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Oliver Seibt (Köln) Jenseits der Authentizität, oder: Wie es kam, dass die Japaner an einer Gitarre nun doch cool aussehen

WirJapaner hatten immerKomplexe, weilwir so kleinsind. Wirdachten,wir könn- tenaneiner Gitarreniemals so cool aussehen wiedie Europäerund Amerikaner. […] Doch den Komplex habenwir überwunden.Früherfolgten wirden Trends aus Übersee. Nunfolgen dieAusländer unserem Trend.

So wird KONISHI Yasuharu,Kopfdes japanischenDuosPizzicato Five,ineinem Artikel mitdem Titel»Sushifür dieOhren.JapanischePopmusik fülltinDeutschland dieClubs« zitiert, der1997inDieZeit erschien.1 Irgendetwasscheint da kürzlich passiert zu sein mit der (Selbst-)Wahrnehmung japanischerPopmusiker:Ebennoch uncooleEpigonen west- licher Vorbilder,bevölkern siejetzt alsTrendsetter dasdeutscheFeuilleton. Wasaberist der Grundfür dieMinderwertigkeitskomplexeehedem, undwas hatdazugeführt,dassan ihre Stelle dasneueSelbstbewusstsein trat,das aus KONISHIS Äußerungen spricht? Popularmusik istwestliche Musikoderzumindest in Auseinandersetzungmit west- licher Musikentstanden, einUmstand,anden nichtzuletzt diejapanischeBezeichnung popyura¯ ongaku stets erinnert.Das in der hauptsächlich fürfremdsprachigeBegriffege- brauchtenSilbenschrift Katakana geschriebeneAdjektiv popyura¯ (popular) istdirektaus demEnglischen übernommen;der Terminus ongaku wird seit demspäten19. Jahrhundert alsjapanischeÜbersetzung deswestlichenMusikbegriffs gebraucht, zu dem es zuvor keine japanische Entsprechunggegeben hatteund der sich,wie PeterAckermann 1995 schreibt, »imZuge der ÜbernahmewestlicherVorstellungs-Kategorienpraktisch unbemerktdes ja- panischenBereichs der Klangproduktionbemächtigen konnte.«2 Wenn also ›Musik‹schon eine ausdem WestennachJapan übernommeneKategorie darstellt, fürdie einexistenter, aber bisdahin in anderen Bedeutungszusammenhängen gebrauchterjapanischerTerminus verwendet wird,somussdas Gleicheerstrecht fürdie KategoriePopularmusik gelten. Natürlich gabesauchvor der Meiji-Restauration 1868 in JapanMusik,die im quantita- tiven Sinnepopulärwar,urban,die massenmedial verbreitetwurde oder aufdie andere der Eigenschaften zutrafen,die gemeinhingebraucht werden,umPopularmusik in essentialis- tischerWeise zu definieren.3 Nurlässt sich Popularmusik nuneinmalnicht definieren, indem

