Consistent Approach to CO2 Storage WI – Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, Capacity Estimation for Deep Saline Formations. In: 2010: CCS global – die globalen Perspektiven von DGMK/ÖGEW-Frühjahrstagungsbericht 1/7 (2008), Carbon Capture and Storage Technologies (CCS) in S. 1–11 Schwellenländern. Forschungsvorhaben im Auftrag Ehlig-Economides, C.; Economides, M.J., 2010: Seques- des BMU; http://www.wupperinst.org/de/projekte/ tering Carbon Dioxide in a Closed Underground Volume. proj/index.html?projekt_id=292&bid=136 In: Journal of Petroleum Science and Engineering 70/1–2 Zhou, Q.; Birkholzer, J.T.; Tsang, C.; Rutqvist, J.,

(2010), S. 123–130. doi: 10.1016/j.petrol.2009.11.002 2008: A Method for Quick Assessment of CO2 Stor- age Capacity in Closed and Semi-closed Saline For- Gerling, J.P., 2008: Geologische CO2-Speicherung als Beitrag zur nachhaltigen Energieversorgung. Bergbau mations. In: International Journal of Greenhouse Gas 10 (2008), S. 472–475 Control 2/4 (2008), S. 626–639 Holloway, S.; Vincent, C.; Bentham, M.; Kirk, K.,

2006: Top-down and Bottom-up Estimates of CO2 Kontakt Storage Capacity in the UK Sector of the Southern Dr. Peter Viebahn North Sea Basin. In: Environmental Geosciences 13/2 Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie (2006), S. 71–84; doi: 10.1306/eg.11080505015 GmbH IEAGHG – IEA Greenhouse Gas R&D Programme, Postfach 10 04 80, 42004 Wuppertal 2009: CO Storage in Depleted Gas Fields. Technical 2 Tel.: +49 (0) 2 02 / 24 92 - 3 06 study Nr. 2009/01 Fax: +49 (0) 2 02 / 24 92 - 1 98 May, F., 2009: Aquifer Storage: An Option for Emis- E-Mail: [email protected] sion Reduction in . Hannover BGR Internet: http://www.wupperinst.org/CCS/ May, F.; Müller, C.; Bernstone, C., 2005: How Much

CO2 Can be Stored in Deep Saline Aquifers in Ger- many? In: VGB PowerTech 85/6 (2005), S. 32–37 « » van der Meer, L.G.H., 2009: TNO – National Geo- logical Survey of the Netherlands van der Meer, L.G.H.; Egberts, P., 2008: A General

Method for Calculating Subsurface CO2 Storage Ca- pacity. Paper for presentation at the 2008 Offshore Technology Conference in Houston, Texas, U.S.A., OTC 19309 van der Straaten, R.; Elewaut, E.; Koelewijn, D. et al., 1996: Inventory of the CO2 Storage Capacity of the European Union and Norway. In Final report of the Joule II project No. CT92-0031: The Underground Disposal of Carbon Dioxide. Nottingham Vangkilde-Pedersen, T.; Neele, F.; Wojcicki, A. et al., 2009a: GeoCapacity (Endbericht Nr. D 42). Denmark Vangkilde-Pedersen, T.; Neele, F.; Wojcicki, A. et al., 2009b: Storage Capacity (Technical Report D16 WP2 Nr. SES6-518318). EU GeoCapacity. GEUS

Viebahn, P.; Fischedick, M.; Nitsch, J., 2007: CO2- Abtrennung und Speicherung in Deutschland. Kosten, Ökobilanzen und Szenarien im Rahmen einer integra- tiven Bewertung. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 16/3 (2007). Karlsruhe, S. 70–77 Viebahn, P.; Dietrich, L.; Esken, A. et al., 2010: RECCS plus – Regenerative Energien (RE) im Ver- gleich mit CO2-Abtrennung und -Ablagerung (CCS). Update und Erweiterung der RECCS-Studie im Auf- trag des Bundesministeriums für Umwelt, Reaktorsi- cherheit und Naturschutz. Wuppertal

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Mobil mit Biomasse daher veranlasst, nach alternativen Kraftstoffen Techno-ökonomischer Vergleich des und Antriebskonzepten zu suchen (Europäische Einsatzes von Strom, SNG und Fischer- Union 2009; Hurtig et al. 2010). Bei den Analysen und Bewertungen zu al- Tropsch-Kraftstoff aus Biomasse im ternativen Kraftstoff- und Antriebskonzepten Pkw-Bereich wird in den letzten Jahren zunehmend eine ganz- heitliche Betrachtungsweise verfolgt. Durch Ge- von Oliver Hurtig und Ludwig Leible, ITAS genüberstellung der wesentlichen technischen, ökonomischen und umweltrelevanten Kennwerte Der Einsatz von erneuerbaren Energien im Mo- soll so eine Gesamtbewertung der verschiedenen bilitätssektor ist mit hohen Erwartungen ver- Alternativen ermöglicht werden. Auf der ökono- knüpft. Im vorgestellten Dissertationsprojekt werden Strom, SNG (Substitute Natural Gas, mischen Seite beinhaltet dies beispielsweise eine Ersatz für Erdgas) und Fischer-Tropsch(FT)- Bestimmung der Gesamtkosten über den gesam- Kraftstoff aus Biomasse als Sekundärener- ten Herstellungs- und Nutzungsprozess des Pkw. gieträger zum Antrieb eines Pkw verglichen. Auf der Umweltseite ist zur Analyse und Bewer- Aufbauend auf laufenden und abgeschlosse- tung der Umweltauswirkungen insbesondere der nen Projekten des ITAS zum Thema Bioener- Schadstoff- und Treibhausgasausstoß sowie der gie werden die Prozessketten vom Anbau Ressourcenverbrauch über die gesamte Kette – der Biomasse bis zum Antrieb des Pkw (des von der Primärenergiequelle bis zur Nutzung des Rads) untersucht (die sog. „well-to-wheel- Sekundärenergieträgers im Fahrzeug – zu unter- 1 Analyse“, WTW) und zusätzlich Antriebskon- suchen. Zusätzlich sollten auch die Herstellung zepten gegenübergestellt, die fossile Primär- und Entsorgung des Pkw in die Untersuchungen energieträger einsetzen. Der Schwerpunkt der mit einbezogen werden. systemanalytischen Untersuchung liegt beim Einsatz der biogenen, regenerativen Energie- Im Sinne einer Kosten-Nutzen-Analyse träger im Pkw. Mit diesem Vorhaben soll ein können so beispielsweise Kosten zur Vermei- Beitrag zur Beantwortung der Frage geleistet dung von treibhausrelevanten Emissionen – die werden, über welchen Sekundärenergieträger sog. Treibhausgasvermeidungskosten – abge- und welches Antriebskonzept der Einsatz von leitet werden. Mit Blick auf die Nutzung von Biomasse am sinnvollsten für die Mobilität im Biomasse im Mobilitätssektor lässt sich hieran Pkw-Bereich umgesetzt werden kann. bemessen und bewerten, welche Kraftstoff- und Antriebsalternativen am effizientesten zur - Re duzierung der Treibhausgasemissionen im Ver- 1 Hintergrund kehrssektor beitragen können. Der Verkehr verursacht in Deutschland mit über 2 14 Prozent der Treibhausgasemissionen und 2 Ziele mehr als einem Drittel der Feinstaub-Emissionen einen erheblichen Anteil der anthropogenen Um- ITAS hat bisher in seinen Studien verschiedene weltbelastungen (BMU 2009; Umweltbundesamt Varianten der Bereitstellung von Wärme, Strom 2009). Eine weitere Verschärfung der Grenzwer- und FT-Kraftstoff aus Biomasse analysiert (Leib- te vermindert zwar den Ausstoß von Schadstof- le, Kälber, Kappler 2007; Leible, Kälber, Kappler fen und Treibhausgasen pro Fahrzeugkilometer. et al. 2007; Leible, Kälber, Nieke 2006). Aktuell Steigt gleichzeitig aber das Verkehrsaufkommen, wird die Bereitstellung von SNG über Biogas so ist von keiner bzw. nur von einer geringen Re- und thermochemisch erzeugtem Gas und seine duzierung der Gesamtemissionen auszugehen. Verwendung zur Produktion von Wärme, Strom Darüber hinaus ist Erdöl als Basis konven- und Kraftstoff untersucht. Diese systemanalyti- tioneller Kraftstoffe ein endlicher Rohstoff, von schen Arbeiten wurden bzw. werden von ITAS dessen Import Deutschland in starkem Maße ab- mit der Zielsetzung durchgeführt, die energeti- hängig ist. Spätestens seit der ersten Ölkrise 1973 sche Nutzung von Biomasse in ihr technisches, sehen sich Wissenschaft und Automobilindustrie ökonomisches und umweltrelevantes Umfeld

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Abb. 1: Untersuchte Pfade zur Nutzung von Biomasse im Pkw-Antrieb

Quelle: Eigene Darstellung einzuordnen und zu bewerten. Der Frage, wie 3 Forschungsansatz die energetische Biomassenutzung am sinnvolls- ten im Mobilitätssektor umgesetzt werden kann, Um einen Vergleich der ausgewählten Sekundär- wurde hierbei noch nicht detailliert nachgegan- energieträger Strom, SNG und FT-Kraftstoff – je- gen. An dieser Stelle soll das im Folgenden vor- weils aus Biomasse – beim Pkw-Antrieb durch- gestellte Dissertationsvorhaben ansetzen. führen zu können, werden alle in Abbildung 1 schematisch dargestellten Prozesse untersucht; In enger Verzahnung mit den am ITAS hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Nutzungs- durchgeführten Studien wird anhand von techni- phase des Sekundärenergieträgers beim Pkw- schen, ökonomischen und umweltrelevanten As- Antrieb. Dabei orientiert sich die systemanaly- pekten ein Vergleich der aus Biomasse bereitge- tische Herangehensweise am „well-to-wheel“ stellten Sekundärenergieträger Strom, SNG und (WTW)-Ansatz3. Um jeden Prozess realitätsnah FT-Kraftstoff zur Nutzung im Pkw-Antrieb er- beschreiben zu können, werden Kennzahlen ab- stellt. Zur besseren Einordnung dieses Vergleichs geleitet und mit Angaben aus verschiedenen Li- werden die biogenen Sekundärenergieträger dar- teraturquellen verglichen und bewertet. über hinaus mit der entsprechenden fossilen Re- In einem ersten Schritt müssen jedoch zu- ferenz verglichen: Strom aus Biomasse wird mit nächst alle Rahmenbedingungen festgelegt wer- Strom aus fossilen Rohstoffen verglichen, SNG den, die für eine solche systemanalytische Unter- mit Erdgas und FT-Kraftstoff mit Diesel. suchung maßgeblich sind. Das Dissertationsvorhaben von Oliver Durch die Ermittlung und Zugrundelegung Hurtig soll somit letztendlich auch einen Bei- des typischen Fahrverhaltens werden die An- trag zur Beantwortung der Fragestellung leis- forderungen (z. B. Reichweite) an die zu un- ten, wie die zukünftige Mobilität nachhaltiger tersuchenden Pkw festgelegt und anhand dieser gestaltet werden kann. die für einen Vergleich interessanten Fahrzeuge

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ausgewählt. Anschließend werden diese Pkw in und -vernetzung sowie die Vergleichbarkeit und ihrer Herstellungs- und Betriebsphase hinsicht- Flexibilität der durchgeführten Analysen sicher- lich ihrer technischen, ökonomischen und um- zustellen. Damit soll gewährleistet werden, dass weltrelevanten Merkmale beschrieben. In ihrer zum Beispiel neuere Entwicklungen, Preisände- Betriebsphase wird zuerst der Betrieb mit fossi- rungen oder neue Fahrzeugtypen leicht in einen len Kraftstoffen (Erdgas, Diesel und Strom aus Gesamtvergleich eingebaut werden können. Die- dem deutschen Strommix) untersucht, um dann ses EDV-Modell nutzt die ermittelten Kenndaten die Unterschiede im Betrieb mit biogenen Kraft- der Pkw und der gesamten Prozesskette sowie stoffen (SNG, FT-Kraftstoff, Strom aus Biomas- die anpassbaren Parameter – wie z. B. die gefah- se) herauszuarbeiten. Für die Bereitstellung der renen Kilometer pro Jahr –, um beispielsweise Kraftstoffe aus Biomasse wird auf Ergebnisse die Mobilitätskosten oder die Minderungskosten aus Projekten von ITAS zurückgegriffen. für treibhausrelevante Emissionen zu berechnen. Um die Vergleichbarkeit zu gewährleisten, wird darauf geachtet, dass die Pkw einen ähn- 4 Ausblick lichen Einsatzbereich haben und dass sie schon als Prototyp verfügbar sind. Beim Vergleich von Diese systemanalytische Untersuchung wird Pkw aus der Serienfertigung und Prototypen wesentliche Ergebnisse liefern, die eine Einord- muss berücksichtigt werden, dass sich hierbei die nung und Beantwortung der Frage erlauben, über Belastbarkeit der Datenbasis stark unterscheidet. welche Sekundärenergieträger (Strom, SNG, FT- Soweit möglich, werden – neben der Be- Kraftstoff) und Antriebskonzepte die Biomasse triebsphase – bei der Analyse und Bewertung am sinnvollsten einen Beitrag zur Aufrechter- darüber hinaus alle wichtigen Stoffströme, Emis- haltung der Mobilität leisten kann. Die Kosten sionen und Energieströme berücksichtigt, die mit pro Personenkilometer oder die damit verbun- der Herstellung und Entsorgung des Fahrzeugs denen CO2-Minderungskosten werden für diese zusammenhängen. Insbesondere soll untersucht Einordnung und Bewertung von besonderer Be- werden, inwieweit die Herstellung und Entsor- deutung sein. Nicht zuletzt ergeben sich hieraus gung der Pkw Auswirkung auf die Gesamtbilanz Schlussfolgerungen und Empfehlungen nicht eines Fahrzeugs haben – auch unter ökonomi- nur für weitere Forschungsvorhaben, sondern scher Sicht. Ziel ist eine differenziertere abschlie- auch für die Politik, die die eingangs erwähnten, ßende Bewertung als dies mit der ausschließli- hohen Erwartungen an erneuerbare Energien im chen Bewertung der Betriebsphase des Fahrzeugs Mobilitätssektor formuliert. möglich ist. Der Blick auf die Herstellungsphase legt den Schwerpunkt darauf, Unterschiede im Antriebsstrang zwischen den untersuchten Fahr- Anmerkung zeugen herauszuarbeiten. Der Antriebsstrang be- 1) Vgl. EUCAR, CONCAWE, JRC 2008. steht in diesem Fall aus dem Energiespeicher im 2) Unter Treibhausgasen werden alle Gase zusammen- Auto und der Antriebstechnik (s. Abb. 1). gefasst, die zur Temperaturerhöhung des Klimas bei- Beim Vergleich der verschiedenen An- tragen. Die Angaben erfolgen in CO2-Äquivalenten triebstechnologien muss berücksichtigt werden, unter Berücksichtigung der spezifischen Treibhaus- wie schnell sich neue Technologien durchsetzen wirksamkeit der Gase – gemessen am CO2. und Kostendegressionen sowie technische Ver- 3) Bei diesem Ansatz werden alle Prozessschritte besserungen durch Lern- und Stückzahleneffek- von der Förderung des Primärenergieträgers bzw. te erreicht werden können. Mit Blick auf diese des Anbaus der Biomasse bis zum Antrieb des Effekte sind entsprechende Szenarienannahmen Rads untersucht. Dieser Ansatz wird z. B in Leible zu treffen. Nur so kann eine solide Abschätzung et al. (2006) näher beschrieben. insbesondere der Kosten erreicht werden. Ein wesentlicher Bestandteil des Promo- Literatur tionsvorhabens liegt in der Entwicklung eines BMU – Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und EDV-gestützten Modells, um die Datenhaltung Reaktorsicherheit, 2009: Erneuerbare Energien in Zah-

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len. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Forschung im Bereich der Reaktorsicherheit Bonn; http://www.erneuerbare-energi- en.de/files/erneuerbare_energien/downloads/application/ Entwicklung Neuer Materialien pdf/broschuere_ee_zahlen_bf.pdf (download 27.11.09) Das Spannungsfeld zwischen wissen- EUCAR – European Council for Automotive R&D; schaftlicher Profilbildung und Technolo- CONCAWE – The oil companies‘ European association gietransfer – das Projekt InnoMat for environment, health and safety in refining and distri- bution; JRC – Institute for Environment and Sustaina- bility of the EU Commission‘s Joint Research Centre, von Rainer Bräutigam, ITAS 2008: JEC Well-to-Wheels study Version 3; http://ies.jrc. In einer explorativ angelegten Studie zum ec.europa.eu/WTW.html (download 28.8.09) Wissens- und Technologietransfer aus öf- Europäische Union, 2009: Richtlinie 2009/28/EG des fentlich finanzierter Forschung in die indus- Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April trielle Anwendung im Bereich „Neue Materia- 2009 zur Förderung der Nutzung von Energie aus er- lien“ wurden neun unterschiedliche Transfer- neuerbaren Quellen und zur Änderung und anschlie- projekte über einen Zeitraum von drei Jahren ßenden Aufhebung der Richtlinien 2001/77/EG und begleitet und das Transferhandeln dieser 2003/30/EG; http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/Le- Projekte wurde detailliert analysiert. Der vor- xUriServ.do?uri=OJ:L:2009:140:0016:0062:DE:PDF liegende Bericht beschreibt die methodische (download 3.2.10) Vorgehensweise in dieser inzwischen abge- Hurtig, O.; Leible, L.; Kappler, G.; Kälber, S., 2010: In- schlossenen Studie und gibt einen kleinen novative Kraftstoff- und Antriebskonzepte von BMW, Einblick in die dabei erzielten Ergebnisse. Daimler und VW seit der 1. Ölkrise 1973. Karlsruhe Leible, L.; Kälber, S.; Kappler, G., 2007: BTL/Syn- thetische Kraftstoffe – Technik, Wirtschaftlichkeit 1 Ausgangslage und Zukunftsfähigkeit. In: Bio- und Sekundärroh- stoffverwertung. Witzenhausen Die Entwicklung von neuen Materialien sowie Leible, L.; Kälber, S.; Kappler, G. et al., 2007: Kraft- von Technologien für deren Produktion und stoff, Strom und Wärme aus Stroh und Waldrestholz: Verarbeitung ist Grundlage der allgemeinen eine systematische Untersuchung. Karlsruhe, For- Technikentwicklung, da neue Materialien ein schungszentrum Karlsruhe; http://bibliothek.fzk.de/ wesentlicher Bestandteil hochinnovativer Tech- zb/berichte/FZKA7170.pdf (download 9.2.10) nikfelder sind. Viele Erfolge in einer Reihe von Leible, L.; Kälber, S.; Nieke, E., 2006: Schwerpunkt Schlüsseltechnologien wären ohne den Einsatz Biogene Kraftstoffe – Kraftstoffe der Zukunft? Tech- neuer Materialien nicht denkbar. Nur ein Teil nikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 15/1 der Neuentwicklungen in der Materialforschung (2006), S. 4–72 kann jedoch wirtschaftlich erfolgreich einge- UBA – Umweltbundesamt, 2009: Nationaler Inventar- setzt werden. Dies ist im Regelfall dann mög- bericht zum Deutschen Treibhausgasinventar 1990– lich, wenn durch die Materialinnovation neue 2007; http://www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf- l/3727.pdf (download 28.4.10) Produkte ermöglicht und durch diese wiederum neue Märkte erschlossen werden können. Viele neue Funktionswerkstoffe, die nur in geringen Kontakt Mengen benötigt werden, finden dagegen oft Dipl.-Ing. Oliver Hurtig keinen Hersteller, da die Aufwendungen für Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ihre Entwicklung einerseits hoch sind und die Institut für Technikfolgenabschätzung und beim Hersteller stattfindende Wertschöpfung Systemanalyse (ITAS) andererseits zu gering ist. Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 68 75 Da die Entwicklung neuer Werkstoffe und Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 60 45 deren Überführung in marktfähige Produkte in E-Mail: [email protected] einem Prozess erfolgt, dessen Erfolg wesentlich von der Qualität der Zusammenarbeit von Ma- terialforschung, Materialherstellung und diesbe- « » züglicher Verfahrenstechnik sowie dem Endan-

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wender und seiner Fertigungstechnik geprägt ist, explorativ und dialogisch ausgerichtet. Sowohl eröffnen sich eine Reihe von Forschungsfragen, Materialforschungsteams als auch potenziel- die auch die Transferkompetenz staatlich finan- le Anwender wurden früh in die Durchführung zierter Forschung berühren. Bei den Forschern der Studie eingebunden. Zu den eingesetzten aus der Materialforschung selbst wächst der Forschungsverfahren gehörten u. a. Leitfaden- Bedarf, sich kompetent und erfolgreich inner- Interviews, teilnehmende Beobachtungen, Work- halb der verschiedenen Optionen des Technolo- shops gemeinsam mit den Forschungspartnern gietransfers zu bewegen und dabei die eigenen und den Materialforschern, Dokumentenanalyse Chancen und Nachteile reflektieren zu können. und Telefoninterviews sowie themenzentrierte Betrachtet man den aktuellen Stand der Experten-Interviews. Forschung zur Analyse dieser Innovations- und Konkret wurden während der Laufzeit des Transferprozesse, so ist festzustellen, dass kaum Projektes in drei Interviewwellen jeweils neun empirische Studien vorliegen, die auf der Ebene konkreten Forschung-und-Entwicklung(F&E)- Interviews durchgeführt. Diese Interviews wur- Handelns ansetzen und die Ergebnisse dieser den aufgezeichnet, transkribiert und anschlie- Analysen mit Erkenntnissen der Wissenssozio- ßend ausgewertet. Zusätzlich wurden zahlrei- logie, Innovationsforschung und Technikfolgen- che Experteninterviews sowohl mit Vertretern abschätzung verknüpfen. In dem von der Helm- der Materialforschungsprojekte als auch mit holtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszent- Vertretern von der industriellen Anwendersei- ren e.V. aus dem Impuls- und Vernetzungsfonds te durchgeführt. Im Rahmen eines dialogischen geförderten Projekt „Wissens- und Technolo- Forschungsprozesses wurden auf drei Work- gietransfer in der Materialforschung – Merk- shops, die gemeinsam mit den Forschungspart- male und Bedingungen erfolgreicher Produk- nern sowie den Vertretern der einzelnen Mate- tinnovation (InnoMat)“ (Laufzeit 1.4.2006 bis rialforschungsprojekte veranstaltet wurden, die 31.12.2009) wurde daher eine empirische Analy- Vorgehensweise im Projekt sowie die bis zum se des Wissens- und Technologietransfers (WTT) Zeitpunkt der jeweiligen Veranstaltung erzielten aus staatlich finanzierten Forschungseinrichtun- Ergebnisse vorgestellt und diskutiert. Die Ergeb- gen in die industrielle Anwendung am Beispiel nisse dieser Diskussionen flossen dann wieder in von neun Materialforschungsprojekten aus drei die wissenschaftlichen Auswertungen ein. Typen von Forschungsorganisationen (Fraunho- fer-Instituten, Technischen Universitäten sowie der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher For- 3 Beteiligte Forschergruppen schungszentren) durchgeführt. Dabei wurden kontextspezifische Transfermuster ermittelt, de- Das Projekt InnoMat wurde unter Federführung ren Chancen und Risiken untersucht, und daran des Instituts für Technikfolgenabschätzung und anschließend Empfehlungen zur Optimierung Systemanalyse (ITAS) im Karlsruher Institut für dieses Transferhandelns erarbeitet. Technologie (KIT) gemeinsam mit folgenden Forschungspartnern durchgeführt:

2 Methodischer Ansatz • Deutsche Hochschule für Verwaltungswis- senschaften Speyer, Transferprozesse in der Materialforschung • Fraunhofer Institut für System- und Innovati- zeichnen sich durch hohe Komplexität, die Be- onsforschung in Karlsruhe, teiligung unterschiedlichster Akteure und lange • Forschungsstelle Internationales Manage- Laufzeiten aus. Dies erfordert den qualifizierten ment und Innovation der Universität Stutt- Einsatz speziell ausgewählter und darauf abge- gart-Hohenheim. stimmter Erhebungsverfahren. In InnoMat wur- den daher systemanalytische Fragestellungen Das Transferhandeln folgender Projekte wurde mit etablierten sozialwissenschaftlichen Instru- während der Laufzeit von InnoMat untersucht menten kombiniert. Das Forschungsdesign war und analysiert:

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Projekte der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Wie die aufgeführte Darstellung der am Projekt Forschungszentren e.V.: beteiligten Institutionen zeigt, wurde mit InnoMat ein multidisziplinäres Vorhaben realisiert, bei dem • „Optimierte industrielle Fertigung von Faser- verbundstrukturen mit modularer innovativer das Forschungsteam auch multidisziplinär zusam- Mikrowellentechnik“ mengesetzt war. Beteiligt waren Forscher aus den Karlsruher Institut für Technologie, Institut Bereichen Sozialwissenschaften und Soziologie, für Hochleistungsimpuls- und Mikrowellen- Betriebswirtschaft und Ökonomie, Politikwissen- technik, Karlsruhe schaften sowie Naturwissenschaften. Bei der Aus- • „Herstellung von keramischen Faserverbund- wertung der empirischen Ergebnisse wurden die werkstoffen zur Anwendung als Reibbeläge verschiedenen disziplinären Wissensbestände in- für Hochleistungsaufzüge“ tegriert. Die erarbeiteten Empfehlungen spiegeln Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt ebenso diese multidisziplinäre Perspektive wider. e.V., Stuttgart, Institut für Bauweisen- und Konstruktionsforschung 4 Ergebnisse • „Entwicklung von metallischen Interkonnek­ torwerkstoffen sowie von Keramiken für Im Rahmen des InnoMat-Forschungsprozesses Hochtemperatur-Brennstoffzellen“ wurden anhand der Auswertung der geführten In- Forschungszentrum Jülich, Institut für Ener- terviews und Expertengespräche, der gemeinsam gieforschung (IEF1) mit den Vertretern der Materialforschungspro- Projekte aus Fraunhofer-Instituten: jekte veranstalteten Workshops, der Auswertung von für das Thema relevanter Literatur sowie • „Entwicklung von Schäumen aus thermoplas- dem Wissen der beteiligten Forschungspartner tischen Polymeren“ Empfehlungen für unterschiedliche Aspekte des Fraunhofer Institut für Chemische Technolo- Wissens- und Technologietransfers erarbeitet. gie, Karlsruhe Einige dieser Empfehlungen werden im Folgen- • „Entwicklung von Aktuator-Systemen auf der den wiedergegeben. Basis von Kohlenstoff-Nano-Tubes“ Fraunhofer Institut für Silicatforschung, Würzburg Empfehlungen für Forscherteams • „Nano-Keramiken“ Fraunhofer Institut für keramische Technolo- Die Anreizstrukturen in der öffentlichen For- gien und Sinterwerkstoffe, Dresden schung setzen Wissens- und Technologietransfer nicht in den Mittelpunkt der eingeforderten Leis- Projekte aus Technischen Universitäten: tung. Zentrale Kriterien sind die Einwerbung von • „Erschließung von Anwendungsfeldern für Projektmitteln, Ausbildungsleistungen oder wis- Materialien mit Formgedächtnis (NiTiNol) in senschaftliche Profilbildung (etwa durch Publi- der Medizin kationen und Promotionen). WTT-Projekte sind Institut für Textiltechnik der RWTH Aachen in ihrem Design und ihren Zielen diesen Kriteri- • „Antimikrobielle Ausrüstung von Polymeren en oft nachgeordnet. durch silberhaltige Füllstoffe“ Daraus und aus weiteren Anforderungen Friedrich-Alexander Universität Erlangen- (WTT als Evaluationskriterium) resultiert die Nürnberg, Institut für Werkstoffwissenschaf- Anforderung an die Materialforschungsteams, ten – Lehrstuhl für Polymerwerkstoffe WTT-Aktivitäten professionell zu managen und • „Strukturoptimierungsstrategien durch Kom- langfristig zu planen, aber auch, sich frühzeitig bination von Verfahren und Werkstoffen am über die individuellen Ziele jedes Akteurs aus- Beispiel von Faserverbundwerkstoffen“ zutauschen und auf gemeinsame Ziele zu ver- Technische Universität Clausthal-Zellerfeld, ständigen. Oben genannte Rahmenbedingungen Institut für Polymer -Werkstoff- und Kunst- stehen dem aber häufig im Weg. Daraus resul- stoff-Technik, Clausthal-Zellerfeld tiert ein spezifisches Spannungsfeld, in dem Ent-

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scheider auf Seiten der Materialforschungsteams Transfer von Wissen führt zur partiellen wissen- strategisch vorgehen müssen. schaftlichen „Entwertung“ dieses Wissens des jeweiligen Forschungsteams, da anwendungsre- levantes Wissen zum jeweiligen Transferprodukt Empfehlungen für die Forschungspolitik an Dritte weitergereicht werden muss und damit zu (halb-)öffentlichem Wissen wird. Um den Neue Werkstoffe sind ein sektorübergreifendes Verlust dieser vormals exklusiven Wissensbe- Forschungs- und Innovationsfeld. Der Innova- stände bei den Materialforschern zu kompensie- tionsprozess neuer Werkstoffe baut auf techno- ren, benötigt die Akquise neuer Transfervorha- logischem Wissen aus vielen unterschiedlichen ben wiederum „neues“ Wissen, für dessen Auf- Disziplinen auf. Daraus resultieren die Bedeu- bau Ressourcen (insbes. Zeit und Personalmit- tung der interdisziplinären Zusammenarbeit tel) freigemacht werden müssen. Die Forscher und des Managements von interdisziplinär zu- müssen daher in Transfervorhaben auch immer sammengesetzten Teams sowie die stärkere In- versuchen, neues Wissen zu generieren. Aller- tegration von ökonomischen Fragestellungen in dings werden diese Möglichkeiten durch eine zu die Ausbildung von Werkstoffwissenschaftlern. Darüber hinaus könnte die Zusammenarbeit von restriktive Projekt- und Transferorientierung der verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen durch Forschungspraxis stark eingeschränkt. zukünftige Förderprogramme und für ausge- wählte Problemstellungen der Materialforschung Empfehlungen für das Innovationsmanagement explizit erwünscht bzw. honoriert werden. Für die nachhaltige Durchsetzung von Werkstoff- Innovationen sollte ein integrierter, sich selbst Empfehlungen für Forschungseinrichtungen verstärkender Zyklus der Innovation verfolgt und Forscherteams verfolgen oft längerfristige Ent- in Gang gesetzt werden. Darunter ist einerseits zu wicklungslinien, die sie mit aktuellen Projekt- verstehen, dass der gesamte Zyklus der Werkstoff- konstellationen und -gelegenheiten abgleichen. Innovation schon in frühen Phasen auf die erfolg- Diese wechselseitige Anpassung wird durch in- reiche Durchsetzung in breiten Marktsegmenten dividuelle Präferenzen wie auch institutionelle ausgerichtet wird. Andererseits muss der Zyklus Erwartungen mitgestaltet. In vielen Einrichtun- der Innovation durch dauerhafte Reinvestitionen gen laufen mehrere thematisch nahestehende von erzielten Erträgen in die Weiterentwicklung Forschungs- und Entwicklungsvorhaben paral- des Werkstoffes aufrechterhalten werden. Ein lel. Diese z. T. nur wenig aufeinander bezoge- grundsätzliches Problem in der Werkstoff-Innova- nen, aber durch die Schlüsselpersonen der Ma- tion tritt jedoch schon in der Planungsphase auf. terialforschungsteams und deren Kompetenzen Langfristige Pläne, die lediglich auf die erfolgrei- verknüpften Projekte versprechen einerseits the- che Erstanwendung in einer Marktnische ausge- matische Synergien, hinreichende Flexibilität bei richtet sind, könnten wichtige Merkmale für eine dem Aufgreifen neuer Herausforderungen und spätere Massenanwendung vernachlässigen. Die den Erhalt eines erfahrenen Projektkernteams. Vernachlässigung dieser Merkmale ist ein Faktor, Andererseits erscheinen sie immer wieder auch der als Ursache der oft problematischen Umset- als zu wenig aufeinander abgestimmt und erfor- zung von neuen Werkstoffen in umsatzstarke An- dern so mindestens deren regelmäßige Überprü- wendungen anzusehen ist. fung durch die Schlüsselpersonen und Leitungs- ebene der jeweiligen Materialforschungsgruppe. Förderung des Transfers von marktbezogenem Die inhärente Dynamik von WTT, die Wissen in Werkstoff-Innovationsprojekten grundlagen- und anwendungsorientierte For- schung zwangsläufig miteinander verknüpft, hat Bei Werkstoff-Innovationsprojekten zwischen Konsequenzen für die Wissensbestände, die in Forschungseinrichtungen und Industriefirmen derartigen Vorhaben zum Einsatz kommen: Der muss Wert auf einen wechselseitigen Wissens-

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austausch mit hoher Transparenz gelegt werden. schungspartner von dessen verbessertem Ver- Nur dann ist die Interaktion zwischen öffentli- ständnis für die wirtschaftlichen Anforderungen cher Forschung und der Industrie auf mittel- und an Werkstoff-Innovationen profitieren. Anderer- langfristige Sicht tragfähig. seits müssen Forscher lernen, ihr Wissensportfo- In der Zusammenarbeit mit Industriepart- lio nach solchem Wissen zu unterscheiden, das nern wird durch die Forscher oft die Intranspa- im öffentlichen Raum entstand und publizierbar renz unternehmerischer Entscheidungsabläufe ist und nach solchem, das vertraulich und exklu- – sowohl im Hinblick auf die Übernahme ihrer siv zu behandeln ist. Die Industrieseite glaubt Forschungsergebnisse als auch auf die mit der häufig, dass dieses Bewusstsein und Handeln Materialentwicklung verbundenen Produktstra- heute in deutschen Forschungslaboren noch tegien – beklagt. Dies führt nicht selten zu einer nicht selbstverständlich ist; sie befürchtet – si- gewissen Resignation bei den Forschern: Einer- cher nicht immer zu Unrecht – einen sehr laschen seits wird erwartet, dass man „umsetzbare“ Ma- Umgang mit vertraulichen Informationen aus terialentwicklungen verfolgt – eine Aufgabe, der den Unternehmen. Das ist ein starkes Hemmnis sich viele Materialforscher explizit auch gerne für die Ausweitung der so dringend benötigten stellen, da Werte wie „gesellschaftlicher Nutzen“ engeren Industrie-Wissenschafts-Kooperation. und „Stärkung der wirtschaftlichen Leistungs- fähigkeit des Standortes“ für sie einen hohen 5 Ausblick Stellenwert besitzen. Andererseits fühlen sie sich in einer ungleichen Partnerschaft eher auf eine Eine ausführliche Darstellung des Projektde- Dienstleistungsfunktion reduziert, da sie weder signs, der methodischen Vorgehensweise sowie an Umsetzungsentscheidungen beteiligt sind der erzielten Ergebnisse findet sich in der im noch diese ihnen gegenüber adäquat kommuni- Springer-Verlag voraussichtlich Ende des Jahres ziert werden. Ein Schritt zu einer Lösung dieser erscheinenden Buchpublikation von Klaus-Rai- Frage könnte eine größere Transparenz sowie ein ner Bräutigam und Alexander Gerybadze (Her- offener Austausch über die jeweiligen Ziele und ausgeber) mit dem Titel „Wissens- und Techno- Erwartungen jeder Seite sein. logietransfer als Innovationstreiber“. Industriefirmen, die in einem Werkstoff- Innovationsprojekt gemeinsam mit einer öffent- Kontakt lichen Forschungseinrichtung oder einer Uni- Dipl.-Phys. Klaus-Rainer Bräutigam versität arbeiten, sollten daher den Transfer von Karlsruher Institut für Technologie (KIT) marktbezogenem Wissen in die Forschungsein- Institut für Technikfolgenabschätzung und System- richtung auch als eigene Verpflichtung wahrneh- analyse (ITAS) men. Natürlich bewegen sich Unternehmen an Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe diesem Punkt in einem Spannungsfeld. Markt- Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 73 bezogenes Wissen ist nicht selten die Basis für Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 06 Wettbewerbsvorteile und die Weitergabe dieses E-Mail: [email protected] Wissens an einen Forschungspartner birgt die Gefahr des unkontrollierten Wissensabflusses. Dennoch sollten Unternehmen marktbezogenes « » Wissen an ihre Forschungspartner weitergeben, da diese hierdurch ein besseres Verständnis für die Bedürfnisse und Gesetzmäßigkeiten der Märkte entwickeln können und in die Lage ver- setzt werden, ihr Forschungsprogramm besser auf die Märkte auszurichten. Ein Unternehmen, das marktbezogenes Wissen an die Einrichtung weitergibt, kann durch eine langfristige und ver- trauensvolle Zusammenarbeit mit diesem For-

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discussions about the social aspects of science and TA-KONZEPTE UND technology. The article shows that the activities -METHODEN of the Rathenau Institute are contingent with e.g. changes in the policy process, the political debate and the way NGOs are involved in the debate. This The effects of collective action initiated by TA article therefore starts with some key moments in experts in concrete technological fields are only the Dutch political debate on nanotechnology so in a small number of cases a topic of systematic far. It ends with reflecting on how the Rathenau research. In this context Rinie van Est’s and Bart Institute has tried to stimulate this debate. Walhout’s essay is very instructive. For a period of more than eight years it shows the attempts and patterns of integrating science and impor- 1 Milestones in the Dutch Debate on tant societal actors in a complex discourse on Nanotechnology the issue of nanotechnology in one national case. The stepwise approach used by the Rathenau Bill Joy’s “Why the future doesn’t need us” in Institute gives an idea, how complex and tricky Wired in April 2000 formed an important starting professional preparations for a debate with the point for the social debate on nanotechnology general public can be and on which type of “re- in the United States. This pamphlet pointed at constructions” of activities analytical research the future dangers of robotics, gene technology can be based on. and nanotechnology (runaway nanobots or Grey (PHB for the editorial team) Goo). In June 2003 the 21st Century Nanotech- nology R&D Act was introduced in the United States, which demanded inter alia research into Waiting for Nano – Very Actively the social and ethical aspects of nanotechnology. In the same month this debate reached , A Long-term View on the Role of the when the European Green Party together with the Rathenau Institute in Stimulating the ETC group (2003), set up a conference in the Eu- Dutch Debate on Nanotechnology ropean Parliament to examine social and ethical issues raised by nanotechnology. by Rinie van Est and Bart Walhout, Rathenau For the Rathenau Institute this event sig- Institute, The Netherlands nalled that nanotechnology had reached the politi- cal arena. Since the Dutch public debate on nano- This article describes the Rathenau Insti- technology at that time was merely non-existent, tute’s long-term programmatic effort to study the societal meaning of nanotechnology and the Institute decided to speed up its TA activities stimulate political and public debate about in this field. A few months later the government it. Three (interconnected) strands within the commissioned the Royal Netherlands Academy Dutch debate on nanotechnology since 2003 of Sciences (KNAW) to set up a committee to are distinguished. First, discussions about look at the opportunities and risks of nanotech- the safety of nanoparticles for the environ- nology. In April 2004 the Rathenau Institute pu- ment and human beings. Secondly, discus- blished “How to value the small...” (van Est et sions on broader social and ethical issues al. 2004), which provided a first overview of related to . To what extent applications of nanotechnology and related so- does the Dutch debate pay attention to such cial issues. Together with the Dutch Parliament broader issues? Thirdly, we will look at the debate in the Netherlands on whether and the Institute organized a public meeting “Small how to engage a broader set of people into technology – Big consequences” in October 2004 the societal debate on nanotechnology. (van Est, Van Keulen 2004). Two months before the KNAW (2004) had published its advisory re- In describing these three strands of debate we pay port “How great can small be?”. The tone of this attention to the activities of the Rathenau Institute, report was much in line with the internationally whose aim it is to stimulate political and public very influential report “Nanoscience and nano-

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technologies: opportunities and uncertainties” of of the term “nanotechnology”. Some researchers the Royal Society and Royal Academy of Engi- at the National Institute for Public Health and the neering (July 2004). It asked for research on risks Environment (RIVM) wanted to study the safety and wider public engagement. of , but lacked funding because the After various rounds of parliamentary dis- issue was not yet on the policy agenda. To over- cussions, the government announced in No- come this deadlock and strengthen awareness the vember 2005 that it would develop an integral Rathenau Institute did a short study and organised vision on nanotechnology. An interdepartmental a workshop “Chances and risks of nanoparticles” working group (ION) was established to prepare in February 2004. This was the first time ever the such a vision. ION consisted of various working community of nanoscientists in the Netherlands groups on e.g. nanorisks, the ethical and legal as- were confronted with societal and policy actors. pects of nanotechnology, and public dialogue. A This workshop, the KNAW’s plea for a rigo- year later the Cabinet’s vision on Nanotechnolo- rous risk policy, and the public meeting in Parlia- gy was published. The vision “From something ment in October 2004, raised enough awareness small to something great” pleaded for reserving among policy makers to commission RIVM and a part of the nanotechnology research budget for the Health Council to prepare various inventory toxicity research and announced plans for a nati- studies on risk issues. The Health Council (2006) onal dialogue on nanotechnology. The final Ac- published its advice in spring 2006. As a direct tion Plan Nanotechnology was published in July follow-up, the Rathenau Institute set up a work- 2008. As part of this plan, an independent Com- shop to comment on this advice and to discuss mittee for organizing a national dialogue was set what should be the first steps in the governmen- up in March 2009. This dialogue started in Sep- tal policy plan. The results were presented to the tember 2009 and will run to the end of 2010. members of ION, who used it for preparing the Cabinet’s vision (2006). A letter to parliament was sent also, but at that time politicians did not direct- 2 Risks of Nanoparticles ly pick up the issue. The risk issue, however, was put clearly on the policy agenda, and policy ma- In the Netherlands - like elsewhere in the world kers were challenged to dig deeper into this issue. – health and environmental safety is seen as the most pressing nano-issue. From a policy per- spective two phases can be distinguished: an 2.2 Debating and Developing Nano-risk agenda setting phase (2003–2006) and a policy Policies: 2007–now development phase (2007–now). Also the Dutch Food and Consumer Products Safety Authority (VWA) picked up the nanorisk 2.1 Putting Nanorisk on the Agenda: issue. Besides expert involvement, the VWA wan- 2003–2006 ted to engage a broader set of social actors to de- velop their policy. Since they had little experience In Spring 2003 the Canadian action group ETC with such participatory processes the VWA con- Group (2003) put the risk issue on the interna- tacted the Rathenau Institute. At the time the Ins- tional public agenda with the slogan “Size mat- titute studied the risks of nanotechnology in food ters!”, claiming that nano-sized materials needed products, because it expected that nanofood safe- special regulatory attention. To check the state of ty might be the first focus of public controversy.1 affairs in the Netherlands, the Rathenau Institute Both organizations teamed up to set up a “Nano- held a quick round of phone calls, which showed food safety” workshop in February 2007, which that the risks of nanoparticles were on the policy revealed some serious barriers to set up effective agenda of neither the Ministry of Health, Envi- risk policies. For example regulatory science and ronment nor Social Affairs. The Dutch branch of oversight kept circling around the lack of defini- Greenpeace and Environmental Defence Fund tions and data about products on the market with (Vereniging Milieudefensie) were not even aware nanoparticles. Consequently activities to actively

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tackle these problems were constantly postponed. progress not only in the field of materials, but also In 2008 some policy actions were taken to address within information technology, biotechnology and some of the bottlenecks. For example, the Ministry brain sciences. Moreover, nanotechnology beca- of Environment initiated a stakeholder discussion me directly linked to the controversial objective platform. Moreover, the government commissi- of human enhancement. The NSF workshop has oned RIVM and RIKILT Institute of Food Safe- served as a starting point for expert studies and ty to map the nanoproducts already on the Dutch discussion on new emerging technologies and its market. A central scientific information platform social implications around the globe. (KIR-nano) was also set up as part of RIVM. Over the years nanotechnology and NBIC In these years, the Rathenau Institute also convergence have served as search lights which tried to mobilise awareness among MPs. Nano- enabled the Rathenau Institute to see all kinds of technology was part of the parliamentary agenda ‘new’ trends within science and technology. Ex- in the annual debates about innovation. In 2007 amples of research fields or visions that fit the in particular, statements in the press by the la- notion of NBIC convergence are: synthetic bio- bour union and some environmental organiza- logy, ambient intelligence, molecular medicine, tions were instrumental in putting the risk issue robotics, man-machine interaction. NBIC conver- more firmly on the political agenda. The Rathe- gence also embodies huge bio-engineering ambi- nau Institute added to that by writing an opinion tions as it delivers provoking prospects on human article in a well known Dutch newspaper on the enhancement, creating synthetic life and making same day as the parliamentary debates in 2007 smart artefacts. Over the last years the Rathenau and 2008 were planned. These opinion articles Institute has explored many of these themes by enabled close contacts with some MPs, who means of a range of projects and activities. NBIC got seriously involved in the nanodebate. When convergence as heuristic concept thus has been in- in 2009 the employer organisations and unions fluential in defining our own agenda. Since 2004, came up with a joint advice on nanomaterials and one of the main aims of the Rathenau Institute is to worker safety, a separate parliamentary debate explore the social meaning of this “new technolo- about nanotechnology was initiated. The Rathe- gy wave” and put them on the radar of politicians, nau Institute facilitated a parliamentary hearing policy makers and a broader audience, both on the on June 3, 2009 about the chances and risks of international and national level. nanoparticles to prepare for this debate.

