HEFT 255 – JULI 2004 44. JAHRGANG

• Vor 60 Jahren: 20. Juli 1944

• Christliches Zeugnis unter Nazi-Terror

• Ewiger Krieg? Djihad-Terror Konflikte in Nah- und Mittelost

Denkmäler für die Opfer des 20. Juli 1944 und die Häftlinge im KZ Dachau (Fotomontage PS)

1 HEFT 255 – JULI 2004 AUFTRAG 44. JAHRGANG INHALINHALINHALTTT

EDITORIAL ...... 3 Was den Deutschen noch zu tun bleibt VOR 60 JAHREN: 20. JULI 1944 (Guido Horst) ...... 43 20. Juli 1944 – Tradition und Verpflichtung (PS) 4 Glosse: Das ist bemerkenswert! Wie war es eigentlich Gedanken zum Militärischen Widerstand möglich unter diesen Verhältnissen zu überleben ... 43 (Klaus Achmann und Hartmut Bühl) ...... 4 Ein Meinungsbild der Deutschen über das Christliche Märtyrer dem Vergessen entreißen amerikanisch-deutsche Verhältnis (bt) ...... 44 (Andreas M. Rauch) ...... 11 Vereinigte Staaten: Kampf um das mächtigste Friedenskämpfer, Wehrmachtsangehörige, Geistliche Amt (Thomas Emons)...... 45 im deutschen Martyrologium des 20. Jh. (PS) ... 15 Kolumbien: „Es gibt nichts Schlechtes, das ewig Katholik, General und Widerständler. hält“ (KNA)...... 46 110. Geburtstag von Dieter von Choltitz und die KIRCHE UND GESELLSCHAFT Befreiung von Paris (Joachim G. Görlich) ...... 16 Zukunft der Kirchen in Deutschland: ZUM BILD DES SOLDATEN Unterschiedliche Rezepte (KNA) ...... 48 Wehrform und Innere Führung: Die Bundeswehr EU-Kaleidoskop: Kirche in den neuen muss eine menschenfreundliche Armee bleiben! Ein Mitgliedsstaaten (KNA) ...... 49 Plädoyer für die Wehrpflicht (Klaus Liebetanz) . 17 Weltkirche: Der Prozentsatz der Katholiken in Das Kreuz von Narwa (Paul Roth) ...... 19 der Welt sinkt (ZENIT) ...... 50 Kosovo: Blutsbrüder und Glaubensbrüder zugleich SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK (Alexander Brüggemann) ...... 51 Ewiger Krieg? Weltpolitische Risikoanalyse und Indonesien: Glaubensverkündigung in einem Folgerungen für Streitkräfte (Björn F. Schulz) .... 20 islamischen Land (Franz Magnis-Suseno SJ)...... 52 „Forum Innere Führung“: Rechtsfragen der Terroris- Kopftuch und Kreuz: Christen, hört die Signale! musbekämpfung durch Streitkräfte (bt) ...... 26 (Stephan Baier/bt) ...... 54 Militärbischof Mixa zu Themen: USA –Internatio- Islam: Migranten-Rat für Dialog mit Augenmaß naler Strafgerichtshof – Folter (KNA) ...... 27 (KNA) ...... 56 Auf der Suche nach Toleranz zwischen den Konflikt- parteien im Nahen und Mittleren Osten CHRISTLICHES ZEUGNIS (Thomas W. Geyer) ...... 28 Priester unter Nazi-Terror: »Denn vergessen dürfen Israels Zaun – eine neue Berliner Mauer? Die wir das Geschehene nie« (PS) ...... 57 israelische Sicht der neuen Grenzsperren (bt) ... 31 Interview mit dem polnischen Erzbischof Synagogen-Jubiläum in Rom: Papst will christlich- Majdanski, der das Konzentrationslager überlebt jüdische Freundschaft (KNA) ...... 32 hat (ZENIT)...... 58 Die „Genfer Initiative“ – Frieden auf einem gemein- Leseprobe aus „Pfarrerblock 25487“: REVIER.... 59 samen Weg mit einem fest formulierten Ziel (Antje Vollmer) ...... 33 BLICK IN DIE GESCHICHTE ISLAMISMUS UND WESTLICHE WELT Der Deutsche Orden im Heiligen Land (1190-1291) Radikaler Islamismus und der laizistische Funda- (Franz Kralic) ...... 62 mentalismus führen zum Zusammenprall der Vor 800 Jahren – Vierter Kreuzzug: Kreuzfahrer Kulturen (ZENIT) ...... 35 erobern Konstantinopel (Christoph Arens) ...... 68 Worin Dschihad und Kreuzzüge sich unterscheiden Vor 90 Jahren: Die Urkatastrophe des 20. Jh. (ZENIT) ...... 36 Eine kurze Geschichte des 1. Weltkriegs Die Zeit der Zweideutigkeit muss vorbei sein. (Eckhard Stuff) ...... 69 Bassan Tibi zu Djihad-Terror in Europa (bt) ...... 37 DHM zeigt Ausstellung über 1. Weltkrieg und Paul Spiegel: Die Brutstätten für Hass und Terror die Folgen (Gregor Krumpholz) ...... 70 müssen beseitigt werden (bt) ...... 39 KIRCHE UNTER SOLDATEN GESELLSCHAFT NAH UNF FERN AUS DER MILITÄRSEELSORGE Gott oder Mammon? (Johannes M. Schnarrer) ... 40 „Fern-Beziehungen“. Kooperation der Militärseelsor- Deutschland. Der Abstieg eines Superstars ge mit dem ZFG zur seelsorgerlichen Begleitung von (Eckhard Stuff) ...... 42 Soldaten (Georg Kestel) ...... 71

2 44. JAHRGANG AUFTRAG HEFT 255 – JULI 2004

Thesen zum Laienapostolat und Ehrenamt Personalia: Verantwortung für den Weltdienst der in der (Militär-)Seelsorge (Georg Kestel) ...... 73 Christen (PS) ...... 84 Bereich des KLMD Kiel/Glücksburg ...... 74 Personalia: Bundesvorsitzender Karl-Jürgen Klein als Mitglied im ZdK wiedergewählt (PS) ...... 85 AUS DER GKS GKS-Politikergespräch mit MdB Christian Schmidt, Einladung zur 44. Woche der Begegnung ...... 86 CSU: Was können und dürfen deutsche Streitkräfte . Einladung zur Mitgliederversammlung FGKS .. ... 87 (Helmut Jermer) ...... 75 KURZ BERICHTET ...... Aus der Arbeit des Bundesgeschäftsführers der 36, 47, 55 GKS (Klaus Achmann) ...... 78 PERSONALIA ...... 72, 74, 84, 85 Internationale Zusammenarbeit: Aus AMI und LESERBRIEF ZUM AUFTRAG 254 ...... 55 CICO (AMI) ...... 78 GKS-Kreis Ingolstadt (Helmut Häckl)...... 80 BUCHBESPRECHUNGEN ...... 26, 42, 59, 88, 89 GKS Bereich Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland TERMINE...... 90 (Heinrich Dorndorf) ...... 81 Katholische Männerarbeit/GKMD: „Welches Profil AUTOREN ...... 91 bekommt Europa? (Heinrich Dorndorf) ...... 82 ZU GUTER LETZT: Hölle von Menschenhand Katholikentag in Ulm (ArbSt Fulda) ...... 83 (Paul Roth) ...... 91 editorial Liebe Lesergemeinde! UFTRAG erinnert mit dem Juli-Heft ganz bewusst Show – und dann noch gekränkt den mäßigen Aufschrei an den militärischen Widerstand gegen Hitler und der Öffentlichkeit als Antisemitismus bezeichnen. Adas menschenverachtende Unrechtssystem des Na- „In Sachen Sicherheit (ist) nicht alles erlaubt“ tionalsozialismus. Ein besonderer Beitrag ist dem indivi- schreibt Sandro Schmidt in einem Kommentar der „Köl- duellen christlichen Widerstand gewidmet (s.S. 11 ff.). nischen Rundschau“ vom 1. Juli 2004. Er weist darauf Darüber hinaus soll auch an Friedenskämpfer und Kriegs- hin, dass zum zweiten Mal in dieser Woche das oberste dienstverweigerer erinnert werden, die – weil sie Wider- Gericht eines westlichen Prinzipien verbundenen Landes stand leisteten – ihr Leben opferten und sonst nicht gera- seiner Regierung bescheinigt habe, im Anti-Terror-Kampf de im Blickfeld von Soldaten stehen (s.S. 15. f.). massiv gegen fundamentale rechtsstaatliche Grundsätze Gerade nach den Foltervorwürfen1), die im Mai 2004 verstoßen zu haben (US-Rgierung bzgl. Guantanamo-Häft- gegen (einige) US-amerikanische Soldaten im Irak erho- lingen, Regierung Scharon bzgl. Sperranlagen zum West- ben wurden und die ausnahmslos zu verurteilen sind, ist jordanland). Man dürfe, so Schmidt, mit Erleichterung es für Soldaten der Bundeswehr wichtig, dass sie sich zur Kenntnis nehmen, dass in demokratischen Systemen auch 60 Jahre nach dem gescheiterten Attentat des 20. in Zeiten hysterisch geführter Sicherheitsdebatten am Juli 1944 vergewissern, in welcher Tradition sie stehen. Ende die Unrechtmäßigkeit staatlichen Handelns erkannt Die Würde des Menschen, die zu schützen vornehmste und korrigiert werde. Dennoch bleibe der Skandal, dass Aufgabe des heutigen Soldaten (aber nicht nur seine) ist, sogar den Menschenrechten verhaftete Regierungen be- ist unteilbar. Jedem Versuch, an diesen Grundsatz zu rüt- reit seien, in stürmischen Zeiten „ihre Prinzipien auf den teln, muss eine unumkehrbare Absage erteilt werden2). Müllhaufen der Geschichte zu werfen“. Es war ein großer Rechts- und Kulturschritt, als die Dazu passt gut, was Paul Roth als „Hölle aus Folter im 19. Jh. aus den Rechtsordnungen entfernt wur- Menschenhand“ bezeichnet (s. ZU GUTER LETZT, S. 89). de. Wenn ein Hochschullehrer im 21. Jh. nun über die Zulässigkeit von Folter nachdenkt, so soll er es im grund- Eine schöne, erholsame Sommerzeit wünscht Ihnen gesetzlich geschützten Freiraum von Forschung und Leh- re tun, aber nicht auf dem modernen Forum einer Talk- Ihre Redaktion AUFTRAG 1) „Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.“ Art 5 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Folter (Tortur, peinliche Befragung), die systematische Zufügung physischer oder psychischer Schmerzen zur Erzwingung einer Aussage oder Verhaltensänderung. Heute geht es hierbei meistens darum, Informationen über Gleichgesinnte (Mittäter, Sympathisanten), Verbindungs- strukturen etc. in Erfahrung zu bringen, seltener um die Erpressung eines (objektiv ohnehin wertlosen) Geständnisses. Die Haager Land- kriegsordnung, die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (s.o.) von 1948 und die Genfer Konventionen von 1949 haben die Folter inter- national geächtet. Trotzdem werden lt. ai in über 70 Ländern der Erde jährlich etwa eine halbe Million Menschen gefoltert. Soweit es in den US-Gefängnissen im Irak um Aussageerzwingung ging, liegt sicherlich der Tatbestand der Folter vor. Bei den in den Medien gezeigten Bildern von Übergriffen auf Gefangene handelt es sich um unmenschliche und erniedrigende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, die zumindest nach deutschem Strafrecht als Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB) unter Strafe gestellt ist. 2) s.a. Benjamin Schulz: „Folter ist immer rechtswidrig“ in: AUFTRAG 252/253 Januar 2004, S. 76.

3 VOR 60 JAHREN

VOR 60 JAHREN: 20. JULI 1944: 20. Juli 1944 – Tradition und Verpflichtung

ür die Öffentlichkeit, in der Bundeswehr und damit auch in der Gemeinschaft Katholischer Soldaten spielt seit der Aufstellung neuer deutscher Streitkräfte im November 1955 immer wieder die Frage eine Rolle, in Fwelcher Tradition deutsche Streitkräfte heute stehen. Konsens besteht in unserer Gesellschaft darüber, dass die Tradition des deutschen militärischen Widerstandes gegen Hitler für das Selbstverständnis der heutigen deut- schen Streitkräfte von essentieller Bedeutung ist. In diesem Widerstand und in den Personen der Widerstands- kämpfer wird deutlich, dass Recht und Gerechtigkeit nicht der Verfügbarkeit irgendeiner Herrschaft unterliegen dürfen und dass das Gewissen oberste Richtschnur allen, auch soldatischen Handelns ist und bleiben muss. Ge- wissen steht höher als das soldatische Prinzip von Befehl und Gehorsam. In einer Erklärung vom 1. Juli 1994 hatte die GKS zum 50. Jahrestag des 20. Juli 1944 auf die Bedeutung des (militärischen) Widerstandes im Dritten Reich hingewiesen, der sich in seiner extremsten Form im Attentat auf Adolf Hitler verwirklichte. Diese Position ist auch heute noch unverändert gültig. Es folgen zwei Beiträge zum 60. Jahrestag des 20. Juli 1944. Im ersten „Gedanken zum Militärischen Wider- stand“ geben Berufsoffiziere der Bundeswehr einen Überblick aus ethisch-moralischer Sicht über das Kapitel Widerstand im 3. Reich, das im Stauffenberg-Attentat gipfelte. Dieser Beitrag ist mit Genehmigung der Autoren und mit geringfügiger Bearbeitung entnommen dem Buch: Klaus Achmann, Hartmut Bühl: „20. Juli 1944. Le- bensbilder aus dem militärischen Widerstand“, Hamburg u.a. 31999. Er wurde ergänzt um die letzten zwei Ab- schnitte „Bedeutung von Eid und Widerstand für die Soldaten der Bundeswehr“ (nach der GKS-Erklärung vom 01.07.1994) sowie „Folgerung aus dem militärischen Widerstand für den Soldaten heute“. In einem weiteren Aufsatz möchte der Autor Andreas M. Rauch „Christliche Märtyrer dem Vergessen entrei- ßen“, die am Widerstand gegen das Nazi-Unrechtssystem und das Geschehen des 20. Juli beteiligt waren. (PS)

Gedanken zum Militärischen Widerstand

KLAUS ACHMANN UND HARTMUT BÜHL Das Verständnis von Widerstand aufgrund ihrer Politik die Interessen plänen diesen schweigend zustimm- des eigenen Landes sehenden Auges te, ist dem Widerstand im weiteren Der Widerstand gegen Hitler vernachlässigt. Auch sie kann be- Sinne zuzurechnen. wirft Grundfragen der Grenzen mili- rechtigt und sehr ehrenhaft sein. Entscheidend ist aber stets die tärischen Gehorsams, des Verhält- Dem Widerstehen, das sich aus ethi- Frage des persönlichen Risikos für nisses zwischen Individuum und schen Gründen gegen den Unrechts- Leben oder Freiheit. Es widerstand staatlicher Autorität, des verantwort- charakter einer Staatsführung wen- aber dem totalitären System jeder, lichen Handelns Einzelner, der Be- det, kommt aber zusätzliches morali- der sich dessen totalem Anspruch zu ziehungen zwischen Staat und Ge- sches Gewicht zu. Auch ist zwischen entziehen trachtete. Jede Form der sellschaft auf einer meist risikolosen inneren Emi- Weigerung konnte Freiheit und Le- Widerstand soll hier als verdeckt gration und dem aktiven Widerstand ben kosten. oder offen geführter Kampf gegen unter Inkaufnahme aller damit mög- schweres Unrecht mit dem Ziel einer licherweise verbundenen Gefahren Ziviler Widerstand Ablösung der Staatsführung begriffen zu unterscheiden. Allerdings kennt werden. Dieser Kampf gewinnt seine die Wirklichkeit des Lebens keine Der militärische Widerstand Rechtmäßigkeit dort, wo eine Regie- idealtypischen Verhältnisse. In aller kann nicht für sich allein betrachtet rung anhaltend und grundsätzlich ge- Regel wird eine Mischlage von Moti- werden. Er ist Teil eines breiten gen das Recht seiner Bürger und die ven vorliegen. Spektrums unterschiedlicher Grup- Pflicht verstößt, das Wohlergehen Neben der höchsten und inten- pen, Bewegungen und Kreise, die von Land und Menschen anzustreben sivsten Form des Widerstandes, der teilweise untereinander in Verbin- oder wenn sich diese Regierung aktiven Konspiration mit dem Ziel ei- dung standen. Sie wandten sich ge- schwerste und wiederholte Verlet- nes Staatsstreiches, gibt es andere gen Diktatur und Unrecht der Natio- zungen der Menschenrechte oder der Ausprägungen, die hier jedoch nicht nalsozialisten. Kirchen und Gewerk- Rechte anderer Staaten zuschulden im Mittelpunkt der Betrachtungen schaften, Offiziere, Politiker und Di- kommen lässt. Widerstand ist daher stehen. Aber auch wer gegenüber ei- plomaten, Unternehmer und Arbeiter nur in Systemen mit totalitärem nem repressiven Unrechtssystem zu waren davon überzeugt, der Rechtlo- Machtanspruch möglich. passivem Widerstand fand, wer Ge- sigkeit widerstehen zu müssen und Zu unterscheiden davon ist Op- genpositionen formulierte, sich der fanden daher zur Opposition und zum position, die sich ausschließlich da- Gleichschaltung zu entziehen suchte, Widerstand gegen den Nationalsozia- rin begründet, dass eine Regierung oder gar als Mitwisser von Umsturz- lismus. Ihre Methoden, Wege und

4 AUFTRAG 255 20. JULI 1944

Ehrenmal für die Opfer des 20. des Heeres und Generalo- Juli 1944 im Ehrenhof des berst z.V. nah- Bendlerblocks in Berlin, men an den Begegnungen Stauffenbergstr. 11-13. teil. Das Ziel war nicht die Die Bronzefigur schuf 1953 Vorbereitung des Staats- Prof. Richard Scheibe, die In- schrift streichs, wohl aber die Erör- verfasste Prof. Edwin Redslob terung der Erfordernisse für den Staatsaufbau nach dem Ziele mögen verschieden ge- Krieg. Auch hier bestanden wesen sein. Der gemeinsame vielfältige Beziehungen zu Grund ihres Handelns war anderen Gruppierungen des aber das Bewusstsein von Widerstands. Mehrere Mit- der Unveräußerlichkeit des glieder dieses Freundeskrei- Rechts und der Angewiesen- ses wurden in die Verfolgun- heit des Menschen auf Ge- gen nach dem 20. Juli 1944 rechtigkeit. hineingezogen und hinge- richtet. Kirchen Auf seinem Gut im schle- sischen Kreisau entwarf Auch wenn die großen Helmuth James Graf von Kirchen nicht überall die ge- Moltke gemeinsam mit ande- botene Ablehnung des Natio- ren Persönlichkeiten von un- nalsozialismus in aller Kon- terschiedlicher sozialer Her- sequenz durchhielten, ja sich kunft und politischer Einstel- zum Teil aus Sorge um die ei- lung das Bild eines zukünfti- gene Autonomie, um Einfluss gen nationalen und sozialen und Rechtsstellung zu sehr Deutschlands. In ausführli- mit den Machthabern des chen Studien entwickelten sie Dritten Reiches einließen, so ein Regierungsprogramm für blieben sie doch die Ver- den künftigen demokrati- künder ethisch-moralischer Grund- lich die Menschenrechtsverletzungen schen Staats- und Gesellschafts- sätze. Katholische Priester und An- durch das nationalsozialistische Sys- aufbau, das in Teilen heute noch ak- gehörige der Bekennenden Kirche tem an und übten grundsätzliche Kri- tuelle Elemente enthält. Der Krei- gaben durch ihr Beispiel und durch tik an der nationalsozialistischen Ide- sauer Kreis hatte Kontakte zum mili- ihren Rat anderen Menschen Halt ologie. Obwohl sie ihre Tätigkeit nicht tärischen Widerstand, zu national- und Hilfe. Innerhalb der evangeli- als Widerstand empfanden, war eine konservativ eingestellten Kreisen, schen Kirche widersetzten sich die Reihe kirchlicher Amtsträger an der zum Auswärtigen Amt, zu den Kir- glaubenstreuen Anhänger der Beken- politischen Verschwörung gegen chen. Viele der Angehörigen des nenden Kirche dem Versuch der Hitler beteiligt. So fanden u.a. Pfarrer Kreisauer Kreises wurden hingerich- Deutschen Christen, die Kirche in Dietrich Bonhoeffer von der Beken- tet. den Nationalsozialismus einzubinden nenden Kirche und der Jesuitenpater , von und gleichzuschalten. Dies führte Alfred Delp zum aktiven Widerstand 1930 bis 1937 Oberbürgermeister praktisch zu einer Spaltung der Kir- und mussten dafür ihr Leben opfern. von , arbeitete anfänglich im che. In der katholischen Kirche hat- nationalsozialistischen Staat mit. ten einige Bischöfe den Nationalsozi- Widerstandskreise Erst als Hitlers Ziel, den Rechtsstaat alismus noch vor 1933 verurteilt. zu beseitigen, seine Rassenpolitik Dennoch waren die katholischen Bi- Das Bürgertum, obwohl am we- und die Unterdrückung der Kirchen schöfe zur Zusammenarbeit mit dem nigsten auf eine Situation vorbereitet, offensichtlich wurden, entwickelte Nationalsozialismus bereit, nachdem in der die Auflehnung gegen die sich Goerdeler zunehmend zu einem Hitler zugesichert hatte, den Rechts- Staatsführung gefordert sein konnte, Gegner des Regimes. Seit 1938 status der Kirche und ihren Einfluss fand dennoch in Einzelpersonen und nahm er Kontakte zu militärischen im öffentlichen Leben zu wahren. kleinen spontanen Gruppen zum Wi- und zivilen Widerstandsgruppen auf. Als sich bald darauf zeigte, dass derstand. Kritiker des Nationalsozia- Goerdeler, wenn auch früh verstrickt Hitler seine Zusagen nicht einhalten lismus aus Kreisen der Wissenschaft in Streitigkeiten um die Aufteilung wollte, begann ein erstaunlich großer fanden in der „Berliner Mittwochs- erhoffter Macht in einem künftigen Teil des katholischen Kirchenvolkes gesellschaft“ eine Möglichkeit zum Deutschland, brachte seine politi- und des Klerus mit einem entschie- zwanglosen Gedankenaustausch. Der sche Erfahrung in die Überlegungen denen Abwehrkampf gegen national- Chirurg Ferdinand Sauerbruch, der des Widerstandes ein. Diese Zielvor- sozialistische Übergriffe. Sowohl die frühere Botschafter Ulrich von Hassell, gabe durch die Politik war für die Of- Bekennende Kirche als auch die ka- der Philosoph Eduard Spranger, dann fiziere des Widerstandes eine ent- tholische Kirche prangerten öffent- auch der frühere Generalstabschef scheidende Voraussetzung ihres

AUFTRAG 255 5 VOR 60 JAHREN

Handelns. Insofern waren sie nicht große Respekt vor ihrem Mut immer aus der Distanz von mehr als einem Angehörige einer „Militäropposition“, verbunden mit der Frage nach der halben Jahrhunderts ist es schwer, sondern Offiziere in einer politischen Rechtfertigung ihrer Ziele. Aller- einen solchen Schritt zu rechtfertigen Widerstandsbewegung. dings sind die Einzelfälle zu betrach- oder zu verurteilen, da die nachfol- Ein anderer Zusammenschluss ten, da nicht alle der Moskauer Zen- genden Kriegsverbrechen und die war der „Freiburger Kreis“. Über trale gehorchten und manche gar in ungemessenen Leiden der Men- Bonhoeffer bestanden Kontakte zur ihren Wertvorstellungen denen des schen, die bei einem Erfolg des Wi- Bekennenden Kirche. Eine kritische heutigen Grundgesetzes nahe kamen. derstandes vermieden worden wären, Denkschrift, entstanden unter Lei- Nach der Auflösung der KPD und der mitbedacht werden müssen. Zu tung des Historikers Gerhard Ritter, Verhaftung ihrer Funktionäre im Jah- Osters Bemühungen zählte auch der fiel der Gestapo in die Hände und re 1933 setzte die Partei ihre Tätig- mehrfache Versuch, auf den ver- führte zur Verhaftung Ritters und an- keit im Untergrund fort. Mit Flug- schiedensten Wegen mit England in derer Mitglieder des Kreises. blättern und Wandinschriften agi- Kontakt zu kommen, sei es, um die Angehörige des Auswärtigen tierte sie gegen das nationalsozialis- Regierung in London zu einer un- Amtes trafen sich im „Solf-Kreis“ um tische Regime. Der Hitler-Stalin- nachgiebigen Haltung gegenüber Hanna Solf, der sich in unregelmäßi- Pakt, der die KPD völlig überraschte, Hitlers Ansprüchen auf Teile der gen Abständen bei der Witwe des brachte den Widerstand der Kommu- Tschechoslowakei zu bewegen, sei es früheren Botschafters Dr. Wilhelm nisten zeitweilig zum Erliegen. Spä- auch, um die englische Friedens- Solf traf. Nach dem Verrat des Krei- ter arbeitete die KPD u.a. mit Grup- bereitschaft im Falle einer nicht-na- ses an die Gestapo wurden mehrere pen des Nationalkomitees Freies tionalsozialistischen deutschen Re- Mitglieder, darunter der Gesandte Deutschland zusammen, die im gierung zu erkunden. Otto Kiep und Elisabeth von Reichsgebiet eingesetzt waren. Die Thadden, verhaftet und zum Tode gegen das nationalsozialistische Un- Militärischer Widerstand verurteilt, andere wurden nach dem recht gerichtete Einstellung der 20. Juli wegen ihrer Beziehungen zu Kommunisten ermöglichte in den Am Beispiel des militärischen den Planern des Staatsstreiches hin- Konzentrationslagern viele Freund- Widerstandes gegen Hitler kann am gerichtet. schaften mit Menschen anderer deutlichsten aufgezeigt werden, wie Weltanschauung. Menschen unter extremen Bedingun- Arbeiterbewegung gen, ja unter Gefährdung des eigenen Widerstand in der Abwehr Lebens wie auch des Lebens und der Angehörige der Arbeiterbewe- Freiheit nächster und schließlich gung der verschiedensten Denk- Im Amt Ausland/Abwehr des auch fernerer Angehöriger sich zu ih- richtungen waren unter den ersten, OKW (Oberkommando der Wehr- rem Gewissen bekannten, aber auch die einen organisierten Widerstand macht) wirkten Admiral Wilhelm wie schwer der Weg bis zu einer kon- versuchten, Die frühzeitig gleichge- Canaris und Hans Oster, zunächst als kreten Handlungsentscheidung sein schalteten Gewerkschaften brachten Oberstleutnant i.G., später dann als konnte. Die innere Zerrissenheit der bedeutende Männer und Frauen Generalmajor, für den Widerstand. handelnden Personen, der fast in al- hervor, die sich für die zentralen Osters Bedeutung für den Wider- len Fällen von Zweifeln begleitete Rechte der Arbeitnehmer einsetzten stand kann nur mit der Rolle eines Weg von der weit verbreiteten Ak- und von den Nationalsozialisten Henning von Tresckow oder Claus zeptanz des Nationalsozialismus, so- grausam verfolgt wurden. Aus ihren Schenk Graf von Stauffenberg vergli- gar von der Begeisterung für ihn, bis Reihen gingen Männer wie Wilhelm chen werden. In unermüdlichem Ein- hin zu der Erkenntnis seines verbre- Leuschner, in einer Regierung satz und ständigem Werben und Be- cherischen Charakters, das Schwan- Goerdeler als Vizekanzler vorgese- mühen versuchte er zunächst, durch ken zwischen Eidesbindung und Ein- hen, und Julius Leber, der Innen- die Beseitigung Hitlers das Unrechts- sicht in die Notwendigkeit des minister werden sollte, hervor. Beide regime zu beenden und vor allem die Tyrannenmordes, zwischen dem wurden im Zusammenhang mit dem Kriegspläne zu vereiteln. Als dies Drang zur Tat und der Furcht, noch Attentat vom 20. Juli 1944 hinge- scheiterte, ging er einen entschei- größeres Unheil anzurichten, zwi- richtet. denden Schritt weiter und gab – schen der Loyalität mit den kämpfen- wenn auch folgenlos – die Angriffs- den Kameraden und der Verpflich- Kommunisten pläne Hitlers gegen den Westen und tung gegenüber dem eigenen Land, Norden Europas an seinen Freund, sind erschütternde und denkwürdige Eine nicht unproblematische den niederländischen Militärattaché Wegmale der deutschen Geschichte. Sonderrolle im Widerstand nehmen Oberst Jacobus Gijsbertus Sas wei- Zahlreiche Lebensbilder zeigen den die Kommunisten ein. Wenige ande- ter. Weg von Menschen, die auf der re haben für ihre Überzeugung mehr Für den überzeugten Patrioten Grundlage eines hohen Ethos und Opfer gebracht als sie. Aber viele ge- und Offizier muss diese Information mit dem Risiko des Scheiterns ver- horchten den Befehlen aus Moskau des Gegners ein schwerer und suchten, ihrer inneren Berufung ge- und dienten damit einem politischen schmerzhafter Schritt gewesen sein, recht zu werden. System, das sich als ähnlich men- da er damit rechnen musste, dass un- Eine zentrale Rolle im deutschen schenverachtend erwies wie der Na- zählige deutsche Soldaten dafür mit Widerstand gegen Hitler spielte tionalsozialismus. Daher bleibt der dem Leben bezahlen mussten. Auch schon vor seinem Ausscheiden aus

6 AUFTRAG 255 20. JULI 1944 der Wehrmacht am 21.08.1938 der heit der Verschwörer. Ab 1942 koor- schwere Kriegsverletzung machte Chef des Generalstabes des Heeres, dinierte Tresckow seine Bemühun- ihm ein Attentat mit der Pistole un- General der Artillerie Ludwig Beck. gen mit der Berliner Widerstands- möglich, so dass ihm nur der Spreng- Zunächst im Glauben, Hitler müsse zentrale. Mehrere Attentatspläne der stoffanschlag übrig blieb. Dabei gegen die negativen Einflüsse seiner Gruppe um Tresckow scheiterten an musste er aber überleben, um den Umgebung geschützt werden und sei unvorhersehbaren Zufällen. Nach Staatsstreich von Berlin aus vollen- durch überzeugende Argumente in dem Misslingen des Attentats vom den zu können. Nach der von ihm sorgfältig erarbeiteten Studien zu ge- 20. Juli 1944 nahm sich Tresckow, ausgelösten Explosion im Bespre- winnen, wurde er nach seinem Rück- inzwischen Generalmajor, das Le- chungsraum Hitlers gelang es ihm, tritt zu einer der wichtigsten Persön- ben. durch alle Sperrbereiche hindurch zu lichkeiten des Widerstandes. Er war Die Überzeugungskraft Tresckows entkommen, allerdings mit der Folge, die verbindende Gestalt zwischen wirkte auch auf den jungen und be- dass er sich nicht persönlich vom den Militärs und Zivilpersonen, die gabten Reiterführer und posthum Tod Hitlers überzeugen konnte, da er sich gegen Hitler zusammenfanden. zum Oberst beförderten Georg von als der eigentliche Motor der Ver- 1938 arbeiteten Beck und sein Nach- Boeselager und band ihn in die Ver- schwörung in Berlin unersetzbar war. folger General der Artillerie Franz schwörung ein. Boeselager, mit dem ... Halder den ersten Plan für einen sich die Neubegründung der deut- In Paris standen mit General der Staatsstreich aus. Dieser Plan sollte schen Kavallerie verbindet, war einer Infanterie Carl Heinrich von Stülp- in Kraft gesetzt werden, falls Hitler der Offiziere, die sich aus humanisti- nagel und Oberstleutnant der Reser- tatsächlich den Angriff auf die scher und christlicher Geisteshal- ve Caesar von Hofacker zwei Offizie- Tschechoslowakei befehlen sollte. tung heraus ihrem Gewissen verant- re, die intensiv und unerbittlich auf Die Haltung der Westmächte bei der wortlich fühlten. Er fühlte sich stark den Staatsstreich hinarbeiteten. Sie Münchener Konferenz machte aber genug, ein Pistolenattentat auf Hitler hatten ihre Hoffnungen auf General- den Staatsstreich politisch und psy- auszuführen, zu dem es allerdings feldmarschall Günther von Kluge, chologisch unmöglich. nicht kam. seit Anfang Juli 1944 Oberbefehls- Ein hoher Truppenführer, der an haber West, und auf den Oberbe- Widerstand an der Front der West- wie auch an der Ostfront in fehlshaber der Heeresgruppe B in verantwortlichen Positionen stand, Nordfrankreich, Generalfeldmarschall An der Ostfront war Oberst i.G. war Generaloberst Erich Hoepner. Erwin Rommel gesetzt. Rommel hat- Henning von Tresckow, von 1941 bis Auch bei ihm zeigt sich – wie bei an- te sich seit Frühjahr 1944 dem Wi- 1943 Erster Generalstabsoffizier des deren Persönlichkeiten des Wider- derstand angenähert, ohne sich aktiv Stabes der Heeresgruppe Mitte, der standes – Widersprüchliches, Zerris- zu beteiligen. Der Umsturzversuch treibende Motor mit immer neuen senheit, Unverständliches neben im Westen scheiterte nach anfängli- Plänen und einer mitreißenden Über- menschlicher Größe. So setzte er den chen Erfolgen, weil Kluge seine frü- zeugungskraft. Ursprünglich war er Kommissarbefehl um, aber es bleibt here Zusage zur Unterstützung des Anhänger Hitlers. Am „Tag von Pots- unklar, wie weit er die Durchführung Staatsstreiches nicht einhielt, nach- dam“, dem 21. März 1933, erlebte er zuließ. dem er sich vom Überleben Hitlers voll innerer Genugtuung die schein- Er zog seine Truppe wider den überzeugt hatte. bare Versöhnung preußischer Ideale ausdrücklichen Befehl Hitlers in ei- und nationalsozialistischer Gedan- ner aussichtslosen Lage zurück und Die Rolle der Teilstreitkräfte ken, als er mit seinem Bataillon vor vermied damit eine militärische Ka- Hindenburg und Hitler paradierte. tastrophe, wie sie später in Stalingrad Die Wehrmacht stellte eine der Erst später erkannte er, dass Hitler durch Hitlers Haltebefehle ausgelöst entscheidenden Stützen des Wider- den Staat in menschliche und politi- wurde. Hoepner wurde dafür aus der standes gegen Hitler dar. Sie verfügte sche Abgründe führen musste. Wehrmacht entlassen. Schon 1938 in als einzige Gruppierung über kon- Ausschlaggebend waren für die Staatsstreichpläne involviert, krete Macht. Tresckow wohl die Morde an den stieß Hoepner nun zur Gruppe um Die Zentren des militärischen ehemaligen Reichswehrgeneralen Beck und General der Infanterie Widerstandes gegen Hitler befanden Kurt von Schleicher und Ferdinand Friedrich Olbricht, dem Chef des sich zwar auch in der Abwehr, vor al- von Bredow sowie die Tatsache, dass Allgemeinen Heeresamtes. Am 20. lem aber in mehreren Bereichen des der Oberbefehlshaber des Heeres, Juli 1944 befand er sich in der Heeres. In Berlin lag nach den Sie- Generaloberst Werner Freiherr von Bendlerstraße in Berlin, wo er die gen über Polen und Frankreich die Fritsch, 1938 aufgrund einer Ver- zentrale Koordination des Staats- für die Durchsetzung des Widerstan- leumdung aus dem Heer ausgestoßen streiches übernommen hatte. des erforderliche Macht in den Hän- und später nur unzureichend rehabi- Stauffenberg fühlte sich als den Olbrichts. Frühzeitig Gegner des litiert wurde. Generalstäbler mitverantwortlich für Nationalsozialismus, koordinierte Tresckow sammelte bei der Hee- die im deutschen Namen begangenen Olbricht in enger Beziehung zu Beck resgruppe Mitte eine Gruppe zuver- Verbrechen. Im Sommer des Jahres den militärischen Widerstand. Seine lässiger Offiziere um sich. Das Ent- 1944 war er der einzige Wider- Tragik liegt vielleicht darin, dass er setzen über den Kommissarbefehl standskämpfer, der noch die Mög- sein präzise aufgebautes Werk für und über die Tätigkeit der Einsatz- lichkeit hatte, in die unmittelbare den Umsturz, die Nutzung des Planes gruppen festigte die Entschlossen- Nähe Hitlers zu kommen. Seine „Walküre“, der für innere Unruhen

AUFTRAG 255 7 VOR 60 JAHREN vorgesehen war und von ihm und sei- zier für die Sache des Widerstandes Mitglieder den Tod. Sie hatten sich ner Umgebung zum Zwecke des Um- zu gewinnen, ohne dass diese kleine in der gemeinsamen moralischen Ab- sturzes umgearbeitet wurde, im wohl Gruppe jemals eine bedeutende Rolle lehnung des Hitlerregimes zusam- entscheidenden Augenblick zu zöger- gespielt hätte. Einer von ihnen, Kor- mengefunden. Sie schöpften wie lich umsetzte. Dabei spielte vettenkapitän Alfred Kranzfelder, war Hans und Sophie Scholl aus ihrer Er- sicherlich eine Rolle, dass Olbricht neben dem außerhalb der Teilstreit- ziehung in einem evangelischen El- am 15.07.1944 in Erwartung des für kraft Marine dienenden Admiral ternhaus oder wie Willi Graf, der mit diesen Tag vorgesehenen Attentats Wilhelm Canaris der einzige aktive ihnen die letztlich verhängnisvollen Teile von „Walküre“ ausgelöst hatte, Marineoffizier, der wegen seiner Flugblätter verteilte, aus ihrem ka- was nur mit Mühe als Übung gerecht- Handlungsweise hingerichtet wurde. tholischen Glauben. fertigt werden konnte. Olbricht war Auch in der Luftwaffe, die sich aber keineswegs ein Zauderer, son- als Instrument des Reichsmarschalls Menschen in ihrer dern als führender Kopf des Wider- Hermann Göring erwies und die sich Widersprüchlichkeit standes aktiv um die Staatsstreich- bis in die letzten Kriegstage hinein planung bemüht. Er handelte dann gegenüber der politischen Führung Die wenigen genannten Personen aber wie Stauffenberg mit letzter Ent- loyal zeigte, gab es außer dem Ober- sind durch ihre hohen Ziele und schlossenheit, als es galt, trotz aller leutnant Harro Schulze-Boysen von durch die Konsequenz ihres Han- Aussichtslosigkeit wenigstens den der so genannten „Roten Kapelle“ delns zu Persönlichkeiten der Ge- Versuch zu wagen. Das Attentat soll- keine Verschwörer. Erst in der letz- schichte geworden, obwohl keiner te über das Ende des Hitlerregimes ten Kriegsphase regte sich unter ver- von ihnen von jedem Zweifel und je- hinaus ein neues Verständnis von antwortlichen Männern der Luftwaffe der Angst frei war. Häufig waren sie Deutschland erwirken. auch eine Opposition gegen Hitler, in den frühen Jahren des Nationalso- Aber nicht nur aktive Offiziere die letztlich der Einsicht in die Sinn- zialismus dessen Anhänger, da sie in waren in der Opposition zu Hitler losigkeit vieler seiner Befehle und ihm ihre patriotischen und nationa- und später im Widerstand. Eine her- dem dadurch unvermeidlich gewor- len Ziele verwirklicht glaubten. Sie ausragende Persönlichkeit war Ober- denen Untergang der Luftwaffe und mussten erst in einem schmerzlichen leutnant der Reserve Peter Graf schließlich des Reiches entsprang. Lernprozess erfahren, dass Hitler Yorck von Wartenburg, der ab 1942 Es bleibt zu fragen, ob sie dem Wi- nicht nur ihre Hoffnungen enttäusch- im Wirtschaftsstab Ost der Wehr- derstand zugeordnet werden können. te, sondern ein schreckliches Un- macht arbeitete. Mitglied des Krei- rechtssystem schuf. In manchem Le- sauer Kreises mit Verbindungen zum Die Weiße Rose benslauf ist Widersprüchliches, Frag- Freiburger Kreis, war Yorck früher würdiges, ist Schuld zu finden. Beim schon als Moltke für einen Umsturz. In München gaben Studenten um Blick in die Geschichte des Wider- Er stellte sich aus tiefer Überzeugung die Geschwister Scholl ein scheinbar standes finden wir sowohl ängstliche dafür zur Verfügung. hilfloses Signal ihres Widerspruches, als auch tapfere, entschlossene wie Ein anderer Offizier, der schon der sie das Leben kostete, der aber zaudernde Männer und Frauen, sol- am 1. Weltkrieg teilgenommen hatte, bis heute jungen Menschen ein Vor- che, die sich selbst zum Handeln wurde 1939 wieder zu den Waffen bild ist. Die Medizinstudenten um durchrangen wie Uesekow, neben sol- gerufen: Theodor Steltzer. Schon den Feldwebel der Reserve Hans chen, die dem Drängen anderer 1933 musste er sich wegen seiner ab- Scholl und den Unteroffizier der Re- zunächst nur zögernd nachkamen, um lehnenden Haltung gegenüber den serve Alexander Schmorell protes- sich dann umso entschlossener auf die Zielen des Nationalsozialismus vor tierten nach der Niederlage in Seite des Widerstandes zu stellen, Gericht verantworten. 1944 wurde er Stalingrad gegen die sinnlosen Opfer und wieder andere, die sich trotz bes- als Angehöriger des Kreisauer Krei- des Krieges. In ihren Flugblättern serer Einsicht einer Beteiligung am ses und wegen seiner Zusammenar- und durch Wandinschriften verur- Widerstand verschlossen wie Kluge beit mit dem norwegischen Wider- teilten sie nationalsozialistisches Un- und Fromm und letztlich auch stand zum Tode verurteilt, kam aber recht und riefen zum passiven Wi- Halder, der Nachfolger Becks. frei und überlebte. derstand auf. Als weitere Medizin- Auch die Motive, sich am Wider- Die Marine, durch die Großad- studenten und Feldwebel der Reser- stand zu beteiligen, waren außeror- mirale Erich Raeder und Karl Dönitz ve gehörten Christoph Probst und dentlich vielschichtig. Der Kampf geprägt und – um das Odium eines Willi Graf zur Gruppe. Die Schwester der Nationalsozialisten gegen rechts- zweiten November 1918 um jeden von Scholl, Sophie, beteiligte sich an staatliche Institutionen und demo- Preis zu vermeiden – zu Geschlos- den Flugblattaktionen. Der Mentor kratische Organisationen, ihr Vorge- senheit und Regimetreue erzogen, der Gruppe war Professor Kurt Huber. hen gegen die Kirchen, die immer kannte keinen organisierten Wider- Die führenden Mitglieder der deutlicher werdende Missachtung stand. Lediglich dem Bruder des At- Gruppe wurden im Februar 1943 des Rechts öffneten so manchen die tentäters vom 20. Juli 1944, Berthold verhaftet und kurz darauf zum Tode Augen. Die Verbrechen an Juden Stauffenberg, der als Marineober- verurteilt und hingerichtet. Auch in und an den Bewohnern besetzter Ge- stabsrichter der Reserve in der Hamburg entstand eine Gruppe der biete, die Behandlung von Kriegsge- Völkerrechtsabteilung des Oberkom- Weißen Rose, die in Kontakt mit den fangenen und die Leiden der eigenen mandos der Marine (OKM) diente, ge- Münchenern stand. Aus beiden Bevölkerung waren in vielen Fällen lang es, den einen oder anderen Offi- Gruppen der Weißen Rose fanden 16 ausschlaggebend. Nationale Motive

8 AUFTRAG 255 20. JULI 1944 kamen fast immer dazu. diente oder gar für die Nicht zuletzt bewegte »Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, auf Leben und Tod auch die sich immer dass ich meinem Volk und Vaterland allzeit treu kämpfenden Frontsolda- deutlicher abzeichnende und redlich dienen und als tapferrer Soldat ten gefährlich werden Niederlage der Wehr- bereit sein will, jederzeit für diesen Eid konnte. Aber selbst dort, macht und damit der wo Beweggrund und Tat drohende Untergang des mein Leben einzusetzen.« zu respektieren wären, Reiches viele zum Han- Eid der Reichswehr vom 1. Dezember 1933 bleibt der Vorwurf beste- deln. hen, einem anderen, »Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dem stalinistischen Un- Eid und Ehre rechtsregime direkt oder dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und indirekt, wissentlich oder Beeindruckend ist Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber unwissentlich gedient zu der Weg der einzelnen der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten haben. So können nach Menschen in den Wider- und als tapferer Soldate bereit sein will, jeder- unserer Überzeugung stand. Die meisten Män- zeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.« die Angehörigen des Na- ner des militärischen tionalkomitees Freies Widerstandes waren im Eid der Wehrmacht vom 2. August 1934 Deutschland nicht in ih- konservativen Sinn zur rer Gesamtheit als Vor- Loyalität gegen die »Ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland bilder dienen. Staatsführung erzogen treu zu dienen und das Recht und die Freiheit worden, mit der seit dem des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, Tragik des Scheiterns Beginn der Aufstellung stehender Heere im 17. so wahr mit Gott helfe.« Alle Angehörigen Jahrhundert eigentlich Eid des Soldaten der Bundeswehr des Widerstandes muss- noch nie Missbrauch ge- ten die Tragik des Schei- trieben worden war. Die terns erleben, fast in al- Offiziere fühlten sich zudem durch Eine besondere Gruppe bilden len Fällen verbunden mit der Kata- den Eid im besonderen Maße gebun- diejenigen Wehrmachtsangehörigen, strophe nicht nur für das eigene Le- den, vor allem, weil ihnen Hitler ei- die sich ihrem Dienst durch Deserti- ben, sondern auch für ihre Familien. nen bedingungslosen Eid auf seine on entzogen oder als Kriegsgefange- Häufig mussten sie Gefängnis, Folter Person abverlangt hatte. Auch die ne in der Sowjetunion dem Aufruf und Tod erleiden. Ihre weitgespann- Rücksichtnahme auf die an der Front von General der Artillerie Walther ten Zukunftspläne für ein neues kämpfenden Kameraden erschwerte von Seydlitz-Kurzbach folgten und Deutschland und – wenn man die ihnen das Handeln. sich als Angehörige des „Nationalko- Texte des Kreisauer Kreises liest – Dennoch rangen sie sich zu der mitees Freies Deutschland“ direkt auch ein neues Europa, das in man- Einsicht durch, dass ein Eid nicht dem Kampf gegen das nationalsozia- chem dem gleicht, was jetzt ein hal- bedingungslos bindet und dass in be- listische System zur Verfügung stell- bes Jahrhundert später entsteht, zer- stimmten historischen Ausnahme- ten. Hier ist im Einzelfall zu prüfen, brachen. situationen die Tötung eines Gewalt- wo aus ethischen Gründen der Kampf Trotz ihres Scheiterns haben wir herrschers geboten sein kann. Sie gegen das Unrechtsregime als ach- den Widerstandskämpfern viel zu alle hatten Angst um Beruf und Le- tenswertes Motiv zugrunde lag. Dies verdanken. Die Offiziere des Wider- ben, sie alle fühlten die Sorge um das gilt auch für jeden einzelnen Deser- standes haben für die Soldaten in ei- Schicksal der Familie, die sie der teur. ner freiheitlichen Demokratie ent- Gewalt der Herrschenden ausgelie- Aber noch strengere Maßstäbe scheidende Weichen gestellt. Sie fert wussten. Meist waren es äußere sind dort anzulegen, wo die Hand- rangen sich zur Rückbesinnung auf Umstände wie bestimmte Erlebnisse lungsweise von Offizieren, Unteroffi- die Grenzen eines Eides und zur Ein- oder Gespräche, die zur inneren zieren oder Mannschaften zugleich sicht in die Grenzen des Gehorsams Wandlung führten. Der Zweifel, dann der kommunistischen Propaganda durch. Sie gaben ein Beispiel für das die Kritik, die entsetzte Bewusstsein der Verantwortung für die Gemeinschaft. Ablehnung, die Erkennt- nis der Notwendigkeit »Das Attentat muss erfolgen. Die Hoffnung der aktiven Widerstandes, Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Männer und Frauen des schließlich das Sich- Widerstandes auf ein Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche besseres und moralisch Durchringen zu einer Widerstandsbewegung vor der Welt kompromisslos konse- geachtetes Deutschland quenten Haltung trotz und vor der Geschichte ist Wirklichkeit gewor- des Wissens um die zu den entscheidenden Wurf gewagt hat.« den. In ihrem Opfer für befürchtenden Folgen Generalmajor Henning von Tresckow, die Gemeinschaft liegt sind Schritte auf einem Chef des Stabes 2. Armee a.d. Ostfront, die existentielle Heraus- dramatischen Weg tiefs- Freitod am 21. Juli 1944 forderung an uns. Sie ter Menschlichkeit. darf uns nicht loslassen!

