3 Zur Funktion Von Insekten Im Film
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DIPLOMARBEIT Titel der Diplomarbeit „Die Spiegelbilder des Anderen – Zur Funktion von Insekten im Film“ Verfasserin Verena Saischek angestrebter akademischer Grad Magistra der Philosophie (Mag.phil.) Wien, 2014 Studienkennzahl lt. Studienblatt: A 317 Studienrichtung lt. Studienblatt: Theater-, Film- und Medienwissenschaft Betreuer: Univ.-Prof. Dr. Ulrich Meurer, M. A. Abbildung: Screenshot aus Phase IV (US 1974), siehe Filmverzeichnis. Inhaltsverzeichnis 1 EINLEITUNG........................................................................................................................................................................7 2 ZUR STELLUNG VON INSEKTEN IN DER GESELLSCHAFT........................................................................13 2.1 Organisms of différance – Die Andersartigkeit der Insekten.............................................................................13 2.2 Animalia sacra – Insektensymbolik zwischen Gut und Böse.............................................................................19 3 ZUR FUNKTION VON INSEKTEN IM FILM........................................................................................................23 3.1 Insekten im Dokumentarflm........................................................................................................................................23 3.1.1 THE ACROBATIC FLY – Die ersten realen Insekten auf der Leinwand..............................................24 3.1.2 DER AMEISENSTAAT / DER BIENENSTAAT – NS-Propaganda im Ufa-Tierflm...............................27 3.1.3 THE HELLSTROM CHRONICLE – Fakt, Fiktion und die Erben der Weltherrschaft......................34 3.1.4 MICROCOSMOS – Ein Natur-Märchen über das Volk der Gräser......................................................41 3.2 Insekten im Spielflm.........................................................................................................................................................49 3.2.1 THEM! – Die Big Bug Films der 1950er Jahre..............................................................................................51 3.2.2 PHASE IV / THE SWARM – Die Schwarmflme der 1970er Jahre........................................................67 3.2.3 THE FLY / MIMIC – Metamorphosen und Hybriden..................................................................................87 3.3 Ein Blick ins 21. Jahrhundert......................................................................................................................................105 4 SCHLUSSBETRACHTUNG UND AUSBLICK....................................................................................................107 5 ANHANG.........................................................................................................................................................................111 6 QUELLENVERZEICHNIS..........................................................................................................................................115 6.1 Literaturverzeichnis.......................................................................................................................................................115 6.2 Filmverzeichnis................................................................................................................................................................120 7 Abstract (deutsch/englisch).....................................................................................................................................123 8 Über die Autorin...........................................................................................................................................................125 5 6 1 EINLEITUNG Un chien andalou 1 Eines der prominenten Schreckensbilder der Filmgeschichte zeigt die Großaufnahme von einer mit Ameisen übersäten Hand. Es handelt sich um eine Szene aus Luis Buñuels und Salvador Dalís Un chien andalou (Ein andalusischer Hund, FR 1929). In seiner Kannibalischen Leckerei schreibt Georges Bataille über deren surrealistischen Filmstreich: „Man weiß, daß der zivilisierte Mensch durch die Kraft von meist kaum erklärbaren Ängsten charakterisiert wird. Die Furcht vor Insekten ist zweifellos eine der seltsamsten und der am weitesten verbreiteten Ängste […].