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GfBS 36 2019 newsletter

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GfBS news 36 2019 impressum Umschlagsfoto: Männchen von Liebe GfBS-Mitglieder, Achrioptera manga, das blaue Wunder aus Madagaskar | Foto: Frank Glaw am 6. Mai wurde in Paris der Bericht des Weltbiodiversitäts- rates (IPBES) veröffentlicht, der sich mit dem aktuellsten For- Foto: privat Herausgeber: Gesellschaft für Biologische Systematik e.V. schungsstand über den Zustand (GfBS), Museum für Naturkunde und die Entwicklung der bio- Invalidenstr. 43, D-10115 Berlin logischen Vielfalt befasst. Die Botschaft des Berichts Geschäftsführerin: Cathrin Pfaff ist eindeutig: Der Zustand der Natur verschlechtert Universität Wien, Abteilung für Paläontologie sich dramatisch. Die Menschheit verbraucht Res- Geozentrum, UZA II, Althanstrasse 14, sourcen in einer Schnelligkeit, die weit über die Fähig- A-1090 Wien keit des Planeten zur Selbsterneuerung hinausgeht. Tel.: +43-1-4277/535 21 Bis zu eine Million Arten sind vom Aussterben be- Fax: +43-1-4277/9535 eMail: [email protected], droht, viele davon bereits in den nächsten Jahrzehnten Internet: www.gfbs-home.de und viele, die wir noch überhaupt nicht kennen. Schriftleiter: Ralph O. Schill (verantwortlich) Das Artensterben ist längst nicht mehr nur ein öko- Gerstenmühlstr. 3/2, D-72070 Tübingen logisches Problem. Zunehmend werden ganze Öko- eMail: [email protected] systeme instabil und damit die Grundlage für Nahrung, Druck: Printzipia, eine Marke der sauberes Wasser und frische Luft. Der Bericht stellt bonitasprint gmbh, Würzburg den weltweit akzeptierten Sachstand zum Zustand impressum Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos, der Natur dar und Politiker und Wissenschaftler aus Dias, Bücher usw. wird nicht gehaftet. Die ge- über 100 Mitgliedstaaten nahmen an den Beratungen samte Zeitschrift einschließlich aller ihrer Teile des Weltbiodiversitätsrats in Paris teil. Schon we- ist urheberrechtlich geschützt, soweit sich aus nige Tage später war das Anfang Mai allgegen- dem Urheberrechtsgesetz und sonstigen Vor- wärtige Thema aus der Presse wieder verschwunden. schriften nichts anderes ergibt. Jede Verwer- tung ist ohne schriftliche Zustimmung des Und jetzt? Verlages unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover- Die GfBS und ich wünschen einen schönen Sommer. filmungen und die Einspeicherung und Ver- arbeitung in elektronischen Systemen. Copy- right für Inhalt und Gestaltung – falls nicht Ihr Ralph Schill ausdrücklich anders vermerkt – bei GfBS. Der „GfBS Newsletter“ ist das Mitglieder- magazin und das offizielle Organ der Gesell- schaft für Biologische Systematik e. V. (GfBS). Er erscheint zweimal jährlich. Der Bezug des „GfBS Newsletter“ ist im Mitgliedsbetrag der Diese Broschüre ist Gesellschaft enthalten. auf 100% Recyclingpapier ISSN 1867-6766 (Printausgabe) (FSC zertifiziert) klima- ISSN 1867-6774 (Internetausgabe) neutral gedruckt

GfBS news 36 2019 3 GfBS intern GfBS

Liebe GfBS-Mitglieder,

wie Sie wissen, ist nach der Tagung der GfBS-Mitglieder in seiner ganzen vor der Tagung. Wir schauen zurück Breite. Neben den zahlreichen Fach- auf eine erfolgreiche, toll organisierte beiträgen gab es in diesem Jahr auch 20. Jahrestagung, zu der Susanne einen öffentlichen Abendvortrag mit Renner im Februar diesen Jahres die der Absicht, die Inhalte der GfBS stär- GfBS an das Botanische Institut der ker in die Gesellschaft zu tragen. Rund LMU München eingeladen hatte. Als zwei Jahrzehnte nach ihrer Gründung Rahmenthema stand die Rolle der natur- ist die Kompetenz der GfBS und ihrer kundlichen Sammlungen im Mittel- Mitglieder mehr denn je auch außer- punkt, aber die Vielfalt der Vorträge und halb der wissenschaftlichen Commu- Poster reflektierte das Themenspektrum nity gefragt, und es steht uns gut an, weiter darüber nachzudenken, wie die Gesellschaft aktiv eine Vermittlungs- rolle übernehmen kann. So fand im Rahmen der Münchner Tagung auch ein von der GfBS finanziell unterstütz- ter Workshop statt, in dem es darum ging, wie wissenschaftliche Inhalte am besten in die Medien und die Öffent- lichkeit gebracht werden können. Eine der Kernfragen für viele von uns. Der Vorstand der GfBS ist jederzeit offen für Vorschläge von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern, wie die Gesellschaft hier noch kreativer und aktiver werden kann. Erst einmal finden Sie aber in dem Ihnen vorliegenden GfBS-News- letter einen ausführlicheren Bericht über die Tagung in München.

Gastgeberin Prof. Susanne Renner und der Redner des öffentlichen Abendvortrags, Prof. Johannes Vogel, Generaldirektor vom Museum für Natur- kunde Berlin | Foto: privat

4 Die Vorbereitungen für die nächste Jahrestagung allerdings haben bereits begonnen. Matthias Glaubrecht vom Centrum für Naturkunde (CeNak) lädt die GfBS und ihre Mitglieder zur 21. Jahrestagung der Gesellschaft nach Hamburg ein. Hauptorganisator des Hamburger Teams ist Andreas Schmidt- Rhaesa. Der Tagungstermin ist der 12.-15. Februar 2020, und die Ver- anstaltung wird in den Räumlichkeiten des CeNaks stattfinden. Es ist der erste Mal seit Bestehen der GfBS, dass die Jahrestagung in Hamburg stattfindet, und ich freue mich bereits jetzt auf eine vielfältige und spannende Veranstaltung. Bitte merken Sie sich den Termin bereits jetzt fest vor, und melden Sie Ihre Beiträge an, sobald die Organisatoren den Startschuss geben. Machen Sie auch Michael Ohl | Foto: privat Werbung in Ihren Arbeitsgruppen und motivieren Sie Ihre Studierenden, sich an der Tagung zu beteiligen. Die GfBS wird erneut Reisekostenzuschüsse für Studierende zur Verfügung stellen.

Mit diesem Ausblick wünsche ich Ihnen Mit herzlichen Grüßen, eine schöne Ferienzeit! Ihr Michael Ohl

GfBS news 36 2019 5 Zu 20. Jahrestagung der GfBS Zu Gast am Botanischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München

Von 24.-27. Februar 2019 fand die 20. about the drivers of global change: Jahrestagung der GfBS am Botanischen climate change, habitat change, poll- Institut der Ludwig-Maximilians- ution, or invasive species”, wurde in Universität (LMU) in München statt. zahlreichen Vorträgen aus den unter- Unter der Schirmherrschaft von Frau schiedlichsten Disziplinen aufgegrif- Professorin Dr. Susanne Renner war dies fen. Insgesamt gab es 83 Einreichungen, die erste GfBS-Tagung, die zur Gänze darunter auch zahlreiche Poster, die in von einem botanischen Institut aus- ausgiebigen Poster-Sessions mit Wein gerichtet wurde. Der niedrige Ta- und Snacks begutachtet werden konnten. gungsbeitrag von 40€ ermöglich- te es vielen Studenten, die Tagung Die Konferenztage wurden jeweils von zu besuchen, und resultierte mit 120 einem Keynote Vortrag eingeleitet: Teilnehmern in einer erfreulich ho- Dr. Hernán A. Burbano vom Max-Planck- hen Beteiligung. Das Thema der Institut für Entwicklungsbiologie in Tagung, „How collections can inform Tübingen präsentierte seine Forschung zum Thema „Reinforcing plant evolu- tionary genomics using ancient DNA“. Dr. Gudrun Kadereit vom Institut für Mo- lekulare Physiologie der Johannes Gu- tenberg-Universität in Mainz brachte den Tagungsteilnehmern ihren Forschungs- schwerpunkt in einem Vortrag mit dem Titel „The evolution of carbon-concentra- ting mechanisms and C4 and CAM photo- synthesis in a changing world“ näher.

Die besten Vortrags- und Posterbeiträ- ge von Jung-Wissenschaftlern wurden auch dieses Jahr wieder von einer von den JuSys organisierten Jury ausgewählt und prämiert. Der erste Platz des Vor- tragspreises ging an Benedikt Wiggering (Universität Hamburg) für seinen Beitrag „Independent evolution of viviparous modes: An overview of reproductive di- versity of Cerithioidean snails with an emphasis on Australian fresh- water | Foto: Susanne Renner Thiaridae”, der zweite Preis an Florian

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Melzer (LMU München), und der drit- te an Franziska M. Willems (Universität Tübingen). Die Preise für die besten Poster gingen an Jenny Melo Clavijo (Universität Wuppertal, 1. Preis) für ihren Beitrag „Transcriptomic evidence that photosymbiont recognition in cnidari- ans and sacoglossans depends on pat- tern recognition receptors (PRRs)“, sowie an Jana Olefeld (Universität Duisburg- Essen, 2. Preis) und Marianna Simões (Senckenberg Forschungsinstitut Frank- furt, 3. Preis).

Der Bernhard Rensch-Preis ging dieses Jahr an Dr. Alexander Zizka (Universität Göteborg) für seinen Beitrag „Big data Gastgeberin Prof. Dr. Susanne Renner | Foto: privat insights into the distribution and evolu- tion of tropical diversity“.

Erstmals wurde auch ein öffentlicher Tagung zudem ein Workshop über populärwissenschaftlicher Abendvor- Wissenschaftsvermittlung unter dem trag organisiert. Eingeladen war Titel „Wie kommt (m)ein Thema in die Professor Dr. Johannes Vogel, Direktor Medien?“ statt. des Naturkundemuseums in Berlin. Sein mitreißender Vortrag zum Thema Wir danken sehr herzlich für die Gast- „Innovation mit Partizipation“ war ein freundschaft und den beteiligten Plädoyer an die Museen, ihre Rolle in Personen, allen voran Professorin der Gesellschaft wahrzunehmen, in- Dr. Susanne S. Renner (LMU), Professor dem sie Bürgerinnen und Bürgern Dr. Marc Gottschling (LMU), Dr. Andreas durch Partizipation an wissenschaft- Fleischmann (Botanische Staatssamm- lichen Prozessen die wissenschaft- lung), Dr. Stefan Schmidt (Zoologische liche Denkweise verständlich machen. Staatssammlung), Dr. Tanja Schuster Der Abschluss der Tagung wurde im (LMU) und allen ungenannten Helfern berühmten Augustiner-Keller gefeiert. für die perfekte Organisation und den reibungslosen Ablauf! Mit finanzieller Unterstützung der GfBS fand im Anschluss an die eigentliche Dominique Zimmermann, Wien

GfBS news 36 2019 7 Zukunftsvisionen rund um Funktionsmorphologie und Bionik GfBS 60. Phylogenetisches Symposium fand in Tübingen statt

Das Phylogenetische Symposium ist Redner mit unterschiedlicher Perspektive ein seit 1956 stattfindendes Diskus- Die acht Redner/innen beleuchteten sionsforum über aktuelle Fragestel- das Thema der Veranstaltung aus ganz lungen der organismischen Evolutions- unterschiedlichen Perspektiven. Drei biologie (Schmitt & Sudhaus 2018). Das Beiträge näherten sich aus konzepti- 60. Jubiläum dieser Veranstaltung fand oneller Richtung dem Thema und er- vom 23. bis 25.11.2018 unter der Über- läuterten, was eine funktionsmorpho- schrift „Funktionsmorphologie und logische Sichtweise zum Verständnis Bionik“ in der traditionsreichen Paläon- der Evolution beitragen kann und wo tologischen Schau- und Lehrsammlung die Grenzen dieses Erklärungsansatzes der Universität Tübingen statt (Abb. 1, liegen. Dabei wurde auch durchaus ein Werneburg & Betz 2018). Der Titel sollte kritischer Blick auf die Entwicklungen in den Brückenschlag zwischen den funk- der Bionik geworfen. tionellen und evolutionären Heraus- forderungen in der Biologie und der Prof. Dr. Wolfgang Maier (Tübingen, bionischen Forschung demonstrieren. Abb. 2A) wies in seinem Vortrag unter Die Grundlage der Bionik ist die Idee, daß anderem darauf hin, daß die Funktions- die belebte Natur durch evolutionäre morphologie und Bionik davon profi- Veränderungen optimierte Strukturen tieren, wenn über eine rein funktionale und Prozesse entwickelt, von denen der Betrachtung morphologischer Struk- Mensch für seine Technik lernen kann. turen hinaus auch der Entstehung von Organismen, das heißt ihrer Ontogenese und Phylogenese, Beachtung geschenkt wird.