AUFTRAG 255 9 VOR 60 JAHREN

Bundesrepublik Deutschland um- Das geistige Erbe des militäri- Bedeutung von Eid und fasst die Eidespflicht heute die Ver- schen Widerstands bildet deshalb Widerstand für die Soldaten pflichtung des Soldaten zur Förde- neben den Ideen der preußischen der Bundeswehr rung des Friedens in Europa und in Reformer von 1806 und den eigenen der Welt. Nicht die Mitwirkung an Leistungen der Bundeswehr eine von Für die Bundeswehr besitzt der der Verfolgung von Machtinteressen drei Traditionslinien, an die wir heu- Widerstand von Offizieren der Wehr- oder gar an völkerrechtswidrigen An- te anknüpfen. macht gegen das nationalsozialisti- griffskriegen kann verantwortet wer- Wer das Grundgesetz auf sich sche Unrechtssystem eine tiefe und den, sondern ausschließlich der wirken lässt, dem springt ins Auge, wichtige Bedeutung. Das entschei- Dienst am Gemeinwohl des eigenen dass hier die richtige Antwort auf die dende Element ist dabei die Rückbe- Volkes wie aller Völker. nationalsozialistische Diktatur ent- sinnung auf den wahren Charakter Für den Christen bedeutet dies, standen ist. Nie wieder Unterdrü- des Eides. dass er den Dienst in solchermaßen ckung, nie wieder Diktatur! Das ist Wesentlicher Ausgangspunkt ist geprägten Streitkräften mit dem eige- das geistige Fundament, auf dem un- die Feststellung, dass keine von nen Gewissen vereinbaren kann. Die ser Grundsatz steht. „Die Würde des Menschen gesetzte Norm, kein noch Lehre der Kirchen erlaubt, ja fordert Menschen ist unantastbar. Sie zu so feierlicher Eid die naturrechtlich den Einsatz für Menschen- und schützen und zu achten ist Aufgabe gegebene personale Würde des Men- Minderheitenrechte ohne Ansehen aller staatlichen Gewalt. Das deut- schen und seine grundlegenden von Hautfarbe oder Religion als ein sche Volk bekennt sich darum zu un- Rechte aufheben darf. Menschen- Gebot der konkreten Nächstenliebe. verletzlichen und unveräußerlichen rechte unterliegen keiner staatlichen Der Christ erkennt aber auch den Menschenrechten als Grundlage jeder Verfügung. Wo ein Staat grundsätz- unverzichtbaren Beitrag des christli- menschlichen Gemeinschaft, des Frie- lich und andauernd gegen sie ver- chen Glaubens für die ethisch-sittli- dens und der Gerechtigkeit in der stößt, erwächst ein Recht zum Wi- che Fundierung des Soldatenberufs: Welt.“ Dies ist die kompromisslose derstand. Dieses Bewusstsein eines militärisches Handeln wird auf die Distanzierung von der Phrase „Du vorstaatlichen und unveräußerlichen Wahrung und Sicherung von Men- bist nichts, Dein Volk ist alles“. Rechts prägt auch unsere Auffassung schenrechten festgelegt sowie auf Freiheit, Menschenwürde und von der Bindungswirkung des Gelöb- Handlungen der Notwehr und Nothil- Rechtsstaatlichkeit sind gewachsene nisses und des Eides. Nicht eine wie fe beschränkt. Tradition der Bundesrepublik von Hitler geforderte bedingungslose Deutschland – auch der Bundeswehr. und einseitige Bindung an eine Per- Folgerung aus dem Anders als die Wehrmacht, die eine son kann Gegenstand eines Eides militärischen Widerstand Armee in einem totalitären Staat und sein. Vielmehr muss der Eid eine ge- für den Soldaten heute auf den Diktator vereidigt war, ist die genseitige Treuebindung begründen. Bundeswehr fest in unserer Demo- Niemals kann ein Eid zu Vergehen Mit ihrer Tat stellten sich die kratie verankert. Auch deshalb kann oder Verbrechen verpflichten, nie- Männer um Graf Stauffenberg be- die Wehrmacht keine Tradition für mals kann die Berufung auf ihn die wusst in den Dienst der Allgemein- die Bundeswehr begründen. Die eigene Gewissensentscheidung erset- heit. Sie handelten in der Überzeu- Konzeption der Inneren Führung hat zen. gung, dass die Herrschaft des Rechts daran entscheidenden Anteil. Damit trägt der Soldat eine von und die Achtung der Menschenwürde Die Einsichten über die Grenzen den Offizieren des Widerstandes erst wieder hergestellt werden müssen für von Befehl und Gehorsam sind zu nach langem, innerem Ringen er- ein dann noch zu schaffendes neues Grundelementen der militärischen kannte, heute aber klar und unbe- Deutschland. Kultur in der Bundeswehr geworden. stritten bestehende Denn sie verdeutli- Verantwortung, sein chen: Die Bindung an Handeln unter den „Die Männer und Frauen des Widerstandes das Gewissen und an Primat sittlicher Ver- aber haben durch ihr Wirken und ihren Tod für ethisch-moralische antwortung zu stellen. die Geschichte ein Signal gesetzt, dass es noch ein Überzeugungen steht Dieses Verständnis ist über der Pflicht zum anderes, besseres, von sittlichem Ernst getragenes Gehorsam. Nur der die Grundlage ethisch Deutschland gab, an das die Überlebenden von begründeten soldati- Staatsbürger in Uni- schen Handelns. Krieg und Diktatur für den Wiederanfang und form, der den rechtmä- Vor dem Hinter- Neuaufbau anknüpfen konnten und auch ßigen Befehlen seiner angeknüpft haben.“ Vorgesetzten gewissen- grund dieser Erkennt- haften Gehorsam leis- nis und der Frie- Ulrich de Maizière (1994), tet, ist Soldat für den densorientierung des ehem. Generalinspekteur der Bundeswehr Frieden im Geiste un- Grundgesetzes der serer Verfassung. ❏

10 AUFTRAG 255 20. JULI 1944 Christliche Märtyrer dem Vergessen entreißen Zum 60. Jahrestag des Attentates auf Hitler am 20. April 1944

ANDREAS M. RAUCH ie kein anderes Ereignis der deutschen Zeitgeschichte steht der 20. Juli 1944 für den Aufstand des Gewissens gegen totalitäre Herrschaft und als Lehrbeispiel für einen moralisch gerechtfertigten Tyran- Wnenmord als eine letzte Waffe menschlichen Widerstandes. Und mit diesem Ereignis verbindet sich auch der Name Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Erst jetzt, 60 Jahre nach seinem Tod, war Stauffenberg der ARD einen abendfüllenden Fernsehfilm wert. Sebastian Koch spielt darin den jungen, trotz Kriegsverletzungen gut aussehenden Grafen, der versuchte, in den Lauf der Geschichte einzugreifen und Deutschland von der nationalsozialistischen Diktatur zu befreien. Diese späte filmische Würdigung verdeutlicht zugleich die Brisanz, die sich bis heute mit den Männern des 20. Juli 1944 verbindet. Im Werdegang von Stauffenberg war die Rolle eines Widerstandskämpfers ei- gentlich nicht angelegt. Stauffenberg war ein begeisterter Anhänger der Idee des „Großdeutschen Reiches“ und ganz vom nationalem Denken seiner Zeit bestimmt. In der Wehrmacht legte er eine glanzvolle Karriere hin, die ihn in jungen Jahren bis zum Oberst brachte. Er und seine zwei Jahre älteren Zwillingsbrüder Berthold und Alexander wurden geprägt von der Monarchie, von dem Bekenntnis deutscher Sol- daten, für „Gott und Vaterland“ zu kämpfen und zu sterben. Hierzu passt auch der nur mündlich überlieferte Ausspruch von Claus von Stauffenberg kurz vor seiner Er- schießung: „Es lebe das heilige Deutschland“, womit er seine nationale Haltung zum Nikolaus Groß Ausdruck bringt, die ihre Wurzeln im christlichen Glauben sucht. Claus von Stauffen- 30.09.1898-23.01.1945 berg war getaufter und gefirmter Katholik und auch katholisch getraut mit Nina von Lerchenfeld. Doch ist Stauffenberg nicht als christlicher Märtyrer gestorben – seine letzten Worte waren nicht „Es lebe Christus – der König“, sondern „es lebe das heili- ge Deutschland“ – Worte eines eben vorrangig politisch denkenden Widerstands- kämpfers. Deshalb sind Claus und Berthold von Stauffenberg nicht in das von Helmut Moll herausgegebene Martyrologium des 20. Jahrhunderts „Zeugen für Christus“, welches im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz erstellte wurde, aufgenommen worden (s.a. Literaturhinweis S. 14).

Weg in der Bereitschaft, einen qualvollen Märtyrer mit politischem Tod um der Freiheit willen auf sich zu Wirkungsgrad: nehmen.“ (Moll, S. 167) Seine religiöse Nikolaus Groß, Bernhard Motivation formuliert Groß 1943 in einem Manuskript über die christliche Glau- Letterhaus und Alfred Delp benslehre, in dem es heißt: „Wir müssen Zu den bekannteren christlichen Mär- ihm in der Wahrheit, in der Liebe, in der tyrern im Umfeld des 20. Juli 1944, die Treue, in der Opferbereitschaft nachei- allein um ihres Glaubens willen den Tod fern.“ (a.a.O.) Die Nachricht von der Ver- Bernhard Letterhaus erlitten, gehören aus dem sogenannten haftung seines Freundes Bernhard Letter- 10.07.1894-14.11.1944 Kölner Kreis Nikolaus Groß und Bernhard haus gab Groß am 11. August 1944 an Letterhaus sowie der Jesuit Alfred Delp Frau Letterhaus weiter. Einen Tag später aus München. Der Laie Nikolaus Groß wurde Groß in seiner Kölner Wohnung (s.a. AUFTRAG 245/2001, S. 60 f.) war verhaftet und nach Berlin-Tegel verlegt, Hauptschriftleiter der westdeutschen wo auch Pater Alfred Delp, Helmuth Arbeiterzeitung. Für Groß war unumstöß- James von Moltke und Eugen Gersten- liche Erkenntnis, dass die Kirche ihrer maier aus dem Kreisauer Kreis inhaftiert christlichen Weltverantwortung unter dem waren. Am 15. Januar 1945 stand Groß vor totalitären Anspruch des NS-Staates nicht dem Volksgerichtshof, wo er von Roland gerecht werden kann und zudem die Ver- Freisler zum Tode verurteilt wurde. Am nichtung eines lebendig gelebten Chris- 23. Januar 1945 wurde Groß in Berlin- tentums intendiere. Diese Erkenntnis Plötzensee durch den Strang hingerichtet. führte Groß in den zivilen Widerstand, zu Schon einige Wochen vor Groß wurde dem der Paderborner Diözesanpräses der der Verbandssekretär der Katholischen KAB Caspar Schulte einen Tag vor dem Arbeiterbewegung, der Laie Bernhard Hitler-Attentat vermerkt: „Sie stolperten Letterhaus, am 14. November 1944 im P. Dr. Alfred Delp SJ nicht in den Tod hinein. Sie gingen ihren Gefängnis Berlin-Plötzensee im Kontext 15.09.1907-02.02.1945

AUFTRAG 255 11 VOR 60 JAHREN

des 20. Juli hingerichtet, nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli aufgerollt nachdem Letterhaus be- wurde. Am 28. Juli 1944 wurde Delp verhaftet und letz- reits am 25. Juli 1944 ver- endlich in das Hinrichtungsgefängnis Berlin-Plötzensee haftet und in das Gefäng- verbracht. Nach Delps Todesurteil am 9. Januar 1945 nis Berlin-Tegel eingewie- wurde Delp am 2. Februar 1945 zusammen mit Carl sen wurde. Bemühungen Friedrich Goerdeler, vormals Oberbürgermeister von von Erzbischof Joseph Leipzig und Johannes Popitz gehenkt. Unvergessen blei- Frings aus Köln um Haft- ben bis heute die drei politischen Visionen Delps: die Vi- erleichterung, Freilassung sion von einer sozialen und gerechten Gesellschaft, die oder Begnadigung von Vision von einer erneuerten, menschlichenfreundlichen Letterhaus blieben ohne Kirche und die Vision von einem neuen, der Nächstenlie- Erfolg. Letterhaus erwuch- be verpflichteten Menschen. sen besondere Kräfte aus seinem Glauben an die Katholische Widerstandskämpfer im Umfeld Würde des Menschen und des 20. Juli: Msgr. Dr. Otto Müller aus seiner christlichen Otto Müller, Joseph Wirmer Grundhaltung, Freiheit und 09.12.1870-12.10.1944 und Paul Lejeune-Jung Recht zu realisieren. Nach 1934 galt das Engagement Zu den in der Öffentlichkeit weniger bekannten ka- von Letterhaus den katho- tholischen Widerstandskämpfern im Umfeld des 20. Juli lischen Arbeitervereinen, zählt Monsignore Dr. Otto Müller, Verbandspräses der die Keimzellen eines er- Katholischen Arbeitervereine Deutschlands. Müller hielt neuerten demokratischen Kontakte zum Kreisauer Kreis, zu Goerdeler, Letterhaus Deutschlands nach Hitlers und Groß. Nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli Sturz seien sollten. Letter- erkannte die Geheime Staatspolizei rasch, dass das haus war im Gespräch für Kettelerhaus der Katholischen Arbeitervereine in Köln zu einen Ministerposten in ei- einem Ort des Widerstandes geworden war. Der 74-jähri- ner etwaigen Nachkriegs- ge, schwer magenkranke und fast erblindete Müller wurde regierung. nach dem 18. September 1944 verhaftet als „Vertreter des Ebenfalls in Berlin- politischen Katholizismus“ und verstarb am 12. Oktober Plötzensee hingerichtet 1944 im Berliner Polizeikrankenhaus. wurde der 37-jährige Jesu- Weitere wichtige katholische Widerstandskämpfer im itenpater Dr. Alfred Delp, Umfeld des 20. Juli waren Josef Wirmer und Dr. Paul der zu den bekanntesten Lejeune-Jung. Der Berliner Rechtsanwalt und Familien- Josef Wirmer Glaubenszeugen im Kampf vater Joseph Wirmer war wegen seiner aktiven Beteili- 19.03.1901-08.09.1944 gegen den Nationalsozia- gung an den Plänen der Widerstandsgruppen um die Män- lismus gehört. Delp war ner des 20. Julis zusammen mit Carl Goerdeler, Wilhelm ein politisch denkender Leuschner, Ulrich von Hasell und Paul Lejeune-Jung am Kopf und bei jungen Men- 8. September 1944 von Roland Freisler zum Tode verur- schen sehr beliebt, weil er teilt worden; das Urteil wurde unmittelbar nach der so natürlich und herzlich Urteilsverkündigung in Plötzensee „durch Erhängen in mit Menschen umzugehen Sträflingskleidern“ vollzogen. Von Freunden und Mit- wusste. Auf Vermittlung streitern Wirmers wurden als Hauptmotive für seinen Wi- seines Provinzials, Pater derstand gegen das Hitler-Regime die Pervertierung von Augustinus Rösch, gehörte Recht und Justiz, die Verbrechen an den Juden sowie das Delp zur Widerstands- Bemühen um eine Wiederherstellung des Rechts und ei- gruppe um den Grafen ner politisch unabhängigen Gerichtsbarkeit genannt. Helmuth James von Moltke Ebenfalls zum Umfeld der Männer des 20. Juli gehörte Dr. an, benannt nach dem Ort Paul Lejeune-Jung aus Berlin, Syndikus der Zellstoff- Kreisau in Niederschle- industrie und Reichstagsabgeordneter des Zentrums unter sien, wo 1942/43 auf dem Brüning. Nach dem 30. Januar 1933 zog sich Lejeune- Dr. Paul Lejeune-Jung Gut der Familie Moltke Jung aus dem öffentlichen Leben zurück und wirkte als 16.03.1882-08.09.1944 drei geheime Treffen statt- Geschäftsführer der Fachgruppe für Zellstofferzeugnisse fanden. Die Aufgabe in kluger Zurückhaltung. Über den Gewerkschaftler Delps in dieser Widerstandsgruppe von 20 Männern be- Habermann gelangte Lejeune-Jung 1941/42 in den stand darin, an der Entwicklung einer neuen sozialen Widerstandskreis um Goerdeler, der ihn bat, Gedanken Ordnung im Nachkriegsdeutschland mitzuwirken. Delp über eine wirtschaftspolitische Neuordnung des Nach- ging es dabei um Grundbegriffe wie „soziale Gerechtig- kriegsdeutschlands zu schreiben. Mit seinem Papier emp- keit“, „Sozialpflichtigkeit des Eigentums“ und um „bes- fahl er sich, an einem wirtschaftspolitischen Zukunfts- sere Bildungschancen“ für Arbeiter und Bauern. Der Ge- programm mitzuwirken und erklärte auf Bitten Goerdelers heimen Staatspolizei waren diese konspirativen Treffe der sich bereit, in einem künftigen Kabinett unter seiner Lei- Kreisauer wohl entgangen, sodass diese Gruppierung erst tung das Wirtschaftsressort zu führen. Auf diesen Sach-

12 AUFTRAG 255 20. JULI 1944 verhalt richtete sich die Anklage gegen Lejeune-Jung im Unter seiner Mitwir- Zusammenhang mit dem 20. Juli 1944, weshalb er am 11. kung entstanden Wider- August 1944 verhaftet und nach einer Verhandlung vor standskreise in Bonn, Köln dem Volksgerichtshof unter dem Vorsitz von Roland und Düsseldorf. Körner Freisler am 8. September 1944 in Berlin-Plötzensee er- hielt engen Kontakt zum hängt wurde. Gewerkschaftler , zu Generaloberst Lebenszeugnisse im Kontext des 20. Juli: Beck und zu Goerdeler. Eugen Bolz, Franz Leuninger und Heinrich Körner Körner wurde noch am 5. April 1945 wegen „Mit- Eugen Bolz, Staatspräsident von Württemberg (1928- wisserschaft der Vorgänge 1933), Berliner Reichtstagsabgeordneter und württem- des 20. Juli 1944“ zu vier bergischer Landtagsabgeordneter, wurde in mittelbaren Jahren Zuchthaus verur- Zusammenhang mit dem erfolglosen Attentat gegen Hitler teilt, dann aber bereits von vom 20. Juli 1944 am 12. August 1944 verhaftet. Bolz den Russen befreit auf hatte Kontakt mit Goerdeler, der ihn für eine Mitarbeit in Grund von Strassenkäm- Eugen Bolz einer künftigen Reichsregierung vorsah. Für Bolz bestand pfen in Berlin durch eine 15.12.1881-23-01.1945 ohne Zweifel ein sittlich gerechtfertigtes Widerstands- SS-Kugel getötet. recht gegen das Hitler-Regime. Neben diesen beiden Punkten war Bolz als praktizierender Katholik den Nazi- Katholische Schergen zudem hochgradig verdächtig. Nach einem Überlegungen zum Scheinprozess vor dem Volksgerichtshof wurde Bolz am Tyrannenmord: 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Bolz Baron Leonrod und ist in Baden-Württemberg bis heute eine hoch geachtete, unvergessene Persönlichkeit geblieben; zahlreiche Stra- Kaplan Wehrle ßen, Plätze und Schulen tragen seinen Namen. Im Foyer Immer wieder stand der Neuen Aula der Universität Tübingen wurde an- die Frage einer ethischen lässlich des 40. Jahrestages des Attentates von Oberst Zulässigkeit eines Tyran- Claus Graf Schenk von Stauffenberg im Juli 1984 eine nenmordes im Raum und Gedenktafel in Erinnerung an jene Männer angebracht, auch die Haltung, die ein die wie Stauffenberg und Bolz einen Teil ihrer Studienzeit katholischer Christ hier in Tübingen verbracht haben. einnehmen kann. Die Fra- Zu den weniger bekannten katholischen Widerstands- ge der Zulässigkeit des kämpfern im Umfeld des 20. Juli gehört der Gewerk- „Tyrannenmordes“ war für schaftler und Katholik Franz Leuninger. Der Laie Leu- Baron Ludwig Freiherr von Franz Leuninger niger ist in die tragische Reihe jener einzuordnen, die ihr Leonrod ein ernsthaftes 28.12.1898-01.03.1945 Leben in den letzten Wochen und Monaten der NS-Dikta- Problem, gerade als Christ, tur im Jahr 1945 lassen mussten, wo doch längst die mili- handelte es sich doch hier tärische Niederlage Hitlers beschlossene Sache war. Von letztendlich um Mord und den Verschwörern des 20. Juli war Leuninger für das Amt damit um eine Todsünde des Oberpräsidenten in Schlesien vorgesehen, doch genau im Sinne der Zehn Gebote. dieser Sachverhalt wurde ihm nach dem gescheiterten At- Im Dezember 1943 fand tentat zum Verhängnis. Leuninger hatte Kontakt zu Carl im Pfarrhaus München- Friedrich Goerdeler, Jakob Kaiser und Ludwig Beck, also Bogenhausen zwischen zu den Schlüsselfiguren des Widerstandes gegen Adolf Baron Leonrod und Kaplan Hitler. Leuninger war geprägt vom religiösen Milieu sei- Hermann Josef Wehrle ein ner Heimat, also vom Bekenntnis zur unantastbaren Wür- vertrauliches Seelsorgege- de des Menschen und der Freiheit des Gewissens, die mit spräch dahingehend statt, der Schreckens- und Gewaltherrschaft des Nationalsozia- ob die Vorbereitung eines lismus unvereinbar ist. Hinzu kam seine Einschätzung „Tyrannenmordes“ bereits von einer drohenden militärischen Kapitulation Deutsch- Sünde sei. Kaplan Wehrle lands. Wenige Wochen nach dem 20. Juli wurde verneinte dies, riet aber Leuninger verhaftet, da er den hochverräterischen Cha- von der Verwirklichung ab. Heinrich Körner rakter gewisser Bestrebungen, einen Sonderfrieden mit Die Fähnrichszeit brachte 30.04.1892-25.04.1945 den Westmächten herbeizuführen, nicht zur Anzeige ge- Baron Leonrod in freund- bracht hatte. Am 26. Februar 1945 wurde Leuninger vom schaftliche Verbindung zu Graf Stauffenberg. Im Ausbau Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 1. März des militärischen Widerstandes gegen Hitler holte 1945 in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Stauffenberg Baron Leonrod von München nach Berlin, da Zu den Opfern des gescheiterten Attentats auf Hitler er dessen Zuverlässigkeit schätzte. Nach dem gescheiter- vom 20. Juli 1944 gehört auch der Landesgeschäftsführer ten Attentat auf Hitler wurde Stauffenberg noch am 20. der christlichen Gewerkschaften in Westdeutschland, Juli erschossen; Major Leonrod wurde am Folgetag und Heinrich Körner. Kaplan Wehrle am 18. August 1944 verhaftet.

AUFTRAG 255 13 VOR 60 JAHREN

Die Ehefrau von Baron ken, starben außer Leonrod und Wehrle auch die aus Bay- Leonrod wurde wie andere ern stammenden Offiziere Max Ulrich Graf von Drechsel Ehefrauen und Kinder von und Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, Verschwörern des 20. Juli in allesamt Männer, geleitet von christlichen Grundsätzen „Sippenhaft“ genommen. und dem, was wir heute als unverletzbare Menschenrechte Nach harter Folter, der soge- bezeichnen, die Grundlage jedweder nationaler und inter- nannten „verschärften Ver- nationaler Politik bilden. nehmung“, gab Leonrod das Seelsorgegespräch mit Kap- Resümee lan Wehrle zu, weil er dach- te, dass dieser unter dem Im Ergebnis lässt sich sagen, dass das misslungene Schutz des Reichskonkor- Attentat vom 20. Juli 1944 keinesfalls nur von protestanti- dates stehe. Leonrod wurde schen, preußischen Offizieren getragen wurde, sondern aus der Wehrmacht ausge- auch von Katholiken, wobei die christliche Konfessions- stoßen und als Zivilist vom zugehörigkeit in dieser politischen Frage von nachran- Ludwig Frhr von Leonrod Volksgerichtshof angeklagt. giger Bedeutung ist. Beim Studieren der verschiedenen 17.09.1906-26.08.1944 Am 21. August 1944 verkün- Lebensläufe fällt auf, dass trotz der politischen Brechun- dete Roland Freisler das To- gen des 19. und 20. Jahrhunderts das Herausbilden eines desurteil: „Im Namen des „katholischen Milieus“ noch weit verbreitet ist, ebenso deutschen Volkes. Fritz die Zugehörigkeit zu einer christlichen Religionsgemein- Thiele, Ulrich Wilhelm Graf schaft. In diesem Zusammenhang ist auch die Veranke- Schwerin von Schwanenfeld, rung einzelner Persönlichkeiten im Bereich der christli- Ludwig Freiherr von Leon- chen Gewerkschaftsbewegung wie etwa bei Körner und rod verrieten eidbrüchig, Leuninger herauszuheben, bilden doch christliche Iden- ehrlos, statt mannhaft wie tifikationspunkte bei den deutschen Gewerkschaften heu- das ganze deutsche Volk, te eher ein Randphänomen. Zu unserer heutigen multikul- dem Führer folgend, den turellen, mitunter konfessionslosen und säkularisierten Sieg zu erkämpfen, so wie Gesellschaft öffnet sich hier gegenüber der deutschen Ge- noch niemand in unserer Ge- sellschaft vor 60 Jahren ein breiter Graben; auch die ge- schichte, das Opfer unserer sellschaftliche Bedeutung des Adels hat sich deutlich ab- Krieger, Volk, Führer und geschwächt. Doch diese gesellschaftlichen Veränderun- Reich. Den Meuchelmord an gen sind von nachrangiger Bedeutung, sind doch die unserem Führer setzten sie christlichen Werthaltungen – damals und heute – bezeugt ins Werk, Verräter in allem, von Menschen mit ihrem Lebensweg, von allein entschei- wofür wir leben und kämp- dender Bedeutung. Von Dauer bleibt die Erkenntnis be- Dr. Hermann Joseph Wehrle 26.07.1899-14.09.1944 fen, werden sie mit dem stehen, dass Katholiken als Zeugen für Christus im Um- Tode bestraft.“ (Moll, S. feld des 20. Juli 1944 ihr Leben ließen und damit als Mär- 415) Am 26. August 1944 tyrer zu Mahnern und Hoffnungsträgern für nachfolgende wurde Leonrod in Berlin-Plötzensee hingerichtet, am 14. Generationen wurden; sie bleiben unvergessen. ❏ September folgte ihm Kaplan Wehrle in gleicher Weise. Für ihre Bereitschaft, am Attentat des 20. Juli 1944 des Fotos: Repros aus dem vorgestellten Werk von Helmut Moll; Oberst Graf Stauffenberg und seines Umfeldes mitzuwir- N. Groß: Repro nach Faltblatt zur Seeligsprechung, Essen 1988

Bibliographisches 2001 liegt die dritte, durchgesehene Auflage vor. Mittlerweile wird eine englische Übersetzung des Ende 1999 lieferte der Ferdinand Schöningh Ver- Hauptwerkes durch die Paulist Fathers in Massa- lag das zweibändige Hauptwerk „Zeugen für chusetts (USA) vorbereitet. Christus. Das deutsche Martyrologium des 20. Der Verfasser des Martyrologiums, Prälat Moll, Jahrhunderts“ (Paderborn u.a. 1999, 1372 S.) machte die Redaktion AUFTRAG auf die zahlrei- aus, das im Auftrag der Deutschen Bischofs- chen Friedenskämpfer und Kriegsdienstverweige- konferenz vom Kölner Priester Prälat Dr. Helmut rer aufmerksam, die in der Zeit des Nationalsozi- Moll herausgegeben wurde. Rund 150 Fachleute alismus Widerstand leisteten und deshalb in der aus dem In- und Ausland erstellten die über 700 Folge ihr Leben opferten. Ergänzt wird die Auf- biographischen Artikel, welche die Opfer vor al- zählung um Wehrmachtsangehörige und Geistli- lem aus den Kategorien des Nationalsozialismus che, die Militärpfarrer waren. Im folgenden Bei- (Bd. I, S. 1-651 und Bd. II, S. 652-904), des Kom- trag werden diese Personen kurz namentlich in Er- munismus (Bd. II, S. 907-990) und der Missionen innerung gebracht. Die Redaktion AUFTRAG be- (Bd. II, S. 1083-1240) vorstellten. Nachdem die absichtigt, die Lebensbilder der hier aufgeführten Erstauflage mit 2.800 Exemplaren nach zwei „Zeugen für Christus“ nach dem von Helmut Moll Monaten vergriffen war, wurde eine zweite Auf- herausgegebenen Deutschen Martyrologium des lage mit 2.500 Stück gedruckt. Seit Oktober 20. Jhs. im Einzelnen vorzustellen.

14 AUFTRAG 255 20. JULI 1944 Friedenskämpfer, Wehrmachtsangehörige, Geistliche im deutschen Martyrologium des 20. Jahrhunderts

Kriegsgegner Radegund stammende Landwirt Gustav Raab (vgl. Bd. I, S. 22-24), er nach Berlin umgezogene Jus- Franz Jägerstätter verweigerte Leutnant Matthias Kaiser (vgl. Dtizangestellte Alfred Andreas Hitler seine Gefolgschaft als Soldat. Bd. I, S. 76-79), Major Ludwig Heiß (* 1904) aus dem oberfränki- In der Folge wurde der Verheiratete Freiherr von Leonrod aus Mün- schen Triebenreuth weigerte sich im zum Tode verurteilt und hingerichtet. chen (vgl. Bd. I, S. 414-416), Korvet- Jahre 1939, als Soldat eingezogen zu Sein Seligsprechungsverfahren ist tenkapitän Alfred Kranzfeder aus werden. In der Folge wurde er in der eingeleitet (vgl. Bd. I, S. 73). Kempten (vgl. Bd. I, S. 61-64), der Reichshauptstadt verhaftet und am Der Freiburger Diözesanpriester Allgäuer Leutnant Michael Kitzel- 24. September 1940 im Zuchthaus Dr. Max Joseph Metzger (* 1887), mann (vgl. Bd. I, S. 57-61), der be- Brandenburg Görden an der Havel aktives Mitglied im Friedensbund kannte Oberst Rudolf Graf von hingerichtet (vgl. Bd. I, S. 76 79). Deutscher Katholiken und Gründer Marogna Redwitz aus München Der in Vorarlberg (Österreich) des „Weltfriedensbundes vom Wei- (vgl. Bd. I, S. 416-419), Pfarrer geborene Franz Reinisch (* 1903) ßen Kreuz“, war religiöser Pazifist, Theodor Kniebeler (vgl. Bd. I, S. lehnte den Fahneneid auf Adolf was er auch in zahlreichen Publikati- 18-21) und der ermländische Leut- Hitler aus Gewissensgründen ab. Da- onen bekundete. Wegen ökumeni- nant Alfons Zurawski (vgl. Bd. II, her wurde der Pallottinerpater in scher Initiativen mit dem lutheri- S. 692-693). Kissingen (Franken) verhaftet und schen Erzbischof Erling Eidem von Das von Prälat Moll erstellte Ein- vor das Reichskriegsgericht gestellt. führungsbuch „Die katholischen Das Todesurteil wurde am 21. Au- deutschen Martyrer des 20. Jahrhun- gust 1942 im Zuchthaus Branden- Kriterien der Kirche zur derts. Ein Verzeichnis“ (Paderborn burg Görden vollstreckt (vgl. Bd. II, Bestimmung des Martyriums u.a. 32001, 100 S.), das die oben Ge- S. 836-840). nannten namentlich aufführt, enthält • die Tatsache des gewaltsamen Todes Der evangelische Christ Dr. in tabellarischer Form Kurzdaten zu (martyrium materialiter) Hermann Stöhr verweigerte eben- den über 700 Glaubenszeugen, ein falls den Kriegsdienst und wurde in • das Motiv des Glaubens- und Kirchen- ganzseitiges Porträtfoto der mit einer der Folge mit dem Tode bestraft (vgl. hasses bei den Verfolgern Kanonisation Verbundenen (u.a. Sr. Bd. I, S. 66). (martyrium formaliter ex parte tyranni) Teresia Benedicta a Cruce [Dr. Edith Mitglied im Friedensbund Deut- • die bewusste Annahme des Willens Stein], Nikolaus Groß und der Berli- scher Katholiken war der Bonner Do- Gottes trotz Lebensbedrohung ner Dompropst Bernhard Lichten- zent an der Bibliothekarsschule (martyrium formaliter ex parte victimae) berg) sowie ein ausführliches Perso- Heinrich Ruster (* 1884), der we- nen und Ortsregister. gen seiner anti-nationalsozialisti- Alle drei Maßstäbe müssen erfüllt sein. Das für weite Kreise bestimmte schen Einstellung fast ständig in Haft Martyrologium „Wenn wir heute nicht war. Der engagierte Schriftsteller Schweden denunziert, wurde er ver- unser Leben einsetzen. Martyrer des starb im Alter von 58 Jahren im Kon- haftet und im Zuchthaus Branden- Erzbistums Köln aus der Zeit des Na- zentrationslager Sachsenhausen (vgl. burg Görden am 17. April 1944 er- tionalsozialismus“ (Köln 32000, 96 Bd. I, S. 322-325). mordet (vgl. Bd. I, S. 212-215). S.), in dem 31 Glaubenszeugen unter Mitglied im Friedensbund Deut- Zwei seiner Schüler, der All- ihnen Heinrich Ruster, DDr. Lisa- scher Katholiken war auch Domini- gäuer Landwirt Michael Lerpscher maria Meirowsky und Dr. Ran- kanerpater Franziskus M. Strat- (vgl. Bd. I, S. 65-68) und der ober- dolph Freiherr von Breidbach- mann, der 1938 mit der Kölner Ärz- schwäbische Schneidergeselle Josef Bürresheim vorgestellt werden, tin Dr. Dr. Lisamaria Meirowsky, die Ruf (vgl. Bd. I, S. 72-75), erlitten liegt seit Juni 2004 in vierter, durch- in Bonn und München Medizin stu- aufgrund ihrer Überzeugungen das gesehener Auflage vor. Die Biogram- diert hatte, in die Niederlande zog. gleiche Schicksal. me können abgerufen werden über Letztere wurde im Jahre 1942 im die Internetadresse Konzentrationslager Auschwitz ver- Wehrmachtsangehörige www.koelnermaertyrer.de. gast (vgl. Bd. I, S. 309-312). olgende Angehörige der Wehr- Es dient als Katalogbuch der Aus- Mit Pater Stratmann war auch Fmacht fanden aus Glaubens- stellung „Martyrer des Erzistums der Berliner Dompropst Bernhard gründen das Martyrium: Oberleut- Köln im 20. Jahrhundert“. Lichtenberg eng verbunden, der, nant Dr. Randolph Freiherr von ebenfalls Mitglied im Friedensbund Breidbach-Bürresheim, der mit Geistliche, die auch Deutscher Katholiken, auf dem Weg Pastor Dr. Dietrich Bonhoeffer ver- Militärpfarrer waren in das Konzentrationslager Dachau schworen war (vgl. Bd. I, S. 295- – Pfr. Theodor Kniebeler, Bistum im Jahre 1943 verstarb (vgl. Bd. I, S. 299), Hauptmann i.G. Max (vgl. Bd I, S. 18-21, und 104-110). Ulrich Graf von Drechsel (vgl. BL*) S. 413), * 1909 Eschweiler, † Der aus dem oberösterreichischen Bd. I, S. 543-547), Divisionspfarrer 1944 in einem Lazarett bei Sud-

