statistik.info 05/08 STATISTISCHES AMT DES KANTONS ZÜRICH www.statistik.zh.ch

Peter Moser und Regula Gysel

Ein Sonntag der klaren Ergebnisse

Eine Analyse der Zürcher Resultate der Abstimmungen vom 1.6. 2008

Alle Vorlagen im Kanton Zürich abgelehnt Am 1. Juni 2008 wurde im Kanton Zürich über drei eidgenössische Vorlagen abge- stimmt - und sie wurden bei einer Stimmbeteiligung von 46-47% alle deutlich abge- lehnt. Am schlechtesten schnitt dabei die Initiative "Volkssouveränität statt Behörden- propaganda", die sogenannte "Maulkorbinitiative", mit bloss 27.8% Ja-Stimmenanteil ab. Der Volksinitiative "Für demokratische Einbürgerungen" stimmten immerhin 39.3% der Urnengänger zu und bei der Vorlage betreffend einen Verfassungsartikel „Für Qua- lität und Wirtschaftlichkeit in der Krankenversicherung“ waren es mit 40.6% sogar noch etwas mehr. Trotz der klaren Resultate gibt es Unterschiede zwischen den Ja- Stimmenanteilen und damit den Haltungen der Abstimmenden in den Gemeinden, die kombiniert mit unserem statistischen Vorwissen für eine erste Interpretation des Resul- tats genutzt werden können.

Klare Verhältnisse bei der Einbürgerungs- und Maulkorbinitiative Die Volksinitiativen "Für demokratische Einbürgerungen" und "Volkssouveränität statt Behördenpropaganda" wurden im Kanton Zürich von der SVP unterstützt, von allen anderen Parteien (ausser der EDU) hingegen abgelehnt. Das spiegelt sich auch in den Gemeinderesultaten ausserordentlich klar. Trägt man sie in die politische Landkarte des Kantons Zürich ein (Grafik 1 auf Seite 2 zeigt beispielhaft die Einbürgerungsinitiati- ve), so nimmt der Ja-Stimmenanteil entlang der vertikalen Dimension von "(links)progressiv" nach "nationalkonservativ" bei beiden Vorlagen sehr stetig zu. Grafik 3 (S. 5) lässt zudem die starken Zusammenhänge der Resultate der beiden Initiativen untereinander sowie beider mit dem SVP-Wähleranteil erkennen. Mit einem Korrelati- onskoeffizienten von 0.9 (Einbürgerungsinitiative) bzw. 0.87 (Maulkorbinitiative) sind die statistischen Zusammenhänge zwischen den Abstimmungsresultaten und dem SVP- Wähleranteil so klar und unmissverständlich, dass sie auch eine inhaltliche Interpretati- on zulassen. Dieser regionale Gegensatz zwischen den Gebieten mit einer eher nationalkonservativ und einer links-progressiv eingestellten Stimmbürgerschaft, der auch mit einem relativ ausgeprägten Stadt-Land-Gegensatz einhergeht (siehe Grafik 4), ist für Abstimmungen rund um die Ausländerthematik typisch. Der fast ebenso ausgeprägte Zusammenhang mit dem SVP-Wähleranteil bei der sogenannten "Maulkorb-Initiative" ist ein Hinweis darauf, dass es in diesem Fall wohl fast ausschliesslich SVP-Wähler waren, die der ei- genen Parteiparole folgten - aber angesichts des deutlich tieferen Niveaus beileibe nicht alle. Befragungen im Vorfeld der Abstimmungen hatten bereits vermuten lassen, dass die Initiative auch innerhalb der SVP-Wählerschaft kaum mehrheitsfähig war.

