Glazialmorphologische Untersuchungen Im Hinterrhein-Tal Und Am Bernhardin-Pass
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Vierteljahrsschrift der Naturforschenden Gesellschaft in Zürich (1981) 126/4: 237-267 Glazialmorphologische Untersuchungen im Hinterrhein-Tal und am Bernhardin-Pass Conradin A. Burga, Universität Zürich Im Schams, Rheinwald und am Bernhardin-Pass wurden spät- nnd nacheiszeitliche Gletscher- stände kartiert und auf ihre Altersstellung untersucht. Die wurmeiszeitliche Transfluenz des Hin- terrhein-Gletschers über den Bernhardin war spätestens während der Ältesten Dryas beendet. Im Hinterrheingebiet stiessen die Seitengletscher während des Spätglazials nochmals bis ins Haupt- tal vor. Es konnten vier verschiedene spätglaziale Stadien des Hinterrhein -Gletschers und mehre- re postglaziale Stände des Hauptgletschers und seiner Seitengletscher festgestellt werden. Stand 1 ist mindestens so alt wie die Älteste Dryas und ist vielleicht ein Äqulvalent des Churer Stadiums (= Bühl-Stadium?). Stand 2 reicht bis Andeer und kann mit der Ältesten Dryas korreliert werden (= Gschnitz-Stadium?). Die Stände 3a und 3b reichen bis Nufenen bzw. Hinterrhein und werden mit der Älteren bzw. Jüngeren Dryas parallelisiert (Daun- und Egesen-Stadium). Die neuzeitlichen Gletscherstände konnten zum Teil mit Hilfe von alten Karten rekonstruiert werden. Am Schluss der Arbeit wird ein Überblick zu postglazialen Klimaschwankungen gegeben, welche in den Pollendiagrammen des Untersuchungsgebietes zum Ausdruck kommen. Glaclalmorphological Investigations in the Region of Hinterrhein and Bernhardln-Pass In the region of Schams, Rheinwald and the Bernhardin-Pass late- and post-glacial ice-marginal zones have been investigated. The Würmian transfluence of the Hinterrhein-glacier over the Bern- hardin finished at the latest during the Oldest Dryas. In the Hinterrhein-Valley the tributary gla- ciers increased again up to the principal valley during the Late-glacial. It was possible to locate four different late-glacial stages of the Hinterrhein-glacier and several post-glacial phases of the principal glacier and its tributary glaciers. Ice-marginal zone 1 is older than the Oldest Dryas and corresponds perhaps to the Churer-Stage (= Bühl-Stadium?). Ice-marginal zone 2 reaches as far as Andeer and may be correlated with the Oldest Dryas (= Gschnitz-Stadium?). The ice-marginal zones 3a and 3b reach as far as Nufenen resp. Hinterrhein and are correlated with the Older resp. Younger Dryas (Daun- and Egesen-Stadium). Some of the young Holocene glacier oscillations have been reconstructed by using ancient maps. The article finishes with an outline of the Holocene climatic fluctuations which are shown in the. pollen diagrams of the investigated area. 1 Einleitung und Forschungsstand 1.1 Geologie Die geologische Aufnahme des SChams für das Blatt 1235 Andeer erfolgte. durch H. Jäckli (1937-39/1944-67) im Westschams, J. Neher (1932-66) Süd- westschams und in den Splügener Kalkbergen sowie durch V. Streift' (1935-38, 1942-44 und 1963-67) im Ostschams. Die Landschaft Schams (Va} Schons) wird aufgebaut von den tektonisch sehr komplizierten Schamser Dek. ken, deren Herkunft noch unsicher ist. Die mittelpenninischen