3.1 International Exploration of the New 3 Exploring Broader Social and Ethical Technology Wave: 2003–now Issues On the European level, our director, Jan Staman, The Rathenau study “To value the small…” show- was part of the High Level Expert Group (HLEG) ed that nanotechnology as an enabling technology “Foresighting the new technology wave” (Nord- plays a role in many application fields and touches mann 2004), which the European Commission upon many social issues ranging from privacy to had set up in reaction to the NSF workshop to ex- the ethics of war (van Est 2004 et al.). Relatively plore the implications of NBIC convergence for new issues included human enhancement, the (im) Europe’s R&D policy. The HLEG expected that possibility of self-reproducing nanobots, and the converging technologies will change the “traditio- borders between living and non-living material. nal boundaries between the self, nature and social These latter issues are connected with the concept environment” (Nordmann 2004, p. 31) and thus of NBIC convergence. At the end of 2001, the de- will lead to a wide range of social and ethical de- signers of the American National Nanotechnology bates. In addition the Rathenau Institute has done Initiative (NNI) had introduced this term at the various TA studies for the European Parliament. NSF workshop Converging technologies for im- In 2006 we studied NBIC convergence from a his- proving human performance (Roco, Bainbridge toric, public debate and technological perspective 2002). This framed nanotechnology as enabling by order of the European Parliament (van Est et al.

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2006). RFID is a key technology within the ambi- Rathenau Institute is emphasizing the importance ent intelligence vision. In 2007 we published the of NBIC convergence. In particular it has tried to report “RFID and identity management in every- give NBIC convergence a clear position within day life” (Van ’t Hof 2007) for the European Parli- the nanodebate, in order to create awareness ament. Together with TAB, the Rathenau Institute about its broad technological impact and to un- did a study on human enhancement and organized cover the broader social and ethical issues related a workshop around this theme in the autumn of to nanotechnology. Especially the debate on syn- 2009 (Coenen et al. 2009). Recently, the European thetic biology, as a key exemplar of convergence, Parliament commissioned the Rathenau Institute has been instrumental in communicating this. In to study the social and policy impacts of new engi- 2007 we updated the study “Constructing Life” neering trends embedded in the concept of NBIC in Dutch (De Vriend et al. 2007), informed the convergence (van Est et al. 2010). Parliament about the policy implications for the Besides working for the European Com- Dutch situation through a Message to Parliament mission and Parliament, the Rathenau Institute (van Est et al. 2007), and published an opinion has also been active in other international net- article in a well-known national newspaper. The- works. At the end of 2004, together with TNO se activities triggered the attention of some MPS and IPTS in Seville, the Rathenau Institute set and led to more than a dozen parliamentary ques- up the workshop “Ambient Intelligence: In the tions, which put synthetic biology firmly on the service of Man?” during the EUSAI 2004 confe- political agenda. rence in Eindhoven (Markopouluos et al. 2004). Besides, the Rathenau Institute has set up In 2006 a workshop session on the ethics of per- studies and debates about ambient intelligence suasive technology during the First International and human enhancement. In 2007 a study was Conference on Persuasive Technology for Hu- published about the potential influence of the man Well-Being was organized (IJsselsteijn et al. ambient intelligence vision on healthcare (Schu- 2006). At the end of 2006, the Rathenau Institute urman et al. 2007). As early as November 2003 published “Constructing Life” (De Vriend 2006). a large public festival about human enhancement In May 2006 we had made contacts with the bur- was organized. In the meantime, policy makers geoning synthetic biology community during the have become interested in this sensitive issue. “Synthetic Biology 2.0” conference in Berke- For example, in May 2010 the Ministry of Jus- ley. A year later in June our study “Constructing tice together with the Rathenau Institute set up a Life” was presented and widely distributed at the large public conference on human enhancement, “Synthetic Biology 3.0” conference in Zurich. At half a year after a smaller meeting with high-le- that conference a plenary session was set up also vel civil servants had been organized. to discuss various social and ethical issues. In the To unlock NBIC convergence for a large au- field of human enhancement, we cooperated with dience we published the book “Life as a construc- the British Embassy and Parliamentary Office of tion kit: Exploring the ethics of the new technology Science and Technology to publish “Reshaping wave” (Swierstra et al. 2009). The book describes the human condition” (Zonneveld et al. 2008). In various fields of development that the Rathenau the same year, the essay “Future man – No future Institute has paid attention to over the last few man” was written (van Est et al. 2008). years, notably synthetic biology, ambient intelli- gence, molecular medicine, and brain-machine 3.2 Stimulating National Awareness about interaction. The book was presented at the starting the New Technology Wave: 2007–now conference of the national dialogue on nanotech- nology in September 2009. One central message In 2004 the Rathenau Institute felt that the time was that a public dialogue on nanotechnology was not ready to put the concept of NBIC con- actually is a debate about a whole new wave of vergence centre stage. At that moment the debate technologies. A second one was that converging was only slowly growing around the term nano- technologies represent a radical expansion of the technology. Over the last few years, however, the building or engineering logic of non-living nature

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in the direction of living nature. For the first time liamentary hearing was how to proceed with the in history the organic world appears to become nanodebate. In April 2004 the scoping paper had mouldable in the sense that it can be controlled, come up with a “sober view on nanotechnology designed and built. In fact, “Life as a construction as a tool in the societal debate”, which consisted kit” echoed the HLEG which commented that the of seven conditions for dialogue and governance. agenda underlying NBIC is the total constructabi- It was recommended to hold the debates on na- lity of humanity and nature. The book received a notechnology as part of current technological lot of media attention and also led to a parliamen- trends and social debates, and to keep in mind tary question about whether the public dialogue that this will lead to both new and old issues. The on nanotechnology also includes discussing NBIC Rathenau Institute recommended to “work swift- convergence. Moreover, policy makers are gradu- ly towards a widely supported public agenda”. ally picking up the NBIC convergence frame. To achieve this it was thought to be important to split up the debate by application area.

4 Discussing Nanotechnologies 4.2 Involving NGOs not Self-evident: At the beginning of this century, concerns about 2005–2006 the science-society relationship and calls for public dialogue became part of the mainstream This last recommendation found wide support during the public meeting. It was thought that tal- policy discourse in Europe. To avoid nanotech- king about specific application areas would mo- nology from becoming ‘the next GM’ terms like tivate societal organisations to become involved “upstream public participation” entered the Eu- in the nanodebate. Based on this public engage- ropean discourse. Based on its experience with ment hypothesis the Rathenau Institute initiated participatory TA, the Rathenau Institute took a further research into several specific application more sober, step by step approach towards sti- areas and its social aspects. This exercise, how- mulating public engagement on nanotechnolo- ever, did not succeed in more engagement. We gy. It was also realized that it was (and is) far experienced that just a few innovation networks from clear how a meaningful debate about such had developed. As a result the expected impact a broad development as nanotechnology should of nanotechnology was surrounded by many look like. This section describes various Rathe- uncertainties, and societal actors were not yet nau activities to involve experts, NGOs and the aware or interested in these developments. Only wider public and its constant search (via study the involvement of NGOs on the risk issue was and trial and error) for ways to achieve the enga- growing. As a result the Rathenau Institute felt gement of these various social actors. forced to investigate the conditions for involving other stakeholders in the debate about nanotech- nology. This question had become relevant from 4.1 Involving Policy Makers and Social Scientists: 2003–2004 a political point of view since the Cabinet’s Vi- sion on Nanotechnology in November 2006 had In 2004 the Rathenau Institute started with the announced plans to organize a national nanodia- most tangible issue, safety aspects of nanoma- logue. Nobody in the Netherlands, however, had terials. The workshop started the formation of a clear idea on how this should be done. a network of nanoscientists (who were setting a big public-private consortium called NanoNed), 4.3 Towards a National Nanodialogue stakeholders and social scientists. Based on the (2007–now) April scoping paper “To value the very small…” various workshops on different application areas The Rathenau Institute believed it was crucial to were organized. In October 2004 these network get a clear picture of the state of the debate in or- activities resulted in a public meeting in the der to address the design question. As a first step Dutch parliament. A central question in the par- a workshop with societal organisations was set up

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to ask them how they wanted to be involved in cial website is created, which now play a role in the nanodebate. These NGOs had regularly been various activities in the national dialogue. confronted with topics like the safety of genetic modification or chemical substances and tough struggles with industry. It was concluded that, in 5 Actively Waiting for the Nanodebate particular, small NGOs lacked the capacity to be- This article shows that the Rathenau Institute’s come involved in such a new and complex deve- activities to stimulate (the above three strands lopment like nanotechnology. Next the Rathenau within) the nanodebate depends heavily on the Institute studied the involvement of (inter)national condition of the debate itself. Paraphrasing NGOs in the field of nanotechnology, the results Gidden’s (1984) one might speak of the duality of research into public perceptions, and how the of the debate, in the sense that the state of debate Dutch expert debate on nano had evolved since both constrains and enables debate. The Rathe- 2004. Based on these insights the Rathenau Insti- nau Institute acknowledges that each of its activi- tute drew up ten recommendations for governmen- ties to stimulate the debate is performed within a tal action in stimulating the nanodebate (Hanssen pre-existing social context, including the state of et al. 2008). The study was published at the time the (inter)national debate, the policy process and the government was preparing its Action Plan on the parliamentary debate, and the extent to which Nanotechnology. A key recommendation of the social scientists, NGOs and citizens are informed Rathenau Institute – a clear distinction between and actively engaged. That context offers ample the debate about risk policy and the exploration opportunities to influence the debate, but to seize of emerging social and ethical issues – was im- these opportunities one has to be very aware of plemented by the government. For the risk issue a and informed about the relevant context. The art stakeholder platform was set up, while social and of stimulating the debate is not to force people to ethical issues are now under discussion in a nati- engage, but to tempt them to get involved based onal dialogue organised by an independent com- on their own interests and curiousness. mission (see http://www.nanopodium.nl). To deal with the duality of the nanodebate, The national dialogue took off in September the Rathenau Institute pursues an active waiting 2009 and will run until the end of 2010. As told strategy, which consists of three connected ele- above, the Rathenau Institute presented the book ments: anticipating the debate, constant interac- “Life as a construction kit” at the kick-off mee- tion with the context, timely intervention. Antici- ting to indicate that the debate should be about the pating the debate demands an institutional ambi- social impact of a new technology wave. The or- tion to operate at the forefront of the debate, and ganising commission made important choices cor- an organizational culture that aims to be visionary responding to the ten recommendations of the Ra- and allows picking up issues at considerable arm’s thenau Institute. Most important is that the agenda length of the current policy and political agenda. is open to the interests of stakeholders. Stakehol- Constant interaction with the relevant context im- ders and other organisations have been asked to plies that the project team needs to be well tuned submit their own proposals and organise the dia- in and stay tuned in the various relevant networks. logue activities themselves. During the first phase As exemplified by the study “Ten lessons for a of the nanodialogue the focus is on informing a nanodialogue” (Hanssen et al. 2008), the context wider audience. Most of the activities at this sta- itself is an object of constant research. The project ge are facilitated by debating centres, educational strategy and activities have to move along with publishers and social scientists. So although the the changing context. To do this one needs to be bottom-up approach should enable small NGOs to very reflexive on the current context and debate. participate, just a few NGOs are involved up till Moreover, one should always try to think about now. The Rathenau Institute has also anticipated and anticipate the next step within the debate. This the fact that the social debate on nanotechnology brings us to the third element: intervening in the is gradually moving towards a larger audience. debate. If an intervention is too much out of line Because of this a magazine is published and a spe- of the current debate and people’s priorities, there

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is a high probability that it will have a low im- Nanoscience and Nanotechnology. NSET Workshop pact. This principle seems to be at odds with the Report, Arlington, pp. 23–27 ambition to be at the international forefront of the Hanssen, L.; Walhout, B.; van Est, R., 2008: Ten Les- debate. For two reasons this does not have to be sons for a Nanodialogue: The Dutch Debate About the case. First of all, it is all right to push ahead Nanotechnology thus Far. The Hague the debate in various ways outside the political IJsselsteijn, W.; de Kort, Y.; Midden, C. et al. (eds.), arena, by organizing a festival, a play, or writing 2006: Persuasive Technology: First International opinion articles. Moreover, different contexts and Conference on Persuasive Technology for Human networks provide for ample opportunity to deve- Well-being, PERSUASIVE 2006 Eindhoven, The Netherlands, May 2006, Proceedings. Berlin lop your input in other debating contexts. For ex- ample, with respect to NBIC convergence we felt Joy, B., 2000: Why the Future Doesn’t Need Us. In: Wired 8.04 (2000); http://www.wired.com/wired/ar- it was not expedient to stress the notion of NBIC chive/8.04/joy_pr.html (download 26.7.10) convergence at the early start of the Dutch nano- debate. The international context still provided KNAW Werkgroep gevolgen nanotechnologie, 2004: Hoe groot kan klein zijn? Enkele kanttekeningen bij ample room for discussing, studying and elabo- onderzoek op nanometerschaal en mogelijke gevol- rating the social meaning of NBIC convergence, gen van nanotechnologie. Amsterdam which enabled the Rathenau Institute to prepare Markopoulos, P.; Eggen, B.; Aarts, E.; Crowley, J.L. for the right moments to bring in the notion of (eds.), 2004: Ambient Intelligence: Second European NBIC convergence in the Dutch debate. Symposium, EUSAI 2004 Eindhoven, The Nether- lands, November 2004, Proceedings. Berlin

Note Nordmann, A., 2004: Converging Technologies: Shaping the Future of European Societies. Brussels: 1) In particular we had been triggered by a comment European Commission, High Level Expert Group made by the American Organic Consumers Group “Foresighting the new technology wave” during a hearing on nanotechnology of the US FDA Roco, M.; Bainbridge, W.S. (eds.), 2002: Converging (Food and Drug Administration) at the end of 2006. Technologies for Improving Human Performance: The New York Times reported that the American Or- Nanotechnology, Biotechnology, Information Tech- ganic Consumers Group referred to the risks of ge- nology and Cognitive Sciences. Arlington, Virginia netic modification as “peanuts” compared to the risks Royal Society & Royal Academy of Engineering, of nanotechnology (Feder 2006). 2004: Nanoscience and Nanotechnologies: Opportu- nities and Uncertainties. RS Policy document 19/04 References Schuurman, J.G.; Moelart, F.; Krom, A.; Walhout, B. (eds.), 2007: Ambient Intelligence: Toekomst van de Coenen, C.; Schuijff, M.; Smits, M.; Hennen, L., zorg of zorg van de toekomst? Den Haag 2008: Shifting Boundaries, Changing Concepts, and the Governance of Human Enhancement. Brussels: Swierstra, T.; Boenink, M.; Walhout, B.; van Est, R. European Parliament, STOA (eds.), 2009: Leven als bouwpakket: Ethisch verken- nen van een nieuwe technologische golf. Kampen De Vriend, H., 2006: Constructing life: Early Social Reflections on the Emerging Field of Synthetic Biol- van Est, R.; Malsch, I.; Rip, A., 2004: Om het kleine ogy. The Hague te waarderen… Een schets van nanotechnologie: pu- bliek debat, toepassingsgebieden en maatschappelijke De Vriend, H.; van Est, R.; Walhout, B., 2007: Leven aandachtspunten. Den Haag maken: Maatschappelijke reflectie op de opkomst van synthetische biologie. The Hague van Est, R.; van Keulen, I., 2004: Small Technology – Big Consequences: Building up the Dutch Debate on Feder, B., 2006: Engineering food at the level of mol- Nanotechnology from the Bottom. In: Technikfolgenab- ecules. New York Times October 10, 2006 schätzung – Theorie und Praxis 13/3 (2004), pp. 72–79 Giddens, A., 1984: The Constitution of Society: Out- van Est, R.; Enzing, C.; van Lieshout, M.; Versleijen, line of the Theory of Structuration. Berkeley A., 2006: Welcome to the 21st Century: Heaven, Hell Gingrich, N., 2001: The age of transitions. In: Roco, or Down to Earth? A Historical, Public Debate and M.; Bainbridge, W.S. (eds.): Societal Implications of Technological Perspective on the Convergence of Na-

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notechnology, Biotechnology, Information Technol- Technikfolgenabschätzung 2.0 ogy and the Cognitive Sciences. Brussels van Est, R.; de Vriend, H.; Walhout, B., 2007: Construct- ing Life: The World of Synthetic Biology. The Hague von Michael Nentwich, ITA Wien van Est, R.; Klaassen, P.; Schuijff, M.; Smits, M., 2008: Future Man – No Future Man: Connecting the Mit einem Überblick zur aktuellen, eher be- Cultural, Political and Technological Dots of Human scheidenen Präsenz der TA-Community im Enhancement. The Hague sog. Web 2.0 beginnt dieser empirisch an- van Est, R.; van Keulen, I.; Geesink, I.; Schuijff, M., gelegte Beitrag. „Facebook“, „Wikipedia“, 2010: Making Perfect Life: Bio-engineering (in) the Blogs und „Twitter“ sind dabei die For- 21st Century. Brussels mate, in denen sich diese Spuren der TA- Web 2.0-Präsenz finden. Der Autor schließt van ‘t Hof, C., 2007: RFID and Identity Management mit dem Plädoyer an die TA-Praxis, das Web in Everyday Life. Brussels 2.0 nicht sich selbst zu überlassen, da es Zonneveld, L.; Dijstelbloem, H.; Ringoir, D. (eds.), in zunehmendem Maße das öffentliche Bild 2008: Reshaping the Human Condition: Exploring von TA mitprägt.1 Human Enhancement. The Hague: Rathenau Institute in cooperation with the Science and Innovation Net- work of the British Embassy and the Parliamentary Office of Science & Technology (POST) 1 Einleitung

Contact Während sich Cyberscience (Nentwich 2003, auch E-Science) als Forschungsfeld in den Dr. ir. Rinie van Est letzten Jahren nicht nur in der STS-Commu- Email: [email protected] nity, sondern auch in der TA etabliert hat, gibt Ir. Bart Walhout es noch wenig Forschung zum engeren Thema Email: [email protected] Wissenschaft und Web 2.0. Eine gewisse Aus- Rathenau Institute nahme stellt das Verbundprojekt „Interactive P.O. Box 9 53 66 Science“ (finanziert durch die VW-Stiftung)2 2509 CJ The Hague, The Netherlands dar, in dessen Rahmen Recherchen und erste Phone.: +31 - 70 / 3 42 - 15 42 Analysen durchgeführt wurden. Thematisch Fax: + 31 - 70 / 3 63 - 34 88 zentrierten sich diese Arbeiten auf die virtuelle Internet: http://www.rathenau.nl 3D-Welt Second Life, in der man sich mit Hilfe von Avataren z. B. in Konferenzräumen treffen kann (König, Nentwich 2008), auf die Online- « » Enzyklopädie Wikipedia mit unzähligen freiwil- ligen, auch wissenschaftlichen AutorInnen (Kö- nig, Nentwich 2009) und auf den Microblog­ ging-Dienst Twitter, bei dem Kurzmeldungen ins Internet an die eigenen „AbonnentInnen“ verschickt werden (Herwig et al. 2009). Auch wenn die Suchmaschine Google nur am Ran- de dem Web 2.0 zuzuordnen ist, untersuchten wir sie und einigen Anwendungen im Umfeld, nämlich Google Books und Google Scholar, bei denen ja ebenfalls die NutzerInnen in gewisser Weise aktiv mitwirken, etwa durch Linksetzung (König, Nentwich 2010). Aktuell untersucht das ITA in Wien das Thema „Soziale Netzwerke und die Wissenschaft“. Der folgende Beitrag nimmt seinen Ausgang bei Zwischenergebnissen dieses

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Projekts (Nentwich 2009) und überträgt diese interaktive Elemente etc.) aus unterschiedlichen auf das empirische Feld der TA. Quellen stammen. Die im hiesigen Zusammenhang wesent- lichste Charakteristik betrifft die „Architektur 2 Die Ausgangspunkte des Mitmachens“. Damit ist gemeint, dass so- wohl auf die technische Seite des Programmie- 2.1 Der Status Quo: TA 1.0 rens als auch die inhaltliche Seite, das Einspeisen von Informationen durch NutzerInnen, dezentral TA ist selbstredend seit Langem im „traditionel- geleistet wird. Bruns (2008) spricht hier von len Internet“ (oder Web 1.0) vertreten: So sind „produsage“. Im Zusammenhang mit dem Er- stellen neuer Softwaremodule im Web 2.0 spricht die allermeisten TA-Einrichtungen, inklusive man vom „crowdsourcing“ (oder Schwarmaus- den Netzwerken NTA und EPTA (�������������European Par- lagerung), bei dem die Entwicklungsarbeit auf liamentary Technology Assessment), und viele unentgeltlich arbeitende Freizeit-Programmiere- TA-PraktikerInnen mit einer Homepage präsent, rInnen im Internet ausgelagert wird. Doch auch siehe dazu diverse TA-Linksammlungen­ 3. Es die solcherart entstandenen Produkte sind darauf gibt die Mailingliste des NTA und einige TA-spe- angelegt, dass nicht zentral gewartete Inhalte zur zifische Newsletter, viele Berichte etc. sind onli- Verfügung gestellt werden, sondern auch die In- ne verfügbar, vieles davon frei zugänglich, also halte von den NutzerInnen selbst geschaffen und open access. Auch TA-Zeitschriften wie z. B. weiterentwickelt werden. Man spricht in diesem Poesis & Praxis oder die TATuP sind online. In Zusammenhang von „user generated content“. der Kommunikation ist (neben dem nach wie vor Statt die Angebote nur passiv zu konsumieren, stark genutzten Telefon) E-Mail Standard, aber profitieren die Web 2.0-Angebote davon, dass die Skype-Nutzung steigt. die NutzerInnen die bereit gestellten Tools (in- ter-)aktiv nutzen und selbst mitgestalten.

2.2 Web 2.0 als Trend 3 TA 2.0? Der Begriff Web 2.0 bezeichnete ursprünglich ein neues Softwaremodell (Stichworte „web TA findet sich mittlerweile, zwar zögerlich, wie services“������������������������������������ und „�����������������������������outsourcing“)������������������ und davon abge- gleich zu zeigen sein wird, aber immerhin auch leitet ein ökonomisches Modell, das letztlich im Web 2.0. darauf hinausläuft, dass Software quasi ständig im „Beta-Stadium“ verbleibt und durch aktive NutzerInnen und deren Feedback laufend ver- 3.1 Facebook und TA bessert wird. Das Web wird als „Plattform“ (und nicht mehr bloß als großer Datenspeicher) ver- Diese bekannteste und größte Soziale-Netzwerk- standen – nicht mehr nur der „content“, sondern Plattform wird bei Weitem nicht nur privat ge- teilweise auch die Software selbst liegen aus nutzt. Einige TA-PraktikerInnen sind „im Face- Nutzersicht nicht mehr auf dem lokalen Rechner. book“, nutzen es teils privat, teils beruflich, teils Durch die neue Softwarearchitektur wird es er- nur, um sozusagen Präsenz zu zeigen. möglicht, in bislang nie dagewesenem Ausmaß Es gibt auch „Gruppen“ und „Fan-Seiten“, nicht nur Inhalte von verschiedenen Punkten des die mit TA zu tun haben. Neben einer Gruppe Netzes zu kombinieren, sondern darüber hinaus „Débat Public BIODIV“, die sich u. a. auch mit auch Software(-module). Software und/oder In- dem Begriff TA beschreibt, wurden insbesondere halte verschmelzen in gewisser Weise und wer- solche für EPTA sowie die beiden TA-Einrich­ den zu sog. „mash-ups����������������������������������������������������������“ rekom­biniert, also In- tungen OPECST und TAB eingerichtet (letztere ternetseiten, bei denen die verschiedenen Teile heißt übrigens „Technikfolgen-Abschätzung“, (Graphiken, Texte, Datenbankinhalte, Software, ist aber zur TAB-Homepage verlinkt). Überra-

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schenderweise werden diese drei allerdings im Auch in den „digitalen Visitenkartenver- Wesentlichen von einem Japaner betrieben, der zeichnissen“ LinkedIn und Xing sind ein paar sich für TA, insbesondere partizipative und par- TA-PraktikerInnen präsent, aber auch hier gibt lamentarische TA interessiert, aber mit der ei- es nur punktuelle Aktivitäten. gentlichen TA-Community nichts zu tun hat. Da- her sind diese Seiten auch inhaltlich uneindeutig. Die Seiten sind v. a. gespeist aus automatisierten 3.2 Das „EPTA-Ning-Netzwerk“ Feeds aus vorwiegend französischen und japa- nischen Quellen und alles andere als offizielle Für die interne Vernetzung der TA-Praktiker­ institutionelle Seiten. Sie haben jeweils zig bis Innen von EPTA-Mitgliedsorganisationen, für mehrere Hundert Mitglieder oder Fans, darunter deren inhaltlichem Austausch bei gemeinsamen auch einige TA-PraktikerInnen (wie z. B. auch Themen und für die Vereinfachung grenzüber- eine Bundestagsabgeordnete), aber hauptsäch- schreitender organisatorischer Aufgaben wurde lich sind es nicht-beitragende „Interessierte“. 2008 von Tore Tennøe (NBT – Norwegian Board Derzeit läuft im Rahmen von EPTA eine Initia- of Technology) ein Netzwerk auf der Plattform tive, um eine gewisse Kontrolle über die EPTA- Ning ins Leben gerufen. Dieses hat freilich in Facebookseiten zu erlangen. den ersten eineinhalb Jahren wenig Aktivität entfaltet und es wird seit Mai 2010 der Versuch 3.1 Professionelle Soziale-Netzwerk- einer Wiederbelebung unternommen. Es han- Plattformen und TA delt sich um eine geschlossene Plattform mit aktuell 75 Mitgliedern aus EPTA-Einrichtungen Während Facebook praktisch für alle Zwecke (Tendenz leicht steigend). Neben einigen the- nutzbar ist, ist ResearchGATE die größte, der matischen Gruppen (z. B. Smart Grids, Nano, auf die Wissenschaft spezialisierten Sozialen- Privacy) gibt es auch organisatorische (Öffent- Netzwerke-Plattformen mit aktuell 400.000 lichkeitsarbeit, ESOF, Wikipedia) – alles jedoch Mitgliedern weltweit. Etliche TA-PraktikerIn- bislang mit geringer Aktivität (viel „lurking“, nen haben ein Profil. Es gibt eine offene Gruppe also passives „Dabeisein“). „TA“, gegründet von Antonio Moniz (Portugal), die eher inaktiv ist und hauptsächlich „an TA Interessierte“ aus der ganzen Welt versammelt 3.3 TA in Wikipedia (195 Mitglieder, Stand 23.6.10) und die TA- Community (noch) nicht abbildet – was auch TA ist in allen Sprachversionen von Wikipedia die geringe Aktivität miterklären könnte. Dane- kaum präsent. In der englischen Version gibt es ben wurden seit 2009 neben wenigen themati- eigentlich nur einen kurzen Hauptartikel „TA“, schen Gruppen (z. B. zu e-Participation) auch der stark überarbeitungsbedürftig ist. Eine (infor- zwei kleinere, geschlossene Gruppen für spezi- melle) EPTA-Arbeitsgruppe dazu wurde im Mai elle NTA-Aktivitäten gegründet (IuK, Wikipe- 2010 gegründet. In der deutschsprachigen Wiki- dia). Insgesamt ist ein geringes Aktivitätsniveau pedia gibt es zwar einen längeren Hauptartikel, in ResearchGATE allgemein und den genannten TA-Foren zu verzeichnen. der aber ebenfalls überarbeitungsbedürftig ist. In der mit ResearchGATE vergleichbaren Weiter sind etliche TA-Institutionen, TA-Prakti- Plattform Academia.edu gibt es unter den ak- kerInnen und TA-nahe Konzepte vertreten. Ins- tuell rund 180.000 Mitgliedern einige wenige gesamt ist das Bild, das TA in Wikipedia bietet, TA-PraktikerInnen und ein paar Institute (z. B. äußerst lückenhaft. Aus diesem Grund hat sich Rathenau, ITA, ITAS): Insgesamt sind es derzeit 2008 eine (formelle) NTA-Arbeits­gruppe dazu gerade einmal 41 Personen, die TA als ihr „Inter- gebildet, die seit Juni 2010 erste Aktivitäten zur esse“ angeben haben und fünf TA-Institute. Koordination eines dezentralen Inputs entfaltet.4

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3.4 (Micro-)Blogging und TA zeichnet. Bei zotero.org gibt es, soweit erkenn- bar, keine Gruppen zu TA. Obwohl Blogging weltweit stark verbreitet ist, Auch „open peer review“, also das offene steckt es in Hinblick auf TA-Themen noch in Begutachtungssystem (Nentwich, König 2010), den Kinderschuhen, gibt es doch nur vereinzel- wird bislang bei keiner TA-relevanten Zeitschrift te Blogposts mit direktem TA-Bezug. So konnte genutzt. bislang nur ein Blog mit „TA“ im Titel ausfindig Zum Abschluss seien noch zwei vermischte gemacht werden: der private (deutschsprachige) Fundstücke erwähnt: Es gibt ein kommerziel- Blog „social technology assessment initiative“ les Portal technikfolgenabschätzung.de mit ge- (socialtechinitiative.wordpress.com). Selbst auf mischtem Blog-Feed, gespeist durch die Google- technorati.com, der bekanntesten Blogging- Blogsuche, und mit halbwegs TA-einschlägigen­ Suchmaschine, auf network.nature.com/blogs Videos und Publikationen. Der Verein „Organi- sierte Querdenker für langfristige Technologie- und Researchblogging.org findet sich nichts Ein- folgenabschätzung“ (oqlt.de) ist mit Webseite schlägiges. Hingegen gibt es den einen oder an- und Mailingliste präsent. deren einzelnen Blogpost zu TA-Themen (etwa auf ScienceBlogs.de). Auf der Microblogging-Plattform Twitter 4 Kurzanalyse und Ausblick werden ca. fünf bis 15 Tweets pro Tag mit den Begriffen „technologytechnology““ und „„assessment“assessment“assessment“ ver-ver- schickt. Zumeist handelt es sich dabei jedoch um Dieser kurze Überblick über die Präsenz von „Health Technology Assessment“ (HTA) oder TA im Web 2.0 macht eindeutig klar: Die TA- Community macht beim sog. „Mitmach-Web“ um Jobangebote, etwa bei UN-Organisationen.­ kaum mit. Bislang ist es eher ein „Steckenpferd“ Zuletzt gab es ein paar Tweets zur Frage der einige weniger „Cyberentrepreneurs“ (Nentwich Wiedereinrichtung des US-amerikanischen OTA 2003, 175ff.). Es gibt eine Reihe von Gründen, (Office of Technology Assessment). Ein paar TA- die gegen eine verstärkte Nutzung des Web 2.0 in PraktikerInnen twittern (auch der Autor), insge- der Wissenschaft im Allgemeinen und in der TA- samt ist aber bislang wenig berufliche Nutzung Community im Besonderen sprechen: Neben der zu verzeichnen. Auch einige TA-Einrichtungen noch verbreiteten Unkenntnis über diese neuen twittern (z. B. NBT, ITA, Rathenau), wobei vor Instrumente und der damit einhergehenden, sich allem Veranstaltungsankündigungen etc. verbrei- dynamisch entwickelnden Informations- und tet werden. Auch für diese Web-2.0-Plattform Kommunikationskultur steht individueller Zeit- muss eine insgesamt eher geringe Aktivität fest- mangel an vorderster Front ebenso wie die teils gestellt werden. Eine Twitter-Sammelliste für TA berechtigte Furcht vor Informationsüberflutung folgt aktuell gerade elf Accounts5. durch zusätzliche Informationskanäle. Urheberrechtliche und Qualitätsbedenken spielen ebenso eine Rolle wie Unklarheiten be- 3.5 Social Bookmarking, Open Peer züglich Autorschaften. Weiter gibt es eigentlich Review et al. kein formelles Anreizsystem zur aktiven Nut- zung des Web 2.0; im Gegenteil lautet auch für Es mag einzelne TA-PraktikerInnen geben, die viele TA-ForscherInnen die Devise „Publish or social bookmarking betreiben (also sog. „Soziale Perish“ bzw. steht die Beendigung der laufenden Lesezeichen“ setzen, die im Internet ein gemein- Projekte konstant im Vordergrund. Schließlich schaftliches Indexieren ermöglichen); insgesamt scheint der potenzielle Nutzen für viele noch un- wird es über die üblichen Plattformen aber äu- klar (s. dazu Nentwich 2009). ßerst wenig für TA genutzt: Auf delicious.com Auf der anderen Seite gäbe es doch einige sind aktuell lediglich 177 Bookmarks mit „tech- Chancen, die aus dem Potenzial des Web 2.0 für nology_assessment“, 12 mit „Technikfolgen“ die TA-Community entstehen, die offensichtlich- und 42 mit „Technikfolgenabschätzung“ gekenn- sten sind: Erstens könnte das Web 2.0 die Vernet-