Abb. 1. Tagungsphoto mit den meisten Teilnehmern. 1) Henrik Stöhr, 2) Markus Grams, 3) Dennis Hazerli, 4) Anna-Christin Joel, 5) Christian Fischer, 6) Ingmar Werneburg, 7) Wolfgang Maier, 8) Erika Mickoleit, 9) Tor- ben Göpel, 10) Jonas Rusak, 11) Jens Runge, 12) Ellen Schulz-Kornas, 13) ?, 14) Robert Asher, 15) Caroline Wil- lich, 16) Carina Edel, 17) Anita Roth-Nebelsick, 18) Christoph Allgaier, 19) Xenia Schlindwein, 20) Christoph Gert Höpel, 21) Stephan Lautenschlager, 22) Michael „Theo“ Schmitt, 23) Wilfried Konrad, 24) Stefan Fischer, 25) Leif Moritz, 26) Peter Rühr, 27) Markus Lambertz, 28) Margret Weißbach, 29) Eva Gebauer, 30) Christian Wirkner, 31) Tatiana Miranda, 32) Benjamin Sampalla, 33) Sonja Thielen, 34) Sylke Frahnert, 35) Roxane Ba- umgarten?, 36) Alexander Blanke, 37) Manuela Schmidt, 38) Juliane Hinz, 39) Gert Tröster, 40) Ulrich Witzel, 41) Alfons Renz, 42) Tobias Massonne, 43) Yaron Malkowsky, 44) Jan Wölfer, 45) Hans-Ulrich Pfretzschner, 46) Klaus Rehfeld, 47) Antonio Cordero, 48) James Nebelsick, 49) Manfred Drack, 50) Juliane Vehof, 51) John Nyakatura, 52) Jindřich Brejcha, 53) Gerhard Mickoleit, 54) Martin Baehr, 55) Oliver Betz, 56) Achim Menges, 57) Benjamin Eggs, 58) Walter Sudhaus | Foto: privat

8 GfBS news 36 2019 9 Dr. Alexander Blanke (Köln, Abb. 2B) Computersimulation zuverlässige Funk- verwies in seinem Vortrag auf das tionsanalysen fossiler Strukturen durch- Konzept einer phänotypischen Formen- geführt werden können. Auch Prof. Dr. vielfalt (Disparität), die er der reinen Thomas Speck (Freiburg, Abb. 2E) wid- Artenvielfalt eines Taxons, in seinem mete seinen Beitrag der Frage, wie mo- Beispiel der Insekten, gegenüberstellte. derne Bionik von der Erforschung fossiler Daraus ergibt sich die Möglichkeit einer Organismen, in diesem Fall der Pflanzen, vergleichenden Konstruktionsmorpho- profitieren kann. Durch die Berücksichti- logie, die nicht nur Potenzial für die Evo- gung fossiler Taxa steht beispielsweise lutionsforschung birgt, sondern auch ein weit größerer natürlicher Ideenpool für das Verständnis mikroevolutionärer für die Bionik zur Verfügung. Evolutionsprozesse. PD Dr. Anita Roth- Nebelsick (Stuttgart, Abb. 2C) plädierte Moderne bionische Ansätze aus der für eine bessere Implementierung bio- Anwendung logischer Grundlagenforschung in die In beeindruckender Weise wurde schließ- Bionik. Ihrer Meinung nach fehlten häu- lich in drei Vorträgen aufgezeigt, wie fig detaillierte funktionsmorphologische in der modernen Bionik durch die Ein- und vergleichende Studien – insbeson- führung neuer (digitaler) Analysewerk- dere bei Fossilien – , so daß biologischen zeuge und Herstellungsverfahren Quer- Vorbildern, die als Konzeptgenerator für verbindungen zwischen Biologie und bionische Produkte dienen, häufig etwas Technik entstehen, die dann tatsächli- vorschnell eine bestimmte optimierte che biologische Wirk- und Strukturprin- Funktionalität zugewiesen wird. zipien in die Technik einbringen und dort zu neuen, biologisch getriebenen Paläontologische Sichtweise Applikationen führen. Diese ermögli- Zwei Redebeiträge befaßten sich mit chen zugleich einen Wissenstransfer der Frage, inwieweit aus Fossilien zurück in die Biologie, beispielsweise Rückschlüsse auf Funktionsweisen ge- über Simulationsverfahren. In diesem zogen werden können und welchen Zusammenhang beleuchtete Prof. Dr. Stellenwert dies für die Bionik hat. Achim Menges (Stuttgart, Abb. 2F) in Dr. Stephan Lautenschlager (Birming- seinem Beitrag Schnittstellen zwischen ham, Abb. 2D) erläuterte in seinem Vor- Biologie und digitalem Bauen und stell- trag unter anderem, wie mit modernen te Beispiele vor, die etablierte Ansätze Methoden einer sogenannten „virtuellen in der Bautechnik durchaus in Frage Paläontologie“ unter Einsatz digitaler stellen oder völlig neue Möglichkeiten Visualisierung und biomechanischer eröffnen.

Abb. 2. Impressionen der Tagung. A) Wolfgang Maier, B) Alexander Blanke, C) Anita Roth-Nebelsick, D) Ste- phan Lautenschlager, E) Thomas Speck, F) Achim Menges, G) Manuela Schmidt, H) Ulrich Witzel, I) Oliver Betz, J) Ingmar Werneburg, K) Erika und Gerhard Mickoleit, L) “Theo“ Michael Schmitt, M) Wilfried Konrad, N) Robert Asher, Caroline Willich, Michael “Theo“ Schmitt, O) Markus Lambertz, P) Walter Sudhaus, Klaus Rehfeld, Q) Alexander Haas, Christian Wirkner, R) Jindřich Brejcha, Wilfried Konrad, S) Tatiana Miranda, Mar- tin Ebner, T-V) Führung durch die Paläontologische Sammlung durch Juliane Hinz | Fotos: Henrik Stöhr und Michael “Theo“ Schmitt.

10 GfBS news 36 2019 11 PD Dr. Manuela Schmidt (Jena, Abb. 2G) Die Organisatoren Oliver Betz und stellte einen modernen bionischen An- Ingmar Werneburg bedanken sich bei satz aus dem Gebiet der Laufrobotik und Henrik Stöhr, Maria Kontomari, Juliane Biomechatronik vor, bei dem nicht nur Hinz, Mia Zilk, Mareike Asprion, Kristin ein Transfer von der Biologie zur Technik Walter und Prof. Dr. „Theo“ Schmitt für stattfindet, sondern auch umgekehrt: ihre Unterstützungen bei der Vorberei- Die Simulation physikalischer Modelle tung und Durchführung der Tagung. und dynamische reaktive Roboter kön- Das Symposium wurde gefördert durch nen ebenso die funktionelle Morpholo- die Erika und Walter Datz-Stiftung, den gie in der Beurteilung der Angepaßtheit Universitätsbund Tübingen e.V., den von Bewegungssystemen unterstützen. Springer Verlag und der Schweizerbart Schlußendlich erläuterte Prof. Dr. Ulrich Verlagsbuchhandlung. Witzel (Bochum, Abb. 2H) ein nume- risches Berechnungsverfahren, das sich für den Vergleich von Druck- und Zug- belastungen technischer und biolo- gischer Konstruktionen (wie beispiels- weise ganzer Schädel) verwenden läßt. Dies passiert sowohl im phylogene- Unsere Autoren: tischen Kontext als auch im Rahmen eines Oliver Betz, Abteilungsleiter Evolutionsbiologie der (ganz im Sinne des von Wolfgang Maier Invertebraten an der Universität Tübingen, oliver. geforderten) ganzheitlichen Organismus- [email protected] und Ingmar Werneburg, konzepts. Insoweit schloß sich auch Kurator der Paläontologischen Sammlung in Tübin- der Kreis zu den Redebeiträgen der gen, Senckenberg Center for Human Evolution and Vorredner. Palaeoenvironment an der Universität Tübingen, [email protected] Neben den Vorträgen wurde den 70 Teilnehmern des Symposiums eine Referenzen: - Schmitt M., Sudhaus W. (2018). 60 years of Phylo- Führung durch die Paläontologische genetisches Symposium, a scientific meeting with a Sammlung sowie die Möglichkeit für difference. Annals of the History and Philosophy of Poster-Präsentationen angeboten. Die Biology 21: 247-308. Posterpreise gingen an Xenia Schlind- - Werneburg I., Betz O. (2018, Hrsg.). 60. Phyloge- wein, Margret Weißbach, Leif Moritz netisches Symposium. Funktionsmorphologie und sowie an Dr. Manfred Drack, Dr. Tatiana Bionik. Programm und Abstracts. 23. - 25. November Miranda und Peter Thomas Rühr. Auch 2018. Scidinge Hall Verlag Tübingen, 38 Seiten (digi- tal auf: TOBIAS-lib, doi: http://dx.doi.org/10.15496/ ein Tagungsband ist in Vorbereitung und publikation-26080). https://de.wikipedia.org/wiki/ wird im Scidinge Hall Verlag Tübingen Phylogenetisches_Symposium, www.scidinge-hall- erscheinen. verlag.de

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ZOS 1021/1 ZOS 1021/4 Unser Vorbild ist die Natur Mit diesem Leitspruch setzt SOMSO® die Maßstäbe für Form und wissenschaftliche Exaktheit bis ins kleinste Detail bei der Entwicklung und Herstellung seiner Modelle. Die Serie „Lurche und Kriechtiere Mitteleuropas“ wird wissenschaftlich von Studiendirektor Christian Groß betreut, umfasst mittlerweile 140 Modelle und wird laufend erweitert. Die neuen Modelle des Kleinen Wasserfrosches ZoS 1021 - 1021/7 veranschaulichen die ausgeprägte Färbungs- und Zeichnungsvariabilität dieser Grünfroschart. Zusammen mit der Fähigkeit das Grün der Grundfärbung „situationsbedingt“ aufzuhellen oder abzudunkeln, ergeben sich vielfältige Tarnungs- möglichkeiten für die von zahlreichen Beutegreifern (Prädatoren) bedrohten Frösche.

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On March 25, 2019, we organized a Mini- fitness, as well as to life history. Moreo- symposium called “Research in Muse- ver, phylogenetic constraints should be ums” in the historical Paleontological taken into account when examining the Collections of ‘Senckenberg Center for interdependence of ecological, physiolo- Human Evolution and Palaeoenviron- gical, and morphological traits. Gangloff ment an der Universität Tübingen’ (fun- also highlighted the importance of com- ded by VW-Stiftung). The focus of the parative embryological studies as part symposium was on the study of form- of life history research. Finally, based on to-function relationships using muse- his own field studies on lizards, Gangloff um specimens representing living and proposed that comprehensive lab and extinct species, with a particular taxo- museum collections are crucial to futu- nomic focus on terrestrial vertebrates. re in-depth ecomorphological analyses. Participants from European, North Ame- For modern research in museums, seve- rican, and Asian institutions discussed ral digital techniques are available for various interdisciplinary topics, such as both data collection and data analyses, the importance of natural history coll- including 3d-geometric morphometrics ections to functional morphology, case and computed tomography. It is also im- studies on the evolution and biomecha- portant to sample genes and their direct nics of the tetrapod skeleton, and the links to morphology. application of emerging technologies in museum science. Prof. Dr. Steven Binz (Salisbury University, USA) led an interactive session on the ap- Dr. Eric Gangloff (Station d’Ecologie plication of augmented reality in biology. Théorique et Expérimentale du CNRS, Using augmented-reality devices, one Moulis, France) presented a theory-ba- can engage in a more interactive relati- sed introduction to the concept of the onship with a digitalized object, such as a morphology-performance-fitness para- 3d-model of a turtle shell ‘flying’ through digm discussed by Stevan Arnold (1983, our lecture hall. This technology allows American Zoologist, 23:347-361). Based researchers to label specimens, in virtual on this framework, morphological fea- space, with homologous landmarks for tures need to be linked to their functio- geometric morphometric analyses. The nal performance, which are eventually application of augmented reality will only associated to the fitness of an organism. continue to improve for routine scienti- Gangloff discussed that this theoreti- fic use, though Binz and colleagues have cal scheme was initially simple but has already successfully used it to study on- become increasingly complex over the togenetic shape changes in turtle speci- last decades. For example, behavior has mens. Furthermore, this approach is very been often linked to performance and promising for anatomical education and

14 Participants of the symposium. Top (left to right): Tobias Massonne, Alexander Kupfer, Oleksandr Yaryhin, Felix Augustin, Kouske Goto, Uwe Kirschner, Daniel Núñez, Steven Binz. Middle: Juliane Hinz, Katharina Foerster, Gabriela Sobral, Manfred Drack, Thomas Lechner, Eric Gangloff, Pascal Abel. Below: Henrik Stöhr, Christine Böhmer, Ingmar Werneburg, Anna Ayvayan, Antonio Cordero, Marton Rabi, Tobias Theska, Bran- don Kilbourne | Foto: privat visualization of complex structures and how to deal with this, either by focusing has the potential to complement the tra- on one organ system or on a single ta- ditional hands-on treatment of museum xon by employing various qualitative specimens. and quantitative methods. Dr. Christine Böhmer (UMR 7179 CNRS/Muséum Na- Modern museum research is characte- tional d’Histoire Naturelle, Paris, France) rized by the sampling of big datasets, discussed genetic, morphometric, and which favors quantitative (i.e. statistical) anatomical aspects of the neck, which is studies that often supplement traditi- considered a key innovation in tetrapod onal qualitative analyses of anatomical evolution. Dr. Brandon Kilbourne (Mu- features. More data, of course, means seum für Naturkunde, Berlin, Germany) more information for better scientific presented his research on the adaptive insights. With this in mind, two speakers evolution of the locomotor system in demonstrated reliable approaches on mustelid mammals using biomechanics,