Schamser Dek ken, bestehend aus den drei TeildeCken a) Gruschus-Kalkberg-Decke, b Tschera-Decke und c) Gelbhorn-Decke, liegen im westlichen und nördlicher e 238 C. A. Burga Legende Berggrat Fluss/Bach ® See Gletscher Q Ortschaft • Pollendiagra m Karte l: Das Untersuchungsgebiet: A = Zapport-/Paradies-Gletscher, B = Muccia- Gletscher, C = Güfer-Gletscher, D = Fanell-/Chllchalp- Gletscher, E = Höhberg- Gletscher, F = Tambo- Gletscher, G = Suretta-Seen, H = Suretta- Gletscher, I = Sut-Fuina-Gletscher. Pollendiagramme: 1 = Crapteig 1020 m, 2 = Pale digl Urs 1834 m, 3 = Lai da Vons 1991 m, 4 = Moräne Marschol 1985 m, 5 = Alp Marschol 2010 m, 6 = Sass de la Golp 1953 m (l-6 in: C. Burga 1980), 7 = Suossa 1700 m (in: H. Zoller und H. Kleiber 1971), 8 = Pian di Signano 1480 m (in: H. Zoller 1960). Map l: The investigated area: The Hinterrhein-Valley and the Bernhardinpass-Region. Details see above. Glazialmorphologische Untersuchungen im Hinterrhein-Tal und am Bernhardin-Pass 239 Schams auf Bündnerschiefer der tiefpenninischen Adula-Decke sowie auf der Areua-Bruschghorn-Schuppe, welche mit der Misoxer Zone in Verbindung steht (A. Gansser, 1937). Die Areua-Bruschghorn-Schuppe ist als dünner Trennhorizont zwischen dem Flysch der Adula-Decke und der Gelbhorn-Dek- ke als tektonisch selbständiges Element erstaunlich weit verbreitet (H. Jäckli, 1976). Im Ostschams wird das Hangende der Schamser Decken von ophio- lithführenden Schiefem der hochpenninischen Platta-Decke s. l. gebildet. Die südliche Abgrenzung erfolgt durch die Roffna-Masse der Suretta-Decke mit dünnmächtiger Sedimenthülle (vorwiegend Trias, wenig Verrucano-Konglo- merate). Im Schams und vorderen Rheinwald treten faziell sehr gegensätzli- che Gesteinsserien auf, so die Splügener Kalkberge, welche nur aus mächtig entwickelter mittlerer Trias bestehen, die Roffna-Masse, einem alpin über- prägten paläozoischen Granitporphyr (M. Grünenfelder, 1956), dann die vor- wiegend doggerzeitliche polymikte Taspinit-(= Vizan-)Breccie neben der tief- meerischen Schieferfazies des Tomül-Lappens (Adula-Decke). Wegen Mangels an bestimmbaren Leitfossilien erfolgt die stratigraphische Gliederung der Sedimente auf lithologischer Grundlage (V. Streiff, H. Jäckli und J. Neher, 1976). Die geologischen Verhältnisse sind im Schams ausseror- dentlich kompliziert: Wir finden stark verfaltete, verschuppte, laminierte Ein- heiten der Schamser Decken, deren Herkunft noch ungeklärt ist («Schamser Dilemma»). Die Schamser Decken bilden wurzellose Komplexe, deren mäch- tige mesozoische Karbonatfazies (Splügener Kalkberge) eine Herkunft aus dem Mittelpenninikum (Brianconnais, evtl. Subbrianconnais) (D. Richter, 1974; R. Trümpy, 1974) wahrscheinlich macht. D. Richter nimmt an, dass die Schamser Decken, die Falknis- und Sulzfluh-Decke einem gemeinsamen Fa- ziesraum, dem Subbrianconnais, entstammen. Die Schamser Decken fallen nach Norden und liegen dann auf der Adula-Decke, bzw. wiCkeln die Suret- ta-Decke an der Stirn ein (V. Streiff, 1976). Die Geologie und Petrographie des Bernhardins wurde mehrmals unter- sucht. Die letzte ausführliche Arbeit stammt von G. Frischknecht (1923). In den Publikationen von Erna Heydweiller (1918), G. FrischkneCht et al. (1923) und besonders