Grafik 1: Resultate der Einbürgerungsinitiative in der politischen Landschaft des Kantons Zürich Ja-Stimmenanteile in %, Koordinaten gemäss politischer Landkarte in statistik.info 15/2005

Volken

Hofstetten bei Elgg

in % Hüttikon 69 Höri 58 Weiach 51 Bertschikon Adlikon 47 Thalheim an der Thur

-> 43 Bachs Fischenthal 38 Hagenbuch 28 Dorf EllikonStadel an der Thur Bauma Hütten Trüllikon Hochfelden BenkenOssingen Schlatt Wil Oberembrach WaltalingenWila Glattfelden Bäretswil Oberstammheim Lufingen Rafz Niederglatt SchönenbergKappel am Albis Rümlang Hombrechtikon Wildberg Neerach Turbenthal Oberglatt Wald Schleinikon Oetwil amDägerlen See Hüntwangen Dürnten Kyburg Russikon Winkel HinwilLaufen-Uhwiesen Rorbas Dällikon SchöfflisdorfGrüningen Boppelsen Sternenberg EglisauFreienstein-TeufenWangen-Brüttisellen Wasterkingen BubikonNiederhasli Niederweningen Nürensdorf HittnauEmbrach OberweningenBuchs Bülach BachenbülachPfungen RütiKleinandelfingen Gossau Rickenbach ZellWetzikon Dänikon Maschwanden RegensdorfSteinmaurVolketswil Weisslingen Unterengstringen Opfikon Geroldswil Neftenbach Oetwil an der Limmat FeuerthalenDielsdorf Elsau Dietikon Kloten Otelfingen Hirzel Pfäffikon Lindau Andelfingen Schlieren WeiningenSeuzach Affoltern amObfelden Albis Egg Aesch bei Birmensdorf Elgg Wiesendangen WallisellenFehraltorf Dübendorf BirmensdorfHettlingen Herrliberg Illnau-EffretikonWädenswil Knonau Seegräben Stäfa Uetikon am See Brütten Urdorf BassersdorfRichterswil Rheinau Horgen Langnau am AlbisMeilen Männedorf MettmenstettenDietlikon Hausen am Albis Oberengstringen Maur Küsnacht Unterstammheim Mönchaltorf Adliswil Oberrieden Uster Wettswil am Albis Schwerzenbach Stallikon Rüschlikon <-(links-)progressiv (rechts-)nationalkonservativ <-(links-)progressiv Hedingen Ottenbach Uitikon AeugstBonstetten am AlbisFällanden KilchbergErlenbach Zumikon Zollikon ThalwilDättlikon Regensberg Rifferswil

Greifensee

Zürich

<-mehr Staat mehr Markt->

Grafik, Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich

Im Gegenzug war der Ja-Stimmenanteil bei der Einbürgerungsvorlage in fast allen Ge- meinden höher als der Wähleranteil der SVP. Diese (positive) Differenz war dabei ten- denziell in den verstädterten suburbanen Agglomerationsgemeinden grösser als auf dem Land. Das Einbürgerungsthema scheint besonders in diesen wohlstandsmässig nicht besonders gut gestellten Gebieten, wo soziale Spannungen oft mit "Ausländern" in Verbindung gebracht werden, auch über die SVP-Stammwählerschaft hinaus Reso- nanz zu finden.

statistik info 05/08 2/7 Krankenversicherungsartikel bei Anhängern der befürwortenden Parteien umstritten? Bei der Abstimmung über den Krankenkassenartikel sind die Zusammenhänge mit den politisch-ideologischen Grundausrichtungen erwartungsgemäss verschwommener als bei den beiden Initiativen, wie Grafik 2 zeigt. Die Krankenversicherungsvorlage wurde sowohl von der SVP als auch von der FDP unterstützt. Während zwischen dem SVP- Wähleranteil und dem Ja-Stimmenanteil ein relativ klarer positiver Zusammenhang besteht (r=0.57), ist er bei der FDP zwar vorhanden, aber doch vergleichsweise schwach. Dies zeigt sich u. a. daran, dass die Zustimmung in den reichen Gemeinden des Kantons (in Grafik 2 grün umrahmt), in denen die FDP hohe Wähleranteile hat, etwa im Kantonsdurchschnitt lag. Aussagekräftiger ist hingegen, dass zwischen der Zustimmung für den Verfassungsartikel und dem SP-Wähleranteil ein negativer Zu- sammenhang besteht (r=-0.61), der ausgeprägter war als die positiven Zusammen- hänge mit den Anteilen der Befürworterparteien. Möglicherweise hat die unklare Stoss- richtung des neuen Verfassungsartikels dazu geführt, dass die Anhänger der Gegner- parteien geschlossener dagegen waren als die Wähler der Befürworterparteien dafür.