AUFTRAG 255 15 VOR 60 JAHREN

auen/Ostpr., 1942 Lazarettpfarrer – Pfr. Johannes Bernhard Schulz, Jungfrau Maria (vgl. Bd. II, S. 820- bei der Kriegslazarettabteilung 610. Bistum Trier (vgl. Bd. I, S. 577- 822, und BL, S. 491), * 1897 Kl. – Divisionspfarrer Gustav Raab, 580, und BL, S. 750-751, und Freden bei Alfeld, † 1944 in Halle Bistum Aachen (vgl. Bd. I, S. 22- AUFTRAG Nr. 254/Mai 2004, S. a.d. Saale durch Fallbeil hingerich- 24, und BL S. 633), * 1905 Mön- 70-73), * 1884 Öbervölklingen/ tet, 1939 Divisionspfarrer der 207. chengladbach, † 1943 in Stalin- Saar, † 1942 im KZ Dachau, 1914- (pommerschen) Landwehrdivision/ grad, 1941 Lazarettpfarrer bei der 1918 Felddivisionspfarrer beim 207. InfDiv an der Westfront bis Kriegslazarettabteilung 610, 1941 Stab der 255. InfDiv im Raum 1941. Divisionspfarrer 342. InfDiv, 1942 südl. Metz. – P. Edelfried Seibold OSB, Neu- Divisionspfarrer 14. PzDiv in – Dr.Dr. Bernhardt Schwedtner, Ulm (vgl. Bd. II, S. 736-738); * 1908 Sevastopol und Stalingrad. heutiges Erzbistum Hamburg (vgl. Neu-Ulm, † 1944 bei Putoschka/ – Domprobst Bernhard Lichten- Bd I, S. 257-259, und BL, S. 762), UdSSR erschossen; war zwar nicht berg, Bistum Berlin (vgl. Bd. I, S. * 1891 Schwerin, † 1944 hinge- als Militärpfarrer in der Wehrmacht 104-110, und BL S. 481-482), * richtet im Zuchthaus Brandenburg- tätig, wurde aber wegen verbotener 1875, † 1943 auf dem Transport Görden, im 1. Weltkrieg Divisions- Ausübung seines Priesteramtes zum KZ Dachau, 1913 als Pfarrer pfarrer an verschiedenen Fronten, (Sakramentenspendung) während von Herz-Jesu Charlottenburg- ab 1917 beim Stab der 119. seines Kriegsdienstes als Sanitäts- Lichternfelde auch Seelsorger des InfDiv. soldat 2 Jahre inhaftiert, danach ei- Königin Elisabeth Garde-Grena- – P. Friedrich Lorenz, Kongregati- ner Strafkompanie an der Ostfront dier-Regiments Nr. 3. on der Oblaten der Makellosen zugeteilt, wo er bei dem Versuch, Ka- *) BL = Bibliographisches Lexikon der Katholischen Militärseelsorge Deutschlands meraden zu retten, durch Kopfschuss 1848-1945, hrsgg. von Jürgen Brandt und Peter Häger, i.A. des KMBA Berlin, 2002. getötet wurde. (PS)

der Haager Landkriegsordnung ver- Katholik, General und Widerständler pflichtet sah, fest, Hitler zu täuschen und die Zerstörung von Paris zu ver- 110. Geburtstag von Dieter von Choltitz und 60. Jahrestag der Befreiung von Paris hindern. Er unternahm Sprengungs- JOACHIM G. GÖRLICH vorbereitungen und nahm gleichzei- tig Kontakt zum französischen Wi- er heute die oberschlesi- katholisch. In Wiese Gräflich leben derstand über seine Kirche auf. sche Kreisstadt Neustadt heute Vertriebene aus dem einstigen, Am 25. August konnte der Gene- W(Prudnik) zu Füßen der Bi- heute zur Ukraine gehörenden Ostpo- ral die Kapitulationsurkunde unter- schofskoppe im Altvatergebirge in Rich- len. Neustadt war auch stets Garnison- schreiben. Somit war Paris fast ohne tung tschechischer Grenze fährt, kommt stadt. Da war das Reiterregiment 11, einen Schuss gerettet. Während Hitler gleich nach Verlassen der Stadtgrenze das Hitler auflöste. Zu polnischen Zei- über seine Familie die „Sippenhaft“ an einer ausgebrannten Schlossruine ten bis zur Wende waren hier Grenz- verhängte und sie für „vogelfrei“ er- im Dorf Wiese Gräflich vorbei. Hier und Polittruppen stationiert. Die Gar- klärte, ging der „Retter von Paris“ in residierte seit fast 900 Jahren die nison wurde 1995 aufgelöst. Gefangenschaft. Leider wird noch mährisch-oberschlesische Adelsfami- Dieses Fluidum blieb nicht ohne heute v. Choltitz Rolle bei der Rettung lie von Choltitz. Das anliegende Her- Einfluss auf Dieter von Choltitz. Nach von einigen Wenigen minimalisiert, rengut hat nach 1949 als polnische Eintritt ins Neustädter Gymnasium gar mit Häme seine Person betrachtet, Staatsdomäne fungiert. Wer heute dort war es kein Zufall, dass ihn die Eltern wie z.B. in der ZdF-Serie „Die Be- das Sagen hat, weiß man nicht. an den katholischen sächsischen Kö- freiung (Ltg. Prof. Guido Knopp, Hier wurde vor 110 Jahren der nigshof als Page brachten. Bei sächsi- 25.05.2004). Heute will der polnische spätere „Retter von Paris“ (so „Le schen Regimentern startete er auch Stadtrat von Prudnuk (Neustadt) eine Monde“), General Dieter von Choltitz seine Offizierskarriere, zuerst bei der Straße nach diesem deutschen Wider- geboren. Umweit davon gibt es ein Kavallerie. Er gehörte bald auch zur ständler in Uniform benennen. historisches Franziskanerkloster, wo Weltelite der Springreiter. Von Choltitz verbrachte seinen bis 1945 gestrauchelte Geistliche Nach dem Ersten Weltkrieg kam Lebensabend in der „Frankreich- des Erzbistums in Kirchenverban- v. Choltitz zur Reichswehr und später straße“ von Baden-Baden und war nung waren. In der Stalinära war zur Wehrmacht. Er wurde General gern gesehener Gast in Paris. Als er hierher der „eiserne Primas“ von Po- und erhielt das Ritterkreuz. Am 7. am 5. November 1966 für immer die len, Stefan Kardinal Wyszinski, von August 1944 ernannte ihn Hitler zum Augen schloss, gehörten der militäri- den Kommunisten deportiert worden, „Wehrmachtsbefehlshaber von Pa- schen Formation, die ihm die letzte was das Kloster inzwischen zum ris“. Dessen Befehl lautete, Paris Ehre gab, auch französische Soldaten Wallfahrtsort machte. niederzubrennen. V. Choltitz notierte an. Staatspräsident General de Gaulle Dieser Landflecken ist auch nach diesem Gespräch: „Der Mann wies seinen Bonner Botschafter an, nach der Vertreibung der Deutschen, ist wahnsinnig“. Es stand für ihn, der Witwe persönlich zu kondolieren wie die Familie von Choltitz, zutiefst dem Katholiken in Uniform, der sich … ❏

16 AUFTRAG 255 ZUM BILD DES SOLDATEN

WEHRFORM UND INNERE FÜHRUNG: Die Bundeswehr muss eine menschenfreundliche Armee bleiben! ist weniger der Kämpfertyp mit Ein Plädoyer für die Beibehaltung der Wehrpflicht Killerinstinkt als ein intelligenter KLAUS LIEBETANZ und kulturell sensibler Staatsbürger in Uniform gefordert. ngesichts der verheerenden Folterbilder aus dem Irak sollten sich die Abgeordneten des Deutschen Bundestages die Frage stellen, Eingreiftruppen nicht im Aob es der Hauptaufgabe der Bundeswehr im Ausland, nämlich der Schwerpunkt „Friedenskonsolidierung in der Konfliktfolgezeit“ dienen würde, wenn die Es ist sehr unwahrscheinlich, Bundeswehr in eine so genannte „professionelle“ Armee mit nur noch dass Deutschland ohne westliche Berufs- und Zeitsoldaten, wie bei Amerikanern und Briten, umgewandelt Verbündete in den Krieg zieht, abge- würde. Unser Autor und Fachberater für Katastrophenmanagement geht sehen von einer singulären, zeitlich dieser Frage im folgenden Beitrag nach. und örtlich begrenzten Evakuie- Staatsbürger in Uniform Wofür werden die Soldaten der rungsmission zu Gunsten deutscher Beim Neuaufbau der Bundes- Bundeswehr benötigt? Staatsangehöriger im Ausland. Nach wehr vor fünfzig Jahren wurde das Wie die Erfahrung der letzten 15 menschlichem Ermessen ist es Soldatenleitbild des „Staatsbürgers Jahre nach dem Mauerfall zeigt, wird ebenso wenig wahrscheinlich, dass in Uniform“ geboren. Nicht zuletzt die Bundeswehr in erster Linie als das westliche Bündnis einen Krieg wollte sich der Deutsche Bundestag Stabilisierungskraft in der „Friedens- gegen Russland, China, Indien, Pa- vom Leitbild der nationalsozialis- konsolidierung in der Konfliktfolge- kistan oder Nordkorea führt, weil tisch geführten Wehrmacht verab- zeit“ (post-conflict peace-building) diese Länder Atomwaffen besitzen schieden. Diese Idee vom Staatsbür- nach der Agenda for Peace der Ver- und eine atomare Eskalation mit all ger in Uniform wird gelegentlich von einten Nationen im Ausland einge- ihren unkalkulierbaren Folgen nicht unseren Verbündeten – Amerika- setzt. Dies geschieht in Zusammenar- auszuschließen ist. nern, Briten und Franzosen – als beit mit den zahlreichen Akteuren Es bleiben also nur noch weltfremd belächelt. US-amerikani- der zivilen Konfliktbearbeitung (ef- drittklassig ausgerüstete Staaten als sche Soldaten sind ausdrücklich auf fektiver Polizeiaufbau, Schaffung von potenzielle Gegner übrig, die bereits Wunsch ihrer Regierung von Verfol- Arbeitsplätzen durch wirtschaftliche am ersten Kriegstag wegen der enor- gung durch den Internationalen Entwicklung, Stärkung der jeweili- men technischen Überlegenheit des Strafgerichtshof ausgenommen. gen Zivilgesellschaft durch Friedens- Westens ohne Luftwaffe und weit rei- fachkräfte und Aufbau von recht- chende Kommunikation sein werden. Vorbild Innere Führung staatlichen, demokratischen Struktu- Der Schwerpunkt der neuen Der Autor des Beitrages hat in ren), um einen sich selbst tragenden „Verteidigungspolitschen Richtlini- der zweiten Hälfte der Neunziger Friedensprozess mit den verantwort- en (VPR)“ liegt daher konsequenter Jahre für die großen deutschen Hilfs- lichen Menschen der betroffenen Re- Weise nicht auf den Eingreiftruppen. organisationen (DRK, THW, Johan- gion zu erreichen. Für diese Aufgabe Des weiteren ist ein Krieg gegen niter und Malteser) das jeweils Terroristen militärisch nicht zu der betreffenden Organisation gewinnen. Die Ursachen für Bischof Marx plädiert für Wehrpflicht angepasste Taschenbuch für den Terrorismus müssen mit den Auslandseinsatz geschrie- Der Trierer Bischof Reinhard Marx plädiert für die Beibehaltung der Mitteln der zivilen Konflikt- ben. Im Kapitel „Menschen- Wehrpflicht. Sie verzahne Gesellschaft und Bundeswehr und sorge für ein bearbeitung befriedigt werden führung im Auslandseinsatz“ „kritisches Ineinander und Miteinander“, sagte Marx am 12. Mai 2004 in (siehe Nordirland). hat er u.a. die „Zehn Elemente Interview des „Rheinischen Merkur“. Dagegen folge eine Berufsarmee zeitgemäßer Menschenfüh- möglicherweise ihren eigenen Gesetzen, so der Vorsitzende der Deutschen Wesentliche Gründe für rung“ aus der Inneren Führung Kommission Justitia et Pax (Gerechtigkeit und Frieden). die Beibehaltung der der Bundeswehr übernommen. Der Bischof bekundete seine Sorge über den Umbau der Bundes- Wehrpflicht: Kein Verantwortlicher der o.a. wehr von einer Verteidigungs zu einer Berufs- und Interventionsarmee. •Zur Zeit gibt es eine hohe Hilfsorganisationen hatte da- In der Öffentlichkeit werde zu wenig über diese grundlegenden Verände- Zahl von Abiturienten und gegen einen Einwand. Die rungen nachgedacht. „Hier wird die Bundeswehr ja völlig neu aufge- Fachhochschulabsolventen un- meisten Leser dieser handli- stellt’, so Marx. Er befürchte, dass das Konzept der Inneren Führung ter den Wehrdienstleistenden. chen Taschenbücher wissen „Schritt für Schritt nicht mehr ernst genommen wird«. Dieses sei nicht als Durch die „Freiwillig Zusätzli- überhaupt nicht, dass es sich „schöne Dekoration für Sonntagsreden“ entwickelt worden. Es wolle viel- chen Wehrdienst Leistenden“ dabei um die Menschenfüh- mehr den Staatsbürger in Uniform, dessen Selbstverantwortung nicht (FWDL’er) verfügt die Bundes- rung der Bundeswehr handelt. beim System von Befehl und Gehorsam aufhöre. „Der Soldat legt seine wehr im Auslandseinsatz (ihr So unglaublich modern ist die Verantwortung als Mensch nicht ab und gibt sie an einen Vorgesetzten“, Anteil beträgt ca. 30%) im Innere Führung. so der Bischof. (KNA13.05.2004) Vergleich zu ihren westlichen

AUFTRAG 255 17 ZUM BILD DES SOLDATEN

Verbündeten über die intelligente- dung zu tragen. Das Fahrzeug der ment ist weit vordergründiger. Es ren Mannschaftsdienstgrade. Diese Helfer wird von einem amerikani- geht schlicht um die Konkurrenz mit werden in der Friedenskonsolidie- schen Jeep durch Hupen und Licht- der FDP um die männlichen Jung- rung besonders benötigt. signale bedrängt. Der Pfad ist jedoch wähler. Offiziell begründet wird je- • Die Wehrpflichtigen haben eine sehr eng, so dass der Deutsche erst doch der Wegfall der Wehrpflicht mit hohe Bedeutung für die Regenera- nach einer geraumen Zeit an einer der angeblich fehlenden Wehrge- tion der Bundeswehr. So werden Haltebucht zur Seite fahren kann. rechtigkeit. Dabei wird die Tatsache 45% der Zeitsoldaten und 25% der Der Jeep hält neben ihnen. Ein Ser- übersehen, dass auch heute zwei Offizieranwärter aus Wehrpflichti- geant springt heraus und hält dem Drittel aller Wehrpflichtigen Wehr- gen gewonnen. Bei Wegfall der pensionierten, wie ein Paschtune ge- dienst, Zivildienst oder einen ande- Wehrpflicht werden ganze Gruppen kleideten Sanitätsoffizier, seine Pis- ren auf den Wehrdienst anrechen- junger Männer nicht oder nur noch tole an die Schläfe, beschimpft ihn baren sonstigen Dienst leisten (z.B. sehr schwer zu erreichen sein. auf Übelste, steigt wieder ein und beim THW). Eine vollständige • Darüber hinaus würde bei Wegfall rauscht ab. Die begleitenden zivilen Wehrgerechtigkeit wird es niemals der Wehrpflicht die Verankerung Helfer sind leichenblass. Beim geben. der Bundeswehr in der Bevölke- nächsten deutschen militärischen rung und damit auch das Interesse Stützpunkt spricht der ehemalige Sa- Deutsches Erfolgsmodell nicht am Zustand der Streitkräfte erheb- nitätsoffizier mit dem amerikani- aufgeben lich nachlassen. Ein Auslandsein- schen Verbindungsoffizier und schil- Die beiden großen Volkspartei- satz von einer quasi „Söldner- dert die unangenehme Begegnung. en, SPD und CDU/CSU, sollten es truppe“ wäre für den Deutschen Nach zwei Stunden kommt ein Ent- sich gründlich überlegen, ob sie das Bundestag unbedenklicher, wie das schuldigung mit den Worten: „Wenn deutsche Erfolgsmodell wegen wahl- auch jetzt schon in den Vereinigten wir gewusst hätten, dass sich ein taktischer und/oder ideologischer Staaten der Fall ist. Zurückkehren- deutscher Sanitätsoffizier im Fahr- Überlegungen aufgeben sollten. Der de Soldaten in Särgen verlieren in zeug befunden hätte, wäre das nicht heutige intelligente Mix aus Zeit- weiten Kreisen der Bevölkerung an passiert“. und Berufssoldaten, Freiwillig Zu- emotionaler Betroffenheit. sätzlich Wehrdienst Leistenden Was reitet Bündnis 90 / Die • Des weiteren würde sich mit dem (FWDL’er), die auch für Auslands- Grünen, die Wehrpflicht abzu- Wegfall der Wehrpflicht ein ungu- einsätze zur Verfügung stehen, und ter Korpsgeist in der Bundeswehr schaffen. Grundwehrdienstleistenden (W9’er) entwickeln, wie er in allen Berufs- Es ist für Viele ein Geheimnis, ist eine Erfolgsstory, die nicht leicht- armeen üblich ist. Menschen- warum ausgerechnet die basisdemo- rechtsverletzungen würden aus fal- kratischen Grünen die menschen- fertig aufgegeben werden sollte, scher Kameraderie und aus Karie- freundliche Wehrpflichtarmee ab- zumal solche Streitkräfte für die vor- redenken vertuscht. Das Verhältnis schaffen wollen. Um das zu verste- aussichtliche Hauptaufgabe in be- zur einheimischen Zivilbevölke- hen, muss man sich mit dem funda- sonderer Weise geeignet sind. rung würde sich verschlechtern. mentalistischen Teil der Friedensbe- Hierbei sollte auch der Zivildienst, Dazu weiter unten ein vielsagendes wegung und seiner Weltanschauung der in seiner Art weltweit Beispiel Beispiel. auseinandersetzen. Für diesen Per- gebend ist, nicht vergessen werden, • Der Vorsitzende der deutschen sonenkreis ist es seit langem ein Das Bundesverfassungsgericht hat Kommission Justia et Pax (Gerech- Dorn im Auge, dass der ideologische mehrfach in seinen Grundsatz- tigkeit und Frieden), Bischof Gegner, die Bundeswehr, durch die erklärungen ausgeführt, dass die Reinhard Marx, setzte sich in einer Wehrpflicht eng in der Bevölkerung „Wahl zwischen Wehrpflicht- und Erklärung vom 12. Mai 2004 für verankert ist und in weiten Teilen Freiwilligenarmee eine grundlegen- die Beibehaltung der Wehrpflicht des Volkes gerade durch die Frieden de staatspolitische Entscheidung ein. Die Wehrpflicht „verzahne Ge- schaffenden Auslandseinsätze über ist, die auf wesentliche Bereiche des sellschaft und Bundeswehr“ und ein hohes Ansehen verfügt. Dies trifft staatlichen und gesellschaftlichen sorge für ein „kritisches Ineinan- für große Teile der Friedensbewe- Lebens einwirkt und bei der er – der der und Miteinander“. gung nicht zu. Diese werden von der Gesetzgeber – neben verteidigungs- Bevölkerung eher als realitätsferne politischen Gesichtpunkten auch Unsensibles Verhalten „Weltverbesserer“ abgetan, was die allgemeinpolitische, wirtschaftliche einer weltweit eingesetzten geringe Zahl der Ostermarschierer und gesellschaftspolitische Gründe Berufsarmee belegt. von sehr verschiedenem Gewicht zu Dazu im Folgenden eine kürzlich Bei Abschaffung der Wehrpflicht bewerten und gegeneinander abzu- geschehene Begebenheit in Afgha- würden die derzeitigen o.a. Vorteile wägen hat.“ Diese Entscheidung ge- nistan: Ein deutscher Sanitätsoffizier der Bundeswehr wegfallen. Die ideo- hört also ins Parlament und nicht in a.D. ist im Auftrag einer deutschen logische Friedensbewegung könnte die Gerichte. Die verantwortlichen Hilfsorganisation mit seinen zivilen sich gegenüber einer quasi Söldner- Abgeordneten müssen also den Mut Begleitern mit einem Fahrzeug in Af- armee leichter als die moralisch bes- haben, eine politische Entscheidung ghanistan unterwegs. Er pflegt in Af- sere Alternative zur Friedensgestal- zu fällen, die den o.a. guten Gründen ghanistan eine einheimische Klei- tung empfehlen. Ein zweites Argu- Rechnung trägt. ❏

18 AUFTRAG 255 ZUM BILD DES SOLDATEN Das Kreuz von Narwa

PAUL ROTH ieses Kreuz hat ein Rotarmist Das Gesicht des Leidenden zeigte im August 1941 geschnitzt. nach oben, Hilfe suchend, bittend DEs muss zwischen dem 6. und aus großen Augenhöhlen. dem 21. August gewesen sein, wenn Warum Iwan ausgerechnet den man sich an den Wehrmachtsbericht Schmerzensmann aus dem Holz her- über den Kampf um Narwa hält. Der ausgeschnitten hat, ist unbekannt. Rotarmist war bereits in deutscher Kurz vorher hätte man ihm das „In- Gefangenschaft. Er saß am Straßen- strument der Volksverdummung“ aus rand, während die deutschen Trup- der Hand geris- pen an ihm vorbeimarschierten. sen. Und bald Er wusste sicher nicht, auf welch darauf hätte blutgetränkter Erde er saß. Die Fes- ihm vielleicht tung auf dem westlichen Ufer des ein strammer Flusses Narwa war einst vom Deut- SS-Mann das schen Orden, die Festung Iwangorod Kreuz zerbro- auf dem östlichen Ufer von Zar Iwan chen. In der III. erbaut worden. Er wird sicher Pause zwischen nicht gewusst haben, wieviele Kampf und Schlachten um Narwa getobt haben, Ohnmacht kam dass z.B. der Schwedenkönig Karl ein deutscher XII. dort Peter den Großen geschla- Soldat vorbei gen hatte, dass die Rote Armee im und sah den scheinlich wanderte Frühjahr 1918 darum gekämpft hat- Schmerzens- es im Tornister noch te, um in Estland die Sowjetmacht zu mann in der Hand des Iwan. Es war, eine Zeitlang über russische Erde, errichten. das ist ziemlich sicher, ein bis es auf einem Heimaturlaub nach Ob der Rotarmist gebildet war Theologiestudent oder Geistlicher, Deutschland kam. Dort blieb es nach oder nur ein einfacher Bauer, ob er den man eingezogen hatte, damit er dem „Endsieg“, der völlig anders davon überzeugt war, sein Vaterland sich am „Endsieg“ beteilige. Aber of- ausfiel, als es sich der „Gröfaz“ (= zu verteidigen, ist unbekannt. Unbe- fenbar stürmte dieser nicht blind der größte Führer aller Zeiten) vorge- kannt ist sein Name, unbekannt sein dem Sieg entgegen, sonst hätte er stellt hatte. weiteres Schicksal, kurz: ein unbe- wohl den Iwan mit seinem Kreuz am Als das Holz zu verderben be- kannter Soldat. Ist er in deutscher Straßenrand nicht gesehen. Iwan hät- gann, wurde der Schmerzensmann in Gefangenschaft umgekommen, hat er te es wohl im Gras liegenlassen müs- Bronze gegossen. An meinem Ar- den Krieg, die Stalinzeit überlebt? sen, denn es war fast 40 cm lang. Wo beitsplatz hängt ein solcher Bronze- Wahrscheinlich lebt „Iwan“ nicht sollte er es verbergen? Dann geschah abguss, erinnert an einen unbekann- mehr, verwenden wir ruhig einmal etwas, was nicht mehr genau zu re- ten Soldaten, der nach sowjetischem diesen Namen, der von den deut- konstruieren ist. Es kann sein, dass Wunsch gottlos hätte sein müssen schen Soldaten für ihre Gegner ver- der deutsche Soldat Iwan ein Stück und von der Nazi Propaganda zum wendet wurde, so wie umgekehrt die Brot anbot und Iwan schenkte ihm „Untermenschen“ erklärt worden Rotarmisten ihre Gegner mit „Gans“ dafür das Kreuz. Unterhalten konn- war. Wenn die Sonne scheint, dann (= Hans) benamsten. ten sie sich nicht. Jedenfalls ging der zeichnen sich die Schatten der fle- Die einzige Spur, die von Iwan Schmerzensmann aus der Hand von henden Hände der Wand ab, als geblieben ist, ist das Kreuz. Er saß Iwan in die Hand des deutschen Sol- wollten sie bitten: „Vergib ihnen, sie am Straßenrand, wartete darauf, dass daten über. Unbekannt ist der Weg, wissen nicht, was sie tun!“ ❏ er abgeführt wurde und hatte Hun- den das Kreuz dann ge- ger. In seiner Tasche war noch ein nommen hat. Wahr- Messer. Er zog es heraus, schnitt von einem Baum eine Astgabel ab und begann zu schnitzen. Ein Gefangener schnitzt sich zumeist als erstes einen Lage von Fluss und Stadt Löffel. Doch Iwan schnitt aus der Ga- Narwa; heute Grenzstadt bel ein seltsames Kreuz nicht ortho- zwischen Estland und Russland, etwa auf halbem dox, nicht katholisch. Es wurde ein Weg von Tallin (Reval) Schmerzensmann, herauswachsend nach Sankt Petersburg aus dem Holz, mit flehend nach oben (Leningrad). auseinandergereckten Armen, die (Ausschnitt aus einer Karte von den Nägeln festgehalten wurden. zum Russlandfeldzug 1941)

AUFTRAG 255 19 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK RISIKOANALYSE UND STREITKRÄFTE Ewiger Krieg? Weltpolitische Risikoanalyse und Folgerungen daraus für die Streitkräfte

BJÖRN F. S CHULZ er Beitrag stellt den sicherheitspolitischen Ist-Zustand der Welt mit technologie rückt für immer mehr seinen Bedrohungen und Risiken dar, leitet daraus Skizzen für Staaten, aber auch nichtstaatliche weitere Entwicklungen ab, um schließlich auf Anforderungen an Akteure in den Bereich des Mögli- D chen. Streitkräfte im Einsatz von heute und morgen einzugehen. • Ballistische Lenkwaffen gewinnen 1. Schöne heile Welt 2. Bedrohungs- und Risikoanalyse als Trägermittel für Massenver- nichtungswaffen an Bedeutung, Einleitend ein vertrautes Bild: 2.1Ausgangslage das Wettrennen um die größte Berlin, eine Metropole inmitten eines Reichweite läuft. wiedervereinigten Deutschlands, Das sicherheitspolitische Umfeld • Die Proliferation von MVW, ihrer Deutschland inmitten eines friedli- der Bundesrepublik Deutschland hat Einzelkomponenten und Träger- chen militärischen Bündnisses, in- sich in den vergangenen Jahren mittel sowie relevanter Technologi- mitten einer politischen Union, die grundlegend verändert. Deutschland en können durch Nichtverbrei- beginnt Staaten überflüssig werden liegt heute in der Mitte eines einzig- tungs- und Exportkontrollregime zu lassen. artigen europäischen und transatlan- nur begrenzt, aber nicht zuverläs- Berlin ist eine weltoffene Stadt tischen Stabilitätsraumes, für den eine sig unterbunden werden. ohne Feinde. Jeder kann kommen existentielle konventionelle militäri- • Trotz aller Bemühungen um Abrüs- und gehen, wie, mit was und mit wem sche Bedrohung auf absehbare Zeit tung und Rüstungskontrolle ist er will. Eine typische Großstadt einer nicht erkennbar ist. deshalb eine gesicherte weltweite freien, offenen, technisierten, mobi- Trotz dieser historisch günstigen Vernichtung von MVW aus heuti- len Gesellschaft. sicherheitspolitischen Bestandsauf- ger Perspektiv weder mittel- noch Demgegenüber stelle man sich nahme ist die Sicherheit Deutsch- langfristig zu erwarten. eine vergleichbare Stadt irgendwo in lands und seiner Bündnispartner einer Krisenregion vielschichtiger heute ganz konkreten Bedrohungen Zur Bedrohung durch die einzel- Konflikte vor. So wenig wie man be- und wachsenden Risiken ausgesetzt. nen Arten von MVW in aller Kürze: merkt, wann, wie, von wem und zu Im Vordergrund stehen dabei die welchem Zweck eine Satelliten- Gefahren durch die Weiterverbrei- Atomare Waffen aufnahme entsteht und wozu sie ge- tung (Proliferation) von Massenver- Eine weltweite Verbreitung von nutzt wird, so wenig wird man bemer- nichtungswaffen und asymmetrische Nuklearwaffen konnte durch den ken, was über Wasserwege, über den Bedrohungen1), insbesondere durch Nichtverbreitungsvertrag bislang be- Luftraum, auf Straßen, Pfaden und den Internationalen Terrorismus. grenzt werden. Demgegenüber steht durch die Kanalisation oder über der Unsicherheitstransfer durch A- Informationskanäle kommt und geht. Die wichtigsten Trends der Waffen. Man wird auch nie über das Wann et- Bedrohung durch Massenver- Einige Nuklearmächte stehen was wissen. Man wird auch nie wis- nichtungswaffen (MVW) – atoma- noch abseits des Nichtverbreitungs- sen, ob man plötzlich zu Hause – ab- re, biologische und chemische Waf- regimes. Der Besitz von nuklearen seits einer Krisenregion – Teil eines fen (ABC-Waffen) – sind: Gefechtsköpfen, erfolgreiche Tests fernen Konfliktes wird. • Die Verbreitung von Nuklearwaffen von Nuklearwaffen, führen zu Span- Dieser erste, frustrierende Ein- hält an; einige Staaten bemühen nungen in regionalem Umfeld und druck soll durch die Skizze der Be- sich intensiv um den Besitz von bergen das Risiko, dass – ausgehend drohungs- und Risikoanalyse und Nuklearwaffen. von konventionellen Konflikten – der anschließend der daraus folgernden • Die Zahl der selbst MVW herstel- Einsatz auch von Nuklearwaffen Betrachtung wahrscheinlicher Be- lenden und besitzenden Länder möglich wird. drohungsszenarien der Zukunft illus- steigt. Nichtnuklear bewaffnete Regio- triert werden. Auf dieser Basis kön- • Chemiewaffenprogramme werden nalanrainer können sich zudem her- nen daraus Schlussfolgerungen für laufend verfeinert. ausgefordert sehen, ein eigenes nuk- die Streitkräfte gezogen werden. • Die terroristische Nutzung der Bio- leares oder sonstiges Abschre- ckungspotential aufzubauen. 1) In „asymmetrischen Konflikten“ sind die Konfliktparteien unterschiedlich ausgeprägt be- Bedrohungsrelevant ist vor allem züglich ihrer Voraussetzungen (z.B. Bildung, Industrialisierung, Vorräte, etc.) und Mittel (z.B. Finanzen, Größe von Streitkräften, Ausrüstung von Sicherheitskräften, etc.) sowie ih- die Weiterverbreitung von Waffen rer Einordnung in den Kontext der Konflikte (mittelbare/unmittelbare Betroffenheit, Kampf und Technologie über und durch um das Überleben/Kampf um Interessen, Heimat als Krisenschauplatz/Einsatz fern der Dritte sowie der globale Wissens- Heimat etc.). Das Ausmaß der Abweichung bestimmt den Grad der Asymmetrie. transfer, der immer mehr Staaten Zu- Die Ungleichheit in personellen, legitimatorischen und strukturellen Ressourcen macht die gang zu entsprechenden Technolo- Asymmetrie aus. gien verschafft.

20 AUFTRAG 255 BEDROHUNG UND MODERNE STREITKRÄFTE

Biologische Waffen Schon der Einsatz eines einzel- Nur einige Schlagworte aus der Biologische Waffen sind zwar nen Flugkörpers, bestückt mit biolo- jüngeren Vergangenheit dazu: durch das Übereinkommen über das gischen oder chemischen Gefechts- • die Antrax-Briefe in den USA, Verbot biologischer Waffen (BWÜ) köpfen, kann verheerende Auswir- • der Sarin-Angriff der AUM-Sekte international geächtet. Bei einigen kungen, insbesondere politischer in Japan, Staaten bestehen jedoch Zweifel an und psychologischer Natur nach sich • die Drohung von Terroristen mit ra- ihrer Vertragstreue. ziehen. diologischen Waffen, sogenannten Hinzu kommt die „Dual-use- Die Bedrohung Deutschlands er- „Dirty Bombs“. Problematik“ von biologischen Wirk- gibt sich aus den Reichweiten der stoffen (Kampfstoffe und Impfstoffe), Trägermittel, also welche Raketen Hierbei ist die Trägertechnologie welche die Möglichkeiten eines ef- können von wo aus Deutschland tref- weniger Teil der Proliferation an fektiven Kontrollregimes ganz erheb- fen. Man kennt die Karten mit einge- nichtstaatliche Akteure, diese bleibt lich begrenzt. zeichneten Reichweitenkreisen. Die- eher Staaten vorbehalten, da sie in se Betrachtungsweise berücksichtigt der Verwendung, Erhaltung und ih- Chemische Waffen nicht deutsche Kräfte im Auslands- rem Einsatz sehr aufwendig ist. So Auch nach Inkrafttreten des Che- einsatz und andere deutsche Interes- versuchen Staaten, die zum Einsatz miewaffen-Übereinkommens verfü- sen weltweit, ob es z.B. Gebiete mit von Trägermitteln in der Lage wären, gen zahlreiche Staaten über Arsenale deutschen Staatsbürgern – Diploma- diese zu bekommen, um so in Ver- an C-Waffen oder aber die Fähigkeit, ten, Unternehmen, Touristen – oder bindung mit chemischen, biologi- diese in kurzer Zeit herzustellen. Wirtschaftsregionen sind. schen oder radiologischen Waffen in Eine direkte militärische Bedro- Neben dem zunehmenden Be- den Besitz von bedrohungsrelevanten hung Deutschlands durch ABC-Waf- streben nach Beschaffung ballisti- MVW zu gelangen: die „Atombombe fen wird daraus derzeit nicht abgelei- scher Flugkörper hat die varianten- des kleinen Mannes“. tet. Jedoch hätte jeder nukleare Kon- reiche Entwicklung von unbemann- Mittel zur Verbringung von MVM flikt weltweite Auswirkungen (siehe ten luftgestützten Trägern (UAV = für nichtsstaatliche terroristische Ak- Tschernobyl alleine hinsichtlich der unmanned aerial vehicles) an Bedeu- teure sind Rucksackbomben, ver- physischen Folgen). Der Einsatz von tung gewonnen. Aber auch der Be- bracht in den diversen Verkehrsmit- B- oder C-Kampstoffen ist militä- reich der Marschflugkörper wird, teln einer hypermobilen Gesell- risch in Deutschland nicht zu erwar- nicht zuletzt aufgrund der freien Ver- schaft. ten, die Nutzung durch terroristische fügbarkeit wichtiger Schlüsseltech- Kräfte jedoch nicht auszuschließen. nologien (wie GPS, Computer, Auto- 2.3Internationaler Terrorismus Für deutsche Streitkräfte in Aus- piloten, Luftfahrzeugbaugruppen), im Weiteren landseinsätzen besteht grundsätzlich zum Interesse einer deutlich wach- dieses Risiko aufgrund unkonventio- senden Entwicklungsarbeit. Die Globalisierung des Internati- neller Kampfhandlungen und dem Nicht zu vergessen sind die onalen Terrorismus führt zu einer möglichen Einsatz terroristischer Trägermittel der asymmetrischen möglichen weltweiten Gefährdung Mittel durch die Konfliktparteien Kriegsführung: Pakete, Koffer, Ruck- unserer Sicherheitsinteressen. Neu oder irreguläre Kräfte. säcke. Das führt zum folgenden As- ist dieser internationale Terrorismus pekt, der terroristischen Bedrohung nicht, nur die Intensität und die Fre- Trägermittel, die erst den Ein- in diesem Feld. quenz haben zugenommen. Er kann satz von ABC-Waffen außerhalb des jederzeit und überall zuschlagen. eigenen Territoriums ermöglichen, 2.2Terroristische Bedrohung Die besondere Verwundbarkeit gehören in diese Bedrohungskate- durch MVW/-mittel. moderner und offener Gesellschaften gorie. bietet aggressiven nichtstaatlichen Nichtmitglieder des „Raketen- Kennzeichen des transnationalen und staatlichen Akteuren gleicher- technologiekontrollregimes“ (Missile Terrorismus sind seine Unkalkulier- maßen Ansatzpunkte für die Anwen- Technology Control Regime, MTCR) barkeit, die Vielfältigkeit der Bedro- dung asymmetrischer Formen von verfügen durch Fremderwerb oder au- hungsformen und die Globalisierung Gewalt. Vor allem aber ist Konflikt- tarke Eigenproduktion über Träger- seiner Kriegführung. Massenvernich- austragung mit terroristischen Mit- technologie und verbreiten diese wei- tungswaffen sind ideale Instrumente teln ein gängiges Mittel in bewaffne- ter. Infolgedessen hat die Raketen- dieser Kriegsführung. ten Konflikten zwischen Staaten, in- proliferation in den letzten Jahren er- Zum einen sind die Mechanis- nerstaatlich oder zwischen beliebigen heblich zugenommen mit ernsthaften men der Abschreckung gegen einen Gruppierungen insbesondere in asym- Risiken für die Stabilität der betrof- subversiven Gegner wirkungslos. metrischen Konflikten geworden. fenen Regionen und absehbar darü- Zum anderen lässt sich ein größtmög- Verschärft wird die Bedrohung ber hinaus. Das herausragende Bei- licher Schaden in der verwundbaren durch die hemmungslose Verbrei- spiel der jüngeren Vergangenheit, ist Flanke der technologisch überlege- tung von Waffen und Kampfmitteln der Technologietransfer zwischen nen westlichen Welt anrichten, der durch den internationalen Waffen- arabischen und asiatischen Staaten, seine auf Sicherheit, Prosperität und handel, einem Milliardenmarkt, der häufig mit eigenen Weiterentwick- individuelle Freiheit angelegte zivile von der Handgranate über den lungen auf Basis der Technologie des und wirtschaftliche Ordnung ins Kampfhubschrauber bis hin zu voll- ehemaligen Warschauer Pakts. Chaos stürzen kann. ständigen Kampfeinheiten alles bie-

AUFTRAG 255 21 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK RISIKOANALYSE UND STREITKRÄFTE

Die destabilisierenden Auswir- kungen von Umweltschäden, Klima- REGIONALKRISEN UND -KONFLIKTE wandel oder Ressourcenverknappung werden sich verschärfen. Insgesamt müssen wir uns deshalb mit Blick auf unsere nationale Sicherheit auf eine Epoche der Gärung und Unruhe ein- stellen.

3.1Krisen und Konflikte Insgesamt lassen sich sechs ver- schiedene Grobkategorien von Konf- likten identifizieren, die auch in Zu- kunft eine Rolle spielen werden. • Autonomie-/Sezessionskonflikte, • Regional begrenzte Grenzkonflikte, • National-hegemoniale bzw. natio- nalistische Status-/Territorialkon- flikte, tet. Flugabwehrraketen stellen hierin Afrika südlich der Sahara wird ab- • Substaatliche Fragmentierungs-/ eine besondere Form der Bedrohung sehbar ein Krisenherd bleiben, ge- Zerfalls-/Destabilisierungskon- dar. Der Teufelskreis schließt sich in kennzeichnet durch zahlreiche in- flikte, der gewaltsamen oder kriminellen ner- und zwischenstaatliche, bewaff- • Ethno-nationalistische/ethno- Beschaffung der Mittel, um diese nete Konflikte und sehr schwierige territoriale Konflikte mit Anti- Waffen zu bezahlen. ökonomische, soziale und ökologi- regime-Charakter, sche Rahmenbedingungen. • Ethno-politische/ethno-soziale 2.4Regionalkrisen und Hinzu kommen transnationale innerstaatliche Verteilungskon- Regionalkonflikte Risikofaktoren, die Abhängigkeit von flikte mit vorwiegend ökonomi- Energie, die Versorgung mit Wasser scher Zielsetzung. Ob der Balkan, als ein Instabili- und Nahrung und die Klima- und tätsfaktor in Europa oder das Europa Umweltbedingungen stellen schon Diese Szenarien sind unbedingt ferne ehemalige Taliban-Afghanistan heute auch Risikofaktoren für unsere in der Analyse mit der Bedrohung als Ausbildungs- und Rückzugsraum Sicherheit dar, weil das damit ver- durch MVW, unbeschränktem Waffen- für den Internationalen Terrorismus, bundene Konfliktpotenzial im Rin- handel und terroristischer Krieg- beide belegen exemplarisch, dass gen um Ressourcen und Lebens- führung zu verknüpfen. Dadurch Krisenherde, unabhängig von der ge- chancen unter den Bedingungen ex- wird das Bedrohungs- und Eskala- ographischen Entfernung, zu großen trem gegenläufiger demographischer tionspotenzial zunächst begrenzter Instabilitäten mit mittel- oder unmit- und zivilisatorischer Entwicklungen Konflikte deutlich und implizieren telbarer Wirkung auch auf deutsche zu gesellschaftlichen Verwerfungen, erstens damit die mögliche Relevanz Sicherheitsinteressen führen. Migrationsströmen, Krisen und Konf- für uns, auch wenn sie fernab liegen, Im größeren regionalen Kontext likten führen kann. zweitens, werden dadurch die Anfor- rückt ein vom Maghreb südlich in die derungen an Streitkräfte deutlich, die Subsahara und ostwärts über den Na- dort und dagegen zum Einsatz kom- hen und Mittleren Osten bis nach 3. Bedrohungsszenarien men sollen. Zentral-, Süd- und Südostasien rei- chender Ländergürtel ausgeprägter der Zukunft In dem Zusammenhang stellt Instabilitäten und Sicherheitsrisiken sich die Frage, in welchen Räumen in den Blickpunkt der Betrachtung. Aus den schlaglichtartig darge- Militär operieren wird. In den Regionen Naher und Mittlerer stellten Risiken von heute, erwach- Militärische Operationen wer- Osten sowie Nordafrika können mit- sen die Bedrohungen von morgen. den künftig in fünf Räumen ge- telfristig Risikofaktoren wie Bevölke- Unsere Sicherheit wird auch in führt: rungswachstum, religiöse Radikali- Zukunft durch staatliche, zuneh- • Wie bisher auf dem Land, sierung, Wassermangel bei gleich- mend jedoch durch nicht-staatliche • zur See, zeitig wesentlich verbesserten Rüs- Akteure beeinträchtigt. Generell und • in der Luft, außerdem tungspotentialen in einzelnen Staa- gemessen an unserem Umfeld und • im Weltraum und ten in zunehmendem Maße die potenziellen Gegnern, ist zu erwar- • im Informationsraum. Sicherheitslage negativ beeinflussen. ten, dass das Monopol von Staaten Gleichwohl bleibt der Boden- Die Spannungen in Asien zwischen zur Kriegsführung zu Gunsten einer kampf stets die entscheidende Kate- den Nuklearwaffen besitzenden Staa- tendenziellen „Privatisierung“ einer gorie, weil die strategische Entschei- ten Indien, Pakistan und China ha- asymmetrisch ausgerichteten Kriegs- dung auch in Zeiten orbitaler Opera- ben eine globale Bedeutung erreicht. führung erodieren wird. tionsbasen weiterhin um Landmasse

22 AUFTRAG 255 BEDROHUNG UND MODERNE STREITKRÄFTE ausgefochten werden wird. Ob als gen Augenblicken lahmgelegt wer- Kultur-, Lebens- oder Ressourcen- 3.3Asymmetrische Formen den. Und niemand weiß wie, wo und raum, in Konflikten der Zukunft wird der Gewalt durch wen oder ob überhaupt ein An- es auch darum gehen, Land, ein be- griff erfolgte. stimmtes Stück Erdoberfläche, zu er- Künftige asymmetrische Strate- Zum Kampf im Informationsraum obern, zu verteidigen oder zu kontrol- gien zielen unmittelbar auf die Ver- gehört vor allem auch der Kampf mit lieren. Mit welcher Motivation und wundbarkeit der modernen Gesell- Informationen: der Einfluss und die Zielsetzung auch immer. schaft: Freiheit und Freizügigkeit, Nutzung von Medien wird u.a. sehr Hypermobilität, Hochtechnologie, deutlich am Irakkrieg und dem 3.2Akteure Wohlstand sowie Unversehrtheit von Nachkriegsirak. Person und Umwelt. Die Erosion des Staatsmonopols Im asymmetrischen Konflikt ste- Neue Technologien – Merk- zur Kriegsführung, oder nach Her- hen sich u.a. gegenüber: male unserer modernen Gesellschaf- fried Münkler, die Privatisierung des • ungleiche Aufwandsverteilung zwi- ten – bergen zusätzliche Risiken: Krieges (Die neuen Kriege, Reinbek, schen Angreifer und Verteidiger • zweifache Nutzbarkeit moderner 2002), ist und bleibt ein vielen künf- (umfangreiche Prävention gegen Technologien („Dual-Use-Proble- tigen Krisengebieten gemeinsames Autobombe oder Flugabwehrrake- matik“), Kennzeichen. Hierbei haben die te), gleichbedeutend mit den ent- • Gentechnik bietet erhebliche Miss- Konfliktparteien häufig kein Interes- stehenden Kosten, brauchsoptionen für biologische se an einer Beendigung der Ausein- • regelverpflichtet gegen regellos, Kriegsführung und Bioterrorismus, andersetzung, da diese ihre wirt- • fair gegen unfair sowie schaftliche und/oder existentielle • Miniaturisierung der Gerätetech- • der Wille zur gesunden Rückkehr nik kann den Einsatz von Waffen Basis darstellt. Sie verdanken dem in die Heimat gegen die Bereit- Konflikt ihre Macht und ihre Wohl- überall möglich und unkontrollier- schaft zu Sterben (Martin van bar machen, fahrt. Es wird zu einer Vervielfälti- Creveld, Die Zukunft des Krieges, • Cyberwar – der Kampf in der virtu- gung der Akteure kommen: Hamburg, 1998: z.B. Gesellschaf- ellen Welt von Netzen und prozes- • Problemstaaten, ten, in denen das Leben nichts mehr sorgesteuerter Technologie, der vir- • nichtstaatliche Kriegsherren und bieten kann, der Tod als Held oder Warlords, Märtyrer jedoch Ehre oder auch die tuelle Krieg im Informationsraum • Terroristen, Extremisten und materielle Versorgung der Familie mit sehr realen Folgen – der heute Glaubenskämpfer, gewährleistet.). in Möglichkeiten und Gefahren • nicht zuletzt wirtschaftlich und nicht abschließend abschätzbar ist. kriminell operierende Organi- Während der Angreifer bei der sationen. Wahl von Ort, Zeitpunkt und Mittel Nichtmilitärische Risiken sind Privatisierung findet im übrigen seines Angriffs die Initiative hat, Teil oder Auslöser von Konflikten, auf beiden Seiten statt: In Krisen- kann der Verteidiger seinen Schutz Nebenerscheinungen und/oder Fol- regionen durch Kriegsfürsten, Ge- nur erzielen, wenn er an jedem Ort, gen von zukünftigen Auseinanderset- schäftemacher oder Terroristen im zu jeder Zeit alle verfügbaren Mittel zungen: Vakuum staatlicher Gewalt auf der aktiviert hat. • Wohlstandsgefälle, einen, durch private Militär- und Die heute schon erkennbaren • Besitzlosigkeit, Sicherheitsfirmen – Contractor-Ein- Möglichkeiten des Informations- • ungleiche Ressourcenverteilung sätze – in Stellvertretung oder in Er- kriegs und von Angriffen mit biotech- und der Kampf darum, gänzung zu regulären Kräften auf der nisch produzierten Massenvernich- • ökologische Krisen sowie anderen Seite. Kindersoldaten und tungswaffen lassen erwarten, dass in • Epidemien, Bevölkerungswachs- instrumentalisierte Bevölkerung er- künftigen internationalen Konflikten tum und Migrationsströme. gänzen dieses traurige Szenario. die Erfolgschancen asymmetrischer Oder zusammengefasst: der Kampf Rechtlosigkeit wird so gefördert, Strategien durch neue Technologien um das nackte Überleben. Konflikte werden so mehrdimensional noch weiter begünstigt werden. durch parallele Gefechtsführung auf Insbesondere in der Informa- Viele Elemente der Gefahren verschiedenen Ebenen zwischen ver- tionstechnologie hat sich eine fast und Risiken haben gemein, dass sie schiedensten Akteuren ausgetragen. schon besorgniserregende Abhängig- weder vor politischen, noch vor geo- Die Verbindungen zwischen dem keit moderner und wohlhabender Ge- graphischen Grenzen halt machen. Organisierten Verbrechen (Men- sellschaften entwickelt. Ein Beispiel Der Glaube, sich einkapseln zu kön- schen-, Drogen- und Waffenhandel, von vielen ist der „niedersächsische nen, ist im Zeitalter der Globalisie- Korruption, Erpressung, Geldwä- Computervirus“ des Frühjahrs 2004: rung, hier der Globalisierung von sche) und Internationalem Terroris- ein 18-Jähriger mit ein paar Freun- Konfliktaustragung und Gewalt, eine mus werden enger und können sich den gegen den Rest der IT-Welt. Illusion. zu einer vitalen Bedrohungen für Ge- Versorgungs-, Wirtschafts-, Finanz- Der dritte und abschließende sellschaft und Wirtschaft in jedem und Kommunikationssysteme, nicht Abschnitt, zeigt aus dem Vorherge- Staat und Staatengemeinschaften zuletzt sicherheitsrelevante und mili- henden die Folgerungen für die entwickeln. tärische Systeme können so in weni- Streitkräfte auf.