1 StephanDüffel, »Sushi fürdie Ohren. Japanische Popmusik fülltinDeutschland dieClubs«, in: Die Zeit 3. 1. 1997. 2 PeterAckermann,»Dürfen wirvon ›Japanischer Musik‹ sprechen?«,in: LuxOriente.Begegnungender Kulturen in derMusikforschung,hrsg. vonKlaus Wolfgang Niemöller, Uwe Pätzold undChung Kyo-chul, FestschriftRobertGünther zum65. Geburtstag, Kassel 1995,S.87–101,hier: S. 101. 3 Hayariuta (wörtl.modischesLied) wurdendie populärenLiederder Edo-Zeit genannt. In denVer- gnügungsvierteln undTheaternder Metropolenwurdensie vonGeishas, Kabuki-DarstellernoderStraßen- musikern meistzur Begleitung derLanghalslaute shamisen vorgetragen,und Verlagshäuser beauftragten 618 Musikalische Globalisierung und kulturelle Identität in und China maneineodermehrere Eigenschaften nennt, dieeineMusik aufweisenmuss, damitman siezu Rechtals Popularmusik bezeichnen darf.Was Popularmusik istund wasnicht,wirdabhängig vom jeweiligensozialenund kulturellenKontext diskursiv verhandelt. Unddementsprechend wird dieseerfolgreiche, urbane Musikder Edo-Zeit (1603–1868)inJapan rückblickend eben nichtals popyura¯ ongaku klassifiziert,sondern als dento¯ ongaku,als traditionelleMusik. Erst nach der nichtganzfreiwilligenÖffnungdes Landes nach über 200Jahrenselbst- gewählterIsolation undder Meiji-Restauration 1868 gelangtenMusikformen,die im anglo- phonen Westen als popular music klassifiziert wurden,nachJapan –und mitihnen das Konzept.Zögerlich zunächst,denninder Meiji-Zeit (1868 –1912) gehörtepopuläre Musik nichtunbedingt zu den Errungenschaften,zum Zwecke deren Imports japanische Fach- leuteinden Westenentsandtworden wären.Erstinder Taisho¯-Zeit (1912–1926)nahmdie Intensität,mit der populäre Musikaus dem WestennachJapan gelangte,zu. Amerikanische undjapanischeBands wurden engagiert, um dieGäste aufden zwischen den USA und JapanverkehrendenPassagierschiffen zu unterhalten, undbrachtendie neuestenHitsder TinPan Alleyindie japanischenHafenstädte.Und mitzunehmender Verbreitung des Grammophonsgelangten auch immermehrTonträger mitpopulärer Musikaus den USA undEuropanachJapan.Dortwurde dieMusik unterdem Oberbegriff jazu (Jazz) rezipiert, auch wennsie mitder afroamerikanischen Musikinden meistenFällen nichtvielzutun hatte. So werdendie 1920er JahreinJapan auch häufigals jazu-jidai bezeichnet,als Jazz- Ära, unddie mobo und moga,die in derneuesten westlichen Mode gewandeten ›modern boys‹und ›modern girls‹ aufden Straßen Tokyos, wurden zu ihrem Sinnbild.Mit der Etablierungder japanischenSchallplattenindustrie in der zweitenHälfteder 1920er Jahre stiegdie Zahl der Produktionen mitjapanischen Interpreten.4 AlsNamefür dieseneue Artpopulärer japanischerMusik,die in starkemMasse vom jazu beeinflusstwar,setzte sich dieBezeichnung ryu¯ ko¯ka (modisches Lied)durch.5

Textdichterdamit,neueVerse zu landläufigbekannten Melodien zu verfassen,die in Form vonFlug- blättern, kawaraban (wörtl.Ziegeldruck), aufden Straßen undinden Buchhandlungen verkauft wurden. ZurpopulärenMusik derEdo-Zeitsiehe u.a. Gerald Groemer, »Edo’s TinPan Alley. Authorsand Pub- lishersofJapanesePopularSongDuringthe Tokugawa Period«, in: Asian Music 27/1(1995),S.1–36, und Gerald Groemer, »PopularMusic in Japanbeforethe TwentiethCentury«, in: TheGarland Encyclopedia of WorldMusic, Bd. 7: East Asia.China,Japan,and Korea,hrsg. vonRobertC.Provine, TOKUMARU Yoshihikound J. Lawrence Witzleben,New York undLondon2002, S. 739–741. 4 ZurEntwicklung derjapanischen Schallplattenindustrie siehe KAWABATA Shigeru, »The Japanese Record Industry«, in: PopularMusic 10 (1991),S.327–345. 5 Ryu¯ ko¯ka istdie sino-japanischeLesungder gleichen Kanji-Folge,die in derjapanischen Lesung haya- riuta schoninder Edo-Zeit alsBezeichnung fürpopuläre Lieder gedient hatte(vgl.Fußnote3). Zur japanischenPopularmusik derMeiji-und Taisho¯-Zeit siehe NAKAMURA To¯yo¯ ,»EarlyPop Song Wri- ters andTheir Backgrounds«, in: PopularMusic 10 (1991),S.263 –282,das vonder JapanBranchofthe InternationalAssociation forthe StudyofPopularMusic (IASPM-Japan)herausgegebeneHeft AGuide to PopularMusic in Japan,Kanazawa1991, und MITSUI Toru,»Interactions of Imported andIndigenous Musics in Japan. AHistoricalOverviewofthe MusicIndustry«,in: WhoseMaster’sVoice.The Development of PopularMusic in Thirteen Cultures,hrsg. vonAlisonJ.Ewbank undFouli T. Papageorgiou,Westport, CN 1997,S.152 –174.Zur Geschichte desJazzinJapan sieheE.Taylor Atkins, Blue Nippon. Authenti- catingJazzinJapan,Durhamund London2001, undWilliam Minor, Jazz Journeys to Japan. TheHeart Within,Ann Arbor2004. Seibt: Jenseits der Authentizität 619