GfBS news 36 2019 15 morphometrics, muscle and bone anato- Of course, scientists themselves should my, and diverse comparative phylogene- evaluate the value of the scientific que- tic and statistical approaches. stions and the quality of data produ- Böhmer and Kilbourne showed, in lively ced. discussions after their talks, that under- standing functional morphology from Finally, research in natural history mu- an evolutionary perspective is also va- seums has one major mission: Trans- luable to enhancing the evaluation of mitting knowledge and enthusiasm technical devices in robotics and bionics for the planet’s rich to the research. public and students, i.e. the next gene- ration of museum researchers. Based on several of his own works on lung and skin evolution in reptiles and as study models, Dr. Markus Lam- bertz (Universität Bonn, Germany) pro- vided a comprehensive assessment on the tradeoffs of destructive and non- destructive treatments of museum specimens. Modern techniques, such as surface- and tomography-scans, ena- ble new approaches to appropriately sample specimens while ensuring their preservation. Many of these novel tech- niques are still under development or are currently designed to answer only very specific research questions. Thus, many questions in comparative mor- phology will still require traditional de- structive sampling, including manual dissection and histology. However, this is necessary to clearly distinguish organs, cells, and tissues. Indeed, the day will come when a “perfect” scan may replace traditional techniques, allowing rare mu- seum specimens to be preserved for the future. Presently, as some specimens are Unsere Autoren: so rare, a compromise with curators will Ingmar Werneburg & Antonio Cordero, Palä- ontologischen Sammlung in Tübingen, Sen- be necessary, as ultimately, they are able ckenberg Center for Human Evolution and Pa- to decide whether a specimen should be laeoenvironment an der Universität Tübingen, destructively sampled or not. [email protected]

16 Biodiversity statistics Improving quantifications of diversity in taxonomic groups GfBS with incomplete data

Two recent publications that suggested transferred and adapted to biodiversity an overall decline of insects (Sánchez- science. Estimating the risks for insu- Bayoa & Wyckhuys 2019; Hallman et al. rance companies, actuaries are experts 2017) led to comments, which pointed at quantifying (rare) events (here e. g., to a variety of methodological short- a species loss), often based on a limited comings. The question arises, if we amount of data. The recently develo- actually have the analytical methods to ped diversity estimates based on Good- evaluate the current status and tempo- Turing theory (originally for predicting ral trends of biodiversity in taxonomic ‘Enigma’ codes) by Anne Chao et al. groups with high-quality, though infor- (2017) come from a similar direction. mation-scarce and patchy data. It seems worthwhile to explore statistical In February at the annual GfBS meeting frameworks from different fields to im- in Munich, I was awed by the task to prove our ability to quantify biodiversity tackle quantitative evaluations of biodi- in taxonomic groups with incomplete versity in groups as, for example, insects, data. planktic crustacean or unicellular euka- ryotes. How can one do inventories, not Unsere Autorin: Jutta Buschbom, Gerhart-Haupt- to mention regular monitoring initiati- mann-Straße 35, 22926 Ahrensburg ves, when pre-sorting of one sampling campaign might take 10 years, when communities are dominated by long- lived larval individuals without key ta- xonomic characteristics or when species concepts are uncertain for many taxa? In such groups, there seems to be, at first glance, hardly a chance to be able to collect sufficient data for analyses across taxa, geographic regions and time. Ne- vertheless, such results are needed for References sometimes far-reaching societal and Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, et al. (2017) political decisions. How to solve this pro- More than 75 % decline over 27 years in total flying blem? What are the necessary building insect biomass in protected areas. PLoS ONE. 12 blocks for quantitative biodiversity stati- (10): eo185809. stics in such groups? Sánchez-Bayo F, Wyckhuys KAF (2019) Worldwide The talks and poster at the GfBS meeting decline of the entomofauna: A review of its drivers. remined me of approaches developed Biological Conservation 232: 8-27. Chao A, Chiu C-H, Colwell RK, et al. (2017) Deciphe- by actuaries. I had come across them ring the enigma of undetected species, phylogene- in the past, wondering with regard to tic, and functional diversity based on Good-Turing barcoding, if these methods might be theory. Ecology, 98(11): 2914–2929.

GfBS news 36 2019 17 Das Aquazoo Löbbecke Museum im neuen Glanz Düsseldorfs exotische Perle GfBS

Die Evolution – das ist der rote Faden, der durch die neu gestaltete Ausstellung des Aquazoo Löbbecke Museum führt. Nach vierjähriger Sanierung konnte das beliebte Düsseldorfer Kulturinstitut im Nordpark 2017 wieder eröffnet werden und begeistert seither seine Gäste. Mit 530.000 Besuchern im ersten Jahr nach der Wiedereröffnung wurden alle Erwar- tungen übertroffen.

Die Vielfalt der Natur modern und anschaulich zu präsentieren, ist die Kern- idee des geschichtsträchtigen Institutes. Die enge Verzahnung von lebenden Tieren und musealen Objekten macht das Aquazoo Löbbecke Museum einzig- artig in seiner Form. Dabei wurde bei der Überarbeitung und Modernisierung der Ausstellung am bewährten Konzept, nämlich dem Erleben von Evolution und Artenvielfalt festgehalten. Mittel- punkt der lehrreichen und spannenden Ausstellung sind die faszinierenden Jochen Reiter (Hrsg.) Aquazoo Löbbecke Museum Anpassungen der Lebewesen an ihre „Düsseldorfs exotische Perle“ Lebensumstände. So können in über 192 Seiten, 18,00 € ISBN 978-3-7700-2102-4 140 Aquarien, Terrarien und Großanla- Droste-Verlag gen mehr als 5.000 Tiere aus rund 560 verschiedenen Arten beobachtet wer- den. Die neu gestalteten Gehege und Aquarien finden großen Zuspruch bei den Besuchern und bieten faszinieren- seinem Rundgang unzählige Speziali- de Einblicke in verschiedene Lebens- sierungen und Lebensgemeinschaften bereiche der Bewohner. Vom Meer mit kennen. seinen unterschiedlichsten Lebensräu- Das 240.000 Liter Meerwasser fassen- men, über die Süßgewässer der Erde bis de Großaquarium bildet eines der Be- hin zu vielfältigen Bereichen an Land sucher-Highlights und fasziniert mit wie Wüsten und Regenwälder, Savan- seinen zahlreichen Bewohnern wie nen und Steppen lernt der Besucher auf Clownfischen, Netzmuräne, Schwarz-

18 Oman-Kuhnasenrochen (Rhinoptera jayakari) | Foto: Aquazoo Löbbecke Museum spitzen-Riffhai und verschiedenen Dok- im jeweiligen Ökosystem einnehmen. torfischarten. Dazu gesellen sich drei Die Aktivitäten der zwölfköpfigen imposante Oman-Kuhnasenrochen, Brillenpinguin-Gruppe können hier die majestätisch durch das Wasser sowohl an Land, als auch unter Wasser gleiten. Im Süßwasserbereich treffen die beobachtet werden. Besucher auf Vieraugen, Blinde Höhlen- Die museale Sammlung, verborgen im salmler und farbenprächtige Bunt- wissenschaftlichen Magazin des Hauses, barsche. Aber auch unscheinbare Arten birgt über 900.000 Objekte hauptsäch- wie die hoch bedrohten Tequila-Kärpf- lich aus den Bereichen der Zoologie, linge oder die Ameca-Elritzen haben Geologie und Paläontologie. Über 1.400 hier ihr Refugium. Sammlungsobjekte jedoch unterstützen Beinahe Urlaubsfeeling bietet die große und ergänzen innerhalb der Ausstellung begehbare Tropenhalle. Während Kro- die Wirkung der lebenden Tiere und ma- kodile, Schildkröten und Leguane das chen ihre Biologie begreifbarer. Ein mo- feuchtwarme Klima zwischen exo- dernes Licht- und Farbkonzept sorgt für tischen Pflanzen genießen, treibt ein die optimale Stimmung und inszeniert Besuch im „Düsseldorfer Regenwald“ so einen eindrucksvollen Besuch. Die spezi- manchem Gast die Schweißperlen auf ell für die kleinen Gäste ausgearbeitete die Stirn. Im Landbereich zeigen Nackt- Kinderebene nimmt Klein und Groß an mulle, Blattschneiderameisen und Skor- die Hand und lässt sie spannend und pion-Krustenechsen wo sie ihren Platz lehrreich Erstaunliches entdecken.

GfBS news 36 2019 19 Die Dauerausstellung „Meer und Öffnungszeiten Mensch“ zeigt die vielen Facetten der Täglich 10-18 Uhr Ozeane auf; beginnend mit den Berich- ten erster Seefahrer über Seeungeheuer Geschlossen am 1.1., Rosenmontag, 1.5., 18.09. ab 14.00 Uhr, 24., 25. und 31.12. bis hin zur aktuellen Bedrohung des ge- samten Ökosystems durch Plastikmüll, Eintritt Raubbau und weitere Umweltgifte. Erwachsene 9 Euro (10 Euro im Vorverkauf)

Als größter außerschulischer Lernort in Ermäßigt 5 Euro (6 Euro im Vorverkauf) Düsseldorf und Umgebung bietet die (Kinder und Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr; Schüler/innen, Student/innen Abteilung „Naturbildung“ allein 15.000 und Auszubildende nach dem Ausbildungs- bzw. Schülerinnen und Schülern pro Jahr die Berufsförderungsgesetz; Gruppen ab 10 Personen; Möglichkeit, verschiedene Lebensräume Inhaber/innen der Ehrenamtskarte NRW) und deren Bewohner zu entdecken, Zu- sammenhänge in der Natur kennenzu- Familienkarte 18 Euro (20 Euro im Vorverkauf) lernen und sich für den Schutz der Um- für 2 Personen und alle eigenen Kinder (bzw. Enkel- welt einzusetzen. kinder) unter 18 Jahren Schüler/innen in Gruppen pro Person 4 Euro (5 Euro Das Doppelinstitut aus Zoo und Muse- im Vorverkauf) um engagiert sich mit vielen Projekten im Artenschutz und betreibt seit über Eintritt frei für zehn Jahren eine Zucht- und Schutzstati- Kinder bis zum vollendeten 6. Lebensjahr; Schwer- on für bedrohte Amphibienarten. Dieses behinderte ab 80 % (inkl. Begleitperson, wenn im Ausweis vermerkt); Inhaber/innen des Düsselpasses; außerordentliche Projekt wurde bereits Inhaber/innen der Düsseldorf Welcome Card und dreimal zum UN-Dekade-Projekt Biolo- Art:card; Mitglieder des Freundeskreises Aquazoo; gische Vielfalt ausgezeichnet. Pressevertreter/innen (sowie Mitglieder AICA, ICOM, IKT und CECA); Mitglieder des Kulturausschusses Wer mehr über die faszinierenden Be- wohner des Aquazoo, dessen Geschichte Inhaber/innen der Düsseldorfer Familienkarte erhal- und den Betrieb eines derart komplexen ten einen Preisnachlass von 20 %. Hauses erfahren möchte, findet dies und vieles mehr im Buch zum Aquazoo.

Unser Autor: Jochen Reiter, Direktor des Aquazoo Löbbecke Museum Kaiserswerther Str. 380, 40474 Düsseldorf QR-Code zum Aquazoo Düsseldorf

20 61. Phylogenetisches Symposium 2019 in Göttingen vom 22. bis zum 24. November

Nach 1976 und 2005 findet dieses Jahr zum dritten Mal das Phylogenetische Symposium in Göttingen statt und wir laden Sie hiermit herzlich zur Teil- nahme ein. Als Thema für 2019 haben wir „Reticulate Evolution“ ausgewählt. Mit dem symbiogenetischen Ursprung Folgende Rednerinnen und Redner der Eukaryota als bekanntestes Beispiel, haben ihre Teilnahme zugesagt: wurde in den letzten Dekaden immer Eric Bapteste (Université Pierre et Marie deutlicher, dass sich phylogenetische Curie, France), Marta Barluenga (Museo Verwandtschaftsbeziehungen nicht im- Nacional de Ciencias Naturales Madrid, mer als bifurkat verzweigende Bäume Spain), Mathilde Cordellier (University of darstellen lassen. Neben der Symbio- Hamburg, Germany), Judith Fehrer (The genese führen ebenfalls Prozesse wie Czech Academy of Sciences, Prague, horizontaler Gentransfer, Hybridisie- Czech Republic), Christoph Oberprieler rung, oder Artaufspaltungen mit Gen- (University of Regensburg, Germany), fluss zu retikulaten Mustern. Zu diesem Bengt Oxelman (University of Gothen- Thema haben wir ein fachübergreifen- burg, Sweden), Pamela S. Soltis (Uni- des Programm zusammengestellt, bei versity of Florida, USA), Alexander Suh dem Rednerinnen und Redner mit zoo- (Uppsala University, Sweden). Neben logischem, botanischem und protisto- den Vorträgen ist eine Besichtigung des logischem Hintergrund aus dem In- und 1736 durch Albrecht von Haller gegrün- Ausland aktuelle Forschung vorstellen. deten Alten Botanischen Gartens der Die Tagung wird wie üblich am Frei- Universität Göttingen oder des Univer- tag abend (22.11.) mit einem „Ice brea- sitätsherbariums (GOET) möglich. Die ker“ starten. Die Vorträge wird es am Teilnahme ist, mit Ausnahme des Gesell- Samstag (23.11.) ganztägig und am schaftsabends, kostenlos und es besteht Sonntag (24.11.) bis zum Mittag ge- für alle Teilnehmer die Möglichkeit zur ben. Wie üblich für das Phylogene- Präsentation eines Posters. tische Symposium haben wir für jeden Vortrag viel Zeit für Diskussion einge- Aktuelle Informationen zur Anmeldung räumt. Abschließend wird am Sonntag finden sie unter https://www.uni-goe- mittag (24.11.) eine Synthese mit ab- ttingen.de/de/phylogenetic+symposi schließender Diskussion unter noch zu um+2019/605388.html. benennender Leitung das Programm ab- runden. Ein gemeinsames Abendessen ist für den Samstagabend (23.11.) geplant. Unsere Autoren: Christoph Bleidorn und Elvira Hörandl, Georg-August-Universität Göttingen