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zung der TA-PraktikerInnen fördern, um über in- sondern darüber hinaus bereit sein, sich auf das stitutionelle Grenzen hinweg zusammenzuarbei- sich ständig weiterentwickelnde Umfeld einzu- ten, voneinander zu profitieren und Redundan- lassen, um gleichsam nicht den Anschluss zu zen zu vermeiden. Zweitens, „open peer review verlieren. Nicht einfach, aber aus meiner Sicht oder commentary“ (Nentwich 2005; Nentwich, lohnend. König 2010) könnte zur Neuorganisation und, wenn geschickt angewendet, möglicherweise auch zur Verbesserung der Qualitätssicherung Literatur führen. Und schließlich ist nicht zu übersehen, Bruns, A., 2008: Blogs, Wikipedia, Second Life, and dass das Web 2.0 ein besonderes, neues und Beyond: From Production to Produsage (Digital For- sich dynamisch entwickelndes „Schaufenster“ mations), New York für TA-Akti­vitäten darstellen könnte (Nentwich Herwig, J.; Kittenberger, A.; Nentwich, M.; Schmir- 2010). Dementsprechend bestehen in der inter- mund, J., 2009: Twitter und die Wissenschaft. Steck- nationalen TA-Community Pläne, auch das Web brief 4 im Rahmen des Projekts „Interactive Science“. 2.0 zu nutzen, etwa im Rahmen eines NTA-DFG- ITA-Report Nr. a52-4, Institut für Technikfolgen- Antrags und des PACITA-Netzwerks ab 2011. Abschätzung ITA, Wien; http://epub.oeaw.ac.at/ita/ Das Web 2.0 fordert die TA nach Auffas- ita-projektberichte/d2-2a52-4.pdf (download 23.6.10) sung des Autors heraus: Einige der obigen Bei- König, R.; Nentwich, M., 2008: Wissenschaft in „Second spiele (etwa die inoffiziellen EPTA-Seiten auf Life“. Steckbrief I im Rahmen des Projekts Interactive Facebook, die aus TA-Sicht mangelhaften Arti- Science. ITA-Report Nr. a52-1, Institut für Technikfol- kel in Wikipedia usw.) machen deutlich, dass sich gen-Abschätzung ITA, Wien; http://epub.oeaw.ac.at/ita/ TA 2.0 auch ohne unser Zutun entwickelt. Die ita-projektberichte/d2-2a52-1.pdf (download 23.6.10) Frage ist nur: Wie, wenn die eigentlichen Exper- König, R.; Nentwich, M., 2009: Wissenschaft in Wi- tInnen nicht beteiligt sind? Gleichzeitig ist offen- kipedia und anderen Wikimedia-Projekten. Steck- sichtlich, dass sich das Internet dynamisch wei- brief 2 im Rahmen des Projekts Interactive Science. terentwickelt und die höchst erfolgreichen Web ITA-Reports Nr. a52-2, Institut für Technikfolgen- 2.0-Plattformen das Weltbild einer wachsenden Abschätzung ITA, Wien; http://epub.oeaw.ac.at/ita/ Anzahl von Menschen prägen. Mit anderen Wor- ita-projektberichte/d2-2a52-2.pdf (download 23.6.10) ten: Auch wenn jemand etwas über TA wissen König, R.; Nentwich, M., 2010: Google, Google Scho- will, ruft er nicht zuerst bei einer TA-Praktikerin lar und Google Books in der Wissenschaft. Steckbrief an, sondern googelt. Unter den allerersten Such- 3 im Rahmen des Projekts Interactive Science. ITA- ergebnissen wird sich der mangelhafte Wikipe- Report Nr. a52-4, Institut für Technikfolgen-Abschät- dia-Artikel zur TA finden.6 zung ITA, Wien; http://epub.oeaw.ac.at/ita/ita-pro- Daraus lässt sich meines Erachtens der Vor- jektberichte/d2-2a52-4.pdf (download 23.6.10) schlag ableiten: „Let‘s (re)claim Web 2.0 for Nentwich, M., 2003: Cyberscience: Research in the Age TA!“ Das bedeutet nicht notwendigerweise, dass of the Internet, Vienna: Austrian Academy of Sciences die TA-PraktikerInnen es alle auch aktiv nutzen Press; http://hw.oeaw.ac.at/3188-7 (down­load 23.6.10) müssen, wenngleich das Potenzial durchaus viel Nentwich, M., 2005: Quality Control in Academic versprechend ist. Es ist vielmehr eine Aufforde- Publishing: Challenges in the Age of Cyberscience. rung, diesen immer wichtiger werdenden Kom- In: Poiesis & Praxis 3/3(2005), S. 181–198; http:// munikationskanal der Informationsgesellschaft www.springerlink.com/content/lrvglva690af624u/ nicht zu übersehen, sondern für die Zwecke der fulltext.pdf (download 23.6.10) TA (insbesondere ihrer Sichtbarkeit) selbst aktiv Nentwich, M., 2009: Cyberscience 2.0 oder 1.2? mitzugestalten – oder zumindest als neuen Kanal Das Web 2.0 und die Zukunft der Wissenschaft. ITA für die Öffentlichkeitsarbeit zu begreifen. manu:script Nr. ITA-09-02, Institut für Technikfol- Es sei an dieser Stelle nicht unterschlagen, gen-Abschätzung ITA, Wien; http://epub.oeaw.ac.at/ dass dies keineswegs eine leichte Aufgabe ist. ita/ita-manuscript/ita_09_02.pdf (download 23.6.10) Nicht nur müsste man sich, wenn man erfolg- Nentwich, M., 2010 (i. E.): Neue Fenster im Elfen- reich sein will, neue Kulturtechniken aneignen, beinturm? Wissenschaftskommunikation und Web

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2.0. In: Bieber, C.; Drechsel, B.; Lang, A. (Hg.): Kul- turen im Konflikt. Sammelband zum 60. Geburtstag ITAS-Newsletter von Claus Leggewie. Bielefeld Mit dem online verfügbaren ITAS-Newsletter Nentwich, M.; König, R., 2010: Peer Review 2.0: informiert das Institut für Technikfolgenabschät- Herausforderungen und Chancen der wissenschaftli- zung und Systemanalyse (ITAS) über Projekte, chen Qualitätskontrolle im Zeitalter der Cyber-Wis- neue Publikationen, Personalia und kommende senschaft. In: Gasteiner, M.; Haber, P. (Hg.): Digitale Veranstaltungen des Instituts. Der Newsletter Arbeitstechniken für die Geistes- und Kulturwissen- bündelt und komprimiert für einen Zeitraum von schaften, Wien, S. 143–163 etwa vier bis sechs Wochen die Neuigkeiten, die zuvor sukzessive im Internetangebot des Instituts angezeigt wurden. Vom Online-Newsletter führen Anmerkungen Links direkt zu den ausführlicheren Informatio- nen auf dem ITAS-Server. Damit erhält der inter- essierte Nutzer über das sich laufend erweiternde 1) Dieser Text ist die überarbeitete Fassung eines Vor- Serverangebot ein zeitnahes Informationsange- trags, der am ITAS in Karlsruhe anlässlich des 50. bot. Für den Vertrieb des ITAS-Newsletters wird Geburtstags von Armin Grunwald gehalten wurde, ein Dienst des Deutschen Forschungsnetzes ver- dem hiermit noch einmal sehr herzlich gratuliert sei. wendet. Anmeldungen sind möglich unter http:// 2) Siehe dazu http://wissenschaftskommunikation.info. www.itas.fzk.de/deu/itasnewsletter/itasnews 3) Z. B. die WWW Virtual Library for Technology letter.htm. Bei Fragen und auftretenden techni- Assessment http://www.oeaw.ac.at/ita/www.htm. schen Problemen schicken Sie bitte eine E-Mail 4) Dies geschieht im Rahmen eines sog. Wiki-Projekts an [email protected]. zur TA, siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Wikipe dia:WikiProjekt_Technikfolgenabsch%C3%A4 tzung. 5) Siehe: http://twitter.com/Technikfolgen/technolo- gyassessment. 6) Die Sichtbarkeit bei Google (also die Position in der Trefferliste) ist übrigens nicht nur ein zentrales Thema bei kommerziellen Firmen, sondern wird unter dem Stichwort „Academic Search Engine Optimization“ (ASEO) auch in Wissenschaft und Forschung bereits zum Thema (s. dazu König, Nentwich 2010).

Kontakt

PD Dr. Michael Nentwich Institut für Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften Strohgasse 45/5, 1030 Wien, Österreich Tel.: +43 (1) 5 15 81 - 65 83 Fax: +43 (1) 7 10 98 83 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.oeaw.ac.at/ita

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Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 79 TA-INSTITUTION

ty’s viewpoint.” This text clearly indicates wider TA-INSTITUTION social impacts TA will focus. In addition to abstract discussion, the Plan- ning Bureau established in April 1971 an ex- Limits of Past Practices and pert committee and started case studies of TA to develop methodologies of TA. Concrete areas Possible Future Institutionaliza- chosen were pesticide, high-rise building and tion of TA in Japan computer aided intelligence. For example, TA on pesticide has broader focus on various social by Hideaki Shiroyama, Graduate School of aspects. But this was the case study for the de- Public Policy, The University of Tokyo velopment of the methodology, and experimental feedback to the decision making or the agenda Even though Technology Assessment (TA) setting on agriculture was not undertaken. has not been institutionalized in Japan, there The STA also experimented TA methods have been many TA practices since the idea in the policy areas under the STA jurisdiction in of TA was introduced from the US in the late 1973. But the Planning Bureau was fearful of the 1960’s. This article analyzes the nature and limits of those TA practices; then, the current resistance from bureaus in charge of specific are- discussion about the TA and the possible fu- as such as nuclear policy and space policy. So the ture institutionalization of TA in Japan is in- five bureaus in the STA independently conducted troduced. This article is based on the project self assessment TA in 1973 to perform account- “Innovation and Institutionalization of Tech- ability for the individual bureaus’ own projects nology Assessment in Japan: Dealing with from narrow focus. One member of the Planning Nanotechnologies” (2007–2011) sponsored Bureau admits that there was no serious mood in by the Research Institute for Science and the bureau because of the missing link between Technology for Society (RISTEX). TA exercises and policymaking. As those in the bureau realized the limita- 1 Past Practices of TA in Japan tion of such sectional TA activities, an official once lobbied for the establishment of a parlia- 1.1 Early Experiments mentary TA organization like the US Office of Technology Assessment (OTA). The official lob- In November 1969, a mission from the Japan bied some Diet members during 1977-78, but Techno-Economics Society (JATES) visited these members had never in mind that the Diet the US and brought back a novel term TA. Af- undertakes TA activities. ter the mission came back, the Eight-Members The Ministry of International Trade and Committee established in 1970 placed TA on the Industry (MITI) also launched an in-house TA agenda, explaining that the reconsideration of study group in May 1971 and started with a TA the development of science and technology was case study. At the same time, a MITI’s Advisory a top priority to solve urgent problems such as Committee for Industrial Structure reported that global environmental issues (Yoshizawa 2009). “it is necessary to place TA in the total system The Planning Bureau of the Science and in the industrial policy”. In March 1973, MITI Technology Agency (STA) began to research informed that they would conduct TA on as many on TA in 1970 and mentioned about TA in 1970 as possible R&D projects. MITI had a will to White Paper published in April 1971. The 1973 use TA in the administration of R&D projects. Science and Technology White Paper stated, “TA One of the interesting attempts was the TA re- (…) seeks to examine and evaluate technology lated to the Sunshine Project. But as no feedback from many aspects beforehand, including its mechanism was established at that time, the TA benefits and undesirable impacts, the technologi- report, which was interesting as an analysis, was cal as well as economic potential, and the socie- not used effectively.

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1.2 New Attempts of Participatory TA since 2000 were never institutionalized in Japan. There seem to be several reasons for that. In Japan around the year 2000, public concern First reason is the weak interests of Diet over food safety arose as a variety of issues as- members. When a STA official lobbied the Diet sociated with food emerged. The handling of members for the establishment of parliamentary BSE, in particular, incurred public distrust of TA organization in 1970’s, they did not have in- governments. At that time, participatory TA, terests in TA. The situation changed in the 1990’s. such as the consensus conference developed by In June 1994, the Science and Technology and Denmark, drew interest as a tool for improv- Policy Association was set up involving around ing communication. Using Danish practice as a 150 bipartisan Diet members. The association at- model, consensus conferences were held for GM tempted to submit a bill for the establishment of a foods at national and local levels in Japan (Shi- parliamentary TA organization in 1995 and 1997. royama et al. 2010). But after several meetings, the association finally At the national level, the “Society for dissolved in 2002 without the legislation of a par- Techno-innovation in Agriculture, Forestry, and liamentary TA (Yoshizawa 2009). The bipartisan Fisheries” (STAFF) under the “Ministry of Ag- group played a very important role for the estab- riculture, Forest and Fishery” (MAFF) held the lishment of Science and Technology Basic Law consensus conference on GM crops in 2000. This in 1995. But the importance of parliamentary TA was conducted by STAFF under the project of seemed to be lower compared to the importance “Research Responding to the Citizen’s Propos- of Science and Technology Basic Law in the bar- al.” The purpose was to obtain people’s concerns gain between politicians and bureaucrats. and suggestions through the consensus confer- Second reason is the methodological prob- ence and promote the necessary research. The lem. Japanese early TA activities in 1970’s were final result was presented to the MAFF and the based on the engineering concept of “total sys- Ministry of Health, Labor and Welfare (MHLW). tem”, which is to be represented as a single ex- Following the inputs, the monitoring research plicit, self-contained entity encompassing a vari- program of GM crops was introduced in 2001. ety of actors’ values (Yoshizawa 2009). But be- But compared to the wideness of perspectives cause of its orientation toward quantification and presented in the final report including benefits, -en integration of values based on one dimension, it vironmental impacts, health impacts, industrial is likely that some issues are dismissed or inten- structure and international relations, the scope of tionally left out of consideration, and it overlooks social impacts which can be dealt with under the the possibility of different ways of perceiving is- institutional framework was very limited. sues. This narrow focus on strict scientific meth- Another interesting case of participatory odological orientation results in the uselessness TA on GM is the consensus conference by the in of the actual policy context which requires the Hokkaido Government. With the proposed re- consideration of wider social contexts. view of the ordinance regarding GM in Hokkai- Third reason is the lack of feedback mecha- nism. One of the important issues emerged from do (an ordinance preventing cross-cultivation various TA practices in Japan is the issue of “ap- (involving the growing of GM crops in open en- propriate distance”, that is the issue of to what vironment), the purpose of the consensus confer- degree the conclusions of the TA should be linked ence was to gain an understanding of the general to policy making. In the case of the STAFF con- public opinion and reflect the discussion on the sensus conference, the MAFF, who was taking topic in the review process. a risk by funding a study with no clear outcome known in advance, wanted to avoid incidences 2 Reasons for the Lack of Institutionalization of policies being restricted by the results of the conference. The Hokkaido consensus conference As the cases above show, even though there were had the possibility of having an influence in the many individual attempts of TA practices, those policy making process. But, there can be a pos-

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sibility that range of social impacts would be nar- divided into establishment either within the Diet rowed down because of the direct link to policy or within an administrative agency. As part of making (Shiroyama et al. 2010). amendments to the Diet Law, the establishment of a TA body in Japan could be considered along with measures to strengthen the research func- 3 Current Discussion and Possible Future tion of the legislature. Unlike the 1990s, when a Institutionalization of TA in Japan bill to establish a parliamentary bureau was con- After the change of administration which took sidered, currently understanding and interest in power in September 2009, science and technol- TA is increasing along with interest in the Diet ogy policy, together with global warming policy, Library’s function as a knowledge base of soci- are among the priority areas; and TA re-emerged ety. And the present situation seems to offer an on policy agenda. opportunity for change because there is interest Japan’s Ministry of Education, Culture, in strengthening the role of politicians against the Sports, Science and Technology (MEXT) has role of bureaucrats after the change of adminis- emphasized the importance of guidelines to “pro- tration in September 2009. The US and West Eu- mote efforts for attaining wide-ranging citizen ropean countries offer many examples of bipar- consensus based on technology assessment when tisan management of TA. In Japan as well, the making policy decisions” in “Moving toward a Science and Technology Basic Act and the Act Comprehensive Science and Technology Strategy on Strengthening Research and Development Looking at Japan in the Medium and Long Term Capabilities were promoted across party lines, (Interim Report): Important Policies following the and the strengthening of a bipartisan base for in- Third Term Science and Technology Basic Plan” vestigative capabilities in the field of science and (December 25, 2009). Also, the “New Growth technology policy is both necessary and possible. Strategy (Basic Policies)” (December 30, 2009) If such an institution is created within a clearly expresses a posture of support for strategic national-level administrative agency, the Cabi- problem-solving innovations such as measures to net Office may be seen as the most appropriate counter Japan’s low birth rate and aging popula- location. However, a substantial degree of au- tion and to curb global warming using science and tonomy from the direct formulation of strategy is technology innovation. For such strategic prob- necessary. To attain a high level of institutional lem-solving innovations, TA can be a tool. autonomy, it would also be possible to establish It seems to be necessary to establish spe- a “special organization” under the jurisdiction of cialized bodies for TA appropriate to Japan’s po- the Cabinet Office, similar to the present-day Sci- litical and social conditions. These kinds of TA ence Council of Japan. TA carried out in such a agencies and activities will maintain a certain way could be used as a basis for the establishment distance from the actual formulation of strategy of overall policy strategy by the National Strategy for problem-solving innovations, but they can Bureau and the Science and Technology Strategy contribute to the process by making connections Headquarter now discussed in government. between technology and society where they had previously been seen as separate. There seem to be four possible future sce- 3.2 Establishment of a Framework for Funding TA Activities narios for TA institutionalization in Japan. It is important to notice that those multiple schemas Institutionalization would be achieved through may coexist. government creation of a Cabinet-level framework to fund TA activities, across ministerial jurisdic- 3.1 Institutionalization of a TA Body at the tions, which would ensure a variety of viewpoints. Government Level Then the implementation of these activities can be entrusted to different bodies. Because TA should If an institution is to be established in a body of be a routine activity, it would also be essential to the Japanese government, options can be broadly use evaluation criteria for funds allocation that

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are different from those used for research and de- References velopment, which place importance on newness. Shiroyama, H.; G. Yoshizawa, G.; M. Matsuo, M.; R. This institutionalization is similar to the method Hatanaka, R., 2010: Activities without Institutionali- of providing funds equaling a fixed percentage of zation: Limits and Lessons of TA (Technology As- research and development costs for research into sessment) and TA like Activities in Japan. In: Shakai- ethical, legal, and social implications (ELSI), as gijutsu 7 (2010), pp. 199–210 (in Japanese) with the United States’ “21st Century Nanotech- Yoshizawa, G., 2009: Technology Assessment in Ja- nology Research and Development Act”. Autono- pan: Reconstruction of the Concepts and History. In: Shakaigijutsu 6 (2009), pp. 42–57 (in Japanese) mous institutions, such as the Science Council of Japan, universities, research centers, and NPOs are considered possible organizations for imple- Contact menting such TA programs. The existence of or- Prof. Dr. Hideaki Shiroyama ganizations practicing diverse TA would be useful Graduate School of Public Policy in presenting a wide range of viewpoints to the The University of Tokyo 7-3-1 Hongo, Bunkyo-ku, Tokyo, 1130033, Japan public through a variety of channels. Tel: +81 - 3 - 58 41 - 31 31 Email: [email protected] 3.3 Institutionalization through the Initiatives of Individual Research and Development Organizations « »

Institutionalization through the bottom up ini- tiatives of public and private research centers engaged in technological development is also possible. In this case, TA would be conducted in a form not necessarily relying on direct govern- ment financing. On the other hand, in these kinds of voluntary TA activities on the part of private organizations and technological development bodies, it is necessary to secure a degree of inde- pendence, which is needed to ensure a breadth of perspective that includes the interests of the gen- eral public. It is important to secure the autonomy of TA activities through such means as securing a fixed amount of funding from public agencies and acquiring diversified funding sources.

3.4 International Institutionalization

The institutionalization of TA can be carried out at the international as well as domestic level in Japan. For example, as the relative importance of research and development activities in China and the Asian region as a whole increases, the establishment of an Asian TA center as one part of building an Asian research region would be important in terms of Japan taking a leadership position in research and development activities.

Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 83 DISKUSSIONSFORUM

92) Dies ist nun schwer nachvollziehbar, denn DISKUSSIONSFORUM die Gentechnikbefürworter aus Industrie und Forschung haben sich redlich bemüht, die Vor- Politik oder Markt: Wer soll teile der Grünen Gentechnik darzustellen, bis über die Nutzung der Grünen zum Versprechen, das Problem des weltweiten Gentechnik entscheiden? Hungers zu lösen. Wenn man genauer hinschaut, geht es nicht Anmerkungen zum Beitrag von um den „Nutzen“ der Grünen Gentechnik an Christoph Willers in TATuP sich, sondern um die Verteilung dieses Nutzens von Rolf Meyer, ITAS entlang der Wertschöpfungskette (Saatguther- steller, Landwirte, Käufer der Ernte, Verarbeiter, Unter dem Titel „Akzeptanz ist nicht gleich Nahrungsmittelhandel, Konsumenten), wobei Akzeptanz“ hat sich Christoph Willers, aus- gehend von seiner Dissertation „Marketing in Nutzen im Sinne ökonomischer Gewinne aus Widerstandsmärkten“, in der TATuP vom Mai gentechnisch veränderten Pflanzen zu verstehen 2009 mit der Akzeptanz der Grünen Gentech- ist. Die Ergebnisse wissenschaftlicher Studien nik in Deutschland auseinandergesetzt (Wil- hierzu sind uneinheitlich (Boysen et al. 2008). lers 2007, ders. 2009). Seine zentrale These Kritiker der Grünen Gentechnik sehen als ein- ist, dass vor dem Hintergrund negativer Er- deutigen Gewinner nur die Saatgutkonzerne, gebnisse aus Akzeptanzumfragen ein Ange- während für die weiteren Marktteilnehmer der bot gentechnisch veränderter Lebensmittel Nahrungsmittelkette zusätzliche Kosten durch vermieden und damit Verbrauchern die Wahl- Trennung, Rückverfolgbarkeit, Prüfung auf freiheit genommen wird, sich für den Kauf von gentechnisch veränderten Lebensmitteln Vermischungen und Kennzeichnung entstünden zu entscheiden. Seine Argumentation lädt an (Then, Lorch 2009, S. 48f.). verschiedenen Stellen zu Anmerkungen und In gewisser Weise wird die Frage der Nut- auch Widerspruch ein. zenverteilung auch bei Willers angesprochen, wenn er zugesteht, dass die verfügbaren gentech- 1 Risiken überbetont und Nutzen ver- nisch veränderten Lebensmittel keinen Mehrwert schwiegen? für den Endkonsumenten – d. h. den Käufern im Ausgangspunkt von Willers Argumentation ist, Supermarkt – bieten (Willers 2009, S. 93). Aber dass die Zukunftsvisionen der Grünen Gentech- seine Argumentation ist widersprüchlich, denn nik vielversprechend sind: „Öffentliche Kontro- an anderer Stelle wird ausgeführt: „Die Lebens- versen und gesellschaftlicher Widerstand verhin- mittelwirtschaft steht dabei vor einem Dilemma. dern ein Ausschöpfen sowohl der wissenschaft- Sie richtet sich nach den Ansprüchen der Markt- lichen als auch der ökonomischen Potenziale.“ partner und vermeidet bislang jedes Risiko (v. a. (Willers 2009, S. 91) Diese positive Zukunfts- Absatz- und Umsatzeinbußen, Imageschäden), vorstellung, die im Beitrag nicht hinterfragt wird, das mit einem Angebot (kennzeichnungspflich- ist aber mittlerweile gesellschaftlich umstritten. tiger) gentechnisch veränderter Lebensmittel Nicht mehr alleine die Risiken bestimmen die verbunden ist. Dies hat zur Folge, dass mögli- Diskussion um die Grüne Gentechnik, sondern che Vorteile nicht kommuniziert werden können auch der Nutzen wird kontrovers diskutiert und (‚Phantomprodukte’) …“ (Willers 2009, S. 91) beispielsweise von Nicht-Regierungsorganisati­ Wo keine Vorteile sind, können diese auch nicht onen (NGOs) kritisch betrachtet (Friends of the kommuniziert werden. Und die Lebensmittel- Earth 2007, 2008; Helmrich, Grundke 2006; wirtschaft steht auch nicht vor einem Dilemma, Sprenger 2008; Then, Lorch 2009). sondern verhält sich eher rational, wenn sie ein Weiter heißt es bei Willers: „Bei der Kom- Lebensmittelangebot meidet, dass gesellschaft- munikation zu gentechnisch veränderten Pro- lich so umstritten ist. dukten unterblieb die Präsentation von Problem- Willers fordert, dass die Endkonsumenten lösungsinnovationen jedoch vielfach bzw. wurde verstärkt in die strategischen Überlegungen für nicht deutlich herausgestellt.“ (Willers 2009, S. eine Akzeptanzsteigerung einbezogen werden

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müssen (Willers 2009, S. 93). Völlig unklar fragungen) und ist wesentlich von individuellen bleibt aber, wer der Adressat für die vorgeschla- Nutzen-Risiko-Abwägungen geprägt. Akzeptanz genen Akzeptanzsteigerungsmaßnahmen ist. der Bevölkerung beinhaltet dagegen die Haltung Für Gentechnikunternehmen wie Monsanto oder von Bürgern als politische Subjekte, die durch BASF macht die Aussage Sinn, ist aber für die- andere Aspekte wie langfristige Wirkungen, in- se sicherlich keine Neuigkeit. Bei Unternehmen volvierte Machtstrukturen oder Werthaltungen aus Nahrungsmittelverarbeitung und -han­del mit geprägt wird (Bütschi et al. 2009, S. 11). bleibt unverständlich, warum sie sich um eine Bei dieser analytischen Unterscheidung darf Akzeptanzsteigerung bemühen sollten. Für sie aber nicht vergessen werden, dass zwischen den muss die Kommunikation eines Verbraucher- beiden Formen der Akzeptanz Wechselwirkun- nutzens im Mittelpunkt stehen, der aber bei den gen bestehen: Einerseits beeinflusst eine skep- verfügbaren gentechnisch veränderten Pflanzen tische Verbraucherhaltung politische Diskus- nicht vorhanden ist. Damit wird deutlich, dass sionen und Entscheidungen, und Verbraucher sich nur aus einer Analyse möglicher Nutzenas- sind zugleich immer auch Bürger. Andererseits pekte ableiten lässt, wer Interesse und Möglich- übt der politische Diskurs Wirkung auf das Ver- keiten hat, auf die Akzeptanzsituation der Grü- braucherverhalten (bzw. Verhaltensabsicht der nen Gentechnik einzuwirken. Verbraucher) aus (Meyer, Boysen 2009, S. 71). In den letzten Jahren hat sich die Nutzen- Willers argumentiert weiter, das mangelnde Pro- frage auch in der Diskussion um die europäische duktangebot führe dazu, dass Verbraucherbefra- Regulierung der Grünen Gentechnik niederge- gungen zu gentechnisch veränderten Lebens- schlagen. Der Umweltministerrat hat in seiner mitteln v. a. die Rolle des Bürgers und nicht die Sitzung am 4. Dezember 2008 die Bewertung des Verbrauchers erfassen (Willers 2009, S. 94). sozio-ökonomischer Nutzen und Risiken bei der Was hier scheinbar als Problem formuliert wird, Zulassung von gentechnisch veränderten Pflan- ist aber keins, denn die Befragungsergebnisse zen zur Diskussion gestellt. Die Mitgliedsstaaten werden durchweg in der gesellschaftlichen und sollen der Kommission Informationen und Ein- politischen Diskussion als politische Meinungs- schätzungen zur Verfügung stellen, auf deren Ba- äußerungen – also als Ausdruck der sozialen Ak- sis die Kommission bis Juni 2010 einen Bericht zeptanz – registriert und verwendet. vorlegen soll (EU Environment Council 2008). Zwar weist Willers richtig darauf hin, dass Damit ist zu erwarten, dass Fragen des Nutzens zwischen „sozialer Akzeptanz“ und „Bereit- (und der Nutzenverteilung) auch in den nächsten schaft zum Kauf“ unterschieden werden muss Jahren eine wichtige Rolle spielen werden. Als (Willers 2009, S. 94), also die Akzeptanzergeb- Zwischenfazit bleibt festzuhalten, dass der Nut- nisse aus Verbraucherbefragungen nicht mit ei- zenaspekt in der Debatte um die Grüne Gentech- nem entsprechenden Verhalten beim Kauf bzw. nik von Willers unterschätzt wird. im negativen Fall Nicht-Kauf gleichgesetzt wer- den kann. Aber dies ändert nichts daran, dass es 2 Akzeptanz von Verbrauchern und sich bei der Grünen Gentechnik in erster Linie Bürgern: Was ist entscheidend? um einen gesellschaftlichen Konflikt über die Willers unterscheidet zwischen „consumer acac-- Verteilung von Risiken und Nutzen handelt. Dies ceptance“ (Verbraucherakzeptanz) und „public verweist darauf, dass es hier entscheidend auf die acceptance“ (öffentlicher bzw. sozialer AkzepAkzep-- gewählte Perspektive ankommt: Aus der engen tanz) (Willers 2009, S. 91f.). Die Akzeptanz der Sicht des Marketings kommt es auf das Kaufver- Verbraucher und die Akzeptanz der Bevölkerung halten der Verbraucher an; im breiten Blickwin- sind in der wissenschaftlichen Analyse in der Tat kel umfassenderer Analysen z. B. der Technik- zu unterscheiden. Verbraucherakzeptanz schlägt folgenabschätzung hingegen müssen die gesell- sich in Kaufentscheidungen nieder (soweit gen- schaftlichen Konflikte und politischen Probleme technisch veränderte und nicht-gentechnisch in den Fokus genommen werden. veränderte Lebensmittel angeboten werden) oder Einstellung und Akzeptanz zum Einsatz der drückt sich in Kaufabsichten aus (z. B. in Be- Gentechnik im Agrar- und Lebensmittelsektor

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hat Willers in seiner Arbeit (Willers 2007) mit- Insgesamt lässt sich eine grundsätzliche tels Clusteranalyse über die vielfältigen Einstel- Wahrnehmungs- und Bewertungsdifferenz be- lungsdimensionen ermittelt. Im Ergebnis werden schreiben: fünf Verbrauchersegmente identifiziert: Ableh- -- Die eine Sichtweise ist (implizit auch von ner (16 Prozent), Misstrauisch-Ängstliche (30 Willers vertreten), dass gentechnisch verän- Prozent), Desinteressierte (18 Prozent), Aufge- derte Lebensmittel Produkte wie jedes andere schlossen-Ängstliche (20 Prozent) und Befür- (Lebensmittel-)Produkt sind, die dem Markt- worter (16 Prozent). In seinem TATuP-Beitrag geschehen und den individuellen Kaufent- wird herausgestellt, dass folglich nur rund ein scheidungen unter persönlichen Nutzen-Risi- Sechstel der Bevölkerung überzeugte Ablehner ko-Abwägungen unterliegen sollten. seien (Willers 2009, S. 95), was für die Chan- -- Die andere Sichtweise ist, dass gentechnisch cen einer Marketing-Strategie von Relevanz sein veränderte Lebensmittel eine besondere Pro- könne. Die ermittelten Verbrauchersegmente duktgruppe sind, die eine gesetzlich geregelte (Oder sind es nicht eher Segmente politischer Zulassung der Ausgangsprodukte mit Prü- bzw. sozialer Einstellung?) können aber auch fung der Gesundheits- und Umweltverträg- genau umgekehrt gelesen werden, dass nur rund lichkeit erforderlich machen sowie außerdem ein Sechstel der Bevölkerung Befürworter sind. sozioökonomische Folgewirkungen haben Dies entspräche der Lesart in politischen Ausei- und die Handlungsfreiheit Dritter (z. B. von nandersetzungen. Damit wird deutlich, dass es Öko-Landwirten) beeinträchtigen können. neben der Vorgehensweise bei Akzeptanzermitt- lungen auch sehr auf die Interpretation und Kon- Nur bei der ersten Einschätzung, also einem textualisierung der Ergebnisse ankommt. Produkt wie jedes andere, kann man unbeküm- Direkt anschließend wird von Willers argu- mert Marketing-Anstrengungen unternehmen, mentiert, dass das öffentliche Meinungsbild von gezielt auf die Gruppe der Interessierten bzw. einer Gruppe beherrscht werde, die aus Sicht des Befürworter. Unter Berücksichtigung der zwei- Marketings nicht zur Zielgruppe gentechnisch ten Sichtweise werden die Vermarktung und das veränderter Lebensmittel gehöre (Willers 2009, Marketing von gentechnisch veränderten Le- S. 95). Hier geraten dem Autor nun selbst Akzep- bensmitteln unausweichlich zu einer Unterneh- tanz der Verbraucher und öffentliche Akzeptanz mung, die in den gesellschaftlichen und politi- durcheinander. Wenn Akzeptanzuntersuchungen schen Arenen umstritten ist. hauptsächlich die Einstellung des Bürgers und Damit kann auch das Argument Willers ein- nicht die des Verbrauchers erfassen, wie von geordnet werden, das fehlende Angebot von gen- Willers selbst festgestellt und hier bekräftigt, technisch veränderten Lebensmitteln würde die dann ist nicht die enge Marketing-Perspektive Wahlfreiheit der Verbraucher beschränken (Wil- relevant. Vielmehr ist es folgerichtig, dass die lers 2009, S. 96) – eine interessante Umkehrung öffentliche Wahrnehmung durch die soziale Ak- des Arguments vieler Gentechnikkritiker. Wenn zeptanz geprägt wird. gentechnisch veränderte Lebensmittel ein Aller- Schließlich greift vermutlich auch die An- weltsprodukt wären, über das alleine die persön- nahme von Willers zu kurz, dass das Angebot lichen Vorlieben der Verbraucher entscheiden, von gentechnisch veränderten Lebensmitteln dann wäre dieses Argument einleuchtend. Genau vor dem Hintergrund der Akzeptanzumfragen entgegengesetzt ist dagegen die Argumentation (Quick-and-dirty-Umfragen) von der Lebens- der Gentechnikkritiker, die bei der kommerziel- mittelwirtschaft vermieden wird (Willers 2009, len Einführung und Vermarktung von gentech- S. 96). Vielmehr ist davon auszugehen, dass die nisch veränderten Pflanzen und Lebensmitteln kritische und teilweise emotional aufgeladene erwarten, dass es aufgrund ihrer spezifischen gesellschaftliche Diskussion sowie das Protest- Eigenschaften (wie z. B. Auskreuzung, Verunrei- potenzial gentechnik-kritischer NGOs den Le- nigungen in der Lebensmittelkette) zwangsläufig bensmittelhandel davon abhalten, gentechnisch zu Vermischungen kommt und in der Folge die veränderte Lebensmittel zu listen. Wahlfreiheit nicht gewährleistet werden kann.

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3 Zivilisationskritik oder Kritik industrieller ellen Herstellern und neue Nahrungsmittel wer- Landwirtschaft? den auf wissenschaftlicher Basis entwickelt. Nach Willers Einschätzung handelt es sich bei Aber das Bild bäuerlicher Landwirtschaft der Wahrnehmung der Grünen Gentechnik nicht lebt weiter und bildet einen wichtigen Bezugs- um eine spezielle Kritik an dieser, sondern um rahmen. Nicht zufällig nimmt die Lebensmittel- eine allgemeine Zivilisationskritik (Willers werbung immer wieder Bezug darauf. Die Pro- 2009, S. 95). Die Kontroverse um die Grüne pagierung saisonaler Lebensmittel steht eben- Gentechnik habe sich zu einem Stellvertreter- falls in dieser Tradition. Aus der Perspektive des konflikt gegenüber dem schnellen Fortschritt „Common Human Pattern“ sind die traditionel- entwickelt, gleichsam als moralisches Schutz- len Formen von Pflanzenzüchtung (Selektion, schild gegen technische Veränderungen (Willers Kreuzung, Hybride) „natürlich“, und bäuerliche 2007, S. 162). Wenn dem so wäre, ist zunächst Landwirtschaft führt zu „natürlichen“ Lebens- einzuwenden, dass sich dann schwer erklären mitteln. Gentechnisch veränderte Pflanzen, im lässt, wieso nicht genauso die Rote Gentechnik, Labor erzeugt und Gentransfer über Artgrenzen also die medizinische Anwendungen der Gen- hinweg beinhaltend, fallen nicht unter dieses technik abgelehnt wird. Verständnis von „natürlich“. Ein ganz ande- Entgegen Willers Auffassung wird im Fol- res Verständnis haben hier Biotechnologen und genden die These vertreten, dass die Kritik an manche anderen Wissenschaftler: Wissenschaft- der Grünen Gentechnik ganz wesentlich Teil der liche Erkenntnisse der Natur (bzw. Naturgesetze) gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um und ihre (technische) Anwendung führen zu gen- Vergangenheit und Zukunft von Landwirtschaft technisch veränderten Pflanzen, und dies steht und Nahrungsmittelerzeugung darstellt. Um den ohne qualitativen Bruch in der langen Linie von Kontext zu verdeutlichen, zunächst ein kurzer, Pflanzenzüchtung und Veränderung von Natur skizzenhafter Blick zurück: Die Einführung von durch den Menschen. Ackerbau und Viehzucht im Neolithikum führte Bäuerliche Landwirtschaft ist aber nicht nur zum „Common Human Pattern“, was auch als Vergangenheit und eine Erinnerung daran, son- bäuerliche Landwirtschaft bezeichnet werden dern auch heute noch von erheblicher Relevanz. kann (Zwart 2009, S. 508). Die große Mehrheit Dazu einige kurze Hinweise: der Bevölkerung lebte in ländlichen Gebieten -- Ökologische Landwirtschaft verzichtet auf und dörflichen Gemeinschaften, und war direkt wesentliche Bausteine der „Grünen Revolu- mit der Produktion von Lebensmittel beschäftigt. tion“, und zwar auf synthetische Dünger und Die bäuerliche Landwirtschaft prägte entschei- chemische Pflanzenschutzmittel. Die Nut- dend Landschaften, und die Nahrungsmittelver- zung von gentechnisch veränderten Pflanzen sorgung erfolgte in der Regel in engen räumli- ist verboten. Anbaufläche und Nachfrage von chen Bezügen (Mazoyer, Roudart 2006). Über Öko-Lebensmitteln haben in den letzten Jah- Jahrtausende hatte diese Form der Nahrungsmit- ren deutlich zugenommen. telproduktion – trotz aller Veränderungen und -- Trotz Globalisierung spielt die Regionalität Weiterentwicklungen – eine große Beständig- von Lebensmitteln eine zunehmend wichti- keit, so dass sie als „natürlich“ angesehen wurde ge Rolle in der Diskussion, und die regionale (Zwart 2009, S. 513). Nahrungsmittelproduktion und -vermarktung Mit der industriellen Revolution und der wird mit zahlreichen staatlichen Programmen Verwissenschaftlichung von Landwirtschaft und und Initiativen gefördert (ausführlich Sauter, Lebensmittelherstellung wurden entscheidende Meyer 2004). Veränderungen eingeleitet: Die Mehrheit der Be- -- Die Hälfte der Weltbevölkerung lebt wei- völkerung ist nicht mehr in der Landwirtschaft terhin in ländlichen Gebieten und die große beschäftigt und lebt in den industriellen Zentren Mehrheit der Landwirte weltweit sind Klein- und Städten, so dass sich Lebensmittelerzeugung bauern, die nach wie vor eine bäuerliche und -verbrauch trennten. Die Verbraucher bezie- Landwirtschaft betreiben (Mazoyer, Roudart hen ihre Lebensmittel in der Regel von industri- 2006; Meyer 2009).