Grafik 2: Resultate der Krankenkassenvorlage in der politischen Landschaft des Kantons Zürich Ja-Stimmenanteile in %, Koordinaten gemäss politischer Landkarte in statistik.info 15/2005

Volken

Hofstetten bei Elgg

in % Hüttikon 59 Höri 51 Weiach 48 Bertschikon Flaach Adlikon 45 Truttikon Thalheim an der Thur

-> 43 Bachs Fischenthal Altikon 39 Hagenbuch 30 Dorf Stadel Ellikon an der Thur Hütten Trüllikon Bauma Humlikon Marthalen Hochfelden BenkenOssingen Berg am Irchel Schlatt Wil Oberembrach WaltalingenWila Bäretswil Glattfelden Oberstammheim Lufingen Rafz Niederglatt Buch am Irchel SchönenbergKappel am Albis Rümlang Hombrechtikon Wildberg Dinhard Neerach Turbenthal Henggart Oberglatt Wald Schleinikon Oetwil amDägerlen See Hüntwangen Dürnten Russikon Kyburg Laufen-Uhwiesen Winkel Hinwil Rorbas Dällikon SchöfflisdorfGrüningen Boppelsen Sternenberg EglisauFreienstein-TeufenWangen-Brüttisellen WasterkingenBubikonNiederhasliNiederweningenEmbrach Buchs Nürensdorf HittnauBachenbülach Oberweningen Bülach RütiKleinandelfingen Pfungen Rickenbach Gossau Dänikon ZellWetzikon Steinmaur Weisslingen Maschwanden Regensdorf Volketswil Unterengstringen Opfikon Geroldswil Neftenbach Oetwil an der Limmat FeuerthalenDielsdorf Elsau Dietikon Kloten Otelfingen Hirzel Pfäffikon Lindau Andelfingen Schlieren WeiningenSeuzach Affoltern amObfelden Albis Egg Aesch bei Birmensdorf Elgg Wiesendangen WallisellenFehraltorf Dübendorf BirmensdorfHettlingen Herrliberg Illnau-EffretikonWädenswil Knonau Seegräben Stäfa Uetikon am See Brütten Urdorf BassersdorfRichterswil Rheinau Horgen Langnau am AlbisMeilen Männedorf MettmenstettenDietlikon Hausen am Albis Oberengstringen Maur Küsnacht Unterstammheim Mönchaltorf Adliswil Oberrieden Uster Dachsen Wettswil am Albis Schwerzenbach Stallikon Rüschlikon <-(links-)progressiv (rechts-)nationalkonservativ <-(links-)progressiv Hedingen Ottenbach Uitikon AeugstBonstetten am AlbisFällanden KilchbergErlenbach Zumikon Zollikon ThalwilDättlikon Winterthur Flurlingen Regensberg Rifferswil

Greifensee

Zürich

<-mehr Staat mehr Markt->

Grafik, Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich statistik info 05/08 3/7 *** Wie stets bei Aggregatsdatenanalysen ist vor Überinterpretationen zu warnen. Selbst- verständlich kann diese Analyse auf Gemeindeebene nicht abschliessend zeigen, wel- che Stimmbürger ein Ja und welche ein Nein einlegten. All dies zu ermitteln, ist die Aufgabe einer demoskopischen Nachbefragung – die Erkenntnisse einer Aggregatsda- tenanalyse sind aber besser als gar nichts, und als begründete Mutmassung bis zum Widerruf durch eine bessere Datengrundlage brauchbar (siehe dazu auch die grund- sätzlichen Ausführungen anhand eines Vergleich von Aggregats und Befragungsdaten in statistik.info 04/2008 ).

statistik info 05/08 4/7 Grafik 3: Zusammenhänge zwischen Abstimmungsresultaten und Wähleran- teilen Ja-Stimmen- und Wähleranteile Nationalratswahlen 2007 in %