GfBS news 36 2019 21 Der Blick unter den Tellerrand: Reicht es nur zu schützen, was wir sehen? Internationales Forscherteam entdeckt Unterschiede in der globalen Verteilung unterirdischer und oberirdischer Biodiversität

Denkt man an Biodiversitätsverlust und Artenschutz, so kommen einem üb- licherweise sofort Bilder von Tigern, Pandas, Nashörnern oder anderen cha- rismatischen Schönheiten in den Sinn. Im Fahrwasser dieser bekannten und sichtbaren Vertreter des Tierreichs hofft man auch weniger ansehnliche Tierarten – zum Beispiel Wirbellose - zu schützen, deren Bekanntheitsgrad und Schönheit ihrem ökologischen Stellenwert etwas hinterherhinken. Das Einrichten eines Schutzgebietes für Tiger hilft selbstver- ständlich auch allen anderen Tieren in der Region – richtig? Ein internationa- les Team, geleitet von Wissenschaftlern des Deutschen Zentrums für integrative Dicyrtomina minuta | Foto: Andy Murray Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle- Jena-Leipzig, hat sich nun die Frage digen Studie mit zahlreichen internati- gestellt, ob der Schutz von sichtbarer, onalen Kooperationspartnern und ein- oberirdischer Vielfalt auch auf den Un- zigartigen globalen Datensätzen. Ziel tergrund abstrahlt und damit automa- war es, die weltweite Verteilung ober- tisch bestehende Schutzgebiete auch irdischer Diversität (Säugetiere, Vögel, unterirdischer Diversität zugutekom- Amphibien und Pflanzen) der Verteilung men. Tatsächlich befindet sich nämlich unterirdischer Diversität (Bakterien, Pilze ein beträchtlicher Teil der terrestrischen und Bodentiere) auf einer Weltkarte ge- Biodiversität unter unseren Füßen! Auf genüberzustellen. Dabei zeigte sich, dass Basis dieser Vielfalt, spielen sich dort im auf etwa 30 Prozent der terrestrischen Verborgenen zahlreiche Prozesse ab, die Oberfläche unserer Erde eine große Ar- sich positiv auf verschiedenste Ökosys- tenvielfalt im Boden herrscht, während temleistungen, wie Nährstoffkreisläufe oberirdisch deutlich weniger Arten zu oder Kohlenstoffspeicherung auswirken. finden sind, oder entsprechend umge- kehrt. Dieses Ausmaß der gegensätzlich Was als kleines Gemeinschaftsprojekt verteilten Artenvielfalt überraschte die während einer Arbeitsgruppenklausur Wissenschaftler. Regionen mit einem begann, wurde bald zu einer aufwän- besonders starken Gegensatz zwischen

22 unterirdischer und oberirdischer Vielfalt waren zum Beispiel boreale und Tundra- Böden in Sibirien oder Kanada. Dort er- wies sich die oberirdische Artenvielfalt als besonders niedrig, während es un- terirdisch nur so wimmelt. Im Gegensatz dazu stehen Wälder gemäßigter Breiten, deren Böden sich als vergleichsweise artenarm erweisen, während oberirdisch eine große Vielfalt an Tier- und Pflanzen- arten herrscht.

Den Wissenschaftlern ist es gelungen, sich ein einheitliches Bild der globa- len Artenvielfalt zu machen und dabei auch die weniger erforschte, aber aus- gesprochen relevante, unterirdische Diversität mit einzubeziehen. Auf Basis dieser neugewonnenen Erkenntnisse Bilobella aurantiaca | Foto: Andy Murray kann zukünftig deutlich genauer ein- geschätzt werden, welche Areale der der Boden bisher nur unzureichend er- Erde zu Schutzgebieten erklärt werden forscht ist und noch enormer Aufhol- müssen, um Biodiversität und damit bedarf besteht. verbundene Ökosystemleistungen noch umfassender zu schützen. Besonde- re Relevanz haben die Ergebnisse vor Unsere Autoren: allem auch in den erwähnten borealen Felix Gottschall und Nico Eisenhauer, Zonen der Erde. Permafrostböden und Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitäts- dicke organische Bodenhorizonte im forschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig, hohen Norden binden enorme Mengen Deutscher Platz 5e, 04103 Leipzig an Kohlenstoff. Durch die immer wei- ter fortschreitende globale Erwärmung und die damit verbundenen erhöhten Umsatzraten im Boden, drohen enorme Treibhausgasemissionen. Zudem ist zu erwarten, dass diesen Gebieten ein gro- ßer Andrang durch Industrie und Land- wirtschaft bevorsteht, der einen Schutz in der Zukunft deutlich zu erschweren droht und die dort vorhandene Bio- diversität und Funktionalität des Bodes gefährdet. Gleichzeitig weisen die QR-Code zur Publikation „Global mismatches in Forscher aber auch darauf hin, dass aboveground and belowground biodiversity“.

GfBS news 36 2019 23 Wettrüsten der Ameisenstaaten Das Verhalten und die Genaktivität im Gehirn von Verteidigern spiegeltGfBS die Herkunft der attackierenden Sklavenhalter wider

Temnothorax americanus ist eine Sklaven- halterameise im Nordosten Amerikas. Die kleinen Tiere kümmern sich weder um die Aufzucht ihrer Brut, noch um die Futtersuche. Stattdessen überfallen sie Nester einer anderen Ameisenart, Temnothorax longispinosus, entführen die Larven und Puppen und bringen sie zurück in ihr eigenes Nest. Sobald die geraubten Tiere erwachsen sind, müs- sen sie die fremde Brut versorgen, Fut- T. longispinosus wehrt sich gegen T. americanus ter suchen, die Sklavenhalter füttern | Foto: Susanne Foitzik, IOME und sogar deren Nest verteidigen. Eine Kolonie dieser Sklavenhalter, bestehend aus einer Königin und zwei bis fünf Arbeiterinnen, kann 30 bis 60 Sklaven T. americanus gehört, wie bei den Vögeln beschäftigen. In einer neuen Studie der Kuckuck, zu den Brutparasiten, die haben Biologinnen und Biologen der nicht den Körper ihres Wirts, sondern Johannes Gutenberg-Universität Mainz deren Sozial- oder Brutpflegeverhalten (JGU) die besondere Beziehung zwi- ausnutzen. Mit ihren Wirten liefern sich schen den Parasiten und ihrem Wirt die Sozialparasiten ein „koevolutionäres untersucht und eine spannende Ent- Wettrüsten“: Die Parasiten perfektionie- deckung gemacht. Demnach spielt es für ren die Ausbeutung ihres Wirts, während die Verteidigung der Wirtsameisen eine der Wirt immer noch bessere Verteidi- entscheidende Rolle, ob die angreifen- gungsstrategien entwickelt. Bei gerin- den Sklavenhalter aus einem Gebiet mit gem Parasitendruck reagiert T. longispi- einer erfolgreichen oder weniger erfolg- nosus auf einen Angriff mit koordinierten reichen Population stammen. Kommen Kämpfen, wechselt aber von der Kampf- die Sklavenhalter aus einem Gebiet, zur Fluchtstrategie in einer stärker parasi- wo Sklavenhalter selten sind, reagieren tären Umgebung. Wie sich dieser Zusam- die Wirtsameisen auf die Eindringlinge menhang und die jeweiligen Reaktionen aggressiv. Kommen die Invasoren je- genau verhält, hat die Arbeitsgruppe um doch aus einer Gegend, in der Sklaven- Prof. Dr. Susanne Foitzik in der neuen halter häufig sind, erkennen die Wirte Studie untersucht. sie nicht und reagieren deshalb nicht mit Aggression. Dieser Verhaltensunterschied Parasiten aus einer ökologisch erfolg- in der Reaktion, so ergab die Studie wei- reichen Population bleiben unerkannt ter, zeigt sich auch an der Aktivität von und lösen keine Genaktivität aus. Dazu Aggressionsgenen im Gehirn der Ameisen. wurden Kolonien von Wirtsameisen

24 T. americanus und T. longispinosus | Foto: Susanne Foitzik, IOME

in Eicheln, Stöcken und Gesteinsspalten es keine Rolle, wo sie selbst herkommen, von acht verschiedenen Gebieten im sondern der ökologische Erfolg des an- Osten Nordamerikas gesammelt. Sklaven- greifenden Parasiten in seiner ursprüng- halterameisen fanden sich in fünf dieser lichen Umgebung ist entscheidend“, acht Regionen. Untersucht wurde, wie so Foitzik. „Man könnte sagen, was im sich die Ameisen verhalten, wenn sie Gehirn der Ameisen passiert, hängt aufeinandertreffen, wobei die Ameisen davon ab, auf wen ich treffe und nicht aller Regionen gegeneinander getestet wer ich bin.“ wurden. „Das Verhalten der Wirte erklärt sich alleine damit, wo die Sklavenhalter Dass es den Parasiten aus erfolgreichen herkommen“, fasst Susanne Foitzik zu- Populationen gelingt, die Verteidigung sammen. Das heißt, wird ein Nest der ihrer Wirte quasi auszuschalten, liegt Wirtsameisen T. longispinosus überfal- vor allem daran, dass sie es schaffen, len, dann ist es für die Verteidigerinnen unentdeckt zu bleiben. Ameisen erken- wichtiger, aus welcher Umgebung der nen sich gegenseitig an Duftstoffen, Angreifer kommt, als aus welcher geo- die von der Körperoberfläche, der graphischen Umgebung sie selbst Kutikula, ausgehen. Sklavenhalteramei- stammen. Sklavenhalterameisen aus er- sen versuchen möglichst wenige dieser folgreichen Populationen schaffen es, kutikulären Kohlenwasserstoffe auf der unerkannt zu bleiben und stoßen dann Haut zu tragen. Parasitenpopulationen, auf eine schwächere Verteidigung. Dies die sehr erfolgreich sind, verströmen spiegelt sich in der Genaktivität der Wirt- besonders wenig Signalstoffe, die an- sameisen wider: „Für die Genexpression deren zur Erkennung dienen könnten. der verteidigenden Wirtsameisen spielt „Die Sklavenhalter setzen sich eine

GfBS news 36 2019 25 Tarnkappe auf und bleiben damit un- Dabei können einzelne Gene einen groß- ter dem Radar“, beschreibt Foitzik das en Einfluss auf das Verhalten der Amei- Verhalten der Angreifer. „Wenn ihnen sen haben. Ein besonders wichtiges ist dies gelingt, dann sehen wir auch we- Vitellogenin-like A, welches sehr aktiv niger Veränderung in der Aktivität der bei Brutpflegerinnen ist. Wird dieses Gen Gene der Wirtsameisen.“ Die Bruträuber runterreguliert, hören die Arbeiterinnen können dann unbemerkt und ungehin- auf, den Nachwuchs der Kolonie zu ver- dert in ein Wirtsnest eindringen. Gen- sorgen und kümmern sich mehr um die expression bei Arbeiterinnen ist stärker erwachsenen Koloniemitglieder. Die Un- an Tätigkeit gekoppelt als an Alter oder tersuchungen der Mainzer Forscher zei- Fertilität. gen, dass das Gen Vitellogenin-like A die Sensibilität der Arbeiterinnen auf Brut- Die Forschergruppe um Susanne Foitzik düfte beeinflusst. Wenn die Ameisen die hat in einer weiteren Studie auch die Brut nicht mehr wahrnehmen, kümmern Genaktivität von Arbeiterinnen der Art sie sich auch nicht mehr darum. Diese Ex- Temnothorax longispinosus untersucht. perimente belegen, dass Arbeitsteilung Der ökologische Erfolg von sozialen in den Staaten sozialer Insekten dadurch Insekten beruht auf ihrer Arbeitsteilung, gesteuert wird, dass unterschiedliche nicht nur zwischen Königinnen und Tiere unterschiedlich stark auf bestimmte Arbeiterinnen, sondern auch unter den Reize reagieren, die mit spezifischen Auf- Arbeiterinnen selbst. Ob eine Arbeiterin gaben im Staate verknüpft sind. die Brut versorgt oder Futter sucht, wird durch ihr Alter, die Fruchtbarkeit und Unsere Autorin: Susanne Foitzik den Ernährungsstatus beeinflusst. Brut- Verhaltensökologie und Soziale Evolution pflegeameisen sind jünger, fruchtbarer Institut für Organismische und Molekulare Evolutionsbiologie, Johannes Gutenberg- und dickleibiger. Für ihre Untersuchung Universität Mainz, 55099 Mainz haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Spezialisierung auf eine bestimmte Tätigkeit von den Fak- toren Alter und Fruchtbarkeit getrennt. „Wenn man aus einer Kolonie alle Brut- pflegerinnen entfernt, dann werden ei- nige Nahrungssucherinnen zu Brutpfle- gerinnen und umgekehrt“, beschreibt Foitzik das Experiment. Die Genaktivität, so das Ergebnis, hängt bei den Ameisen stärker von ihrer Aufgabe im Staat ab als von ihrem Alter oder ihrer Fertilität – eine neue Erkenntnis, die zum besseren Ver- QR-Code zur Publikation „Ant behaviour and brain ständnis der Evolution von Sozialverhal- gene expression of defending hosts depend on the ten bei Ameisen beiträgt. ecological success of the intruding social parasite“.

26 T. americanus und T. longispinosus | Foto: Susanne Foitzik, IOME

GfBS news 36 2019 27 Bye, bye Biene Welche ökologischen Eigenschaften GfBS machen Wildbienen zu bedrohten Arten?