AUFTRAG 255 23 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK RISIKOANALYSE UND STREITKRÄFTE

nen. Dafür gilt es im Weiteren, ein konventionelle Waffen, über ter- 4. Folgerungen für die Streitkräfte entsprechendes Fähigkeitsprofil zu roristische Attacken mit Raketen entwickeln: und Sprengstoffen, bis hin zu An- Die Merkmale der Bedrohun- (1) Streitkräfte und ihre Führung be- griffen mit biologischen oder gen und Gefahren gegenwärtiger nötigen rechtzeitig den Über- chemischen Wirkmitteln orien- sowie möglicher zukünftiger Konflik- blick und Informationen über tieren. Um zu jeder Zeit und te werden kompakt zusammenge- Lage, Entwicklungen, Fähigkei- überall überleben und den Auf- fasst, um daraus die Herausforderun- ten, Bedrohungen in der Welt im trag erfüllen zu können, muss die gen und Anforderungen für Streit- Allgemeinen und im Besonderen Ausstattung für verschiedenste kräfte abzuleiten: in definierten Regionen, also Regionen und Umweltbedin- • Vielfalt von Akteuren und Mitteln Einsatz- und Interessengebieten. gungen anpassbar sein. und Bedrohungen ohne Trenn- Dort müssen sie jederzeit über (6) Alles das kann im Einsatzfall nur schärfe ein erschöpfendes Lagebild ver- auf Dauer vorgehalten und abge- • Krisen- und Konfliktherde weltweit fügen, Nachrichtengewinnung leistet werden, wenn die Unter- • 5 Operationsräume (der Informa- und Aufklärung betreiben kön- stützung und Durchhaltefä- tionsraum ist herauszuheben) nen. higkeit von vorn herein gewähr- • kein klassischer Kriegsschauplatz (2) Streitkräfte müssen jederzeit und leistet ist. Die von Beginn an vor- mehr, wir haben immer eine 360- an jedem Ort durch geeignete handene und ununterbrochen ge- Grad-Front schlanke Führungsstrukturen und leistete Unterstützung vom Hei- • Proliferation aller Arten von Waf- einsatzorientierte Kommandos so- matland nach Überall, mit allem fen und Kampfmitteln nach überall wie dazu passende Kommunika- was im Einsatz gebraucht wird, • MVW, Trägermittel tionsmittel die Führungsfähig- sowie die Fähigkeit Personal re- • Hochtechnologie, Dual-use-Güter keit gewährleisten zu können. gelmäßig abzulösen, zu ersetzen • terroristische Kampfführung (dabei (3) Wegen der Unwägbarkeit mögli- oder zu verstärken, ermöglicht MVM) cher Einsatzorte (ob an den gleichbleibende Leistung im • Grenzenlosigkeit Grenzen des Bündnisgebietes Einsatz vor Ort. Nur so ist Glaub- • Regellosigkeit oder in fernen Ländern), der Auf- würdigkeit und Abschreckungs- • Privatisierung von Kriegen (macht- rechterhaltung der Verbindung fähigkeit gegeben. Die Einbe- orientierte oder ideologische oder zwischen Heimatland und Ein- ziehung von Reservisten ist hier, ökonomische Zweckbündnisse) satzgebiet zur Versorgung und die aktuellen Einsätze zeigen es, • Vermischung mit organisierter Kri- zum Kräftewechsel, zur Evakuie- unverzichtbar. Eine weitere minalität rung und kurzfristigen Verstär- wichtige Rolle, hier jedoch nur • Not, Elend, Epidemien, Flücht- kung, schließlich um durch Be- am Rande erwähnt, spielen die in lingsbewegungen, ökologische Ka- weglichkeit vor Ort Kräfte zweck- den privaten Sektor ausgelager- tastrophen, Verteilungskämpfe mäßig einsetzen zu können, ist ten Dienstleistungen. • hohe Dynamik im Wechsel von In- Mobilität eine unverzichtbare tensität und Ausdehnung der Kon- Forderung. Diese sechs miteinander ver- fliktaustragung (4) Die Wirksamkeit im Einsatz zahnten Fähigkeitskategorien er- ist durch bedrohungsgerechte geben das Fähigkeitsprofil der Dem müssen Streitkräfte Ausbildung und Ausrüstung si- Streitkräfte, mit welchem sie sich begegnen. cherzustellen. Waffen, Waffen- heutigen und zukünftigen Bedrohun- Bei der Herausarbeitung der Fol- systeme und Kampfmittel müs- gen stellen können. Solche Streit- gerungen für die Streitkräfte ist vor sen sich konventionellen Streit- kräfte müssen zur vernetzten allem zu beachten, dass eine Vielzahl kräften ebenso wie marodieren- Operationsführung befähigt wer- der aufgeführten Bedrohungen über- den Banden geeignet stellen kön- den, so dass sie im ständigen Kreis- haupt nicht oder jedenfalls nur sehr nen. Sie müssen aber auch hel- lauf des Verbunds von Aufklärung, begrenzt mit dem Einsatz von Streit- fen, Aufgaben mit polizeilichem Führung und Wirkung, den zeitli- kräften bekämpft werden können. Charakter erfüllen zu können. chen, informationellen, technologi- Ein erster Mosaikstein der Folge- Dabei ist zu berücksichtigen, schen und waffenwirksamen Vorteil rungen ist also einerseits die realisti- dass diese gesamte Palette an ei- gegenüber dem Gegner nachhaltig sche Analyse, welcher Bedrohung nem Schauplatz verlangt wird, ausnutzen können. Das ist eine der wir mit Streitkräften begegnen kön- wie die Erfahrungen zeigen. wenigen nachhaltigen Wirkungen ge- nen und andererseits, wie man die (5) Damit eng verbunden ist die Op- gen einen unkonventionellen, asym- Streitkräfte im Einsatz zumindest vor timierung von Überlebens- metrisch und regellos agierenden daraus erwachsenden Gefahren fähigkeit und Schutz der Kräf- Gegner. schützen kann. te, ebenfalls durch die bestmög- Interoperabilität als Schlüssel Streitkräfte müssen zunächst ein liche Schutzausstattung. Diese zu Streitkräftegemeinsamkeit und hohes Maß an Flexibilität in Einstel- Ausrüstung und Ausbildung Multinationalität als weitere Merk- lung, Personal, Struktur und Material muss sich insbesondere an der male moderner Einsatzdurchfüh- haben, um der Vielfalt und der Un- Bedrohung über die gesamte rung ergänzen die Fähigkeiten sinn- wägbarkeit Rechnung tragen zu kön- Bandbreite von Steinwürfen über gemäß.

24 AUFTRAG 255 BEDROHUNG UND MODERNE STREITKRÄFTE

Streitkräften ist, so wichtig ist 3. Frustration in der Betrachtung 5. Zusammenfassung auch, dass sie nicht überfordert der Realitäten ist natürlich. Re- werden und – mehr oder weniger signation ist tödlich. Hoffnung In drei Aspekten zusammenge- überraschend – ihre originäre gibt es. fasst heißt das, Aufgabe nicht mehr leisten kön- Vor ein paar Jahrzehnten 1. Die Risiken und Gefahren sind nen. herrschte Agonie in den Trüm- vielfältig, schnell wechselnd und mern Europas des Zweiten Welt- unberechenbar. Die Menschheit 2. Der Soldat als Mensch. Ihm kann krieges. Vor wenigen Jahren noch hat noch kein gemeinsames Ver- nicht einfach ein Profil verordnet bildeten zwei deutsche Armeen ständnis über das friedliche Mit- werden. Er erwirbt es sich durch beiderseits der innerdeutschen einander entwickelt. Lernen und Erfahren. Neben Grenze den Krieg gegeneinander Das Bild gewaltsamer Ausein- fachlicher und soziokultureller aus. Mittlerweile bilden wir im andersetzungen hat sich in die- Kompetenz, braucht der Soldat vereinten Europa für gemeinsa- sem Kontext vollständig verän- vor allem moralisches Rüstzeug. me multinationale Friedensein- dert. Ebenso vollständig müssen In den modernen Konflikten sätze aus. In einigen Jahren wer- sich Streitkräfte wandeln, um der gerät alles aus den Fugen. Erleb- den nationale Streitkräfte in ei- Falle der reaktiven Anpassung zu te unvorstellbare Grausamkeiten ner europäischen Armee aufge- entgehen. an Unbeteiligten und an dem Ne- hen. Die Vielfalt der Bedrohungen benmann in der Patrouille dürfen verlangt auch die Vielfalt der Ge- nicht Jähzorn und Rache nach Vor 200 Jahren starb Immanuel genmaßnahmen. Streitkräfte sind sich ziehen. Gleichzeitig muss Kant. Seine Idee vom „Ewigen heute nunmehr Teil eines Sys- der Sinn erkennbar sein, warum Frieden“, der von Vernunft und tems, das in seiner Gesamtheit und wozu der Soldat all das erle- Recht getragen wird, hat sich in gegen diese Gegner und Gefah- ben und erleiden muss. Teilen durchgesetzt und sie wird ren vorgehen muss. So wichtig Das ist die größte Herausforde- sich weiter durchsetzen. Wir wie die Erweiterung und Verbes- rung für die Streitkräfte und die brauchen nur Geduld und Aus- serung der Fähigkeiten von Gesellschaft. dauer. ❏

FOLGERUNGEN FÜR DIE STREITKRÄFTE

NetOpFü tz M sa o Ein bil m it it i ät ke am rks Wi

ng und Nachrichtengew Unterstützu innung Fähigkeits- ltefähigkeit und Aufklärung Durchha Profil Ü t be ei rle joint combined gk un be hi d ns fä Sc fä s h hi ng ut gk u z eit hr Fü Interoperabilität

AUFTRAG 255 25 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

BUCHREIHE „FORUM INNERE FÜHRUNG“ Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte

um ersten Male werden in „Der 11. September 2001 hat die Dies gelte für die nationale Ebe- der Buchreihe ‘Forum Inne- Welt verändert. Terroristische An- ne in ähnlicher Weise wie für die in- „Zre Führung’ völker- und schläge bis dahin nicht gekannter Art ternationale. Auch hier sei zu prüfen, wehrrechtliche Beiträge in der vor- und nicht geahndeten Ausmaßes er- ob die veränderte Lage, die ja auch liegenden Komplexität und Kom- schütterten nicht nur das unmittelbar mit der terroristischen Bedrohung in primiertheit vorgestellt. In einer Zeit betroffene Land. Die Reaktion der Deutschland in den 70-er und 80-er des sich rasant verändernden sicher- Staatengemeinschaft ließ nicht lange Jahren des 20. Jhs. nicht zu verglei- heitspolitischen Umfeldes müssen auf sich warten. Internationale Ver- chen sei, nicht besondere Gegen- sich Streitkräfte auf völlig neue Auf- einbarungen zur Bekämpfung des maßnahmen notwendig mache bis gaben und Handlungsfelder einstel- Terrorismus wurden geschlossen, na- hin zum Einsatz der Streitkräfte. „Das len .... Dies gilt in besonderer Weise tionale „Sicherheitspakete“ ge- Grundgesetz trifft anders als Verfas- für die Bundeswehr“, heißt es im Ge- schnürt. Und auch militärische Ope- sungen anderer Staaten eine deutli- leitwort von Band 24 „Rechtsfragen rationen gegen den Terrorismus be- che Unterscheidung zwischen inne- der Terrorismusbekämpfung durch gannen auf globaler Ebene“, beginnt rer und äußerer Sicherheit und den Streitkräfte. Darin heben der Bun- das Vorwort des vorliegenden Bandes jeweils in ihrer Gewährleistung beru- deswehr-Verbandsvorsitzende Oberst von Dr. Dieter Weingärtner. Er ist fenen Instruktionen. Und es erlegt Bernhard Gertz und der Leiter der Leiter der Rechtsabteilung des auf Grund historischer Erfahrungen Karl Theodor Molinari Stiftung e.V., Bundesministeriums der Verteidi- den Streitkräften enge Schranken für dem Bildungswerk des Bundeswehr- gung und Vorsitzender der Deut- einen Einsatz im Innern auf. Dabei Verbandes e.V., Oberst a.D. Franz schen Gesellschaft für Wehrrecht ist die Auslegung der maßgeblichen Josef Pütz, hervor, dass „der konkre- und Humanitäres Völkerrecht. Verfassungsbestimmungen im Ein- ten Bindung an Recht und Gesetz“ „Fragen nach der völkerrechtli- zelnen umstritten. Doch sollte auch dabei eine ganz besondere Bedeu- chen Legitimität einzelner insbeson- die Frage, ob die derzeitige Grenz- tung zukomme. „Recht und Soldati- dere militärischer Aktionen traten ziehung zwischen Polizei und Streit- sche Ordnung waren und blieben ein dabei zunächst in den Hintergrund. kräften angesichts der veränderten wichtiger Anwendungsbereich der Dies mag auch damit zusammenhän- Gefahrenlage noch angemessen ist, Konzeption der „Inneren Führung“. gen, dass das internationale Recht kein Tabuthema sein“, bemerkt der Leiter BMVg Rechtsabteilung. Von daher sei es unabdingbar, „die für viele der sich neu ergebenden Die Veröffentlichung der auf der sich fortentwickelnden Meinungen Rechtsprobleme keine eindeutigen angesprochenen Veranstaltung ge- und Auslegungen des Völkerrechts Antworten bereitstellt und die klassi- haltenen Vorträge, ergänzt um zwei im Auge zu behalten und am Rechts- schen völkerrechtlichen Kategorien weitere Beiträge sowie um zusam- rahmen für die Bundeswehr zu mes- auf die neuen Sachverhalte in man- menfassende Empfehlungen des He- sen“, unterstreichen die Verfasser cherlei Hinsicht nicht passen. Hinzu rausgebers, solle die juristische De- des Vorwortes. kommt, dass das Völkergewohnheits- batte vorantreiben, Hinweise zur Nach dem 11. September 2001 recht kein starres Rechtsgebiet ist, Rechtsanwendung geben und zu- seien der internationale Terrorismus sondern einer dynamischen Anpas- gleich ein Beitrag zur Politikbera- und seine Bekämpfung ein weites sung an die Rechtsauffassungen der tung leisten. Feld rechtlicher Fragestellungen. Dr. Staaten unterliegt. Ganz bewusst bildeten dabei Dieter Fleck habe zum übergreifen- Gleichwohl darf der politische Menschenrechtsfragen einen der den Thema „Rechtsfragen der Terro- Zwang zum Handeln die wissen- Schwerpunkte. „Menschenrechte stel- rismusbekämpfung durch Streitkräf- schaftliche Debatte über die Recht- len ein Kernelement des Rechtsstaa- te“ nicht nur die entsprechende Ta- mäßigkeit staatlicher Handlungen tes und unserer Kultur insgesamt dar. gung der Deutschen Gesellschaft für nicht verdrängen“, betont Dr. Wein- So berechtigt das Sicherheitsbedürf- Wehrrecht und Humanitäres Völker- gärtner. Über Jahrzehnte und Jahr- nis der Bevölkerung und so diffizil bei recht (am 26./27. Februar 2004 in hunderte entwickelte Rechtsgrund- staatlichen Maßnahmen die Ab- Bonn) organisiert, sondern er habe sätze dürften nicht allein deshalb wägung zwischen Sicherheit und Frei- auch dafür Sorge getragen, dass die über Bord geworfen werden, weil sie heit auch ist: Geraten im Kampf gegen entsprechenden Beiträge in dieser in der tagespolitisch geprägten Per- den Terrorismus die Menschenrechte Form der Öffentlichkeit vorgestellt zeption der Akteure einer effektiven in Vergessenheit, stellen wir unsere werden können. Dafür sprachen Bekämpfung von Risiken und Gefah- Werte selbst in Frage“, warnt Dr. Gertz und Pütz dem Herausgeber so- ren entgegenstünden. Auf der ande- Weingärtner am Ende seines Vorwor- wie den Autoren ihren Dank aus und ren Seite machten es die neuen tes. betonen abschließend: „Die Innere „asymmetrischen“ Bedrohungssze- Der nachfolgende Auszug aus Führung unserer Bundeswehr bleibt narien auch erforderlich , über die dem Inhaltsverzeichnis gibt einen uns Verpflichtung, dies gilt vor allem Legitimität zusätzlicher Instrumente Überblick über die aufgegriffenen für deren rechtlichen Rahmen.“ zu ihrer Bekämpfung nachzudenken. Themen und die Autoren:

26 AUFTRAG 255 TERRORISMUSBEKÄMPFUNG

I Einführung von Dieter Fleck MILITÄRBISCHOF MIXA ZU THEMEN: Teil A: Völkerrecht II Reaktionen auf ‘bewaffnete USA –Internationaler Strafgerichtshof – Folter Angriffe’ durch nichtstaatliche Akteure: Selbstverteidigung oder er katholische Militärbischof Walter Mixa hat die USA aufgefordert, Strafverfolgung das Statut des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag zu ratifi- von Christian Walter zieren. Verstöße gegen internationales Recht müssten in einem ge- III Der Begriff des Terrorismus und D rechten Prozess überprüft und gegebenenfalls geahndet werden, sagte Mixa der formale Friedensbegriff des am 17. Mai der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) in Lourdes. Völkerrechts und des innerstaat- lichen öffentlichen Rechts „Nach den Folterungen im Irak wäre es wünschenswert, ja sogar notwendig, von Martin Hochhuth diese Verbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu verhandeln“, IV Zu Auslandseinsätzen der Bundes- so Mixa. Einen ähnlichen, elementaren Verstoß gegen die Menschenwürde wehr in der Terrorismusbekäm- wie die Folterungen im Gefängnis Abu Chaid schloss der Bischof für die pfung. Analysen und Empfehlun- rund 7.700 im Ausland eingesetzten deutschen Soldaten aus. gen aus der Sicht des internatio- Die Bundeswehr vermittle den Soldaten in international vorbildlicher nalen Menschenrechtsschutzes Weise ethisches Verantwortungsbewusstsein. Der Militärbischof unter- von Wolfgang Heinz strich, daran sei auch die katholische Militärseelsorge beteiligt. Der V Die Menschenrechtsverpflich- lebenskundliche Unterricht trage zur ethischen Ausbildung bei, die hass- tungen von Streitkräften bei erfüllte und irrationale Verstöße gegen die Menschenwürde ausschlössen, antiterroristischen Maßnahmen betonte Mixa. Er unterstrich weiter die besonderen Gefahren der Bundes- im Ausland wehreinsätze im Ausland. Auch deutsche Soldaten könnten in Situationen von Roman Schmidt-Radefeldt kommen, in denen sie aus Notwehr den Tod ihres Angreifers in Kauf neh- VI Derogation von Menschenrechts- verpflichtungen in Notstandslagen men müssten. „Es ist klar, dass ein Soldat im Auslandseinsatz dem Tod von Stefanie Schmahl näher steht als ein Zivilbürger in Deutschland“, sagte Mixa. Neben der VII Die Anwendbarkeit des humani- geistlichen Betreuung während der Auslandsmissionen sei deshalb auch tären Völkerrechts auf terroristi- die Betreuung von in Deutschland gebliebenen Familienangehörigen ein sche Akte und ihre Bekämpfung Kernbereich der Militärseelsorge. von Silja Vöneky Folterungen im Irak scharf verurteilt Teil B: Verfassungsrecht Auch bei der Abschiedsfeier der 46. Internationalen Soldatenwallfahrt VIIIVerfassungsrechtliche Grundlagen am Sonntag, dem 16. Mai, in Lourdes verurteilte der Militärbischof die Fol- polizeiähnlicher Einsätze der Bun- terungen von irakischen Gefangenen auf das Schärfste. Er rief die Soldaten deswehr von Joachim Wieland auf, ihren christlichen Glauben nicht zu verstecken und einen persönli- IX Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr chen Beitrag zum interreligiösen Dialog der Kulturen zu leisten. Dazu sei- terroristischer Bedrohungen im Luftraum von Tade M. Spranger en Orte der geistlichen Begegnung wie Lourdes unverzichtbar. X Präventives Töten von Mordechai Kremnitzer Folter durch deutsche Soldaten für undenkbar Auch in einem Interview mit „Radio Vatikan“ (15.05.2004) machte Teil C: Gerichtliche Kontrolle Militärbischof Walter Mixa deutlich, er traue deutschen Soldaten im Aus- XI Die gerichtliche Kontrolle von landseinsatz keine Folterungen zu. Augenscheinlich seien die US-ameri- militärischen Operationen kanischen und britischen Soldaten im Irak zu wenig auf ihren Einsatz vor- von Heike Krieger bereitet worden, sagte Mixa. Deutsche Soldaten würden vor Auslandsein- Teil D: Empfehlungen des sätzen wochenlang geschult, was Sitten, Religionen und Eigenheiten des Herausgebers Einsatzlandes angehe. Dass deutsche Soldaten sich wie ihre amerikani- XII Vorschläge für Gesetzgebung, schen oder britischen Kameraden verhielten, sei völlig undenkbar. Exekutive und internationale Der Eichstätter Bischof wandte sich angesichts der Folterungen durch Zusammenarbeit amerikanische und britische Truppen im Irak gegen eine pauschale Verur- teilung von Soldaten. Folter sei jedoch auf gar keine Weise zu legitimieren. Anhang mit: English Summary, „Das ist gegen die Personenwürde des Menschen, und wenn jemand keine Autorenverzeichnis, Verzeichnis der geltenden Verträge und Aussage machen will, dann macht er eben keine Aussage. Aber jemanden Gesetze, Sachverzeichnis zu foltern, das halte ich für ganz unwürdig gegenüber der menschlichen Forum Innere Führung, Band 24: Person“, so Mixa weiter. Vor allem wenn es sich bei den Folterern um Dieter Fleck (Hrsg.), „Rechtsfragen Christen gehandelt habe, erschwere das die Situation ungemein: „Es ist ja der Terrorismusbekämpfung durch nicht so, dass diese Soldaten in einer Situation der Notwehr wären, sondern Streitkräfte“. Nomos Verlagsgesell- sie haben es ja mit wehrlosen Menschen zu tun.“ (KNA) schaft, Baden-Baden 2004. (bt)

AUFTRAG 255 27 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK

tinensern gibt. Ihre Geschichte ist Auf der Suche nach Toleranz zwischen den eine leidvolle seit Jahrhunderten. Dieser Erfahrungshintergrund hat mich auf Spurensuche nach Toleranz Konfliktparteien im Nahen und Mittleren Osten in diesem Pulverfass zwischen Israe- lis und Palästinensern, sowie Juden, THOMAS W. G EYER Christen und Muslime, Orientalen und Okzidentalen (Abendländer) ge- ie Spirale von Gewalt und Ter- aber auch, dass mir ein Mensch auf- macht. Daher die Fragen nach Hin- ror dreht und dreht sich. Und geladen wurde, den ich bereit bin, tergründen: Warum ist es so, wie es Dkeiner weiß wohin. Genutzt ein Stück seines Lebens mit zu tra- ist? Wieso konnte es zur Spirale von haben Gewalt und Gegengewalt in gen, ihn zu er-tragen, zu erdulden, Gewalt und Gegengewalt kommen? den vergangenen vier Jahren in Israel bis er wieder auf eigenen Füßen ste- Wo sehe ich Chancen den Teufels- und Palästina und zurzeit im Irak kei- hen kann. Das gilt nicht nur für das kreis zu durchbrechen ... Wider- nem. Im Gegenteil, sie haben viele einzelne Individuum, sondern auch spruch kann hilfreich sein bei der Unschuldige – Kinder und Erwachse- in der Beziehung zu Menschen- Suche nach einem gemeinsamen ne – das Leben gekostet oder sie für gruppen und Völkern. Weg zum Frieden im Heiligen Land den Rest ihres Lebens zu Invaliden In der Zeit, in der ich das und seiner näheren und weiteren verstümmelt. Nirgends hat dieses Schicksal anderer mittrage, finde Umgebung. Denn wenn Jerusalem „Spiel“ von Terror und Gewalt die ich immer mehr Verständnis für ihre den ersehnten Frieden findet, wird es Menschen in den betroffenen Ländern Probleme und lerne Hintergründe dem Frieden der einen Welt dienen. dem Frieden näher gebracht. ihrer Konflikte kennen. Die Zeit des Wie kann man diesen Teufels- Mittragens wird zum Lernprozess Hintergründe von Gewalt und kreis durchbrechen? Wo liegen die und führt zur Annäherung an die, Ursachen dieser tief greifenden Kon- die mir bisher fremd waren. Es Terror in Israel und Palästina – flikte? Kurz gesagt: Es mangelt bei macht mich bereit zum gemeinsa- Der Ausbruch der 1. Intifada den Konfliktparteien an der notwen- men Gespräch und Handeln. Im Dezember 1987 kam es zu digen Toleranz. Auf diesem Hintergrund langjäh- Unruhen in den von Israel besetzten Wo bleibt die Wirkkraft von To- riger Erfahrungen im Heiligen Land Gebieten. Dabei wurde ein Sech- leranz in der Begegnung von Men- will ich mich in diesem Abschnitt auf zehnjähriger, der mit Steinen warf, schen und Völkern? Es mag helfen, die Suche nach der Toleranz im Na- vom israelischen Militär erschossen. dass man den lateinischen Ursprung hen und Mittleren Osten machen. Seine Beisetzung wurde zu einer De- des Wortes „tolerare“ näher betrach- Zugegeben, als ich vor vierzehn Jah- monstration gegen die damals bereits tet. Dahinter steckt die Vorstellung, ren ins Heilige Land kam, war ich 20 Jahre andauernde Besatzung. dass man eine schwere Last aufgela- vollkommen unbedarft. Es gab für Während dieser Demonstration grif- den bekommt und diese auszuhalten mich die Juden im Lande, die zum fen die Soldaten ein und erschossen vermag wie ein Esel. Diese Last Teil den Holocaust überlebt und zwei weitere Jugendliche: Ein Fanal kann buchstäblich gemeint sein, nicht immer freiwillig Europa hinter für die so genannte erste Intifada. – sich gelassen hatten. Es gab Araber Intifada ist ein arabisches Wort und und Palästinenser, von deren Ge- meint „abschütteln“. Dahinter steckt schichte ich überhaupt nichts wuss- das Bild eines Esels, der bereit ist, te. Noch waren für mich Araber und eine Zeit lang schwere Lasten und Palästinenser ein und dasselbe, und auch seinen Herrn zu tragen. Es sie waren für mich wie für viele Euro- kommt aber die Zeit, da wird ihm die päer Muslime. Dass es unter ihnen Last zu schwer und er schüttelt sie ab. Christen gab, war mir nur ganz vage Diese so genannte erste Intifada bewusst. Erst in der Begegnung mit war die der Mütter und Kinder. Die den Menschen im Lande habe ich ge- Mütter schickten ihre Kinder zum lernt, dass es einen großen Unter- Steinewerfen an die „Front“. Sie soll- schied zwischen Arabern und Paläs- ten die Panzer mit Steinen bewerfen und so den Unmut der Bevölkerung mit der Besatzung zum Ausdruck „... Jerusalem, du starke Stadt, bringen. – Männer und Väter hielten dicht gebaut und festgefügt. ... Wer dich liebt sei in dir geborgen! sich durch passiven Widerstand im Wegen meiner Brüder und Freunde Hintergrund. Sie weigerten sich, will ich sagen: In dir sei Friede!“ (Ps 122) Steuern an die Besatzung zu zahlen Die Altstadt von Jerusalem: Hier sitzen und wanderten dafür ins Gefängnis. die drei monotheistischen Weltreligio- Die israelische Regierung war nen dicht an dicht. Ist Jerusalem eine der Überzeugung, dass dieser Auf- Stadt des Friedens, wie es Psalm 122 stand nur ein kurzes Intermezzo sein als Wunsch ausdrückt oder nicht eher würde. Dennoch überdauerte die ers- ein Ort ewiger Konflikte und Kämpfe? te Intifada den ersten Golfkrieg. Erst

28 AUFTRAG 255 KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN

Die neuste Errungenschaft, die Israel und Palästina trennt: Eine neun Meter hohe Mauer aus Beton, Zeichen der unüberbrückbaren Barriere auch in den Köpfen. Man kennt einander entweder als Besatzer oder als Terrorist, der Mensch bleibt auf der Strecke. Eine Stimme zur Trennmauer: „Ich verstehe die Angst und den Kummer von Israel. Ich bin mir aber sicher, dass die Mauer nicht die Antwort ist. Israel will sich vor den Angriffen der Terroristen schützen, aber die Wirklichkeit der Mauer trennt das Dorf von den Feldern, die Schule von den Kindern, das Krankenhaus von den Kranken; das alles ist schwierig zu verstehen. Es ist eine Antwort der Angst, die keinen Bestand haben wird, weil die Kraft der Ideen und die Kraft des Lebens alle Mauern überwindet.“ P. Pierbattista Pizzaballa OFM, im Mai vom Papst ernannter Leiter der Franziskaner-Kustodie im Heiligen Land

Zu Israels neuen Grenzsperren s.a. Beitrag auf Seite 31 mit den Osloverträgen Ende 1992 sein wollten. Araber war für sie gen bis in die Theologie (kontextuel- kam sie zum Erliegen. Israel musste gleichbedeutend mit Muslim. Aber le Theologie), die Verkündigung, anerkennen, dass es ein palästinensi- wer sind sie, die die Schulen deut- Pastoral und Katechese. In diesem sches Volk gibt, das ein Recht auf scher, italienischer und französi- Zusammenhang ist auch die erste Sy- Land und Heimat hat. Zum ersten scher katholischer Ordenleute oder node der katholischen Kirchen des Mal in ihrer langen Geschichte waren englische Schulen der Anglikaner Heiligen Landes (Lateiner, Melkiten, die Palästinenser nun als solche an- und deutsche Schulen der Luthera- unierte Syrer und Armenier, Chaldä- erkannt. Mit den Osloverträgen hat- ner, der Diakonissinnen und die er) zu nennen, die im Frühjahr 1999 ten sie eine Identität bekommen. Sie „Schneller-Schulen“ besuchten? Ein zusammentrat und ein starkes Selbst- wurden zu Vertragspartnern und wa- Beispiel: 1993, mitten in der Intifa- bewusstsein an den Tag legte. ren nicht mehr nur Besetzte. Seither da, publizierte der palästinensische Daher ist es für uns Europäer durften sie ihre Flagge öffentlich zei- Priester Rafiq Khoury die Schrift: wichtig, die folgende Frage zu verste- gen, was bis zu diesem Zeitpunkt bei „Palästinensisches Christentum – hen. Sie spielt eine große Rolle bei Androhung höchster Strafen durch Erfahrungen und Perspektiven“ den Konflikten im Vorderen Orient den israelischen Staat verboten war. (Kleine Schriftenreihe des Kultur- in Vergangenheit und Gegenwart. Kaum jemand erinnert sich noch da- vereins AphorismA Heft 7/1993). Da- ran, dass es bis dahin bei Strafe ver- rin erzählt er auch seine eigene Ge- Was ist eigentlich ein boten war, die Bezeichnung „Palästi- schichte. Er besuchte als Jugendli- Palästinenser? nenser“ in der Öffentlichkeit für die cher die französische Schule der Las- Menschen in der Westbank zu benüt- alle-Brüder in Jerusalem. Er er- Auch in Europa werden Palästi- zen. Sie waren eben „Araber“. Uri wähnt, dass er in dieser Schulzeit nenser und Araber aus historischer Avnery, damals ein hoher Beamter mehr über Jeanne d´Arc erfahren Unkenntnis in einen Topf geworfen. des israelischen Außenministeriums, habe als über die palästinensische Die Palästinenser selbst fühlen sich wagte es zum ersten Mal öffentlich, Geschichte. Dahinter steckt der Vor- dadurch gedemütigt. Als Palästinen- die Menschen in der Westbank „Pa- wurf, dass die Palästinenser ihrer ser bezeichnet man historisch jene, lästinenser“ zu nennen. Die Folge Identität beraubt und quasi zu „Halb- die von sich sagen können, dass sie war, dass er für einige Monate ins europäern“ ausgebildet wurden. schon bei der Zerstörung Jerusalems Gefängnis gehen musste. Heute ge- Ähnlich: Zwei Jahre früher publiziert im Jahre 70 n.Chr. in jenem Land hört der 1923 in Beckum geborene Mitri Raheb, der lutheranische Pfar- wohnten, das von den Römern Paläs- Avnery auch in seinem fortgeschrit- rer von Betlehem, sein Buch: „Ich tina benannt wurde. Dieses Palästina tenen Alter zu den unermüdlichen is- bin Christ und Palästinenser“. 1989 reichte etwa vom Süden des heutigen raelischen Friedensaktivsten. – Und stellte der erste palästinensische Pa- Libanon bis Gaza und von der Mittel- inzwischen ist es selbstverständlich, triarch seit der Wiederbegründung meerküste bis zum Jordan. dass in den Medien von Palästinen- des lateinischen Patriarchats 1847, Im 7. Jh. wurde die palästinensi- sern und palästinensischen Gebieten Michel Sabbah, in seinem ersten sche Bevölkerung durch die Islami- gesprochen wird. Pastoralbrief die Frage: „Wer sind sierung vom Süden der arabischen Das ist auch für die christliche wir Christen?“ Auf diese Frage gibt Halbinsel her ihrer Identität beraubt. Minderheit, die zu 96% aus Palästi- er die Antwort: „Wir sind Palästinen- Die muslimischen Araber waren nun nensern besteht, von außerordentli- ser.“ Damit hatte er den Christen zu die Herren im Land. Sie arabisierten cher Bedeutung: Vorher fielen sie ihrer eigenen Identität verholfen. All die Palästinenser, die so ihre eigene unter die Bezeichnung „Araber“, die das ist noch jüngste Vergangenheit Sprache und damit ihre eigene Iden- sie aber nicht waren und auch nicht und beginnt, Konsequenzen zu zei- tität verloren. In der Folge wurden

AUFTRAG 255 29 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK sie bis in die Gegenwart mit den Ara- dass man jede Gesprächsbasis mit nen lernen, um ihn dann auch besser bern gleich gesetzt. Araber und Pa- ihnen verlassen hatte und die autono- zu verstehen, den Hintergrund seines lästinenser wurden aber bis heute men Gebiete wieder besetzte, bis Denkens und Handelns, seine Reli- niemals echte Freunde. Die Palästi- heute. Die autonomen palästinensi- gion und Kultur kennen zu lernen. nenser arrangierten sich im Alltag schen Behörden wurden nicht mehr Daraus kann tiefere Partnerschaft mit den neuen Herren und wurden ernst genommen, mehr und mehr ent- und Versöhnungsbereitschaft er- zum größten Teil Muslime. Nur ein machtet und über die autonome Ver- wachsen. Gerade im Nahen und Mitt- kleiner Teil der Palästinenser blie- waltung Reiseverbote verhängt. leren Osten, wo Kulturwelten – Ju- ben Christen: Bis heute führen sie ih- Politische Gespräche wurden er- dentum, Christentum und Islam – ren Ursprung auf Jesus von Nazareth setzt durch Terror und Gewalt. Das einander begegnen, ist das notwendig. zurück. Wechselspiel von Gewalt und Ge- Als Europäer muss man bei allen Fast 1200 Jahre ringen sie nun gengewalt zwischen Israelis und Pa- Begegnungen und Gesprächen dar- bis in unsere Tage um ihre Eigen- lästinensern ist das Ergebnis des um wissen, dass man, ob man will ständigkeit. Nach der Eskalation von Verlusts an Toleranz: Man spricht oder nicht, das „christliche Hemd“ Aufständen und Gewalt im 20. Jh. nicht mehr miteinander. Der Stärkere trägt und entsprechend denkt und ar- gegen Türken, Engländer und demütigt den Schwächeren. An die gumentiert: Griechische Philosophie schließlich Israelis, haben dann die Stelle gleichwertiger Partnerschaft und Christentum haben bis hin zur Oslo-Verträge bei den Palästinensern tritt einseitiges Diktat. Anstelle von Aufklärung unser Denken und Welt- viele Hoffnungen geweckt. Von Ende Freizügigkeit zwischen den Grenzen bild geprägt hat; das verstehe ich un- 1992 bis zur Ermordung des israeli- tritt eine acht Meter hohe Mauer. Die ter „christlichem Hemd“. schen Ministerpräsidenten Yitzhak Enteignung palästinensischen Lan- Andererseits muss dem Ge- Rabin am 5. November 1995 wuchs des wird durch massiven Siedlungs- sprächspartner aus dem orientali- in der palästinensischen Bevölke- bau fortgesetzt. Schließlich ist das schen Kulturkreis zugestanden wer- rung eine große Euphorie, dass bis palästinensische Gebiet durch israe- den, dass er aus dem Blickwinkel ei- Ende 1997 ein palästinensischer lische Siedlungen von Norden nach nes anderen Weltbildes denkt und Staat entstehen würde. Durch die Er- Süden und von Westen nach Osten urteilt, sei es jüdischer oder muslimi- mordung Rabins wurde diese Hoff- zergliedert. Das Land besteht aus scher Prägung. Diese Grundregel nung auf einen Schlag zerstört. In Is- einzelnen Apartheid-Zonen. Die Ba- muss berücksichtigt werden, wenn rael war ein Machtvakuum entstan- sis für einen Frieden zwischen bei- ich den anderen ernst nehmen und den. Es war kein starker Mann in den Völkern ist vorerst gestört, wenn ihn zumindest bis zu einer gewissen Sicht, der das Werk Rabins fortset- nicht sogar zerstört. Grenze verstehen will. Daraus kann zen konnte. In dieses Vakuum explo- Die ganze Dramatik kann man dann Versöhnung und Frieden er- dierte die „Busbombe“ im Frühjahr auf einen Nenner bringen: Sprachlo- wachsen. In der Begegnung mit Pa- 1996 vor der Hauptpost in Jerusa- sigkeit. Man sucht nicht mehr das lästinensern und Israelis zum Bei- lem. Erneut keimte bei den Israelis aufrichtige Gespräch in gegenseitiger spiel fehlt eine solche Form von To- das Misstrauen den Palästinensern Partnerschaft. Israelis – außer den leranz und auch schon, das Bemü- gegenüber: „Mit denen kann man Siedlern – ist es bei Strafe verboten, hen, den anderen zu verstehen. keinen Frieden machen!“ palästinensisches Gebiet zu betreten. Dass es trotz widrigster Umstän- Es begannen wieder militärische Die Palästinenser bleiben in den je- de möglich ist, Barrieren zu durch- Aktionen in den palästinensischen weiligen Kleinzonen ihrer Stadt ein- brechen, beweisen die Preisträger Gebieten. Die politischen Gespräche gesperrt und dürfen diese nur mit des Mount Zion Award 2003: der Pa- wurden immer mehr eingeschränkt. Genehmigung des israelischen Mili- lästinenser Rami Nasser Edin aus Sie kamen mit dem Besuch des Jeru- tärs verlassen. Da jede Begegnung Ostjerusalem und die Israelin Keren salemer Tempelberges durch den und Kommunikation beider Bevölke- Assaf aus Tel Aviv mit ihrer Initiative derzeitigen Ministerpräsidenten Ariel rungsgruppen unterbunden ist, ler- „Breaking Barriers“. Scharon am 28. September 2000 nen sich die Menschen auch nicht Ein bisschen Friede, der an der ganz zum Erliegen. Hoffnungen auf näher kennen; man kennt einander Basis und nicht in der großen Politik baldigen Frieden, die im Hinblick entweder als Besatzer oder als Terro- zu wachsen beginnt. Viele solcher auf das Heilige Jahr 2000 und den rist. Ein solche Sprach- und Bezie- kleinen Friedensinitiativen, die es in Papstbesuch im März 2000 aufge- hungslosigkeit verstärkt die Feind- Israel und Palästina im Stillen gibt, blüht waren, waren mit einem Mal bilder: Man redet und sieht nicht können eines Tages zum großen Frie- zunichte. Die zweite Intifada bzw. mehr einander. Ein absoluter Mangel den zusammenwachsen. Ein Hoff- „Al-Aqusa-Intifada“ brach gewalttä- an Toleranz. nungsschimmer trotz aller Gewalt tig aus: dieses Mal nicht mehr nur und Gegengewalt! mit Steinewerfen, sondern mit Waf- Toleranz: ein Weg fengewalt und Selbstmordattentaten zu Frieden und Versöhnung Lernprozess Toleranz im gegen das israelische Militär und die heutigen Irak: Begegnung israelische Bevölkerung. Der Aus- Toleranz setzt voraus, dass Mög- von Orient und Abendland bruch dieser sog. Zweiten Intifada ist lichkeiten bestehen, Menschen zu das Ergebnis höchster Frustration begegnen. Im Gespräch, im gemein- Auch im aktuellen Irakkonflikt bei der palästinensischen Bevölke- samen Arbeiten oder im gemeinsa- muss es für Amerikaner und andere rung, insbesondere auch darüber, men Feiern den anderen besser ken- Westmächte in der Begegnung mit