Zu Beginnder Sho¯wa-Zeit (1926–1989)schwand der Einfluss westlicher Popularmusik zunächst im Zuge desinder zweitenHälfteder 1930er JahreaufkeimendenNationalismus, unddie ryu¯ ko¯ka-Komponisten begannen,sichverstärkt traditionellen Formen japanischer Musikzuzuwenden. Nach Beginn desPazifischenKrieges 1941 erließ dasMinisterium für Innere AngelegenheitenOrder,dassamerikanischeoderbritischeMusik weder live noch in Aufnahmengespieltwerdendürfe. Nach dem ZweitenWeltkrieg wurde der Name ryu¯ ko¯ka alsOberbegriff fürdie japani- sche Popularmusik der Vorkriegszeitdurch den Terminus kayo¯kyoku ersetzt, mitdem fort- an der in der Traditionder ryu¯ ko¯ka stehendeMainstream der popyura¯ ongaku bezeichnet wurde.Während die ryu¯ ko¯ka der 1930er Jahreinder erstenHälfteder 1950er Jahreeine Renaissance erlebensollten,die schließlich zurAusbildungeines eigenständigenGenres, enka,führte,6 wurde dieweitere Entwicklungder japanischenPopularmusik in den Nach- kriegsjahren vor allem durchdie Konfrontation mitneuen Popularmusikidiomenaus dem Westengeprägt,die in ersterLinie über dasFar East Network (FEN), dieRadiostation der in Japanstationierten US-amerikanischenStreitkräfte, insLandgelangten.Das Ge- neralHeadQuarter engagierte japanische Musiker, um zurUnterhaltung der GIsauf den Militärbasen zu spielen, unddiese eignetensichzudiesemZweckedie auf FEN gespielten Country&Western-Titel autodidaktischan. Bald formiertensichaberauchunabhängig davon in den Metropolen Tokyound OsakajapanischeBands wiedie WagonMasuta¯ zu (Wagon Masters)umihren Sänger KOSAKA Kazuya, dieins Japanische übersetzte Cover- Versionen US-amerikanischerHitsvortrugenund deren Musik uesutan (Western)genannt wurde.7 Ebenfallsüber FEN gelangte in den1950erJahrender Rockabilly bzw. Rock’n’Roll nach Japanund sprach dortdas gleichePublikuman, dassichzuvor fürCountry &Western begeistert hatte. Uesutan-Musiker wie KOSAKA Kazuya oder HIRAO Masaaki vonden O¯ rusuta¯zuWagon (AllstarsWagon)wandten sich nundem rokkabirii (Rockabilly)zu, sangen in den jazu-kissa,den Jazz-Cafés aufder Ginza,japanischeVersionen der Lieder von ElvisPresley oder Paul Anka undahmtenAuftreten undGarderobeihrer westlichen Vorbilder bisins kleinste Detailnach. DieBezeichnung Rock’n’RollsolltesichinJapan allerdings niedurchsetzen.Währendinden USA seineafroamerikanischeHerkunft den Rock’n’Rollzueiner ArtOppositionssymbolwerden ließ, dasweißenJugendlichen dazu diente,sichgegen dieGenerationihrer Eltern aufzulehnen,begriff manden Rockabilly in Japanvor allem alsDerivatder Country&Western-Musik.Schließlich hatteman ihn über dieselbenKanälekennengelernt.8 Betrachtet manPhotographien oder Schallplatten-