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Dies alles könnte man als Übergangsphänome- Bütschi, D.; Gram, S.; Haugen, J.M. et al., 2009: Ge- ne betrachten. Industrielle Landwirtschaft und netically Modified Plants and Foods – Challenges and Nahrungsmittelerzeugung sind aber nicht nur Future Issues in Europe – Final Report. Berlin eine Erfolgsgeschichte, indem sie in den Indus- EU Environment Council, 2008: Genetically Modified Organisms (GMOs) – Council Conclusions. Meeting trieländern nie dagewesene Vielfalt und Über- on December 4, 2008. Note from General Secretariat; schuss an Lebensmitteln ermöglichen. Gleich- 16882/08. http://register.consilium.europa.eu/pdf/ zeitig werden eine Reihe von unerwünsch- en/08/st16/st16882.en08.pdf (download 10.11.09) ten Folgewirkungen diskutiert: Industrielle Friends of the Earth, 2007: Who Benefits from GM Landwirtschaft bedroht die Kulturlandschaft, Crops? An Analysis of the Global Performance of GM ist energieintensiv, führt zu erheblichen Um- Crops (1996–2006). Amsterdam: Friends of the Earth weltbelastungen und trägt spürbar zu Klima- International Secretariat gasemissionen bei, konnte auf globaler Ebene Friends of the Earth, 2008: Who Benefits from den Hunger nicht besiegen und bewirkt bei GM Crops? The Rise in Pesticide Use. Amsterdam: Friends of the Earth International Secretariat den Verbrauchern Entfremdung und neue Un- Helmrich, T.; Grundke, D., 2006: „Grüne Gentech- sicherheiten. Daher die strittige Diskussion, ob nik“ als Arbeitsplatzmotor? Genaues Hinsehen lohnt die industrielle Landwirtschaft ein tragfähiges sich. Berlin: BUND Modell für die Zukunft ist. Nicht zufällig hat Lassen, J.; Jamison, A., 2006: Genetic Technologies die Nutzenfrage in der Gentechnikdebatte so Meet the Public. The Discourses of Concern. In: Science, an Bedeutung gewonnen, geht es doch um die Technology & Human Values 31/1 (2006), S. 8–28 Frage, ob gentechnisch veränderte Pflanzen die Mazoyer, M.; Roudart, L., 2006: A History of World negativen Seiten weiter verstärken oder nicht. Agriculture from the Neolithic Age to the Current Cri- Zusätzliches Indiz ist, dass in der Debatte um sis. London die Grüne Gentechnik Fragen der wirtschaft- Meyer, R., 2009: Agricultural Technologies for Devel- lichen Macht eine wichtige Rolle spielen und oping Countries. Brussels: European Parliament 2009 (IP/A/STOA/FWC/2005-28/SC42) für die Unternehmen, die gentechnisch verän- Meyer, R.; Boysen, M., 2009: Szenarien zur Zukunft der dertes Saatgut vermarkten, erhebliche Vertrau- Grünen Gentechnik – Ein Werkstattbericht. Karlsruhe ens- und Glaubwürdigkeitsdefizite festzustellen Sauter, A.; Meyer, R., 2004: Regionalität von Nahrungs- sind. Die Wahrnehmung von Laien ist, dass mitteln in Zeiten der Globalisierung. Frankfurt a. M. Biotech-Unternehmen nicht verantwortlich ge- Sprenger, U., 2008: Die Heilsversprechen der Gen- nug handeln und ausschließlich an ihrem Profit technikindustrie – Ein Realitätscheck. Studie im Auf- interessiert sind (Lassen, Jamison 2006, S. 20f.; trag des BUND Meyer, Boysen 2009, S. 73f.). Then, C.; Lorch, A., 2009: Schadensbericht Gen- Damit kann der Konflikt um Grüne Gen- technik. Berlin: Bund Ökologische Lebensmittel- technik nur verstanden werden vor dem Hin- wirtschaft tergrund der grundsätzlichen Kontroversen um Willers, C., 2007: Marketing in Widerstandsmärkten. Untersucht am Beispiel gentechnisch veränderter Le- bäuerliche versus industrielle Landwirtschaft bensmittel. Köln bzw. um die Frage, wie eine nachhaltige Land- Willers, C., 2009: Akzeptanz ist nicht gleich Akzep- wirtschaft und Nahrungsmittelversorgung aus- tanz. Zum Akzeptanzbegriff in der Kontroverse um sehen kann und soll. die Grüne Gentechnik. In: Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 18/1 (2009), S. 91–96 Literatur Zwart, H., 2009: Biotechnology and Naturalness in Boysen, M.; Schulze, N.; Meyer, R.; Knapp, M., 2008: the Genomics Era: Plotting a Timetable for the Bio- Ökonomische Bedingungen und Wirkungen für die technology Debate. In: Journal of Agricultural and Saatgutwirtschaft. Basisinformation Nr. 18. Diskur- Environmental Ethics 22 (2009), S. 505–529 sprojekt „Szenario-Workshops: Zukünfte der Grünen Gentechnik“; http://www.szenario-workshops-gru- Kontakt ene-gentechnik.de/downloads/Basisinfo%2018%20 PD Dr. Rolf Meyer, ITAS im KIT -%20Saatgutwirtschaft.pdf (download 01.06.10) E-Mail: [email protected]

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1 Von Tipping Points und planetaren REZENSIONEN Gesundheitsrisiken Der ersten Frage geht Teil Eins des Buches („Set- ting Scene“) nach. Stephen Schneider beginnt Geoengineering: (k)ein Mittel mit einer übersichtlichen und aufschlussreichen gegen globales Fieber? Darstellung historischer und aktueller Diskussi- onsbeiträge zu Geoengineering. Schneider, der bereits seit den 1970er Jahren an den sporadisch B. Launder, M. Thompson (eds.): Geo- aufkommenden Debatten beteiligt ist, stellt auch Engineer­ing Climate Change: Environ- seine persönliche Ambivalenz gegenüber Geo- mental Necessity or Pandora’s Box? ����Cam- engineering heraus. Das häufig anzutreffende bridge: Cambridge University Press, 2010, Argument, die Gesellschaft werde ohnehin nicht 332 S., ISBN 978-0521-1980-35, € 100,99 in Emissionsreduktionen investieren und Geoen- gineering wäre daher unausweichlich, weist er Rezension von Thilo Wiertz, Universität als vorschnell zurück. Gleichermaßen hält er es Heidelberg jedoch auch für ein „politisch dubioses Projekt“, Konsummuster angesichts steigender Tempera- Wer bislang in die Datenbanken wissenschaftli- turen in kürzester Zeit zu verändern. cher Bibliotheken den Begriff „Geoengineering“ Anhaltspunkte dafür, ob und wann Geoen- eintippte, wurde enttäuscht. In der jungen Dis- gineering eine Maßnahme gegen die Folgen des kussion um technologische Interventionen in das Klimawandels werden könnte, geben Kevin An- globale Klima fehlt es an Buchpublikationen, die derson und Alice Bows. Angesichts der Emissi- einen systematischen Einblick in die Thematik onsentwicklungen von 2000 bis 2008 zeigen sie, bieten. Dies ist nicht verwunderlich, angesichts dass Zweifel gegenüber den Bekundungen der der Tatsache, dass die zunehmende Zahl der Klimapolitik angebracht sind, die globale Er- Beiträge in Fachzeitschriften und Medien der- wärmung auf zwei Grad Celsius gegenüber dem zeit weit mehr Fragen aufwirft, als Antworten vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Während produziert. „Geo-Engineering Climate Change“, der Wert den Autoren als ambitioniertes Vorha- herausgegeben von den Ingenieur- und Natur- ben für Mitigationsmaßnahmen nach wie vor wissenschaftlern Brian Launder und Michael tragbar erscheint, halten sie ihn für „gefährlich“ Thompson, ist die erste Anthologie, die sich laut und „irreführend“ als Grundlage für die Adapti- onspolitik – und, so mag der Leser schließen, für Klappentext einer „detaillierten und kritischen die Diskussion um Geoengineering. Eine Tem- Bestandsaufnahme“ der unterschiedlichen Inter- peraturveränderung von vier Grad im globalen ventionsstrategien annimmt. Mittel sei demnach angemessener – ein Wert, Wer die Debatte bis dato verfolgt hat, dem der jenseits dessen liegt, was allgemein mit ei- fällt auf, dass lediglich zwei der insgesamt drei- ner gefährlichen Störung des Klimasystems in zehn Beiträge neu sind; das Buch ist eine Neu- Verbindung gebracht wird. Damit steigt auch die auflage des Themenhefts derPhilosophical „ Wahrscheinlichkeit irreversibler und sprunghaf- Transactions of the Royal Society A” aus dem ter Umweltveränderungen, wenn Tipping Points, Jahr 2008 (vol. 366, no. 1882). Das schmälert also kritische Wendepunkte im Klimasystem, jedoch nicht die Qualität der Beiträge, die einen überschritten werden. Um Geoengineering als fundierten Überblick über die verschiedenen pro-aktive Strategie gegen Tipping Points einset- Geoengineering-Technolo­gien geben. Der Un- zen zu können, sind wissenschaftliche Progno- tertitel des Buchs „Environmental Necessity or sen Voraussetzung. Michael Thompson und Jan Pandora’s Box�����������������������������������?“ gibt zwei Fragen vor, die unter- Sieber suchen daher nach statistischen Anzeigern schiedlich prominent in den Beiträgen behandelt für bevorstehende Bifurkationen, Verzweigungen werden: Wann ist Geoengineering notwendig, in nichtlinearen Systemen, an denen Übergänge inwieweit sind die Technologien beherrschbar? zu qualitativ veränderten Zuständen erfolgen.

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Eine andere Perspektive auf Geoenginee- Vorschläge für eine biologische Kohlen- ring eröffnet James Lovelock. Der Begründer stoffsequestrierung in Ozeanen sind angesichts der GAIA-Hypothese, derzufolge die Erde als der Auswirkungen auf marine Ökosysteme kon- ein selbstregulierender Organismus zu verstehen trovers diskutiert worden. Erfreulich ist daher, sei, sucht nach „geophysiologisch“ verträglichen dass Richard Lampitt et al. den möglichen Ne- Strategien gegen eine globale Erwärmung. Die beneffekten einen eigenen und ausführlichen Ab- Überlegungen zu Rückkopplungen und Stabili- schnitt in ihrem Beitrag zu „ocean fertilization“ tätszuständen im Erdsystem, die Lovelock we- einräumen. Fragestellung und Design für künfti- sentlich in den 1960er Jahren entwickelte, sind ge Experimente einer Ozean-Eisendüngung ge- bemerkenswert. Jedoch ist für den Leser nicht ben Victor Smetacek und Wajih Naqvi vor. Von immer offensichtlich, worauf der Autor seine der Relevanz solcher Forschung für den Kampf starken und bisweilen esoterisch anmutenden gegen die globale Erwärmung sind die Autoren Thesen stützt, wenn er die „planetaren Gesund- überzeugt und merken an, „dass wir es uns nicht heitsrisiken“ (S. 90) anmahnt. Man müsse, so leisten können“ (S. 199), das Potenzial solcher Lovelock, im Geiste der Medizin des 19. Jahr- Technologien nicht zu untersuchen. Gleicher- hunderts auch erwägen „nichts zu tun“ und „den maßen äußern sie sich skeptisch gegenüber der Lauf der Natur“ hinzunehmen (S. 91). prinzipiellen Nachweisbarkeit (und damit Han- delbarkeit auf Emissionsmärkten) einer so erziel- 2 Systemtherapie und Schmerzlinderung ten Kohlenstoffreduktion in der Atmosphäre. Ein Den ersten Teil des Buches beschließt Paul Breeze Experiment im südlichen Polarmeer, das ein Jahr nach Erscheinen ihres Artikels in den Philosophi- mit einem Plädoyer für die Abscheidung von CO2 bei der Energiegewinnung aus fossilen Brenn- cal Transactions unter der Leitung der Autoren stoffen. Angesichts der nach wie vor steigenden durchgeführt wurde, war im Hinblick auf eine Bedeutung von Kohle für die globale Energie- Kohlenstoffsequestrierung wenig erfolgreich (für versorgung sei dies unumgänglich. Breeze mar- einige Krebsarten hingegen ein Festmahl; vgl. kiert damit den Übergang zu den technologischen AWI 2009). Das Experiment löste eine kontrovers zweiten und dritten Abschnitten des Buches. Die geführte öffentliche und politische Diskussion Reihenfolge der Beiträge orientiert sich an zu- um Rahmenbedingungen für Geoengineering im nehmenden Unsicherheiten und Risiken. David Allgemeinen und Ozeandüngung im Besonderen Keith, Kenton Heidel und Robert Cherry erör- aus, die im Buch leider keine Beachtung findet. tern in ihrem Beitrag unterschiedliche Verfahren, Eine Veränderung der planetaren Albedo Kohlendioxid auf physikalisch-chemischem Weg ist Gegenstand des dritten Teils des Buches und der Umgebungsluft zu entziehen. Die Autoren markiert sicher jene Form des Geoengineerings, geben sich optimistisch, was die technologische die mit den größten Unwägbarkeiten und Kon- Umsetzbarkeit „auf industrieller Maßstabsebene“ fliktpotenzialen behaftet ist. John Latham und (S. 124) betrifft – und bieten als Beispiel ein von Stephen Salter präsentieren ihren Vorschlag, mit David Keith mitentwickeltes Verfahren an. Unbe- einer unbemannten Segelflotte Meereswolken zu rücksichtigt lassen sie die Frage nach der Spei- „impfen“ und so dichter und weißer zu machen. Vielerlei ungelöste technische Fragen haften dem cherung des sequestrierten CO2, eine wesentliche politische Hürde für die kommerzielle Nutzung Projekt an, denen die Autoren insgesamt jedoch von Carbon Capture and Storage an Emissions- optimistisch gegenübertreten. Phil Rasch et al. quellen. Umgehen ließe sich dieses Problem, bieten einen ausführlichen Überblick über Vor- wenn „klimaneutrale Kohlenwasserstoffe“ eine schläge, mit stratosphärischen Schwefelaeroso- Alternative zu Strom und Wasserstoff als Grund- len das Klima zu kühlen. Prinzipiell, so schließen lage zukünftiger Transportsysteme darstellten. sie, ließen sich damit zumindest einige Effekte

Kohlendioxid könnte, so Frank Zeman und David erhöhter CO2-Konzentrationen ausgleichen. Keith, unter dem Einsatz erneuerbarer Energien Neben einer möglichen Beeinträchtigung der oder Atomkraft zu Treibstoff recycelt werden, ein Ozonschicht bleibt für alle Methoden der Albedo- Umbau der Verkehrsinfrastruktur entfiele damit. veränderung jedoch die Frage nach den regionalen

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Auswirkungen: Ein „kalter Wickel“ um die Erde – Geoengineering interessieren, bietet es hingegen sei er aus Wolken oder stratosphärischen Aeroso- eine ausführliche Darstellung auf hohem Niveau. len – wird räumlich heterogene Effekte produzie- In der griechischen Mythologie schickt ren, die sich mit derzeitigen Klimasimulationen Zeus Pandora mitsamt ihrer Büchse auf die Erde, nur unbefriedigend genau prognostizieren lassen. um sich für den Diebstahl des Feuers aus den Ein Experiment im globalen Computermodell un- Händen der Götter zu rächen. Epimetheus, der ternehmen im Schlussbeitrag Ken Caldeira und nachher Bedenkende, kann der schönen Pando- Lowell Wood. In dieser Form des virtuellen Geo- ra nicht widerstehen – entgegen der Mahnun- engineering sehen die Autoren eine Chance, mehr gen seines Bruders Prometheus. Das Öffnen der über das Verhältnis der Risiken von Geoenginee- Büchse bringt vor allem Unheil, aber auch Hoff- ring und Klimawandel zu erfahren. nung über die Welt. Derzeit versucht sich die Wissenschaft an einem vorsichtigen Blick auf die Büchse, nicht ohne vor ihrem Inhalt zu war- 3 Ein Blick auf Pandoras Büchse nen. Die Frage für Geoengineering wird jedoch In diesem kurzen Überblick über das Buch zeich- sein, ob die Politik den Beipackzettel liest und net sich durchaus ein roter Faden ab: Geoengi- verführerischen Versprechungen über eine kurz- neering könnte dann zu einer bedenkenswerten fristige Linderung widersteht. Strategie werden, wenn steigende Emissionen und steigende Temperaturen drastische Klimaverände- Literatur rungen wahrscheinlicher werden lassen. Während AWI – Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeres- eine Kohlenstoffsequestrierung als Ergänzung zu forschung, 2009: Polarsternexpedition Lohafex gibt Mitigationsmaßnahmen dem nur vorbeugen kann, neue Einblicke in die Planktonökologie. Pressemittei- wäre eine globale Albedover­änderung eine letz- lung vom 23.3.2009; http://idw-online.de/pages/de/ te Maßnahme gegen eine drohende Klimakrise. news306652 (download 15.5.10) Das Buch macht deutlich, dass die Unsicherheiten Hinweis: über Umsetzbarkeit der Technologien und mögli- Vom Autor dieser Rezension findet sich im Schwer- che Nebeneffekte derzeit keinerlei Anlass bieten, punkt dieses Heftes ein Beitrag, den er zusammen Geoengineering als eine Lösung gegen den Kli- mit David Reichwein verfasste (Climate Engineering mawandel zu erachten. Bereits in seiner Einlei- zwischen Klimapolitik und Völkerrecht: Status quo tung prüft Stephen Schneider die Beiträge auf die und Perspektiven). (die Redaktion) gebotene Skepsis. Die obligatorischen Verweise auf potenzielle Risiken und Nebenwirkungen von « » Geoenginee­ring finden sich in fast allen Beiträgen. Bereichernd wäre ein Beitrag zu den ethi- schen und politischen Fragen gewesen, die sich Ist Global Governance aus der Argumentationslinie des Buches erge- demokratisch legitimierbar? ben: Wie kann über die Grenze zwischen akzep- tablen und katastrophalen Klimaveränderungen B. Bürgler: Demokratische Legitimität in entschieden werden? Wie geht man mit den re- der internationalen Umweltpolitik. Wies- gional unterschiedlichen Folgen der globalen baden: VS Verlag, 2009, 217 S., ISBN Erwärmung bzw. technologischer Eingriffe um? 978-3531166308, € 34,90 Bis auf den Aufsatz von Schneider bleiben die anderen Beiträge zumeist bei einer technischen Rezension von Andreas Rechkemmer, und globalen Betrachtung des Problems stehen. Global Risk Forum Davos Das Versprechen einer „umfassenden Referenz“ und „essenziellen Lektüre für Forscher und Poli- Der Band „Demokratische Legitimität in der in- tiker in Kopenhagen und darüber hinaus“ (Klap- ternationalen Umweltpolitik” von Beatrice Bürg- pentext) löst das Buch damit nur bedingt ein. ler ist eine am Institut für internationale Bezie- Für alle, die sich für die technischen Fragen von hungen der Universität Zürich entstandene und

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2008 eingereichte Dissertation. Der Autorin geht lich von einer Schwächung staatlicher Einfluss- es darin zuvorderst darum, einen genuinen Beitrag nahme und Durchsetzungskraft geprägt ist. zur Global-Governance-Forschung zu leisten und Diese, in den 1990er Jahren angesichts einer hierbei der – ebenso spannenden wie hochrelevan- durch den Zusammenbruch des Ostblocks und ten – Frage nach der Möglichkeit einer demokra- durch das Ende des Kalten Krieges und der bipo- tischen Legitimierung derselben auf den Grund zu laren Weltordnung begünstigten Welle globalen gehen. Dieser Umstand ist dem Buchtitel zwar so Regierens ganz im Sinne des Global-Governance- nicht zu entnehmen, erschließt sich dem aufmerk- Ansatzes beförderten Sicht auf internationale samen Leser aber bereits zu Beginn der Lektüre. Politik, ist heute so nicht mehr uneingeschränkt vertretbar. Es verwundert, dass die Autorin gera- de in einer Zeit des zunehmenden Versagens von 1 Governance und Entstaatlichung Regimebildungsprozessen und multilateralen Re- gierens (insbesondere bei den Themen Umwelt Dass internationale Umweltpolitik nicht notwen- und Nachhaltigkeit) diese These recht unkritisch digerweise Global Governance bedeutet, sollte übernimmt. Ob Klimaverhandlungen, Biodiversi- eigentlich selbstverständlich sein. Bedauerlicher- tät oder Landverödung, Artenschutz oder Schutz weise gibt es in der deutschen Sprache aber keine tropischer Forstressourcen: Die Realität interna- vernünftige Entsprechung zum Anglizismus Glo- tionaler Zusammenarbeit ist derzeit durch einen bal-Governance („Regieren jenseits des Staates“ Rückfall in nationalstaatlich orientiertes, auf ist recht sperrig und vermag auch nicht die ge- wechselnde Machtkoalitionen ausgerichtetes und samte Breite des Global-Governance�����������������������-Begriffs������������� ab- interessenbasiertes Taktieren charakterisiert. zudecken), so dass hier Missverständnisse immer wieder vorkommen. Insofern wäre eine begriff- lich-semantische Klärung dieses Sachverhalts am 2 Demokratische Legitimität internationalen Anfang des Buchs durchaus hilfreich gewesen. Regierens Die Autorin spricht also von Politik und Diese momentane Realität in der Weltpolitik, in meint doch Governance, jenes komplexe und der staatliche Akteure nicht durch ein Weniger interdependente Netz von unterschiedlichen Ak- sondern eher ein Mehr an Prädominanz gekenn- teuren, Institutionen, Normen und Prozessen. zeichnet sind (übrigens auch im aktuellen kollek- Politik im klassischen Sinn gehört freilich zu tiven Bemühen um eine stärkere Regulierung der diesem Netzwerk, letzteres erschöpft sich jedoch internationalen Finanzmärkte), tut der Lehre und nicht darin. Ausgangsthese der Autorin ist, dass Philosophie von Global-Governance als intel-intel- sich gerade das Feld internationaler Umweltpoli- lektuell attraktivem Modell internationaler Be- tik (also etwa die multilateralen Verhandlungen ziehungen keinerlei Abbruch. Ganz im Gegen- zum Klimaschutz und zur Artenvielfalt oder aber teil: Angesichts beobachtbarer Phänomene im supranationale Institutionen wie das Umweltpro- obigen Sinne ist es umso mehr erforderlich, den gramm der Vereinten Nationen) globalisierungs- Global-Governance�������������������������������������-Ansatz��������������������������� als normativen Dis- bedingt in einem Prozess der „Entstaatlichung“ kurs und Leitbild für eine ethische Grundlegung befindet und mehr und mehr von typischen Glo- des Handelns im zwischenstaatlichen Raum zu bal-Governance-Eigenschaften geprägt ist, etwa verankern. Dies ist seine Stärke. Als deskriptives dem Etablieren problembezogener Regime als Instrument mit Ist-Anspruch kann er derzeit al- bevorzugte Steuerungsform multinationalen Re- lerdings nur verlieren. Ein Umstand, den man der gierens. Die Autorin folgt hierbei der in der Glo- Autorin gerne mitgeben möchte. bal-Governance-Community weit verbreiteten Das Hauptanliegen des hier besprochenen These, dass Multilateralität und Staatsversagen – Bandes jedoch ist das Aufweisen der Notwen- oder, etwas weniger zugespitzt, doch zumindest digkeit und Möglichkeit einer demokratischen der Zerfall nationalstaatlicher Autorität und Sou- Grundlegung und Legitimierung internationaler veränität – gewissermaßen Hand in Hand gehen, Politik unter den Bedingungen der Globalisierung, und die Ebene internationalen Regierens wesent- betrachtet durch die Linse des Global-Gover-

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nance-Ansatzes und exemplarisch vorgetragen am 3 Grenzen der Parlamentarisierung Beispiel globaler Umweltpolitik. In der Tat stellt die Frage nach Demokratie, Legitimität und „ac- Die Analyse zeigt, dass eine Parlamentarisierung­ countability“ sowohl in den Theorien von Global internationalen Regierens nach dem Vorbild Governance und vom Regieren im zwischenstaat- westlicher Nationalstaaten an Grenzen stößt. Die lichen Raum als auch in der empirisch beobacht- Autorin weist darauf hin, dass selbst in der EU baren Realität vieler multilateraler Verhandlungs- eine volle Parlamentarisierung nicht in Sicht sei prozesse, Politikentscheidungen und Vertragswer- und sich daher die Frage stelle, inwieweit die ke ein wichtiges Problem dar und ist bislang weder Idee einer „postnationalen” demokratischen Le- theoretisch noch praktisch in auch nur annähernd gitimation auf andere Weise gelingen möge. Ihr befriedigender Weise gelöst. Sowohl Politologen, Anspruch ist es, starke normative Kriterien de- Soziologen und Juristen einerseits als auch Nicht- mokratischen Regierens jenseits des Staates zu regierungsorganisationen andererseits monieren identifizieren, um hierdurch die der Globalisie- rung eigenen Asymmetrie zwischen wirtschaft- seit geraumer Zeit ein fundamentales Demokra- licher und technologischer Integration einerseits tie- und Legitimitätsdefizit in der zeitgenössischen und politisch-demokratischer­ Unterentwicklung internationalen Politik. Als „loci classici“ können andererseits (von Michael Zürn „ungleichzeitige hier zwar die westlich-aufklärerischen Prinzipien Denationalisierung“ genannt) zu begegnen. Die von Gewaltenteilung, demokratischer Repräsenta- Autorin folgt Benjamin Barbers Argument, wo- tion und parlamentarisch legitimierter Gesetzge- nach die zunehmende Tendenz zur Privatisierung bung herangezogen und veranschaulicht werden. im Unterschied zu dezentralisierenden Maßnah- In der Praxis gilt deren Etablierung und Durchset- men, die eine demokratische Gestaltung zulas- zung jedoch als ausgesprochen schwierig. sen würden, einen Top-down-Ansatz etabliert, Es ist der lohnende Verdienst der Autorin, der Macht nicht mehr öffentlich sondern privat den Diskurs über demokratische Legitimität im organisiert und dadurch per se unlegitimiert ist. internationalen Regieren, speziell in der interna- Es ist eine der Stärken dieses Buches, im Um- tionalen Umweltpolitik, ein gutes und wichtiges gang mit den normativen Konzepten demokrati- Stück weiter entwickelt zu haben, und dies nicht scher Legitimierung internationaler Politik eine nur als theoretisch-normatives Konzept sondern nahezu vollständige und stringente Zusammen- auch als fundierte empirische Analyse. Hierbei schau auf engstem Raum zu liefern. Von Kommu- werden zunächst einige relevante theoretische nitarismus über Verantwortungsethik bis hin zu Ansätze und etablierte Hypothesen kritisch ge- multi-dimensionaler Demokratietheorie arbeitet würdigt und zu einem Modell demokratischen die Autorin eine Fülle von faszinierenden Ansät- Regierens rekonfiguriert. In einem zweiten zen in dichtgewobener Manier ab. Am Ende steht Schritt arbeitet eine Analyse zu beobachtender ihr Modell demokratischen Regierens jenseits des empirischer Praktiken und Strukturen eine Rei- Staates, welches gerade von „Theorienpluralität“ he möglicher Bedingungen für demokratische gekennzeichnet ist, um so den spezifischen Eigen- Legitimität heraus. Die Abhandlung stellt so ein schaften internationaler Politik gerecht zu werden. solides Stück wissenschaftlicher Arbeit dar und Es geht ihr um einen Katalog von Kriterien, die folgt einer klassischen und bewährten Struktur. weniger hierarchisch als vielmehr assoziativ ge- Vor Theorie und Empirie steht die Ausleuchtung ordnet werden, um die notwendige Flexibilität des Forschungsstands. Dabei interessiert sich die und Adaptivität je nach Politikfeld und Kontext zu Autorin vor allem für bestehende Lücken, aus de- gewährleisten. So sind zum Beispiel die Faktoren ren Kenntnis heraus sie ihr Design und ihre For- Partizipation, Rationalität und Kontrolle notwen- schungsfragen entwickelt. Im Theorieteil nimmt dige jedoch je nach Situation recht unterschiedlich sie insbesondere zwei Ansätze unter die Lupe, ei- zu gewichtende und zueinander ins Verhältnis zu nen normativen und einen analytischen, um nach setzende Kriterien für Legitimität. der empirischen Untersuchung ihre Schlussfol- Der empirische Teil des Buchs stützt sich auf gerungen und Findungen zu präsentieren. die Arbeit der „International Regime Database“

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(IRD), die unter der Federführung von Breitmei- terials doch auch das Gefühl einer gewissen Er- er, Young und Zürn vor allem zwischen 1997 und nüchterung was die Beantwortung der Gretchen- 2002 entstand und mit einer Hauptveröffentli- frage „Wie kriegt man internationale (Umwelt-) chung im Jahre 2006 der Forschungsöffentlichkeit Politik demokratisch legitimiert?“ angeht. Eine zugänglich gemacht wurde. Die hier besprochene Blaupause liefert der Band nicht. Für eine Disser- Arbeit stellt damit eine der ersten Studien dar, die tation wäre dies aber auch nicht angemessen. sich am Datenschatz der IRD bedienen und die darin verfolgte Methodologie für eigene Fallstu- dien und analytische Schlussfolgerungen nutzen. « » Die IRD ist die weltweit erste und umfangreichste standardisierte qualitative Analyse internationaler Tatort Klimawandel Regime mit großer Fallzahl. Die Autorin konnte Dem Scheitern von Kopenhagen sich so auf eine Vorarbeit von hoher Qualität und auf der Spur Signifikanz stützen, was folglich auch in ihrer ei- genen Arbeit spürbar wird. Auch methodologisch B. Pötter: Tatort Klimawandel. schließt sich die Autorin der IRD an, deren wich- Täter, Opfer und Profiteure einer globalen tigste analytische Werkzeuge die „Qualitative Revolution. München: oekom verlag, 2008, Comparative Analysis” (QCA) und die „Fuzzy 263 S., ISBN 978-3865811219, € 19,90 Set Analysis” ������������������������������������(FS) sind. Sinn der empirischen Un- tersuchung ist, belastbare Aussagen zu notwendi- Rezension von Gerhard Sardemann, ITAS gen und hinreichenden Bedingungen für demo- Der Autor hat für das vorliegende Buch nach ei- kratische Legitimation im Bereich internationaler genen Angaben zwei Jahre lang recherchiert und Umweltregime zu generieren, wobei die Fallzahl dabei hunderte von Interviews in aller Welt ge- bei 56 liegt und inhaltlich vor allem die Kriteri- führt. Beim ersten Durchblättern kommt einem en Mitgliedschaft, Partizipation von Nichtregie- das Buch daher auch vor wie ein Reiseführer auf rungsorganisationen und Experten, Prozeduren der Basis der Berichte des Intergovernmental und Kontrollmechanismen herangezogen werden. Panel on Climate Change���������������������� (IPCC), die sich auf- grund ihres Volumens und vor allem Gewichts 4 Fazit (vgl. TA-Datenbank-Nachrichten 10/3 (2001), S. 93) nicht für einen solchen Zweck eignen, aber Sowohl die normativ-theoretischen Thesen als viel Stoff dafür liefern, sich vor Ort in der Welt auch die Ergebnisse der empirischen Untersu- über das Klimaproblem zu unterhalten. Gliede- chung auf Basis der IRD sind schlüssig, stringent rung und aufgesuchte Personen und Organisatio- vorgetragen und höchst interessant. Der Mehrwert nen verraten einiges an Kenntnis, sicherlich auch dieser Studie dürfte zum einen in der Problemati- im Zuge der Recherchen und Gespräche gewon- sierung der Thematik demokratischer Legitimität nen, über die wichtigsten Akteure und inhaltli- im zwischenstaatlichen Raum anhand normativer chen Knackpunkte im Zusammenhang mit dem und analytisch-konzeptioneller Kriterien liegen, anthropogenen Klimawandel. zum anderen sicherlich in der akribischen Aufar- Das Buch ist flüssig in einem journalisti- beitung einschlägigen Datenmaterials zur globa- schen Stil geschrieben und lässt sich aufgrund len Umweltpolitik. Der Autorin gelingt es, sich der Unterteilung in 27 abgeschlossene vonein- dieser schwierigen Thematik ein gutes Stück zu ander unabhängige Kapitel auch häppchenweise nähern und sowohl verlässliche Kriterien zu eta- lesen, wobei man sich in der Abfolge von sei- blieren als auch diese an einer Vielzahl von Fall- nen eigenen Interessen leiten lassen kann. Leider beispielen durchzudeklinieren – auch wenn, wie stören Formulierungen wie die zum stellvertre- sie selbst sagt, ein deutliches Mehr an Forschung tenden Vorsitzenden der norwegischen Umwelt- erforderlich ist als hier geleistet werden kann. Und stiftung Bellona, der auf einer Holzbank in der so bleibt am Ende der Lektüre bei aller Zufrieden- Sonne interviewt wird: „Holm sitzt nicht nur auf heit über die Fülle und Dichte des erbrachten Ma- seiner Bank, sondern auch in einer strategischen

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Klemme.“ (S. 212) Manche werden dies jedoch Profit gierende Unternehmen, dort den Staat mit als flotte Schreibe durchgehen lassen. seinen Subventionen für ausgewiesene Klimasün- Die einzelnen Kapitel sind Tätern, Opfern der. Dazu gesellt sich der Konsument, der nun mal und Profiteuren im Zusammenhang mit der gerne fliegt oder auf sein Auto nicht verzichten Strafsache Klimawandel gewidmet. Am Ende kann. Die Lage am Amazonas ist etwas komple- eines jeden Kapitels ist in einem Kasten entwe- xer, deshalb taucht der Bauer im Regenwald außer der ein „Klima-Steckbrief“ angehängt oder es bei den Tätern auch bei den Opfern auf. werden sachdienliche Aussagen eines „Klima- Bei Letzteren handelt es sich um Menschen, zeugen“ oder Gutachters zitiert. Bei Letzteren Klimaflüchtlinge zum Beispiel, aber auch um handelt es sich um kurze Zeugenaussagen zum Pflanzen und Tiere, die mit der Geschwindigkeit „Tathergang“, wobei im Buch alle Parteien zu des Klimawandels nicht zurechtkommen. Es geht Wort kommen: Vom Umweltschützer über den um die Versauerung der Meere und die Auswir- Experten bis hin zum Klimaskeptiker. In der Re- kungen der Klimaerwärmung auf die Alpen und gel werden diese Klimazeugen aber auch in den auf Regenwälder. Die gesundheitlichen Auswir- dazugehörigen Kapiteln angehört. Interessanter kungen des Klimawandels werden anhand der sind daher sicher für viele die Klima-Steckbriefe, zunehmenden Ausbreitung der Zecken illustriert – die für einzelne Staaten aber auch Sektoren wie um hierzu die Betroffenen und Experten zu inter- die Kohleindustrie, Flugzeugbranche oder Grü- viewen, musste der Autor gar nicht so weit reisen. ne Gentechnik, einen übersichtlichen Satz von In einem relativ ausführlichen Kapitel wird der Fakten enthalten, die eine gewisse Einordnung Klimawandel als ein Problem der internationalen möglich machen. Geht es um Staaten, werden Sicherheitspolitik dargestellt. Hierzu befragte der ihnen außer Bevölkerungszahl und Pro-Kopf- Autor auf der einen Seite Viehhirten in Kenia, die Einkommen auch klimarelevante Indices wie der in einen gewalttätigen Konflikt um die Wasserstel-

Pro-Kopf-CO2-Ausstoß oder der RCI-Faktor als len verwickelt sind, und verweist auf der anderen Maß für die Verantwortung für den Klimaschutz Seite auf die Unzulänglichkeit von Lösungen zum zugeordnet. In den vom Stockholm Environment „Klimaschutz“, wie sie beispielsweise in den USA Institute im Auftrag der Heinrich Böll Stiftung von hochrangigen Militärs angedacht wurden. erarbeiteten „responsibility and capacity indiindi-- Der vorletzte Abschnitt des Buches ist den cator“ (RCI) fließen die bisherigen kumulierten Profiteuren gewidmet, wobei dieser Begriff nicht Treibhausgas-Emissionen­ ein sowie die Mög- immer negativ gemeint sein soll. Die Karte zu lichkeiten, zur Lösung des Klimaproblems bei- Beginn des Abschnitts zeigt, dass der Autor zutragen. Leider fehlen in den Steckbriefen die sich v. a. in den europäischen Nachbarländern Jahresangaben, so dass viele Zahlen nur größen- umgehört hat. Zu den gewissermaßen harmlo- ordnungsmäßig nachvollzogen werden können. sen Profiteuren gehören Unternehmen, die die in Holland immer beliebteren schwimmenden Der Täter als analytische Kategorie Häuser liefern. Es gibt aber auch die Nuklearin- dustrie, die sich als Klimaretter präsentiert. Die Das Buch beginnt nach einem einleitenden Kapi- skandinavischen Länder profitieren in vielfacher tel mit den „Tätern“, wobei der Autor diesen Be- Hinsicht von einer Erwärmung, was am Beispiel griff, wie den vom „Opfer“, nicht in erster Linie Schwedens und seiner Waldwirtschaft dargestellt als moralische Kategorie verstanden wissen will, wird. Dass der drohende Klimawandel zu einem sondern als analytische. Ein Blick auf die Karte warmen Geldregen für die einschlägige Wissen- zu diesem Buchabschnitt zeigt, wo man die Täter schaft geführt habe, vernimmt der Rezensent mit finden kann: In Houston, dem Sitz vonExxon-Mo - einem weinenden und einem lachendem Auge. bile, am Amazonas in Brasilien, wo der tropische Regenwald abgeholzt wird, in Los Angeles als Stadt mit der höchsten Autodichte oder in Euro- Ein Ende mit sachdienlichen Hinweisen pa, wo die Luftfahrtindustrie „gehätschelt“ wird. Die letzten Kapitel des Buches sind als eine Art Man trifft auf ganz unterschiedliche Täterprofile, Zugabe zu werten. In ihnen geht es um „Heiße hier das rücksichtslos nach globaler Macht und Spuren und falsche Fährten“. Behandelt wer-

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den Themen wie „Carbon Capture and Storage“ Beiträge zur „Allgemeinen (CCS), Emissionshandel oder Schadenersatz- forderungen für die Folgen des Klimawandels. Technologie“ Beklagt wird ein zunehmender „Ablasshandel“, was die CO2-Emissionen vor Ort angeht, bei- spielsweise durch die Anerkennung von Emis- G. Banse, E.-O. Reher (Hg.): Allgemeine Technologie – Vergangenheit, Gegenwart, sionsreduktionen aus dem Clean Development Zukunft. Symposium der Leibniz-Sozietät Mechanism (CDM) in den Entwicklungsländern. und des Instituts für Technikfolgenabschät- Wäre das Buch nicht schon 2008 erschienen, zung und Systemanalyse des Forschungs- könnte man sich ein zusätzliches Kapitel mit zentrums Karlsruhe, Technik und Umwelt, dem Titel „Geoengineering“ durchaus vorstellen. am 12. Oktober 2001 in Berlin. Berlin: trafo Das Buch endet mit einigen sachdienlichen Wissenschaftsverlag, 2002, 217 S., ISBN Hinweisen, Literatur und Weblinks zum The- 3-89626-386-2, Sitzungsberichte der Leibniz- ma Klimawandel. Trotz seines Erscheinens vor Sozietät der Wissenschaften Bd. 50 knapp zwei Jahren, funktionieren diese Links noch. Die Auswahl ist allerdings sehr begrenzt G. Banse, E.-O. Reher (Hg.): Fortschritte bei und spiegelt die Interessen des Autors wider. der Herausbildung der Allgemeinen Techno- Beim Aufruf des Links zu den Klimarettern logie. Symposium der Leibniz-Sozietät und (http://www.wir-klimaretter.de/) konnte sich der des Instituts für Technikfolgenabschätzung Rezensent eines Schmunzelns nicht erwehren: und Systemanalyse des Forschungszent- Unter der Rubrik „Am meisten gelesen“, befand rums Karlsruhe am 14. Mai 2004 in Berlin. sich an erster Stelle ein Text mit dem Titel „Sex, Berlin: trafo Wissenschaftsverlag, 2004, 252 Katastrophen und Klimawandel“, der wiederum S., ISBN 3-89626-516-4, Sitzungsberichte der Leibniz-Sozietät der Wissenschaften Bd. 75 problematisiert, wie man beim Thema Klima- wandel am besten die Aufmerksamkeit der me- dialen Öffentlichkeit erregt. Was die aufgelistete G. Banse, E.-O. Reher (Hg.): Allgemeine Literatur angeht, gibt es inzwischen neuere Lite- Technologie – verallgemeinertes Fachwissen und konkretisiertes Orientierungswissen zur ratur, auch von Autoren, die in dem Buch genannt Technologie. 3. Symposium der Leibniz-So- werden: so etwa vom WBGU, dem wissenschaft- zietät der Wissenschaften und des Instituts lichen Beirat für globale Umweltveränderungen, für Technikfolgenabschätzung und System- der einen Bericht über die Klimapolitik nach der analyse des Forschungszentrums Karlsruhe missglückten Klimakonferenz in Kopenhagen am 12. Oktober 2007 in Berlin. Berlin: trafo herausgegeben hat. Es gibt auch einen neuen Al Wissenschaftsverlag, 2008, 312 S., ISBN Gore und aktuell das Buch von Silke Beck mit 3-89626-759-0, Sitzungsberichte der Leibniz- dem Titel „Das Klimaexperiment und der IPCC“, Sozietät der Wissenschaften Bd. 99 das hervorragend zum Kapitel über Wissen- schaftler als Profiteure des Klimawandels passt. Rezension von Klaus Krug, Hochschule Die Literaturlage hat sich aber seit dem Er- Merseburg scheinen des Buches nicht wesentlich geändert, was daran liegen mag, dass man den Schock nach Kopenhagen noch nicht ganz verdaut hat. Damit Seit Johann Beckmann (1739–1811) den Begriff erweist sich das vorliegende Buch als durchaus „Technologie“ in neuzeitlichem Sinne prägte, ist noch aktuell, insbesondere weil es Themen an die Diskussion in Wissenschaft und Produktion – ganz konkreten Beispielen anspricht, die auch wenn auch mit Phasen unterschiedlicher Intensi- zum Scheitern der mit so großen Erwartungen tät – bis in die Gegenwart präsent. Der Begriffs- bedachten Klimakonferenz geführt haben. inhalt ist an die Menschheitsgeschichte geknüpft und kennzeichnet die in den Produktionsweisen unterschiedlichen Mechanismen des Zusam- « » menwirkens von Arbeitskraft, Arbeitsmittel und Arbeitsgegenstand. Den Herausgebern der hier