Weltweiter Insektenrückgang Die Gefährdung der Bienen aufgrund Derzeit ist das Insektensterben in aller ihrer Lebensweise Munde. Diverse Studien haben gezeigt, Neben diesen äußeren Faktoren kön- dass die Zahl der Insekten in allen unter- nen aber auch die biologischen Eigen- suchten Gruppen, von Käfern über Haut- schaften einzelner Arten einen Einfluss flügler bis hin zu den Schmetterlingen, auf ihren Gefährdungsgrad haben. Es weltweit rückläufig ist, sowohl in den gibt Arten, die hohe Ansprüche an ihren Tropen als auch bei uns (Sanchez-Bayo Lebensraum haben, aber es gibt auch und Wyckhuys, 2019). So ging beispiels- Generalisten, die fast überall zu finden weise in Puerto Ricos Luquillo Regen- sind. Manche Arten sind auf wenige wald die Biomasse von Insekten in den Nahrungspflanzen spezialisiert, andere letzten 30 Jahren um das Zehnfache bis fliegen ein großes Spektrum an Pflanzen Sechzigfache zurück, was sich auch in zum Nahrungserwerb an. Es gibt Arten, den ebenfalls rückläufigen Bestands- die nur im Frühling fliegen, und andere, zahlen der von Insekten abhängigen die erst im Sommer auftauchen. Wieder Vögeln und Reptilien zeigt (Lister und andere Arten kann man das ganze Jahr Garcia, 2018). Besonderes Aufsehen hat über beobachten, manchen in mehre- auch die so genannte Krefeld-Studie von ren Generationen. Die meisten der in Hallmann und Kollegen aus dem Jahr Deutschland vorkommenden Bienen 2017 erregt. Sie hat gezeigt, dass die sind nur zwischen 4.5 und 13.5 Millime- Biomasse von Fluginsekten in den letz- ter lang (so etwa 92% von 436 Arten). ten 27 Jahren sogar in Schutzgebieten Andere Arten, wie beispielsweise die um 75% zurückgegangen ist, im Som- violette Holzbiene Xylocopa violacea er- mer sogar um über 80%. Besonders gut reichen eine Größe von bis zu drei Zen- ist der beobachtete Rückgang bei den timetern. Auch gibt es Arten, die ihre Bienen untersucht, da diese wichtige Nester in selbstgegrabenen Gängen Bestäuber sind und somit von großem anlegen, während andere bereits exi- wirtschaftlichem Interesse. Es zeigt sich, stierende Hohlräume, wie Käferfraßgän- dass die Zerstörung des Lebensraumes ge oder sogar die Löcher einer im Gar- durch die Intensivierung der Landwirt- ten vergessenen Flöte, als Nest nutzen. schaft und die zunehmende Verstäd- Manche Arten fressen sich ihre Nest- terung, der Druck durch Parasiten und röhren in Totholz, andere nagen sich in Pathogene, der Einsatz von Pestiziden, das Mark von Pflanzenstängeln hinein, seit Mitte der 1990ger Jahre vor allem um dort ihre Brutzellen anzulegen. von Neonikotinoiden, und der Mangel In Deutschland bilden außer der Honig- an ausreichenden Nahrungspflanzen biene nur die Hummel und manche über das ganze Jahr verteilt, den Rück- Schmall- und Furchenbienen größere Völ- gang der Wildbienen vorantreiben. ker mit Arbeiterinnen und einer Königin.

28 Anthidium oblongatum bereit zum Abflug | Foto: Michaela Hofmann, Virginia Depot München, Juli 2018

Um den Einfluss all dieser Faktoren auf Wildbienenschutz in Stadt und Land den Gefährdungsgrad von Wildbienen Die Ergebnisse der Analyse geben Hin- zu untersuchen, haben wir eine Matrix weise darauf, wie Wildbienen effektiv aller Rote-Liste-gelisteten Arten mit ih- geschützt werden können. Zum einen ren Eigenschaften erstellt und mit Hier- bieten Städte wertvollen und schüt- archischen Bayesischen Modellen unter- zenswerten Lebensraum. Der urbane sucht, wie stark der Gefährdungsstatus Raum kann durch geeignete Maßnah- von diesen Faktoren beeinflusst wird. men, wie die Förderung von Nahrungs- Dabei flossen auch die verwandtschaft- und Nisthabitaten zu einem wichtigen lichen Beziehungen der Bienen mit ein. Rückzugsraum für Bienen werden, die Es zeigte sich, dass besonders spät flie- es in Bereichen intensiver Landwirt- gende Sommerarten und Arten mit einer schaft zunehmend schwer haben. Be- engen Habitatpräferenz bedroht sind, sonders fördern sollte man hier die in während früh fliegende Arten, sowie Städten deutlich unterrepräsentierten Arten, die man auch in Städten häufig bodennistenden Arten, die aufgrund der antrifft, weniger gefährdet sind. Abbil- Flächenversiegelung, aber auch der dung 1 fasst das zusammen. wenigen in städtischen Gärten zugäng-

GfBS news 36 2019 29 Abbildung 1. Relative Wichtigkeit verschiedener Habitate und des Vorkommens in Städten auf die Wahrscheinlichkeit von (lokaler) Extinktion. Modifiziert aus Hofmann et al. (2019).

lichen freien Bodenstellen, Schwie- rigkeiten haben, geeignete Nistplätze zu finden. Hier kann schon ein kleiner Bereich mit offen liegender Erde in Privatgärten oder an Straßenrändern Referenzen: Hallmann CA, Sorg M, Jongejans E, helfen, diese Arten zu unterstützen. Siepel H, Hofland N, Schwan H, Goulson D (2017) Zum anderen zeigt sich, dass man ins- More than 75 percent decline over 27 years in total flying insect biomass in protected areas. PLoS One besondere im Sommer durch optimierte 12(10): e0185809. https://journals.plos.org/ploso- Mahd-Strategien und die Anlage von ne/article?id=10.1371/journal.pone.0185809 Blühstreifen das Nahrungsangebot für Hofmann, M. M., C. M. Zohner, and S. S. Renner. Bienen und andere Bestäuber verbes- 2019. Narrow habitat breadth and late-summer sern muss, um dem aktuellen Trend emergence increase extinction vulnerability in rückläufiger Bestandszahlen entgegen- Central European bees. Proceedings of the Royal Society B, https://doi.org/10.1098/rspb.2019.0316, zuwirken. Ein positiver Nebeneffekt ist 6 March 2019, Lister, B. C. und A. Garcia, 2018. außerdem die optische Aufwertung der Climate-driven declines in arthropod abundance Landschaft durch Blütenpflanzen. restructure a rainforest food web. Proceedings oft he National Academy of Sciences 115(44): E10397- E10406. https://www.pnas.org/content/115/44/ E10397 Unsere Autoren: Michaela Hofmann und Sanchez-Bayo, F., und K. A. G. Wyckhuys, 2019. Susanne Renner, Ludwig-Maximilians- Worldwide decline of the entomofauna: A review Universität München of ist drivers. Biological Conservation 232: 8-27. Systematische Botanik und Mykologie https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/ Menzinger Straße 67, 80638 München S0006320718313636

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Wildbienen in Deutschland

In Deutschland gibt es über 565 Ar- ten von Wildbienen, in Europa knapp 2000 Arten und weltweit sogar über 20.000 Arten. Die deutschen Wildbie- nen unterscheiden sich auf vielfältige Weise in ihrer Lebensweise und in ihren Ansprüchen an den Lebensraum. Wäh- rend polylektische Arten eine Vielzahl von Nahrungspflanzen nutzen, sind oli- golektische Arten auf eine oder wenige Pflanzenarten spezialisiert und daher Michaela Hofmann | Foto: Jana Jarczak von diesen abhängig, weshalb diese Arten häufiger bedroht sind wie die Nahrungsgeneralisten. Es gibt Bienen, die ihre Nester in selbstgegrabenen Gängen im Boden anlegen, während andere bereits existierende Hohlräu- me, z.B. Käferfraßgänge, nutzen. Trotz ihrer Vielfalt haben viele Wildbienen eines gemeinsam – sie sind bedroht. 52% der Arten sind gefährdet, vom Aus- sterben bedroht oder als extrem selten eingestuft; und 7% gelten bereits als verschollen.

Susanne Renner | Foto: privat

QR-Code zur Publikation „Die Rote Liste gefährdeter Tiere, Pflanzen und Pilze Deutschlands, Band 3: Wirbellose Tiere (Teil 1) “.

GfBS news 36 2019 31 Die Alpen-Barrenringelnatter Eine neue Schlangenart für Bayern GfBS

Manchmal braucht es eben eine Zeit, zuordnen sind. Unter anderem auch eine bis man die Dinge klar sieht und oft blei- genetische Linie, die am Südrand der ben spektakuläre Neuentdeckungen Alpen verbreitet ist. Wäre es nicht auch lange unbeachtet liegen. So ging es möglich, dass diese Population über den auch mit den ersten bayerischen Bele- Brenner in das Inntal gelangen konnte gen der Alpen-Barrenringelnatter, von und sich dort nördliche und südliche denen einige schon seit vielen Jahr- Ringelnattern treffen? Über den Brenner zehnten in den Magazinen der herpeto- war schließlich auch schon die Mauer- logischen Abteilung der Zoologischen eidechse gekommen, deren nördlichs- Staatssammlung München lagern. tes autochthones Vorkommen einer südalpinen Linie bei Oberaudorf im ba- Aber ganz so einfach ist die Sache na- yerischen Inntal liegt. Auch die frühe türlich nicht: Lange Zeit galt die vom faunistische Literatur lieferte Hinwei- westlichen Europa bis in das westliche se auf Barrenringelnatter-Vorkommen China verbreitetet Ringelnatter als nördlich der Alpen: schon seit den morphologisch hoch variabel und ihre 1950er Jahren wurde immer wieder auf taxonomische Gliederung war verworren. die Existenz solcher Tiere in Tirol hin- Von der Vielzahl der Art zugeordneten gewiesen. Diese Funde wurden dann „Formen“ waren rund ein Dutzend als aber wohl eher als Ausdruck einer ver- geographische Unterarten anerkannt. wirrenden morphologischen Variation Dabei waren diese Subspezies morpholo- gewertet, zumal im Inntal auch „nor- gisch teils schwer zu fassen und manche male“ Ringelnattern vorkommen. Und Arealgrenzen eher verschwommen. Erst so kommen die eingangs erwähnten als Carolin Kindler an den Senckenberg Belege in der Zoologischen Staatsamm- Naturhistorischen Sammlungen in lung wieder ins Spiel. Denn was lag Dresden im Rahmen ihrer Doktorarbeit näher, als die alten bayerischen Fund- bei Uwe Fritz die Situation molekular- orte aufzusuchen und frische Proben zu genetisch Stück für Stück aufklärte, sammeln. kam langsam Licht ins Dunkel. Das Ergebnis war unerwartet klar: acht Und dies war auch der Impulsgeber die der insgesamt 14 neu untersuchten Situation in Bayern einmal genauer zu Schlangen erwiesen sich nach ihren mi- untersuchen. Denn ein wichtiges Ergeb- tochondrialen Cytochrom-b-Sequenzen nis der Arbeiten aus Dresden war es, als eindeutige Barrenringelnattern der dass es sich bei der westlichen Unter- bisher nur aus den Südalpen bekannten art der Ringelnatter, der Barren-Ringel- Linie. Weitere Tiere, von denen nur (nicht natter, um eine eigenständige Art mehr sequenzierbare) Sammlungsbe- handelt (Natrix helvetica), der wiede- lege oder Fotonachweise vorlagen, wa- rum einige italienische Unterarten zu- ren morphologisch so eindeutig, dass

32 Eine Alpen-Barrenringelnatter (Natrix helvetica ssp.) von der oberen Isar. Charakteristisch sind die fehlenden schwarzen Zeichnungselementen auf dem Kopf vor den relativ undeutlichen hellen Nackenflecken. Die Barrenzeichnung an den Flanken ist zu einer Reihe großer Flecken reduziert. | Foto: Frank Glaw sie ebenfalls als Barrenringelnattern treten gerade in den Alpen jedoch angesprochen werden konnten. Gleich- häufig auch sehr dunkel bis schwarz zeitig wurde deutlich, dass im Gebiet der gefärbte Individuen auf, die kein Zeich- N. helvetica-Nachweise – dem Loisach- nungsmuster mehr erkennen lassen. Tal bei Garmisch-Partenkirchen, dem oberen Isartal und dem Inntal mit Sei- Noch bleiben viele Fragen offen, etwa tentälern – auch mitochondrial „norma- zur genauen Verbreitung der Art in le“ Ringelnattern (N. natrix) leben, beide Bayern, zu möglichen Nischendifferen- Arten hier also zusammen vorkommen. zierungen beider Ringelnatter-Arten Morphologisch ist die Alpen-Barren- in der Sympatriezone, zu Hybridisie- ringelnatter nicht sehr auffällig und rungen oder zu naturschutzfachlichen manchmal ist es nicht leicht die Art Aspekten. Diese Arbeiten haben an der sicher zu identifizieren. Besonders das Zoologischen Staatssammlung derzeit namensgebende Merkmal der Art – die schon begonnen. So untersucht Marlene zu Barren vergrößerten Flankenflecken Oefele im Rahmen ihrer Masterarbeit – sind bei den Alpen-Tieren häufig die morphologische Variabilität baye- nicht sehr auffällig. Viel verlässlicher rischer Ringelnattern anhand des sehr sind dagegen Merkmale am Kopf, etwa umfangreichen historischen Belegma- die stark reduzierten, meist sogar feh- terials in der ZSM. Und die Gummistiefel lenden dunklen Flecken am Hinterkopf, für die nächsten Geländearbeiten stehen die bei erwachsenen Tieren sehr blassen schon bereit. oder sogar fehlenden hellen Nacken- flecken und die markanten, jedoch in der Unser Autor: Frank Glaw, Zoologische Staatssamm- Mitte meist breit getrennten schwarz- lung München, Sektion Herpetologie, Münch- en Nackenflecken. Unglücklicherweise hausenstr. 21, 81247 München

GfBS news 36 2019 33 Ausgestorben oder nicht? Auf den Spuren des größten Schwimmkäfers der Welt

Der größte bekannte Schwimmkäfer, Megadytes ducalis Sharp, 1882, misst fast 48 Millimeter Körperlänge und gilt als eines der seltensten Insekten der Welt. Bisher galt er als ausgestorben, doch Wissenschaftler der Zoologischen Staats- sammlung München (SNSB-ZSM) und der Universität Sorbonne, Paris haben in den Insektensammlungen des Muséum National d’Histoire Naturelle in Paris Hin- weise entdeckt, mit denen lebende Exemplare in der Natur aufgespürt wer- den könnten. Die Arbeit wurde in der internationalen Fachzeitschrift Zootaxa publiziert.