30 AUFTRAG 255 KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN den Menschen vor Ort zu einem hat. Die muslimisch-orientalische Das gilt für das Zusammenleben Lernprozess auf dem Weg zur Tole- Welt kennt keine philosophisch-wis- aller Menschen und Völker, wenn sie ranz kommen. An erster Stelle müs- senschaftliche Entwicklung wie un- eine friedvolle Zukunft gestalten wol- sen sie als „christliche Nationen“ sere europäisch-christliche Aufklä- len. sich mit der Welt des Islams vertraut rung: Noch immer herrscht ein (aus: 25. Rundbrief der Abtei Hagia machen, um Welt und Umwelt der gesamtheitliches Weltbild von Den- Maria Sion, Jerusalem – 21. März Menschen, die dort leben, kennen ken und Handeln; Religion bestimmt 2004, s. 20 ff.) ❏ und vielleicht zumindest etwas ver- die Politik und Politik die Religion stehen zu lernen. Frieden und Ver- wie noch im christlichen Mittelalter. söhnung lassen sich weder planen Europäer oder Amerikaner müssen Papst ermutigt zu und noch viel weniger diktieren; lernen, dass man in dieser Kultur Pilgerreisen ins Hl. Land schon gar nicht, wenn man die vor- Demokratie nicht erzwingen kann. herrschende Kultur, Religion und Im Dialog muss ein Weg gefunden Johannes Paul II. ermutigt zu „Pilgerreisen des werden, wie zwei verschiedene Kul- Friedens“ in das Heilige Land, um Solidarität mit Lebensgewohnheiten nicht berück- der örtlichen christlichen Gemeinde zu bezeugen. sichtigt. – Der Orient ist von jeher turwelten miteinander versöhnt wer- Pilgerreisen sind eine entscheidende Einkom- von einer patriarchalen Gesell- den können. Dieser Weg ist mühsam mensquelle für viele Christen im Heiligen Land, schaftsstruktur geprägt, die wir ja und braucht Zeit und den Willen zu das sich seit dem Ausbruch der zweiten Intifada in auch aus dem Alten und Neuen Tes- Toleranz, den anderen kennen zu ler- Aufruhr befindet. – Über den Zeitraum der letz- tament kennen und die bis heute in nen, ihn zu respektieren und in sei- ten elf Monate haben zusätzliche 2.000 arabische der islamischen Welt ihre Bedeutung ner Andersartigkeit anzuerkennen. Christen das Heilige Land verlassen, darunter 1.000 aus Bethlehem. Vor zwanzig Jahren, zählten die arabischen Christen in den besetzten Gebieten an die 100.000. Heute macht ihre Zahl, trotz des Wachsens der gesamten Arabischen Israels Zaun – eine neue Berliner Mauer? Bevölkerung, 60.000 aus. (nach ZENIT 24.05.2004) Die israelische Sicht der neuen Grenzsperren

Zur Erinnerung: Die Berliner Mauer wurde am 13. August 1961 durch die zwei Millionen Euro kosten. DDR gebaut, um ihre Bürger an der Flucht in den Westen zu hindern. Im Auf einer Länge von 40 bis 50 Nahen Osten wollen weder die Israelis aus ihrem Land noch die Palästi- Kilometer, an der schmalsten Stelle nenser aus ihren Autonomiegebieten fliehen. Israelis sind z.B. bis zum Be- des jüdischen Staates, wird eine bis ginn der 2. Intifada in die Palästinensergebiete gefahren, um dort aus zu neun Meter hohe Mauer gebaut. Kostengründen einzukaufen oder Ärzte aufzusuchen. Aus den Autono- Sie soll Scharfschützen daran hin- miegebieten wiederum sind zehntausende von Menschen zum Arbeiten dern, auf Israelis zu schießen. Ent- für ihren Lebensunterhalt nach Israel gekommen, was beiden Seiten lang der neuen Trans-Israel-Auto- nützte. Warum baut nun Israel seit dem 16. Juni 2002 trotz aller Proteste bahn wurde z.B. bei Kalkilja die in der Welt diesen mindestens 365 Kilometer langen, teuren Zaun, um die Höhe der Mauer so berechnet, dass israelischen und palästinensischen Siedlungen zu trennen? AUFTRAG ver- man bei einer Reichweite von 600 sucht ohne Wertung die israelische Sicht zu diesem Problem darzulegen. Metern mit einer AK-47 (Kalaschni- kow) vom höchsten Gebäude in die- urch die gezielten palästinen- fen zu schützen – wie es die Pflicht sem Ortsteil einen Doppeldeckerbus sischen Selbstmordattentate eines jeden Staates ist. auf der Autobahn nicht treffen kann. Dsind in Israel seit Beginn der Dieser sog. „Antiterrorzaun“ be- Das palästinensische Kalkilja liegt 2. Intifada 1.000 Menschen getötet steht – wenn die örtlichen Gegeben- nur zehn Minuten zu Fuß von dem is- und Tausende für ihr Leben verstüm- heiten keine Besonderheiten erfor- raelischen Kfar Saba entfernt. Von melt worden. Unter Berufung auf Ar- dern – aus einem Stacheldrahtver- Kalkilja aus wurden in den vergange- tikel 51 der UN-Charta betont Israel, hau, einem Graben gegen Fahrzeuge, nen Jahren sechs Terroranschläge dass nach internationalem Recht einem geeggten Streifen, einem zwei- begangen, die 25 Israelis das Leben kein Staat dazu verpflichtet sei, be- ten geeggten Streifen, einer Patrou- kosteten und weitere 113 verletzten. waffnete Angriffe hinzunehmen. Au- illenstraße einem dritten geeggten Jetzt ist der palästinensische Ort von ßerdem wirft Israel der Autonomie- Streifen und noch einem Stachel- Israel hermetisch abgeriegelt. behörde unter Präsident Arafat vor, drahtverhau. Dieser Zaun verläuft in Israel ist sich der humanitären kaum etwas gegen die militanten ter- Anlehnung an die Waffenstillstands- Folgen für die Palästinenser sehr roristischen Organisationen Hamas, linie von 1949, die sog. „Grüne Li- wohl bewusst und versucht deshalb Jihad und Al-Aksa-Brigaden zu un- nie“. Dabei verläuft der Zaun aus isra- Erleichterungen im wirtschaftlichen ternehmen, die die Vernichtung des elischer Sicht teilweise aus taktischen und gesellschaftlichen Bereich für jüdischen Staates zum Ziel haben. Gründen auch über palästinensische die betroffenen Menschen zu schaf- Die Antwort Israels auf diese Situati- Grundstücke und wird militärisch fen. So werden 16 Prozent der Fi- on ist der Bau des Zaunes, um seine überwacht. Ein Kilometer des Anti- nanzmittel für den Grenzzaun aufge- Bürger weitgehend vor diesen Selbst- terrorzauns soll einschließlich der wandt, um die Erschwernisse abzu- mordanschlägen und anderen Angrif- Personalkosten den israelischen Staat mildern. Es bekommt jeder Palästi-

AUFTRAG 255 31 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK nenser für Grundstücke, die er durch Autodiebstähle wären bis zu 60% zu- denschnell die Ursachen des Alarms den Bau des Zaunes verloren hat, rückgegangen. Aufgrund all dieser festgestellt werden. Gegebenenfalls eine Entschädigung. Außerdem ha- Gegebenheiten weisen die Israelis können auch Patrouillen an den ent- ben diese Klagerecht vor dem Obers- den palästinensischen Vorwurf zu- sprechenden Ort geschickt werden. ten Gerichtshof in Israel, der auch rück, sie wollten sich mit dieser Man kann nur hoffen und wün- schon auf diesem Wege Grenzzaun- „Apartheidsmauer“ nur palästinen- schen, dass dieser Antiterrorzaun in veränderungen durchgesetzt hat. sisches Land aneignen. nicht zu ferner Zukunft durch Frie- Bislang wurden auch im Auftrag der Überwacht wird die Sicherheits- densabkommen und nachfolgende israelischen Armee 90.000 Oliven- barriere rund um die Uhr durch gut nachbarschaftliche Beziehungen bäume nicht nur ausgerissen – wie Kommando- und Kontrollzentren mit zum Wohle aller Menschen im Nahen die Medien weltweit berichteten –, Unterstützung modernster Tag- und Osten überflüssig und beseitigt wird. sondern auch wieder eingepflanzt. Nachtsichtkameras. Dabei werden Die Entwicklung in Europa nach dem Teilweise wurden sie dann noch drei auch bereits vor dem Zaun Bewe- Ost-West-Konflikt ist hierfür ein gu- Monate lang bewässert, um das An- gungsmelder eingesetzt, die sehr tes Beispiel. wachsen zu unterstützen. empfindlich reagieren und acht ver- (bt – nach Internet, „Fischer Welt- Neben fünf großen umfangreichen schiedene Alarmsignale abhängig almanach“ 2003 u. 2004 sowie Grenzstationen gibt es im Abstand von von dem störenden Subjekt auslösen. „pro“ 3/2004 Christliches Medien- wenigen Kilometern jeweils Tore im Mit Kameras können dann sekun- magazin – der israelreport) Zaun, die je nach den örtlichen Erfor- dernissen genutzt werden. Dabei werden auch die Palästi- SYNAGOGEN-JUBILÄUM IN ROM: nenser gefragt, wann für ihre Bedürf- nisse die Zaundurchlässe geöffnet werden sollte. Die israelischen Papst will christlich-jüdische Freundschaft Sicherheitsbehörden versuchen dann in Ende von Hass, Feindschaft „Ihr seid und bleibt das erstge- diesen Wünschen gerecht zu werden. und Gewalt zwischen den borene Volk des Bundes“, unsere Mancherorts wird ein Tor nur für be- Eabrahamitischen Religionen „älteren Brüder“, betonte das katho- stimmte landwirtschaftliche Zwecke im Heiligen Land hat Papst Johannes lische Kirchenoberhaupt. „Ihr wart wie Bestellen der Äcker, Pflege der Paul II. gefordert. In einer Gruß- bereits Bürger dieser Stadt Rom vor Olivenbäume oder die Ernte geöffnet. botschaft zur 100-Jahr-Feier der rö- 2.000 Jahren, bevor der Fischer Pe- An etlichen Stellen gibt es Sonder- mischen Synagoge beschwor das Kir- trus eintraf und auch Paulus hierher regelungen z.B. für eine Beduinen- chenoberhaupt am Sonntag, dem 23. in Ketten kam!“ Und er fügte hinzu: familie, die außerhalb des Zaunes Mai 2004, die Gemeinsamkeiten von „Jesus ist Jude, und er ist es für wohnt, damit ihre Kinder aber in eine Juden und Christen. Es sei notwen- immer.“ Die katholische Kirche habe palästinensische Schule gehen kön- dig, aber genüge nicht, die tragische sich seit dem Zweiten Vatikanischen nen. In einem anderen Fall hat ein Vergangenheit zu beklagen und Konzil (1962-1965) um eine Aussöh- Palästinenser, dessen Haus auf israe- Feindschaft gegenüber dem jüdi- nung mit dem Judentum bemüht, lischer Seite steht, selbst einen schen Volk zu verurteilen. Man müs- führte der Papst aus. Sie habe alle Schlüssel für das Tor, damit er in se heute Freundschaft, Hochachtung Ausdrucksformen des Antisemitismus sein Dorf gehen kann. Aber alle ne- und brüderliche Beziehungen mit- verurteilt und im Heiligen Jahr 2000 gativen Auswirkungen des Zaunbaus einander entwickeln, forderte der die Vergehen von Christen in der können für die Palästinenser natür- Papst. Zeit des 2. Weltkriegs bereut und um lich nicht ausgeglichen werden, was Die Botschaft wurde beim Fest- Vergebung gebeten. auch die Israelis wissen. Letztere akt in dem jüdischen Gebetshaus am wollen mit dem militärischen Zaun- Tiber-Ufer von Kardinalvikar Blutvergießen im bau Terroristen am Eindringen nach Camillo Ruini verlesen, der den Heiligen Land beenden Israel hindern, um die Bevölkerung Papst zusammen mit dem deutschen zu schützen. Kurienkardinal Walter Kasper ver- Besorgt äußerte sich der Papst Nach statistischen Untersuchun- trat. Das Schreiben wurde von den über die anhaltende Gewalt im Heili- gen zeigt sich bereits die Effektivität Versammelten zum Teil mit stehen- gen Land. „Es werde zu viel unschul- dieses Sperrzaunes sowie anderer den Ovationen aufgenommen. Die diges Blut von Israelis und Palästi- vorbeugender Aktivitäten: Seien im Synagoge sei Symbol und Erinnerung nensern vergossen“, so der Papst 1. Halbjahr 2002 noch 318 Israelis der über 2.000-jährigen Präsenz der wörtlich. Man müsse den „Gott des getötet worden, seien dagegen im 1. jüdischen Gemeinde in Rom, die äl- Friedens bitten, dass die Feindschaft Halbjahr 2004 „nur“ noch 60 Israe- ter sei als die der Christen, erinnerte nicht mehr in Hass diejenigen mit- lis durch feindliche Handlungen ums der Papst. Sein Besuch in dem reißt, die sich an den gleichen Vater Leben gekommen, meldete die Rhei- Gebetshaus im April 1986 sei für ihn Abraham wenden – Juden, Christen nische Post aus Düsseldorf am ein „tief prägendes“ Symbol der neu- und Muslime“. An deren Stelle müs- 26.06.2004. Die positiven Auswir- en Beziehungen zwischen dem jüdi- se das klare Bewusstsein um die ge- kungen der erfolgreichen Schutz- schen Volk und der katholischen Kir- meinsamen Bande und die Verant- maßnahmen seien schon im israeli- che seit dem Konzil – nach mitunter wortung treten, die auf ihnen lastet, schen deutlich geworden. Auch die schwierigen und quälenden Perioden. mahnte der Papst. (KNA)

32 AUFTRAG 255 KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN Die „Genfer Initiative“ – Frieden auf einem gemeinsamen Weg mit einem fest formulierten Ziel Nur der Plan wird Frieden bringen, der von beiden Zivilbevölkerungen unterstützt wird! lem eines erringen: die Unterstüt- zung der beiden Zivilgesellschaften. Am 6. März wurde der Abt der Jerusalemer Benediktiner Abtei Israelis und Palästinenser stecken in Hagia Maria Sion, Benedikt M. Lindemann, mit dem „Göttinger Frie- ihren eigenen Spiralen des Hasses denspreis“ ausgezeichnet. Den Preis erhielt Abt Benedikt u.a. für die aufeinander, der Angst vor der Ge- interreligiösen Initiativen, die von der Jerusalemer Abtei ausgehen, und walt, der Trauer um die unermessli- für das Suchen nach einem tragenden Grund des Friedens, die den Bo- chen Verluste und der Verzweiflung den mit bereitet hat für die „Genfer Friedensinitiative vom 1. Dezember ob des fehlenden Auswegs. Nur der 2003. Die Laudatio im Rahmen der Preisverleihung in der Universität Plan kann jetzt gelingen, der die Göttingen hielt Dr. Antje Vollmer, Vizepräsidentin des Deutschen Bun- Menschen hinter sich bringt und ihre destages. Der Preis wird seit 1999 jedes Jahr durch die Stiftung Dr. Unterstützung erlangt, so dass die Roland Röhl verliehen, deren Zweck die Förderung der Konflikt- und Öffentlichkeit dann wiederum Druck auf die Politik in Richtung Friedens- Friedensforschung ist. prozess ausüben kann. Im Folgenden dokumentieren wir den Teil der Rede, in dem Frau Es gibt jetzt einen neuen Entwurf Vollmer die „Genfer Friedensinitiative“ erläutert. Diese zwischen Privat- für eine friedliche Lösung, die das personen aus Israel und Palästina ausgehandelte Vereinbarung hat ei- Zeug dazu hat, genau diese überzeu- nen Friedensschluss zum Ziel, der nach Überzeugung nicht nur der Initi- gende Wirkung auf die israelische atoren die vier Kernprobleme des Nahostkonflikts lösen kann: und die palästinensische Gesell- (1) die Zukunft der jüdischen Siedlungen im Westjordanland und schaft auszuüben – die „Genfer Initi- im Gaza-Streifen, ative“. ... (2) die Zukunft der palästinensischen Flüchtlinge, Am 1. Dezember des letzten Jah- (3) den Status von Jerusalem und res ist in der Schweiz die „Genfer Ini- (4) die gegenseitige Anerkennung des israelischen und des tiative“ unterzeichnet und der Öffent- palästinensischen Staates. lichkeit präsentiert worden. Unter der Federführung von Yossi Beilin, dem ieser Tage sind palästinensi- nur die Strategie im Nahen Osten er- ehemaligen israelischen Justizminis- sche Kläger vor den Internati- folgreich sein, die unbeirrt daran ar- ter, und Yaser Abed-Rabbo, dem Donalen Gerichtshof in Den beitet, die jahrzehntelang eingravier- ehemaligen palästinensischen Infor- Haag gezogen, um gegen den so ge- ten Gefühle des Hasses und der De- mationsminister, haben israelische nannten „Schutzwall“ zu klagen, den mütigung umzuleiten in eine Energie, und palästinensische Politiker, Mili- Israel seit fast zwei Jahren gegen den die aus der Ausweglosigkeit heraus in tärs und Intellektuelle zwei Jahre Terror aufstellt. Nicht nur für uns eine friedliche Zukunft führt. Wenn lang verhandelt und schließlich die- Deutsche, die eine ganz besondere Krieg, Gewalt und schützende Mau- ses einmalige Papier vorgelegt. Es Beziehung zu derartigen Mauern ha- ern die Lösung nicht hervorbringen, hat schon einige Vorschläge zur Klä- ben, da wir vor fast 15 Jahren selbst muss ein anderer Weg gefunden wer- rung des Nahost-Konfliktes gegeben. eine Trennungsmauer eingerissen ha- den. Verhandlungen auf der Regie- Welche Qualität muss ein neuer Plan ben, wirken vor allem die Teile des rungsebene und Pläne von Staats- also haben, um jetzt Hoffnungen we- Walls, die aus Beton errichtet wer- männern hat es zuhauf gegeben. cken zu können? Die „Genfer Ver- den, entsetzlich einschüchternd, und Oslo-Prozess, Mitchell-Plan, Camp einbarung“ sticht durch einige As- gleichzeitig strahlen die neun Meter David-Verhandlungen. Kluge und er- pekte aus der Masse der bisherigen hohen Mauerstücke auch eine gigan- fahrene Politiker haben mit den un- Vorschläge heraus: tische Hilflosigkeit aus, als ob man terschiedlichsten Strategien und mit 1.Sie erfüllt die Grundvoraussetzun- jede Hoffnung auf intellektuelle unterschiedlich weitreichender Kom- gen eines jeglichen Erfolg verspre- Wege der Konfliktlösung aufgegeben promissbereitschaft versucht, Frieden chenden Planes, nämlich dass sie hätte. herzustellen. Aber alle Pläne sind ge- von beiden Seiten gemeinsam aus- Es spielt keine Rolle, zu welchem scheitert. Vielleicht war es uns doch gehandelt worden ist. Und zwar Ergebnis das Gutachten des Ge- noch nicht wichtig genug? Vielleicht handelt es sich auf israelischer richtshofes kommt. Die Mauer ist in haben wir uns immer noch nicht Seite um Politiker der Arbeiterpar- jedem Fall ein Anachronismus in ei- genug um eine Lösung bemüht, die tei, hochrangige Militärs, sogar ein nem ebenso unzeitgemäßen Krieg den Punkt der Wende zum Besseren ehemaliger Mossad-Chef, auch zwischen den Israelis und den Paläs- wirklich trifft? Auch die „Roadmap“ Verhandlungspartner von früheren tinensern. wird durch die täglichen blutigen Friedensabkommen sind dabei. In- Die physische Barriere ist keine Auseinandersetzungen zur Unglaub- tellektuelle und Schriftsteller wie Lösung. Jeder kann sich das vorstel- würdigkeit verurteilt. Amos Oz und David Grossmann, len. Der Hass sickert durch jede Rit- Der nächste Versuch, Frieden in der frühere Botschafter Avi Primor, ze wie Wasser. Auf die Dauer kann dieses Chaos zu bringen, muss vor al- Mitglieder der Friedensbewegung

AUFTRAG 255 33 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN

und Wissenschaftler unterstützen aufgegeben und in benutzbarem Israel gehören. Die jüdischen die Initiative. Auf palästinensi- Zustand den Palästinensern Stadtteile in Ostjerusalem wer- scher Seite haben ehemalige Mi- übergeben. den aufgegeben. nister der Autonomiebehörde, Wis- senschaftler aus den Bereichen (2) Die Flüchtlingsfrage wird auf (4) Palästina und Israel werden Geographie, Archäologie, Juristen, Basis der Resolutionen 194 der nach der „Genfer Vereinbarung“ ja sogar Vertreter der Führung der UN-Generalversammlung und ihre Souveränität gegenseitig an- ersten Intifada und ein General des 242 des UN-Sicherheitsrates so- erkennen und normale diploma- Sicherheitsdienstes in der West- wie des Vorschlags der arabi- tische Beziehungen miteinander bank an dem Vertragswerk mitgear- schen Friedensinitiative behan- aufnehmen. – Die Implementie- beitet. Diese Zusammenarbeit be- delt. Das heißt, dass die Flücht- rung und Lenkung des Friedens- deutet auch, dass die Palästinenser linge ein Recht auf Kompensati- prozesses wird durch verschiede- erstmalig das Recht der Juden auf on für ihr Flüchtlingsdasein und ne Gremien und Schlichtungs- einen eigenen Staat anerkennen. den Verlust von Eigentum haben. mechanismen begleitet, die stets Dafür wird ein internationaler durch beide Parteien besetzt und 2.Das Einzigartige der „Genfer Ver- Entschädigungsfond eingerich- entschieden werden. einbarung“ aber ist vor allem, dass tet. Israel kann von seiner Ein- mit ihr ein detaillierter Plan vorge- zahlungssumme den Wert der Dies sind nur die vier wichtigs- legt wird, der für alle Einzelheiten auf- und übergebenen Siedlungen ten Bereiche, die dieser Friedens- des Friedensschlusses einen durch abziehen. Die Flüchtlinge kön- plan regeln will. Beiden Seiten wer- Vertreter beider Seiten ausgehan- nen hinsichtlich ihres Bleibe- den dabei unendlich schwierige delte Lösung anbietet – ein Ziel, rechts zwischen mehreren Optio- Kompromisse abverlangt. Aber das nicht nur den Anfang des Weges. nen wählen: Sie können sich im Besondere ist: all diese Punkte sind Bisher kannte man nur Pläne, die Staat Palästina, in Gebieten, die machbar. ... grobe Richtungen vorgaben und im Rahmen des Gebietsaus- Seit ihrer Unterzeichnung Ende Termine zur Lösung der schwieri- tausches von Israel an den Staat letzten Jahres wird die „Genfer Ver- gen Fragen festsetzten, ohne kon- Palästina übergehen, in Dritt- einbarung“ auf der ganzen Welt dis- krete Vorschläge zu wagen. staaten, in momentanen Gast- kutiert. Natürlich ist sie nur ein An- staaten und in Israel niederlassen. fang, denn sie wurde nicht zwischen In den Jahrzehnten des Nahost- den Regierungen, sondern zwischen konflikts haben sich vier Kern- (3) Jerusalem wird für beide Staa- privaten Bürgern ausgehandelt. probleme herauskristallisiert, die un- ten die Hauptstadt, die Souverä- Aber der Plan hat das Zeug dazu, lösbar scheinen. Diese vier Probleme nität wird geteilt. Ein interkon- den gesellschaftlichen Willensbil- sind: (1) die Zukunft der jüdischen fessionelles Gremium zur Lösung dungsprozess der Palästinenser und Siedlungen im Westjordanland und aller religiösen Fragen wird ein- der Israelis neu in Gang zu setzen. Ist im Gaza-Streifen; (2) die Zukunft der gerichtet – und hier stoßen wir erst einmal die Zivilgesellschaft palästinensischen Flüchtlinge; (3) unmittelbar auf das, was in ihrem überzeugt, kann sie Druck auf ihre der Status von Jerusalem und (4) die Haus an guter Tradition gesät beiden Regierungen ausüben und gegenseitige Anerkennung des israe- wurde. Es herrscht Freiheit der den Friedensprozess wieder weiter lischen und des palästinensischen Religionsausübung. Auf dem vorantreiben. Es wäre nicht das erste Staates. Tempelberg (Haram al-Sharif) Mal in unserer Geschichte, dass am soll es eine multinationale Prä- Ende die Zivilgesellschaft und indi- Was sagt die „Genfer Vereinba- senz geben: das Plateau unter vidueller Mut einen friedlichen Weg rung“ zu diesen vier Kernpunkten? – palästinensischer und die Klage- für scheinbar unlösbare Fragen vor- Sie schlägt radikale Kompromisse mauer unter israelischer Auf- wärts getrieben hätten. Der Zusam- vor. sicht; es wird dort keine Ausgra- menbruch des Ostblocks und die da- bungen bzw. Bauunternehmun- mit verbundene Beendigung des Kal- (1) Mit den Siedlungen soll folgen- gen geben ohne Zustimmung der ten Krieges ist ein Beispiel, das uns dermaßen verfahren werden: Es israelischen und der palästinen- dazu als erstes in den Sinn kommt. gelten die Grenzen vom 4. Juni sischen Seite. Die muslimischen, 1967, also vor dem Sechstage- armenischen und christlichen (gekürzt aus: 25. Rundbrief der Krieg. Sämtliche Siedlungen in Teile der Altstadt sollen zu Paläs- Abtei Hagia Maria Sion, Jerusalem den besetzten Gebieten werden tina und das jüdische Viertel zu vom 21. März 2004, S. 9 ff.) ❏

34 AUFTRAG 255 KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN

ISLAMISMUS UND WESTLICHE WELT: Radikaler Islamismus und der laizistische Fundamentalismus führen zum Zusammenprall der Kulturen ach Einschätzung des spanischen Terrorismusexperten Javier zu den Feinden des Islam zählen: Jordán wird der Zusammenprall der Kulturen nicht nur durch den Der Westen im Allgemeinen und im Nradikalen Islamismus hervorgerufen, sondern auch durch den lai- Besonderen die Vereinigten Staaten zistischen Fundamentalismus. Javier Jordán, Autor des Werkes „Profetas und Israel. del Miedo“ („Propheten der Angst“), ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Granada. In einem Interview mit Zenit am 13. Mai Sie behaupten, dass „die Religion an erklärte er, dass „der radikale Islamismus eine totale Ausrichtung der Ge- sich nicht die Quelle der Gewalt ist, sellschaft nach den Maßstäben seiner Religion zum Ziel hat und der lai- sie sich aber in einen Multiplikator zistische Fundamentalismus danach strebt, jede Spur Gottes in der öffent- der Barbarei wandeln kann“. Wie ist lichen Sphäre auszulöschen“. das möglich? „Es handelt sich um zwei Extreme, die die Bezeichnung ‚Zusammen- Jordán: Unter den Ursachen des prall der Kulturen’ rechtfertigen“, unterstreicht Jordán, der wissenschaftli- islamistischen Terrorismus findet che Studien bei der NATO betrieb und mit dem „Centro Superior de man die ideologische Motivation, die Estudios de la Defensa nacional en España“ (Spanisches Zentrum für das aus einer radikalisierten Lesart des Studium der Nationalen Verteidigung) zusammenarbeitete. Seit Jahren Islam wächst. Für diejenigen, die widmet er sich der wissenschaftlichen Erforschung des Terrorismus und diese Minderheitenansicht teilen den Themen der Sicherheit und Verteidigung. (und in absoluten Zahlen gesprochen sind das immer noch Tausende Men- Wer sind die Propheten der Angst? können wie die Sowjets in Afghanis- schen), ist die Religion sehr wohl die Jordán: Mit diesem Namen wollte tan besiegt wurden. Erklärung und die Rechtfertigung für ich mich auf die zwei ideologischen solche Gewaltakte. Dazu kommen Führer des islamischen Terrorismus Warum sprechen Sie vom islamisti- noch weitere Faktoren: Demütigung, beziehen. Der bekannteste unter ih- schen und nicht vom islamischen Frustration, Rachegelüste. Das Argu- nen ist Osama Bin Laden, aber es Terror? ment der Religion verleiht allen die- gibt auch noch andere, die mit dem Jordán: Diese Art von Terrorismus sen Gefühlen einen ideologischen Al-Qaida Netzwerk verbunden sind, ist im islamistischen Umfeld veran- Zusammenhang. wie Omar Abdelrrahman (in den Ver- kert, das von den Medien auch als is- Der Rückgriff auf die Religion ist einigten Staaten unter Arrest), Abu lamischer Fundamentalismus be- nicht immer eine Entschuldigung oder Qatada (in Großbritannien unter Ar- zeichnet wird. Der Islamismus ist eine Instrumentalisierung. Viele die- rest) oder Ayman Al-Zawahiri (nach eine politisch-religiöse Ideologie, die ser Personen sind wirklich religiös, ihm wird derzeit gefahndet). nicht alle Muslime teilen und die die wenn sie den Gruppen des Dschihad Jeder von ihnen rechtfertigt das, Länder mit muslimischer Bevölke- beitreten. Wie kann diese Perver- was man den „globalen Dschihad- rungsmehrheit durch soziale Aktivitä- tierung der Religion demnach erklärt ismus“ nennt: Den weltweiten heili- ten re-islamisieren, aber auch den werden? Die radikale Lesart kann als gen Krieg gegen alle falschen Musli- Staat selbst islamisieren will. Sie wol- Zusammentreffen der Gefühle der me und ungläubige Feinde des Islam. len keinen konfessionslosen Staat. Wut und des Hasses verstanden wer- Seit Jahren haben diese Menschen Das letzte Ziel der Islamisten ist den – in einigen Fällen sogar als eine dem Westen und den meisten Regie- es, den ganzen Planeten zu islamisie- Religion, die die Nächstenliebe aus- rungen der arabischen Länder mit ren. Im Augenblick konzentrieren sie schließt. Terroranschlägen gedroht, wie jene sich auf die Länder, in denen der Is- Wenn man die Reden der Führer in den Vereinigten Staaten, in Spani- lam die am meisten vertretene Reli- des Dschihad und die Abschiedsbot- en und anderen Ländern wie den gion ist. Die Mehrheit dieser Grup- schaften einiger Selbstmordattentäter Philippinen, Indonesien, der Türkei, pierungen gestattet keine Anwen- analysiert, findet man das, was in Marokko und viele weitere. dung von Gewalt aus religiösen Moti- christlicher Terminologie Glaube Mit ihren Gewaltaktionen, ihrer ven, aber aus ihnen heraus erwach- und Hoffnung ist; was fehlt, ist die Propaganda, die hauptsächlich über sen kleinere Abspaltungen, die Ge- Nächstenliebe. Stattdessen macht das Internet verbreitet wird, und der walt als Instrument zur Islamisierung sich der Hass gegenüber denjenigen Rekrutierung von einzelnen Perso- der Gesellschaft sehr wohl akzeptie- breit, die als Feinde ihrer Religion nen wollen sie einen weltweiten Wi- ren. betrachtet werden. derstand aufbauen, der ihre Gegner Es handelt sich hierbei um eine destabilisieren und vernichten soll. Gewalt, die gegen all jene ausgeübt Sie vertreten einen Mittelweg zwi- Deshalb weckt die so heikle Situation wird, die öffentlich gegen die religiö- schen dem religiösen Radikalismus im Irak große Erwartungen in ihnen. sen Gesetze verstoßen, gegen dieje- und dem laizistischen Fundamenta- Sie vertrauen darauf, die USA auf nigen, die ohne die islamischen Ge- lismus. Wie gelangt man dorthin? eine ähnliche Weise besiegen zu setze regieren und gegen die, die sie Jordán: Beide Positionen führen

AUFTRAG 255 35 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK RADIKALER ISLAMISMUS dahin, dass die Religionsfreiheit delt sich hier um zwei Extreme, die nen Glaubensrichtungen, die in der nicht respektiert wird. Der radikale die Bezeichnung „Zusammenprall Gesellschaft vorkommen, indem es Islamismus zielt auf eine totale Aus- der Kulturen“ rechtfertigen, der sich erlaubt ist, diesen in der Erziehung, richtung der Gesellschaft nach den sowohl auf lokaler als auch auf globa- in den sozialen Aktivitäten und in Maßstäben seiner Religion, und der ler Ebene vollziehen kann. den kulturellen Manifestationen öf- laizistische Fundamentalismus strebt Der Mittelweg besteht in einer fentlich Ausdruck zu verleihen – all danach, jede Spur Gottes in der öffent- Konfessionslosigkeit des Staates und dies in einem Klima des gegenseiti- lichen Sphäre auszulöschen. Es han- im Zusammenleben der verschiede- gen Respekts. (ZENIT.org)

Worin Dschihad und Kreuzzüge sich unterscheiden den USA geführten Krieg mit dem Begriff des „Kreuzzug“ gleichzuset- ie Vorstellungen vom islamischen Dschihad und den christlichen zen. Er meinte, dass die extremisti- Kreuzzügen mögen ähnlich erscheinen, aber es gibt tiefe Unter- schen Islamisten darüber nur glück- Dschiede zwischen ihnen, erklärt der französischer Historiker Jean lich damit sein könnten, da sie ja ihre Flori am 14. Mai in einem Interview mit der katholischen Nachrichtena- eigenen Ziele mit Begriffen wie „Ju- gentur ZENIT. Flori ist Mediävist (Erforscher des Mittelalters) und Direktor den“, „Kreuzzüge“ und „Verräter des Staatlichen Zentrums für soziologische Forschung und des Zentrums und Tyrannen“ definieren – Wörter, für Studien der mittelalterlichen Zivilisation in Poitiers. Er ist Autor des Bu- die rassistische, religiöse und politi- ches „Der heilige Krieg: Entstehung der Idee des Kreuzzugs im christlichen sche Untertöne tragen. Abendland“, herausgegeben von Trotta und der Universität von Granada. „Wenn es in der kriegsähnlichen Reaktion der Bush-Administration Die Frage, ob es möglich sei, die zu den Waffen und Gewalt ab.“ Facetten eines religiösen Fundamen- Kreuzzüge mit dem islamischen Ge- „Der Dschihad, in seiner kriegs- talismus gibt, dann ist das bekla- danken des Dschihad zu vergleichen, ähnlichen Form, wurde von Beginn genswert, aber dieser Krieg kann beantwortete Flori gegenüber ZENIT an erlaubt“, bemerkte Flori. „Er ging nicht mit einem Kreuzzug oder einem mit „Nein, wenn sich die Frage um dem christlichen heiligen Krieg vor- heiligen Krieg verglichen werden“, den gegenwärtigen Dschihad dreht, aus, der eine Abweichung von der sagte Flori. „Dieser Krieg wurde we- genauso wie er gepredigt wird und kirchlichen Lehre war. Das Ziel des der im Namen einer Religion gepre- beklagenswerter Weise von den mus- Dschihad war die Eroberung von Ge- digt, noch verspricht er irgendeinen limischen Fanatikern, die wir Isla- bieten, die vom Islam nicht besiedelt spirituellen Lohn für die Teilnehmer. misten nennen, praktiziert wird.“ waren, den sogenannten Kriegs- Das wären Merkmale eines heiligen „In der Tat haben die Islamisten gebieten, mit der Absicht, islami- Krieges“, sagte er. „Nur religiöse eine Politik des blinden Terrors an- sches Recht zu etablieren und nicht, Würdenträger könnten einen heiligen genommen und schlagen gegen west- um seine Einwohner zu bekehren.“ Krieg ausrufen“, fügte Flori hinzu. liche Bevölkerungen wahllos zu, mit „Der Kreuzzug hatte die Rück- „Eine Proklamation dieser Art ist nur keinem anderen Ziel als Rache und eroberung der heiligen Stätten und in einer Gesellschaft möglich, die rassistischem und religiösem Hass“, der alten christlichen Gebiete zum vom Klerus kontrolliert und geführt erläuterte der Historiker. Im Gegen- Ziel, die noch immer von zahlreichen wird, wie es in der mittelalterlichen satz dazu hätten die Kreuzzüge, ganz christlichen Völkern bewohnt wur- christlichen Gesellschaft der Fall gleich wie schrecklich und verurtei- den“, sagte der französische Histori- war, und wie es heute in muslimi- lenswert sie gewesen seien, ein ande- ker. Flori erklärte, dass heute von schen Staaten, die zahlreicher denn res Ziel gehabt, erklärte Flori, näm- manchen versucht werde, den von je sind, der Fall ist.“ (ZENIT.org) lich die Rückgewinnung und Vertei- digung des Heiligen Grabes in Jeru- salem, des wichtigsten heiligen Ortes KURZ BERICHTET: Islam ist fanatisch und zweideutig des Christentums, der 638 von den er Islam ist nach Ansicht des Schweizer Kurienkardinals Georges Muslimen erobert wurde. DMaria Cottier fanatisch und zweideutig zugleich“. Es gelinge dem Islam Trotzdem könne im Mittelalter in nicht, sich gegen den Terrorismus zu verteidigen, sagte der Päpstliche Hof- einem bestimmten Sinne der Kreuz- theologe in einem Interview des in Kißlegg erscheinenden „PUR“-Maga- zug mit dem Dschihad verglichen zins. Vielleicht sei der Islam fanatisch, weil er keine Selbstsicherheit ken- werden, nämlich in dem Sinne, dass ne. Die Religiosität der Muslime kann nach den Worten des Kardinals „für „sie beide Massaker und Grausam- uns Christen zur Aufforderung werden, unseren eigenen Glauben bewuss- keiten zuließen“. Es gebe jedoch be- ter zu leben“. Das müsse aber ohne Illusion geschehen, denn die Glau- merkenswerte Unterschiede, hielt er benspraxis der Muslime in Europa sei sehr gering. Die Kontakte mit Musli- fest. „Der Dschihad wurde von An- men, „die dies wünschen“, sollten verstärkt werden. Im Dialog könnten fang an von Mohammed, dem Grün- jene Werte erörtert werden, „die auch die unsrigen sind“. Cottier betonte der des Islam, praktiziert. Jesus hin- weiter: „Alle Personen, die regen Kontakt zum Islam haben, bezeugen, gegen lehnte in seinen Handlungen dass es darin viele gute und ehrliche Menschen gibt.“ (KNA 25.05.2005) und in seinen Predigten jeden Griff

36 AUFTRAG 255 KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN Die Zeit der Zweideutigkeit muss vorbei sein Der Djihad-Terror hat Europa erreicht. Islam-Experte Bassan Tibi: Tappt Europa nun in die Falle von El Kaida?