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rezensierten Bände gebührt der Verdienst, die „Scientifisches Paradigma“ zu verfolgen. Die den Publikationen zugrundeliegenden Sympo- vorliegenden Beiträge orientieren ausschließ- sien konzipiert und organisiert, eigene Beiträge lich auf die „Allgemeine Technologie“, wobei eingebracht und Diskussionsangebote unterbrei- das Attribut „allgemein“ durchaus einen Bedeu- tet zu haben. Es handelt sich insgesamt um 45 tungswandel vollzogen hat. Einzelbeiträge von 27 Autoren.1

2 Reduktion auf den technischen Teil 1 Bestandsaufnahme Der Übergang von der „handwerklichen“ zur Der Technologiebegriff scheint für die Produk- industriellen Produktion, d. h. die Übertragung tionssphäre mit den Synonymen „Verfahren“ manueller Funktionen des Produzenten (Ar- bzw. „Prozess“ zunächst relativ überschaubar. beitskraft) auf technische Mechanismen (Ar- Allerdings ergibt sich v. a. aus dieser Sphäre die beitsmittel) führte zur Herausbildung von In- ganze Komplexität des Gegenstands, die in das dustriezweigen und in deren Reflexion zu ent- überkommene Wissenschaftssystem inhaltlich sprechenden technologischen Disziplinen, als wie terminologisch kaum zu zwängen ist. Genau deren „Hauptabteilungen“ sich die mechanische dieser Transformation widmet sich die Überzahl und die chemische Technologie etablierten. In der Beiträge. Die Herausgeber bemerken: „In den Werken dazu war der „Handgriff“ durch den letzten zwanzig Jahren ist […] das Inter- den Prozess (die Operation) ersetzt und demzu- esse an einer Allgemeinen Technologie wieder folge die Technologie auf ihren technischen Teil erwacht.“ Durch eine Reihe erschienener Mono- reduziert worden. grafien ließe sich diese Situation belegen. Aller- Ihre Nestoren Karl Karmarsch (1803–1879) dings, so weiter, gehörten „Natur- und Technik- und der Liebig-Schüler Friedrich Knapp (1814– wissenschaftler als ‚Schöpfer’ von Technologien 1904) vertraten in vollkommener Übereinstim- nicht zu den vorrangigen Rezipienten“ (Banse, mung die Meinung, dass dem Konzept der allge- Reher in Bd. 50, S. 11). Immerhin handelt es meinen Technologie zwar der Vorzug gebühre, sich aber bei den Autoren dieser Publikationen dass es aber an den notwendigen (natur-)wis- etwa je zur Hälfte um Technik- und Gesell- senschaftlichen Grundlagen weitgehend fehle. schaftswissenschaftler, also um „Schöpfer“ und Demgemäß folgen beide Werke vorwiegend „Begleiter“ der Technologie. dem Konzept der speziellen Technologie. Kar- Eine Vielzahl der Autoren (u. a. Gerhard marsch konnte allerdings für die mechanische Banse, Ernst-Otto Reher, Heinz Bartsch, Klaus Technologie auf deutlich mehr anwendungsbe- Fuchs-Kittowski, Klaus Krug, Günter Ropohl, reite (mathematisch-physikalische) Erkenntnis- Martin Eberhardt) nennen Beckmanns Schriften se zurückgreifen. Für die Chemie existierten „Anleitung zur Technologie […]“ (1777) und um die Jahrhundertmitte weder die analytische „Entwurf der Algemeinen Technologie“ (1806) noch die physikalische Chemie mit ihren Diszi- explizit als die historischen Ausgangspunkte ih- plinen der chemischen Thermodynamik und der rer Beiträge. Dabei wird in der Regel impliziert, Reaktionskinetik. Knapp sah sich angesichts der Beckmann habe die Methode der Gewerbebe- ständigen Zunahme neuer in die Produktions- schreibung (1777) (später „Spezielle Techno- praxis eingeführter chemisch-technologischer logie“) vollständig durch die Methode des Ver- Verfahren in seinem als Lehrbuch konzipierten gleichs der „Handgriffe“ in den verschiedenen Werk einem Mangel an logischem Organismus Gewerben („Allgemeine Technologie“) ersetzt. gegenüber, der ihn zur Willkürlichkeit der Stoff- Im Interesse der historischen Kontinuität scheint auswahl zwinge. Karmarsch spricht dem Kon- es durchaus überdenkenswert, beide als unter- zept der speziellen Technologie jedoch keines- schiedliche Ebenen bis in die Terminologie der wegs die Existenzberechtigung ab und weist ihr Gegenwart, etwa als „System“ und „Element“ die Aufgabe zu, den Gang des Verfahrens ein- oder als „Technologisches Paradigma“ bzw. schließlich der Mittel, Werkzeuge und Maschi-

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nen zu erklären und somit ein lebendiges Bild Leistungsverhalten etc. Die „menschliche Ar- vom Entstehen des Fabrikates zu gewähren. beit“ wurde zu einer abgesonderten wissen- Die allgemeine (mechanische) Technolo- schaftlichen (technologischen) Disziplin, die zu gie war in den Hauptstrom der Wissenschaft- Beginn des 20. Jahrhunderts im „Taylorismus“/ sentwicklung jener Zeit nach Differenzierung „Fordismus“ einen Höhepunkt erlebte. Nach und Quantifizierung klassifizierbar, während Heinz Bartsch (in Bd. 50, S. 123ff.) „geht die die spezielle Technologie aufgrund der Kom- moderne Arbeitswissenschaft von der zentralen plexität ihres Ansatzes und der Zusammenhang- Stellung des Menschen im Arbeitsprozess aus“ losigkeit ihrer Elemente, der Gewerbe, über und er skizziert die aktuellen Beziehungen zwi- eine kontemplative Darstellung nicht hinaus- schen Technologie und Arbeitswissenschaft. In kommen konnte und in der zweiten Hälfte des diesem Sinne geht Klaus Fuchs-Kittowski (in 19. Jahrhunderts als „gelehrt ausstaffierte Ge- Bd.50, S. 137ff.) vom Scheitern des Konzepts werbelehre“ regelrecht in Verruf kam. Die enor- der Vollautomatisierung aus und bezeichnet men Erkenntnisfortschritte der letzten hundert die sinnvolle Kombination der an der Technik Jahre und die Möglichkeiten der elektronischen und am Menschen orientierenden Informatik Datenverarbeitung haben dazu geführt, den Ge- als Motiv für die Entwicklung der Allgemeinen genstandsbereich der Wissenschaft „Technolo- Technologie. Für den deutschsprachigen Raum, gie“ einerseits qualitativ zu erweitern (vom Ele- der für das 19. Jahrhundert nahezu ausschließ- ment zum System, von der Prozesseinheit zum lich reflektiert wird, kommt eine relevante Be- Stoffverbundsystem) und ein spezifisches Me- sonderheit dazu. Dem Maschinenbau/Apparate­ thodenarsenal zu entwickeln (vgl. Hartmann in bau u. a. war der Zugang zu den deutschen Uni- Bd. 50, S. 103ff.; Fleischer in Bd. 75, S. 49ff.; versitäten verwehrt. Sie wurden ausschließlich Jacobs in Bd. 75, S. 155ff.; Hartmann, Fratz- als Fächer an den Polytechnika/Technischen scher in Bd. 75, S. 105ff.; Ropohl in Bd. 75, S. Hochschulen gelehrt. 21ff.). Gleiches gilt auch für die noch jungen Die Apparate bauende Industrie war trotz integrativen Disziplinen, z. B. die Biotechno- ständiger Expansion zunehmend nicht mehr in logie, die Informations- und Kommunikations- der Lage, insbesondere den qualitativen An- wissenschaften, die Umweltwissenschaften, die forderungen gerecht zu werden und musste a priori eine starke Affinität zu den Geistes- und sich angesichts der beschriebenen Situation Sozialwissenschaften aufweisen (vgl. Löther in selbst helfen. Der langjährige Direktor der Ap- Bd. 50, S. 159ff.; Fuchs-Kittowski in Bd. 50, S. paratebaufirma Heckmann, Eugen Hausbrand 137ff.; Fuchs-Kittowski, Bodrow in Bd. 99, S. (1845–1922), schuf ab den 1890er Jahren die 221ff.; Balzer in Bd. 99, S. 203ff.). Andererseits physikalisch-chemischen Grundlagen für die haben Methoden der Modellierung, der Simula- thermischen Prozesse wie Destillieren, Kühlen, tion und der Optimierung den Bereich der (Mi- Trocknen etc. zur Auslegung der entsprechen- kro-)Pro­zesse erschließen lassen (vgl. Reher in den Apparate, später unter angelsächsischem Bd. 50, S. 87ff.; Fratzscher in Bd. 50, S. 207ff.). Einfluss als Grundoperationen (unit operations) Diese Entwicklung zeigt eindeutig, dass die bezeichnet. Hausbrand – wie Ernest Sorel in gelegentlich noch anzutreffende reduktionisti- Frankreich – begann den von Knapp u. a be- sche Bestimmung der Technikwissenschaften klagten Mangel zur Entwicklung einer „Allge- auf „Angewandte Naturwissenschaften“ gegen- meinen chemischen Technologie“ zu beseitigen. standslos geworden ist (vgl. auch Fratzscher in Geometrische Parameter der Apparate werden Bd. 99, S. 127). mit den Prozessgrößen unmittelbar verknüpft. Für die untrennbar mit der materiell-tech- Eine Dichotomie von „Verfahren und Sachmit- nischen Seite verbundene sozial-ökonomische teln“, wogegen sich Günter Ropohl (in Bd. 75, Seite des Produktionsprozesses entstanden S. 21ff.) insbesondere in der Auseinanderset- durch die Maschinenarbeit völlig neue Anfor- zung mit Horst Wolffgramm (in Bd. 75, S. 69ff.) derungen an die Arbeitskraft, z. B. im Hinblick überzeugend ausspricht, hat bei diesem Ansatz auf die Arbeitsorganisation, Qualifikation, das a priori nicht bestanden. Die schwerpunktmä-

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ßige Beschäftigung mit dem Arbeitsmittel oder wäre weiterhin klärungsbedürftig. Hubert Lait- dem Arbeitsgegenstand, z. B. im Rahmen von ko (in Bd. 50, S. 79ff.) hat u. a. auf das termino- Forschungsvorhaben, bleibt davon unberührt. logische Dilemma hingewiesen. Indessen sollte die Aussage zur „atechnologi- schen Position auf der Ebene der Grundope- rationen“ präzisiert werden (vgl. Fratzscher in 3 Integrative Ansätze Bd. 50, S. 212). Die Ergebnisse von Hausbrand wurden Versucht man die historische Entwicklung der von der Apparate bauenden Industrie in starkem Technologie sowohl mit ihren Brüchen als auch Umfang genutzt, fanden aber in Deutschland in in ihrer Kontinuität zu skizzieren, wird man an den ersten Dezennien des 20. Jahrhunderts be- ein Zitat von Friedrich Engels (1820–1895) er- stenfalls sehr zögerlich Eingang in die Lehrge- innert, wonach das Logische das von allen Zu- bäude. In den USA (am MIT) erschien im Jah- fälligkeiten entkleidete Historische darstellt. re 1923 das Lehrbuch „Principles of chemical Auch in diesem Sinne reizvoll sind die Beiträge engineering“, von deren Verfassern Hausbrand zum Technologieverständnis in der Akademie als „the world firstfi rst process engineerengineer““ gewürgewür- gewür-- der Wissenschaften der DDR aus der Sicht des digt wird. Die Integration zwischen Chemie Wissenschaftsphilosophen Herbert Hörz (in und Maschinenbau war gelungen, und in den Bd. 99, S. 259ff.) und des Verfahrenstechnikers USA gab es 1925 schon 14 Lehrstühle für das Wolfgang Fratzscher (in Bd. 99, S. 283ff.) so- „chemical engineering“. Bereits im Jahre 1908 wie der Beitrag von Wolfgang König (in Bd. 75, war die eigene Standesorganisation „American S. 185ff.) zum Verhältnis von Technikwissen- institute of chemical engineering“��������������� nach erhebli- schaften und Wissenschaftsakademien von den chen Auseinandersetzungen mit der „American Anfängen bis zur Gegenwart. Chemical Society“ gegründet worden, und 1915 Lothar Kolditz (in Bd. 50, S. 9) bringt die hatte Arthur D. Little (1863–1935) in einem Gesamtzielstellung der Diskussionen wohl auf Evaluationsbericht am MIT das Konzept der die kürzeste Formulierung, indem er bemerkt, Grundoperationen begründet. die Aufgabe „ist die Suche nach den allgemei- In Deutschland nahmen die Bestrebungen nen Prinzipien der Technologie“. Gerhard Ban- zur Integration zwischen dem VdCh (Verein se (in Bd. 50, S. 26ff.) spannt dazu den für die deutscher Chemiker) und dem VDI zu, die zu beanspruchte Komplexität des Gegenstandes einem gemeinsamen Fachausschuss führen soll- angemessenen interdisziplinären Rahmen als ten. Es kam allerdings am 30. November 1935 Realtechnik, als Mensch-Maschine-System, (!) zu einem beschämenden Eklat. Der VDI kün- als soziotechnisches System und als Kulturpro- digte den Chemikern die Zusammenarbeit auf dukt. Herbert Hörz (in Bd. 50, S. 47ff.) befasst und behielt die Arbeitsgemeinschaft mit dem sich mit den Technologien zwischen Effektivi- „unseligen Namen Verfahrenstechnik“ bei (s. tät und Humanität und formuliert Humangebo- das Zitat von Hans Rumpf bei Ropohl in Bd. 75, te, an denen sich die Technologieentwicklun- S. 23). Der Wortstamm „Chemie“ sollte in dem gen orientieren und soziale Systeme gemessen Namen keinen Niederschlag finden, obwohl die werden sollten. Gerhard Banse und Ernst-Otto Teilnehmer an der o. g. Sitzung für den Namen Reher schlagen als ein Resümee der ersten bei- „Chemieingenieurwesen“ plädiert hatten. Da- den Symposien Felder für komplexe Analysen mit ging die Technologiebezeichnung verloren. auf verschiedenen Hierarchieebenen vor (Ban- Die Verfahrenstechnik bezeichnet sich selbst se, Reher in Bd. 99 S. 25ff.) und entwickeln als allerdings als technologieorientiertes Gebiet der Übersicht gebende Metapher den „technologi- Technikwissenschaften. Letztere Bezeichnung schen Trichter“, der geeignet ist, die komplexen hat sich in den letzten Dezennien – gewisser- Fragestellungen zu visualisieren. maßen im Dreiklang von Natur-, Technik- und Die Fülle und Vielschichtigkeit des bis dato Gesellschaftswissenschaften – durchgesetzt. Ihr vorliegenden Materials mag die Herausgeber Verhältnis zu einer „Allgemeinen Technologie“ bewogen haben, für den Band 99 das Leitthe-

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ma „Allgemeine Technologie, verallgemeinertes tionalisierung bisher kaum zu erkennen ist. Her- Fachwissen und konkretisiertes Orientierungs- bert Hörz (in Bd. 50, S. 55) resümiert in diesem wissen der Technologie“ zu wählen. Über den Sinne: „Die Allgemeine Technologie ist […] ein „Einfluss der naturalen, sozialen und humanen interdisziplinäres Projekt, das auf dem Weg zur Dimension der Technologie“ (Banse, Reher in Disziplin sein kann, wenn es von engagierten Bd. 99, S. 8ff.) ist sowohl der interdisziplinäre Vertretern unterschiedlicher Disziplinen konse- Zugang als auch die Richtung vorgegeben. quent weiter verfolgt wird.“ Aus der Sicht einzelner Disziplinen, Theo- Ein Resümee erscheint bei Umfang und Viel- rien, Modellierungsstrategien, spezieller Tech- schichtigkeit des Gegenstandes wenig sinnvoll. nologien und dergleichen folgen eine Reihe von Man kann nur hoffen, dass die geplanten weiteren Beiträgen diesem Angebot: Lutz-Günther Flei- Symposien ähnlich ertragreich verlaufen. scher (S. 41ff.) aus der Sicht der Konstituierung einer allgemeinen Stofftheorie, Ernst-Otto Reher und Gerhard Banse (S. 71ff.) für die Herausbil- Anmerkung dung einer allgemeinen Prozesstechnik, Klaus Hartmann (S. 105ff.) für die Analyse und Syn- 1) Die Beiträge beschäftigen sich allerdings nahe- these technologischer Systemmodelle, Günter zu ausschließlich mit der Zeit ab der Industriel- Spur (S. 137ff.) für die Wechselbeziehungen von len Revolution Ausgang des 18. Jahrhunderts, Technologie und Innovationstheorie, Dietrich möglicherweise ein grundsätzlicher Mangel. Auch die Einflüsse der französischen Enzyklo- Balzer (S. 203ff.) in Bezug auf die Automati- pädisten auf Beckmann selbst und seine mög- sierung von Produktionsprozessen, Heinrich liche Verbindung zu Adam Smith finden keine Parthey (S. 181ff.) für ein Drei-Ebenen-Mo- Erwähnung. dell einer Theorie der Technikwissenschaften, Klaus Fuchs-Kittowski und Wladimir Bodrow (S. 221ff.) für die Wechselwirkungen zwischen « » Meta-Ontologien und dem Arbeitsprozess und schließlich Herbert Hübner (S. 249ff.) anhand der Abhebungen aus dem chemisch-technologischen­ Verfahren der Calciumcarbid-Produktion in den Chemischen Werken BUNA (vgl. auch Hübner in Bd. 75, S. 175ff.). Wolfgang Fratzscher (in Bd. 99, S. 127ff.) versteht die Technologie als einen gesellschaftlichen Arbeitsprozess der differen- zierten Beschäftigung mit den Bestandteilen Ar- beitsmittel, Arbeitsgegenstand und Arbeitskraft und entwirft sowohl technikwissenschaftliche Strukturen als auch von ihnen abgeleitete soziale und humane Anforderungen. Diese bevorzugt „naturalen“ Beiträge zei- gen hinsichtlich der „sozialen“ und „humanen“ Anknüpfungen in allgemeiner Form weitgehen- de Übereinstimmungen. Umgekehrt sind „natu- rale“ Inhalte für „Technologiebegleiter“ noch als Desiderate zu vermerken. Für die Umsetzung in integrative Lehrpläne geben Gerhard Banse und Ernst-Otto Reher (in Bd. 99, S. 29) als Neben- fach-Wissen jeweils 20 Prozent an, was nach den Erfahrungen als eine angemessene Größenord- nung gelten kann, wofür allerdings eine Institu-

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wie „E-Partizipation und Klimaschutz“ auf dem TAGUNGSBERICHTE Programm. Ein weiterer Workshop „Wikipedia und TA“ war der Diskussion um Möglichkeiten zur angemessenen Darstellung von Stichworten Die Ethisierung der Technik und und Konzepten der TA im Internet gewidmet. Dieser Tagungsbericht stellt nur einige aus- ihre Bedeutung für die Technik- gewählte Beiträge vor. Alle Vortragsfolien der folgenabschätzung Veranstaltung finden sich zum Download auf der 10. Österreichische TA-Konferenz, Homepage des ITA (http://www.oeaw.ac.at/ita). Österreichische Akademie der Wissen- schaften 1 Eröffnung Wien, 31. Mai – 1. Juni 2010 Im Rahmen der Eröffnungsvorträge analysier- te zunächst Wolfgang van den Daele (Wissen- von Katharina Mader und Georg Kamp, Euro- schaftszentrum Berlin) die Rolle moralischer Ar- päische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler gumente in politischen Konflikten um den ange- messenen Umgang mit technischen Neuerungen Bereits zum zehnten Mal richtete das Institut für („Moralisierung in Technikkonflikten“). Technikfolgen-Abschätzung (ITA) der Österrei- Liberale Diskussionsteilnehmer lägen in chischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) Debatten, die auf Kompromisse zielen, gegen- seine Jahrestagung aus. Zum Jubiläum lag der über Vertretern moralischer Standpunkte, die Schwerpunkt auf der ethischen Perspektive tech- ihre Überzeugungen schnell gefährdet sehen, per nischer Möglichkeiten und der Frage, ob sich in se im Vorteil: Daher sei – auch für Debatten in Forschung und Entwicklung eine „Ethisierung“ Ethik-Kommissionen und Ethikräten durchaus der Technik zeige. Aus Sicht der Veranstalter typisch – sehr viel eher der rationale Dissens verteidigten Befürworter wie Gegner technischer zu erwarten als eine Annäherung im Austausch Entwicklungen ihre Positionen zunehmend häu- ethischer Argumente. Gerade darum aber, so figer mit Hilfe moralischer Argumente. Die TA van den Daele, sollten moralische Konflikte in müsse sich daher einem ethischen Diskurs stel- Interessenkonflikte „rückübersetzt“ werden und len. Dies beträfe beispielsweise die Frage, welche vermehrt das Verhandeln an die Stelle des Aus- ethischen Standards für neue wissenschaftlich- tauschs moralischer Positionen treten, der nur technische Entwicklungen wie die Synthetische allzu oft in Machtdiskurse verschoben würde. Biologie oder die Nanotechnologie gelten oder Nicole C. Karafyllis (Arab��������������������� Emirates Univer- ob mit zunehmender Interventionstiefe neuer sity,�������������������������������������������� Abu Dhabi) ging im zweiten Teil der Eröff- Technologien neue Standards notwendig werden. nung auf das Verhältnis von Ethik und Technik Auf der zweitägigen Konferenz mit über in der arabischen Welt (Schwerpunkt Vereinig- hundert Teilnehmenden wurde das Verhältnis te Arabische Emirate) ein. Sie illustrierte durch zwischen Ethik und TA aus verschiedenen Per- aufschlussreiche Beispiele, dass unser Verständ- spektiven beleuchtet. In den Sessions des ersten nis von TA nicht ohne Weiteres auf andere Kultu- Tages wurde dies unter Überschriften wie „Ethik ren übertragen werden sollte und forderte neben und TA“, „Ethik und ��������������������������Governance“���������������� oder „Ethisie- einem interdisziplinären auch einen internatio- rung als Trend?“ theoretisch und anhand konkre- nalen und interkulturellen Ansatz für die weitere ter Beispiele diskutiert. Am zweiten Tag wurden TA-Forschung. Dieser – so ließe sich im Sinne Auswirkungen einzelner technischer Entwick- des Konferenztitels formulieren – sensibilisiere lungen und die angemessene wissenschaftliche, für die unterschiedlichen moralischen Positionen politische und gesellschaftliche Reaktion im auch über die Kulturgrenzen hinweg und helfe, Rahmen von Workshops bearbeitet. Im Einzel- rationale Strategien zum angemessenen Umgang nen standen „Ethische Aspekte der synthetischen mit Konflikten auch zwischen unterschiedlichen Biologie“, „Nano-Governance in Österreich“ so- technischen Kulturen zu entwickeln.

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2 Ethik und TA en aus ethischer Perspektive statt unter den As- pekten von Risiko und ökonomischem Nutzen Armin Grunwald (ITAS, Karlsruhe) mahnte in thematisiert werden. seinem Vortrag „Ethische Aufklärung statt Mo- Bettina-Johanna Krings (ITAS, Karlsru- ralisierung: Ethik in der TA“ eine begriffliche he) sprach über das allmähliche Verschwinden Unterscheidung zwischen „Ethisieren“ und „Mo- sozialethischer Standards aufgrund von Re-Or- ralisieren“ an. Gerade weil die Beurteilung techni- ganisation globalisierter Arbeit seit den 1990er scher Entwicklungen nach Maßgabe vorfindlicher Jahren. Der ständige Wandel von Unternehmens- moralischer Kategorien von „gut“ und „böse“ sich strukturen und eine zunehmende Technisierung oft als konfliktverschärfend erweise, bedürfe es ei- von Arbeitsprozessen hätten immer differenzier- nes aufklärerischen ethischen Diskurses, der sich tere und demzufolge immer monotonere Arbeits- in der professionalisierten akademischen Diszip- prozesse zur Folge. Dadurch herrschten einer- lin namens Ethik auch schon vor Jahrzehnten ent- seits inzwischen meist günstigere infrastruktu- wickelt habe. Insofern jedoch die in Frage stehen- relle und physische Bedingungen für Arbeitende, den Probleme nicht nur das individuelle, sondern auf der anderen Seite führten Fusionierungen zu auch und gerade das gesellschaftliche Handeln mangelnder Berufsidentität und bisherige Stan- beträfen, bedürfe es eines Zusammenspiels von dards würden mehr und mehr in Frage gestellt. Ethik und TA, in dem gerade TA als eine Form Krings forderte deshalb eine Thematisierung von der ethischen Aufklärung betrieben werde, die der ethischen Fragen der Lebens- und Arbeitsgestal- Moralisierung und den daraus entstehenden ge- tung, da der derzeitige technologische Fortschritt sellschaftlichen Kommunikationsstörungen und kaum Möglichkeiten biete, emanzipatorische Handlungsblockaden entgegenwirke. Bedingungen menschlicher Existenz (z. B. nach Weitere Beiträge in diesem Workshop ver- Kant) auszuloten. suchten, die „Ethik als Mittel zum Nachweis wi- In einem weiteren Vortrag kritisierte Mar- dersprüchlicher Erwartungen im Technikumfeld“ tin Döring (Universität Hamburg) den Begriff fruchtbar zu machen (Štefan Riegelink, ÖAW, „obesogenic environments“ (Umgebungen, die Wien) oder die normativen Grundlagen der TA Übergewicht und Bewegungsmangel fördern) in „Jenseits von Ethik“ aus der Bezugnahme auf den der Stadt- und Raumplanung, die durch gesund- Nachfrager („Auftraggeber“) von Gesellschafts- heitsfördernde Maßnahmen verändert werden beratung und die Gelingensbedingungen des sollen. Laut Döring komme es in wissenschaftli- Beratens zu gewinnen (Marc Dusseldorp, TAB, chen Debatten zunehmend zu einer Diskriminie- Berlin). In einer Detailbetrachtung eines aktuel- rung Übergewichtiger (Fettleibigkeit als Bedro- len Beitrags zum Human Enhancement wollte hung der globalen Gesundheit und als Zeichen schließlich Peter Wehling (Universität Augsburg) des gesellschaftlichen Verfalls). Er bemängelte aufweisen, dass die professionalisierte Ethik, der diesbezüglich das Fehlen von Daten, woraus er doch sonst eher die Rolle eines „Schiedsrichters“ ein unbegründetes Problematisieren der Fettlei- zukomme, zunehmend die Rolle eines „Mitspie- bigkeit bei Ernährungsphysiologen und Human- lers“ in Technisierungsprojekten einnehme. In den geographen schlussfolgerte. von Armin Grunwald entwickelten Kategorien Zum Abschluss der Session stellte Michael ließe sich dieser Vorwurf wohl umformulieren in Decker (ITAS, Karlsruhe) am Beispiel der Pfle- den, dass die Ethiker, wenn sie „proaktiv“ (Weh- ge im Gesundheitssystem die Frage, ob Roboter ling) für eine technische Entwicklung argumentie- Menschen ersetzen könnten bzw. sollten und ob ren, eher eine Moral vertreten als Ethik betreiben. Roboter unter Umständen moralischer als Men- schen „handeln“ könnten. Er verwies dabei auf 3 Ethik und Governance den Einsatz von Robotern in ausgewählten Si- tuationen, um menschlichen Pflegekräften mehr In der Session „Ethik und Governance“ ging es Ressourcen für empathische Tätigkeiten einzu- um die Frage, wie sich Konflikt-, Politik- und räumen. Decker merkte an, Roboter ließen sich Legitimationsmuster ändern, wenn Technologi- auch programmieren, sich ethisch akzeptabel zu

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verhalten, in dem die Darstellung von Gefühlen die Frage der Würde) der umsichtigen Diskus- „antrainiert“ wird. Decker forderte, TA müsse sion bedürfen. Dabei müssten sich Ethik und TA hier diskutieren, inwiefern das gewünscht sei. wechselseitig ergänzen. Gerade in diesem Zu- sammenspiel aber liege die Herausforderung. Markus Schmidt (International Dialogue 4 Fallstudien zur Ethisierung and Conflict Management, Wien) stellte noch einmal die Neuartigkeit dieser Forschungsrich- In dieser Session stand die Frage nach tragfähi- tung heraus, in der Teilbereiche von Biologie gen normativen Prinzipien für die Regulierung und Ingenieurwissenschaften verschmelzen und technischen Handelns im Vordergrund. So stellte präsentierte die Ergebnisse einer Studie, die das Mathias Boysen (Berlin-Brandenburgische Aka- schnell wachsende Engagement öffentlicher För- demie der Wissenschaften, Berlin) den Versuch derorganisationen in diesem Gebiet nachzeichnet vor, durch ethische Expertise und Technikfolgen- und dokumentiert. In dem insgesamt disparaten abschätzung Chancen und Risiken der Grünen internationalen Förderverhalten spiele die Auf- Gentechnik zu bewerten und sah dabei, dass sich merksamkeit auf die normative Begleitforschung hinter dem Konflikt um den Einsatz der Gentech- im sog. ELSA-Bereich (Ethical, Legal and Social nik in der Pflanzenzüchtung auch Zielkonflikte Aspects�����������������������������������������) zwar eine unterschiedlich große, insge- darüber verbergen, welche Erwartungen Land- samt aber größer werdende Rolle, so Schmidt. wirtschaft und Ernährung zu erfüllen hätten. Zum Abschluss dieses Workshops verglichen TA und ethische Bewertungen griffen in der Helge Torgersen und Karen Kastenhofer (beide Bewertung der Grünen Gentechnik ineinander, ITA, Wien) Synthetische Biologie und Systembio- wobei letztere je nach Grundüberzeugung vari- logie. Letztere stehe – im Gegensatz zu Ersterer ierten: Einem globalen, marktwirtschaftlichen – weitgehend außerhalb des Aufmerksamkeits- Leitbild folgend, betrachte man Gentechnik als kegels der Ethik. Dabei seien beide hinsichtlich Fortschritt und Innovation, einem regionalen, ihrer Risiken durchaus miteinander vergleichbar. ökologischen Ansatz folgend, erscheine Gentech- Da jedoch die Synthetische Biologie eine offen- nik als Element eines falschen Grundansatzes, sichtlichere Nutzenorientierung aufweise (z. B. der traditionell angepasste Wirtschaftskreisläufe Generierung neuer Medikamente), gelte die Sy- außer Acht lasse. Boysen wies auf die Janusköp- stembiologie mit ihrem modellierenden Charakter figkeit jeden technischen Fortschritts hin, so dass als anwendungsferner. Das mache sie ethisch al- jeweils eine fallweise Abwägung erforderlich sei. lerdings keineswegs unproblematischer.

5 Ethische Aspekte der Synthetischen 6 Wikipedia und TA Biologie Die Workshops am zweiten Tagungstag dienten Einer der zur Vertiefung einzelner Themen an- neben der Themenvertiefung auch der prakti- gebotenen Workshops war der aktuellen Debat- schen Orientierung. So zeigte Christoph Breitler te um die Synthetische Biologie gewidmet. Jo- (Wikimedia Österreich) in seinem Beitrag „Wi- achim Boldt (Universität Freiburg) unterstrich kipedia und Input aus Fachcommunities“ anhand in seinem Vortrag die ethische Relevanz dieser des Online-Lexikons, wie TA-For­schende das Forschungsrichtung, da man sich mit der Erzeu- Internet zur Veröffentlichung von Informatio- gung neuartiger Organismen, also nach verbrei- nen nutzen können. Die kooperativ entwickelte teter Auffassung mit der Schaffung von Leben, Enzyklopädie „Wikipedia“ ist das derzeit größ- befasse. Die Forschenden setzten sich damit dem te Online-Nachschlagewerk mit mehreren tau- – auch in der politischen Debatte wiederholt er- send aktiven Benutzerinnen und Benutzern im hobenen – Vorwurf aus, „Gott zu spielen“. Boldt deutschsprachigen Raum. Breitler war der Ein- wies darauf hin, dass nicht nur harte, kurzfristi- ladung der Wikipedia-Arbeitsgruppe des Netz- ge Risiken (z. B. Bioterrorismus), sondern auch werks TA gefolgt, die derzeit in einem „WikiPro- weiche, langfristige Problemstellungen (z. B. jekt“ an einer Überarbeitung und Erweiterung

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des derzeitigen Eintrags „Technikfolgenabschät- per year will be required to just keep pressures zung“ im Online-Lexikon arbeitet. on the environment constant. But, for major en- Für die inhaltliche Ausgestaltung dieses vironmental stressors, substantial absolute re- Online-Angebots und für weitere Diskussio- ductions are required. This is necessary as many nen über die Leistungsfähigkeit einer Ethik der effects are time-delayed, like climate change Technik hat die TA’10-Tagung viele Anregungen and ecosystem deterioration, and many sustain- geliefert, in dem sie einen interessanten und ge- ability targets are missed. A balanced win-win winnbringenden Einblick in den Stand der Ethik- in eco-innovation, as an equal improvement of debatte im Rahmen der TA bot. both economic and environmental performance, would not decrease total environmental impact but might even increase it, fuelling the problem. « » A substantial reduction in total environmental impacts is required. Therewith, the environmen- Eco-efficiency for Sustainability tal challenge is that by 2050 the pressure on the Report on the 3rd International environment needs to be diminished with a fac- tor 2 to 5 – this means the environmental stress Conference on Eco-efficiency has to be reduced by 50 to 80 %. Egmond aan Zee, The Netherlands, The task ahead gets even more demanding June 9–11, 2010 because the socio-economic challenge needs to be fulfilled simultaneously: A fourfold increase by Rolf Meyer and Witold-Roger Poganietz, of Global Gross Product (GGP) will be needed ITAS to eradicate poverty, enabling all people a “good live”, having access to basic needs and more. The 3rd International Conference on Eco-Ef- Meeting both environmental and socio- ficiency was organised by the Institute - ofEn economic goals means that the world needs to vironmental Sciences (CML), Leiden Univer- improve eco-efficiency over 5 % per year; this sity (Gjalt Huppes), and the Graduate School is a factor of 10. This implies an unprecedented of Economics, University of Kobe (Masanobu improvement in eco-efficiency. The task ahead Ishikawa). Scientists from industrial ecology and is even more extreme than these average figures many related disciplines with a varied regional indicate. Imagine a new product-technology background discussed a broad range of eco-ef- combination with an eco-efficiency performance ficiency issues. Eco-efficiency was understood 50 % better than current average environmental here as environmental intensity of production intensity. Such a deep improvement cannot be and consumption: environmental pressure per realized in one step. Basic innovations typical- unit of value added, in the aggregate as Gross ly require around three decades for substantial Domestic Product (GDP). market penetration. Even an exceptionally fast market penetration after one decade and a life 1 The Challenge: Good Life for Eight Billion cycle of twenty five years, being superseded by People in 2050 better technology reaching to an eco-efficiency performance of 50 % after 40 years corresponds The framing of the conference as laid down in roughly to an im-provement of 3 % per year on the draft conference statement was ambitious. average. That is just enough to keep pace with Starting point of the consideration is that in- the environmental targets to be reached. For a creasing affluence and a globally still growing performance improvement of 5 % per year on population creates a heavy burden on the envi- average, some activities will have to improve ronment. With affluence up 1.5 % per year and a much more, as some other activities hardly can growth of working population of 0.5 % per year reach such improvement figures. Railway trans- on average for the next 40 years, an overall im- port, airline transport and staple foods probably provement in eco-efficiency performance of 2 % cannot improve their eco-efficiency with such

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drastic figures for decades to come. So other 2 Overview: Eco-innovation, Decoupling product and technology systems will have to and Connecting Analysis Approaches improve even more. Such extreme improvements in eco-effi- The conference was opened with keynote speak- ers from all continents covering targets and strat- ciency through technology improvement de- egies, and some technical options, giving an in- mand looking for other options such as shifting troduction on the challenges ahead. Parallel ses- demand and reducing demand. First option is sions (leapfrogging examples from industry, set- to consume differently. A definite contribution ting policy targets, creating incentives, food for a consumer may give is to eat less meat and to a prosperous world, innovation for sustainabil- travel less. However, spending less on one item ity, sustainability performance measured, green means spending more on others, and the differ- transport, renewable energy and energy optimi- ence in environmental intensity between mostly zation, resources in a 3R economy and industrial considered options is not that big. Drivers for symbiosis, degrowth and sustainable consump- such change are cultural and as yet weak, or they tion, biomass for a prosperous world, eco-inno- would involve adapted price mechanisms, and in vation, measuring sustainability performance) exceptional cases prohibition types of policies. looked into specific options for eco-efficiency Second, reducing consumption may help achieve improvements in core domains of sustainable overall environmental goals. Reducing consump- development and eco-innovation. The key issues tion means spending less, means working less, of the parallel sessions were presented to the ple- and earning less. Not reducing production and in- nary and were also used as a base for the plenary come while reducing consumption means invest- discussion on the conference statement and the ing more, leading to higher consumption later. questions for research therein. The discussions Consuming less is a core subject of degrowth. were closed with a presentation on “Eco-innova- Life time working hours differ substantially be- tion in the Environment Work Programme 2011” tween countries, in terms of weekly hours, holi- by a representative of DG Research of the Eu- days and effective retirement age. Using half of ropean Commission. On the last conference day, diverging approaches to sustainability analysis the labour productivity increase of around 2 % of technologies and products were presented for leisure would reduce labour volume and and confronted in order to connect their different hence consumption substantially. Over 40 years, knowledge domains. The conference was closed towards 2050, we would have a rise in consump- by final round on the conference statement. Ad- tion of 50 % instead of 120 %. That means a re- ditionally, a number of 1000-words visions were duction of around one-third of total consumption, submitted dealing with science integration on as compared to autonomous development without sustainability analysis. increasing leisure time. Such (relative) degrowth may hence give a substantial contribution to achieving environmental quality, much more than 3 Biomass and Food: Interesting Common any large scale technology measure. It can reduce Points Worked out the as yet unrealistically high requirements on Overall, the presentations in the parallel sessions eco-efficiency improvements as quantified above. were more or less heterogeneous. This applied also By combining eco-efficiency improvement with for the session “Food for a Prosperous World”. adapted consumption patterns and with reduced Nonetheless, interesting parallels were found. growth, especially of the rich in the world, the Rolf Meyer (ITAS, Karlsruhe) presented different substantial absolute environmental improvement agricultural production system approaches with as is required for a sustainable world should be potential for pro-poor productivity increase and achievable. However, an overall reduction of de- worked out that their principles have to be trans- mand (and thus of production) is challenged by lated case by case into production technologies the socio-economic demands (see above). and farmer practices adapted to local situations

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in his contribution “Low-input intensification in 5 The Obstacles: Rebound Effects, Problem agriculture – changes for small-scale farmers in Shifting and New Drivers developing countries”. Ruth Freiermuth Knuchel Overall conclusion of the conference was that (Agroscope Reckenholz, Switzerland) analysed the improvement of technologies alone will most the eco-efficiency of Swiss dairy and arable farms, likely not be sufficient to meet the unprecedent- based on data from their “Farm Accountancy Data ed challenge ahead. A decoupling of economic Network – Life Cycle Assessment”. Her results growth from environmental pressure is seen show that correlation between the farming inten- as needed, by means of developing and imple- sity and eco-efficiency is characterised by high menting deep eco-innovations (new technology variability and depends strongly on the perform- and product-service-systems), combined with ance of individual farmers. Despite the important changing consumer demand and mindsets. Op- differences in agricultural production conditions portunities should be identified for influencing between developing countries and industrialised consumption volumes and consumption patterns countries such as Switzerland, the common points and lifestyle. Analysis will be required into the are need for local adaptations in agricultural im- impacts of, for instance, shifting from work to prove-ments and for addressing farmer’s perform- leisure in the most developed countries, with cor- ance, for example by benchmarking, farmer-to- responding less income, but perhaps compensat- farmer learning and farmer-centred, participatory ed by a higher quality of life. The environmental research and development approaches. impacts of such a shift need to be analysed. The Conference did not provide evidence that a 5 % eco-efficiency gain per annum would 4 Biomass for a Prosperous World be possible, and recommended further research. These major obstacles were discussed: The focus of that parallel session was on the op- -- Rebound effects: Rebound appears on the portunities of mainly wood and lignocelluloses individual level when consumers use gains to ease the challenges as presented in the confer- from eco-efficiency (which are often environ- ence statement. The approaches presented were mental as well as monetary) to buy more of rather different: On the one hand more analytical the same product or to buy other products or approaches like environmental reporting (Mar- services which can possibly cause more en- ileena Koskela, University of Turku, Finland) or vironment stressing. On the macro-economic ToSIA (Tool for Sustainability Impact Assess- level, rebound effects appear when more eco- ment of Forest Wood Chains; Tommi Suominen efficiency generating innovations contribute [European Forest Institute, Finland]), on the oth- to an increase of economic growth. On aver- er hand more technological options like biore- age, the rebound effect could diminish the ef- finery concepts (Lin Luo, University of Leiden, fectiveness of eco-efficiency measures by 30 The Netherlands) or lightweight boards (W.R. to 70 %, or even more than 100 %, also called Poganietz, ITAS, Karlsruhe). “back fire”. Research on rebound effects was considered to be among the priorities. The presentations revealed the ongoing -- Problem shifting: Eco-efficiency measures can challenge to use publically available informa- initiate a shifting of environmental burdens to tion on environmental and economic perform- other places or environmental compartments. ance of processes and companies and the lack of Prominent examples are biofuels which can them to generate reliable findings on which the contribute to the reduction of greenhouse gas eco-efficiency of economic activities could be emissions from transport in industrialized assessed. Beside that the discussion in the ses- countries but at the same time provoke higher sion questioned the sustainability of using wood emissions through direct and indirect land as an energy carrier. As an alternative a cascade use changes in developing countries, possibly use of wood and woody products was promoted. over-compensating the achieved reductions.