6 Zu enka siehevor allem ChristineR.Yano, TearsofLonging.Nostalgia andthe Nation in Japanese Popu- larSong,Cambridge, MA undLondon2002. 7 ZurRezeption vonCountry &Western-und Bluegrass-MusikinJapan siehe MITSUI Toru,»Recep- tion of theMusic from theAmericanSouth in Japan«,in: Traditionand itsFutureinMusic.ReportofSIMS 1990 O¯ saka,hrsg. von TOKUMARU Yoshihikou.a., Tokyound Osaka1991, S. 457– 464, undMitsui Toru,»TheReception of theMusic of American Southern Whites in Japan«,in: Transforming Tradition. Folk Music Revivals Examined,hrsg. vonNeilV.Rosenberg,Urbana, IL 1993,S.275 –293. 8 Zum rokkabirii sieheden vonder JapanFoundationherausgegebenen Aufsatzvon HOSOKAWA Shu¯ hei, Performing Arts in JapanNow.JapanesePopular Musicofthe Past Twenty Years–Its Mainstreamand Underground, 1994. 620 Musikalische Globalisierung und kulturelle Identität in Japan und China hüllen ausder Zeit des rokkabirii-bu¯mu (Rockabilly Boom)oderaus der Zeit der guru¯pu saunzu (Group Sounds)inder zweitenHälfteder 1960er Jahre, alssichnachdem Vorbild der Beatles unzählige vier-bis fünfköpfige Beat-Bandsformierten,9 wird deutlich,dassdie japanischenInterpretenund ihre Fans eine so weitwie möglichgehende Annäherung an Musik, Mode undGestusder amerikanischen oder britischen Vorbilderanstrebten.10 EinModellfür dieRezeptiondiesesauf möglichstgenaueKopiezielenden Verhaltens hieltder westlicheDiskurs über Japanschon bereit. Seit dem 19.Jahrhundert wurde Japan hier entweder alsBedrohung oder alsein Land gesehen, dem es an Differenzmangelt, dessen Bewohner mitnichtsanderem beschäftigtsind, alsdie alsüberlegen empfundene europäische Kultur durchbeständiges unkreativesKopieren ›nachzuäffen‹,und diesich selbst so wenig voneinander unterscheiden,dasssie einerArmee von zu keinen wirklichen Gefühlen fähigenAutomaten gleichen.DiesemWahrnehmungsmusterfolgend lautetedann auch der Titeleines 1985 im Fachblatt Musikmagazin veröffentlichten Artikelsüberjapani- sche Popularmusik »Made in Japan–Die gelbeGefahr«;11 einanderer,imgleichenJahrin der Musikzeitschrift Spex veröffentlichter Beitragbegannmit den Worten »Was jeder weiß: dieJapaner sind Weltmeisterder Kopie.«12 Der immerwiedererhobeneVorwurf des Kopistentumsund der von westlicher SeitekonstatierteMangelanDifferenzimpliziert den Vorwurf,japanischePopularmusik besitzekeine Identität. Gemeintist kulturelle Identität, wasaber, da Japanals kulturelläußerthomogeneGesellschaftgesehen wird, gleichbedeutendist mitnationaler, japanischerIdentität.IndieserFremdwahrnehmung japanischerPopularmusik durchden Westenist dieUrsache fürdie Minderwertigkeits- komplexezusuchen, die KONISHI Yasuharu in seinen eingangs zitiertenÄußerungen ad acta legte. Seitdem muss also etwaspassiertsein, dennkomplexbeladene, identitätslose Kopisten taugen wohl kaum zumpopularmusikalischen Trendsetter.Auf welche Weiseauchimmer, es muss den japanischenPopmusikerngelungen sein,aus einerMusik,die perdefinitionem westlich ist, etwaszumachen, wasvon ihnenselbst, aber auch vom Westenals etwas originär Japanischesbegriffen wird. Der Japanologe Joseph J. Tobinschlägt fürdiesen Vorgang, den er nichtauf diejapanische ÜbernahmewestlicherPopularmusik beschränkt sieht, den Begriffder Domestikation vor:

Ihavechosenthe word domestication[…] to indicate aprocess that is active (unlike westernization,modernization,orpostmodernism), morallyneutral (unlike imitationorparasitism),and demystifying (there is nothinginherentlystrange,exo-

9 Zu den guru¯pusaunzu derzweiten Hälfte der1960erJahre siehe KUROSAWA Susumu, Nihon rokku-ki GS-hen.Psychedelia in Japan1966–1969 (Die Geschichte derjapanischen Rockmusik. ›Group Sounds‹), Tokyo1994. 10 NebenvielenInformationen zu allenpopularmusikalischen Genres in Japannachdem ZweitenWelt- kriegfindetsichaucheineVielzahlvon Photographienund Schallplattencovernaus den1950erund 1960er Jahren in: Nihonnorokku 50’s –90’s (JapanischeRockmusikder 1950er bis1990er Jahre),hrsg. von ITAMI Yu¯, einerSonderausgabe derinTokyo erscheinendenZeitschrift Taiyo¯ ausdem Jahr 1993. 11 Kurt Koelsch, »Made in Japan–Die GelbeGefahr«,in: Fachblatt Musikmagazin 11 (1985),S.52–56. 12 mäx, »TechnoChunk Technopolis. Nippon Pop«,in: Spex 6(1985), S. 32 –34. Seibt: Jenseits der Authentizität 621

tic, or uniquelyJapanesegoing on here). Domesticate hasarange of meanings, includingtame, civilize,naturalize, make familiar,bringintothe home.[…] The term domesticationalsosuggeststhatWestern goods, practices, andideas are changed (Japanized) in theirencounter with Japan. Japanisunmistakably wester- nized, andyet Westernerswho visitJapan do notnecessarilyfind what they see fa- miliar.13

Die ›Logik der Inauthentizität‹ Nachdem auch die guru¯pusaunzu ihresohnehin nichtallzu widerständigenPotentialsent- ledigt undinden kayo¯kyoku absorbiertworden waren, teilte sich in derzweiten Hälfte der 1960er Jahredas Feld der popyura¯ ongaku jenseitsdes popularmusikalischen Mainstreams: In der fo¯ku-Szene protestiertenMusiker,die sich vor allem ausStudentenkreisenrekru- tierten, mitjapanischen Coverversionen US-amerikanischerFolksongs gegenAmerikas Intervention in Vietnamund dieVerlängerungdes Sicherheitsvertrageszwischen Japan undden USA,14 währenddie der rokku-Szene zugehörigen Musikerzwarihreeigenen Songs schrieben,esaberfür völlig selbstverständlich hielten,dass›authentische‹ Rockmusiknur aufEnglisch gesungen werden kann.Zum einenhattendie Interpreten der guru¯pusaunzu allesamtjapanische Textegesungen, undgeradevon der Kommerzialität,der dieseBands mittlerweile erlegenwaren,suchteman sich abzugrenzen, zumanderen hieltman den Rhythmus desRock undden Rhythmus der japanischenSprache fürunvereinbar.Der Disput darüber, in welcherSprache japanische Popularmusik zu singen sei, derinden späten1960erund frühen 1970er Jahren in derjapanischen Fachpressevon Musikernund Kritikerngeführt wurde,15 ließ die›Logikder Inauthentizität‹ deutlich zutage treten, in der diejapanischePopularmusik bislangverfangen war. Dieseberuhte aufeiner hie- rarchischeindeutigen Kettevon Dichotomisierungen:zwischen dem Westen, vor allem den USA,und Japan, zwischen der englischen Sprache unddem Japanischen, zwischen Original undKopie unddamit zwischen Authentizitätund Inauthentizität. Selbst Musiker, dieversuchten, westlichePopularmusik undtraditionelle japanische Musikmiteinander zu synthetisieren,wie YANO Akikodiesauf ihremDebütalbum Japanese Girl von 1976 tut, gelang es nicht, dieser Logikzuentkommen,fügtensie durchdiese Synthese derKette von Dichotomiendoch nurein weiteresGegensatzpaar hinzu, daszwischen der unweiger- lich den Westenevozierenden Moderne unddem ›prä-modernen‹Japan der Edo-Zeit.