„Seit dem 11. März 2004 ist es offensichtlich: Der Djihad-Terror hat heutigen Europa mit seiner Religi- Europa erreicht. Um ihrer Glaubwürdigkeit willen muss die europäische onsfreiheit sei daher jede Praxis der Islam-Diaspora überzeugend Abstand von dieser islamistischen Strö- Taqiyya als unberechtigt anzupran- mung nehmen. Taktische Lügen darf es nicht geben“, warnte Bassam gern und darüber sei aufzuklären. Tibi in einem Beitrag der Zeitung „Die Tagespost“ (Nr.44/14. April Statt der erhofften Offenheit durch 2004). Aufgrund der Aktualität des Themas bringt AUFTRAG eine Kurz- die Religionsfreiheit müsse heute fassung der Gedanken des Islam-Experten. Der Autor fordert die euro- leider festgestellt werden, dass selbst päische Islam-Diaspora auf, sich eindeutig von dem Djihad-Terror abzu- manche sunnitischen Muslime in ih- grenzen. Gleichzeitig sollen sich die Europäer vor einem falsch verstan- rem Einflusskreis die Haltung verträ- denen Toleranzverständnis hüten. ten, dass eine „Iham/Täuschung ge- genüber Ungläubigen“ legitim sei. us Zweckmäßigkeitsgründen lich-islamischen Sicherheitspolitik Dies schade aber zutiefst dem isla- habe El Kaida bisher West- vorgehen, was die Führung der euro- misch-europäischen Dialog. Aeuropa von ihrem Terror zum päischen Islam-Diaspora nicht tue. Für einen Brückenschlag zwi- Erhalt ihrer Logistik und Unterstüt- Dagegen würde in einem deutschen schen dem demokratischen Europa zungssysteme verschont. Offensicht- Fernsehsender unwidersprochen von und dem Islam dürften alle damit lich gebe es bei El Kaida kein zentra- einer „Kopftuch-Muslima“ die Täu- verbundenen Schwierigkeiten nicht les Kommando mehr bedingt „durch schung verbreitet: „Muslime de- politisch korrekt unter den Teppich die Vernichtung ihrer Basen in Af- monstrieren nicht, weil dies nach gefegt werden. Es müsse vielmehr ghanistan, verbunden mit der militä- dem Propheten als ‘Fitna/Unruhe’ geklärt werden, welche Vorausset- rischen Schwächung ihrer Kräfte in gilt; Muslime sollten bei Unruhen zu zungen ein solcher Euro-Islam zu er- dem unkontrollierbaren Stammes- Hause bleiben.“ füllen hätte und welche Komponen- gebiet ... in Nordpakistan“. Jetzt habe Als Schüler habe er -– merkt der ten des Islam keinen Zugang zu Eu- sich El Kaida weitgehend in eine de- Autor an – in Damaskus an sehr vie- ropa finden dürften. Vor allem dürf- zentral Bewegung verwandelt. Dies len Demonstrationen teilgenommen ten Scharia und Djihad nicht unter bewiesen die durch die marokkani- und er habe auch später oft in islami- dem Deckmantel der Religionsfrei- schen Anhänger der El Kaida un- schen Ländern sehr große Demonst- heit geduldet werden. Die von Men- ternommenen Anschläge vom 11. rationen erlebt. In seinen Islam-Stu- schen gemachten Vorschriften der März in Madrid sowie die Aufdeckung dien sei er auch nie auf die „zitierte“ Scharia seien weder mit Demokratie von darin mit verwickelten Pakistani- Aussage des Propheten gestoßen. noch mit Menschenrechten verein- Terrorzellen in Großbritannien. Es bar. gehe dabei nicht um einfache krimi- Das Schweigen der Islam- Auch bedeute Djihad nicht nur nelle Taten, sondern um eine islamis- Diaspora rechtfertigen? „friedliche Anstrengung“, wie ein tische Strömung. Ihre Auswirkungen Fest stehe, dass zur Zeit des Pro- „Zeit“-Redakteur seinen Lesern die seien gleichbedeutend auf „den ame- pheten man nicht wusste, was eine Formel „Djihad für Demokratie“ rikanischen 11. September wie für Demonstration ist. Warum müsse mit falsch vermittele. „Qital/Kampf“ sei den westeuropäischen 11. März“. einer Täuschung das Schweigen der nach dem Koran ein Bestandteil des Dieser Djihadismus fuße auf ei- westeuropäischen Islam-Diaspora Djihad. Dennoch sei der Djihad ein ner falschen Auslegung des klassi- gerechtfertigt werden? In Frankreich nach strengen Regeln geführter klas- schen islamischen Djihad, dennoch hätten Islamisten und Salafisten den sischer Krieg und damit kein Terror. stelle er sich als die „wahre Stimme Europäern nach dem 11. März vorge- Terrorismus bedeute dagegen Gewalt des Islam“ religiös legitimiert und worfen, „in Europa gedeihe ein ohne Regeln und sei demnach kein nicht außerhalb des Islam stehend Feindbild Islam!“, nach dem Motto: Krieg. „Die Entwicklung vom Djihad dar. „Djihadisten schaden durch ihre Angriff ist die beste Verteidigung. zum Djihadismus (al-Djihadiyya) Terroraktionen dem Islam und den Deshalb sei die Integration der in geht auf die 1928 in Kairo gegründe- Muslimen.“ Nun stünden Muslime Europa lebenden Muslime die beste te Muslim-Bruderschaft zurück. Der unter dem Zwang, Abstand von die- Sicherheitspolitik gegen das fortlau- Begründer dieser Bewegung, al- ser islamistischen Strömung zu neh- fende Eindringen des Djihadismus in Banna, hat in seinem Essay ‘Risalat men. Zweideutige Stellungnahmen, die europäische Islam-Diaspora. „Im al-Djihad’ die Grundlagen für den falsche Solidarität unter Muslimen sunnitischen Islam gilt ‚Kutman/ Djihadismus gelegt“; darin werde sowie die Behauptung, dieser Djiha- Verheimlichung der eigenen Positi- der klassische islamische Djihad zu dismus habe mit dem Islam nichts zu on’ als Sünde, etwa im Gegensatz einem djihadistischen Islamismus – tun, würden nur schaden. zum Schia-Islam, der die ‚Taqiyya/ Djihadiyya – umgedeutet, schreibt Muslime müssten gegen den Täuschung durch Verstellung’ er- Bassam Tibi. Die Muslim-Bruder- Djihadismus im Rahmen einer west- laubt“, stellt Bassam Tibi klar. Im schaft sei die erste fundamentalisti-

AUFTRAG 255 37 SICHERHEIT UND FRIEDENSETHIK RADIKALER ISLAMISMUS sche Bewegung im Islam. Sie sei we- seligkeit fühlten. Eben diese erleich- rituellen Islam und versuche dabei, gen ihrer dokumentierten Morde und tere die Arbeit der Djihadisten, die einerseits Glauben und Politik Terroranschläge in ihrer Heimat, die europäische Islam-Gemeinde für auseinander zu halten, und ihn ande- Ägypten, wie überall in der Welt des ihre Aktivitäten gewinnen wollen. rerseits auf ethischer Grundlage mit Islam verboten. Ihre legalen Zentren Im Jahre 1992 hatte Bassan Tibi europäischen Werten wie Demokra- hätten sich in die westeuropäische in Paris im Rahmen eines Projektes tie, individuelle Menschenrechte, Islam-Diaspora – vor allem in Deutsch- „Islams d’Europe: Intégration ou Pluralismus und Zivilgesellschaft in land – eingenistet. Insértion Communitaire“ erstmals Einklang zu bringen. Der Enkel von al-Banna, Tariq das von ihm entwickelte Konzept ei- „Wenn also Vertreter des organi- Ramadan, lebt als Schweizer in Genf nes Euro-Islam vorgestellt, wurde sierten Islam in Europa den Islam als und versuche den Europäern die aber bei seinem Einsatz zur Verwirk- „Ordnung“ bezeichnen (Begriffe wie Muslim-Bruderschaft als eine anti- lichung des Projektes sowohl von Nizam/Ordnung und Daula/Staat koloniale Bewegung darzustellen. In Islamisten als auch vom Hang man- kommen im Koran nicht vor), verra- dem Buch des Islam-Experten cher Europäer zur Political Correct- ten sie, dass sie im Namen des Glau- Robert Spencer „Onward Muslim ness behindert. Nun staune er bens Politik betreiben wollen. Isla- Soldiers“ zeige dieser im Einzelnen darüber, wie etwa der Vorsitzende misten, die eine Gottesherrschaft an- auf, wie Tariq Ramadan seine des Islam-Rates, der Saudi-Araber streben, können keine Euro-Muslime islamistischen Ansichten und Ziele mit deutschem Pass Nadeem Elias, sein“, unterstreicht der Islam-Exper- vage und zweideutig formuliere, um zum 11. März zunächst geschwiegen te. Auch den Begriff Hakimiyyat Al- als gemäßigter „europäischer Mus- habe. Als die Medien ihn zu einer lah (Gottesherrschaft) finde man im lim“ dazustehen. Aber er mache Stellungnahme gedrängt hätten, sag- Koran nicht. dann halt, wenn es gelte, „die Tren- te er: „Dies hat mit dem Islam nichts Nach dem 11. März dürfe es nung zwischen Religion und Politik zu tun.“ Wenn dem so wäre, stellten nicht mehr zugelassen werden, dass für die in Europa lebenden Muslime sich dann aber die Fragen, ob Islamisten, die Europäer täuschend, unzweideutig zu akzeptieren.“ – der Djihadismus keine islamisti- Islamismus als Anti-Globalisierung Nun sei es ein Merkmal des poli- sche Strömung sei, rechtfertigen können. Tariq Rama- tischen Islam – Islamismus -, die Re- – die Ideologie der Muslimbruder- dan wirke auch aktiv in der Anti- ligion an die Politik zu binden. Aber schaft sowie der Wahhabismus Globalisierungsbewegung mit, zu- eine Islam-Deutung könne nur dann europäisch seien und sammen mit linken Bündnisge- europäisch sein, wenn sie Religion – ob ein an die Vorschriften der nossen, obwohl seine islamistische von Politik trenne. Deswegen müsse Scharia gebundener Islam ein geistige Welt eigentlich rechtsradi- auch die Islam-Diaspora in Weste- Euro-Islam sei? kal sei. Bei Ramadan und den uropa öffentlich und kooperativ den Darauf gäben die offiziellen Re- Antiglobalisten ist Antiglobalisie- Djihadismus bekämpfen. präsentanten der Islam-Diaspora in rung wiederum ein Tarnwort für Anti- Europa jedoch keine eindeutigen amerikanismus, gibt der Autor zu be- Tappt Europa in die Falle Antworten. denken. von El Kaida? Weil das europäische Publikum „Diese„„ Erwartung veranlasst zu nicht informiert sei, stoße man bei Einen Kollektivverdacht gegen der Frage: Wie realistisch ist ein vielen Europäern auf eine indifferen- Muslime darf es nicht geben Bündnis mit den Kräften des Euro- te Reaktion gegenüber dem Djihadis- „Natürlich darf es keinen Islam zur Abwehr des Djihad-Terro- mus. Das sei jedoch nichts anderes Kollektivverdacht gegen Muslime ge- rismus als neuem Totalitarismus? als Selbstaufgabe, wenn dabei selbst ben, auch kein ‘ethnic-religious Hierbei ist zunächst festzustellen, „das Intolerable toleriert“ werde, profiling’, wie man Ausgrenzung in dass Europa der Herausforderung warnt Bassam Tibi. den USA nennt, ist zu dulden. Die durch den totalitären Islamismus Bei den Täuschungen stelle sich Europäer müssen nicht nur rheto- macht- und ratlos gegenüber zu ste- die Frage, wie Europäer einen wirk- risch, sondern auch operationell zwi- hen scheint. Auf der Suche nach ei- lich europatauglichen Islam von Fäl- schen Islam und Islamismus unter- ner Antwort auf die djihadistische scheiden. Die Politik muss sich Bedrohung durch Islamisten, die von der Formel leiten lassen: Tole- sich in der Moscheevereinskultur Toleranz dem Islam, ranz dem Islam, wehrhafte Demo- überall in der europäischen Dias- wehrhafte Demokratie dem Islamismus! kratie dem Islamismus.“ Nun, pora eingenistet haben, war bisher nach den Terroranschlägen in Spa- von europäischen Politikern wenig Bassan Tibi nien am 11. März sei nicht nur zu vernehmen“, kritisiert der Autor. Westeuropa, sondern auch die Um nicht in die Falle der El schungen des politischen Islam westeuropäische Islam-Diaspora her- Kaida zu tappen, dürften die Europä- (Islamismus), der durch die Präsen- ausgefordert, Klarheit zu schaffen er einerseits nicht das Selbstmitleid tation des Islam als Din wa-Daula und Taten folgen zu lassen. Die Zeit der Muslime als „neue Opfer Euro- (Einheit von Staat und Religion) über der Zweideutigkeiten und der damit pas“ mitmachen. Andererseits müss- die Scharia bestimmt werde, unter- verbundenen Täuschungen müsse ten sie dazu beitragen, dass die Mus- scheiden können. Im Gegensatz dazu vorbei sein, appelliert Bassam Tibi lime nicht eine zunehmende Feind- revitalisiere der Euro-Islam den spi- an Europäer und Muslime. (bt)

38 AUFTRAG 255 KRISENHERD NAHER U. MITTLERER OSTEN

erst einmal orientieren, ob „sie eher Paul Spiegel: Die Brutstätten für Hass dem orthodoxen oder liberalen Ju- dentum zuneigen.“ Dem Zentralrat sei es aber egal, wie jemand sein Ju- und Terror müssen beseitigt werden dentum definiere. Spiegel sieht es so: „Wer sich dem Judentum nicht über Die Flüchtlingslager – auch in den arabischen Ländern – gehören aufgelöst die Religion zugehörig fühlt, der ver- steht es als Schicksalsgemeinschaft. ur Problematik: Es gibt ca. 4,6 Millionen Palästinenser (ohne diejeni- Auf die Frage wie Juden Jesus gen mit israelischer Staatsbürgerschaft), davon gelten über 3 Mio sehen antwortet der Zentralratsvor- Zeinschließlich ihrer Nachkommen als Flüchtlinge aus dem Palästina sitzende, Jesus sei ein Reformer und vor der Staatsgründung Israels 1948 (ehemaliges britisches Mandatsge- Revolutionär, der Missstände an- biet), wovon knapp 1,5 Millionen in Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon, prangerte. Für Juden sei er aber Irak, Kuwait und Saudi-Arabien vielfach in von der UNO unterhaltenen nicht der Messias, der wird erst dann Lagern leben. Die arabischen Staaten lehnen es ab, diese Flüchtlinge bei gekommen sein, wenn Frieden auf sich zu integrieren. Die palästinensische Autonomiebehörde fordert bis Erden herrsche. Aber als wichtige jetzt, dass alle Flüchtlinge in ihre Heimat zurückkehren können, was zu Erfahrung sehe er, dass es zum ers- einer Bevölkerung von über 6,3 Millionen – einschließlich der israelischen ten Mal nach dem Holocaust eine ge- – Palästinensern gegenüber ca. 5 Millionen Juden führen würde. Einen meinsame Erklärung der katholi- solchen Massenzuzug von Flüchtlingen lehnt Israel ab, da es nach seiner schen und evangelischen Kirche zu- Ansicht den jüdischen Charakter des Landes untergraben würde. Nach sammen mit dem Zentralrat zu dem einer Meldung der Nachrichtenagentur AP aus Jerusalem vom Mel Gibson-Film „Passion“ gegeben 18.06.2004 hat jetzt der palästinensische Präsident Arafat gegenüber der habe, den er als furchtbar und brutal israelischen Zeitung „Haaretz“ geäußert, er verstehe, dass Israel seinen bezeichnete. jüdischen Charakter wahren müsse. Dabei ließ er anklingen, dass sich Spiegel begrüßt es, dass der neue viele palästinensische Flüchtlinge auch in den Autonomiegebieten (Gaza Bundespräsident, Dr. Horst Köhler, und Westjordanland) niederlassen könnten ohne Zahlen zu nennen. die Diskussion über den Patriotismus „Kurz- und mittelfristig sehe ich Dem Hinweis, nach Deutschland anstoßen wolle, da er mit seiner keine Lösung“ im Nahostkonflikt, würden mehr Juden einwandern als Sprache die Menschen erreiche kön- antwortete der Vorsitzende des Zen- nach Israel, widersprach er. Dies gel- ne. „Es ist Zeit, dass in Deutschland tralrats der Juden in Deutschland, te nur für das Jahr 2003. So seien seit eine Patriotismus-Debatte geführt Paul Spiegel, auf die Frage nach ei- 1990 1,5 Millionen Juden nach Isra- wird – und zwar durchaus zum ner Befriedung. Die israelische Re- el eingewandert. Während des glei- Schutz des Landes“ bevor sich radi- gierung müsse ihre Bürger schützen, chen Zeitraums seien nur 75.000 in kale Kräfte des Themas bemächtig- wie es ebenso Pflicht des deutschen die deutschen jüdischen Gemeinden ten, betonte der Vertreter der deut- Kabinetts sei, Gefahren von den gekommen. Junge Juden in der schen Juden. Deutschen fernzuhalten. „Jedesmal Bundesrepublik definieren sich heu- Patriotismus dürfe man nicht mit wenn Verhandlungen zwischen Israel te als Deutsche, was vor zwanzig Jah- Nationalismus oder Überheblichkeit und den Palästinensern bevorstanden, ren noch nicht möglich gewesen sei. verwechseln. Patrioten stünden zu ist es in der Vergangenheit zu An- Trotzdem hätten sie jederzeit die ihrem Land und seiner Geschichte schlägen gekommen“, hob der Vor- Möglichkeit nach einer Einwande- mit den guten aber auch negativen sitzende des Zentralrats der Juden in rung in den Judenstaat sofort jüdi- Seiten. „Warum sollen denn die Deutschland in einem Interview mit sche Staatsbürger zu werden und die- Deutschen nicht die Fahne hissen, der Rheinischen Post vom 19. Juni ses Wissen gebe einen wertvollen wenn ihr Land im Fußball gewinnt? 2004 hervor. Zu einer Entschärfung Rückhalt. „Der Staat Israel ist die Ga- Oder die Nationalhymne singen?“ und einer vorübergehenden Lösung rantie, dass es niemals eine Wieder- fragt Spiegel. Er stehe auch zu dem holung des Holocaust geben wird“, Text der deutschen Nationalhymne, könnte der Grenzzaun beitragen, den betonte Spiegel. Hätte dieser Staat Israel zz. baut. Die israelischen bereits vor 1939 bestanden, wäre es aber die Musik erinnere ihn zu sehr Sicherheitsbehörden vereitelten be- wahrscheinlich nie zu einem Holo- an die Nazizeit. Aber das sei sein reits jetzt 98 Prozent aller Attentate. caust gekommen. persönliches Trauma und spreche Andererseits müssten endlich die Hinsichtlich der Probleme mit der nicht gegen patriotische Gefühle Flüchtlingslager mit den Palästinen- Aufnahme von 75.000 Juden in die jü- oder das Singen der Nationalhymne. sern in den arabischen Staaten aufge- dischen Gemeinden in Deutschland So habe er als 17-Jähriger 1954 in löst werden, wo die Menschen teil- erklärte er, ein Großteil hätte in den einer kleinen Kneipe vor dem Fern- weise seit 1948 in größter Armut und Herkunftsländern keine Gelegenheit seher das Wunder von Bern mit- unter erbärmlichsten Bedingungen gehabt, Judentum zu erfahren. Ob- verfolgt. „Wir haben bei jedem Tor leben müssen. „Diese Brutstätten für wohl in ihren Pässen als Nationalität der deutschen Mannschaft geschrie- Hass und Terror müssen beseitigt Jude stand, wäre es teilweise lebens- en – natürlich haben wir geschrieen, und die dortigen Bewohner in men- gefährlich gewesen, dort ihren jüdi- das war ja unsere Mannschaft“, erin- schenwürdigen Infrastrukturen un- schen Glauben zu leben. nert sich der Zentralratsvorsitzende tergebracht werden“, unterstrich der Hier in Deutschland angekom- der Juden und unterstreicht damit Zentralrats-Vorsitzende. men, müssten sich diese Menschen seine patriotische Haltung. (bt)

AUFTRAG 255 39 GESELLSCHAFT NAH UND FERN Gott oder Mammon?

JOHANNES MICHAEL SCHNARRER

er kritische Zeitgenosse fragt überlebt haben. Vielleicht wird dem Seit der Vereinigung ist es genau sich heute nicht ganz unbe- Einen oder der Anderen dann doch umgekehrt. Jetzt ist alles vorhanden, Drechtigt, ob das Geld nicht wieder einsichtig, dass sich eben viel und man muß überlegen, was man doch zu wichtig geworden ist? Frü- ändern sollte, damit alles so bleiben braucht, was man sich leisten kann. her, als der Durchschnittsbürger kann wie es ist – und der hohe Le- Noch mehr: Das Geld spielt nicht nicht so viel hatte, hätte es andere bensstandard erhalten werden kann, nur eine Rolle beim Kauf, sondern Wertprioritäten gegeben, das Klima der uns so verwöhnt. Slogan wie „Erst schiebt sich überall im täglichen in der Gesellschaft sei positiver ge- die Marie, dann die Moral ...“ oder Lebensvollzug dazwischen – in alle wesen – ist gerade von der Nach- „Geld hat man oder man hat es nicht Nischen und Ritzen. Das Denken kriegsgeneration zu hören. ...“ zeigen kurz und bündig, welchen wird vom Geld okkupiert. Natürlich Schnell ließe sich dieser Ein- Prioritäten der Zeitgeist tatsächlich hat das Geld jetzt einen anderen druck bestätigen, dass Geld einen folgt. Wert, und diese Erfahrung wird auch Vorrang bekommen habe: In der Wer- positiv empfunden: Ich kann mir mit bung wird der gute Geschmack über- Europäische Dimension der D-Mark (jetzt mit dem Euro) et- schritten, wenn schon vierjährige Die Vereinigung Europas und was leisten! Ich kann auf ein Ziel hin Jungen sagen müssen: „Ich schenke die Erweiterung der EU sei vor allem sparen! Es taucht aber auch eine nichts her!“ Jede Regierung, jede In- aus wirtschaftlichen Gründen so neue, bisher ungewohnte Gefahr auf, stitution generell, überlegt erst, ob schnell vorangetrieben worden. Die daß unser Leben geldlich geworden sie sich eine Maßnahme (im Sinne einheitliche Währung „Euro“ ist ei- ist – so wie unser Leben leiblich ist des Budgets oder Rahmens) leisten ner der starken Identifikationsmerk- ... Es gibt keinen Bereich, in den kann oder nicht ... und erst dann male eines Kontinents, der selbst um Geld sich nicht hineindrängelt.“1) werden die nötigen Schritte eingelei- seine eigenen neuen Paradigmen tet, um dies oder das in der Gesell- ringt. Denn mit jedem neuen Land, Broterwerb schaft zu verändern. das in die Europäische Union eintritt Dramatisch steigt auch die Zahl Mit dem Verdienen von Geld ist und sich dem wirtschaftlich-juristi- für die meisten unserer Mitbürger der Haushalte, die einen Privatkon- schen Diktat der Entscheidungs- kurs – aus welchen Gründen auch der sog. „Broterwerb“ verbunden. träger in Brüssel, Straßbourg und Also korrespondieren Arbeit und immer – anmelden müssen. Steigende Luxemburg unterwirft, ändern sich Geld stark miteinander. Nur haben Abgabequoten durch Steuern und auf auch die Sichtweisen. der anderen Seite wachsende Ansprü- sich in den letzten Generationen un- che der Verbraucher lassen verstärkte Beispiel Ostdeutschland sere Ansprüche so ausgeweitet, dass Spannungen heraufbeschwören, die Gesellschaftlicher Wandel bringt es mit dem Broterwerb allein nicht in der Zukunft unser Leben ganz we- manchmal Paradigmenwechsel mit getan ist, denn eine materielle Si- sentlich mitbestimmen werden. sich, die sich auf alle Bereiche des cherheit, die sich über eine Genera- Andererseits wollen immer mehr Lebens beziehen. Und Geld spielt tion hinweg als stabil erweist, führt unserer Zeitgenossen mit ihrem Geld dabei wieder eine entscheidende Rol- zur Gewöhnung. D.h. viele haben verantwortungsvoll umgehen und da- le. Wenn plötzlich ein ganzes Volk sich eingerichtet darauf, dass es ih- mit Gutes getan sehen. Wer dies über Nacht von der nicht-konvertier- nen gut geht und sie keine Not leiden möchte, der kann dies auch tun, baren in eine konvertierbare Wäh- müssen – bei ständig steigenden Er- denn noch immer gilt der alte Grund- rung wechselt, dann entstehen Pro- wartungen an den Lebensstandard. satz: Je mehr Geld man hat, um so bleme. Welchen hohen Wert das Kommt dann doch die Arbeitslosig- mehr Verantwortung hat man auch Geld nach der Wiedervereinigung keit, ist es notwendig wieder den gegenüber dem Gemeinwohl und der Deutschlands bekommen hat, wird Gürtel enger zu schnallen. In der Ar- Gemeinschaft! an den Überlegungen von Siegfried beit sollte man aber nicht nur einem Foelz deutlich: „Einen ganz ent- Job nachgehen, um „cash“ zu ma- Geld hat Dienstfunktion scheidenden Faktor in diesem Wan- chen, sondern einer „Berufung“ fol- Geld ist wichtig, sehr wichtig, del des gesellschaftlichen Lebens gen. aber sollte nie die Dienstfunktion ver- spielt das Geld, die Marktwirtschaft. lieren, ansonsten wird es zum Selbst- Wir hatten keine konvertierbare Symbol der Freiheit zweck und steht in Gefahr, dass es Währung; wir hatten kein Verhältnis Freiheit ist ein zentraler Begriff überhöht wird. Dabei ist bei allen zum Geld. Man kaufte nicht das, was der Ethik, aber nicht nur der. Denn Reformen z.B. in Staat oder Kirche man brauchte, denn dies gab es gar die ethische Relevanz des Geldes zu beachten, dass es um den Men- nicht. Man nahm das mit, was vor- wird auch an ihr besonders deutlich. schen gehen muss und eben nicht handen war, weil es das gerade gab. Die individuelle Freiheit ist heute in nur um die Aufrechterhaltung lieb Der Kauf war eine günstige Gelegen- jeder Weltanschauung und Ideologie gewordener Strukturen, die sich aber heit, aber kein günstiges Angebot. tatsächlich ein primäres Ideal. Frei-

40 AUFTRAG 255 GESELLSCHAFT NAH UND FERN sein heißt in der Nachmoderne vor Fortschritt und te von nicht nur ökonomischer Art. allem maximale Selbstbestimmung Selbstverwirklichung Sofern nämlich Geldvermögen Er- und Wahlfreiheit. Schon G. Simmel Ohne Frage ist die Freiheit des gebnis von Arbeitsfleiß, Sparsamkeit hat in seiner „Philosophie des Gel- Habens an die technischen Fort- und unternehmerischem Erfindungs- des“ darauf hingewiesen, dass es als schritte gekoppelt. Seit dem Beginn geist ist, stehen dahinter ethisch qua- Träger der individuellen Freiheit be- des naturwissenschaftlichen Zeital- lifizierte Werte, wie gerade die Hoch- zeichnet werden kann, weil es ters ist der Mensch stets bemüht, das haltung derartiger Werte zur ökono- dadurch möglich geworden sei, per- machbar zu machen, was noch nicht misch relevanten Kapitalbildung und sönliche Beziehungen immer mehr machbar ist. Es ist ein menschliches damit zur Entwicklung der modernen zu verdinglichen und zu entpersona- Grundbedürfnis die Natur zu beherr- Wirtschaft beigetragen haben. Die lisieren und dadurch ständig größere schen, um freier zu sein. Dabei war Kapitalbildung als solche, ohne die Freiheitsräume für den Menschen zu der technische Fortschritt der ver- die Wirtschaft im nachmodernen Sin- schaffen. In der Dynamik der Geld- gangenen Dekaden ein atemberau- ne von Komplexität und Globalisie- wirtschaft der vergangenen Jahrhun- bender Wettlauf um die Machbar- rung undenkbar wäre, ist also kei- derte läßt sich als andere Seite der keit. Doch nie ist der Mensch mit neswegs ohne einen ethisch legiti- arbeitsteiligen Wirtschaft durch den dem zufrieden, was er erreicht hat: men Grund. Wird allerdings die Ge- immer schneller werdenden Über- Er will immer mehr. Trotz allem blei- winnmaximierung des Kapitals zum führungsprozess von wertorientierten ben aber unsere Möglichkeiten be- primären Zweck der Wirtschaft, persönlichen Bindungen in eher grenzt, und vor allem unsere Zeit dann mag dies die Effizienz steigern, wertneutrale, monetäre und wettbe- (auch wenn wir die Lebenszeit durch es setzt dann jedoch Mechanismen in werbliche Beziehungen eine Ver- bessere Apparatemedizin verlängern Gang, die dem sozialen und ökologi- schiebung der Gewichte erkennen. können). Sowohl die nicht-reprodu- schen Zweck der Wirtschaft zuwider- Und so verwundert es nicht, dass zierbaren Ressourcen sind vermehr- laufen. Schon Aristoteles wusste, sich die stark persönlichen Bindun- bar, als auch das Leben in seiner Be- dass alle, die sich mit Erwerb befas- gen unter den Menschen immer mehr grenztheit auf unserer Erde selbst ist sen, ihr Geld mehr oder weniger zu in eine Vielzahl von sachlichen und nicht auf immer zu verlängern. vermehren trachten. funktionellen Abhängigkeiten auf- Selbstverwirklichung hängt eng löst. Auf was es letztlich ankommt mit dem Geld zusammen. Denn je Mammon oder Gott? ist, dass das Geld verantwortungsvoll mehr Geld ich habe, umso mehr Absolut gesetztes Geldkapital eingesetzt wird und nicht eine Über- Machbares steht mir zur Verfügung, mit seiner Struktur bedingten Ten- höhung erfährt. umso freier kann ich sein, womit denz zur Extremisierung des Ge- Geld zum Symbol und geradezu als winninteresses steht somit in einem Der Zeitfaktor Voraussetzung von Freiheit hoch sti- unaufhebbaren Gegensatz zur Huma- Mit Geld kann man Zeit gewin- lisiert wird. Auf der anderen Seite nität und wird zum Mammon. Der nen, obwohl der durchschnittliche gilt, dass je mehr Geld ich besitze, Mammon ist nicht einfach gleichbe- Bürger seine Lebenszeit verkauft, umso weniger bin ich in meinen Dis- deutend mit Geld oder Geldwirt- um Geld zu verdienen und um sich positionen konditioniert und umso schaft, wie ein naiver Antikapita- und seine Familie mit dem Lebens- mehr kann ich meine Wünsche und lismus meint. Geld als Tausch- und notwendigen abzusichern. Heute Hoffnungen zur Wirklichkeit werden potentielles Produktionsmittel bleibt hört man nicht selten die Klage: „Ich lassen. für jede Wirtschaft unabdinglich, die habe keine Zeit!“ Geld ist Zeit. Und über die naturale Phase hinaus ge- Zeit ist Geld. Der Mangel an Zeit Universelle wachsen ist. Doch das Geldkapital rührt von der Tatsache her, dass wir „Kommunikationsgröße“ muss Mittel bleiben, Mittel im zu wenig Zeit (im Sinne von Lebens- In der modernen, pluralen und Dienst einer Wirtschaft, die in Über- zeit) haben, um alles zu tun, was wir demokratischen Gesellschaft hat die einstimmung mit den Zwecken steht, tun können. Denn die vielen Mög- Wirtschaft nicht nur eine Schlüssel- die die Humanität aus Glauben, lichkeiten, die uns zur Verfügung ge- funktion, sondern eine Vorrangstel- Hoffnung und Liebe lebenswert stellt werden (gesellschaftlich und lung. Dabei werden ökonomischen macht. Im Blick darauf ist das Wort privat) wachsen viel rascher an als Aspekten Vorrang eingeräumt und der Bibel von fundamentaler wirt- das Ausmaß der Zeit, die wir unbe- andere Aspekte der Realität erhalten schaftsethischer Bedeutung: „Ihr dingt zur Verwirklichung dieser Op- untergeordnete Rollen zugewiesen. könnt nicht Gott dienen und dem tionen brauchen würden. Es entsteht Geld besitzen heißt somit auch Mammon!“ (Mt 6, 24). eine Spannung zwischen Wunsch Macht ausüben. Und so zahlen wir für Ein anderes wichtiges Jesuswort und Wirklichkeit. Und die Erfah- unseren Wohlstand und das steigende ist die sog. Zinsgroschenperikope: rung, dass Zeit knapp ist, diese wird Verlangen nach der Freiheit des Ha- „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, natürlich mit der Menge der gegebe- bens mit der zunehmenden Abhängig- und Gott, was Gottes ist.“ (Mk 12, 13). nen Chancen, sie zu nutzen, ständig keit vom Geld und stehen stark in der Nach dieser Aussage ist also jeder intensiver. Mit Geld kann man Zeit Gefahr das Sein zu vernachlässigen. gerufen, genau zu unterscheiden, sparen, nämlich dann, wenn man sich was Gott (auch Kirche als Zeichen eine Flugreise leistet, anstatt mit dem Ethischer Blick Gottes auf Erden) und dem Kaiser Auto oder dem Zug zu fahren, oder Auch bei Geldvermögen handelt (auch dem modernen Staat) zukom- gar zu Fuß diese Strecke zurücklegt. es sich um Werte, und zwar um Wer- men sollte.2) Diese Trennung ist von

AUFTRAG 255 41 GESELLSCHAFT NAH UND FERN den Funktionen der Gesellschaft her wo es zum Selbstzweck wird, dort be- wahre Liebe, Gesundheit, Glück und möglich, an manchen Stellen aber steht die Gefahr der Vereinseitigung Leben über dieses irdische Leben hi- auch problematisch, wenn beide und Überhöhung materialistischer naus, um nur einige zu nennen ... Sphären in Konflikt stehen (wie z.B. Werte. Der Konsumismus folgt einer beim Wehrdienst oder der Verweige- Ideologie, die von vielen unserer Anmerkungen rung des Dienstes mit der Waffe). Zeitgenossen blind übernommen 1) S. Foelz; Art. „Der schwierige Prozess wird: Um die größtmögliche Freiheit des gesellschaftlichen Wandels seit der Fazit zu erreichen, müsse der Mensch soviel Vereinigung.“ In: T. Brose (Hrsg.); Deut- Geld war früher, ist heute und Geld wie möglich besitzen. Also treibt sches Neuland. Beiträge aus Religion wird auch in Zukunft wichtig, ja sehr das Verlangen nach mehr Freiheit und Gesellschaft. Leizpzig 1996; S. 200. 2 Vgl. M. Sroppok/ J. M. Scharrer; „Gebt wichtig sein. Und in diesem Sinne ist zum Wachsen des Geldbedarfs. In die- dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, festzuhalten, dass Geld auf viele un- sem Sinne sind Geld und Freiheit zwei was Gottes ist.“ Auslegungstendenzen serer Zeitgenossen in der Nach- einander bedingende Größen der Zinsgroschenperikope (Mk 12, 13- moderne eine besondere Faszination Auch wenn man sich (fast) alles 17 par) in der deutschsprachigen exege- ausübt. Für nicht Wenige ist es zum leisten kann, wenn man Geld hat, tischen Literatur der letzten 100 Jahre. Erfurt 1990. Diese Arbeit wurde mit ei- Gottersatz unserer Zeit geworden. Na- gibt es doch bestimmte Bereiche des nem „vollen Preis“ zur Festakademie des türlich ist für das Leben Geld not- Lebens, die nicht wie ein Stück But- Phil.-Theol. Studiums Erfurt am 15. No- wendig, ja unabdingbar. Aber dort, ter im Supermarkt käuflich sind: wie vember 1990 prämiert.

DAS POLITISCHE BUCH: Deutschland. Der Abstieg eines Superstars

ECKHARD STUFF as Modell Deutschland ist arden Euro in die fünf neuen Bun- Die deutsche Wiedervereinigung dahin gesiecht. Ein langsamer desländer hinübergeleitet. Das Geld sieht Steingart in ihrer ökonomi- DTod, die vielen Symptome dient dort ganz überwiegend dem schen Wirkung eindeutig: „Die Ver- ernster Erkrankung von den Verant- Konsum unserer Landsleute, ist Hil- einigung war politisch, historisch, wortung tragenden Politikern, egal fe fast ohne Selbsthilfe. Dieser kulturell und sicherheitspolitisch ein welcher Coleur, konsequent igno- Transferstaat scheint für die Ewig- Zugewinn. Ökonomisch war sie nicht riert. Heute ist Deutschland das wirt- keit gebaut.“ nur ein schlechtes Geschäft, sie war schaftliche Schlusslicht in Europa: Ist er aber nicht. Schon jetzt le- ein Desaster.“. die gesamtwirtschaftliche Leistung ben wir über unsere Verhältnisse Zur Entlastung Helmut Kohls schrumpfte in der Bundesrepublik und auf Kosten der nächsten Gene- führt Gabor Steingart an, dass er aus- im vergangenen Jahr um 0,1 Prozent, rationen. Staatsverschuldung und gerechnet in dieser wirtschaftspoliti- während der EU-Durchschnitt einen Arbeitslosigkeit sind auf Rekord- schen Herausforderung mit den Anstieg um 0,7 Prozent auswies. niveau, Wachstum findet nicht schwächsten Wirtschaftsministern Gabor Steingart, der Leiter des mehr statt, wirkungsvolle Reformen geschlagen war: die FDP stellte Spiegel-Hauptstadtbüros, hat jetzt sind auf Grund der komplizierten nacheinander Haussmann, Mölle- einen Nachruf auf das Modell Kompetenzverteilung zwischen Bund mann und Rexrodt. Sein Urteil: Deutschland geschrieben: „Deutsch- und Ländern kaum durchführbar. „Diese Männer haben die Komplex- land. Der Abstieg eines Superstars“ Auch das derzeitige Wahlrecht sieht heit der Aufgabe, eine Staatswirt- Ausgehend von den seit Jahren de- Steingart als Problem und fordert schaft in die Marktwirtschaft zu primierenden Zahlen wie 4,5 Millio- die Einführung des Mehrheitswahl- überführen, nicht etwa unterschätzt, nen Arbeitslose und 2,7 Millionen rechts. sie haben sie nicht verstanden. Als Sozialhilfeempfänger sieht Steingart, Konsequent kritisch zieht Gabor Rexrodt zum Amtsantritt das Bonmot dass aus der laufenden Produktion Steingart Bilanz der wirtschafts- und entfuhr, ‘Wirtschaft findet in der auch 20 Millionen Rentner ernährt finanzpolitischen Sünden der Bun- Wirtschaft statt’, hätte man ihn werden müssen. Außerdem lebt jeder desregierungen von Adenauer bis freundlich, aber bestimmt wieder zur zweite Bewohner der neuen Bundes- Schröder. Adenauer wirft er vor, sich Citibank geleiten müssen.“. länder maßgeblich von Transfer- aus politischen Gründen auf ein viel Wohl wahr. Spontan fallen dem leistungen aus dem Westen der Re- zu teures Rentensystem eingelassen Leser weitere, auch aktuelle Figu- publik: „Zweifellos dominiert der zu haben, gegen den Rat von Ludwig ren, ein, die ähnlich hilfsreich sind. Westen den Osten, politisch und kul- Erhard. „Kinder kriegen die Leute Zum Schluss versucht Steingart es turell. Ökonomisch allerdings ist immer“, erwiderte er seinen Kriti- mit einigen Ratschlägen für einen Westdeutschland zur Kolonie des Os- kern. Genau die aber blieben einige Neustart. tens geworden. Aus der Substanz des Jahre später aus, und Adenauers Gabor Steingart: „Deutschland. Der Westens wurden seit dem Einheits- Nachfolger zogen keine Konsequen- Abstieg eines Superstars“; Piper Ver- jahr unvermindert rund 1.250 Milli- zen. lag München 2004, 303 S..

42 AUFTRAG 255 GESELLSCHAFT NAH UND FERN Was den Deutschen noch zu tun bleibt Aussterben, aber bitte mit Würde: Franzosen, Dänen und Polen sollen wissen, wo sie siedeln bei der zu erwartenden Landnahme die Orientierung zu erleichtern. Fest GUIDO HORST verschweißte Messingbehälter mit Kondomen, Anti-Baby-Pillen und ei- ie demographischen Katastro- Zunächst die tröstliche Nach- nem Bild von Alice Schwarzer könn- phenmeldungen, die uns in richt: Da es jungen Eltern und vor ten die ersten Neusiedler aufklären, Ddiesen Tagen erreichen, spre- allem den Frauen in Frankreich und warum der deutsche Vorbesitzer des chen eine klare Sprache: Dramati- Dänemark oder Irland wesentlich öden Landes verschwunden ist. Und scher Absturz des Bildungsniveaus, besser gelingt, Karriere und Familie es werden wohl Polen und Russen da es heute vor allem die Akademi- zu vereinen, liegen die Geburten- sein, die dereinst tatendurstig über ker sind, die keine Kinder mehr zu- raten dort im Bereich des Normalen. die Weiten Brandenburgs und Meck- stande kriegen. Und mit Familienpo- Wenn es also um das Jahr 2020 so lenburgs blicken. Wenn sie dann litik lässt sich jetzt auch nicht mehr sein wird, dass zwischen Usedom dort ihre Datschas bauen sowie Dör- viel machen, da die Eltern, die in und Fichtelgebirge nur noch verros- fer und Städte wieder besiedeln, den vergangenen dreißig Jahren tete Zigarettenautomaten an die Aus- könnte es helfen, an Sicherungskäs- nicht geboren wurden, heute einfach gestorbenen erinnern, könnte man ten und Telefonzentralen Gebrauchs- fehlen, um die Segnungen geburten- jetzt schon tätig werden: Straßen- anweisungen in Polnisch und Rus- fördernder Maßnahmen entgegenzu- schilder, Grabinschriften und Ge- sisch vorzufinden. Ihr letzten Deut- nehmen. Zeit also, darüber nachzu- bäudebezeichnungen sollte man ab schen, es gibt also viel zu tun – pa- denken, wie Deutschland seinen Un- sofort auf Dänisch abfassen, um den cken wir es an! tergang mit Würde gestalten soll. kinderfreundlichen Skandinaviern (DT Nr.49 vom 24.04.2004)

stöckchen und Tennisbällen. Außer- GLOSSE: Das ist bemerkenswert! dem aßen wir Würmer. Und die Pro- phezeiungen trafen nicht ein: Die Wie war es eigentlich möglich, unter diesen Verhältnissen zu überleben? Würmer lebten nicht in unseren Mä- gen für immer weiter, und mit den enn du nach 1979 geboren nen angingen. Niemand wusste, wo Stöcken stachen wir uns nicht beson- wurdest, hat das hier nichts wir waren, und wir hatten nicht mal ders viele Augen aus. Beim Straßen- Wmit dir zu tun ... Trotzdem ein Handy dabei! fußball durfte nur mitmachen, wer kannst du weiterlesen. Wenn du aber Wir hatten uns geschnitten, bra- gut war. Wer nicht gut war, musste wie ich als Kind in den 50-er, 60-er chen Knochen und Zähne, und nie- lernen, mit Enttäuschungen klar zu oder 70-er Jahren lebtest, ist es rück- mand wurde deswegen verklagt. Es kommen. blickend kaum zu glauben, dass wir waren eben Unfälle. Niemand hatte Manche Schüler waren nicht so so lange überleben konnten! Schuld, außer wir selbst. Keiner frag- schlau wie andere. Sie rasselten Als Kinder saßen wir in Autos te nach „Aufsichtspflicht“. Kannst durch Prüfungen und wiederholten ohne Sicherheitsgurte und ohne Air- du dich noch an „Unfälle“ erinnern? Klassen. Das führte nicht zu emotio- bags. Unsere Bettchen waren ausge- Wir kämpften und schlugen ein- nalen Elternabenden oder gar zur malt in strahlenden Farben voll Blei ander manchmal bunt und blau. Da- Änderung der Leiststungsbewertung. und Cadmium. Die Fläschchen aus mit mussten wir leben, denn es inter- Unsere Taten hatten manchmal Kon- der Apotheke konnten wir ohne essierte die Erwachsenen nicht. Wir sequenzen. Das war klar und keiner Schwierigkeiten öffnen, genauso wie aßen Kekse, Brot mit dicker Butter, konnte sich verstecken. die Flasche mit Bleichmittel. Türen tranken sehr viel und wurden trotz Wenn einer von uns gegen das und Schränke waren eine ständige dem nicht dick. Wir tranken mit Gesetz verstoßen hatte, war klar, Bedrohung für unsere Fingerchen. Freunden aus einer Flasche, und dass die Eltern ihn nicht aus dem Auf dem Fahrrad trugen wir nie niemand starb an den Folgen. Wir Schlamassel heraushauten. Im Ge- einen Helm. Wir tranken Wasser aus hatten keinen Computer. Wir hatten genteil: Sie waren der gleichen Mei- Wasserhähnen und nicht aus Fla- Freunde. Wir gingen einfach raus nung wie die Polizei! So etwas! Unse- schen. Wir bauten Wagen aus Seifen- und trafen sie auf der Straße. Oder re Generation hat eine Fülle von in- kisten und entdeckten während der wir marschierten einfach zu deren novativen Problemlösern und Erfin- ersten Fahrt den Hang hinunter, dass Heim und klingelten. Manchmal der mit Risikobereitschaft hervorge- wir die Bremsen vergessen hatten. brauchten wir gar nicht zu klingeln bracht. Wir hatten Freiheit, Misser- Damit kamen wir nach einigen Un- und gingen einfach hinein. Ohne folg, Erfolg und Verantwortung. fällen klar. Termin und ohne Wissen unserer ge- Mit allem wussten wir umzuge- Wir verließen morgens das Haus genseitigen Eltern. Keiner brachte hen. Und du gehörst auch dazu. zum Spielen. Wir blieben den gan- uns und holte uns ... Herzlichen Glückwunsch! PM zen Tag weg und mussten erst zu Wie war das nur möglich? Wir Vorstehenden Text gefunden als Anzeige Hause sein, wenn die Straßenlater- dachten uns Spiele aus mit Holz- in einer rheinischen Regionalzeitung.