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-- New drivers: A shift from innovation to eco-in- Anlass, zehn Jahre nach der letzten von der novation requires new drivers with an explicit Bürgerinitiative finanzierten Fachtagung Experten focus on eco-efficiency. Drivers or incentives aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Diszip- to bring about these changes include the use of linen und Organisationen zusammenzubringen, communication tools (green marketing or ad- waren die öffentlichen Debatten um die mögliche vertising, education, awareness raising cam- Einflussnahme von Politikern auf wissenschaftli- paigns), legislation, pricing and other govern- che Ergebnisse im Auswahlprozess für den Endla- mental policies (such as on environment, la- gerstandort und die Aufhebung des Gorleben-Mo- bour, transport). Individual consumers should ratoriums durch die Bundesregierung.2 Diese und be empowered to become concerned citizens. andere Ereignisse der letzten Jahre sollten von Research on consumer behaviour was consid- Experten analysiert und bewertet werden. Ziel der ered important, as well as research on pricing Tagung mit dem Titel „Die Asse säuft ab – Gor- as an instrument for social change, and on leben was nun?“ war, die wissenschaftliche Basis specific needs and perspectives for developing der Argumentation gegen den Salzstock Gorleben countries, more in particular on their abilities als Endlager zu erweitern. Neben geologischen to achieve eco-innovation, supported by fair Aspekten der Standorteignung spielte die Frage technology transfer. A long-list of detailed is- der Angemessenheit des Standortauswahlverfah- sues for further research was approved. rens eine zentrale Rolle, die sowohl aus histori- scher als auch ethischer Sicht diskutiert wurde. Die vortragenden Experten waren entweder uni- « » versitär oder privatwirtschaftlich tätig, oder einer bürgerschaftlichen Organisation zuzuordnen. „Die Asse säuft ab – 2 Historische Erkenntnisse über die Aus- Gorleben was nun?“ wahlverfahren für Asse II und Gorleben Bericht von der „Fachtagung zum Salzstock“ Der Historiker Detlev Möller belegte anhand von Zitaten aus Originalakten die frühe Festlegung Dannenberg, 16.–17. April 2010 von Asse II als Endlager bis zum Jahr 2000, ob- wohl die hohe Gefahr eines Wassereinbruchs be- von Sophie Kuppler, ITAS reits bekannt gewesen sei. Selbst nach dem Ent- decken von Deformationen im Gestein 1977 sei zwar die Handlungsnotwendigkeit erkannt, aber 1 Hintergrund nichts getan worden. Eine Übertragbarkeit der Welche Argumente sprechen gegen eine Nut- Erfahrungen mit Asse II auf den Standort Gor- zung des Salzstocks Gorleben für die tiefengeo- leben sah Möller nur indirekt dadurch, dass Asse logische Endlagerung hochradioaktiver Abfälle? II die einzige Probemöglichkeit für die Endla- gerung in Salz gewesen sei, auf deren Basis die Diese Frage prägte die von der Bürgerinitiative Genehmigung für Gorleben erteilt werden sollte. Umweltschutz Lüchow-Dannenberg organisierte Matthias Edler, Atomexperte bei Green- „Fachtagung zum Salzstock“, für die sich ca. 200 peace, präsentierte die Ergebnisse einer Akten- Teilnehmer vom 16. und 17. April in Dannenberg schau zum Auswahlverfahren des Standorts Gor- im Wendland einfanden. Die am 2. März 1977 leben. Gegenstand dieser Aktenschau waren die gegründete Bürgerinitiative ist ein Zusammen- Studie der Kernbrennstoff-Wiederaufbereitungs- schluss von über 1.000 Atomkraftgegnern und Gesellschaft (KEWA), die im Auftrag des Bun- hat einen sofortigen Ausstieg aus der Kernener- desministeriums für Forschung und Technologie gie zum Ziel.1 Sie engagiert sich maßgeblich ge- von 1974 bis 1976 durchgeführt wurde, die Studie gen die Ernennung des Salzstocks Gorleben als des Interministeriellen Arbeitskreises der nieder- Endlager für hochradioaktive Abfälle. sächsischen Landesregierung (IMAK; 08/1976–

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02/1977) und des TÜV (06/1976–12/1976). Die- der Nähe von Gorleben erklärte er mit Hilfe des se Studien dienten der Auswahl eines Standorts DGH-Effektes (Tauchgleichgewicht). Dieser be- für ein nukleares Entsorgungszentrum, weshalb wirke, dass durch die „Gorlebener Rinne“ Salz- neben geologischen Kriterien für ein Endlager wasser aufsteige. Damit sei der Salzstock nicht weitere, auf die Industrieanlagen des geplanten für die Endlagerung geeignet. Entsorgungszentrums bezogene Kriterien eine Der Kulturhistoriker Ulrich Reiff berichte- wichtige Rolle gespielt hätten. Die TÜV-Studie te über historische Kalibohrungen im Salzstock hätte sogar ganz auf geologische Kriterien ver- Gorleben Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Ge- zichtet. Es sei nicht mehr nachzuvollziehen, von werkschaft Nordenhall habe dort fünf Bohrun- wem und unter welchen Umständen Gorleben als gen vorgenommen und dabei teilweise den Salz- weiterer Standort handschriftlich zur TÜV-Studie stock verritzt. Eine Ausbeutung der Kalisalze sei hinzugefügt worden sei. Edler betonte weiterhin nicht mehr zustande gekommen, allerdings seien den Zeitdruck, unter dem die Entscheidung da- bei der Verfüllung der Bohrlöcher Fehler unter- mals gefällt worden sei, da die Lagerungskapazi- laufen, so dass z. B. teilweise noch Rohre in den täten der Energieversorgungsunternehmen knapp Bohrlöchern steckten. Weiterhin in Betracht zu geworden und damit der Weiterbetrieb der Kern- ziehen sei die Tatsache, dass im Kalibergwerk kraftwerke gefährdet gewesen wären. Die Dring- Wendland Einbrüche von Gas und Laugen auch lichkeit der Entscheidung sei in mehreren Briefen in großen Tiefen Probleme bereitet hätten und des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt weitere Bohrungen der Kaliwerke Teutonia in an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Richtung Wendland aufgrund von Laugenein- Ernst Albrecht betont worden. brüchen abgebrochen worden seien. Welche Be- deutung diese Funde für die Bewertung der Eig- nung des Salzstocks als Endlager hätten, müsse 3 Geologische Argumente gegen die Eig- von Geologen beurteilt werden. nung von Gorleben und Anforderungen an ein Auswahlverfahren Eckhard Kruse, Umweltbeauftragter der Evangelischen Landeskirche Hannover, referier- Ulrich Schneider befasste sich in seinem Vortrag te über ethische Anforderungen an die Endlage- mit geologischen Fragen der Standortsicherheit, rung radioaktiver Stoffe. Im Fall der Endlage- insbesondere mit der Gefahr eines unkontrollier- rung sei aufgrund des bereits vorhandenen Mülls ten Wasserzuflusses in das geplante Endlager. Er nicht die Frage relevant, ob etwas ethisch (un-) wies auf die von der „Bundesanstalt für Geowis- bedenklich sei, sondern man müsse sich der Fra- senschaften und Rohstoffe“ (BGR) bestätigten ge des Umgangs mit dem Falschen stellen. Die Scheitelstörungen hin und die damit verbundene Evangelische Landeskirche Hannover fordere Gefahr eines Wassereintritts und Radionuklidaus- deshalb Beteiligung, Transparenz, standortun- tritts. Es bestehe eine fortwährende Grundwasser- abhängige Kriterien und den Vergleich mehrerer neubildung, was bedeute, dass Oberflächenwasser Standorte und Lagermedien. in tiefere Schichten, bis hin zum Salzspiegel, ein- Jürgen Kreusch befasste sich in seinem Vor- trete und eine Bewegung quer über den Salzstock trag mit der Begründung der Bundesregierung hinweg stattfinde. Ein weiteres Problem sei, dass für die Weitererkundung des Standorts Gorleben, für die Erkundung des Salzstocks der Hauptanhy- wie sie der Pressemitteilung 037/10 des Bundes- drit mehrfach durchfahren werden müsse, was ein ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reak- Sicherheitsrisiko darstelle. Schneider forderte, torsicherheit vom 17. März 2010 zu entnehmen dass BfS und BGR sich widersprechende Daten ist. Er kam zu dem Schluss, dass die angebrach- zur Ausdehnung von Laugenreservoiren in ihren ten Gründe für die Weitererkundung Gorlebens Publikationen klären. weder aus naturwissenschaftlich-technischer, Auch Dieter Ortlam ging auf den Wasser- noch gesellschaftlicher Sicht tragfähig seien und fluss über den Salzstock hinweg ein, der schon deshalb keine Grundlage für eine Aufhebung des seit Ende der 1960er Jahre bekannt sei. Das Vor- Moratoriums bestünde. So sei das jetzige Verfah- handensein von Salzwasser an der Oberfläche in ren nicht geeignet, um bestehende Defizite im

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Auswahlverfahren zu beheben: Der internationa- Vertreters des Bundesamtes für Strahlenschutz). le Peer-review-Prozess diene beispielsweise nur Dies zeige fehlende Offenheit für Argumente. der Bestätigung der Eignung, nicht der Kritik. Dieser einseitigen Besetzung der Tagung Weiterhin sei der Terminus der „Eignungshöf- entsprechend wurden die Beiträge wenig kont- figkeit“ interpretationsleitend bei der Datenaus- rovers diskutiert. Eine differenzierte geowissen- wertung, so dass von ergebnisoffener Erkundung schaftliche Auseinandersetzung wäre allerdings nicht gesprochen werden könne; dies ginge wei- im Rahmen der Tagung ohnehin schwer möglich terhin nur, wenn Standortkriterien schon im Vor- gewesen, da sie nicht der Zielsetzung und Ziel- feld festgelegt würden.3 gruppe entsprach. Positiv ist deshalb das in der Diskussion getroffene Vorhaben zu vermerken, eine separate Diskussionsveranstaltung zwischen 4 Fazit BfS, BGR und bei der Tagung anwesenden Geo- logen zu organisieren. Sollte diese Veranstaltung Die Tagungsbeiträge gaben einen guten Überblick zustande kommen, wäre dies ein wichtiger Schritt über die in der wissenschaftlichen und politischen in der Diskussion um Interpretationsrahmen und Debatte gegen Gorleben als Standort für ein End- Gewichtungen von Forschungsergebnissen. lager vorgebrachten Argumente. Die vielfältigen Hintergründe der Vortragenden führten dabei zu einer Argumentation auf sehr unterschiedlichen Anmerkungen Ebenen. In den wissenschaftlich orientierten bis 1) http://www.bi-luechow-dannenberg.de/ueber-uns/ hin zu rein politischen und journalistischen Vor- geschichte und http://www.bi-luechow-dannen- trägen war eine Vielfalt von Argumentationen zu berg.de/ueber-uns/unsere-ziele beobachten. Diese Vielfalt erschwerte einerseits 2) Im Jahr 2000 wurde von der damaligen Bundesre- Diskussionen, zeigte aber andererseits sehr deut- gierung die Erkundung des Salzstocks Gorleben in lich die hohe Komplexität und weite gesellschaft- Vereinbarung mit den Energieversorgungsunter- liche Fassung des Problems der Endlagersuche, nehmen für längstens zehn Jahre gestoppt, um in die durch eine rein natur- und technikwissen- diesem Zeitraum grundsätzliche Fragen zur End- lagerung und zum Salzstock zu klären. Die zehn schaftliche Debatte nicht gelöst werden kann. Jahre laufen im Sommer 2010 aus (s. auch Pres- Diese Komplexität äußerte sich auch in zwei semitteilung Nr. 037/10 des Bundesministeriums während der Tagung von Referenten und Teilneh- für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit). mern mehrfach geäußerten Kritikpunkten: Ers- 3) Zu den Themen „Atommüll in Bewegung – Die tens wurde beklagt, dass die Arbeit von „Gegen- Endlagerung hochradioaktiver Abfälle gibt es Experten“ sowohl in der Beurteilung der geologi- noch nirgendwo“ (Herman Damfeld) und „Die schen Eignung des Salzstocks Gorleben als auch Asse säuft ab – ein Lehrstück für Gorleben“ (Rolf Bertram) gab es ebenso Vorträge, auf die hier nicht in der Rekonstruktion des historischen Auswahl- eingegangen wird. verfahrens durch den eingeschränkten Datenzu- gang behindert werde. Dies erschwere eine sach- gerechte Beurteilung der Fakten und damit eine « » Diskussion auf Augenhöhe mit den von der Bun- desregierung beauftragten Experten. Diese Dis- kussionen seien aber erforderlich, da das Vertrau- en in Staatshandeln und Behörden aufgrund der geschilderten Erkenntnisse verloren gegangen sei und Intransparenz deshalb nicht geduldet werden könne. Zweitens wurde negativ vermerkt, dass Befürworter der Erkundung in Gorleben bzw. der momentan geplanten Vorgehensweise, nicht der Einladung zur Tagung nachkamen, d. h. sich der Diskussion nicht stellten (mit Ausnahme eines

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Wissenschaftlicher Nachhaltig- polnischen und deutschen Wissenschaftler hatten keitsdialog zwischen Polen und sich im Juni in Białystok auf der internationalen Konferenz „Voraussetzungen und Mechanismen Deutschland der nachhaltigen Entwicklung“ getroffen. Danach Bericht von der III. Polnisch-Deutschen folgte eine Konferenz im Oktober zum Thema Konferenz „Nachhaltige Entwicklung – „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ in Jelenia von der wissenschaftlichen Forschung Góra, und zu guter Letzt im November 2009 dann zur politischen Umsetzung“ die III. Polnisch-Deutsche Konferenz „Nachhalti- Katowice, Polen, 25.–27. November 2009 ge Entwicklung – von der wissenschaftlichen For- schung zur politischen Umsetzung“ in Katowice.2 Veranstaltet wurde sie vom Institut für Technik- von Marta Wachowiak, Deutsch-Polnisches Netzwerk Wissenschaftler für nachhaltige folgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) im Entwicklung, FEST Heidelberg Karlsruher Institut für Technologie (KIT) (Armin Grunwald, Gerhard Banse) und dem Institut für Philosophie der Schlesischen Universität Kato- 1 Politischer Hintergrund wice (Andrzej Kiepas), diesmal in Kooperati- on mit dem Fraunhofer-Zentrum für Mittel- und Die deutsch-polnische Nachhaltigkeitsdebat- te besitzt inzwischen eine längere Geschichte. Osteuropa in Leipzig (Thorsten Posselt) und der Eine erste Konferenz zum Thema fand im Jahr Oberschlesischen Handelshochschule Katowice 2003 in Katowice statt, bevor Polen Mitglied der (Ryszard Janikowski). Eingeladen waren zahl- Europäischen Union wurde. Heute besteht eine reiche Mitglieder des Deutsch-Polnischen Netz- regelmäßige wissenschaftliche Debatte über die werks „Wissenschaftler für nachhaltige Entwick- Umsetzung der Lissabon-Strategie1 im Hinblick lung“ (http://www.deutsch-polnisches-netzwerk. auf die ökologischen, ökonomischen und so- de), aber auch weitere internationale Gäste, unter zialen Ziele zwischen den an die gleichen EU- anderem aus Österreich (Klagenfurt), der Slowa- Richtlinien gebundenen Nachbarn. kischen Republik (Banská Bystrica, Košice), der Das deutsche Bundesministerium für Bil- Tschechischen Republik (Vsetin) und aus Rumä- dung und Forschung geht mit seinem Rahmen- nien (Alba Iulia). Die Veranstaltung hatte zum programm „Forschung für Nachhaltigkeit“ Ziel, den Erfahrungsaustausch vor allem zwischen (FONA) und dem 4. Forum für Nachhaltigkeit Vertretern der Forschung, der Wirtschaft und Po- 2007 in Leipzig auf die Ziele und Themen dieser litik aus beiden Ländern zu stärken. Gleichzeitig Strategie ein. Ergebnis dieses Forums etwa war wurden die Kooperationsideen und Möglichkei- die „Lisbon to Leipzig Declaration – Deklarati- ten einer grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, on für ein nachhaltiges und wettbewerbsfähiges v. a. in den Grenzregionen diskutiert. Europa“, die u. a. von forschungspolitischen Vertretern Polens, Rumäniens und Tschechiens 2 Beiträge und Diskussion unterzeichnet wurde. In diesem Kontext sind die EU-Mitgliedsstaaten allgemein sowie die Nach- Die Konferenz knüpfte einerseits an die in bei- barländer Deutschland und Polen im Speziellen den Ländern aktuell diskutierten Themen wie dazu angehalten, an der Umsetzung der Lissa- Klimaschutz, nachhaltige Ressourcenschonung, boner Richtlinien mitzuwirken. Dabei stehen die Biodiversität und Energie an, andererseits wur- drei großen Dimensionen der nachhaltigen Ent- den neue Herausforderungen hinsichtlich nach- wicklung im Vordergrund. Die Steigerung der In- haltiger Entwicklung diskutiert. Die drei Leitthe- novationskraft Europas erfordert eine ausgewo- men der Konferenz waren deshalb: gene Wechselwirkung zwischen ökologischen, ökonomischen und sozialen Zielen – entspre- • neue Aspekte des Konzepts der nachhaltigen chend dem integrativen Nachhaltigkeitskonzept. Entwicklung, v. a. hinsichtlich neuer politi- Das Jahr 2009 zeigte eine positive Dyna- scher und institutioneller Orientierungen so- mik im bilateralen Nachhaltigkeitsdialog. Die wie Richtungen innovativer Lösungen,

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• Erfahrungen bei der Implementierung von haltiger Entwicklung bezogen insbesondere auf Strategien nachhaltiger Entwicklung, bezo- Energie und nachhaltige Ressourcennutzung“ re- gen insbesondere auf Biodiversität, Energie ferierte Andrzej Graczyk (Ökonomische Akade- und nachhaltige Ressourcennutzung sowie mie, Wrocław) zur nachhaltigen Energieversor- Klimaveränderungen und Klimaschutz, gung im Sinne neuer europäischen Rechte und • Bildung für nachhaltige Entwicklung. Renate Hübner (Universität Klagenfurt) über die Eröffnet wurde die Konferenz, an der mehr als 40 versteckte, sog. „graue“ Energie. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Für viele polnische Teilnehmer war die Er- zahlreiche Studierende teilnahmen, von den Rek- haltung der Biodiversität im östlichen Teil Po- toren der zwei beteiligten Katowicer Hochschu- lens wichtiges Thema, v. a. unter dem Aspekt der len Wiesław Banyś und Krzysztof Szaflarski. weiteren wirtschaftlichen Entwicklung (Bau von Im ersten, als Einführung und Überblick Autobahnen etc.). Bazyli Poskrobko (Białystok) angelegten Panel trugen zunächst Andrzej Kie- verwies in Bezug auf diese Problematik auf die pas und Ryszard Janikowski zum Thema Infor- Rolle des Naturkapitals und seine Bedeutung für mationsgesellschaft und Kulturkapital im Bezug eine ausgewogene nachhaltige Entwicklung. auf nachhaltige Entwicklung vor. Anschließend Der zweite Tag wurde mit einer ausführli- referierte Martin Knapp (ITAS) über das zivilge- chen Debatte über die Bedeutsamkeit von Bildung sellschaftliche Engagement der Bürger im Pro- für nachhaltige Entwicklung komplettiert. Die jekt „WWViews – World Wide Views on Global Vereinten Nationen haben für die Jahre 2004 bis Warming“.��������������������������������������� Der einleitende Überblick wurde ver- 2014 die Dekade „Bildung für nachhaltige Ent- vollständigt durch Vorträge zu Problemen eines wicklung“ ausgerufen. Vor diesem Hintergrund nachhaltigen Konsums (Tadeusz Borys, Ökono- wurden unterschiedliche Erfahrungen dargelegt. mische Akademie, Wrocław) und zum Zusam- Verena Holz (Universität Lüneburg) und Markus menhang von „Verletzlichkeit“ der Gesellschaft Will (Fachhochschule Zittau) referierten über bil- und nachhaltiger Entwicklung (Andreas Metz- dungspraktische Ansätze der Nachhaltigkeit, auch ner-Szigeth, Universität Münster). im Hinblick auf die Komplexität, Perspektivität Der zweite Tag diente der vertiefenden Dis- und Retinität des Konzepts in der Lehre. kussion des in den einführenden Überblicksrefe- Der letzte Tag widmete sich innovativen Lö- raten Dargelegten. Dabei ging es um die institu- sungen bei dem Klimaschutz, zum Beispiel bei der tionellen Umsetzungsinstrumente der Nachhal- Zementherstellung (Gerhard Sardemann, ITAS). tigkeitsstrategien in Deutschland (Jens Boysen), die technische und regionale Foresight als ein Instrument der Nachhaltigkeitspraxis (Leszek 3 Fazit Woźniak, Technische Hochschule Rzeszów), die Herausforderungen der nachhaltigen Entwick- Anliegen der Konferenz war, durch schon exis- lung im Kontext der Globalisierung (Eugeniusz tierende, aber auch durch neu zu knüpfende Kon- Kośmicki, Landwirtschaftsakademie Poznań) und takte zwischen Wissenschaftlerinnen und Wis- die nachhaltige Entwicklung als „Klubgut“ (Jost senschaftlern und Institutionen in den beteiligten Platje, Universität Opole). Berichtet wurde außer- Ländern zu einer besseren Nutzung der Möglich- dem von der jeweiligen regionalen Umsetzung keiten einer wissenschaftlich unterstützten politi- der Nachhaltigkeitsstrategien in Rumänien (Ildiko schen Umsetzung nachhaltiger Entwicklung bei- Tulbure), der Slowakei (Oto Hudec) und Tsche- zutragen. Neben dem, im Rahmen der Veranstal- chien (Jiri Trezner), dabei wurde der Fokus jeweils tung selbst möglichen Wissens- und Erfahrungs- auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ge- austausch, bestand die Zielsetzung v. a. darin, zum legt. Es zeigte sich, dass bei gleicher Zielstellung einen den Informationsaustausch zwischen beiden und weitgehend analogen Problemlagen differen- Ländern zum Thema nachhaltige Entwicklung te Ansätze und Vorgehensweisen bestehen. und ihrer politisch-gesellschaftlichen Umsetzung Bei dem darauffolgenden Panel „Proble- zu verbessern und zum anderen, Kooperationen me der Implementierung von Strategien nach- auf Projekt- und anderen Ebenen zu initiieren.

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Wie die Klimakonferenz in Kopenhagen gezeigt hat, ist die internationale Zusammenar- Autorenhinweise beit notwendig, um dem anthropogenen Klima- Wir bitten alle Autorinnen und Autoren, die ein Ma- wandel entgegen zu wirken. Durch eine gezielte nuskript bei TATuP einreichen, die folgenden Hin- Netzwerkarbeit – auch wenn nur im kleineren weise zu beachten: bilateralen Umfang – verbessern sich die Kom- Umfang: Eine Druckseite umfasst max. 3.500 Zei- munikation und der Informationsfluss zwischen chen (ohne Leerzeichen). Für den Umfang eines den Teilnehmern. Durch den aktiven Austausch Beitrags ist die Rubrik, in der er erscheint, aus- schlaggebend. Genauere Angaben erhalten die Au- von Know-how können neue Problemfelder und toren von der Redaktion. Querschnittsthemen identifiziert, gemeinsame Forschungsarbeiten initiiert und eine deutliche- Abstract: Autoren, deren Beiträge im Themen- schwerpunkt des Heftes oder in den Rubriken TA- re Botschaft nach außen formuliert werden, z. B. Konzepte und -Methoden und Diskussionsforum so- zu Fragen von Nachhaltiger Entwicklung und wie TA-Projekte erscheinen, werden gebeten, ihrem Kultur, zu grenzüberschreitenden Lösungen im Beitrag ein Abstract voranzustellen, in dem eine kur- Energie- und Müllbereich. ze inhaltliche Übersicht über den Beitrag gegeben Die Vorträge und Ergebnisse aus den Dis- wird. Die Länge dieses Abstracts sollte 780 Zeichen kussionen sowie der Erfahrungsaustausch zwi- (ohne Leerzeichen) nicht überschreiten. schen Vertretern aus Deutschland, Polen und den Abbildungen, Diagramme und Tabellen: Abbildun- anderen beteiligten Ländern werden einen Bei- gen und Tabellen sind sowohl in das eingereichte trag zur Nachhaltigkeitsdebatte leisten, der für Manuskript einzufügen sowie auch getrennt von der die Verwirklichung nachhaltiger Entwicklung in ersten Fassung des Manuskripts einzusenden. Abbil- unterschiedlichen Bereichen von zentraler Be- dungen und Tabellen bitte mit Überschrift und Quel- lenangabe versehen. Wurden sie vom Autor selbst deutung ist. erstellt, bitte die Formulierung „eigene Darstellung“ Zwei Publikationen mit den Beiträgen je in als Quellenangabe verwenden Zum Format: Tabel- deutscher und polnischer Sprache werden noch in len sind als Word-Datei, Diagramme in Excel und diesem Jahr im Verlag edition sigma erscheinen. Abbildungen in Adobe Illustrator oder Powerpoint zu liefern. Sollten Sie lediglich andere Formate zur Verfügung haben, wenden Sie sich bitte frühzeitig Anmerkungen an die Redaktion. Aus Gründen der Seitenplanung und des Layouts liegt die Entscheidung über die end- 1) Die Schlussfolgerungen des Vorsitzes, Europä- gültige Größe und Platzierung der Abbildungen und ischer Rat, 23.–24. März 2000, Lissabon finden Tabellen innerhalb des Beitrags bei der Redaktion. sich unter http://www.europarl.europa.eu/sum- Bibliografische Angaben: Die zitierte Literatur wird mits/lis1_de.htm. am Ende des Beitrags als Liste in alphabetischer Rei- 2) Vgl. zu den beiden Vorgängerkonferenzen: Banse, henfolge angegeben. Im Text selbst geschieht dies in G.; Kiepas, A. (Hg.): Nachhaltige Entwicklung: Von runden Klammern (z. B. Bauer, Schneider 2006); der wissenschaftlichen Forschung zur politischen bei Zitaten ist die Seitenangabe hinzuzufügen (z. B. Umsetzung. Berlin: edition sigma 2005; Banse, G.; Maurer et al. 2007, S. 34). Bei den Angaben in der Kiepas, A. (Hg.): Zrównoważony rozwój: Od nauko- Literaturliste orientieren Sie sich bitte an folgenden wego badania do politycznej. Berlin: edition sigma Beispielen: 2005 (poln.); Banse, G.; Kiepas, A. (Hg.): Nachhalti- ge Entwicklung in Polen und Deutschland. Landwirt- Monografien: Bauer, A.; Schneider, B. (Hg.), 2006: schaft – Tourismus – Bildung. Berlin: edition sigma Technikfolgenabschätzung und ihre gesellschaftli- 2007; Banse, G.; Kiepas, A. (Hg.): Zrównoważony chen Implikationen. Berlin rozwój: Od naukowego badania do politycznej strate- Bei Aufsätzen: Maurer, C.; Bauer, A.; Schäfer, D. et gii. Rolnictwo – turystyka – edukacja. Berlin: edition al., 2006: Methodenstreit in der TA? In: Technikfol- sigma 2009 (poln.) genabschätzung – Theorie und Praxis 15/3 (2006), S. 33–40 Bei Internet-Quellen: Waterfield, J., 2006: From « » Corporation to Transnational Pluralism. London; http://www.plugin-tot.com (download 12.3.09)

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verliehen. Die Auszeichnung erfolgte in Aner- ITAS-NEWS kennung seiner langjährigen Verdienste beim Aufbau einer stabilen Partnerschaft im Bereich Forschung und Lehre zwischen der MSU, der Armin Grunwald in „Nationales Akademie der Wissenschaften Moskau einerseits und dem Karlsruher Institut für Technologie und Komitee für Global Change dem ITAS andererseits. Forschung“ berufen Gotthard Bechmann ist Initiator und stell­vertretender Leiter des „�����������������International Re- search Centre for Social Consequences of Sci- Der Leiter des ITAS, Prof. Armin Grunwald, wur- entific and Technological Development and de von der Deutschen Forschungsgemeinschaft Innovation” an der MSU. Ziel der dortigen zum neuen Mitglied des „Nationalen Komitees für Arbeiten ist es, zusammen mit ITAS und dem Global Change Forschung“ (NKGCF) berufen. Institut für Philosophie des KIT die interna- Dieses Komitee war 1996 von der Deutschen tionale interdisziplinäre Technikforschung an Forschungsgemeinschaft eingerichtet worden, der MSU zu verankern. um die deutsche Beteiligung an den großen, vom Zusammen mit Prof. Vitaly Gorokhov „International Council for Science“ getragenen (Direktor des Research Centre) und in Koope- oder mitgetragenen Programmen zu stärken. Das ration mit deutschen und russischen Kollegen NKGCF ist ein Beratungsgremium der Deut- hat Gotthard Bechmann den deutsch-russi- schen Forschungsgemeinschaft und des Bun- schen Master-Studiengang “Philosophie und desministeriums für Bildung und Forschung und Geschichte der europäischen Kultur“ am KIT positioniert sich zu strategisch-wissenschaftlich­ aufgebaut. Dieser Studiengang hat 2009 sei- wichtigen Angelegenheiten. ne Arbeit aufgenommen und zu einem regen Die Schwerpunkte der 4. Mandatsperio- Austausch von Dozenten und Studierenden de (2009 bis 2011) liegen unter anderem bei zwischen der MSU und dem KIT geführt. In- der Weiterentwicklung der vier großen Global- zwischen haben die ersten acht Studierenden Change-Programme WCRP, IGBP, IHDP und den Studiengang erfolgreich mit einem Ab- DIVERSITAS, einer verstärkten Internationa- schluss an KIT und MSU absolviert. lisierung der Forschung zum Globalen Wandel, Darüber hinaus ist Gotthard Bechmann der Mobilisierung von intellektuellen Ressourcen Vorstandsmitglied der „Internationalen Akade- auf dem Gebiet der Global-Change-Forschung mie für nachhaltige Entwicklungen und Techno- in Deutschland sowie der Stärkung der Lö- logien“ (IANET) am KIT, deren Präsident Mi- sungs- und Anwendungsorientierung der Global- chael Gorbatschov ist und die sich insbesondere Change-Forschung unter Einbeziehung des wis- mit deutsch-russischen Forschungs- und Aus- senschaftlichen Diskurses zur Nachhaltigkeit. bildungskooperationen und technologischen Transferleistungen beschäftigt. Er ist zudem seit 2000 Mitglied der Russischen Gesellschaft « » für Philosophie. Neben zahlreichen Veröffentli- chungen in russischen Fachzeitschriften hat er Anfang 2010 eine Publikation zur Struktur und Gotthard Bechmann zum Honorar- Problemen der Wissensgesellschaft auf Rus- professor der Staatlichen Lomonos- sisch veröffentlicht. sow-Universität Moskau ernannt

Die philosophische Fakultät der „Staatlichen « » Lomonossow-Universität Moskau“ (MSU) hat Gotthard Bechmann den Titel eines „Honorar- professors mit vollem Lehr- und Prüfungsrecht“

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Fest-Symposium in Karlsruhe munikationswissenschaften an der Universität Paris II Panthéon-Assas. Seit 2007 arbeitet sie im Institut für Molekular- und Zellbiologie der Peter Janich, Karl-Friedrich Gethmann, Alfons Universität Porto (IBMC). Sie ist außerdem Bora und Michael Nentwich waren die Fest- Mitglied des vom portugiesischen Parlament redner bei einem Symposium zur Technikfol- eingesetzten Nationalen Ethikrats für Lebens- genabschätzung. Dieses fand am 21. Juni 2010 wissenschaften („Conselho Nacional de Ética in Karlsruhe statt, um den 50. Geburtstag von para as Ciências da Vida“). Armin Grunwald zu feiern. Die Mitarbeiterin- Die Lebensmittelchemikerin Dr. Jutta Jahnel nen und Mitarbeiter von ITAS und TAB hatten ist seit 1. Juli 2010 als wissenschaftliche Mitar- diesen Tag für „ihren“ Chef vorbereitet und ge- beiterin im ITAS. Sie promovierte am Bereich meinsam mit dem KIT-Präsidiumsmitglied Dr. Wasserchemie des Engler-Bunte-Instituts im Peter Fritz organisiert. KIT und beschäftigte sich als Post-doc im Rah- men eines DFG-Projektes mit der analytischen Charakterisierung von hochmolekularen organi- « » schen Wasserinhaltsstoffen. Weiterhin war sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Forschungs- stelle der Deutschen Vereinigung des Gas- und Neues BMBF-Projekt „SIGENET Wasserfaches am Engler-Bunte-Institut tätig. Im Health“ Beratergremium „Umweltrelevante Altstoffe“ der Gesellschaft Deutscher Chemiker hat sie drei Jahre im Umfeld des Chemikalienrechts und der Im vom Bundesministerium für Bildung und Stoffbewertung gearbeitet. Letztes Jahr leitete sie Forschung finanzierten Projekt „SIGENET ein Labor zur Untersuchung und Beurteilung von Health“ werden Konzeptions- und Vorberei- Lebensmitteln in der Chemischen und Veterinär- tungsmaßnahmen deutscher Hochschulen zur untersuchungsanstalt Karls­ruhe, einer Behörde Etablierung gemeinsamer Forschungsstruktu- im Bereich des Verbraucherschutzes. Im ITAS ren mit Partnern im asiatisch-pazifischen For- wird sie sich im Rahmen des STOA-Projekts schungsraum entwickelt. Für ITAS wird Peter „NanoSafety“ mit den handlungsorientierten re- Wiedemann mit einer Expertise zur gesund- gulatorischen Aspekten der Risikoabschätzung heitsbezogenen Psychologie sowie Risiko- und von Nanopartikeln beschäftigen. Risikokommunikationsforschung im Bereich Adriana Quintero Márquez arbeitet seit neuer Technologien beteiligt sein. Mai 2010 im ITAS-Projekt „Klimanpassungs- strategie für die Metropolregion Santiago de Chi- le und regionales Lernnetzwerk in Megastädten « » Lateinamerikas“. Nach ihrem Studium „Chemi- cal Engineering“ an der University of America Personalia in Bogotá (Kolumbien) spezialisierte sie sich in Master-Studien an der University of Saragossa, Spanien, sowohl auf regenerierbare Energien Die Philosophin und Sozialwissenschaftlerin (Biomasse) als auch auf „Steam and Gas Tur- Helena Silva Costa ist seit dem 1. Juni 2010 bines/Engines, Cogeneration, Thermal Power als Gastwissenschaftlerin am ITAS tätig und Plants, Gasification and Fluidized bed, CO2 se- wird sich mit ethischen und sozialen Aspekten questration”. Nach einer Anstellung bei der Deut- der Nanotechnologie befassen; dazu gehören schen Vereinigung des Gas- und Wasserfaches insbesondere Fragen der Risikoabschätzung des Engler-Bunte-Instituts am KIT kam Adriana und -kommu­nikation. Sie studierte Philosophie Márquez im Februar 2010 zunächst als wissen- an der Universität Coimbra (Portugal) und steht schaftliche Mitarbeiterin ins ITAS-Projekt „Risk vor dem Abschluss ihrer Promotion in Kom- Habitat Megacity“.