13 Joseph Tobin, »Introduction.Domesticating theWest«,in: Re-MadeinJapan. Everyday Life andCon- sumerTaste in aChangingSociety,hrsg. vonJosephTobin, NewHaven undLondon1992, S. 4. 14 Zumjapanischen fo¯ku sieheneben ITAMI, Nihonnorokku 50’s –90’s,und HOSOKAWA, Performing Arts in JapanNow auch 60-nendaifo¯ku no jidai (= Nihonnofo¯ ku to rokkuhisutorii 1) (Die Folk-Ära der 1960er Jahre[=Die Geschichte derjapanischen Folk-und Rock-Musik 1]), hrsg.von MAEDA Hirofumi und HIRAHARA Yasushi, Tokyo1993. 15 Vgl. YUHI Kuniko,»AnotherAcceptanceofWestern MusicinJapan.ACaseStudy of Popular Music«,in: MusicCulturesinInteraction.Cases betweenAsiaand Europe,hrsg. von MABUCHI Usaburo¯ und YAMAGUCHI Osamu, Tokyo1994, S. 210–217. 622 Musikalische Globalisierung und kulturelle Identität in Japan und China

Jenseits der Dichotomie 1971 erschien Kazemachi Roman,das Debütalbum einerBand, deren Mitglieder den Prozess der Domestikation westlicher Popularmusik in den folgenden Jahrzehntenwohlamnach- haltigsten prägen sollten: Happii Endo (Happy End) spielten US-amerikanischen West CoastRock,sangenihreTexte aber nichtinEnglisch,sondern in einemmerkwürdig verfremdetenJapanisch,das ihrTexter, MATSUMOTO Takashi, selbst als»distorted Japanese«bezeichnete.16 MATSUMOTO sahweder in der Verwendung der englischen Sprache eine Lösungsmöglichkeitfür dasProblem der ›generellenInauthentizität‹japa- nischerRockmusik, noch saherinder Tatsache,dasserJapaner ist, dieNotwendigkeitbe- gründet,seine Texteinjapanischer Sprache zu verfassen.Dasserseine Textedanndoch aufJapanisch schrieb,wennauchineinem eigenartig artifiziellen Idiom, dassichbewusst von der japanischenAlltagsspracheabgrenzte, bezeichnete HOSOKAWA Shu¯hei 1997 als »a deliberatechoiceinorder to experiment with howthe language couldexpress newfeel- ings,sentimentsand meanings (albeitover aNorth American-derived beat). By singing in Japanese,Matsumoto aimedtooverturn theAmericanhegemonyofrock music(which he perceived as simultaneously repressiveand gratifying).«17 Dieoftmalsungewöhnliche Wortwahl,die Neologismen undsurreal anmutenden Bilder in MATSUMOTOS Texten hatten einenbedeutenden Anteil an der Ausstrahlung der Band undspiegeltensichauch in derSchreibweise desBandnamenswider,der nicht, wieesfür fremdsprachige Bezeich- nungen üblichist,inKatakana,sondern in der japanischenBegriffen vorbehaltenenSilben- schrift Hiragana geschriebenwird. »Instead of imitatingimportedstyle(s), Happii Endo measured thedistancebetween Japanand theU.S.inorder to locate itself somewhere in themiddle.«18 So gelang es der Band,erstmalsmit der Logikzubrechen,nachder sich der popularmusikalisch authentische Westenund dieper se popularmusikalisch inauthen- tischenJapaner antithetischgegenüberstehen. Undsie trugendamit maßgeblichzur Ent- stehung deserstenGenresinder Geschichte der japanischenPopularmusik bei, fürdas es trotzseinesanglophonen Namens kein ausdem WestenübernommenesVorbild gab, der nyu¯ myu¯ jikku (new music).19