Von dem größten Schwimmkäfer der Welt, Megadytes ducalis Sharp, 1882, kannte man bisher nur das Typusexem- plar, welches sich im Museum of Natural History in London befindet und von dem man lediglich wusste, dass es irgend- wann um 1880 in Brasilien gesammelt wurde - Gerüchten zufolge in einem mit Weibchen von Megadytes ducalis. Das Foto zeigt Wasser gefüllten Kanu im Amazonas- das bisher größte bekannt gewordene Exemplar gebiet. Die Art wird heute in den (mit 47,4 mm Körperlänge) der Art. Es ist aus der Listen des IUCN als ausgestorbene bzw. Sammlung Maurice Régimbart des Muséum Nati- verschollene Tierart geführt. onal d’Histoire Naturelle in Paris | Foto: M. Balke, SNSB-Zoologische Staatssammlung München Völlig unerwartet haben deutsche und französische Wissenschaftler in bis- her unbearbeiteten Teilen der Pariser zoologischen Sammlungen nun weitere (heutiger Name Con-deúba) im südlichen 10 Exemplare des Schwimmkäfers ent- Teil von Bahia, Brasilien, hin. Vermutlich deckt. Den Forschern gelang es, die über ist die Art in den feuchteren Teilen der 100 Jahre alten, historischen Ortsbe- brasilianischen Savanne oder Cerrado zeichnungen der konservierten Käfer in verbreitet. Dadurch sind jetzt gezielte heutige Standortdaten zu übersetzen. Expeditionen planbar, um diesen Riesen- Diese weisen auf Santo Antônio da Barra schwimmkäfer lebend wiederzuentde-

34 Männchen von Megadytes ducalis, seitliche Ansicht | Foto: M. Balke, SNSB-Zoologische Staatssammlung München cken. Nach Europa gebracht wurden die historischen Exemplare von dem franzö- sischen Entomologen und Naturforscher Pierre-Émile Gounelle (1850-1914), der von 1884 bis 1914 sieben selbstfinan- zierte wis-senschaftliche Expeditionen in den Osten und Nordosten Brasili- ens unternahm. Dort sammelte er viele Insekten, Spinnen und Pflanzen, die spä- ter im Muséum National d‘Histoire Natu- relle in die Sammlungen aufgenommen wurden.

Lars Hendrich und Michael Balke von der Zoologischen Staatssammlung Mün- chen: „Es wird nun zum ersten Mal für unsere brasilianischen Kollegen möglich sein gezielt nach dieser Art zu suchen. Diese Entdeckung unterstreicht einmal mehr den Wert von historisch gewach- senen naturkundlichen Sammlungen für die globale Biodiversitätsforschung und den Artenschutz.“

QR-Code zur Publikation „The return of the Duke – Unsere Autoren: Lars Hendrich & Michael Balke, locality data for Megadytes ducalis Sharp, 1882, SNSB-Zoologische Staatssammlung München the world‘s largest diving beetle, with notes on Münchhausenstraße 21, 81247 München related species (Coleoptera: Dytiscidae) “.

GfBS news 36 2019 35 Knallbunt Neue Riesenstabschrecken in Madagaskar entdeckt

Currently, Wissenschaftler der Zoolo- gischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM) und der Universität Göttingen haben zwei neue Riesenstab- schrecken entdeckt, die mit über 20 Zentimeter Körperlänge zu den größ- ten Insekten Madagaskars gehören. Im Unterschied zu den meisten anderen Stabschrecken tarnen sich die erwachse- nen Männchen dieser Phasmiden nicht als unscheinbare Äste und präsentieren Das Männchen von Achrioptera maroloko zeigt sich in üppiger Farbenpracht. Warum sich eine gelb-schwarze Warnfärbung | Foto: Frank Glaw die Männchen diese Extravaganz leisten können, bleibt vorerst ein spannendes Rätsel für die Evolutionsforschung. München. Für die Weibchen könnte die Die Arbeit wurde heute in der Fachzeit- Tarnung trotzdem vorteilhafter sein als schrift Frontiers in Ecology and Evolution die Abschreckung von Fressfeinden. veröffentlicht. „Wenn im Tierreich besonders bunte Männchen auftreten, dann liegt das oft Achrioptera manga ist ein echtes Juwel daran, dass die Weibchen solche Männ- unter den Stabschrecken, riesengroß und chen für die Paarung bevorzugen, aber mit knallbunten Männchen. Die wich- ob diese Erklärung bei den hauptsäch- tigste Überlebensregel für Stabschre- lich nachtaktiven Tieren zutrifft, wissen cken ist eigentlich, sich für Fressfeinde wir nicht.“ ergänzt sein Kollege und Heu- unsichtbar zu machen, aber die farben- schreckenexperte der ZSM Oliver Haw- prächtigen -Männchen haben sich ein- litschek. Auffällig ist jedenfalls, dass die fach darüber hinweggesetzt - und trotz- Männchen ihre Farbenpracht erst entwi- dem überlebt. Wofür diese Extravaganz ckeln, nachdem sie erwachsen geworden nützlich ist und warum die auffälligen sind. Bis zu ihrer letzten Larvenhäutung Männchen nicht schnell von Vögeln und sehen sie aus wie ein brauner Zweig anderen Tieren gefressen werden, bleibt und sind tagsüber fast unsichtbar. Erst vorerst ein Rätsel. danach erfolgt innerhalb weniger Tage die erstaunliche Umfärbung zum farben- „Möglicherweise nehmen sie mit ihrer prächtigen Insekt. Blätternahrung Pflanzengifte auf, die sie in ihrem Körper einlagern und signalisie- Die Weibchen bleiben hingegen wie die ren mit ihrer Farbenpracht, dass sie nicht meisten Stab- und Gespenstschrecken genießbar sind“ sagt Frank Glaw, Kurator zeitlebens gut getarnt. „Mit dieser Stra- an der Zoologischen Staatssammlung tegie hat die Insektenordnung der Phas-

36 miden seit Jahrmillionen überlebt, mehr als 3.000 Arten hervorgebracht und alle wärmeren Regionen der Erde besiedelt.“ erklärt Sven Bradler, Stabschrecken- forscher an der Universität Göttingen. „Unsere Daten lassen vermuten, dass es noch viele weitere neue und äußerlich ähnliche Arten gibt, die sich erst mit Hilfe der Genetik zuverlässig identifizieren lassen,“ ergänzt seine Kollegin Julia Goldberg.

Bisher wurde A. manga der äußerlich sehr ähnlichen Art Achrioptera fallax zugeord- net, die schon vor fast 160 Jahren be- schrieben wurde. Aber erst vor ein paar Jahren entdeckten Forscher der Zoologi- schen Staatssammlung München grüne Stabschrecken, die der Erstbeschreibung von A. fallax genau entsprechen. Zusam- men mit Kollegen der Universität Göt- tingen verglichen sie nun die grüne und Das getarnte Weibchen (links) und das farbenpräch- blaue Form und fanden unter anderem tige Männchen (rechts) der blauen Riesenstab- deutliche genetische Unterschiede, die schrecke Achrioptera manga | Zeichnung: Barbara ihre artliche Verschiedenheit belegen. Ruppel. Ähnlich verlief auch die Entdeckung der zweiten neuen Riesenstabschrecke Achrioptera maroloko, die bis zu 24 cm Körperlänge erreicht und bisher für A. spinosissima gehalten wurde. Beide Arten zeigen jedoch ebenfalls deutliche Unterschiede in der Männchenfärbung (gelb versus blau) und der Genetik.

QR-Code zur Publikation „When Giant Stick Insects Play With Colors: Molecular Phylogeny of Unser Autor: Frank Glaw, Zoologische Staats- the Achriopterini and Description of Two New sammlung München, Sektion Herpetologie Splendid Species (Phasmatodea: Achrioptera) Münchhausenstr. 21, 81247 München From Madagascar “.

GfBS news 36 2019 37 Bücher / Literatur

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Algen Baden-Württembergs

Algen sind vielfältig, interessant und als Tierfutter und Lieferanten für Bio- fast überall anzutreffen. Sie kommen treibstoff vermarktet. Und in einem aktu- in einer Arten- und Formenvielfalt vor, ellen Experiment auf der Internationalen die beeindruckt. Für Wissenschaftler Raumstation ISS sollen Algen in einem sind Algen ein spannendes Forschungs- Photobioreaktor den Beweis erbringen, feld, dem „normalen“ Menschen eher verbrauchte Luft mittels Photosynthese etwas suspekt. Zwar kennt wohl jeder- in Sauerstoff und essbare Biomasse um- mann die großen Tange der Weltmeere, zuwandeln. aber die schiere Fülle all der anderen Algen ist eher unsichtbar und lässt sich Algen leben nicht nur im Wasser, sie nur schwer und gar nicht mit dem blo- kommen auch im Boden, auf Steinen, auf ßen Auge erkunden. Dazu benötigt man Schnee und Eis, auf Tieren und Pflanzen ein gutes Mikroskop – oder man sieht und in verschiedenen Lebensgemein- und riecht sie in Massenaufkommen, in schaften (Symbiosen), z. B. den Flechten, sogenannten Algenblüten, die Gewässer vor, und sie wachsen an den Wänden un- unansehnlich machen. In unseren Bin- serer Häuser. Algen sind die wichtigsten nengewässern sind es vor allem die Cy- Primärproduzenten und bilden eine be- anobakterien mit ihren Leber- und Ner- deutende Qualitätskomponente für den vengiften, die Anlass zur Sorge bereiten. ökologischen Zustand unserer Gewässer. Algen sind also zweifelsohne eine Aber Algen sind auch von großem Nut- bedeutende Gruppe von Organismen. zen für den Menschen, als Nahrung und Doch dass der Zugang zur Vielfalt eher Nahrungsergänzungsmittel der Zukunft schwierig ist – auch daran gibt es kei- angepriesen, als veganer Fleischersatz, nerlei Zweifel! Algen sind eben keine als Superfood und zur Körperpflege und taxonomisch einheitliche und daher

38 leicht zu (er)fassende Gruppe. Algen gene Würdigung des Lebenswerkes von sind stammesgeschichtlich betrach- Hans Mattern (*1932)! tet sogar eine sehr heterogene Gruppe von Organismen. Das zweibändige Werk – gedruckt auf sehr gutem Papier, in exzellenter Druck- Trotz all dieser eher entmutigenden Ar- und Bindequalität hergestellt und mit gumente stellten sich die Herausgeber einem detailreichen Register ausgestat- Simon Stutz (Stuttgart) und Hans Mat- tet – ist in einen Allgemeinen und Spezi- tern (Schorndorf), unterstützt von 14 ellen Teil gegliedert. Autoren und dem Verleger Manfred Hennecke (Remshalden), der Herausfor- Der Allgemeine Teil (knapp 100 Seiten) derung, eine Gesamtschau aller in Ba- umfasst neun Beiträge und handelt den-Württemberg gefundenen Algen in von den Algen in der Erdgeschichte, einem Grundlagenwerk zu präsentieren: der Geschichte und der Gegenwart der phykologischen Forschung, gibt einen Das zweibändige Werk „Beiträge zu den Überblick über die Algen, die Evolution Algen Baden-Württembergs“ ist nun als und Symbiosen der Algen, zeigt Erkran- zweiteiliger Sonderband in der Reihe kungen durch Algen und ihre Toxine der Jahreshefte der Gesellschaft für Na- und zahlreiche Möglichkeiten der An- turkunde in Württemberg erschienen wendung von Algen auf, geht auf die und basiert auf den in den Jahren 2011 Bedeutung der Algen als Zeigerorganis- bis 2017 in den Jahresheften der Gesell- men der Gewässergüte ein und gibt eine schaft erschienenen Veröffentlichungen gekonnte Anleitung zur Untersuchung von Hans Mattern. Das „Algenwerk“ ist und Bestimmung von Algen unter Ver- somit gleichzeitig auch eine sehr gelun- weis auf wichtige Bestimmungsliteratur.