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Seit Juni 2010 ist Maike Puhe am ITAS pean Cooperation in Science and Technology“. als wissenschaftliche Mitarbeiterin tätig. Sie stu- Zudem lehrt er an der Universität Innsbruck. Im dierte Angewandte Geographie, Soziologie und ITAS wird sich Wiedemann mit experimentel- Volkswirtschaftlehre an der Universität Trier. ler TA, d. h. der Analyse von Wechselwirkun- Ihre Interessen liegen vorrangig auf dem Gebiet gen zwischen Technik und Gesellschaft mittels der Mobilitätsforschung und der Entwicklungs- experimentalpsychologischer Ansätze befassen, zusammenarbeit. Zwischen Studium und ihrer und diese insbesondere auf Fragen der Bewer- Tätigkeit am ITAS war sie wissenschaftliche Mit- tung von Energiesystemen beziehen. arbeiterin am Institut für Raumentwicklung und Annika Weiss ist seit dem 1. April 2010 Kommunikation (Trier). Dort arbeitete sie für das Doktorandin am ITAS. Sie studierte Umwelt- Projekt „Statusanalyse kommunaler Fahrradver­ schutztechnik in Stuttgart und Berlin. Ihre Di- leihsysteme“, das vom Bundesverkehrsmini- plomarbeit zur Entwicklung eines biologischen sterium finanziert wurde. Sie wird für das ITAS Verfahrens zur Reinigung von farbstoffbelaste- im EU-Projekt „Technology Options in Urban tem Abwasser verfasste sie an der University of Transport – Changing Paradigms and Promosing Manchester. Dort war sie auch vor ihrem Eintritt Innovation Pathways“ mitarbeiten. am ITAS als wissenschaftliche Mitarbeiterin tä- Laura Margarete Simon ist seit dem 15. tig. In ihrem Dissertationsvorhaben wird sie die Juni 2010 als wissenschaftliche Mitarbeiterin Wasserstoffproduktion mit Mikroalgen system- am ITAS tätig. Sie studierte Diplom-Geogra­ analytisch untersuchen. phie an der Westfälischen-Wilhelms-Universität in Münster. Dabei lagen ihre Schwerpunkte in der „Orts-, Regional- und Landesentwicklung/ « » Raumplanung“ sowie der „Hydrologie“. In ih- rer Diplomarbeit befasste sie sich im Rahmen der HGF-Forschungsinitiative „Risk-Habitat- Lehrveranstaltungen Me­gacity“ mit der Nachhaltigkeitsperformance des Wasser- und Sanitärsektors in Santiago de Armin Grunwald hielt im Sommersemester Chile. Im ITAS arbeitet sie nun im neuen Pro- 2010 am Institut für Philosophie des KIT die jekt „Klimaanpassungsstrategie für die Me- Vorlesung „Technik und Natur: Einführung in die tropolregion Santiago de Chile und regionales Technikphilosophie“. Gegenstand der Vorlesung Lernnetzwerk in Megastädten Lateinamerikas sind philosophische Deutungen der Technik, die – Bereich Wasser“. mit unterschiedlichen Gegenüberstellungen wie Prof. Dr. Peter Wiedemann ist seit dem Technik/Kultur, Technik/Kunst oder Technik/ 1. April 2010 Mitarbeiter im ITAS und setzt Leben arbeiten. Im Rahmen der Vorlesung wur- dort seine Forschungsarbeiten fort. Von 1992 de eine Exkursion zum Campus Nord unter dem bis 2009 war er Leiter der Programmgruppe Aspekt bionischer Technik angeboten. Mensch, Umwelt, Technik am Forschungszen- Gerhard Banse hielt im Sommersemes- trum Jülich. Seine speziellen Forschungsgebie- ter zwei Lehrveranstaltungen: 1. am Lehrstuhl te sind Risikoabschätzung und Evidenzbewer- Technikphilosophie an der Brandenburgischen tung, der Umgang mit undeutlichen Risiken Technischen Universität Cottbus die „Einfüh- und Anwendung des Vorsorgeprinzips sowie rung in die Allgemeine Technologie“. In dieser moralische Urteile und Akzeptanzbewertung. Vorlesung wurden u. a. die historische Entwick- Peter Wiedemann ist Mitglied der Arbeitsgrup- lung einer verallgemeinernden technikwissen- pe „Nicht-ionisierende Strahlung“ sowie des schaftlichen Vorgehensweise nachgezeichnet, Krisenstabs der Strahlenschutzkommission, unterschiedliche Technologiebegriffe mit ihren die das Bundesministerium für Umwelt, Natur- Konsequenzen für Verständnis und Gestaltung schutz und Reaktorsicherheit berät. Er leitet au- technologischer Prozesse diskutiert sowie tech- ßerdem seit 2008 die AG Risiko-Management nologische Grundvorgänge technologischer Pro- des COST-BM-0704-Programms in der „Euro- zesse charakterisiert. 2. am Institut für Arbeits-

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lehre/Technik der Universität Potsdam die Vor- Oliver Parodi leitete im Rahmen der Som- lesung „Allgemeine Technologie“. Betrachtet meruniversität im Mai 2010 die zweitägige Ver- wurden u. a. Arbeitssysteme und ihre Elemente anstaltung „Erfrischend nachhaltig – Erlebnis auf unterschiedlichen Ebenen (Gesellschaft, Be- Wasser“ (Evangelische Akademie, Bad Herren- trieb, Arbeitsplatz). Die Studierenden erhielten alb). Gemeinsam mit Prof. Dr. Hansjörg Seng, außerdem einen Überblick über die historische IWG, und Dr. Georg Lämmlin von der Evan- Entwicklung der Allgemeinen Technologie von gelischen Akademie, stand die Frage nach ei- Beckmann bis in die Gegenwart. ner „Kultur der Nachhaltigkeit“ im Mittelpunkt. Gotthard Bechmann bot im Sommer- Wasser als grundlegendes Lebenselement, als semester 2010 im Studiengang Europäische globale Herausforderung für die Versorgung und Kultur und Ideengeschichte (EUKLID) an der als kulturgeschichtliches Symbol wurde in Vor- Fakultät für Geistes- und Sozialwissenschaften trägen beleuchtet und in sinnlichen Inszenierun- im KIT das Oberseminar „Krise und Kritik der gen mit Wasser erlebbar. Wissenschaft (Max Weber – Martin Heidegger Helmut Lehn bot im Rahmen seines Lehr- – Edmund Husserl)“ an. auftrags im Ethisch-Philosophischen Grundla- Michael Decker bot im Sommersemester gen-Studium am Geographischen Institut der 2010 ein Oberseminar zum Thema „Technikfol- Universität Heidelberg im Sommersemester genabschätzung zur Robotik“ an. Vor dem Hin- 2010 wieder die Veranstaltung „Wasser – ele- tergrund, dass sich seit den ersten Erfolgen der mentare und strategische Ressource des 21. Jahr- Industrierobotik Einsatzbereiche und Leistungs- hunderts. Nachhaltiges Ressourcenmanagement fähigkeit der Robotik erweitert haben und auch als ethische Herausforderung“ an. In Zusammen- „humanoide“ Roboter (u. a. am KIT) entwickelt arbeit mit Thomas Sterr veranstaltete er außer- werden, wurde mit den Studierenden eine Tech- dem eine viertägige wissenschaftliche Exkursion nikfolgenabschätzung von Service-Robotern aus zum Thema „Wasser und Karst“. multi-disziplinärer Perspektive durchgeführt. Liselotte Schebek bot im Sommersemester Dabei wurden Service-Roboter aus technischer, 2010 an TU Darmstadt, Institut IWAR, Fachge- ökonomischer, ethischer, rechtlicher und gesell- biet Industrielle Stoffkreisläufe zwei Vorlesun- schaftlicher Sicht analysiert, um auf der Basis gen an: 1. Stoffstromanalyse und Life Cycle As- dieser Analyse schließlich Handlungsempfeh- sessment – Diese Vorlesung führte in systemthe- lungen zu entwickeln, welche Anwendungsbe- oretische und modelltechnische Grundlagen der reiche für Service-Roboter akzeptabel oder eben Stoffstromanalyse ein. 2. Umweltwissenschaften nicht akzeptabel sind. interdisziplinär, Umweltwissenschaften an der Vitaly Gorokhov leitete im Sommersemes- TUD ‑ Diese Veranstaltung hatte zum Ziel, einen ter 2010 ein Hauptseminar zu den „Hauptkon- möglichst breiten und additiven Überblick über zeptionen der modernen Wissenschaftstheorie“. die verschiedenen eher disziplinär orientierten Neben der Entwicklung der modernen Naturwis- Forschungs- und Arbeitsfelder mit Umweltbezug senschaft und der Notwendigkeit ihrer Selbstre- an der TU Darmstadt zu geben. flexion hinsichtlich ihrer Entwicklung wurden Marcel Weil bot im Sommersemester Konzeptionen der modernen Naturwissenschaft 2010 eine Vorlesungseinheit und Übung zum in der Wissenschaftsphilosophie, der Naturfor- Thema „Ökobilanzierung“ an. Diese Veran- schung in der Kulturgeschichte sowie moderne staltung fand im Rahmen des Master-Moduls Tendenzen in der Technikforschung erarbeitet. „Stoffhaushalt“ an der Bauhaus-Universität in Udo Jeske bot zusammen mit Martina Weimar statt. Klingele im Sommersemester 2010 eine Block- veranstaltung an. Die Vorlesungen an der Fa- kultät für Architektur und Bauingenieurwesen « » an der Hochschule Augsburg standen unter der Überschrift „Ökologische Bewertung von Bau- produkten“.

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Neue Veröffentlichungen im Kontext von Autonomiebestrebungen bewe- gen, die gegenüber externen Erwartungen Indif- Buchpublikation: Ökologische Aufklärung – ferenz und systemintern gefilterte Entsprechungen 25 Jahre „Ökologische Kommunikation“ bereithalten. Bibliografische Angabe: Christian Büscher, Klaus Peter Japp (Hg.): Ökologische Aufklärung. 25 Jahre „Ökologische Kommunikation“. Wiesbaden: VS Ver- lag 2010, ISBN 978-3-531-16931-6, 311 S., 39,90 €

Buchpublikation: Wechselspiele: Kultur und Nachhaltigkeit Gemeinsamkeiten und Differenzen, Berührungs- punkte und Interdependenzen von „Kultur“ und „Nachhaltigkeit“ stehen im Erkenntnisinteres- se dieses Bandes. Was bei diesem Unterfangen sichtbar wird, sind Wechselspiele. Farbig, schil- lernd, dynamisch, schwer zu fassen und doch of- fensichtlich und wirksam zeigen sich die Bedin- gungs- und Beeinflussungsverhältnisse zwischen Kultur und Nachhaltigkeit in Theorie und Praxis. Wohl nicht zuletzt wird es an dieser schwer zu greifenden Vielfalt liegen, dass die Beschäfti- gung mit Kultur nur zögerlich Eingang in die Die Frage, weshalb sich die Gesellschaft nur lang- bereits mehrere Jahrzehnte anhaltenden Debat- sam auf eine ökologische Krise und damit auf eine ten um eine nachhaltige Entwicklung findet. Der mögliche Selbstgefährdung einstellt, ist aktueller vorliegende Band leistet hierfür einen Beitrag denn je. Vor 25 Jahren hat Niklas Luhmann die aus wissenschaftlicher Sicht, indem er das The- Studie „Ökologische Kommunikation“ vorgelegt. menfeld „Kultur und Nachhaltigkeit“ in multi- Es war der systematische Versuch, die Möglich- und interdisziplinärer Weise öffnet und dabei auf keiten der modernen Gesellschaft, auf ökologi- vorschnelle Ab- und Ausgrenzungen verzichtet. sche Probleme zu reagieren, mit Hilfe einer „The- Diesem Grundsatz folgend wird die Diskussion orie der Gesellschaft“ zu bestimmen. Aus der Prä- inhaltlich im Spannungsfeld von kulturellem misse, dass die Gesellschaft einem Primat funkti- Erbe, Globalisierung, Bildung und technologi- onaler Differenzierung unterliegt, folgt Luhmanns schem Wandel geführt. Beobachtung: Funktionssysteme können nur auf Bibliografische Angabe: Oliver Parodi, Gerhard Ban- der Ebene ihrer Programme unter Einbeziehung se, Axel Schaffer (Hg.): Wechselspiele: Kultur und ihres je spezifischen Codes Resonanz auf ökologi- Nachhaltigkeit. Annäherungen an ein Spannungsfeld. sche Probleme erzeugen. Die Autorinnen und Au- Berlin: edition sigma 2010, Reihe: „Global zukunfts- toren dieses Bandes nehmen den 25. Jahrestag der fähige Entwicklung – Perspektiven für Deutschland“, „Ökologischen Kommunikation“ zum Anlass, Ni- Bd. 15, ISBN 978-3-89404-585-2, 386 S., 24,90 € klas Luhmanns Thesen mit Blick auf die aktuellen Entwicklungen auf ihre Plausibilität hin zu dis- kutieren. Die Beiträge beleuchten unter anderem Buchpublikation: Technikfolgenabschätzung. die Resonanz unterschiedlicher Funktionssysteme Eine Einführung – 2. Auflage erschienen wie der Wirtschaft, des Rechts, der Wissenschaft, Die zweite überarbeitete und erweiterte Auflage Politik und Erziehung auf ökologische Probleme. der Einführung in die Technikfolgenabschätzung Dabei ist anzunehmen, dass sich die beobachtba- von Armin Grunwald ist aktuell bei edition sig- ren Resonanzformen in den Funktionssystemen ma erschienen. Die beträchtliche Nachfrage nach

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dieser bislang einzigen Einführung in die Tech- sellschaftlicher oder politischer Sicht gestellten nikfolgenabschätzung, die zunehmende Bedeu- Fragen in ebenso unterschiedlichen Kontexten tung von Technikfolgenabschätzung in der Lehre vorgestellt. Als Vertiefungsfelder wurden die und die seit Jahren zu beobachtende positive Ent- Beiträge der Technikfolgenabschätzung in der wicklung der Technikfolgenabschätzung legten Nachhaltigkeitsbewertung, zur Bewältigung von eine zweite Auflage nahe. Technikkonflikten und zur Begleitung von Inno- Aufgrund der dynamischen Entwicklungen vationsprozessen ausgewählt. im gesellschaftlichen Umfeld der Technikfol- Das Ziel des Buches ist vielmehr, einen all- genabschätzung und in ihren konzeptionell- gemeinen Überblick über die Vielfalt innerhalb theoretischen wie auch methodisch-praktischen der Technikfolgenabschätzung zu geben und Ansätzen konnte die zweite Auflage nicht in dem Leser zu erlauben, sich in dieser Vielfalt zu- einem Wiederabdruck der Erstfassung beste- rechtzufinden. hen. Weite Teile des Buches wurden neu kon- Bibliografische Angabe: Armin Grunwald: Tech- zipiert und manche Textpassagen neu geschrie- nikfolgenabschätzung – eine Einführung. Berlin: ben. Entwicklungen im Bereich der Theorie der edition sigma 2010, Reihe: Gesellschaft – Technik Technikfolgenabschätzung, die breiter gewor- – Umwelt, Neue Folge 1, ISBN 978-3-89404-950- denen Berührungsflächen mit Ethik einerseits 8, 346 S., 24,90 € und der Innovationsforschung andererseits so- wie das Entstehen des Netzwerks TA sind nur Sammelband zur Debatte über „Human einige der Neuerungen. Enhancement“ erschienen Der ursprüngliche problemorientierte An- satz wurde beibehalten. Am Anfang steht eine „Die Debatte über Human Enhancement” lautet Diagnose von Technik und Technisierung so- der Titel eines aktuellen Sammelbandes, der von wie deren Folgen in modernen Gesellschaften. Christopher Coenen, Stefan Gammel, Reinhard Daran anschließend werden der gesellschaftli- Heil und Andreas Woyke herausgegeben wurde che Bedarf nach Technikfolgenabschätzung und und soeben im transcript Verlag erschienen ist. konkrete Erwartungen, was ihr Problemlösungs- „Human Enhancement“, die technologische potenzial angeht, erörtert. Die verschiedenen und pharmakologische Steigerung menschlicher Ansätze der Technikfolgenabschätzung werden Fähigkeiten, ist derzeit Gegenstand vielschichti- als unterschiedliche Antworten auf die aus ge- ger ethischer, politischer und gesellschaftlicher Debatten. Auch das ITAS hat verschiedentlich zu diesem kontroversen Thema gearbeitet (TAB- Brief Nr. 33 vom Juni 2008; STOA-Bericht 2007-13 „Human Enhancement“ vom Mai 2009; TA-Projekt „Pharmakologische und technische Interventionen zur Leistungssteigerung“ des TAB). Dabei zeigte sich nicht zuletzt, dass hier kulturelle, historische und umfassende philoso- phische Aspekte eine ungewöhnlich hohe Rele- vanz besitzen. Der vorliegende Band behandelt daher geschichtliche Hintergründe, kulturelle Aspekte und philosophische Fragen, die in der Debatte über „Human Enhancement“ oft ausge- blendet werden. Dies gilt z. B. für die Utopie- kritik Dostojewskis und für literarische Werke von D.H. Lawrence und M. Houellebecq ebenso wie für eine jüdische Sicht auf die Visionen des Transhumanismus und für Zukunftsprognosen von H.G. Wells, J.B.S. Haldane und J.D. Bernal.

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Bibliografische Angabe: Christopher Coenen, Ste- Vorstellung von zwei neuen fan Gammel, Reinhard Heil, Andreas Woyke (Hg.): Die Debatte über „Human Enhancement“. Histori- Dissertationsprojekten sche, philosophische und ethische Aspekte der tech- nologischen Verbesserung des Menschen. Bielefeld: Beiträge der Mikroverfahrenstechnik zur transcript 2010, Reihe: Science Studies, ISBN 978-3- nachhaltigen Energieversorgung – eine 8376-1290-5, 334 S., 31,80 € Systemanalyse

von Eva Zschieschang, ITAS Dokumentation „Endlagersymposium Berlin 2008“ veröffentlicht 1 Hintergrund Die Dokumentation des „Internationalen End- lagersymposiums Berlin 2008“ wurde im April Am Institut für Mikroverfahrenstechnik (IMVT) dieses Jahres veröffentlicht. Im Mittelpunkt der des KIT wird ein mikrostrukturierter Reaktor zur Berliner Veranstaltung standen gesellschaftliche Herstellung von synthetischen Kraftstoffen aus Erwartungen an die Errichtung eines nuklearen Synthesegas entwickelt. Das angewandte chemi- Endlagers für wärmeentwickelnde Abfälle in sche Verfahren zur Konversion von gasförmigen Deutschland und Fragen der Langzeitsicherheit. Edukten zu flüssigen Kraftstoffen (gas to liquid – Die Dokumentation kann über ITAS (E-Mail: GTL) ist die Fischer-Tropsch-Synthese (Myrstad [email protected]) bezogen und unter 2009). Der Reaktortyp soll zur Nutzung des bei http://www.itas.fzk.de/v/endlagersymposium/ der Erdölförderung mit anfallenden Erdgases auf Tagungsdokumentation_Symposium_final.pdf Ölplattformen eingesetzt werden. Dieses Erdgas direkt herunter geladen werden. wurde bisher aus Kosten-Nutzen-Grün­den abge- Nach den Bemühungen des „Arbeitskreises brannt. Auswahlverfahren Endlagerstandorte“ (AkEnd) Die Mikroverfahrenstechnik (MVT) ist eine Anfang dieses Jahrzehnts wurde unter der junge Wissenschaft. Im Unterschied zur konven- Schirmherrschaft des Bundesministeriums für tionellen, großtechnischen Verfahrenstechnik Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine finden die chemischen und physikalischen Reak- kleinere Reihe von Dialogaktivitäten eröffnet, tionen in Kanälen mit Abmessungen von meist die aktuell vom „Forum Endlager-Dialog“ (FED) unter einem Millimeter statt. Weitere Unterschie- weitergeführt wird (http://www.forum-endlager- de liegen bei der Betriebs- und Prozessführung. dialog.de). Das Forum Endlager-Dialog ist eine Während die MVT mit kontinuierlichen Prozes- plural zusammengesetzte Sondierungsgruppe, sen arbeitet, sind es bei der konventionellen Ver- die Möglichkeiten einer erweiterten Öffentlich- fahrenstechnik hauptsächlich Batch-Prozesse. Die keitsbeteiligung auslotet und dafür Empfehlun- Prozessführung der MVT ist reaktionsorientiert gen entwickelt. und steht im Gegensatz zur anlagenorientierten Bibliografische Angabe zur Dokumentation des der konventionellen Verfahrenstechnik. Für die Endlagersymposiums: Hocke, Peter; Arens, Georg Herstellung von mikrostrukturierten Reaktoren (2010): Die Endlagerung hochradioaktiver Abfälle. und Systemen werden neue Technologien einge- Gesellschaftliche Erwartungen und Anforderungen an setzt (Hessel 2009). Unter Nachhaltigkeitsaspek- die Langzeitsicherheit, Tagungsdokumentation zum ten ist bislang nur wenig bekannt über den Einsatz „Internationalen Endlagersymposium Berlin, 30.10. von MVT zur Energiebereitstellung und -nutzung. bis 1.11.2008“. Karlsruhe/Berlin/Bonn, 158 S.; die ge- Die Entwicklung des Reaktors für Ölplatt- sammelten Audio-Mit­schnitte des Symposiums finden formen soll systemanalytisch begleitet werden. sich unter: http://www.itas.fzk.de/v/Endlagersympo- Anlass dafür sind aus Sicht der Anwender der sium/, die dazugehörigen Präsentationen unter http:// Reaktoren die gestiegenen ökologischen Anfor- www.bmu.de/atomenergie_ver_und_entsorgung/end- lagerung/endlagersymposium/doc/42728.php. derungen an die Ölkonzerne im Zuge der Klima- debatte. Aus Sicht der Entwickler spielen strate- gische Gründe eine wichtige Rolle. Um auf dem « » Markt der Zukunft mit konventionellen Anlagen

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oder Konkurrenzprodukten gleicher oder anderer auf. Vor allem die sLCA ist zurzeit wenig eta- Technologien konkurrieren zu können, soll das bliert, sehr aufwendig und noch Gegenstand in- Reaktordesign nicht mehr nur nach technischen tensiver Forschung. Darüber hinaus lassen sich Effizienzaspekten sondern unter Nachhaltig- Unterschiede in der Aussagekraft der einzelnen keitsaspekten betrachtet werden. Methoden bzw. ihrer Indikatoren abhängig von der spezifischen Komplexität einer Technologie 2 Ziele und ihrer Systemeinbindung sowie ihres Reife- grades vermuten. Die oben genannten Methoden Die Arbeit untergliedert sich in einen anwen- werden im methodischen Teil der Arbeit auf ihre dungsbezogenen und einen methodischen Teil. Anwendbarkeit bei unterschiedlichen Technolo- Im anwendungsbezogenen Teil sollen Schwach- gien hin untersucht. stellen bei der Reaktorfertigung und Anwendung Zunächst werden für verschiedene Fallbei- identifiziert und durch den Vergleich mit- Kon spiele „GTL mit MVT“ mit unterschiedlicher kurrenztechnologien Potenziale für neue An- Komplexität, technologiespezifische „hotspots“ wendungsfelder aufgezeigt werden. Als Ergebnis qualitativ identifiziert, welche einen großen werden Aussagen zu den ökologischen, ökono- Einfluss auf das Bewertungsergebnis erwarten mischen und sozialen Auswirkungen und Poten- lassen. Daraufhin werden dem Stand der Metho- zialen verschiedener Designs, Herstellungstech- denentwicklung entsprechende LCA, LCC und niken und Anwendungsgebiete des mikrostruk- sLCA für die Fallbeispiele erstellt. Wesentliche turierten Reaktortyps im Vergleich zu anderen Inputdaten werden gemeinsam mit IMVT gene- Technologien erwartet. riert. Im nächsten Schritt werden die Ergebnisse Wegen der spezifischen Eigenschaften der der einzelnen Methoden dahingehend untersucht, MVT als neuer Technologie wie auch ihrer ei- inwieweit die jeweiligen hotspots darin Berück- genen Charakteristika sollen die Methoden zur sichtigung finden. Systemanalyse umfassend auf Anwendbarkeit Durch den Vergleich der Analyseergebnisse und Aussagekraft überprüft werden. Dies ist des anwendungsorientierten Teils mit den unter- Aufgabe des methodischen Teils der Dissertati- schiedlichen Methoden und den Ergebnissen des on. Dafür ist im Vorfeld eine Klassifizierung des methodischen Teils (Klassifikation, hotspots) wird Begriffes der Technologien notwendig, um die eine Aussage über die Anwendbarkeit der verwen- deten Methoden zur Nachhaltigkeitsuntersuchung verschiedene Arten und Ebenen von Technolo- des betrachteten Produktes/Systems getroffen. Ge- gien voneinander abzugrenzen und unterschei- gebenenfalls wird eine Modifikation bzw. Erwei- den zu können. Als Ergebnis des methodischen terung der Methodik bzw. Indikatoren angestrebt. Teils soll eine Klassifikation entworfen werden, Als zuverlässig eingestufte Ergebnisse werden in welche die Einordnung verschiedener Technolo- den F&E-Prozess bei IMVT eingespeist. gien ermöglicht. Anhand der Zuordnung soll ein Die Dissertation wird von Prof. Liselotte Methodenpaket für eine angepasste Nachhaltig- Schebek betreut. Andreas Patyk betreut die Ar- keitsanalyse zur Verfügung gestellt werden. beit in der Funktion eines Principal Investigator im TIG-Programm. 3 Forschungsansatz Literatur Die Analysen des anwendungsorientierten Teils Myrstad, R. et al., 2009: Fischer-Tropsch Synthesis der Arbeit erfolgen mit produktbezogenen le- in a Microstructured Reactor. In: Catalysis Today 147 benszyklusbasierten Methoden: Life Cycle As- (2009), S. 301–304 sessment (LCA) für ökologische, Life Cycle Hessel, V. et al. (Hg.), 2009. Micro Process Enginee- Costing (LCC) für ökonomische und Social Life ring. Weinheim Cycle Assessment (sLCA) für soziale Aspekte ISO 14044: 2006. Umweltmanagement – Ökobilanz – (ISO 14044: 2006, Benoît 2009). Die Methoden Anforderungen und Anleitungen weisen hinsichtlich ihres Entwicklungsstandes Benoît, C.; Mazijn, B. (Hg.), 2009: Guidelines for So- und ihrer Praktikabilität erhebliche Unterschiede cial Life Cycle Assessment of Products. UNEP SETAC

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Effekte eingesetzter deliberativer Verfahren orte) schlug ein erster Versuch, ein Beteiligungs- bei der Entscheidungsfindung für ein verfahren zu implementieren, insofern fehl, als Endlager für hochradioaktive Stoffe die Ergebnisse und Handlungsvorschläge nie umgesetzt wurden. von Sophie Kuppler, ITAS Weder in Deutschland noch in der Schweiz haben die Empfehlungen aus den Bürgerbeteili- gungsverfahren rechtlich bindenden Status. Den- 1 Hintergrund noch kann davon ausgegangen werden, dass sie Die Frage des Umgangs mit hochradioaktiven in beiden Ländern Effekte auf die jeweilige End- Abfällen aus Kernkraftwerken ist noch in kei- lagerpolitik hatten und haben werden. Welche nem Land, das über Kernkraftwerke zur Strom- dies sind, ist allerdings noch unklar. gewinnung verfügt, gelöst. In vielen Ländern, so auch in Deutschland und der Schweiz, wird die 2 Ziele geologische Tiefenlagerung dieser Abfälle als sicherste Entsorgungsmethode angesehen. Bis- Ziel dieser Arbeit ist ein Vergleich der Endlager- her wurde allerdings weltweit noch kein solches politiken Deutschlands und der Schweiz mit Fo- Endlager fertig gestellt. Die technische Reali- kus auf deliberative Elemente, also Formen von sierbarkeit scheint gegeben, nicht geklärt ist aber Bürgerbeteiligung. Es soll das Staatshandeln in die Frage der gesellschaftlichen Potenziale und der Suche nach einem Endlager für hochradio- Nebenfolgen, die mit der Endlagerung verbun- aktive Abfälle aufgezeigt und die Wirkungen der den sind, und damit zusammenhängend die ge- eingebundenen deliberativen Elemente analy- sellschaftliche Realisierbarkeit eines Endlagers. siert werden. Das Scheitern der ersten Bestimmungsver- suche für einen Endlagerstandort in Deutschland und der Schweiz am Widerstand der Bevölkerung 3 Forschungsansatz lässt sich als Zeichen des Widerstands gegen den klassischen Regierungsansatz des „decide- Es wird davon ausgegangen, dass das Auswahl- announce-defend“ verstehen, bei dem Entschei- verfahren für ein Endlager weder im deutschen dungen hinter geschlossenen Türen getroffen noch im Schweizer Fall allein im Kontext klas- werden. Die Abhängigkeit von Situationsbeurtei- sischer Entscheidungspfade des jeweiligen Lan- lungen durch Experten und die damit verbundene des analysiert werden kann. Ausgangspunkt für Notwendigkeit, den in die Entscheidungsvorbe- die Analyse im Promotionsprojekt sind daher die reitung involvierten Experten in einer Frage, die aktuelle Diskussion um Governance als Regie- direkten Einfluss auf die Lebenswelt (vgl. Ha- rungsform (z. B. Stoker 1998; O’Connor, van bermas 1981) haben kann, zu vertrauen, führt zu den Hove 2001; van Kersbergen, van Waarden einer höheren Risikoeinschätzung unter den Be- 2004; Schuppert 2008; Mayntz 2009) und Theo- troffenen und einem Misstrauen gegenüber den rien der deliberativen Demokratie, insbesondere zuständigen Behörden, dieses Risiko angemessen nach Habermas (1981) und deren Operationa- zu beurteilen und zu kontrollieren (Wynne 1996). lisierung zur Beschreibung bestehender Parti- Die dadurch in beiden Ländern entstandene zipationsprozesse (z. B. Webler 1995). Beide Blockade im Entscheidungsprozess hatte bislang Ansätze thematisieren die Einbindung nicht re- unterschiedliche Auswirkungen auf die Wei- präsentativ-demokratisch legitimierter Akteure terentwicklung dieses Prozesses im jeweiligen in politische Entscheidungsprozesse. Der Gover- Land: Während in der Schweiz das Auswahlver- nance-Ansatz befasst sich dabei mit Formen der fahren neu konzipiert wurde und nun mehrere Entscheidungsabläufe, während die Theorien der Standorte unter Bürgerbeteiligung verglichen deliberativen Demokratie sich mit der Verfah- werden, wird in Deutschland weiterhin nur der rensqualität beschäftigen. Beide Aspekte sind für Salzstock Gorleben erkundet. Mit dem AkEnd diese Arbeit von Bedeutung, da sowohl Art und (Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstand- Zeitpunkt der Einbindung deliberativer Elemente

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als auch ihre Charakteristika und Art der Durch- O’Connor, M.; van den Hove, S., 2001: Prospects for führung konstitutiv für ihre Rolle im Auswahl- public participation on nuclear risks and policy op- prozess und damit ihre möglichen Effekte sind. tions: innovations in governance practices for sustain- Fokus der Arbeit ist die Frage nach dem ge- able development in the European Union. In: Journal sellschaftlichen Umgang mit komplexen Tech- of Hazardous Materials 86 (2001), S. 77–99 nikfolgen unter Umständen der Ungewissheit. Schenkel, W.; Gallego Carrera, D.; Renn, O.; Dreyer, Die möglichen Nebenfolgen der Endlagerung M., 2009: Sachplan geologische Tiefenlager: Kom- munikation mit der Gesellschaft. Grundlagen für die radioaktiver Abfälle sind zwar teilweise bekannt, Kommunikation in den Standortregionen, Zürich ihre Relevanz wird aber nicht unbedingt von Schuppert, M., 2008: Governance – auf der Suche allen Akteuren gleich bewertet. Die Frage des nach Konturen eines „anerkannt uneindeutigen Be- gesellschaftlichen Umgangs mit Technikfolgen griffs“. In: Schuppert, G. F.; Zürn, M. (Hg.): Gover- muss sich also auch mit Bewertungs- und Priori- nance in einer sich wandelnden Welt. ��������������Politische Vi- sierungsfragen auseinander setzen (z. B. Anders- erteljahresschrift, Sonderheft 41, S. 13‑40 son et al. 2008; Schenkel et al. 2009). Stoker, G., 1998: Governance as theory: five propositions. Eng mit der Frage des gesellschaftlichen In: International Social Science Journal L/155, S. 17–28 Umgangs verknüpft ist die Frage, ob und in- van Kersbergen, K.; van Waarden, F., 2004: ‘Govern- wiefern deliberative Elemente zu hochwertigen ance’ as a bridge between disciplines: Cross-disciplinary Entscheidungen beitragen können, d. h. zu einer inspiration regarding shifts in governance and problems Entscheidung, die einen größtmöglichen Schutz of governability, accountability and legitimacy. In: Euro- von Mensch und Umwelt bietet und gesellschaft- pean Journal of Political Research 43/2, S. 143–171 lich anerkannt ist. Mögliche Ansatzpunkte sind Webler, Th., 1995: Right Discourse in Citizen Partici- dabei Nachhaltigkeitskriterien oder der Ansatz pation. An Evaluative Yardstick. In: Renn, O.; Webler, robusten Wissens (z. B. O‘Connor, van den Hove Th.; Wiedemann, P. (Hg.): Fairness and Competence 2001; Flüeler, Scholz 2004). in Citizen Participation: Evaluating Models for Envi- Zur Einordnung der Bedeutung der mögli- ronmental Discourse. Dordrecht, S. 35–86 chen Effekte deliberativer Verfahren auf die End- Wynne, B., 1996: May the sheep safely graze? A re- lagerpolitiken in Deutschland und der Schweiz flexive view of the expert-lay knowledge divide. In: werden diese vor dem Hintergrund der Frage Lash, S.; Szerszynski, B.; Wynne, B. (Hg.): Risk, En- nach der Angemessenheit der Verfahren aus der vironment and Modernity – Towards a new ecology. London, S. 44–83 Sicht verschiedener Stakeholder und ihrem Bei- trag zu einer hochwertigen Entscheidung disku- tiert werden. « » Die Dissertation wird von Prof. Ortwin Renn betreut. Für das ITAS betreut Peter Hocke- Bergler die Arbeit.

Literatur Andersson, K.; Westerlind, M.; Atherton, E. et al., Manuskripte an die Redaktion 2003: Transparency and Public Participation in Radi- oactive Waste Management. RISCOM II Final report, Die Redaktion der TATuP freut sich über The- SKI Report 2004:08, Stockholm menvorschläge für TA-Projektberichte, Tagungs- Flüeler, T.; Scholz, R.W., 2004: Socio-technical berichte und Buchrezensionen. Wir bitten alle knowledge for robust decision making in radioactive Autorinnen und Autoren, die ein Manuskript ein- waste governance. In: Risk, Decision and Policy 9/2 reichen, die Autorenhinweise zu Umfang, biblio- (2004), S. 129–159 grafischen Angaben, Abbildungen, Tabellen etc. Habermas, J. 1981: Theorie des kommunikativen zu beachten. Sie finden diese Hinweise auf der Handelns. (Bd. 1 und 2). Frankfurt a.M. letzten Seite der gedruckten Ausgabe. Bei Fra- gen können Sie sich auch gerne an die Redaktion Mayntz, R., 2009: Über Governance. Institutionen wenden. E-Mail: [email protected] und Prozesse politischer Regelung. Frankfurt a. M.

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-- das „Practitioner’s Meeting“ für Mitarbeiter TAB-NEWS der Partnerinstitute (zweijährlich im Frühjahr). Der Vorsitz des Netzwerks wechselt jährlich un- ter den EPTA-Partnern. Bis auf das Practitioner’s Neue Themen für das TAB Meeting finden alle Treffen in dem Land statt, das den Vorsitz innehat. In diesem Jahr fand das Früh- jahrstreffen der Direktoren in Kopenhagen und Wie bereits in der Vergangenheit hat auch zu Be- das EPTA Practionier’s Meeting in Berlin statt. ginn der 17. Legislaturperiode der Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät- zung eine neue Themenfindungsrunde bei allen Frühjahrstreffen der Direktoren in Kopenhagen Ausschüssen und Fraktionen des Bundestages initiiert. Bis Anfang April 2010 gingen 67 Pro- Das diesjährige Director’s Meeting fand Mitte jektideen ein, mehr als jemals zuvor. Das Büro Mai in Kopenhagen auf Einladung des Danish für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Board of Technology (DBT) statt. Bundestag (TAB) hat alle Vorschläge kommen- Ein Arbeitsbereich ist die Pflege der seit tiert, versucht, thematisch ähnliche Anfragen zu Jahren anwachsenden Projektdatenbank auf der verbinden und unter Berücksichtigung weiterer Webseite des Netzwerks (http://www.eptanet- Faktoren wie auch der eigenen Ressourcen den work.org). Auf die in ihrer Art einzigartige in- Berichterstattern für TA einen Gesamtvorschlag ternationale Datenbank zu laufenden und abge- für eine mögliche Bearbeitung unterbreitet. In schlossenen TA-Projekten wird kontinuierlich diesem Gesamtvorschlag wurden 36 Projektide- mehr zugegriffen. Die intensive Nutzung kann en aufgegriffen und zu 12 + 6 Projektvorschlä- als Beleg für das Interesse und den Bedarf ge- gen zusammengeführt. Die erarbeiteten Pro- wertet werden. Eine kleine Arbeitsgruppe wird jektskizzen werden gegenwärtig inhaltlich dis- die vergleichsweise schwache Darstellung der kutiert; voraussichtlich wird im Juni 2010 über wachsenden TA-Community in der englischen die Beauftragung endgültig entschieden. Die 12 Version der Internetenzyklopädie Wikipedia Projekte der ersten Staffel werden im TAB-Brief demnächst überarbeiten. Nr. 37 kurz vorgestellt. Zwei neue Projekte, die sich mit der TA- Landschaft in Europa befassen, wurden vorge- stellt und intensiv diskutiert: « » -- „Technology��������������������������������������������� across boarders�������������������“, ein bereits lau- fendes Projekt des STOA, TA-Einrichtung des Europäischen Parlaments, bemüht sich um Diesjährige Treffen im eine Bestandsaufnahme parlamentarischer TA EPTA-Netzwerk in Europa mit dem Ziel, den Bedarf und die Möglichkeiten der Durchführung transnatio- naler, europaweiter TA-Studien zu eruieren. Innerhalb des Netzwerks der Europäischen Par- -- „Parliaments and Civil Society in Technology lamentarischen Technikfolgenabschätzung gibt Assessment“ (PACITA) ist ein von EPTA- es auf unterschiedlichen Akteursebenen regel- Mitgliedern (u. a. auch dem ITAS) bei der mäßig folgende Treffen: EU-Kommission beantragtes Projekt mit vier -- das „Director’s Meeting“ der EPTA-Partner­ Jahren Laufzeit. Aktivitäten zur Förderung der institute (im Frühjahr), Idee parlamentarischer TA in Europa stehen -- das „Council Meeting“, dem die Direktoren dabei im Zentrum. Hierzu sollen u. a. europa- der EPTA-Partnerinstitute und Parlamentarier weite Trainingskurse für Wissenschaftler zu der jeweiligen Länder angehören (im Herbst), Methoden und Konzepten von TA sowie ein -- die „EPTA-Conference“, die der interessierten Austausch von Parlamentariern zu Themen Öffentlichkeit zugänglich ist (im Herbst) sowie der Wissenschafts- und Technologiepolitik or-

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ganisiert werden. Vor allem aber sollen in aus- werden. Dabei konnten zwar keinerlei Rekorde gewählten Ländern, in denen es bisher keine im Hochgeschwindigkeitsrudern mit Wikinger- institutionalisierte (parlamentarische) TA gibt, booten gebrochen werden, einmal mehr aber die Bedingungen und Möglichkeiten des Auf- zeigte sich der gute „Team Spirit“ des Netzwerks. baus von TA-Kapazi­täten eruiert und mögliche Träger der Entwicklung einer nationalen TA- Infrastruktur identifiziert und unterstützt wer- TAB als Ausrichter des EPTA Practitioner’s den. Erfahrene EPTA-Mitgliedsorganisa­tionen Meeting 2010 werden mit Partnern aus den „Nicht-TA-Län- Unabhängig vom jeweiligen Vorsitz wird das dern“ kooperieren. Allgemein wird das Projekt zweijährlich stattfindende Practitioner’s Meeting als hervorragende Möglichkeit der Intensivie- von einem der EPTA-Partnerinstitute organisiert. rung der europäischen Zusammenarbeit und Vor dem Hintergrund seines 20-jährigen Jubilä- der Identifizierung neuer Partner, insbesondere ums hat das TAB die Organisation des Treffens in den osteuropäischen EU-Staaten, begrüßt. für 2010 übernommen. Das Meeting fand Anfang Erfreuliche Neuigkeiten gab es aus dem „Mutter- Mai in Berlin statt. Die knapp 40 Teilnehmer ka- land der TA“, den USA. Gäste vom Loka Institute men aus insgesamt elf Ländern bzw. Partnerorga- in Amherst und vom U.S.������������������������ Government Account- nisationen. Wie bei den vorhergehenden Meetings ability Office (GAO) nahmen am diesjährigen trafen sich langjährige Mitarbeiter und Neulinge EPTA-Direktorentreffen teil. Vom Loka Institu- des EPTA-Netzwerks zu einem intensiven Mei- te wurde über ein in der Entstehung begriffenes nungs- und Erfahrungsaustausch. Erstmalig dabei Netzwerk von TA-Institutionen in den Vereinig- war eine Mitarbeiterin des neuen katalanischen ten Staaten berichtet. Das GAO knüpft – wenn Partnerinstituts sowie als Gast ein Mitarbeiter des auch nicht vom Umfang, so doch dem Geiste U.S. Government Accountability Office (GAO). nach – an die Arbeiten des Office of Technology Vorstellungsrunden, die Gemeinsamkeiten und Assessment (OTA) des amerikanischen KonKon-- Unterschiede der einzelnen Partner betonten, gresses an, das in den 1990er Jahren geschlosse- parallele Gruppenarbeit an einer fiktiven Projekt- nen wurde. Die Tatsache, somit auch in den USA skizze sowie deren Präsentation und Diskussion, wieder einen kompetenten Ansprechpartner für Best-Practice-Beispiele des niederländischen TA zu haben, wurde von den EPTA-Einrichtun- Rathenau Instituts (Use of residual tissue in the gen begrüßt, über eine assoziierte Mitgliedschaft Netherlands), der TA-Swiss (Citizens dialogue on des GAO im EPTA-Netzwerk soll beim Council internet of the future) sowie des flämischen IST Meeting im Herbst entschieden werden. (ICT festival) wie auch Erfahrungen aus EPTA- Neben den Berichten aus den Mitgliedsor- Projekten (ICT and Privacy, GMO Plants and ganisationen gehört zur Routine des Director’s Food, World Wide Views, CIVISTI) bildeten die Meeting auch immer die Klärung der nächsten Programmschwerpunkte. Das Resümee aus den EPTA-Präsidentschaft. Die entsprechende deut- inzwischen abgeschlossenen EPTA-Projekten sche Bewerbung wurde allgemein begrüßt. Wenn mit ihren den jeweiligen Stärken und Schwächen der EPTA-Council dies im November offiziell ist ein wichtiger Erfahrungswert, der einfließen bestätigt, wird das TAB im Jahre 2011 zum zwei- sollte in die Planung zukünftiger internationaler ten Mal nach 2000 die EPTA-Präsidentschaft TA-Projektvorschlä­ge. Es wird deshalb auch der übernehmen. Leitungsebene des EPTA-Netzwerks übermittelt. Das Director’s Meeting klang wie gewohnt Gerahmt wurde dieser in die Zukunft ge- mit Besuchen nationaler FuE-Einrichtungen aus. richtete intensive fachliche Erfahrungsaustausch Auf dem Programm stand ein Besuch des Risoe durch eine rückblickende Auseinandersetzung National Laboratory for Sustainable Energy ����so- mit dem gesellschaftsstrukturellen Ursachenge- wie einer Anlage zur Gewinnung von Ethanol flecht in Deutschland, welches den Nährboden aus Biomasse. Ein (kleines) Stück der Anreise bildete für die folgenschwere politische Entschei- zu Risoe musste von den Teilnehmern rudernd dung 1942 im Haus der Wannseekonferenz. Die im Nachbau eines Wikingerschiffs zurückgelegt Teilnehmer des Practitioner’s Meeting nutzten