AUFTRAG 255 43 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

USA – DEUTSCHLAND: Ein Meinungsbild der Deutschen über das amerikanisch-deutsche Verhältnis u den Themen europäische Integration und „Was denken die Deut- schen nach dem Irak-Krieg über die Vereinigten Staaten von Nord- bei der Gefährdung durch radikale amerika und die transatlantischen Beziehungen?“ hat das Institut Moslems wolle. Mehrheitlich werde Z die Partnerschaft auch unterstützt für Demoskopie Allensbach im November 2003 für die Konrad-Adenauer- Stiftung in St. Augustin eine Umfrage durchgeführt, veröffentlicht in DIE beim Vorgehen gegen die Verbrei- POLITISCHE MEINUNG April 2004. Dabei wurden 2.105 Personen in tung von Massenvernichtungswaffen, Face-to-Face-Interviews in Deutschland (1.259 in den westlichen und bei der gemeinsamen Befriedung der 846 in den östlichen Bundesländern) befragt. AUFTRAG berichtet über Lage im Nahen Osten, bei der Ab- die Umfrageergebnisse zu den transatlantischen Beziehungen. wehr von Erpressungsszenarien rohstoffbesitzender Staaten und in Zunächst hat sich herausgestellt, 82 Prozent der PDS-Anhänger. einer festen Haltung gegenüber einer dass 90 Prozent der Deutschen ein Die kritische Sicht der Deut- „aggressiven russischen Außenpoli- gutes Verhältnis zwischen den USA schen zeige sich auch daran, dass 72 tik“. Die Interviewten sähen dagegen und der Bundesrepublik Deutsch- Prozent der Befragten der Meinung die Flüchtlingsproblematik als ein land für wichtig erachten. „Damit ist sind, die USA verträten ihre eigenen EU-eigenes Politikfeld. Werde die der Grundpfeiler der deutsch-ameri- Interessen rücksichtslos und egois- allgemeine Ausrichtung der europäi- kanischen Partnerschaft nicht in tisch. Etwa die Hälfte habe Zweifel schen Außenpolitik thematisiert, so Frage gestellt.“ Was auch nicht zwi- daran, ob Washington auf internatio- gebe es weder für die Möglichkeit ei- schen Ost- und Westdeutschen strit- naler Ebene Probleme lösen könne, ner engen transatlantischen Partner- tig sei, heißt es in der Auswertung. da die USA im eigenen Land selbst schaft noch für eine vollständig ei- Allerdings spielten dabei nicht nur bei vielen Schwierigkeiten nicht da- genständige europäische Politik ei- außenpolitische Überlegungen eine zu in der Lage seien. Nur ein knap- nen Rückhalt in der Bevölkerung. Rolle. So sorgten sich 81 Prozent der pes Viertel unterstütze die Feststel- Vielmehr stimmten 68 Prozent der Befragten darum, dass die deutsche lung, kein Land setze sich so für Befragten der Aussage zu, dass die Wirtschaft durch schlechte Bezie- Freiheit, Demokratie und Menschen- „Europäer zwar Partner der USA hungen zu Washington Schaden er- rechte ein wie die Vereinigten Staa- bleiben“, die Politik aber unabhän- leiden könnte. Auf der anderen Seite ten. Gar nur ein Fünftel der Inter- giger gestalten sollten. befürchteten 68 Prozent, dass eine viewten hält die USA als einzige zu enge Bindung an die USA die Ge- Führungsmacht geeignet, in Krisen- Fazit fahr durch Terroranschläge in gebieten der Welt für Frieden zu sor- Für die transatlantische Partner- Deutschland ansteigen ließe. Unab- gen. schaft signalisiere die Umfrage keine hängig vom persönlichen Erleben In den ostdeutschen Ländern Kehrtwende, was auch die deutsch- werde für die Hilfe der USA nach zeigt sich ein noch schlechteres amerikanische Wiederannäherung dem Zweiten Weltkrieg von 65 Pro- Amerikabild. Gerade 14 Prozent der der letzten Monate beweise. Als ernst zent der Interviewteilnehmer Dank- Befragten hielten die Amerikaner als zu nehmender Partner müsse sich barkeit ausgedrückt. Verfechter von Demokratie und Men- die EU aber für eine größere Wir- Allerdings sei die Einstellung zu schenrechten und nur 12 Prozent kung ihrer Außen-, Sicherheits- und Amerika nicht in sich beständig. So trauten den USA Handlungsfähigkeit Verteidigungspolitik in Zusammen- verträten zwar nur 41 Prozent die und Zuverlässigkeit in internationa- arbeit mit Washington bemühen. Ansicht, dass die USA so mächtig len Krisenherden zu. Und fast Drei- Diese könne sich dann durchaus auf seien, dass man „verstärkt dagegen fünftel meinten, die USA könnten „multilaterale“ Instrumente konzent- halten muss“, aber eine Mehrheit ihre eigenen Probleme nicht beseiti- rieren. Dabei dürfe nicht außer Acht von 53 Prozent hielte die Vereinigten gen. gelassen werden, dass die USA auch Staaten bereits für zu mächtig. Was Zur Frage, „ob Europa in der ge- zukünftig bei einer Bedrohung nicht sich in den ostdeutschen Bundeslän- meinsamen Außen- und Sicherheits- auf vorbeugende Militäraktionen ver- dern mit 59 Prozent noch deutlicher politik ein Gegengewicht zu den USA zichten würden. „Beide Akzentset- ausdrücke. Bei den Anhängern der bilden sollte“, gibt es gespaltene zungen sind miteinander vereinbar. deutschen Parteien sei der Gegen- Antworten. So werde die gemeinsame Konkreter: internationale Sicherheit satz des Amerikabildes noch stärker Bekämpfung des internationalen wird im transatlantischen Rahmen ausgeprägt. Nur 40 Prozent der Terrorismus durch die Europäische ohne sie beide nicht mehr möglich CDU/CSU-Anhänger hätten vor ei- Union und die USA von 91 Prozent sein“, schließt die Umfrageaus- nem übermächtigen Amerika Angst, befürwortet, ebenso wie die Mehrheit wertung der Konrad-Adenauer-Stif- dadurch bedroht fühlten sich jedoch die „transatlantische Kooperation“ tung. (bt)

44 AUFTRAG 255 GESELLSCHAFT NAH UND FERN

VEREINIGTE STAATEN: Kampf um das mächtigste Amt Notizen zur Geschichte der amerikanischen Präsidenten

THOMAS EMONS

Woodrow Wilson Amerikas „Missi- dem Vorzeichen der Auseinanderset- on“ darin sah, „Freiheit und Demo- zung zwischen dem väterlich-populä- kratie für die Welt zu retten“. ren Weltkriegsgeneral Eisenhower Allerdings brauchte Amerika noch und seinem bei den Präsidentschafts- einmal eine Phase der Isolation, ehe wahlen 1952 und 1956 zweimal un- es mit dem Eintritt in den Zweiten terlegenen demokratischen Heraus- Weltkrieg 1941 endgültig zur Welt- forderer Adlai Stevenson. Stevenson, macht wurde, die nach dem Ende damals erfolgreicher Gouverneur von des Krieges und dem Beginn des Illinois und später UN-Botschafter Kalten Krieges zwischen Ost und der Vereinigten Staaten, galt vielen West zur Führungsmacht der freien Beobachtern als brillanter Intellek- Welt aufstieg. tueller, konnte aber nicht die Herzen George Washington, erster Präsident der USA (1789-97), Ausschnitt eines Spätestens ab diesem Zeitpunkt seiner Landsleute gewinnen. Gemäldes von Gilbert Stuart (1796). waren auch die Präsidentschafts- Als der Republikaner Eisen- wahlen nicht mehr nur von nationa- hower 1953 sein Amt antrat, war er lem Interesse. Gerade in Deutsch- mit 64 Jahren der bis dahin älteste it den Vorwahlen im Bundes- land verfolgte man nach 1945 sehr Präsident der Vereinigten Staaten. staat Iowa hatte (im Januar genau, wer ins Weiße Haus einzog Erst mit der Wahl des 69-jährigen M2004) das Rennen um die und dort welche Politik betrieb. Als Ronald Reagan sollte 1980 ein noch amerikanische Präsidentschaft be- Präsident Franklin D. Roosevelt, der älterer Kandidat ins Weiße Haus gonnen. Egal, wer am 20. Januar einzige Amtsinhaber, der viermal ins einziehen. Die Ehre des bisher 2005 in Weiße Haus einziehen wird, Weiße Haus gewählt wurde, im April jüngsten Präsidenten der USA teilen seine Wahl in das politisch wohl 1945 starb, waren Deutschland und sich der Republikaner Theodore mächtigste Amt der Welt wird keines- die Vereinigten Staaten noch Kriegs- Roosevelt, der 1901 mit 42 Jahren falls einstimmig erfolgt sein. Dieses gegner. Deshalb hatte Roosevelt, der die Nachfolge des zuvor ermordeten Privileg wurde bisher nur George insgesamt zwölf Jahre im Weißen Präsidenten William McKinley an- Washington, zuteil. Der wurde bei Haus regierte, noch auf einen Fort- trat und der 1963 ermordete Demo- nur drei Enthaltungen von einem bestand der Anti-Hitler-Koalition krat John F. Kennedy. Wahlmännerkollegium gewählt, ohne mit Stalins Sowjetunion gesetzt. Sein Das Schicksal, während ihrer vorher einen Wahlkampf geführt ha- Nachfolger Harry S. Truman, bei vie- Amtszeit ermordet worden zu sein, ben zu müssen. len Amerikanern umstritten, wurde teilen McKinley und Kennedy mit Als der erste amerikanische Prä- nur mit knappem Vorsprung 1948 ihren Amtsvorgängern Abraham sident am 4. März 1789 sein Amt an- wiedergewählt, während einige US- Lincoln und James A. Garfield, die trat, war er zwar wie seine heutigen Zeitungen vorschnell schon seinen 1865 beziehungsweise 1881 einem Nachfolger Staatsoberhaupt, Regie- republikanischen Gegenkandidaten Attentat zum Opfer fielen. Der erste rungschef und militärischer Oberbe- Thomas E. Dewey zum Wahlsieger republikanische Präsident Lincoln, fehlshaber. Doch das Land, an des- erklärt hatten. Der Demokrat Truman der 1860 ausschließlich mit Stim- sen Spitze er stand, war weit davon hatte damals mit Henry Wallace und men aus den Nordstaaten gewählt entfernt, eine Weltmacht zu sein. Strom Thurmond gleich zwei Gegen- worden war und 1863 das Ende der Die damals nur dreizehn Bundes- kandidaten aus seiner eigenen Par- Sklaverei besiegelt hatte, wurde staaten der Vereinigten Staaten wa- tei. Wallace kritisierte Trumans Au- 1865 Opfer eines Südstaatlers. Und ren ein Zusammenschluss ehemali- ßenpolitik, Thurmond vertrat die weil seine Präsidentschaft von 1861 ger Kolonien, die sich erst wenige Südstaaten-Demokraten, die die bis 1865 in die Zeit des Bürgerkriegs Jahre zuvor von der britischen Bürgerrechtspolitik des Präsidenten fiel, war er auch der bisher einzige Kolonialherrschaft befreit hatten. ablehnten. Amtsinhaber, der es mit einem Vor diesem Hintergrund setzte der Auch später versuchten immer Gegenpräsidenten in Person des erste Präsident der Vereinigten Staa- wieder auch unabhängige Präsident- Südstaatlers Jefferson Davis zu tun ten auf strikte Neutralitätspolitik. schaftskandidaten wie der Bürger- hatte. Erst mit ihrem Eintritt in den Ersten rechtsgegner George Wallace (1968) Konnte Franklin D. Roosevelt Weltkrieg betraten die bis dahin oder der Milliardär Ross Perot mit zwölf Jahren die längste Amtszeit neutralen Vereinigten Staaten 1917 (1992) ins Präsidentenamt zu gelan- im Weißen Haus verbringen, so stößt erstmals den europäischen Kontinent gen, allerdings letztlich ohne Erfolg. man bei der Suche nach dem Präsi- und das auch nur, weil Präsident Die fünfziger Jahre standen unter denten mit der kürzesten Amtszeit

AUFTRAG 255 45 GESELLSCHAFT NAH UND FERN auf William Henry Harrison, der dahin waren die Präsidenten aus- der in der Volkswahl abgegebenen 1841 schon einen Monat nach seiner schließlich von Wahlmännern ge- Stimmen erringen. Dass aber auch Amtseinführung an den Folgen einer wählt worden, die von den Bundes- ein überwältigender Wahlsieg dem Lungenentzündung starb, die er sich staatsparlamenten entsandt wurden. Präsidenten keine schrankenlose bei seiner Antrittsrede vor dem Kapi- Da die Präsidentschaftswahl von Macht einbringt, musste Richard tol in Washington zugezogen hatte. 1824 allerdings keinen eindeutige Nixon erfahren. Er trat nur zwei Jah- 48 Jahre später sollte mit seinem En- Mehrheit erbracht hatte, musste re nach seiner glänzenden Wieder- kel Benjamin noch einmal ein Mit- damals das Repräsentantenhaus in wahl von 1972 zurück, um einem glied der Familie Harrison ins Weiße einer Stichwahl entscheiden. Anklageverfahren durch den Senat Haus einziehen. Dass gleich mehrere Umstrittene Wahlergebnisse gibt zu entgehen. Die Präsidenten Mitglieder einer Familie zum Präsi- es also nicht erst seit der Florida- Andrew Johnson (1867) und Bill denten gewählt werden, ist also nicht Stimmenauszählung, die vor vier Clinton (1999) konnten ein solches erst seit der Wahl von George Bush Jahren George Bush junior den de- Impeachment erfolgreich überstehen (Vater und Sohn) ein Phänomen der mokratischen Vizepräsidenten Al und ihr Amt behalten. Und amerikanischen Politik. So war der Gore besiegen ließ. Die eindeutigs- schließlich widerlegte der Demokrat 1824 gewählte sechste Präsident der ten Wahlsiege der amerikanischen Grover Cleveland die amerikanische USA, John Quincy Adams, Sohn des Geschichte konnten die republikani- Wahlkampfweisheit „They never Washington-Nachfolgers und zwei- schen Präsidenten William G. come back“ („Sie kehren nie zu- ten US-Präsidenten John Adams. Harding (1920) und Richard Nixon rück“), indem er nach seiner Abwahl Sein Sohn John Quincy sollte 24 Jah- (1972) sowie ihre demokratischen im Jahre 1888 vier Jahre später noch re später der erste Amtsinhaber sein, Amtskollegen Franklin D. Roosevelt einmal ins Präsidentenamt gewählt der als Sieger einer Präsidentschafts- (1936) und Lyndon B. Johnson wurde. Urwahl ins Weiße Haus einzog. Bis (1964) mit jeweils über 60 Prozent (aus: DT Nr.8 vom 20.01.2004)

KOLUMBIEN:

PANAMA „Es gibt nichts Schlechtes, das ewig hält“ VENEZUELA er 40-jährige Bürgerkrieg zwischen der Regierung und den Geril- labewegungen „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ Bogota D(FARC – Bewaffnete Revolutionäre Streitkräfte) und „Ejercito de Liberacion Nacional“ (ELN – Nationale Befreiungsarmee) in Kolumbien KOLUMBIEN mit mehr als 200.000 Toten hat das Erscheinungsbild der Gesellschaft regelrecht entstellt. Die katholische Kirche in dem südamerikanischen BRASILIEN Land, dessen 44 Millionen Einwohner zu 90 Prozent Katholiken sind, ECUADOR genießt zwar auf beiden Seiten Respekt, doch ihre Vermittlungs- bemühungen scheitern immer wieder an den unnachgiebigen Positio- PERU Amazonas nen. Zuletzt hatten die Bischöfe Armee und Rebellen zur minimalen Ges- te einer Feuerpause zu Ostern aufgerufen. Die Achtung grundlegender Wort. Seit kurzem wird FASOL auch setzt aber laut FASOL de facto auf Menschen- und Bürgerrechte ist im durch die hiesige staatliche Gesell- einen militärischen Sieg über die Klima des Misstrauens und der Ge- schaft für Technische Zusammenar- Guerilla. Diesem Ziel ordnet seine walt der Kontrahenten vollends unter beit (GTZ) im Rahmen ihrer Justiz- Regierung – mit US-amerikanischer die Räder gekommen, wie kolumbia- Kooperation gefördert. Die FASOL- Rückendeckung – im Rahmen ihrer nische Juristen, die auf Einladung Delegation, angeführt von ihrem Prä- „demokratischen Sicherheitspolitik“ des Deutschen Richterbundes (DRB) sidenten Evilio Hoyos, Zivilrichter in den Schutz der Menschen- und Bür- Ende April die Bundesrepublik be- Medellin und Vorstandsmitglied der gerrechte unter. Auf Grund des Kon- suchten, im Hintergrundgespräch Justizgewerkschaft ASONAL, bestä- fliktes sind gegenwärtig rund 3 Milli- mit KNA berichteten. Die Besucher tigt die drastischen Menschenrechts- onen Kolumbianer (8 Prozent der scheuen auch in ihrem Land, wo sie verstöße, auf die einige Wochen Bevölkerung) Vertriebene im eige- sich als Mitglieder des vom DRB zuvor bereits Mitarbeiter der „Inter- nen Land, das weltweit eine der 1989 eingerichteten und seither kirchlichen Kommission Justitia et höchsten Gewaltraten aufweist. Mor- auch vom Bischöflichen Hilfswerk Pax“ in Kolumbien ebenfalls im Ge- de seien zu 70 Prozent politisch mo- Misereor (Aachen) maßgeblich un- spräch mit KNA hingewiesen hatten. tiviert. Zugleich suche die Regierung terstützten „Fondo Aleman de Soli- Kolumbiens seit August 2002 den Schulterschluss mit den Para- daridad“ (FASOL) um die vom Staat amtierender Präsident Alvaro Uribe militärs, die bisher schon mit Dul- sich selbst überlassenen Opfer der Velez (51), der gegen die Verfassung dung oder gar in direkter Kooperati- Gewalt in Justizkreisen kümmern, eine zweite 4-jährige Amtszeit an- on mit den Streitkräften für unzähli- trotz Anfeindungen nicht das offene strebt, beteuert zwar Friedenswillen, ge Verletzungen der Menschenrechte

46 AUFTRAG 255 GESELLSCHAFT NAH UND FERN verantwortlich seien. Die Demobili- Sozialarbeiter und Kirchenleute ge- krieg zu beenden. Für diesen Einsatz sierung und nachträgliche Legalisie- rieten zunehmend unter den Druck zahlt auch die Kirche einen hohen rung der Paramilitärs werde außer- der Behörden und Sicherheitskräfte. Preis: Allein mehr als 20 Priester halb jeden rechtlichen Rahmens be- Dem Vorwurf der Kollaboration mit wurden seit 2001 vom Militär oder trieben, erläuterten Hoyos und sein der Guerilla sehen sich selbst Bi- der Guerilla getötet. Gomez gehört Vize, der Strafrichter Antonio Suarez schöfe ausgesetzt. Die Regierung der bischöflichen Kommission für aus Bogota. wolle ihr Gesellschaftsmodell be- den Dialog mit der ELN an. Zwei Die Regierung des teilweise haupten und jeden Widerstand ge- weitere Kommissionen halten Kon- auch von Jesuiten und Benediktinern gen die Ausbeutung der Ressourcen takte zur FARC und zu den Para- ausgebildeten Uribe versuche, wie des Landes durch (inter-)nationale militärs. Diese Gremien sind auch etwa die Verfassungsänderung oder Unternehmen unterdrücken. unter den Bischöfen nicht unumstrit- das Anti-Terror-Gesetz im Jahr 2003 Rueda und Parra, Leiter der Ab- ten. zeigten, so die FASOL-Delegation, teilung Sozialpastoral und der „Kom- Ziel der Kirche ist ein umfassen- eine unabhängige Justiz in Kolumbi- mission Leben, Gerechtigkeit und des Abkommen zwischen Regierung en abzuschaffen und diese zum rei- Frieden“ im Bistum Quibdo, forder- und Guerilla, das, so der Episkopats- nen „Dienstleister“ für den Staat zu ten seinerzeit Bundesregierung und Vorsitzende Kardinal Pedro Rubiano degradieren. Teilweise werde sogar EU auf, Entwicklungshilfe an kon- Saenz im Februar, „ohne Änderun- erwogen, Aufgaben des Rechts- krete Menschenrechtskriterien zu gen am rechtsstaatlichen System und wesens zu „privatisieren“. Unliebsa- koppeln. Neben ihren Vermittlungs- in einem Kontext von Wahrheit, Ge- me Justizmitarbeiter stünden unter bemühungen – auch auf regionaler rechtigkeit und Vergebung“ erreicht massivem Druck (Entlassungen, At- und kommunaler Ebene – sucht Ko- werden müsse. tentate). Laut FASOL wurden seit lumbiens Kirche, die Bürger durch Beobachtern stellt sich immer 1989 bis heute knapp 230 Richter Aufbau und Förderung von „Gras- wieder die Frage, woher Kirche und und Staatsanwälte ermordet; 288 wurzel“-Initiativen für Friedens- Menschenrechtler angesichts der Justizmitarbeiter erhielten Todes- projekte in ihrem jeweiligen Umfeld desaströsen innenpolitischen Lage drohungen, 95 überlebten Anschlä- zu gewinnen. „Wir brauchen organi- im Land Kraft und Mut für ihr ge- ge, 31 „verschwanden“ und 32 wur- sierte und in ihren Zielen einige fährliches Engagement nehmen. den gekündigt. Dies bewirke Unsi- Menschen“, sagte im März Bischof Darauf antwortete FASOL-Präsident cherheit und Angst im Land. Zudem Jorge Leonardo Gomez Serna OP von Hoyos mit einer kolumbianischen seien in vielen abgelegenen Gegen- Magangue und bekräftigte die kirch- Volksweisheit: „Es gibt nichts den in den letzten Jahren Gerichte liche Position, dass Verhandlungen Schlechtes, das ewig hält.“ und Justizstellen geschlossen wor- der beste Weg seien, den Bürger- (KNA-ID Nr. 19/5.05.2004) den, womit die dort lebenden Men- schen der Möglichkeit beraubt seien, ihre Rechte geltend zu machen. Dem Staat hatten Ende letzten Jahres auch Danilo Rueda und P. KURZ BERICHTET Albeiro Parra von der kolumbiani- schen „Comision Intereclesial de Umfrage: Mehrheit der Muslime für die Integration in Deutschland Justicia y Paz“ im Gespräch mit ie aus einer am 4. Juni 2004 in Soest veröffentlichten Umfrage des Zentralinstituts Islam-Archiv- KNA in Bonn große Mitverantwor- Deutschland hervorgeht, sprechen sich immer mehr Muslime für die Integration in Deutschland aus. tung für die Eskalation im Bürger- W Der Anteil der Integrationsbefürworter stieg auf 89 %. Im Vorjahr waren es 77 % von 1.200 Befragten. Die krieg zugeschoben, ohne den Terror Zahl der Integrationsverweigerer ist auf 5 % zurückgegangen. Nach der Umfrage gaben 76 % der Muslime von FARC (17.000 Kämpfer) und an, dass sie das deutsche Grundgesetz ohne Schwierigkeiten mit der Religion vereinbaren können; 21 % ELN (4.500 Kämpfer) zu entschuldi- waren gegenteiliger Meinung. 92 % sprachen sich für die Einrichtung eines islamischen Heeres-Imanats in gen. Zeitgleich warb damals Kolum- der Bundeswehr aus. 83 % stuften die Gespräche zwischen Muslimen und Christen als „sehr wichtig“ und biens Vizepräsident Francisco San- weitere 15 % als „wichtig“ ein. Rund 50 % nannten die Begegnung mit dem Judentum „sehr wichtig“. Einen tos Calderon bei der Europäischen islamisch-jüdischen Gedankenaustausch befürworten 24 %, 12 % halten ihn für weniger wichtig und 13 % Union (EU) in Brüssel um Unterstüt- für unwichtig. – Das 1927 in Berlin gegründete Zentralinstitut ist die älteste bestehende islamische Einrich- zung für Uribes Politik. Jede Hilfe tung im deutschsprachigen Raum. Sein Ziel ist die Förderung des Dialogs zwischen den Muslimen in der für die Zivilbevölkerung, durch die Bundesrepublik sowie mit den Angehörigen anderer Glaubensbekenntnisse und Weltanschauungen. (KNA) sich der Staat in seiner Strategie be- hindert sehe, werde als „Kollaborati- on“ mit den Aufständischen bewer- Vereinigte Staaten: Kommunionempfang von Politikern tet, so die Vertreter der von Ordens- und Basisgemeinschaften getragenen n der Debatte um einen Kommunionempfang von Politikern, die sich für Abtreibung aussprechen, hat sich „Interkirchlichen Kommission“, die Ijetzt zum ersten Mal Kardinal William H. Keeler von Baltimore geäußert. Er lehne die Versuche von einigen aus Deutschland ebenfalls von „Mi- Bischöfen ab, den Empfang oder die Verweigerung der Kommunion zu politisieren. Es sei nicht Aufgabe der sereor“ und von der Missionszentrale Bischöfe, auszuwählen, wer die Kommunion zu empfangen habe. Vielmehr müsse sich jeder Katholik selbst der Franziskaner politisch, aber fragen, ob er würdig an der Kommunion teilnimmt. auch finanziell gefördert wird. (baltimore sun) – nach: Newsletter von Radio Vatikan – 28.05.04) Menschenrechtler, Gewerkschafter,

AUFTRAG 255 47 KIRCHE UND GESELLSCHAFT

ZUKUNFT DER KIRCHEN IN DEUTSCHLAND:

Unterschiedliche Rezepte derte Lejeune. Die Qualität der Pre- digten und die Predigtfähigkeit der eit die Zahl ihrer Mitglieder rückläufig ist und das Geld knapper evangelischen Pfarrer lasse aber oft wird, sind in den Kirchen neue Strategien und externe Berater ge zu wünschen übrig. Das könne einer Sfragt. Wer sich letztere ins Haus holt, darf sich dann nicht wundern, wie Kardinal Joseph Ratzinger schon wenn auf einmal diskutiert wird, ob es sich bei der Kirche um ein Service- besser: „Wie der die Botschaft unternehmen handelt oder nicht. So geschehen Ende April im oberbaye- rüberbringt – aber hallo!“ Die Kirche rischen Tutzing. Dorthin hatte die Evangelische Akademie zusammen mit dürfe nicht dem Zeitgeist hinterher der Katholischen Akademie in Bayern geladen. Zwei Tage lang setzten laufen. Es gelte, Nächstenliebe, sich Theologen, Wirtschaftsfachleute, Journalisten und Literaten damit Barmherzigkeit, Solidarität, Hilfsbe- auseinander, ob mit der Konzentration aufs Kerngeschäft und mehr reitschaft und den Glauben an Gott Kundenorientierung die Krisen zu meistern sind. als Schöpfer des irdischen Lebens zu vermitteln. Pfarrer müssten um ihre Schon bei der Bestandsaufnahme wollten dann viel behalten und wenig Berufung wissen und eine Missions- wurde deutlich, dass sich die evange- geben. Das sei das Gegenteil von offensive starten. lische Kirche längst damit abgefun- dem, was Jesus vom Einzelnen ver- Der Münchner Senior Director den hat, dass Protestanten seit Jah- lange, nämlich alles. Schnäppchen von McKinsey, Thomas von Mitschke- ren vorwiegend nur noch punktuell seien in der Kirche nicht zu haben, Collande, ging es ohne große Show, das kirchliche Angebot anlässlich ergänzte der Präsident des deutschen aber nicht weniger deutlich an. Die von Taufen, Hochzeiten oder Todes- PEN-Club, Johanno Strasser. „Die Kirche sei kein Dienstleister für fällen abrufen. „Der Gottesdienst- christliche Botschaft ist nicht Gegen- Lebensorientierung und Spiritualität, besuch ist eine unserer größten stand eines Geschäfts.“ Ihn störe die lautete seine These. Die Begrün- Schwächen“, räumte der Münchner nach wie vor herrschende Gelassen- dung: Das Produkt sei nicht aus- evangelische Theologieprofessor Mi- heit, so der Publizist. Dabei sei die tauschbar. Die von McKinsey bisher chael Schibilsky ein. Die Katholiken Welt drauf und dran, in einen totali- gewonnenen Einsichten in deutschen sind da noch immer in einer besseren tärer werdenden Ökonomismus zu Diözesen hat der engagierte Katholik Situation, weswegen sie mit dem Ge- geraten, wodurch Rücksichtslosig- in Eigenregie und aus privatem Inter- danken Probleme haben dürften, keit Krieg und Terror angestiftet wür- esse weiter entwickelt, um seiner künftig Mitgliedschaften von Gläubi- den. Kirche Zukunftsperspektiven aufzu- gen auf Zeit zu akzeptieren. Christen müssten gegen diese zeigen. Dabei stünden die Rahmen- Schibilsky sah darin eine Chance. Entwicklung aufstehen. Schließlich daten fest: Die Zahl der Katholiken Aber auch er warnte davor, jedem sollten sie „das Salz der Erde sein, wird in den nächsten Jahren beträcht- Anspruch, den etwa ein Brautpaar nicht der Zuckerguss“. Wer einfluss- lich sinken und damit die Kirchen- bei seiner Trauung hat, gerecht wer- reich sei, brauche keine Marktmacht, steuereinnahmen. Die verbleibende den zu wollen. meinte Strasser. Natürlich spreche Zeit sollte schnellstens sinnvoll ge- Der Mainzer Publizist Christian grundsätzlich nichts dagegen, ökono- nutzt werden, um für die nächsten 20 Nürnberger sah die Entwicklung sei- misches und technisches Wissen zu Jahre ein Konzept zu haben. Jetzt ner evangelischen Kirche nach nutzen. Kirche dürfe sich aber nicht gelte es, die Leute auszubilden, die marktgerechten Kriterien mit Skep- der totalen Marktlogik unterwerfen, künftig gebraucht würden. Bisher sis. Teure bundesweite Plakatakti- sonst seien die Menschen nur noch aber fühlt sich der Mc-Kinsey-Mann onen, in denen bei vier vorgegeben Verfügungsmasse. „Handelt einfach wie ein einsamer Rufer in der Wüste. Lösungen geraten werden sollte, was menschlich“, gab er als Losung aus. Vor allem warnte von Mitschke- an Ostern gefeiert wird, sind ihm ein Das Kontrastprogramm kam von Collande davor, das Sparen in der Graus. „Ich will keine Fragen ge- Erich J. Lejeune. Der Unternehmer Kirche zum Dauerthema zu machen. stellt bekommen, sondern Antworten mit eigener TV-Show bei einem Mün- Daraus entwickle sich ein „Teufels- haben.“ Auch die Unternehmens- chner Privatsender hat den Erfolg kreis“ von verunsicherten und unmo- beratungen sieht er mit Argwohn. Of- zum Lebensziel erkoren. Den in tivierten Mitarbeitern, denen unzu- fenbar glaubten manche Kirchen- Kreisform angelegten Tagungssaal friedene ehrenamtliche Helfer und leute, wenn guter Rat teuer sei, müs- nutzte der Geschäftsmann als Arena, Gläubige folgten. Dies wiederum löse se im Umkehrschluss teurer Rat auch um mit kräftiger Stimme eine Mi- einen zunehmenden Vertrauensver- gut sein, mutmaßte Nürnberger. So schung aus Motivationstrainer, der er lust aus, der eine weitere Erosion der würden immer neue Konzepte entwi- gleichfalls ist, und amerikanischem Basis bewirken werde. Nötig seien ckelt und Logos entworfen. Die TV-Prediger abzuliefern. Ein „ver- Führungspersönlichkeiten, die „un- christliche Botschaft sei stets anstö- rosteter Beamtenladen“ sei die Kir- erschrocken“ den Weg zeigten und ßig gewesen und habe nie dem Zeit- che, die sich noch dazu „grotten- mutige Entscheidungen träfen. Ein geist entsprochen, mahnte der Publi- schlecht“ verkaufe. Aber alles, was synodaler Prozess, in den die Gläubi- zist. Wenn aber die Gläubigen als nicht verkauft werde, bleibe eben in gen mit eingebunden seien, wäre aus Kunden behandelt würden, verhiel- den Regalen liegen. „Ich will das seiner Sicht das Beste. ten sie sich irgendwann auch so: Sie Wort Gottes am Sonntag hören“, for- (KNA-D Nr. 19 / 05.05.2004)

48 AUFTRAG 255 KIRCHE UND GESELLSCHAFT EU-Kaleidoskop: Kirche in den neuen Mitgliedsstaaten ine „wichtige historische Etappe“ sieht Papst Johan- nes Paul II. im Beitritt von zehn ost- und südost- Eeuropäischen Staaten zur Europäischen Union am 1. Mai. In der erweiterten Gemeinschaft leben jetzt rund 450 Millionen Menschen, darunter 260 Millionen Ka- tholiken. In den bisher 15 EU-Staaten waren etwa 207 der 381 Millionen Bürger katholisch. Von den 75 Millio- nen EU-Neubürgern gehören knapp 53 Millionen der ka- tholischen Kirche an. Die Bischöfe in den beigetretenen Ländern betonen den Willen, den spezifischen Beitrag ih- rer Kirche in die Union einzubringen. Sie haben aber ebenso die säkular-liberalistischen westeuropäischen Ein- flüsse auf der Rechnung, von denen sie nicht nur positive Auswirkungen erwarten. Kirche in den neuen EU-Staaten, ein statistischer Überblick (Stand 2002) von Ost nach Süd: Dies ist eine wirklich europäische Karte von der Internetseite >www.europa.eu.int<; Ländernamen und Ortsbezeichnungen Polen: Die Heimat Papst Johannes Prozent die größ- werden in der jeweiligen Landessprache angegeben. Verwendet werden die 20 Amtssprachen der Europäischen Union und für Paul II. ist „der“ katholische unter te ethnisch-reli- Drittländer die wichtigste Landessprache. den neuen EU-Staaten. Rund 37,2 giöse Minorität. der 38,6 Millionen Bürger sind Ka- tholiken. In den 14 Erzdiözesen Lettland: In der mittleren balti- Tschechische Republik: In dem und 27 Bistümern amtieren – bei schen Republik gehören – ein Erbe 1993 aus der friedlichen Teilung einer Vakanz – 98 Bischöfe und der einstigen SowjetÄra – 60 Pro- der viele Jahre kommunistisch re- Weihbischöfe. Zudem besteht seit zent der zur Hälfte russisch- gierten Tschechoslowakei hervor- 1991 ein Militärbistum. Die beiden stämmigen knapp 2,3 Millionen gegangenen Staat mit 10,2 Millio- vom Papst im Februar neu errichte- Letten keiner Religion an. Ein nen Bürgern liegt der Anteil der ten Diözesen Bydgoszcz und Drittel der Einwohner sind bis heu- Katholiken und der Religionslosen Swidnica als Suffragan-Bistümer te Russen. Der Gesamtanteil der an der multiethnischen Gesamt- der bis dato Rom unterstellten Erz- Christen an der Bevölkerung liegt bevölkerung jeweils bei 39 Pro- bistum Lodz befinden sich noch im bei 39 Prozent. Die kleine Minder- zent. In den zwei Erzdiözesen und Aufbau. Ferner gibt es für die heit der knapp 434.000 Katholiken sechs Bistümern wirken 13 Bischö- 85.000 mit Rom unierten Ukrainer verteilt sich auf die Hauptstadt- fe und Weihbischöfe für die 3,8 ein Erzbistum und eine Diözese. Erzdiözese Riga und drei weitere Millionen Katholiken. Ferner be- Unter den neun Prozent Polen, die Bistümer, in denen zurzeit neben steht ein Exarchat für die 190.000 sonstigen religiösen Minderheiten Rigas Kardinal Janis Pujat drei Bi- mit Rom unierten Katholiken des angehören, stellen die Orthodoxen schöfe amtieren. byzantinischen Ritus. Unter den die größte Gruppe. sonstigen christlichen Minderhei- Estland: Von den 1,37 Millionen ten stellen die Protestanten mit vier Litauen: Der südlichste der drei frü- Einwohnern im nördlichsten balti- Prozent die größte Gruppe. her zur ehemaligen Sowjetunion schen Staat, viele ohne Religions- gehörenden baltischen Staaten zugehörigkeit, sind 65 Prozent Es- Slowakische Republik: Im zwei- weist die größte katholische Prä- ten, die sich auf einst eingewander- ten Folgestaat der Tschechoslo- gung auf. Von den 3,5 Millionen te asiatische Vorfahren zurück- wakei stellt die katholische Kir- Einwohnern bekennen sich 78 Pro- leiten. Größte ethnische Minderheit che, der knapp 60 Prozent der 5,4 zent zur katholischen Kirche. Für sind die 28 Prozent Russen im Millionen Einwohner des Viel- die 2,8 Millionen Katholiken, die Land. Den orthodoxen Kirchen ge- völkerstaates angehören, die größ- sich auf die Erzdiözesen Wilna und hören knapp 20 Prozent der Esten te Konfession. Für die knapp 3,7 Kaunas sowie auf die weiteren fünf an, weitere 14 Prozent sind Luthera- Millionen Katholiken sind 18 am- Bistümer verteilen, sind zehn Bi- ner. Die Apostolische Administratur tierende Bischöfe und Weihbi- schöfe und Weihbischöfe zustän- Estonia für die knapp 6.000 Katho- schöfe im Erzbistum Bratislava- dig. Zudem gibt es seit 2000 ein liken im Land leitet der Schweizer Trnava und 3 weiteren Diözesen Militärbistum. Die Russen – und Erzbischof Peter Zurbriggen zusätz- zuständig. Seit 2003 besteht ein ihre orthodoxe Kirche – stellen mit lich zu seinem Amt als Apostoli- Militärbistum. Weitere 220.000 einem Bevölkerungsanteil von 8,2 scher Nuntius im Baltikum. Slowaken gehören zu den zwei mit

AUFTRAG 255 49 KIRCHE UND GESELLSCHAFT

Rom unierten griechisch-katholi- Norden der Balkan- Halbinsel, die Zypern zur EU, de facto gilt dies schen Bistümern. Größte christli- sich 1991 unblutig vom ehemali- aber nur für den griechischen Teil. che Minderheit sind die rund acht gen Jugoslawien getrennt hat, sind Die 864.000 Einwohner (660.000 Prozent Protestanten. zu 86 Prozent Katholiken. Das Erz- im Süden / 204.000 im Norden), Ungarn: Knapp 90 Prozent der 10,1 bistum Lubljana (vakant) sowie die sind zu 75 Prozent griechisch-or- Millionen Einwohner bekennen Diözesen Koper und Maribor zäh- thodoxe Christen und zu 18 Prozent sich zum Christentum. Der katholi- len zusammen rund 1,6 Millionen Muslime (264.000). Zudem leben schen Kirche gehören 63 Prozent, Katholiken, für die gegenwärtig auf Zypern rund 10.000 mit Rom den protestantischen Kirchen 25 sieben Bischöfe und Weihbischöfe unierte maronitischen Katholiken, Prozent der Ungarn an. In den vier tätig sind. Auf sonstige christliche deren Bistum Erzbischof Boutros Erzdiözesen, darunter Esztergom- und nicht-christliche Denominati- Gemayel von Nikosia aus leitet. onen verteilen sich die restlichen Budapest, der traditionsreiche Sitz 14 Prozent der multiethnischen Malta: Das Mittelmeer-Archipel des Primas, den acht Bistümern Bevölkerung. Malta südlich von Sizilien ist tradi- und der Territorialabtei der Bene- tionell „Brücke“ zwischen dem eu- diktiner von Pannonhalma leben Zypern: Die Wiedervereinigung der ropäischen und dem afrikanischen knapp sechs Millionen Katholiken, seit 1977 geteilten Insel im östli- Kontinent. Der Kleinstaat ist trotz für die zusammen 20 Bischöfe und chen Mittelmeer ist beim Referen- seiner multiethnischen Tradition Weihbischöfe zuständig sind. Ein dum Ende April an der Bevölke- katholisch geprägt. Von den Militärbistum besteht seit 1994. rung im griechischen südlichen 385.000 Maltesern sind 96 Prozent Weitere 278.000 Gläubige zählen Teil gescheitert, die zu ihrem Nein Katholiken. Im Erzbistum Malta die beiden mit Rom unierten Diö- auch von der griechisch-orthodo- und im Bistum Gozo, die jeweils zesen des byzantinischen Ritus. xen Kirche ermutigt wurde. Die die beiden bewohnten großen In- „Türkische Republik Nordzypern“ seln umfassen, amtieren zwei Orts- Slowenien: Die knapp zwei Millio- ist international nicht anerkannt. bischöfe und ein Weihbischof. nen Menschen in der Republik im Rechtlich gehört jetzt zwar ganz (KNA-ID Nr. 19 / 05.05.2004)

WELTKIRCHE: Der Prozentsatz der Katholiken in der Welt sinkt Mehr Diözesanpriester seit 1978, aber weniger Ordensleute ie Zahl Katholiken in der und 5 Prozent in Europa zu verzeich- ist um 13.1 Prozent gesunken: von Welt steigt. Nach neuesten nen. 158.486 im Jahre 1978 auf 137.724. DAngaben über kirchliche Da- Im Vergleich zur Weltbevölke- Die Zahl an geweihten Männern ten jedoch sinkt die Zahl prozentual ge- rung jedoch ist der Prozentsatz an (nicht Priester) fiel um 27.67 Pro- sehen. Katholiken gesunken. 1978 waren zent, von 75.802 im Jahre 1978 auf Das vom Zentralbüro für Statisti- 17.99 Prozent der Einwohner der 54.828 im Jahre 2002. ken der Kirche erstellte statistische Welt katholisch; 1990 waren es Die Zahl der geweihten Frauen Jahrbuch der Kirche für das Jahr 17.68 Prozent; und 2002 17.2 Pro- fiel in der gleichen Zeit um 20.98 2002 ist vom vatikanischen Presse- zent. Prozent, von 990.768 auf 782.932. büro herausgegeben worden. Es ent- Die Hälfte aller Katholiken der Die Zahl an ständigen Diakonen hält Daten seit dem Amtsantritt von Welt leben in Süd- und Nord-Ameri- hat um 441 Prozent zugenommen, da Papst Johannes Paul II. bis zum Jahr ka (49.9 Prozent); 26.15 Prozent in dieses Amt nach dem zweiten Vatika- 2002. Das Jahrbuch zeigt, dass die Europa; 12.84 Prozent in Afrika; nischen Konzil wieder eingeführt Krise des Mangels an Diözesan- 10.3 Prozent in Asien; und 0.78 Pro- worden ist. 1978 gab es 5.562 stän- priestern überwunden ist, die Krise zent in Ozeanien. dige Diakone; um 2002 stieg ihre an geistlichen Berufungen dagegen Die Gesamtzahl an Priestern hat Zahl auf 30.097. weiter anhält. sich um 3.78 Prozent verringert. Die Zahl der Priesteranwärter Die Zahl treuer Katholiken ist 1978 gab es 420.971 Priester, 2002 (Kursteilnehmer der Philosophie und von 757 Millionen im Jahre 1978 auf waren es nur noch 405.058. der Theologie), sowohl in Diözesen 1.07 Milliarden im Jahre 2002 ge- Beim genaueren Studium der Da- als auch in Orden ist von 63.882 im stiegen. Auf Weltebene war eine Zu- ten wird deutlich, dass die Zahl an Jahre1978 auf 113.199 im Jahre nahme von 150 Prozent in Afrika; 74 Diözesanpriestern um 1.85 Prozent 2002 angestiegen. Von ihnen sind 65 Prozent in Asien; 49 Prozent in gestiegen ist: von 262.485 auf Prozent Diözesanseminaristen; 35 Ozeanien; 45 Prozent im Amerika 267.334. Die Zahl der Ordenspriester Prozent gehören Orden an. (ZENIT.org/11.05.2004).