GfBS news 36 2019 39 Im Speziellen Teil (etwa 850 Seiten) wer- Oberreuter-Stiftung Stuttgart, Landes- den alle wichtigen Algengruppen im anstalt für Umwelt Baden-Württemberg Detail vorgestellt: Die Cyanobacteria, Karlsruhe, Universität Stuttgart Institut Glaucobionta, Rhodobionta und Chlo- für Biomaterialien und biomolekulare robionta (im ersten Teil) und die Eugle- Systeme sowie Institut für Raumfahrt- nozoa und die Heterokontobionta (im systeme, Carl Zeiss Jena, Gesellschaft für zweiten Band). Naturkunde in Württemberg. Großen Raum nehmen dabei die Kiesel- algen (Diatomeen) ein. Es ist ein wahre Summarium: Die „Beiträge zu den Algen Augenweide mit welch hervorragenden Baden-Württembergs“ sind eine groß- Bildern die „Algen Baden-Württem- artige Werbung, sich mit diesen vielfäl- bergs“ präsentiert werden. Insgesamt tigen und wunderschönen Organismen 1.152 Illustrationen! Eine überaus ge- eingehender zu beschäftigen! lungene Bebilderung verknüpft mit einem gekonnten Layout! Lediglich die manchmal nicht enden wollenden Fund- ortaufzählungen (25.000 Datensätze der Landesanstalt für Umwelt Baden-Württ- emberg) wirken vielleicht etwas störend. Unser Autor: Aber die müssen in solch einem Grund- Franz Brümmer, Universität Stuttgart Institut für Biomaterialien und biomolekulare lagenwerk einfach sein. Systeme (vormals Biologisches Institut) Den Autoren, Herausgebern und dem Abtl. Zoologie Verleger ist ein großartiges, längst über- Pfaffenwaldring 57, 70569 Stuttgart fälliges Grundlagenwerk gelungen. Da- für gebührt ihnen allen Dank und Aner- Stutz, S. & H. Mattern (Hrsg.): Beiträge zu den kennung. Algen Baden-Württembergs. Band 1 (2018, ISBN 978-3-927981-98-0), Band 2 (2019, ISBN 978-3- Aber auch die zahlreichen Unterstüt- 927981-99-7). 1152 Abb., 42 Verbreitungskarten, zer und Förderer, die dieses Projekt 7 Tab., 500 Lit., 956 pp. Verlag Manfred Hennecke, Remshalden. Format 24,6 x 17,4 x 3,3 cm. Geb. erst ermöglichten, sollen hier dankend Preis: € 50,00 pro Band. Bezugsquellen über die Ver- erwähnt werden: Stiftung Naturschutz- sandbuchhandlungen Andreas Kleinsteuber, Karls- fonds Baden-Württemberg, Brigitte ruhe (www.kleinsteuber-books.com bzw. Koeltz Baumann aus Oberstenfeld, Dorgerloh- (www.koeltz.com) oder den Verlag.

40 Der Direktlink zum Verlag.

GfBS news 36 2019 41 Bücher / Literatur

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Die Süßwasserfische des Karl von Meidinger

Der österreichische Gelehrte Karl von Thomas Sterba gebührt das Verdienst, Meidinger (1750 – 1820) hat neben die Icones Piscium Austriae des Karl von seinen offiziellen Professionen als Re- Meidinger wiederentdeckt zu haben, sie gierungssekretär für Niederösterreich hinsichtlich ihrer Qualität zu rehabilitie- später als Ratsprotokollist bei den k. k. ren und in Form des hier vorgestellten Landrechten unter der Ems zu Wien auf Buchs einem breiten Publikum zu prä- verschiedenen naturwissenschaftlichen sentieren. Dazu hätte es nicht einer so Gebieten geforscht und darüber publi- voluminösen Publikation bedurft, die ziert. im Geleitwort von R. Kinzelbach als Jahr- hundertwerk gelobt wird. Aber der Au- Unter mehr als 60 Beiträgen vorwie- tor hat Meidingers Fischdarstellungen gend praxisbezogenen physikalisch- in einen größeren Rahmen gestellt, was chemisch-merkantilen und botanischen den Wert seiner tiefschürfenden Arbeit Inhalts befinden sich auch seine von erheblich steigert. 1785 bis 1794 auf eigene Kosten heraus- gegebenen Icones Piscium Austriae, in Ausgehend von der Präsentation und Be- denen er auf 50 handkolorierten und in wertung der Meidingerschen Fischdar- fünf Heften zusammengefassten Kupfer- stellungen zieht Sterba einen Vergleich tafeln in folio 42 Fischarten und einige mit der ähnlich aufwendig illustrier- Varietäten aus dem Einzugsbereich der ten Oekonomischen Naturgeschichte Donau wiedergibt. Leider haben die ge- der Fische Deutschlands von Meidin- ringe Auflagenhöhe, der hohe Verkaufs- gers Zeitgenossen, dem Berliner Arzt preis sowie der spärliche Text in Latein und Ichthyologen Marcus Elieser Bloch eine weite Verbreitung des inzwischen (1723 – 1799). Sie ist in den Jahren 1782 nahezu vergessenen Werks verhindert. bis 1784 als erster Teil seiner später um

42 die Naturgeschichte der ausländischen Nach Sterbas Analyse hat von Meidin- Fische erweiterten Allgemeinen Natur- ger in 32 von 50 Fällen weitaus bessere geschichte der Fische erschienen, mit Abbildungen als Bloch von den jewei- der Bloch trotz mancher Fehler zu einem ligen Arten oder Varietäten geliefert, der wichtigsten Ichthyologen der frühen neun weitere sind den Blochschen Ab- nach-Linnéschen Periode werden sollte. bildungen mehr oder weniger unter- legen, und in ebenfalls neun Fällen hat Als drittes Anliegen veranschaulicht der von Meidinger Blochsche Abbildungen Autor die historische Entwicklung von kopiert, ohne in jedem Einzelfall auf de- Illustrationen und Kenntnissen zu jenen ren Herkunft zu verweisen. Tatsächlich Fischarten, die in Karl von Meidingers wirken viele Darstellungen in den Icones Tafeln abgebildet sind. Dazu dehnt er Piscium Austriae durchaus lebensnaher, den Zeithorizont vom frühen 16. bis zum teilweise auch präziser als die seinerzeit Beginn des 20. Jahrhunderts aus und hochgelobten von Bloch, wobei sich der bezieht Fischdarstellungen von über Rezensent nicht immer den Argumenten 80 weiteren Urhebern in seine kritische des Autors anschließen konnte. Bewertung ein, wobei er neben zoolo- gischen und künstlerischen Gesichts- Für den hohen „Gebrauchswert“ des punkten auch allgemeine Aspekte im Buches ist diese spezielle Fragestellung Verhältnis zwischen Mensch und Fisch aber nicht entscheidend. Wichtiger ist berücksichtigt. die mit viel Detailkenntnis und Akribie zusammengetragene Fülle an Informa- Dem Hauptteil des Werks, „Meidingers tionen, die sich dem Leser bei der Lek- Fischtafeln im historischen Vergleich“, türe der Kapitel über die Entwicklung werden eine Einführung, die Kapitel der Fischdarstellungen, der ichthyolo- „Die ichthyologische Illustration“, „Das gischen Systematik und vor allem bei Phänomen Fisch und seine Systema- den anschließenden sehr ausführlichen tik“, „Karl von Meidingers Lebensdaten“ Besprechungen der abgehandelten Ar- sowie eine Anleitung zur Nutzung des ten erschließt. Buchs vorangestellt. Das Abbildungs- und Literaturverzeichnis , zwei Artenre- Wem nützt ein solches Buch? Man gister in Deutsch und Latein sowie ein könnte sagen jedem, der ein etwas tiefer Personenindex sind im umfangreichen gehendes Interesse an den vielfältigen Anhang zu finden. Beziehungen der Menschen zu den eu- ropäischen Süßwasserfischen und an de- Dem Verlag Natur + Text GmbH Rangs- ren Identifikation aufbringt. Unabhängig dorf gebührt Anerkennung dafür, dass davon, ob er als Ichthyologe, Fische- er die Verwirklichung eines so umfang- reifachmann, Angler, Ökologe, Faunist, reichen Themas ermöglicht hat, opulent Naturschützer oder Wasserwirtschaftler ausgestattet mit vielen Illustrationen, diese Fischgruppe im Blick hat, ob er als die eine Augenweide für den Betrachter engagierter Aquarianer über sein spe- darstellen. Damit hat sich der Verlag für zielles Interessengebiet hinausschauen weitere, ähnliche Projekte empfohlen. möchte oder als Wissenschaftshistoriker

GfBS news 36 2019 43 die Entwicklung der naturwissenschaft- Bleeker (1876) der Schrätzer, Gymno- lichen Illustration oder der zoologischen cephalus schraetser (für den u. a. die Forschung am Beispiel der Fische verfol- Gattung einst von Bloch aufgestellt gen will. wurde) und nicht der Kaulbarsch.

Die Zahl potentieller Zielgruppen kann Die auf Seite 95 im Kapitel über die noch um Bildungseinrichtungen wie Güster erwähnten Taxa Cyprinus buggen- einschlägige Hochschulinstitute, Bibli- hagii Bloch, Abramis leuckhartii Heckel otheken und naturwissenschaftliche und Abramis heckelii Selys-Longchamps Museen erweitert werden, denen der haben nichts mit der Güster zu tun, weil Erwerb des Buches empfohlen sei, vor es sich jeweils um Bastarde zwischen allem auch für jene Interessenten, die es Plötze und Blei handelt, was, wie der sich – aus welchen Gründen auch immer Autor auch erwähnt, von Siebold (1863) – nicht anschaffen können oder wollen. zuerst aufgefallen war und von Zarske in jüngerer Zeit erneut untersucht und Ein paar Fehlinterpretationen sind auf- begründet wurde. gefallen, die sich in einem derartig umfangreichen Werk wohl nicht immer Das auf den Seiten 315 und 316 nur als vollständig vermeiden lassen: Auf Seite Synonym zur Plötze aufgeführte Taxon 49 erwähnt der Autor die spätere Über- Leuciscus heckelii Nordmann ist nach führung des Kaulbarsches aus der Kottelat & Freyhof (2007) und auch nach Gattung Perca in die Gattung Gym- Fishbase als Rutilus heckelii eine gut nocephalus, deren „Nominalform“ abgrenzbare eigenständige Art. er repräsentiere. Mit dem unpräzi- sen Begriff „Nominalform“ könnten Soweit einige wenige kritische An- die offiziellen Begriffe „Nominat- merkungen, um neben der Würdigung form“ oder „Typusart“gemeint einer großen schriftstellerischen Lei- sein. Diese ist aber für die Gattung stung auch dieser Rezensenten-Pflicht Gymnocephalus nach Festlegung durch nachgekommen zu sein.

Unser Autor: Hans-Joachim Paepke

44 Mit naturhistorischen Illustrationen aus vier Jahrhunderten. 660 Seiten, 609 Abbildungen, Hardcover. Basilisken-Presse, Natur + Text GmbH, Rangsdorf, 2018. ISBN 978-3-941365-57-5. Preis: 149 €. Das Buch ist als 18. Band in der Rei- he “Acta Biohistorica, Schriften aus dem Muse- um und Forschungsarchiv für die Geschichte der Biologie“ erschienen. Der Direktlink zum Verlag.

GfBS news 36 2019 45 Bücher / Literatur

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Water Bears: The Biology of Tardigrades

Das neue Buch „Water Bears: The Biology Einblicke in die Ökologie der Bärtier- of Tardigrades“ wurde von dem Stuttgar- chen, die im Meer, in Seen und Flüssen ter Zoologen Ralph Schill in Zusammen- und terrestrischen Lebensräumen vor- arbeit mit 25 weiteren internationalen kommen können. Weitere Kapitel geben Kolleginnen und Kollegen herausgege- einen Überblick über die Fortpflanzung, ben. Das über 400 Seiten umfassende Entwicklungs- und Lebenszyklen sowie Buch mit 51 Schwarz-Weiß-Illustrationen die außergewöhnlichen Umweltanpas- und 65 farbigen Abbildungen und ist sungen wie u. a. der Trocken- und Ge- schon jetzt ein Standardwerk. friertoleranz, für die die Tiere bekannt sind. Auch neueste molekulare Tech- Es beginnt im ersten Kapitel mit der niken, die in der Bärtierchenforschung Entdeckung der Tiere, von der ersten angewandt werden sowie praktische Beschreibung durch den deutschen Pa- Tipps für die Probenahme und Proben- stor Johann August Ephraim Goeze 1773, verarbeitung sind in Kapitel ausführ- bis 1929, zu Ernst Marcus. Noch nie zu- lich beschrieben. Das Buch schließt mit vor gab es eine solche vollständige Be- einem vollständigen Überblick über die schreibung der ersten knapp zweihun- bisher bekannten Bärtierchengruppen. dert Jahre Bärtierchenforschung unter Verwendung von Originalzitaten. In den „Einige der schönsten Stunden meiner nachfolgenden Kapiteln wird der aktu- wissenschaftlichen Karriere habe ich elle Stand des Wissens über die Morpho- mit dem Studium von Bärtierchen ver- logie, Taxonomie, Phylogenie, Biogeo- bracht“, so Ralph Schill. „Und auch nach graphie, Paläontologie, Zytologie und vielen Jahren beobachte ich diese klei- Zytogenetik der Bärtierchen vorgestellt. nen Tiere noch immer begeistert unter Darüber hinaus bietet das Buch tiefe meinem Mikroskop.“

46 Angefangen hat alles mit Johann Au- gust Ephraim Goeze 1773, einem pro- testantischen Pastor in Quedlinburg. Seine Beobachtungen führten zur er- sten Beschreibung eines kleinen Tieren, das aussah wie ein kleiner Bär. Deshalb Ralph O. Schill (Ed.) gab er ihm den Namen „kleiner Wasser- Water Bears: The Biology of Tardigrades bär“. Eine ständig wachsende Zahl von Series: Zoological Monographs Wissenschaftlern interessierte sich über 1st ed. 2018, VIII, 419 p. 118 illus., 57 illus. in color. Jahrhunderte für diese faszinierenden Tiere und ihre Fähigkeiten lange Zeiten in einem Überdauerungsstadium auf besse- re Umweltbedingungen zu warten, ohne dass ein Stoffwechsel nachweisbar ist.

Die Idee zu diesem umfassenden Bär- tierchenbuch entstand während dem 11. Internationalen Tardigradensymposi- um in Tübingen. Es hat also zehn Jahre gedauert, bis alle Erkenntnisse der führenden Experten aus neun Ländern zusammengefasst wurden – die Arbeit hat sich aber gelohnt.