Umkehrung durch Mimikry

Nach der Auflösungvon HappiiEndoimJahre 1973 veröffentlichtederen Bassist HOSO- NO Haruomimit Tropical Dandy (1975), BonVoyage (1976) und Paraiso (1978) eine Trilogie

16 Vgl. HOSOKAWA Shu¯ hei, »Soy SauceMusic. andJapaneseSelf-Orientalism«, in: Widening theHorizon.ExoticisminPost-WarPopular Music,hrsg. vonPhilipHayward,Sydney1999, S. 118. 17 Ebd.,S.119. 18 Ebd.,S.120. 19 Zur nyu¯ myu¯ jikku sieheneben ITAMI, Nihonnorokku 50’s –90’s, HOSOKAWA, Performing Arts in JapanNow und MITSUI,»Interactions of Imported andIndigenousMusicsinJapan«, auch Nyu¯ -myu¯jikku no jidai (= Nihonnofo¯ ku to rokkuhistorii2)(DieÄra der›NewMusic‹ [= DieGeschichteder japa- nischenFolk- undRock-Musik 2]), hrsg.von MAEDA Hirofumi und HIRAHARA Yasushi, Tokyo1993. Seibt: Jenseits der Authentizität 623 von Konzeptalben, aufdenen sich eine weitere Domestikationsstrategie offenbart, die HO- SOKAWA als»Self-Orientalism«bezeichnetund dieman alseineUmkehrder ›Logik der Inauthentizität‹ durchNachahmungbeschreibenkönnte. In Anlehnungandas berühmte Album DiscoverAmerica (1972) des US-amerikanischen Musikers undProduzenten Van Dyke Parksbeschreibendie drei Albendie Reise desCaptain Hosono am Steuer seines Schiffs von der Westküste der USA über Südostasienund ChinanachJapan.Das,was ihm musikalischauf dieser Reise begegnet,ist allerdings keine›authentisch‹asiatische Musik, sondernsinddie längst vergessenen exotischen Klänge desMartinDenny.Der mittlerweile völlig ausder Mode gekommene NewYorkerKomponistund Pianisthatte 1955 in seiner WahlheimatHawaiiein Instrumentalensemblegegründet,mit dem er eine imaginäreasia- tischeMusik schuf,die er selbst Exotica nannte undinder er in eklektischer Weisedie ver- schiedenstenmusikalischen TraditionenOst-und Südostasiens –bzw.das,was er dafür hielt–miteinander verschmolz.20 Das, was HOSONO Haruominun aufseinerAlben- Trilogie undspäterauchauf den erstenAlben des1978von ihm, SAKAMOTO Ryu¯ichi und TAKAHASHI Yukihiro gegründetenYellowMagic Orchestratat,funktionierte nach dem gleichen Mechanismus,nachdem allejapanischePopularmusik bisdatofunktioniert hatte: WestlicheVorbilder wurden kopiert. Das, waskopiertwurde,waren nunabernicht mehr Rocksounds, dieinden Augender japanischenMusiker einauthentisches Amerika repräsentierten, sondernder musikalische Versuchdes Westens,Asien zu repräsentieren. Washierinauthentisch erschien,war nichtlängerdie NachahmungwestlicherVorbilder durchjapanischeMusiker,sondern dieorientalistischeRepräsentation Ostasiensdurch Martin Denny unddie zugrundeliegendestereotypeWahrnehmung undder Japa- nerdurch den Westen.

