Liebe Ist Was Für Dienstmädchen Die Agnellis Sind Die Kennedys Italiens: Mächtig, Glamourös Und Tragisch
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PETER DENCH / CORBIS Agnelli-Enkel Elkann mit Verlobter Stella und Schwester Ginevra Elkann auf einer Party in London: Trost bei „Patrizia“ DYNASTIEN Liebe ist was für Dienstmädchen Die Agnellis sind die Kennedys Italiens: mächtig, glamourös und tragisch. Lapo Elkann, Enkel des verstorbenen Patriarchen Gianni Agnelli, ist das neue Gesicht des angeschlagenen Autokonzerns. Dann fand man ihn mit Überdosis auf dem Sofa eines Transvestiten. Von Alexander Smoltczyk ie Vorstellung des neuen Grande bei Fiat. Lapo Elkann ist 28 Jahre alt, Der Grande Punto ist ein gutdurch- Punto am 5. September ist eine spricht vier Sprachen fließend und wurde dachter Wagen. Sein Erfolg hängt jetzt nur DShow aus Lichteffekten, Rhythmen, gerade von den Miss-Italia-Kandidatinnen noch vom Marketing ab, von jenem schwer Laserblitzen. Der Kleinwagen wird gefei- zum Idealgesicht gewählt. Der 5. Septem- planbaren, nie greifbaren Etwas: Brand. ert, als hätte er gerade die Präsident- ber ist auch seine Show. Marke. Gefühl. Image. Identifikation. Da- schaftsvorwahlen gewonnen. Vasco Rossi, Der neue Punto ist die Zukunft von Fiat, für ist Lapo Elkann zuständig. der populärste Rockstar Italiens, singt eine der Test, ob in Turin noch Autos gebaut Fünf Wochen später, am Morgen des Hymne auf das Auto, der Erzbischof ist werden können, die in Qualität und Preis 10. Oktober, wird der Notarzt in die Via gekommen, Michael Schumacher, tausend auf dem Weltmarkt mithalten. Wenn in den Carlo Marochetti gerufen, in ein Wohn- Gäste an gedeckten Tischen, Turiner Adel, nächsten hundert Tagen nicht 36000 Stück viertel unweit des Po. Der Anrufer ist römische Macht: Schönheit, Luxus, Zu- bestellt werden, werden die Banken nervös. Donato B., ein 53-Jähriger, der nachts kunft. Wenn im nächsten Jahr nicht 360 000 mit schwarzer Perücke auf dem Bürger- Die Präsentation ist zugleich der Ein- Grande Punto verkauft werden, wird es Fiat steig steht und sich „Patrizia“ nennen stand des neuen Marken-Verantwortlichen in der klassischen Form nicht mehr geben. lässt. Donato B. gehörte nicht zu den Eh- 100 der spiegel 43/2005 Gesellschaft rengästen, als der neue Punto vorgestellt Dorf zu verlassen: als Soldat zur Armee Als Gianni Agnelli anfing seine Kra- wurde. oder als Emigrant nach Übersee. Der Clan watten über den Kaschmirpullover hängen Auf dem Sofa von „Patrizia“ liegt ein 28- verwandelte das Land mit den Zitronen- zu lassen, wurde das wenig später in St. Jähriger mit verdrehten Augen, bewusstlos blüten in wenigen Jahren in eine total Moritz wie selbstverständlich kopiert. um Luft ringend. Die Ärzte brauchen nicht mobilisierte, benzin- und temposüchtige Ebenso die Marotten, den Button-down- nach dem Namen des Jungen zu fragen. Nation. Winzige Autos waren das, aber ein Kragen seines Brooks-Brothers-Hemds Lapo Elkann, das neue Gesicht von Fiat, Gutteil der heute 30-, 40-Jährigen dürfte aufgeknöpft zu lassen und die Armbanduhr auf der Intensivstation. Das Kommuniqué dennoch auf den Liegesitzen eines Cinque- über dem Ärmel zu tragen. Agnelli wurde des Konzerns spricht von „durch Pharma- cento oder Seicento gezeugt worden sein. der erste Großindustrielle mit Sex-Appeal. zeutika ausgelösten Atemproble- Die Frauenzeitschriften bestellten men“. Doch auf der ersten Seite nur Fotos von ihm in Badehose. der „Stampa“ steht am nächsten Oder besser noch: ohne. Der Avvo- Morgen die Wahrheit: „Überdosis“, cato war der heimliche König Ita- vermutlich eine Mischung aus liens, und er war populär, weil alle Kokain, Ecstasy, Alkohol. Ein Un- Italiener sich in den Passionen wie- fall, eine Falle? „Patrizia“ sagt, El- dererkannten: Hubraum, Fußball, kann habe sie seit Juli des Öfteren Körbchengrößen. besucht. Frauen spielen, mit Ausnahme Die Kampagne für den Grande von Giannis Schwester Susanna, ei- Punto ist gut angelaufen. An den ner späteren Außenministerin, im Straßen hängt das Plakat des Klein- Clan keine Rolle. Die Aufgabe einer wagens mit der Maserati-Front: Agnelli war es, Söhne zu bekom- „È arrivato. Punto.“ Doch in den men und die Eskapaden, Triumphe, Bars wird von dem umschwärmten Abstürze ihres Gatten stoisch zu be- „Brand Promotion“-Chef geredet, gleiten. Es ist nahezu ein offenes Ge- der sich mit drei Transen und einer heimnis, dass auch Gianni sein Le- Überdosis erwischen lässt. Witze ben lang sein Puderdöschen gehabt tauchen auf: „Der Punto Elkann – habe. Nur ließ er es nie zu Beweisen mit Feinststaubsauger“. Es steht zu kommen. Alles unter Kontrolle. viel auf dem Spiel, um das richtig Lapo Elkann, der Enkel von lustig zu finden. Nicht allein für Gianni Agnelli und die Zukunft Lapo Elkann. Fiats, kokettiert damit, dem großen Zu Lebzeiten des „Avvocato“, Gianni zu ähneln. Er ist in Rio de des Patriarchen Giovanni („Gian- Janeiro und Paris zur Schule ge- ni“) Agnelli, wurden die Miss- gangen, hat in London studiert und geschicke des Clans meist unter der war in Washington persönlicher As- Decke gehalten. Undenkbar, dass sistent von Henry Kissinger. Mit 18 eine Zeitung in Familienbesitz wie PRESS / ACTION S.P.A. OLYCOM Jahren segelte er beim „America’s „La Stampa“ das Unglück eines Cup“ mit. Er trägt exzentrische Na- Agnelli publik machen würde. Der delstreifenanzüge und auf seinem „Osservatore Romano“ zeigt den Oberarm eine tätowierte Samurai- Papst auch nicht in Badehose. „Es Weisheit: „Niemals aufgeben“. Er ist“, schreibt ein Turiner Journalist, ist mit Martina Stella verlobt, ei- „als wäre eine Dynastie zusam- nem jener sehr blonden, sehr ehr- mengestürzt.“ geizigen Mädchen, die man in Ita- Das Fiat-Werk in Mirafiori, ei- lien „Veline“ nennt. Er hat sich das nem Turiner Stadtteil, war wie die rollende R abgewöhnt, um dem legendäre Fabrik von Ford in De- Großvater auch in der Aussprache troit, nur größer. Das 1939 eröffne- zu gleichen. Trägt die Frisur, die te Werk Mirafiori hatte 37 Portale, Maßanzüge des Großvaters. Da ist eine Kantine für zehntausend Ar- die gleiche Eleganz, der Hang zur beiter, und die Schienen der Werks- Exzentrik, zu den Schönen, die bahn erstreckten sich über 40 Ki- gleiche präventiv-schlagartige Herz- lometer. In den Hallen von Fiat Fiat-Patriarch Agnelli*, Fiat-Werk in Turin lichkeit. Aber vielleicht ist das nicht wurde die italienische Arbeiter- Alles unter Kontrolle so sehr Nachahmen als ein geneti- bewegung geschmiedet. Als der sches Programm. Duce stürzte, hatten Fiat-Arbeiter das Si- Gianni Agnelli erbte mit 22 Jahren. Die Elkann ist mitreißend, überschäumend gnal dazu gegeben. Die Hauptstraße in nächsten 20 Jahre überließ er die Kon- von Ideen und selbst schnell zu begeistern. Mirafiori hieß „Korso der Sowjetunion“, zernleitung seinem Manager und ent- Inmitten der Anzugträger von Mirafiori und so heißt sie noch heute. wickelte stattdessen den Typus des Play- muss