20 25 30 35 40 45 50 5 10 15 20 25 30 40 50 60

Einbürgerungs- Initiative 0.92 0.59 -0.65 -0.57 0.90 30 40 50 60 70

Behördenpropaganda- Initiative 0.60 -0.64 -0.55 0.87 20 30 40 50

Krankenversicherungs- artikel -0.61 -0.16 0.57 30 40 50 60

SP

-0.024 -0.64 5 10 15 20 25

FDP -0.58 510 20 30

SVP 30 40 50 60

30 40 50 60 70 30 35 40 45 50 55 60 5 10 15 20 25 30 35 Grafik, Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich

Unterhalb der Diagonalen Streudiagramme; oberhalb der Diagonalen: bivariate Korrelationskoeffizenten. Lesehilfe: Die Streudiagramme (Punktwolken) zeigen, wie die Wähleranteile in den Gemeinden des Kan- tons mit den heutigen Abstimmungsresultaten zusammenhängen. Das Streudiagramm in der unteren linken Ecke zeigt beispielsweise den Zusammenhang zwischen dem SVP-Wähleranteil und dem Ja- Stimmenanteil bei der Einbürgerungsinitiative. Je enger sich die Punkte sich um die Diagonale der Panel- quadrate scharen, desto enger ist der Zusammenhang, d.h. desto besser lässt sich bei bekanntem Wäh- leranteil das Abstimmungsresultat prognostizieren. Verläuft die die Punktewolke (bzw. der rot eingezeich- nete sogenannte Glätter, der die Ausrichtung der Punktwolke zusammenfasst) von links oben nach rechts unten, ist der Zusammenhang negativ (Je mehr desto weniger). Ist das Gegenteil der Fall (links unten nach rechts oben) so wird der Zusammenhang als positiv bezeichnet (je mehr desto mehr). Verläuft die Glätterkurve dagegen mehr oder weniger horizontal, so ist meist kein interpretierbarer Zusammenhang vorhanden. Die Korrelationskoeffizienten in der oberen Hälfte der Grafik versuchen die Information, die in den Streudiagrammen steckt, in eine Zahl zusammenzufassen. Werte nahe -1 und +1 sind dabei ein Indiz für einen stark negativen oder positiven Zusammenhang; ist der Korrelationskoeffizent dagegen nahe bei 0, so ist (in der Regel) kein Zusammenhang vorhanden.

statistik info 05/08 5/7 Grafik 4: Resultate der Vorlagen vom 1 6. 2008 in den Gemeinden des Kan- tons Zürich Ja-Stimmenanteil in % Einbürgerungs- Behördenpropaganda- Krankenversicherungs- Initiative Initiative artikel

69 49 59 58 42 51 51 36 48 47 32 45 43 29 43 38 25 39 28 19 30

Grafik, Quelle: Statistisches Amt des Kantons Zürich

Die Farbabstufungen teilen den Wertebereich der Ja-Stimmenanteile in das 10-, 30-, 50-, 70-, und 90%- Quantil ein: D.h. jene zehn Prozent der Gemeinden mit den niedrigsten Ja-Stimmenanteilen sind jeweils Dunkelrot eingefärbt, weitere zwanzig Prozent mittelrot etc.. Insgesamt befinden sich je die Hälfte der Gemeinden im roten und im blauen Bereich. Das für die Analyse relevante geographische Verteilungsmu- ster ist in dieser Darstellung unabhängig vom allgemeinen Niveau der Zustimmung besonders gut zu er- kennen.

statistik info 05/08 6/7 statistik.info www.statistik.zh.ch Das Statistische Amt des Kantons Zürich ist das Kompetenzzentrum für Datenanalyse der kantonalen Verwaltung. In unserer Online-Publikationsreihe "statistik.info" analy- sieren wir für ein breites interessiertes Publikum wesentliche soziale und wirtschaftliche Entwicklungen in Kanton und Wirtschaftsraum Zürich. Unser monatlicher Newsletter "NewsStat" und unser tagesaktueller RSS-Feed informie- ren Sie über unsere Neuerscheinungen in der Reihe "statistik.info" sowie über die Neu- igkeiten in unserem Webangebot.

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