Unser Autor: Steffen Hengherr, Hülben Der Direktlink zum Verlag.

GfBS news 36 2019 47 Gekommen, um zu bleiben Drachenwels aus Ostasien in der bayerischen Donau GfBS

Die bayerische Donau ist inzwischen Der wissenschaftliche Artname fulvi- Heimat für viele Fisch- und andere Tier- draco bedeutet übersetzt „Gelber arten, die ursprünglich nie dort vor- Drachen“, weshalb die Autoren als kamen – sogenannte eingeschleppte deutschen Namen „Gelber Drachen- Arten oder Neozoen. Nun ist ein wei- wels“ vorschlagen. terer „bayerischer Neubürger“ identifi- ziert worden: Der „Gelbe Drachenwels“ „Ob die Art, die sich in ihrer Heimat (Tachysurus fulvidraco). Um welche von Insektenlarven, Weichtieren und Fischart es sich handelt, blieb solange kleinen Fischen ernährt, auf Dauer eine unklar, bis sich ein Fischer, ein Amateur- Gefahr für die einheimische Fauna dar- biologe und ein Wissenschaftler der stellt, kann derzeit nicht abgeschätzt Staatlichen Naturwissenschaftlichen werden“, sagt Ulrich Schliewen, Kurator Sammlungen (SNSB-ZSM) zusammen- für Fische an der ZSM, „Aus anderen taten und einen kurzen wissenschaft- europäischen Ländern ist eine Ver- lichen Artikel in der aktuellen Ausga- schleppung nicht bekannt, weshalb be der zoologischen Fachzeitschrift uns keine Erfahrungswerte vorliegen.“ „Spixiana“ veröffentlichten. Auch sei nicht klar, wie die Art in die Donau gelangte: Handelt es sich um Schon seit den 1980er Jahren drin- Nachkommen von Zierfischen aus gen verschiedene Arten sogenann- Teichen, die beim letzten Donauhoch- ter Schwarzmeergrundeln als blinde wasser überschwemmt wurden? Oder Passagiere der Flussschifffahrt in den wurden sie unabsichtlich durch den bayerischen Donauraum ein. Seither kontaminierten Besatz mit anderen gilt die Ökologie der bayerischen Do- wirtschaftlich interessanten Fischen nau als komplett umgekrempelt. Der in den Fluss gesetzt? Eines ist wohl nun entdeckte Neuzugang ist erstmals sicher: die Art ist gekommen, um zu im Mai 2018 in einem etwa 30 km langen bleiben. Unter den vielen hundert Donauabschnitt zwischen Regensburg gefangenen Fischen fanden sich so- und Straubing aufgetaucht. Seitdem wohl geschlechtsreife erwachsene fingen ortsansässige Fischer hunderte Tiere als auch Jungtiere. Exemplare dieses Fisches. Der Körper- bau und genetische Merkmale eines Der Gelbe Drachenwels ist in seiner ost- nun in der Forschungssammlung der asiatischen Heimat, vor allem in China, Zoologischen Staatssammlung Mün- eine kommerziell wichtige Fischart, die chen hinterlegten Exemplars von 30 cm in Teichen gezüchtet wird. Zu Beginn Länge belegen, dass es sich um der Laichzeit im April oder Mai legen T. fulvidraco, eine Art aus der Familie die Männchen Gruben im Flachwasser der Stachelwelse (Bagridae) handelt. stiller Altarme an.

48 Neubürger: Der Gelbe Drachenwels (Tachysurus fulvidraco) aus Ostasien wurde im Jahr 2018 zu Hunderten in Nebengewässern der Donau gefangen, wo er sich inzwischen auch fortpflanzt | Foto: Michael Härtl

Dort laichen sie mit den Weibchen ab und betreiben die Brutpflege der Eier und geschlüpften Larven. Vorsicht ist beim Umgang mit Fischen dieser Art geboten, denn die gezähnten Flossen- strahlen können schmerzhafte Wunden verursachen.

QR-Code zur Publikation Unser Autor: Ulrich Schliewen Zoologische Staats- „First record of the East Asian Yellow Catfish sammlung München (SNSB-ZSM) Tachysurus fulvidraco (Richardson, 1846) Münchhausenstr. 21, 81247 München in Germany (Teleostei, Bagridae) “.

GfBS news 36 2019 49 Zwerge: Neue Mini-Frösche in Madagaskar entdeckt GfBS

Ein internationales Forscherteam hat auf der Insel Madagaskar fünf neue Zwerg- froscharten entdeckt. Der größte von ihnen könnte bequem auf einem Dau- mennagel Platz nehmen, der kleinste ist kaum länger als ein Reiskorn. Die Studie wurde heute in der Fachzeitschrift PLoS ONE veröffentlicht.

An der Arbeit sind u.a. Forscher der Zoo- logischen Staatssammlung München (SNSB-ZSM), der LMU München, der Tech- : einer der kleinsten Frösche der Welt nischen Universität Braunschweig und | Foto: der Universität Antananarivo beteiligt.

Madagaskar hat eine einzigartige Tier- proportionalis und Anodonthyla eximia welt und ist ein Hotspot der Artenviel- sind ebenfalls nur 11 bis 12 mm groß falt. Auf der Insel sind ak-tuell mehr als und damit viel kleiner als ihre nächsten 350 Froscharten bekannt, aber diese Verwandten. Zahl steigt stetig und viele der Neu- entdeckungen sind sehr klein. Die fünf „Die extreme Miniaturisierung lässt die neuen Arten gehören zur Gruppe der Frösche sehr ähnlich aussehen. Daher Engmaulfrösche, eine sehr artenreiche wird leicht unterschätzt, wie vielfältig Familie, die auf allen Kontinenten außer sie wirklich sind“, sagt Mark D. Scherz, der Antarktis und Europa zu finden ist. Doktorand an der Ludwig-Maximilians- Universität München sowie der Tech- Drei der neuen Zwergfrösche gehören nischen Universität Braunschweig und zu einer neuen Froschgattung und pas- Erstautor der Studie. send zu ihrer geringen Körpergröße gaben die Autoren dieser neuen Gattung Die winzigen Frösche leben in der den Namen Mini. Erwachsene Exemplare Laubstreu des Regenwaldes und sind der zwei kleinsten Arten Mini mum und nur schwer zu finden. „Die Balzrufe der Mini scule sind nur 8–11 mm groß und Männchen verstummen bereits bei der gehören damit zu den kleinsten Amphi- kleinsten Störung“, sagt Frank Glaw, bien der Welt. Aber sogar das mit 15 mm Leiter der Sektion für Amphibien und Körperlänge größte Mitglied der neuen Reptilien der Zoologischen Staatssamm- Gattung Mini ature passt bequem auf lung München „Die kleinen Tiere zu einen Daumennagel. Die beiden weite- finden, erfordert viel Geduld.“ ren Neuentdeckungen Rhombophryne

50 Mini scule sind nur 8–11 mm groß | Foto: Andolalao Rakotoarison

Tropische Wirbelstürme an der Ostküste Madagaskars erschwerten die Arbeits- bedingungen für die Forscher auf ihrer Suche nach den Minifröschen zusätzlich. Doch für Miguel Vences, Leiter der Ab- teilung für Evolutionsbiologie der Tech- nischen Universität Braunschweig war die Suche direkt nach einem solchen Sturm erfolgreich. „Ich fand Anodonthyla eximia am frühen Morgen nachdem ein Wirbelsturm, der den größten Teil un- seres Lagers wegfegte. Schlimme Bedin- gungen für Biologen können großartige Bedingungen für Frösche schaffen.“

QR-Code zur Publikation „Morphological and ecological convergence at the lower size limit for Unsere Autoren: Mark D. Scherz, LMU München und vertebrates highlighted by five new miniaturised Frank Glaw, SNSB – Zoologische Staatssammlung microhylid species from three different München Madagascan genera“.

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Geschichte der Limnologischen Stationen Deutschlands

Das vorliegende Werk beschreibt die bestanden nur kurz, andere haben sich Entstehung und Entwicklung limnolo- im Laufe ihres Bestehens stetig gewan- gischer Stationen in Deutschland. Diese delt, wieder andere nahmen erst kürz- sind zu verstehen als logischer Schritt lich ihre Arbeit auf, um neue Aspekte der der Weiterentwicklung naturkundlicher Forschung und Lehre zu erproben und in Forschungsreisen, hin zu ebenso ganz- die Limnologie einzubringen. heitlicher und lebendiger, aber sess- Neben den wissenschaftlichen Aspekten hafter Forschung, meist in einer attrak- zeigen die Autoren auf, wie sich die Sta- tiven Landschaft. Ein weiterer Grund tionen – nicht immer auf einfachen We- für die Einrichtung limnologischer Sta- gen – weiter entwickelt haben; dabei tionen war die Notwendigkeit, direkt kommen persönliche Aspekte nicht zu an Gewässern – oft mit schwerem Gerät kurz. Mit diesem Buch würdigt die Deut- und aufwendigen Laboren – Messungen sche Gesellschaft für Limnologie (DGL) und Untersuchungen durchzuführen. die seit 125 Jahren stetig fortschreitende Entwicklung ihrer Wissenschaft rund um Siebenunddreißig Autoren beschreiben die Erforschung der Gewässer. Und sie Ursprung, Besonderheiten, Forschungs- möchte damit auch eine klare Botschaft leistungen sowie Schicksal der sieben- formulieren: Limnologische Stationen undzwanzig limnologischen Stationen sind wichtige Ausgangspunkte neuer, Deutschlands, in der Regel festgehalten ganzheitlicher Forschungsansätze und und dokumentiert von Zeitzeugen. müssen auch zukünftig als erfolgreiche, Die hier zusammengestellten Berichte lebendige Lern- und Anwendungsorte zeigen, dass es sich um ganz unterschied- der jung gebliebenen Wissenschaft Lim- liche Stationen handelt: Einige Stationen nologie gefördert und erhalten werden.

52 Unser Autor: Ralph O. Schill, Universität Stuttgart Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme, Pfaffenwaldring 57, D-70569 Stuttgart

Günther Friedrich • Udo Kosmac (Hrsg.) im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Limnologie e.V. Geschichte der Limnologischen Stationen Deutschlands 2019. VIII, 317 Seiten, 255 Abbildungen, 3 Tabellen, zahlreiche meist farbige Abbildungen, 19x27cm, 1120 g, Sprache: Deutsch ISBN 978-3-510-65430-7, gebunden, Preis: 34.80 € Der Direktlink zum Verlag.

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Die Libellen Europas Alle Arten von den Azoren bis zum Ural im Porträt

Libellen gelten mit ihren Farbmustern Im Mittelpunkt des Buches stehen die und glitzernden Flügeln als Kleinodien ökologischen, verhaltens- und natur- der Gewässer und Akrobaten der Lüfte, schutzbiologischen Aspekte aller eu- deren Verhalten jeden Beobachter in ropäischen Libellenarten: die artspe- seinen Bann zu ziehen vermag. Eben- zifischen Entwicklungsgewässer und so faszinierend ist ihre teils verborgene Landlebensräume, die Entwicklung im und teils augenfällige Lebensweise: Die Ei, das Leben der Larve, die Form des Entwicklung im Wasser, die Umwand- Lebenszyklus und der Überwinterung, lung zum Fluginsekt am Gewässerrand, die Paarung und Eiablage. Ein eigener die Paarung in der Luft, die Eiablage ins Abschnitt behandelt die Gefährdung so- Wasser. wie mögliche Schutz- und Förderungs- maßnahmen. In zusätzlichen Kapiteln In diesem Übersichtswerk, hervorgegan- wird auf Organsimen eingegangen, die gen aus dem „Taschenlexikon der Libel- als Parasiten und Aufsitzer mit Libellen len Europas“, ist das aktuell bekannte assoziiert sind. Zur Sprache kommen Wissen über die europäischen Libellen in auch exotische Libellenarten, die mit 140 Artporträts zusammengestellt und dem Handel von Aquarienpflanzen im- mit 747 teils einmaligen Fotos illustriert. mer wieder nach Europa gelangen. Von jeder Art werden Imago und Larve kurz beschrieben, ihr Name erklärt und Schließlich geben Beobachtungstipps die Verbreitung anhand von übersicht- praktische Hinweise darauf, wo, wie lichen Karte dargestellt. und wann die Arten zu finden sind und worauf beim Beobachten oder Fotogra- fieren zu achten ist.

54 Ein umfangreiches Literaturverzeichnis sowie ein Register der wissenschaft- lichen, englischen und deutschen Libellennamen runden dieses einmalige Unser Autor: Ralph O. Schill, Universität Stuttgart Nachschlagewerk ab. Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme, Pfaffenwaldring 57, D-70569 Stuttgart Prof. Dr. Hansruedi Wildermuth lehrte viele Jahrzehnte Biologie auf Gymnasial- Hansruedi Wildermuth/Andreas Martens und Universitätsstufe. Seine Forschungs- Die Libellen Europas - Alle Arten von den Azoren arbeiten sind in mehreren Büchern und bis zum Ural im Porträt 960 S., 927 farb. Abb., 179 Tab., zahlreichen wissenschaftlichen Arbeiten 141 Verbreitungskarten, geb., 14,8 x 21 cm festgehalten. Sein besonderes Interesse ISBN 978-3-494-01690-0 gilt den Libellen und der anwendungs- Best.-Nr.: 494-01690 orientierten Naturschutzbiologie. Preis: 39.95 €

Prof. Dr. Andreas Martens ist Professor für Biologie mit den Schwerpunkten Zoologie, Gewässerökologie und Didak- tik an der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe. Seine Forschungsgebiete sind die Ökologie und Evolutionsbiologie europäischer und afrikanischer Libellen sowie die Biologie aquatischer Neozoen.

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