“2 Bewusst setzten Buñuel und Dalí die visuelle Wirkungskraft von Insekten ein, um zu schockieren und zu provozieren. Doch die beiden waren bei weitem nicht die einzigen, die das flmische Potential von krabbelndem Getier erkannten und für ihre Zwecke zu nutzen wussten. Die flmwissenschaftliche Literatur ist zwar zum Bersten angefüllt mit Überlegungen zum Tier im Film, dabei wurden die Insekten jedoch bis auf wenige Ausnahmen eher vernachlässigt oder gänzlich übergangen, wie Eric Brown in seiner Einleitung zu Insect Poetics bestätigt.3 So soll die hier vorliegende Arbeit nun endlich all die sechsbeinigen krabbelnden und schwärmenden Tierchen ins Scheinwerferlicht rücken, die im Laufe der Filmgeschichte doch so zahlreich und unermüdlich für extreme Empfndungen in den Kinosälen sorgten. Bevor wir uns speziell den Insekten nähern, ist ein kurzer Blick auf Tiere im Film ganz allgemein erforderlich: Seit den Anfängen der Kinematografe standen das Tier und das Laufbild in enger Wechsel- 1 Die Bildquelle aller in dieser Arbeit folgenden Screenshots ist, falls nicht anders angegeben, dem Filmverzeichnis auf den Seiten 120-122 zu entnehmen. 2 Georges Bataille: Kannibalische Leckerei. In: David Yasha (Hg.): ¿Buñuel! Auge des Jahrhunderts, Bonn: Kunst- u. Ausstellungshalle d. BRD 1994, S. 134-135, hier S. 134 (Orig. in der Zeitschrift Documents, Nr. 4, 1929, S. 215-218). 3 Vgl. Eric C. Brown: Introduction. Reading the Insect. In: Eric C. Brown (Hg.): Insect Poetics, Minneapolis: University of Minnesota Press 2006, S. ix-xxiii, hier S. x. 7 beziehung. Einerseits trug die Faszination an Tieren wesentlich zur Entwicklung des bewegten Bildes bei – man denke an Muybridges Einsatz der Serienfotografe, um den Bewegungsapparat eines galop- pierenden Pferdes sichtbar zu machen. Andererseits prägte der Film in seinen unterschiedlichsten Gattungen stets das Verhältnis zwischen Mensch und Tier, beeinfusste die Art und Weise, wie wir Tiere wahrnehmen. Schon Béla Balázs schrieb im Jahr 1924 in seinem flmtheoretischen Hauptwerk Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films Tieren den Reiz der belauschten Natur zu. Im Gegensatz zu menschlichen Akteuren würden sie „nicht spielen, sondern leben“ und wären folglich in ihrer Darstellung „echteste Tatsache“ – also durch und durch authentisch. 4 „Mit dem Tier scheint das Reale in den Film einzubrechen“,5 betonen auch Möhring, Perinelli und Stieglitz viele Jahrzehnte später in ihrem Sammelband Tiere im Film. Doch seit Balázs' frühen flmtheoretischen Ausführungen hat sich viel getan auf den Leinwänden. Betrachtet man den Einsatz von Tieren quer durch die Filmgeschichte, von Hollywood-Produktionen und B-Movies, in denen das Tier größtenteils entweder als Held und Retter oder aber als blutrünstige Bestie auftritt, bis hin zu den vielen vor Sensationalismus oder Anthropo- morphisierung regelrecht überquellenden Tierdokumentationen, so stellt sich doch die Frage, ob das echte, das authentische Tier im Film überhaupt existieren kann. In der Philosophie wird das Tier als das sogenannte Andere defniert, das die Grenzen des menschlichen Subjekts markiert – „the metaphysical other of man“,6 wie Rosi Braidotti in ihrem Werk Metamorphoses schreibt. Im Anblick des tierischen Anderen bestärkt sich die menschliche Selbst- defnition, doch wir sehen uns auch mit einem reizvollen „Spannungsverhältnis von Verwandtschaft und Differenz“, von „Ich und Nicht-Ich“ konfrontiert, welches Vinzenz Hediger in seinem Text Das Abenteuer der physiognomischen Differenz erläutert.7 Der Mensch sucht immer wieder aufs Neue nach Identifkation, nach einer Verbindung, einem Kontakt mit dem Tier – und glaubt diesen Kontakt vor allem im Kino auch zu fnden. „Denn das eigentliche Mysterium des Films mit Tieren ist, dass wir mithilfe der Apparatur des Kinos das Ausdrucksverhalten der Tiere entziffern können – dass wir die Tiere verstehen, ganz so, wie wir Menschen verstehen.“8 Bei diesem vermeintlichen Verstehen nimmt an Stelle der Sprache die Konfron- tation mit dem Tiergesicht und -blick eine essentielle Rolle ein, weshalb übrigens das Tierauge immer wieder ein signifkantes Motiv in Filmen darstellt. Während Balázs sich darüber freute, in gar allen Tieren „Karikaturen gewisser Menschentypen [...] und dabei von unmaskierter Echtheit“ 9 entdecken zu können, begründet auch Gertrud Koch in ihrer Abhandlung zur physiognomischen Empathie, dass sich im Sinne von Charles Darwins These einer universalen Ausdrucksfähigkeit und -haltung „zumindest gewisse 4 Vgl. Béla Balázs: Der sichtbare Mensch oder die Kultur des Films, Frankfurt a. Main: Suhrkamp 2001, S. 76 (Orig. Wien u. a.: Deutsch-Österreichischer Verlag 1924). 5 Maren Möhring / Massimo Perinelli / Olaf Stieglitz: Tierflme und Filmtiere. Einleitung. In: Möhring / Perinelli / Stieglitz (Hg.): Tiere im Film. Eine Menschheitsgeschichte der Moderne, Köln u.a.: Böhlau Verlag GmbH 2009, S. 3-10, hier S. 8. 6 Rosi Braidotti: Metamorphoses. Towards a Materialist Theory of Becoming, Cambridge: Polity Press 2002, S. 121. 7 Vinzenz Hediger: Das Abenteuer der physiognomischen Differenz. Science Fiction. Tierflme und das Kino als anthropologische Maschine. In: Petra Löffer / Leander Scholz (Hg.): Das Gesicht ist eine starke Organisation, Köln: DuMont 2004, S. 15-30,