Die Produktion des Westens DieErfolge,die diedreiMusiker vomYellowMagic Orchestrainden frühen 1980erJahren in den USA undinEuropaverbuchenkonnten,verstärkten noch ihrenRuhmdaheiminJapan undbereiteten den Boden fürdas neue Selbstbewusstsein,das nunaus KONISHI Yasuharus Äußerungenspricht.Als »west-östlichenDiebstahl« bezeichneteSky Nonhoffineinem gleichnamigenArtikel über dieSängerin , der2003inder Zeit erschien, dasVorgehenvon Musikern wieYasuharuoderKarie in den 1990er Jahren,deren Musik nach ihrem Ursprungsort,dem Tokioter StadtteilShibuya, als shibuyakei bezeichnet wird:

Ausden dortigenPlattenläden–zweifellosden bestsortierten der Welt –klau(b)ten [Stilgourmands wie(…) PizzicatoFiveoderdas Elektronik-WunderkindOyamada Keigoalias ] so weitentfernte Gattungenwie brasilianischenBossa Nova, italienische B-Film-Soundtracks undden vielgeschmähten Ye-Ye-Beatder franzö- sischenSixties zusammen,umeineVielfaltvon Genres perspektivisch neuzube- trachten undzuamalgamieren.Shibuya-kei warglobalisierte Postmoderne:ironisch, spielerisch, sophisticated undsupercool.21

20 Zu Martin Dennys Exotica siehe HOSOKAWA Shu¯ hei, »MartinDenny andthe Developmentof MusicalExotica«, in: Widening theHorizon,S.72–93. 624 Musikalische Globalisierung und kulturelle Identität in Japan und China

Diese21 Musikergehen in der Umkehrungder aufhierarchischen Dichotomienbasierenden ›Logik der Inauthentizität‹ noch einenSchritt weiter: Jetztist es nichtlängerder Westen, der einstereotypes Bild von Japanverbreitet, an dem sich japanische Popmusiker abzuar- beiten haben; jetzt istesJapan,das einKonzentrataus Zutatenbereitet,die allesamtder westlichen Popkulturentstammen, dieman anscheinendextra zu diesem Zwecke derart verinnerlicht hat, dass mannun mitihr machen kann,was immerman will.Auf eklektische Weise–und gehört nichtder Eklektizismuszuden Hauptmerkmalender Postmoderne?– schaffen japanische Musikersoeinen imaginären popularkulturellen Westen, denessonie gegebenhat,sondern der zurGänze einProdukt desLandesist,das in der ganzenWeltals Modellder postmodernenGesellschaftgilt. Undmussinder fortschrittsgläubigen Logik der Moderne diePostmoderne der Moderne nichtüberlegen sein,dasie zeitlich aufsie folgt? Gewonnen!HappiiEndo!

Seiji CHO¯ KI (Tokyo)

Japanische Oper und ihre Tragweite. Möglichkeiten der Rezeption einer europäischen Gattung

Die ersten Ansätze zur japanischen Oper Anfang des20. Jahrhunderts erschien der erste japanische Versucheiner Opernkomposition, Roei no Yume (Traum aufdem Biwakplatz)1,imKabuki-za,einem der japanischentraditio- nellen TheaterinTokyo.ImdiesemWerk,monologisch von einemneugierigen Kabuki- Schauspieler gespielt,wirdder Traumeines Soldaten im Russisch-Japanischen Kriegim Jahre1904erzählt. Fürseine Darstellungdes Heimwehshattengerade »die Leute, die sich über den Kriegaufgeregthatten«2,stärkste Sympathie. Zwar istdas Werk ganz im europäischen Stil notiertund gesungen,aberdie Oper alsneueTheaterartwirdinihm noch nichtdeutlichsichtbar. Vielmehr scheintes, dass in diesem erstenOpernversuch der Unterschiedzwischen dem japanischen Kabuki undder europäischenOpernoch nicht wirklich erkanntwurde.Man nahm an,dassdie beiden ›Gesamtkunstwerke‹ Kabuki und Oper sich lückenlos verschmelzenließen.Aberwie dem auch sei, aufjeden Fall wurde hier- mitdas Opernschaffen in JapaninAngriff genommen.

21 SkyNonhoff, »West-östlicherDiebstahl. Kahimi Karieist dieQueen desJapan-Pop«, in: DieZeit 5. 6.2003. 1 Der Klavierauszugvon Roei no Yume wurde vonKyo¯eki Sho¯ shainTokyo gedruckt. 2 Sueharu KITAMURA,»Kageki Roei no Yume«, in derZeitschrift Shin-Engei,Juni1921.