jemand, der morgens mit grünen Fiat war ein Imperium, zu dem auch boy-Industriellen. Raste im Ferrari über Stiefeln ins Büro kommt, wie eine Offen- Cinzano, Juventus Turin, Eisenbahn- und die Corniche, flog im Privatflugzeug zu barung wirken. Wer bei Fiat eine originel- Flugzeugwerke gehörten. Es gab Jahre, da seiner Yacht, eroberte nacheinander Rita le Marketing-Idee hat, der kommt zum trugen 83 Prozent aller Autos und Last- Hayworth, Jackie Kennedy und Anita Ek- Enkel des Alten. Zumal dort nicht so sehr wagen in Italien ein Fiat-Logo auf dem berg. Allgegenwärtig, stets im Mittelpunkt, gespart werden muss wie in anderen Ab- Blech. Und später kamen auch noch die und immer alles unter Kontrolle: „Liebe ist teilungen. Das schafft ihm Neider. Im Haus Vespas hinzu. etwas für Dienstmädchen.“ warten viele nur auf einen Fehler. Vor den Agnellis, vor Fiat, gab es für ei- Die Agnellis sind die Kennedys Italiens: nen Italiener nur zwei Möglichkeiten, sein * Mit Jackie Kennedy 1962. schön, mächtig, glamourös. Zumal die der spiegel 43/2005 101 Gesellschaft LAURENT SOLA / GAMMA Familie Agnelli (1986)*: Das heimliche Königshaus Italiens männlichen Agnellis einen Hang zur Ge- ni Alberto gesetzt. Der hatte das Metier niger über den Preis konkurrieren, mehr schichte haben und sich durchweg mit den von unten auf gelernt. Aus den Schrauber- über die Emotion.“ Es geht um den Nim- großen Namen verheiraten, den Caraccio- werkstätten von Piaggio hatte er eine ren- bus. Wenn eine Marke greift, dann wird ge- los und Fürstenbergs. Die Dynastie ist heu- table Roller-Fabrik gemacht. Giovanni Al- ordert, dann laufen die Bänder in Mirafio- te genealogisch nicht weniger diversifiziert berto war der Liebling der Medien, gebil- ri, dann lebt die Stadt, das Land. als wirtschaftlich. Und wie bei den Kenne- det, reserviert, effizient. Die Zukunft von Aber nichts ist weniger selbstverständ- dys gibt es einen Hang zum Unglück, eine Fiat, aber unheilbar krank. Am 13. Dezem- lich. Als Gianni Agnelli, der letzte wahre Eigentümlichkeit, die sie von anderen Dy- ber 1997 starb der Fiat-Erbe überraschend Fürst Italiens, am 24. Januar 2003 an Krebs nastien unterscheidet: Es gibt keine Väter. an einem Tumor. Innerhalb von drei Jahren stirbt, ist Fiat ein Schatten seiner selbst. Gianni bekam das Werk 1945 von sei- hatten die Agnelli-Brüder, Gianni und Um- Die Fabriken veraltet, die Konzernführung nem Großvater anvertraut. Er selbst wür- berto, ihre Erstgeborenen verloren. erniedrigt von Gläubigerbanken, die in den de das Schicksal von Fiat wiederum in die Bei Edoardos Begräbnis stützte sich der Bilanzen herumschnüffelten, als handelte Hände seiner Enkel legen. Jede zweite Ge- Patriarch auf den Arm von Lapo Elkann, es sich um einen kalabresischen Bauunter- neration fiel aus durch Krankheit, Unfälle jenem Enkel, in dem er sich am meis- nehmer. Die Fiat-Aktie war noch so viel und Drogen. Das ist der ten wiedererkannte. In den wert wie ein Teller Spaghetti. Fluch der Familie. Fiat-Vorstand setzte der In den Neunzigern hatte der Konzern Der Vater von Agnelli Alte seinen ältesten Enkel sich verschuldet, um die Märkte in Ost- starb 1935 bei der Landung Die Frauenzeitschrif- John Elkann, einen ephe- europa, Lateinamerika, Asien zu öffnen. Er mit seinem Wasserflugzeug, ten bestellten bisch wirkenden Jüngling hatte in Bereiche investiert, die mit dem als der Sohn gerade 14 Jah- nur Fotos von ihm in wie aus dem „Tod in Vene- Autobau nichts zu tun hatten.