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für ihre Fahrt keine Wikingerboote, sondern setz- Neue Mitarbeiter beim TAB ten mit vergleichsweise bescheidenen, aber voll- ständig muskelkraftbetriebenen Drachenbooten über. Auch hier wurde der ausgeprägte Teamgeist Dr. Claudio Caviezel ist seit April 2010 neuer sichtbar und konnte aktiv ausgelebt werden. Mitarbeiter des TAB. Aufgewachsen ist Herr Ca- In der Summe lieferte auch dieses Praktiker- viezel in der Schweiz. An der Eidgenössischen treffen einen Beitrag zu einem tieferen Verständ- Technischen Hochschule in Zürich hat er Physik nis der unterschiedlichen nationalen Ansätze studiert. Anschließend hat er am Max-Planck-Ins- europäischer parlamentarische TA. Das nächste titut für Physik in München an den Grundlagen der EPTA ����������������������������������������Practitioner’s Meeting������������������ wird 2012 voraus- Teilchenphysik und Kosmologie geforscht und auf sichtlich in Dänemark stattfinden. dem Gebiet der theoretischen Hochenergiephysik promoviert. Nach dieser sehr theoretischen Arbeit freut sich Claudio Caviezel darauf, sein physikali- « » sches und technisches Wissen im TAB praxisori- entierter und vielschichtiger anzuwenden. Er wird Ankündigung „Euroscience sich schwerpunktmäßig mit den Themen Energie, Ressourcen und Umwelt beschäftigen. Die Ver- Open Forum“ vom 2. bis 7. Juli stärkung für das TAB-Team kommt zur richtigen in Turin Zeit, werden doch vom Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung vor- aussichtlich mehrere neue TAB-Projekte in die- Das Euroscience Open Forum (ESOF) ist eine sem Themenbereich zur Bearbeitung beschlossen. zweijährlich stattfindende große Wissenschafts- Sein Einstieg beim TAB ist die Mitarbeit an der messe sowie ein Informations- und Diskussions- laufenden TA-Studie „Technische Optionen zum forum für Vertreter aus Wissenschaft, Wirtschaft Management des CO -Kreislaufs“. und Politik sowie der interessierten Öffentlich- 2 Seit Juni 2010 verstärkt Johanna Kniehase keit mit regelmäßig mehreren Tausend Teilneh- das Sekretariatsteam des TAB. Zu ihren Aufga- mern. In Europa gilt sie als größte Publikums- ben gehören die Unterstützung des Sekretariats veranstaltung zu Themen aktueller wissenschaft- im Kommunikations- und Organisationsmanage- lich-technischer Entwicklung. Austragungsort ment, die Bearbeitung von TAB-Arbeitsberich- wird, nach Stockholm (2004), München (2006) ten und die Pflege und Aktualisierung der Web- und Barcelona (2008), in diesem Jahr Turin sein. seiten des TAB mit den dazugehörenden Daten- Wie schon vor zwei Jahren werden die mei- banken. Sie wird Aufgaben von Gaby Rastätter sten EPTA-Einrichtungen – auch das TAB – zu übernehmen, die nach elf verdienstvollen Jahren der Session mit dem Thema „Inspiring future im TAB – zuerst in Bonn und dann in Berlin – im policies: how technology assessors can best stim- August 2010 zum ITAS nach Karlsruhe zurück- ulate the political debate“ im Rahmen des wiswis-- kehren wird. senschaftlichen Programms aktiv beitragen. Die- se gut zweistündige Diskussionsrunde wird von STOA, dem TA-Beratungsgremium des Europä- « » ischen Parlaments, organisiert und geleitet. Die diesbezügliche Feinplanung wurde beim EPTA Director’s Meeting in Kopenhagen diskutiert, TAB-Berichte im Bundestag und das Programm wurde verabschiedet. Erfreu- lich ist insbesondere, dass eine ganze Reihe von Der TAB-Arbeitsbericht Nr. 128 „Transgenes Parlamentariern aus den Mitgliedsländern ihre Saatgut in Entwicklungsländern – Erfahrun- Teilnahme an der Veranstaltung zugesagt hat. gen, Herausforderungen, Perspektiven“ wur- de im März 2010 abschließend beraten und zur « » Kenntnis genommen. Auch der Bericht Nr. 132

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„Biomedizinische Innovation und klinische For- Das TAB legt die ersten drei englischspra- schung – Wettbewerbs- und Regulierungsfra- chigen Titel vor, die Themen umfassen, für die gen“ wurde mit Kenntnisnahme im März 2010 auch im Ausland ein besonderes Interesse erwar- abgeschlossen. Der TAB-Arbeitsbericht Nr. 133 tet werden kann. Es handelt sich dabei um „Blockaden bei der Etablierung neuer Schlüs- -- „Development Through Electronic Networks. seltechnologien“ wurde vom federführenden Information and Communication Technolo- Ausschuss für Bildung, Forschung und Technik- gies in “ von Christopher Coenen und folgenabschätzung am 5. Mai 2010 ohne Präsen- Ulrich Riehm, tation abgenommen. Die Veröffentlichung als -- „Gene Doping. Scientific Basis – Gateways Bundestagsdrucksache ist vorgesehen. – Monitoring“ von Katrin Gerlinger, Thomas Auf Initiative des Ausschusses für Arbeit und Petermann und Arnold Sauter Soziales wurde 2006 das TA-Projekt „Chancen -- „Greenhouse������������������������������������������� Gas – Bury it into Oblivion. Op- und Perspektiven behinderungskompensierender tions and Risks of CO2 Capture and Storage“ Technologien am Arbeitsplatz“ initiiert. Nachdem von Reinhard Grünwald. es 2009 mit dem TAB-Arbeitsbericht Nr. 129 ab- geschlossen wurde, hat die Arbeitsgruppe Arbeit Die Bücher können von der Website des TAB und Soziales der Bundestagsfraktion Bündnis 90/ heruntergeladen werden. Ein Bezug gedruckter DIE GRÜNEN das TAB-Pro­jektteam am 17. Mai Exemplare über den Buchhandel ist momentan 2010 eingeladen, um Optionen für ihre weitere noch nicht möglich. politische Befassung zu diskutieren. 2011 – zehn Jahre nach Einführung des Neunten Sozialgesetz- « » buches, mit dem ein behindertenpolitischer Pa- radigmenwechsel vollzogen werden sollte ‑ wird eine umfangreiche Evaluation der politischen Neue Veröffentlichungen Maßnahmen erwartet. Der TAB-Bericht mit sei- ner Situationsbeschreibung, den sich ergebenden TAB-Arbeitsbericht Nr. 133: „Blockaden bei der Schlussfolgerungen und möglichen Handlungs- Etablierung neuer Schlüsseltechnologien“ (Juli optionen liefert eine gute Grundlage für die sich 2009; Autoren: Axel Thielmann, Ann Zimmer- abzeichnende politische Befassung mit der The- mann, Stephan Gauch, Michael Nusser, Juliane matik. Es ist ein gelungenes Beispiel für eine gute Hartig, Sven Wydra, Clemens Blümel, Knud Blind) zeitliche Abstimmung von wissenschaftlicher Im globalen Wettbewerb um die weltweiten Märk- Analyse und politischer Überarbeitung. te ist es für die exportorientierte Volkswirtschaft Deutschlands von elementarer Bedeutung, Ergeb- « » nisse von Forschung und Entwicklung sowie in- novative Ideen rasch zur Anwendung zu bringen. Auch ist eine schnelle Diffusion und Etablierung Ausgewählte TAB-Berichte jetzt konkreter Produkte und Verfahren im Markt ge- auch in englischer Übersetzung gen oftmals starke Konkurrenz erforderlich. Wel- che Faktoren aber entscheiden über den Erfolg im Innovationswettbewerb? Und welche Möglich- Um die internationale Sichtbarkeit der parla- keiten bestehen für Forschungs-, Bildungs- und mentarischen Technikfolgenabschätzung beim Innovationspolitik, Blockaden zu beseitigen und Deutschen Bundestag zu erhöhen, werden zu- günstige Rahmenbedingungen zu schaffen? künftig, auf Anregung der Vorsitzenden des Bun- Der TAB-Arbeitsbericht Nr. 133 untersucht, destagsausschusses für Bildung, Forschung und welche fördernden und hemmenden Faktoren in Technikfolgenabschätzung, Ulla Burchardt, aus- Deutschland über die Umsetzung von Schlüssel- gewählte Berichte des TAB auch in englischer technologien, die Schaffung deutscher Vorreiter- Übersetzung publiziert. märkte und damit über nachhaltige Exporterfolge

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entscheiden. Der Untersuchungsauftrag wurde che technischen, rechtlichen und gesellschaftli- durch den Ausschuss für Bildung, Forschung und chen Herausforderungen müssen dazu bewältigt Technikfolgenabschätzung dahingehend konkre- werden und worin kann der Beitrag der Politik tisiert, anhand dreier Fallstudien – Nanoelektro- bestehen? Die Autoren analysieren im Lichte nik als Querschnittstechnologie,­ Windenergie als dieser Fragen den Status quo und die Perspekti- Anwendungstechnologie, MP3-Player und Mi- ni-Beamer als Anwendungen – spezifische und ven des Ubiquitären Computings und illustrieren übergreifende Faktoren und damit Ansatzpunkte ihre Befunde an Beispielen u. a. aus Handel, Lo- für die politische Gestaltung des deutschen Inno- gistik und Gesundheitswesen. Die faszinierende vationssystems zu identifizieren. „Heinzelmännchentechnologie“ des Ubiquitären Der unter der Federführung des Fraunhofer Computings muss allerdings von den Beteiligten ISI erarbeitete TAB-Innovationsreport zeigt auf, in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik noch um- welche Blockaden auf den unterschiedlichen fassend fit gemacht werden, sollen ihre Anwen- Ebenen Kosten, Wissen, Markt und Institutionen dungen tatsächlich wirtschaftlich attraktiv, sozial über die verschiedenen Phasen des Innovations- prozesses hinweg von besonderer Relevanz wa- verträglich sowie hilfreich bei der Bewältigung ren bzw. sind. Zudem werden aus der Perspek- gesellschaftlicher Probleme werden. tive einer systemischen Innovationspolitik über- Die Buchpublikation basiert auf dem TAB- greifende Handlungsoptionen herausgearbeitet. Arbeitsbericht Nr. 131: „Ubiquitäres Compu- Die Zusammenfassung des TAB-Arbeitsbe­ ting“ (Mai 2009). Die Zusammenfassung des richts Nr. 133 ist unter http://tab-beim-bundes- Berichts ist unter http://tab-beim-bundestag.de/ tag.de/de/publikationen/berichte/ab133.html de/publikationen/berichte/ab131.html verfügbar. abrufbar. Das Druckexemplar des TAB-Arbeits­ berichts Nr. 133 kann beim TAB-Sekretariat (E-Mail: [email protected]; Fax: 030 / 28491-119) angefordert werden.

Michael Friedewald, Oliver Raabe, Daniel J. Koch, Peter Georgieff, Peter Neuhäusler: Ubi- quitäres Computing. Das „Internet der Dinge“ – Grundlagen, Anwendungen, Folgen. Berlin: edi- tion sigma 2010, Bd. 31, ISBN 9783836081313, 300 S., € 27,90 Als neuer Band in der Reihe „Studien des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag“ bei der edition sigma ist das Buch „Ubiquitäres Computing. Das ‚Internet der Dinge’ – Grundlagen, Anwendungen, Folgen“ erschie- nen. Ubiquitäres Computing, die komplexe elek- tronische Vernetzung von Dingen, die kommuni- zieren, gilt weltweit als ein erfolgversprechender Innovationspfad. Intensive FuE-Aktivitäten und politische Strategien gelten dem Ziel, praxistaug- liche Technologien und Anwendungen zu beför- dern. Wo stehen wir augenblicklich auf dem Weg zum „Internet der Dinge“? Welche praktischen Projekte zeigen bereits jetzt das Potenzial auf, das mit der Umsetzung der Grundidee des Ubiquitä- ren Computings ausgeschöpft werden kann? Wel- « »

Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 127 NETZWERK TA

NETZ- WERK TA Einführung ins Konferenzthema Technikfolgenabschätzung wurde von Beginn an mit dem Systembegriff verknüpft. System- analytisches Denken sollte dazu beitragen, das Spektrum der Technikfolgen möglichst umfas- send zu erkennen, entsprechende Bewertungen Ankündigung der 4. Konferenz vorzunehmen, Handlungsoptionen zu entwic- des Netzwerks TA keln und ggf. auch Empfehlungen auszuspre- chen. Der Systemblick bezog und bezieht sich in Berlin, 24.–26. November 2010 der Innovations- und Technikanalyse (ITA) nicht nur auf technische, sondern auch und gerade auf Vom 24. bis 26. November 2010 findet im Ta- sozio-technische Systeme. Sein Kern liegt in der gungszentrum „Neue Mälzerei“ in Berlin die Berücksichtigung der gesellschaftlichen (ökono- vierte Konferenz des Netzwerks Technikfolgen- mischen, politischen, sozialen, kulturellen etc.) abschätzung (NTA4) statt. Die diesjährige Ta- „Einbettung“ neuer Technologien. Insofern TA gung wird sich dem Thema „Der Systemblick seit den 1980er Jahren verstärkt im Kontext der auf Innovation – Technikfolgenabschätzung in Technikgestaltung (shaping technology) verortet der Technikgestaltung“ widmen. Ziele der Kon- wird – auf welchen Ebenen der Technology��������������� Gov- ferenz sind, den prospektiven „Systemblick“ ernance auch immer –, hat sich der Systemblick der TA zu reflektieren und Möglichkeiten und zunehmend auf Innovationen erweitert. Grenzen in Technikgestaltung und Innovations- In der Realisierung des Systemblicks der politik zu erkennen, Anwendungsmöglichkeiten ITA treten (mindestens) drei spezifische grundle- und Praxisbeispiele zu präsentieren, zu disku- gende Probleme auf: tieren und auszuwerten, sowie methodische und konzeptionelle Herausforderungen und -- es handelt sich um einen prospektiven Sys- Weiterentwicklungen zu erarbeiten und deren temblick, in dem die bekannten Probleme der Möglichkeiten und Grenzen zu diskutieren. Zu Unsicherheit prospektiven Wissens um die diesem Zweck werden bei der NTA4 die beiden Breite und Komplexität der betrachteten Sys- Typen von „Systemblick“, die in der Innova- teme gesteigert werden. Diese Steigerung der tions- und Technikanalyse relevant sind, näm- Unsicherheit wirft epistemologische Fragen lich „Infrastrukturelle Innovation – Transition auf und führt zu besonderen methodischen Management“ und „Schlüsseltechnologien – Herausforderungen an TA-Verfahren. zwischen Anwendungsoffenheit und Innovati- -- es müssen wissenschaftlich-technische Ent- on“, in zwei thematisch fokussierten Sektionen wicklungen in einem zukünftigen Nutzungs- behandelt und durch eine methodologische Sek- kontext vorgestellt werden, was die Kombina- tion „Systemanalyse – methodische Herausfor- tion technischer und sozialer Systembetrach- derungen für TA“ ergänzt. tungen erfordert und besondere Anforderungen Die Konferenz wird vom Institut für Tech- an die Bestimmung der Systemgrenzen richtet. nikfolgenabschätzung und Systemanalyse -- es tritt ein charakteristisches Spannungsfeld (ITAS) am Karlsruher Institut für Technologie zwischen Umfassendheit und Detailliertheit (KIT) zusammen mit dem Institut für Technik- auf: Das systemanalytische Vorgehen zielt folgen-Abschätzung in Wien (ITA), dem Ins- häufig auf quantitative Bestimmungen,- wel titut für Wissenschafts- und Technikforschung che einen hohen Detaillierungsgrad voraus- der Universität Bielefeld (IWT), dem Zentrum setzen, der sich jedoch nur schwer für die ge- Technik und Gesellschaft der TU Berlin (ZTG) samte Analyse realisieren lässt. Hier kommt und dem Zentrum für Technologiefolgen-Ab- es zur Herausforderung, den angemessenen schätzung der Schweiz (TA-SWISS) veranstal- Grad an Detailliertheit zu realisieren. Ent- tet und vom deutschen Bundesministerium für scheidungen in konkreten Projekten müssen Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt. getroffen werden, welcher Detaillierungsgrad

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in welcher Analyse angestrebt wird und wie mangelt bzw. dieses erst durch einen methodi- die Ergebnisse dieser Detailuntersuchungen schen Schritt (Roadmap, Szenarioanalyse,­ etc.) in den größeren Rahmen integriert werden. konstruiert werden muss. Diese Probleme verhindern, dass der System- Sektion 3: Systemanalyse – methodische Her- blick der ITA im Sinne eines Planungsoptimis- ausforderungen für TA. Die angedeuteten Span- mus eingesetzt werden kann. Auch wenn man nungsfelder und Herausforderungen liegen quer mit TA-Blick zu Technikgestaltung und Innova- zu diesen beiden grundlegend unterschiedlichen tion beiträgt, kann dies, so die These, das Prob- Formen des Systemblicks der TA. Damit stellen lem nicht-intendierter Folgen nicht eliminieren: sie aber gleichzeitig methodische Herausforde- Die Integration systemisch denkender TA in die rungen an die TA, weil konkrete Projekte me- Technikgestaltung transformiert Unsicherheiten, thodische Lösungen für diese Spannungsfelder beseitigt sie aber nicht prinzipiell. Vielmehr geht erfordern. Die Möglichkeiten und Grenzen die- es darum, der “Transformation“ dieser Unsicher- ser Methoden, jeweils in Projektkontexten disku- heiten nachzuspüren und Wege zum Umgang mit tiert, ist Gegenstand dieser Sektion. ihnen aufzuzeigen.

Adressierte Disziplinen Aufbau der Konferenz In den Beiträgen zur NTA4-Konferenz - den ein- Sektion 1: Infrastrukturelle Innovation – Tran- geladenen Vorträgen, den eingereichten Vorträgen sition Management: TA in infrastrukturellen und den Postern - werden die in der Beschreibung Transformationsprozessen (Energie, Elektromo- der Sektionen aufgeworfenen Fragen zum einen bilität, Wasserver- und -entsorgung, Gesundheit, Informations- und Kommunikationsinfrastruktur, auf der konzeptionellen Ebene und zum ande- Transportinfrastruktur). In diesen „Systemen“ ren anhand von konkreten Fallstudien behandelt sind zentrale Infrastrukturen in sich gefestigt und werden. In diesen Fallstudien wird anhand von in alle Gesellschaftsbereiche implementiert. Für „good����������������������������������������������� practices“��������������������������������� dargestellt, wie TA mit den me- Innovationen, selbst wenn sie in der „ex ante“- thodischen Herausforderungen der Systemanalyse Analyse Erfolg versprechende und gesellschaft- umgeht. Für eine Betrachtung im systemanalyti- lich wünschenswerte Veränderungen mit sich schen Kontext bieten sich in erster Linie Informa- bringen, stellen diese gefestigten Systeme hohe tions- und Kommunikationstechnologie, Bio- und Umsetzungshürden dar. Beispielsweise sehen Gentechnologie, Nanotechnologie und die „Con����- sich Elektroautos im auf Verbrennungsmotoren verging Technologies“,��������������������������� sowie Energietechnologi- optimierten Individual-Verkehrssystem einer en. Aus denjenigen Bereichen, die bereits auf eine solchen Hürde gegenüber, obwohl ihnen das Po- hinreichende geschichtliche Erfahrung zurück- tential zugeschrieben wird, zu einer nachhaltigen blicken können, können die über die Jahre verän- Entwicklung beizutragen. derten Vorgehensweisen bei der Systemanalyse Sektion 2: Schlüsseltechnologien – zwischen An- hervorgehoben und reflektiert werden. wendungsoffenheit und Innovation. TA in Inno- An der NTA4 teilnehmen können daher vationsprozessen, die aus zunächst recht anwen- Wissenschaftler und Praktiker aus folgenden dungsoffenen Schlüsseltechnologien erwachsen Bereichen: Technikfolgenabschätzung und an- (z. B. Nanotechnologie, Materialforschung). grenzende Felder wie Innovationsforschung, Hier sind zwei Möglichkeiten zu unterscheiden: Systemanalyse oder Innovations- und Technik- Zum einen Schlüsseltechnologien, die in ge- analyse; für das Thema der Konferenz einschlä- festigten Infrastruktursystemen „antreten“, für gige wissenschaftliche Disziplinen (Natur- und diese gilt das für Sektion 1 genannte, und Inno- Technikwissenschaften einerseits, Sozial- und vationen, die in neuen, vielleicht auch zukünfti- Kulturwissenschaften andererseits); Politik und gen „Systemen“ etabliert werden sollen. Dann Wirtschaft; Zivilgesellschaft (z. B. Nichtregie- entsteht das Problem, dass es an Systemwissen rungsorganisationen).

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Postersession für Nachwuchswissenschaftler Innovative Konzepte für ein Fach- Die Konferenz will den wissenschaftlichen portal Technikfolgenabschätzung Nachwuchs besonders fördern und führt des- Workshop am 28. Juni 2010, Karlsruhe halb eine Postersession ausschließlich mit jun- gen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Der Workshop, der von ITAS für das Netzwerk durch, die auf dem Gebiet der Technikfolgenab- TA in Karlsruhe ausgerichtet wurde, diente dazu, schätzung im Allgemeinen oder zum Thema der das von der IuK-Gruppe des NTA entwickelte Konferenz arbeiten. Zu diesem Zweck werden Konzept für ein Fachportal der Technikfolgenab- Diplomanden, Doktoranden sowie Jungwissen- schätzung (TA) zur Diskussion zu stellen. Durch schaftler (bis zu fünf Jahre nach der Promotion) die Beiträge nationaler Experten aus den Berei- Konferenzstipendien zur Finanzierung der Rei- chen Fachinformation und Wissenschaftskom- se- und Übernachtungskosten gewährt. munikation sollten aktuelle Entwicklungen und Weitere ausführliche Informationen zur innovative Konzepte in der Fachinformation zur Konferenz NTA4 können auf der Konferenzho- Kenntnis gebracht und mit Blick auf ihre mögli- mepage http://www.itas.fzk.de/v/nta4 abgerufen che Eignung für ein TA-Portal erörtert werden. werden. Dort wird in Kürze auch ein Formular Die Ergebnisse des Workshops werden in für Online-Anmeldungen zur Verfügung stehen. einen Antrag bei der DFG auf Förderung eines Darüber hinaus können ausführliche Informatio- Fachportals TA einfließen. ITAS als federführen- nen zum „Netzwerk TA“ auf http://www.netz- der Antragsteller hat sich Anfang 2010 mit ande- werk-ta.net eingesehen werden. ren Einrichtungen aus dem KIT zusammengetan: mit der KIT-Bibliothek und mit Instituten der Kontakt angewandten Informatik, die einschlägige Erfah- Prof. Dr. Michael Decker rungen beim Aufbau von Internet-Portalen und Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 30 07 Web 2.0-Entwicklungen aufweisen. Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 06 Armin Grunwald, Leiter des Instituts für E-Mail: [email protected] Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse, Dr. Martin Knapp betonte, dass der Zusammenschluss der Technik- Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 25 13 folgenabschätzung im NTA die Chancen für den Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 67 15 Austausch und die Kooperation unter den Wis- E-Mail: [email protected] senschaftlern erhöhe und ermögliche, dass sich Karlsruher Institut für Technologie (KIT) TA als Fachgemeinschaft und leistungsfähige Institut für Technikfolgenabschätzung und System- Wissenschaft der Öffentlichkeit besser präsentie- analyse (ITAS) ren könne. Für beide Ziele sei eine Kommunika- Postfach 36 40, 76021 Karlsruhe tionsinfrastruktur auf dem neuesten Stand heut- zutage eine unabdingbare Voraussetzung. Ulrich Riehm, Büro für Technikfolgen- « » Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB), der die IuK-Gruppe des NTA leitet, erläuterte zunächst die Besonderheiten der TA-Communi- ty, die wegen ihrer institutionellen Vielfalt, der Vielzahl beteiligter Disziplinen und dem ver- gleichsweise noch mangelndem Reifungsgrad – verglichen mit etablierten Wissenschaften – noch nicht ausreichend gut vernetzt sei und derzeit auch mit einer noch wenig entwickelten Struk- tur er Fachinformation und Fachkommunikation auskommen müsse: So gäbe es z. B. keine Re- view-Zeitschrift, keine thematisch einschlägigen

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Datenbanken und kein Fachportal. Von der tech- öffentlichen Zugang mit News, Zugängen zur nischen Seite liege eine Herausforderung in der Fachinformationen etc. Auf einer zweiten Ebene großen Heterogenität der bei den Mitgliedern des bieten sie die Infrastruktur für die wesentlichen Netzwerks vorhandenen Systeme und Daten. Ge- Tätigkeiten des Wissenschaftlers. nauso wichtig wie die Lösung dieser technischen In der Diskussion wurde deutlich, dass Por- Fragen sei es aber, eine Anreizstruktur zu entwic- tale in der Tat die Art und Weise verändern, wie keln, die eine dauerhafte Nutzung und Weiterent- Wissenschaft betrieben wird. Bezweifelt wurde, wicklung des TA-Portals sicherstellen kann. Der dass es für die TA-Community sinnvoll wäre, Schlüssel dazu liege darin, dass das Mitwirken sich auf die globalen Dienste, die die Industrie an dem gemeinsamen Fachportal gleichzeitig bietet, schon einzulassen. Es wurde vermutet, auch das Webangebot jeder beteiligten Einrich- dass dieser Ansatz für gut etablierte Disziplinen tung verbessere. Das soll dadurch gelingen, dass mit einer ausgebauten Fachinformations- und jeder für das Portal kooperativ erzeugte Dienst Publikationslandschaft, deren Output sich in den auch auf der Ebene der einzelnen Einrichtung großen Systemen abbilden lässt, wesentlich bes- wiederverwendet werden kann – angepasst an ser geeignet ist als für die disperse, erst im Ent- die je konkreten Bedarfe der jeweiligen Institute. stehen begriffene TA-Fachcommunity. Den Reigen der Vorträge eröffnete Karl-Wil- Michael Hohlfeld von der vascoda-Ge- helm Neubauer, Leitender Direktor der Universi- schäftsstelle, die an der Technischen Informati- tätsbibliothek Bielefeld i. R., einer der Pioniere bei onsbibliothek (TIB) angesiedelt ist, stellte vasco- der Einführung digitaler Bibliotheksdienstleitun- da, das „Einstiegsportal für die wissenschaftliche gen in Deutschland und immer noch ein Vorden- Literaturrecherche“ vor. Daran sind weit über 40 ker. Sein Vortrag war im positiven Sinne provo- wissenschaftliche Bibliotheken, Fachinformati- kativ. Eine Schwachstelle der Portalentwicklung onsanbieter und wissenschaftliche Einrichtungen sei häufig, dass einzelne Module (Suchmaschine, beteiligt. Darunter sind z. B. alle Bibliotheken, Metasuche, Link Resolver, Rechteverwaltung, die eine Virtuelle Fachbibliothek betreiben und Liefersystem, Repositiorien, diverse Social������������ Serv- die zentralen Fachbibliotheken, die Fachportale ices) individuell zusammengesteckt und dann mit unterhalten. Wegen mangelnder Nutzung sowie großem institutionellen und finanziellen Aufwand fehlender bibliotheks- und förderpolitischer Un- harmonisiert werden müssten. Die Entscheidung „make���������������������������������������������� or buy“,����������������������������������� die lange Zeit für das Selberma- terstützung wird das Portal in der jetzigen Form chen getroffen wurde, könne heute anders ausfal- nicht weiterbetrieben werden. Es seien nicht len. Die Industrie biete heute globale Dienste (���Re- technische Probleme gewesen, sondern die Ei- source Management Systeme) an, die individuell geninteressen der Mitgliedsorganisationen seien über Schnittstellen lokal angepasst werden könn- zu unterschiedlich und die Bereitschaft zur Ko- ten. Gedacht war dabei etwa an den von OCLC operation zu gering gewesen. Andere Beispiele (Online Computer Library Center) koordinierten zeigten dagegen, dass es funktionierende Anreiz- Dienst „WorldCat Local“, in dem nicht nur 190 strukturen für auf Kooperation angewiesene Vor- Millionen Bibliotheksobjekte, sondern auch zu- haben durchaus geben kann. Von den vielen Bei- nehmend die großen wissenschaftlichen Daten- spielen wurde „beluga“, das „Katalog 2.0-Pro- bankanbieter und Verlage ihre Inhalte einspeisen. jekt“ der Hamburger Bibliotheken besonders Eine zweite Anregung war, die Idee des Portals herausgestellt. In der Frage „make���������������� or buy“����� op- bis zum Wissenschaftlerarbeitsplatz zu durchden- tierte Hohlfeld anders als sein Vorredner stärker ken. Der iGoogle-Dienst wurde als Illustration für das „��������������������������������������make“���������������������������������� und plädierte dabei für den Ein- herangezogen, um zu zeigen, wie sich ein Wissen- satz von Open-Source-Software. Für ein Portal schaftler heute seinen „Desktop“ als sein Portal für Technikfolgenabschätzung sei die Frage nach mit diversen Diensten individuell zusammen bau- einzubindenden Datenquellen relevant und da en kann. Portale haben demnach zwei Funktionen seien die Virtuellen Fachbibliotheken und Fach- zu erfüllen: Als Community-Portal dienen sie der portale, die es schon gibt, ins Auge zu fassen. Die Außendarstellung und bieten einen allgemeinen vascoda-Geschäftsstelle könne da behilflich sein.

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Peter Kostädt von der Universitäts- und tungsanspruch geltend machen könne. Deshalb Stadtbibliothek Köln zeichnete den Weg zu ei- müsse beim Aufbau von Portalen von Anfang nem Bibliotheksportal für die USB Köln nach. an auf die Kooperation mit bestehenden Porta- Zu den Anregungen, die sich daraus für die Ent- len und anderen Anbietern gesetzt werden. Wie wicklung eines Portals TA ziehen lassen, gehört andere schon vorher, betonte auch er den Wert sicherlich die konsequente Umsetzung einer des „ReUse“: also die Wiederverwendung von service-orientierten Architektur. Wichtig daran bekannten Inhalten und Diensten, aber auch das ist, dass dem Benutzer eine einheitliche Oberflä- Zulassen der Wiederverwendung durch andere che über alle Dienste geboten wird. Er oder sie (über „lightweight APIs“). kommt gar nicht mit den Eigenheiten der inter- Andreas Schmidt vom Forschungszen- nen und externen Datenbanken, auf die zugegrif- trum Informatik am KIT beschäftigte sich mit fen wird, in Berührung. dem Nutzen von Ontologien für Fachportale. Thomas Severiens, Universität Osnabrück, Ein möglicher Nutzen wurde am Beispiel des lenkte die Aufmerksamkeit wieder darauf, dass Projekts SOBOLEO „Social Semantic Book-Book- sich mit dem Web 2.0 (Twitter, Social Networks, marking“ verdeutlicht, bei dem ein typischer Bibsonomy, Recommender etc.) der wissen-wissen- Web 2.0-Dienst wie das „social bookmarking“ schaftliche Prozess selbst verändert und dass mit Ontologien verbunden wird. Wollte man es deshalb Ausdrücke wie „social���������������������� media����������“ und „���so- einfach sagen, würde das Tagging����������������������,��������������� also das Ver- cial networking“��������������������������������� treffender seien. Sein besonde- schlagworten von Inhalten wie es bei vielen Web res Interesse galt Open Access (OA)-Projekten, 2.0-Diensten üblich ist, verbunden mit der Ent- die Web 2.0-Ansätze verwenden. Ausgehend wicklung eines kontrollierten Vokabulars. von dem OA-Netzwerk, einem Projekt, in dem Kurzum, der Workshop informierte praxis- möglichst viele der 138 (Stand Januar 2010) in nah über Entwicklungen in der Fachinformation Deutschland vorhandenen Repositorien vernetzt und beispielhafte Dienste. Wichtig war der Hin- werden sollen, kam er auf das darauf aufbauende weis, bei den Nutzern eines Portals neben der Öffentlichkeit und den TA-Einrichtungen auch Projekt DOARC (Distributed Open-Access Re- stärker an den einzelnen Wissenschaftler und sei- ference Citation Services) zu sprechen, das Nut- ne Arbeitsumgebung zu denken. Bestätigt finden zern des OA-Netzwerks Import und Export von wir uns in der Betonung des „ReUse“ zentraler Referenzen in Standardformaten wie BibTeX und Dienste in lokalen Kontexten. Wichtig war es EndNote bieten will sowie ein Netzwerk von Zi- auch, die Frage des „make or buy“ noch einmal tationsrelationen, das unter Mitarbeit der Nutzer neu aufzuwerfen. Die Bedeutung der frühzeiti- entstehen soll. Zwei weitere interessante Dien- gen und vielseitigen Kooperation mit anderen In- ste, die erläutert wurden, sind der Zusammenfas- itiativen und Anbietern wurde unterstrichen, und sungsdienst „Papercore“, in dem Zusammenfas- wir freuen uns, dass der Workshop auch in dieser sungen wissenschaftlicher Publikationen geboten Hinsicht schon jetzt Früchte getragen hat. werden, die selbst wieder bewertet werden kön- nen. Mit Qualitätsbewertungen arbeitet auch die (Knud Böhle) Diskussionsplattform IUWIS (thematisch geht es um Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft). Gerade die letztgenannten Beispiele sind anre- « » gend, wenngleich einem sofort Gründe einfallen, warum sie so wahrscheinlich nicht in der TA- Community funktionieren würden. Patrick Danowski (IST Austria, Wien) frag- te provokant, ob wir überhaupt noch Portale brauchen, antwortete aber dann mit einem Jein. Dienste zu integrieren und Daten zu aggregieren mache durchaus Sinn, aber man müsse sich klar sein, dass ein Portal heute keinen Alleinvertre-

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Eine umfangreichere und regelmäßig aktualisierte Liste von Veranstaltungen, die für die Technikfolgen- abschätzung interessant sein könnten, befindet sich auf der ITAS-Website unter „TA-Veranstaltungska- lender” (http://www.itas.fzk.de/deu/tatup/tatup-veranstaltung.htm).

25.–29.8.2010 Conference Tokyo (JP) 35th 4S Annual Meeting STS in Global Contexts http://www.4sonline.org/meeting

2.–4.9.2010 Konferenz Trento (IT) EASST‘2010 The European Association for the Study of Science and Technology http://events.unitn.it/en/easst010/about-conference

13.–17.9.2010 Summer School Dubrovnik (HR) Beyond Knowledge Society: Scientific knowledge production, consumption and transformation International Graduate Summer School, Inter University Centre (IUC) http://www.itas.fzk.de/v/dubrovnik/ Contact: Simon Pfersdorf, email: [email protected]

16.–17.9.2010 Tagung Berlin (DE) Pharmakologische Leistungssteigerung – doch wozu? Human Enhancement zwischen Utopie und Trivialität Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften in Kooperation mit dem Medizinhistorischen Museum der Charité „Leben 3.0 und die Zukunft der Evolution“. Kontakt: Arnold Sauter, E-Mail: [email protected]

23.9.2010 Conference Wien (AT) Nanotrust: Approaches to risk assessment and risk management of nanotechnologies Österreichische Akademie der Wissenschaften, Institut für Technikfolgen-Abschätzung http://nanotrust.ac.at/nano10/ Contact: [email protected]

29.9.–2.10.2010 Second Annual Conference Darmstadt (DE) Society for the Study of Nanoscience and Emerging Technologies (S.NET) http://www.philosophie.tu-darmstadt.de/nanobuero/snet2010/welcome.de.jsp Contact: [email protected]

7.–8.10.2010 Tagung Mainz (DE) Interdisziplinäre Forschung zwischen gesellschaftlicher Erwartung und wissenschaftlichem Geltungsanspruch Europäische Akademie Bad Neuenahr-Ahrweiler GmbH http://www.ea-aw.de/veranstaltungen/tagungen/herbsttagung-2010.html Kontakt: Katharina Mader, E-Mail: [email protected]

21.10.10–30.6.11 Fellowship Programme 2010-2011 Graz (AT) Institute for Advanced Studies on Science, Technology and Society (IAS-STS) http://www.ifz.tugraz.at/index_en.php/article/articleview/315/1/38/ Contact: Günter Getzinger, email: [email protected]

27.–28.10.2010 Conference Santiago de Chile (CL) Santiago Sustentable 2030. Sustainable Urban Development in Latin American Megacities Final Conference of the “Risk Habitat Megacity” Project http://www.risk-habitat-megacity.ufz.de/

24.–26.11.2010 Tagung Berlin (DE) NTA4 – Vierte Konferenz des „Netzwerks TA“ Der Systemblick auf Innovation – Technikfolgenabschätzung in der Technikgestaltung Karlsruher Institut für Technologie (KIT), Institut für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) http://www.itas.fzk.de/deu/news/2010/21.htm Kontakt: Martin Knapp, E-Mail: [email protected]

Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis 19. Jg., Heft 2, Juli 2010 Seite 133 IMPRESSUM

Herausgeber: Redaktion: Institut für Technikfolgenabschätzung Dr. Peter Hocke-Bergler und Systemanalyse (ITAS) Prof. Dr. Armin Grunwald KIT-Campus Nord Constanze Scherz Karlsruher Institut für Technologie (KIT) Hermann-von-Helmholtz-Platz 1 Technische Gestaltung: D-76344 Eggenstein-Leopoldshafen Gabriele Petermann Tel.: +49 (0) 72 47 / 82 - 68 93 Fax: +49 (0) 72 47 / 82 - 48 06 E-Mail: [email protected] [email protected] URL: http://www.itas.fzk.de

ISSN 1619-7623

Die Zeitschrift „Technikfolgenabschätzung – Theorie und Praxis“ erscheint parallel als gedruckte und elekt- ronische Version. Die elektronische Version findet sich unter: http://www.itas.fzk.de/deu/tatup/inhalt.htm

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