von A. Gansser (1937) sind in umfangreichen Literaturver- zeichnissen die älteren geologischen und petrographischen UntersuChungen zusammengestellt. Das Passgebiet liegt vollständig im Kristallin der tiefpenni- nischen Adula-Decke. In der Gegend vom Wälschberg und der Alp Monta- gna bildet sie eine scharfe Grenze zur Misoxer Mulde, welche einen von Nor- den nach Süden streichenden, axial mit etwa 40° nach Osten einfallenden Synklinalzug darstellt. In der mächtigen Uccello-Wand im Osten der Passfur- che sind Bündnerschiefer mit Prasinitbändern wunderbar aufgeschlossen (vgl. Profile von A. Gansser, 1937 und die tektonische Karte von A. Gansser, 1967, S. 804). Die Misoxer Zone bildet die tektonische Trennung zwischen der Adu- la- und der tektonisch höher liegenden mittelpenninischen Tambo-Decke öst- lich des Bernhardins. Die Adula-DeCke wird weiter westliCh von den tiefpen- ninischen Soja- und Simano-Decken unterlagert. Die Lagerungsverhältnisse 240 C. A. Burga der Adula-Decke sind gut überschaubar in der Gegend des Bernhardins. So fallen die Schichten bei San Bernardino nach Ostsüdost bis Osten. Weiter nördlich findet ein Abdrehen der Fallinie nach Osten statt. Bei der Tällialp zeigt sich ein Abdrehen in ein Nord-Fallen (G. Frischknecht, 1923, S. 92). In der Gegend des Bernhardins besteht die Adula-Decke zur Hauptsache aus Granit- und Orthogneisen sowie aus Glimmerschiefern und Paragneisen, wel- che oft Amphibolit-Linsen enthalten. Bei den Laghit d'Ardei und nördlich des Moesolasees treten in Nord nach Süd verlaufender Grenze zum zentralen Or- thogneis Glimmerschiefer und Paragneise auf. Diese Gesteinsgrenzen fallen morphologisch zum Teil deutlich durch Schichtköpfe auf. Die Paragesteine werden als paläozoische Ablagerungen betrachtet und bilden die Sediment- hüllen um die Orthokerne. Die Orthogneise, welche dem Deckenkern entspre- chen, zeigen einen grossen Wechsel in der Struktur, so dass sie in grösseren Entfernungen nicht mehr für lithostratigraphische Korrelationszwecke ver- wendet werden können. Diese Gneise fallen vor allem auf durch ihre wunder- volle Bankung, die beim Steinbruch Dürrenbüel heute ausgenutzt wird. Mor- phologisch fallen die Amphibolite auf wegen ihrer grösseren Verwitterungsre- sistenz. Sie bilden oft das Dach der Rundhöcker. 1.2 Quartär und Geomorphologie Das ältere Quartär des Schams ist, mit Ausnahme von wenigen, meist künst- lich geschaffenen Aufschlüssen, durch Bach- und Murschuttkegel, die beid- seits des Tales von dessen Flanken geschwemmt wurden, verborgen. Beson- ders auf der linken Talseite sind einige Terrassen aus Rheinschotter erhalten geblieben. ZahlreiChe Erosionsränder, die zu mehrstufigen Terrassenabfolgen gehören, bekunden eine ehemals mehrzyklische Erosionstätigkeit des Hinter- rheins. An einigen Stellen, so östlich Donath, im Bad (westlich Pignia) und in Runcs (südsüdwestlich von Andeer) zeigen sich besondere Sedimentationsver- hältnisse, die auf einen ehemaligen Schamser See, und zwar zwei Stadien mit verschieden grosser Ausdehnung, hinweisen. Auf die Altersfrage wird in Kap. 3 noch eingegangen. Steigt man in die Höhe auf 2000 bis 2300 m, so gelangt man wieder auf flacheres Gebiet mit Maiensässen und Alpen. Im Osten: Lambegn, Neaza, Ta- spegn,