50 AUFTRAG 255 KIRCHE UND GESELLSCHAFT

KOSOVO: Blutsbrüder und Glaubensbrüder zugleich Im Krisengebiet des Kosovo gelten Katholiken ihren Landsleuten als Hoffnungsträger und „Experten für Versöhnung“ Clinton-Boulevard und der Mutter- ALEXANDER BRÜGGEMANN Teresa-Straße ein veritabler Katho- osovo, Ende der achtziger Jahre. Zehntausende albanischer Musli- liken-Komplex entstehen: mit Ka- me versammeln sich an historisch wichtigen Stätten, auf freiem thedrale, Bischofshaus, Grund- KFeld – um sich zu versöhnen. In feierlichen Zeremonien schwören schule, Schwesternheim, Kinder- sie der Blutrache ab, die ihr Volk seit Jahrhunderten im Würgegriff hielt: garten, Begegnungszentrum, Biblio- Kinder, die aus Angst, getötet zu werden, nicht mehr zur Schule gingen. thek und Theater. Männer, die sich gegenseitig massakriert hatten, während gleichzeitig Wenig Gehör finden dabei schon die Drangsalierungen durch die Serben anliefen. warnende Stimmen, dass für ein solches Großprojekt, das einer po- Rund zwanzigtausend albani- der“ der orthodoxen Serben gese- litischen Manifestation gleich- sche Großfamilien sandten in jenen hen, deren Krieg und Unter- kommt, möglichst viele gesell- Monaten Vertreter in so genannte drückungspolitik gegen die Koso- schaftliche Kräfte mit ins Boot ge- Versöhnungsräte, reichten sich die vo-Albaner nicht vergessen ist. So holt werden sollten. „Man muss die Hände und vermählten ihre Kinder sind bei den schwersten ethnischen Leute einbinden, nicht überrollen, untereinander, um die Blutrache Spannungen im Kosovo seit fünf wenn dort nicht irgendwann eine ein für alle Mal zu beenden. Höhe- Jahren in den vergangenen Tagen Handgranate hineinfliegen soll“, punkt der Bewegung war eine Feier mindestens 31 Menschen ums Le- meint ein Laienkatholik aus der auf dem „Fushe e pajtimit“ (Ver- ben gekommen. Versöhner kann Hauptstadt. söhnungsfeld), etwa auf halbem das Nachkriegs-Kosovo beileibe Dabei steht ein warnendes kir- Weg zwischen Pristina und Skopje. gebrauchen. Das staatliche Bil- chenpolitisches Mahnmal nur we- Mit dabei die intellektuellen Weg- dungssystem liegt nach dem Unter- nige hundert Meter von dem ge- bereiter dieser wohl einmaligen In- gang von Milosevics Apartheid- planten Baugrund entfernt: In den itiative: Anton Cetta, katholischer system noch weitgehend brach. Die neunziger Jahren scheiterte hier Literaturwissenschaftler an der Wertevermittlung ist maßgeblich der Versuch der Serben, noch ei- Universität Pristina, und Don Lush auf westlichen Konsumismus und nen politisch motivierten religiösen Gjergji, rechte Hand des damaligen den Sozialdarwinismus reduziert. Pflock einzurammen. Die orthodo- Apostolischen Administrators in Auch wenn auf dem Papier nur we- xe Bauruine mit dem goldenen Prizren. nige Katholiken im Kosovo-Parla- Dachkreuz harrt als Leergebäude Viele Muslime traten damals ment sitzen – selbst die albani- einer Umwidmung als Gedenkstätte zum Christentum über. Die Aktion schen Muslime in den Spitzenposi- – oder aber möglicher Angriffe al- ist bis heute unvergessen. Sie hat tionen der kosovarischen Administ- banischer Extremisten. Für den den Katholiken, die mit sechzigtau- ration setzen auf die katholische Fall X – den Bau einer katholi- send Mitgliedern nur etwa drei Pro- Kirche. schen Kathedrale – haben die radi- zent der Bevölkerung stellen, einen Zwar hat die Regierung kein kalen Muslime, die derzeit mit Gel- enormen Vertrauensvorschuss ein- Geld, um die fast mittellose Kirche dern aus Saudi-Arabien die Region getragen. Viele Muslime traten zu fördern. Allerdings übertrug sie Pristina mit Dutzenden neuer, damals zum Christentum über. Die ihr ein Grundstück von 13.000 freilich leer stehender Gotteshäu- Katholiken als Experten für Ver- Quadratmetern bebaubarer Fläche ser überziehen, bereits eine noch söhnung, das ist haften geblieben. im Herzen der Hauptstadt Pristina, viel größere Moschee angekündigt. Tatsächlich bilden die Katholiken das die Träume des Apostolischen Doch im Kleinen gedeiht auch eine Art natürlicher Brücke zwi- Administrators, Bischof Marko echte Versöhnungsarbeit. Bei Don schen den verfeindeten Kriegs- Sopi, höher fliegen lässt. Bislang in Lush Gjergji, seit 1992 Landpfarrer parteien: Sie sind zum allergrößten der im Süden gelegenen Provinz- im abgelegenen Binca im Südosten Teil Albaner, „Blutsbrüder“ jener stadt Prizren ansässig, arbeiten des Landes, sitzen in jedem albanischen Muslime, die dem Ka- Sopi und sein Stab intensiv am Pro- Sonntagsgottesdienst auch bis zu tholizismus nach der Schlacht auf jekt „Präsenz in der Hauptstadt“. fünfzig Muslime, vor allem junge dem Amselfeld 1389 allmählich Zwar gibt es unter den rund eine und intellektuelle – weil sie sich den Rücken kehrten und fortan ei- halbe Million Einwohnern von hier ernst genommen fühlen. Sein nem moderaten, eher dem Gefallen Pristina nur rund 1.250 Katholi- Engagement hat Don Lush den Vor- der türkischen Besatzer als religiö- ken. Dennoch soll nach den Vor- wurf eingetragen, „ein Priester für sem Eifer folgenden Islam anhin- stellungen der Kirchenführung auf Muslime“ zu sein; ein Vorwurf, der gen. Zugleich werden die Katholi- dem Filetstück gegenüber der Nati- ihn selbst freut. ken als christliche „Glaubensbrü- onalbibliothek zwischen dem Bill- (DT Nr.35 vom 23.03.2004)

AUFTRAG 255 51 KIRCHE UND GESELLSCHAFT

INDONESIEN: Glaubensverkündigung in einem islamischen Land Zur aktuellen Debatte über das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen: Der Bericht eines katholischen Ordensmannes über die Mission in Indonesien PS

FRANZ MAGNIS-SUSENO SJ or Jahren, nach stundenlangen Muslime selber erklären, diese sie, keineswegs zum Schock geworden Diskussionen über Demokra- wenn sie das Sagen hätten, und es hat uns keineswegs die Moti- Vtie und Menschenrechte, es zumindest unterdrücken würden. vation zum Missionieren genommen, war schon nach Mitternacht, umring- Und die Muslime haben Angst, dass wie ich es manchmal in Europa ge- ten mich einige muslimische Studen- hinter allen Dialogen und Freund- hört habe. Wir sind befreit von dem ten. „Pater, dürfen wir Sie etwas Per- lichkeiten der Christen doch nur die permanenten Druck, so viele Men- sönliches fragen?“ „Gerne.“ „Sie geheime Absicht steht, sie vom Islam schen als möglich taufen zu müssen, kennen den Islam gut“ – was leider abtrünnig zu machen. damit sie nicht in die Hölle kommen. nicht ganz richtig ist – „und Sie ste- Um diesen heißen Brei wird Wir stehen nicht mehr – wie noch hen uns Muslimen mit Sympathie ge- meist herumgeredet. Doch wenn die immer viele evangelikalen Protestan- genüber. Warum haben Sie noch Gesprächsatmospäre stimmt, bringe ten – vor der unmöglichen Aufgabe, nicht den Islam angenommen?“ Mir ich dennoch zur Sprache, dass hier Neugetaufte in der Furcht lassen zu verschlug es kurz die Sprache. Ich unser Hauptproblem liegt. Dass wir müssen, dass ihre geliebten Eltern, sagte dann, dass ich von Kind auf ka- anerkennen sollten, dass wir beide fromme Muslime und gute Men- tholisch erzogen worden sei, dass ich missionarische Weltreligionen sind. schen, in die Hölle gekommen sind. später diesen Glauben persönlich Dass gegenseitiges Akzeptieren, also Eine solche Überzeugung drängte vor übernommen hätte und er meine positive Toleranz, wie sie von beiden fünfhundert Jahren den heiligen Lebensbasis geworden sei, dass ich Religionen in Anspruch genommen Franz Xaver, in Südindien Zehntaus- mich da richtig fühle und dass mir wird, nicht darin besteht, die Unter- ende zu taufen. Wenn wir heute das bei allem Respekt gegenüber dem Is- schiede zu leugnen, sondern die an- Evangelium bezeugen, dann deshalb, lam der Gedanke, zum Islam überzu- deren, also die andere Religionsge- weil wir unsere Freude, unseren treten, noch nie gekommen sei. Die meinschaft, in ihrer Andersheit anzu- Schatz, die Selbstoffenbarung Gottes Studenten akzeptierten meine Ant- nehmen. Und das schließt das Ak- in Jesus, weitergeben wollen. Weil es wort. zeptieren des gegenseitigen missio- ein unendliches Glück ist, Jesus aus- narischen Charakters ein. drücklich zu finden und sich auf ihn Der heiße Brei: Negativbilder Was aber heißt das, „missiona- und seinen Weg einzulassen. Wir und Ängste risch“? Hierzu hat das Zweite wissen jetzt, dass auch Menschen an- Vatikanum sehr wichtige Aussagen derer Religionen auf dem Weg zu In inzwischen Hunderten von gemacht: Bejahung der Religions- Gott sein können, aber sie sind es Gesprächen mit muslimischen Intel- freiheit; Anmahnung, anderen Reli- sozusagen mit verbundenen Augen: lektuellen und Studenten habe ich gionen, insbesondere dem Islam, Da sie Christus noch nicht kennen, gelernt, manchmal auch schwierige Achtung entgegenzubringen; vor al- ist ihnen die Fülle der Wahrheit und Themen anzusprechen. Dazu muss lem aber die klare Aussage der daher der Freude, von Gott angenom- allerdings erst gegenseitiges Vertrau- Kirchenkonstitution (LG 16), dass men zu sein, noch (teilweise) verbor- en aufgebaut werden. Denn die Be- auch Nichtgetaufte durch Jesus das gen. Auch ohne die Fülle des göttli- ziehungen zwischen Christen und Heil erlangen können. Die unselige chen Heilsplanes zu sehen, können Muslimen sind vielfach belastet, Streiterei darüber, ob Christen und sie zum Heil gelangen. Aber welch nicht zuletzt durch eine über tau- Muslime zum gleichen Gott (den wir ein Glück ist es, wenn sie zum vollen sendjährige misslungene gemeinsa- in Indonesien, wie auch die Christen Sehen gelangen. me Geschichte. Negativbilder vom in der arabischen Welt, „Allah“ nen- Deshalb überlassen wir es getrost Islam beziehungsweise vom Chris- nen) beten oder nicht, sollte damit dem Heiligen Geist, ob und bei wem tentum sind tief in die unterbewusste eigentlich gegenstandslos geworden er das Glaubenslicht anstecken will, kollektive Identität beider Religions- sein. so dass er oder sie das große Glück gemeinschaften eingesickert. Was erfahren darf, die wahre Güte Gottes aber die gegenseitigen Beziehungen Die Aussagen des Zweiten Vati- in Jesus zu erkennen und in die Ge- in Indonesien am meisten belastet, kanischen Konzils meinde der aus Jesus heraus Leben- sind gegenseitige Ängste. Die Chris- den eingegliedert zu werden. Wir ten haben Angst, dass, was immer Für mich und viele meiner Mit- freuen uns über jeden, den der Geist auch die Staatsverfassung und die missionare ist das Zweite Vatikanum durch unsere Beihilfe zu Taufe

52 AUFTRAG 255 KIRCHE UND GESELLSCHAFT bringt, aber wenn es wenige sind, be- wenigstens grundsätzlich bereit, so- Muslime sollte man nicht Heiden unruhigt uns das keineswegs. weit zu folgen. nennen (vielleicht sollte man dieses Wie aber sollte so eine „nach-va- Ich selbst bin in das multikultu- Wort überhaupt vermeiden). Der ty- tikanische“ Mission aussehen? Da relle Indonesien über die javanische pische „Heide“ weiß nichts von Gott. bietet sich besonders Lukas an (Lk Kultur hineingelangt. Obwohl ur- Aber wie es uns das Zweite 24, Apg 1), der Jesu Missionsauftrag sprünglich zu hundert Prozent isla- Vatikanum (Nostra aetate) schon ge- als Sendung deutet, Zeugnis zu ge- misch, gibt es derzeit etwa eine Milli- sagt hat: Muslime wissen viel von ben. Damit verbietet sich ein Ver- on katholischer Javaner – und das, Gott, sie gehören zur abrahamiti- ständnis von Mission als Proselyt- obwohl die Kirche im eigentlichen schen Religionsfamilie. Wir können ismus, als Werben von Anhängern. Sinn erst Anfang des zwanzigsten sogar einiges von ihnen lernen. Mission heißt dann nicht, andere Jahrhunderts unter ihnen zu arbeiten Ein so verstandenes Zeugnis er- überreden zu wollen, Christen zu begonnen hat. Manche meiner niedrigt Andere nicht, es schiebt ihre werden. Für mich ist es inakzeptabel, Jesuitenmitbrüder sind Christen der „Wahrheit“, ihren geistigen, geistli- Menschen, die ihre religiöse Über- ersten Generation, deren Eltern noch chen und religiösen Reichtum nicht zeugung haben, anzugehen und ih- dem Islam angehören. Für Javaner ist beiseite. Es erkennt die Werte Ande- nen den eigenen Glauben aufdrängen Religion ein Weg, nicht das Ziel, ein rer an. Und gerade deshalb kann sol- zu wollen. Natürlich nicht durch Weg zu Gott. Man sollte der Religion ches Zeugnis andere bereichern, Überredung mittels Anreizen. Aber folgen, die man innerlich als richtig ohne ihre Identität zu bedrohen. Wir auch nicht durch religiöse Streitge- erfährt. Für Javaner wäre der Gedan- wissen ja, dass jemand, der zum spräche, nicht einmal einfach da- ke eines Gottes, der ihre Eltern, Glauben an Jesus kommt und sich durch, dass man sie in ein religiöses Großeltern oder geliebte Verwandte Ihm übergibt, nichts von seiner Iden- Gespräch verwickelt oder ihnen eine und Bekannte nur deshalb nicht zu tität verliert, sondern im Gegenteil Bibel in die Hand drückt. Jeder sich in die ewige Seligkeit lässt, weil sich selbst erst richtig findet. Sich in Mensch hat das Recht, mit seiner sie nicht katholisch getauft sind, von Gott hinein entleeren, führt nicht in grundlegenden Überzeugung in Ruhe vorneherein inakzeptabel, unglaub- die Selbstentfremdung, sondern aus gelassen zu werden. Genau dieses würdig. Ein Gott als Registrator, der ihr heraus. Sollten sich Muslime tat- Recht bleibt voll respektiert, wenn erst im Taufbuch nachschaut, bevor sächlich zur Kirche und zu Jesus hin- Mission als Zeugnis-Geben verstan- er einen in den Himmel lässt, hätte gezogen fühlen, dann dürfen wir uns den wird. Zeugnis gebe ich durch für Javaner nichts mit Gott zu tun. freuen und ihnen unseren Weg zei- mein Leben, durch die Art, wie ich Hier ist also genau die Tatsache, gen, und wenn sie um die Taufe bit- Menschen begegne, meine Arbeit dass die Katholiken, im Unterschied ten, nehmen wir sie in die Kirche auf. leiste, meine Verantwortung erfülle, zu den meisten Muslimen und vielen Umgekehrt scheint mir auch eine positiv zum Leben der Gemeinschaft Protestanten, lehren, dass auch Mus- Redeweise ganz unangebracht, nach beitrage. Christen geben Zeugnis für lime, Buddhisten und sogar Atheis- der es, in bewusstem Gegensatz zum Christus durch ihre Offenheit, ihre ten in den Himmel kommen können, traditionellen Missionsverständnis, innere Freude, Positivität, Güte, Soli- ein besonders bedeutsamer Hinweis Aufgabe des Missionars wäre, Musli- darität mit den Armen und Leiden- auf die Echtheit katholischer religiö- me zu besseren Muslimen machen. den, dadurch, dass sie es ablehnen, ser Erfahrung. Das riecht nach Paternalismus und an Ungerechtigkeit mitzuarbeiten. Hochmut. Außerdem sehe ich in der Dabei sollte man sich, wenn immer Das Ideal: transparent zu islamischen Lehre, auch in dem, was möglich, als Christ zu erkennen ge- werden für Christus selbst im Koran steht, Dinge, die ich nega- ben. Die Menschen dürfen sehen: So tiv beurteile. lebt, so handelt, so ist ein Christ. Sol- Als Missionar unter Muslimen: Allerdings sehe ich es als meine ches Zeugnis lässt andere vollständig Das heißt dann eben nicht mehr, Aufgabe als ein Missionar, der zufäl- frei. Sie können darauf reagieren, wie Muslime „bekehren“ zu wollen. Viel- lig auch ein Philosoph ist, Muslime sie wollen. Sie können sich zum Bei- mehr heißt es: Für die Freude, die intellektuell herauszufordern. Das spiel einfach abwenden. Wenn dann Güte und die Gerechtigkeit Jesu heißt, Muslime zu neuen Weisen der jemand kommt und Aufklärung über Zeugnis geben. Und zwar in allen Di- Reflexion über ihren eigenen Glau- die Quelle der inneren Freude, der mensionen: In der täglichen Begeg- ben anzuregen. Zum Beispiel in den Positivität verlangt, dann ist die Zeit nung mit Menschen islamischen Diskurs mit zeitgenössischer Philo- gekommen, wo ich ihm oder ihr, der Glaubens, am Arbeitsplatz, in der sophie, über zeitgenössische Frage- Situation entsprechend, von meinem Schule, aber auch durch eine gerech- stellungen, einzutreten. Glauben, von der Freude, Jesus zu te und effiziente Wirtschaftspolitik, Eine andere Spur ist die Erneue- kennen und ihm zu folgen, sprechen überhaupt durch politischen Einsatz, rung des theologischen Denkens im kann. Und dann sollten wir darauf zum Beispiel für Demokratie, Men- Islam. Im sunnitischen Islam ist seit bestehen, dass sowohl die Rechts- schenrechte und Pluralismus, und dem zehnten Jahrhundert offiziell und Verfassungsordnung als auch die insbesondere durch den Einsatz für „die Tür der ijtihad“ verschlossen, andere religiöse Gemeinschaft selbst die Schwachen und Armen. Das Ideal das heißt, es dürfen keine neuen In- das Recht dieses Menschen aner- wäre, transparent zu werden für terpretationen betreffend des islami- kennt, der Stimme seines Herzens zu Christus selbst, der über Seinen schen Gesetzes entwickelt werden. folgen. Viele muslimische Ge- Geist durch den Missionar hindurch Ich frage dann meine muslimischen sprächspartner in Indonesien sind in der Gesellschaft anwesend ist. Gesprächspartner manchmal, wie

AUFTRAG 255 53 KIRCHE UND GESELLSCHAFT dieses Schließen der ijtihad-Tür the- Koran, erlaube ich mir, auf die zess. Und Zeugnis geben heißt ja ologisch zu rechtfertigen sei. Der Unverzichtbarkeit der Hermeneutik nicht, Recht haben zu wollen gegen- Protestantismus habe die katholische für eine korrekte Textauslegung hin- über anderen, sondern transparent zu Kirche dadurch herausgefordert und zuweisen, die dem im Koran wirklich werden für das Licht des Geistes und das Christentum erneuert, dass er zur Gemeinten nahe kommt. Immer die Gnade dessen, der uns zu seinen Heiligen Schrift zurückgegangen ist, wieder betone ich auch meine Über- Gesandten oder Missionaren ge- um zu finden, was wirklich eine zeugung, dass man, um fromm zu macht hat. In diesem Sinn ist der christliche Antwort auf neue Proble- sein, nicht das Denken verleugnen Missionsauftrag Jesu so aktuell wie me ist. Warum begnüge man sich an- muss. In diesem Zusammenhang be- nur je. gesichts neuer Herausforderungen tone ich, dass sich religiöse Men- mit den Antworten der seit tausend schen, vor allem Intellektuelle, auch Der Autor, Jesuit, lebt seit 1961 in In- Jahren approbierten Rechtsgelehrten mit feindlicher oder nicht leicht ein- donesien und ist Philosophieprofessor und gehe nicht direkt auf die Quel- zuordnender Literatur geistig ausein- in Jakarta. Ein Schwerpunkt seiner len, vor allem den Koran, aber auch andersetzen können müssen. Arbeit ist der Dialog mit Muslimen. die Überlieferung über den Prophe- Klar, dass ich dadurch selbst Seine Publikationen, hauptsächlich ten (sunnah) und seine gut bezeugten auch viel Bereicherung und neue in indonesischer Sprache, behandeln Worte (hadits) zurück? In Bezug auf Perspektiven erfahre. Kommunikati- Ethik, Politische Philosophie und Ja- die muslimische Heilige Schrift, den on ist immer ein mehrseitiger Pro- vanische Kultur. (aus: DT Nr.25 vom 28.02.2004)

KOPFTUCH UND KREUZ: mus Ungeborene getötet, Siechende Christen, hört die Signale! euthanasiert, Embryos geklont, Frau- „Um Kopftuch und Kreuz: Der Papst durchschaut die laizistische Bedro- en zu Sexualobjekten degradiert wür- hung“, schreibt Stephan Baier in seinem Beitrag für „Die Tagespost“ den. Für gläubige Juden und Musli- (Ausgabe Nr.26 vom 02.03.2004, S. 9), den AUFTRAG in einer Kurz- me gelte dies im Prinzip ebenso. fassung, wiedergibt. In seiner Ansprache vor französischen Bischöfen in „Das Ringen das Papst Johannes Rom am 27. Februar 2004 stemmte sich Johannes Paul II. gegen den Paul II, mit seiner Erklärung gegenü- Versuch, das gesellschaftliche Leben seiner religiösen Dimension zu be- ber den französischen Bischöfen auf- rauben. Damit legt er den eigentlichen Kern der Debatte um religiöse nahm, ist vermutlich schwieriger und Zeichen offen. fundamentaler als der mittelalterli- che Investiturstreit. Dieser war nur it eindeutigen Worten wand- in anderer Form auch gegen das ein Grenzstreit zwischen geistlicher te sich der Pontifex gegen Christentum – und das nicht nur in und weltlicher Autorität, aber kein Mein französisches Gesetz, Frankreich. Religion dürfe nicht aus- Grundsatzstreit um die Frage, ob das wodurch zukünftig das Tragen sicht- schließlich auf die Privatsphäre be- Christentum auch diese Welt formen barer religiöser Symbole in öffentli- schränkt bleiben. und verwandeln darf“, heißt es in der chen Schulen verboten wird. In der Damit habe der Papst den Kern Tagespost. In der Sicht dieser etatis- Audienz erklärte der Papst, jeder An- der Debatte offengelegt: Dem ideolo- tisch-laizistischen Ideologie sei der gehörige einer Religionsgemeinschaft gischen Laizismus, der seine Wur- Mensch nicht mehr Bürger zweier habe das Recht, in den Überzeugun- zeln in der Französischen Revolution Welten, sondern nur mehr des Staa- gen, aber auch in der praktischen hat, gehe es nicht um die Abschaf- tes Untertan. Die von Jesus selbst ge- Ausübung seines Glaubens respek- fung jeglicher Religion, sondern um zogene Unterscheidung zwischen tiert zu werden. ihre radikale Entschärfung. Ein dem, was „des Kaisers“’, und dem, Glaube, der nur mehr im privaten was „Gottes“ ist, gerate ins Wanken. Fundamentaler als der Inves- Raum bekannt und ausgeübt werden Wer künftig in Frankreich eine titurstreit des Mittelalters dürfe, möge noch zur Verbesserung staatliche Schule mit Kopftuch, Ist der Papst also für das Kopf- der Manieren und des gesellschaftli- Ordensgewand, Kreuz oder jüdischer tuch? - Er ficht für die Religionsfrei- chen Sittenbildes beitragen, könne Kippa betrete, mache sich strafbar. heit, bei der nicht vom Staat der aber der fortschreitenden Barbari- Die französische Nationalversamm- Glaubensinhalt und der sichtbare sierung der Gesellschaft keinen Wi- lung beschloss mit einer Mehrheit Glaubensausdruck einer Religion derstand mehr leisten. Dem gegenü- von 494 gegen 36 Stimmen, dass das bestimmt werden könne. Der durch ber hätten der Glaube Abrahams, der Tragen „ aufdringlicher“ religiöser die erlebten religionsfeindlichen Ide- Glaube des Mose, des Jesus von Na- Symbole in französischen Schulen ologien des Nationalsozialismus und zareth, des Mohammed (in histori- verboten ist. Auch in anderen katho- sowjetischen Kommunismus gepräg- scher Reihenfolge) immer schon eine lischen Ländern wie Italien, Spanien te Johannes Paul II. stemmt sich gesellschaftsprägende und die Ge- und Bayern gebe es Entscheidungen nach Angaben kirchlicher Nachrich- sellschaft verändernde Kraft in sich. bzw. Bestrebungen „alle religiösen tenagenturen „mit Nachdruck“ ge- Mit anderen Worten: Gläubige Chris- Symbole wie das Kruzifix aus den gen die neue laizistische Religions- ten könnten nicht gleichgültig blei- Schulzimmern“ oder der Öffentlich- feindlichkeit gegen den Islam sowie ben, wenn im Namen des Liberalis- keit zu entfernen.

54 AUFTRAG 255 KIRCHE UND GESELLSCHAFT

Nach einem Urteil des Bundes- tigkeit verteidigt, dann betrifft dies chen Dämpfer bekommen. Die ausu- verfassungsgerichts in Deutschland nur die dritte Diskussionsebene: das fernde laizistische Ideologie werde darf einer muslimischen Lehrerin Verhältnis des Staates zu den Glau- anstreben, alle Symbole der Religio- nur dann das Tragen eines Kopftuchs bensgemeinschaften. Dem Staat strei- nen aus dem öffentlichen Bereich zu verboten werden, wenn es in dem be- tet der Papst das Recht ab, den Glau- verbannen, wie sie auch den Gottes- treffenden Bundesland eine gesetzli- ben aller Gott-Gläubigen von der öf- bezug in der Europäischen Verfas- che Grundlage gibt. Erschreckend fentlichen Bühne zu verjagen und in sung zu verhindern suche. Übrig daran sei, dass ein einfaches Landes- das private Kämmerlein zu sperren.“ blieben wohl die Insignien und Herr- gesetz offenbar über die im Grundge- schaftszeichen des allmächtigen setz verankerte „ Freiheit des Glau- Alle Symbole der Religionen Staates. „Dann aber ist es – wie in bens, des Gewissens und die Freiheit ins Privatleben verbannen der Französischen Revolution bereits des religiösen und weltanschauli- Christen, die heute einen säkula- vorexerziert – bis zur Schleifung der chen Bekenntnisses (Grundgesetz ren Staat befürworteten, der muslimi- Kirchtürme und der Abschaffung Art. 4, Abs.1) gestellt werde. Noch schen Frauen ans Kopftuch oder an christlicher Feiertage nur mehr ein schlimmer sei, dass der Staat meint, den Tschador gehe, hätten durch das kleiner Schritt“, befürchtet der Au- über die „ungestörte Religionsaus- französische Gesetz einen erhebli- tor. (bt) übung“ entscheiden zu können, d.h. wie der Glaube öffentlich bekannt und gezeigt werden dürfe. KURZ BERICHTET: Der Papst dagegen definiere die mischen Rechts. Hass und Gewalt Grenze des staatlichen Eingreifens Katar: Vatikan fordert wachsen dort, wo der Mensch nicht damit, dass die Religionsfreiheit dort Religionsfreiheit frei ist, seinen eigenen Glauben aus- ihre Grenzen habe, wo „die Sicher- zudrücken.“ An dem dreitägigen heit und die legitime Autorität des er Vatikan hat bei einer hochran- Kongress nahm seitens des Vatikan Staates“ in Frage gestellt werde. Wo Dgig besetzten islamisch-christ- neben Kardinal Tauran auch der also eine muslimische Mathematik- lichen Dialogkonferenz im Emirat Vorsitzende des Päpstlichen Rats für lehrerin zwar das Kopftuch trägt, Katar die Wahrung der Religionsfrei- den Interreligiösen Dialog, Erzbi- aber gemäß dem Lehrplan Mathema- heit gefordert. Wie der vatikanische schof Michael Fitzgerald, teil. Die tik unterrichte, sei ihr ebenso wenig Missionspressedienst „Fides“ Ende koptischen Christen sind durch ihr ein Vorwurf zu machen, wie dem Mai berichtete, sagte der frühere va- Oberhaupt Papst Schenuda III. ver- Benediktinerpater im Habit am tikanische Außenminister Kardinal treten, höchstrangiger islamischer Klosterinternat. Erst wenn die Lehre- Jean-Louis Tauran bei dem Treffen in Teilnehmer ist der Groß-Imam der rin – mit oder ohne Kopftuch – gegen der Hauptstadt Doha, die Freiheit des Al-Azhar-Moschee. den freiheitlichen Rechtsstaat predi- Gewissens und der Religion sei „fun- ge oder eine islamische Theokratie damental und absolut notwendig“. Scheich schenkt Christen Land ausrufe, müsse sie aus der Schule Die Religionsfreiheit respektiere so- für Kirchenbautenbauten entfernt werden ! wohl Gott als auch den Menschen In ihrem Bericht über die Dialog- und sie beruhe auf Gegenseitigkeit. konferenz teilt „Fides“ mit, das Drei verschieden Sie erstrecke sich über die Gewissens- Staatsoberhaupt von Katar, Scheich Diskussionsebenen freiheit des Einzelnen hinaus auch Hamad bin-Khalifa alThani, habe „Wir brauchen deshalb min- auf die Gemeinschaft und habe daher den christlichen Minderheiten Land destens drei Diskussionsebenen: eine gesellschaftliche Dimension. für den Bau von Kirchen geschenkt. – die inter-konfessionelle, Tauran betonte in seinem Vortrag Laut „Fides“ überließ der Scheich – die inter-religiöse und ferner, dass die katholische Kirche den christlichen Konfessionen gut – diejenige zwischen Staat und die Muslime und den Reichtum ihrer 500.000 Quadratmeter Grund, um Religionsgemeinschaften. geistlichen Tradition mit Respekt be- darauf Kirchen zu errichten. Das An- Innerislamisch gibt es über die Kopf- trachte. Zugleich seien aber auch die gebot richtet sich an Katholiken, tuch-Frage keine Einigkeit. Im inter- Christen stolz auf ihr religiöses Erbe. Kopten, Orthodoxe und Protestanten. religiösen Dialog dürfen und sollen Der Dialog zwischen Gläubigen Bisher mussten Christen in dem ara- Christen gegenüber Muslimen alle zweier unterschiedlicher Religionen bischen Land ihre Gottesdienste in Bedenken und Sorgen offen themati- sei ein „sprechendes Zeugnis der Schulen oder anderen Raumen fei- sieren, die mit der von Gott verliehe- Brüderlichkeit“. Um jeglichen Syn- ern. Katar unterhält seit 2002 diplo- nen Würde jedes Menschen, jeder kretismus zu vermeiden, müssten matische Beziehungen mit dem Vati- Frau, jedes Kindes, jedes Un- und beide Seiten ihrem eigenen Glauben kan. Nach Kuwait, Bahrain, Oman, Andersgläubigen zu tun haben. Die treu bleiben, sagte der französische Jemen und den Vereinigten Arabi- Menschenwürde, die Papst Johannes Kurienkardinal. Zum Prinzip der Re- schen Emiraten ist Katar bereits der Paul II. immer ...zum großen Thema ligionsfreiheit bekannte sich bei der sechste Staat der arabischen Halbin- seines Lehramtes gemacht hat, ist Konferenz auch der Groß-Imarn der sel, der Kirchenneubauten oder die wohl der Kern des christlichen An- ägyptischen Al-Azhar-Moschee, liturgische Nutzung bestehender Kir- liegens im Dialog mit dem Islam. Scheich Mohammed Sayed Tantawi. chen zulässt. Lediglich in Saudi Ara- Wenn der Papst das Recht aller Reli- Er sagte: „Die Religionsfreiheit ist bien genießen Christen keine ver- gionen auf öffentliche Zeichenhaf- eines der Grundprinzipien des isla- gleichbare Religionsfreiheit. (KNA)

AUFTRAG 255 55 KIRCHE UND GESELLSCHAFT Islam: Migranten-Rat für Dialog mit Augenmaß usgerechnet der Päpstliche- was gebilligt und dem was nicht ge- Dialog mit anderen Religionen – mehr Migranten-Rat, der seit Jahren billigt werden kann“, unterscheiden. Aufmerksamkeit erregte. Afür eine vorurteilsfreie und Hinsichtlich der religiösen Toleranz Seit der Ton zwischen militanten humane Zuwanderungspolitik wirbt, fordert der Rat das Prinzip der Ge- Muslimen und dem Rest der Welt ist in Medien in den Verdacht gera- genseitigkeit ein, das für christliche rauer geworden ist, mehren sich im ten, eine härtere Linie des Vatikan Einwanderer in islamischen Ländern Westen die Rufe nach einer wehrhaf- gegenüber islamischen Einwande- nur sehr selten gilt. Neu ist an diesen teren Haltung gegenüber dem Islam. rern zu verkünden. In der Tat enthält Ausführungen höchstens die klare, Sie stellen nun überrascht fest, dass das vom Rat letzte Woche veröffent- praxisbezogene Formulierung. Doch der Vatikan keineswegs so blauäugig lichte 50-seitige Dokument „Erga grundsätzlich betont auch Papst Jo- für den Dialog eintritt, wie dies nach migrantes caritas Christi“ (Die Liebe hannes Paul II. spätestens seit seiner manchen Gesten des Papstes gegen- Christi zu den Migranten), das sich Enzyklika „Redemptoris missio“ über Muslimen vielleicht verstanden mit den Herausforderungen für die (1990) stets, dass der interreligiöse worden war. Im übrigen hat auch die Kirche durch die größte Migrations- Dialog nicht auf Kosten des Missions- Deutsche Bischofskonferenz in ihrer welle aller Zeiten befasst, einige auftrages und einer Besinnung der Handreichung „Christen und Musli- Ausführungen auch über die „islami- Kirche auf ihr eigenes Zentrum gehen me in Deutschland“ (2003) detail- schen Brüder und Schwestern“. Doch dürfe. Diesen Aspekt haben manche liert vor den Risiken solcher Mische- Belege für die These einer Abkehr Analysten wohl übersehen, weil das hen gewarnt. vom Dialog der Religionen finden damals Neue – die Öffnung für den (KNA – ID Nr. 21/19. Mai 2004) sich nicht. Immer wieder wird in dem Text die Notwendigkeit einer angstfreien LESERBRIEF ZUM BERICHT: und mit den Herkunftsländern koordi- nierten Zuwanderungspolitik betont: „Bhutan: Massive Menschenrechtsverletzungen und „Die internationalen Migrationen sind, vernünftig betrachtet, als wichti- Christenverfolgung“ in AUFTRAG 254/ Mai 2004, S. 57 ge strukturelle Komponente der ge- urch eine Patientin wurde mir rung selbstverständlich. Flüchtlige sellschaftlichen, ökonomischen und Dein Bericht aus „Auftrag 254“ aus Nepal Bangladesch und anderen politischen Realität der gegenwärti- vom Mai 2004 zur Kenntnis gebracht. Staaten im Südbhutan können aber gen Welt zu sehen.“ Ohne Umschwei- „Bhutan: Massive Menschenrechtsver- ohne Einschränkungen ihrem Glau- fe wird vor einer Festungsmentalität, letzungen und Christenverfolgungen“. ben nachgehen. die nur illegale Einwanderungen för- Dieser Bericht entspricht in kei- Die Bhutaner reagieren selbst- dern würde, gewarnt. Auch ansonsten ner Weise den tatsächlichen Gege- verständlich mit Distanz auf Versu- keine Hardliner-Töne. Zum Thema benheiten im Königreich Bhutan. che der Missionierung, wenn unter Inkulturation heißt es: „Hier genügt Es widerspricht auch der Grund- einer falschen Vorgabe dies versucht nicht die Toleranz, notwendig sind einstellung der Regierung und des wird. So wurde die Leprastation in Zuneigung und größtmöglicher Re- Klerus. Richtig ist, dass die Staatsre- Mongar, Ostbhutan, dazu genutzt spekt gegenüber der kulturellen ligion der Bhuddismus ist. Die Ver- Missionierungsversuche zu starten. Identität der Gesprächspartner.“ suche der Christianisierung des Lan- Als dies in dem tief religiösen Dass einige Journalisten dennoch des wurden sicherlich zu plump an- bhudistischen Land erkannt wurde, eine Trendwende in das Dokument gestellt als dass hier ein Erfolg zu er- hat dies zu Konsequenzen geführt. hineinlesen, liegt vor allem an fünf zielen gewesen sei. Dies hat natür- Ich glaube nicht, dass dies unver- Absätzen über religionsverschiedene lich zu einer dann sehr kritischen ständlich ist. Ich glaube nicht, dass Ehen und das Verhalten von Christen Haltung der Regierungsverantwort- sich der Vatikan in seinem Staat gegenüber muslimischen Einwande- lichen geführt. auch nur annähernd Ähnliches bie- rern. In vergleichsweise klarer Spra- Unwahr ist die angebliche Chris- ten lassen würde. che wird von solchen Mischehen ab- tenverfolgung. Ich selbst bin Christ Der seit 1972 der UN angehören- geraten. Für christlich-muslimische und habe bei vielen Besuchen in de souveräne Staat Königreich Bhutan Ehen sei wegen der „großen kulturel- Bhutan, der letzte Besuch war im Mai bewahrt sich, wie richtig angeführt len und religiösen Unterschiede“ 2004, nichts von einer „sehr harten wird, durch eine sehr kluge Politik eine besonders sorgfältige Vorberei- Verfolgung“ feststellen können. Ich seine jahrhundertalte Kultur und tung nötig. Hintergrund dieser War- kenne kleine Gruppen ausländischer schützt sich auch vor einer Zerstörung nungen sind bittere Erfahrungen mit Christen die sich in der Hauptstadt seines Landes von Aussen. Hier steht vielen dieser Ehen, die nicht nur vor Thimphu treffen. Von einem Verbot nicht das Wohl des Individuums im Gericht enden, sondern oft genug zu dieser Treffen oder einer Verfolgung Vordergrund sondern das Wohl der familiären und diplomatischen Ver- ist mir nichts bekannt. Bekannt sind Allgemeinheit und des Landes. wicklungen führen. ethnische Schwierigkeiten im Süden Dr. Wolfgang Pfeiffer Die Gemeinden sollen im Um- des Landes. Dies ist bei der Zusam- Honorarkonsul Königreich Bhutan gang mit Muslimen „zwischen dem, mensetzung der dortigen Bevölke- 74321 Bietigheim-Bissingen

56 AUFTRAG 255 CHRISTLICHES ZEUGNIS

PRIESTER UNTER NAZI-TERROR: »Denn vergessen dürfen wir das Geschehene nie« Auf wunderbare Weise Dachau überlebt nischen Konzil mit und gründete den, ohne dass die näheren Gründe 1975 ein Institut für Studien zur Fa- dafür bekannt geworden waren. Den milie in Lomianki, damals ein Pio- sicheren Tod vor Augen wurde er am nierprojekt. 5. August 1942 völlig überraschend Die polnische Kirche hat den 29. und „auf Probe“ zu einer Zeit entlas- April zum „Tag des Martyriums des sen, als viele der völlig geschwächten polnischen Klerus während des II. Mithäftlinge an Hunger und Krank- Weltkriegs“ erklärt. Ein Drittel aller heiten elendig zu Grunde gingen. Menschen, die in Dachau ermordet Die 1945 niedergeschriebenen, auto- wurden, war polnischer Nationalität. biographischen Aufzeichnungen Jean Das Nazi-Regime hatte sich zum Ziel Bernards geben in klarer, eindrucks- gesetzt, die Elite des besetzten Po- voller Sprache, ohne Pathos und lens zu eliminieren. Wehleidigkeit, ein erschütterndes Das KZ Dachau, wohin man die Zeugnis vom Leben und Sterben im polnischen Priester brachte, wurde KZ Dachau. Sie können deshalb somit zum Hauptort ihres Martyri- stellvertretend für die Leiden der zu ums. 861 Priester kamen dort um, diesem Zeitpunkt 12.500 Gefange- ber das Schicksal des im KZ unter ihnen der Weihbischof von nen in Dachau stehen. Dachau verhungerten Trierer Wroclaw, Michal Kozal, den der Im „Luxemburger Wort“ begrün- ÜPriesters und Pfarrers von Papst 1987 selig sprach, und der Bi- dete Volker Schlöndorff, warum er Nickenich/Eifel, Johannes Bernhard schof von Lublin, Wladyslaw Goral. die Aufzeichnungen von Abbé Ber- Schulz, berichtete AUFTRAG im Zu Beginn des Zweiten Welt- nard verfilmt hat: „Ich fühlte mich letzten Heft (Nr. 254, S. 70 ff.). Heu- kriegs gab es 10.017 polnische bereit, einen Film zu machen, in dem te stellen wir nach eigenen Zeugnis- Priester. Etwa 20 Prozent von ihnen auch das Lageruniversum gezeigt sen zwei ausländische Priester vor, starben in den Gefängnissen und den wird. Früher dachte ich immer, dass die den Nazi-Terror in Dachau auf Konzentrationslagern der Nationalso- man dies auf der Leinwand nicht dar- wunderbare Weise überlebten. zialisten. Unter ihnen waren fünf Bi- stellen kann. Dann las ich das Tage- schöfe. Weitere 30 Prozent erlitten buch von Jean Bernard, das so kon- Martyrium des Schikanen unterschiedlichster Art. kret, so präzise, so unpathetisch ge- polnischen Klerus Am Ende des Kriegs war dadurch der schrieben ist. Ich sagte mir, dass, Einer von den Priestern, die die aktive Klerus auf die Hälfte ge- wenn ich es genauso inszeniere, wie Hölle von Dachau überlebt haben schrumpft. und der noch lebt, ist Msgr. Kazi- Anlässlich des Tages des Marty- er es schreibt – nicht wie in ‚Der Pia- mierz Majdanski, emeritierter Erzbi- riums des polnischen Klerus führte nist’ und ‚Schindlers Liste’, mit die- schof von Stettino-Kamien. Vladimir Redzioch ein Gespräch mit sem epischen Rahmen und 25.000 Majdanski war Seminarist in Wlocla- Erzbischof Majdanski, in dem dieser Häftlingen in Dachau, sondern so wek, als er am 7. November 1939 zu- ein Zeugnis von den tragischen Jah- klein, wie Bernard es darstellt, diese sammen mit anderen Seminaristen ren gab (s. ZENIT-Interview). eine Baracke, diesen Block –, dann und Professoren verhaftet wurde. Er kann man dies vielleicht glaubwür- wurde zunächst ins Lager nach Sach- Der neunte Tag – dig machen.“ senhausen gebracht, später nach Pfarrerblock 25487 Im Vorwort zu seinen, den in Dachau. Im September 2005 kommt der Dachau umgekommenen Priestern In Dachau stellte man pseudo- neuste Film von Volker Schlöndorff gewidmeten Aufzeichnungen schreibt wissenschaftliche Experimente mit mit Ulrich Matthes in der Hauptrolle Jean Bernard: „Denn vergessen dür- ihm an – wenn jemand überlebte, war in die Kinos. Basis für den Film fen wir das in Dachau und an ande- dies tatsächlich ein Wunder. Nach „Der neunte Tag“ sind die authenti- ren Orten Geschehene nie. ... Aber dem Krieg wurde er in Paris zum schen Erinnerungen des Luxembur- verzeihen müssen wir. Und zwar Aug’ Priester geweiht und zur Fortsetzung ger Priesters Jean Bernard (*1907, † in Auge mit dem ganzen Horror des seiner Studien nach Fribourg in die 1994) an seine Leidenszeit im KZ Geschehenen. Nicht nur, weil sich Schweiz geschickt. Dachau von Mai 1941 bis August auf Hass nichts aufbauen lässt: kein Zurück in Polen war er als Vize- 1942. Sein Zeugnis ist das zweite neues Europa und keine neue Welt. rektor des Seminars tätig, ehe er Beispiel, das AUFTRAG hier auf- Sondern vor allem Dem zu Gebot und Weihbischof von Wroclawek und greift (s. Leseprobe: REVIER). zulieb, vor Dem wir selbst, Opfer und Erzbischof von Stettino-Kamien wur- Jean Bernard war am 6. Januar Henker, nur rechtlos armselige de. Er arbeitete aktiv beim 2. Vatika- 1941 von Deutschen verhaftet wor- Schuldner sind.“ (PS)

AUFTRAG 255 57 CHRISTLICHES ZEUGNIS ZENIT-Interview mit dem polnischen Erzbischof Majdanski, Msgr. Majdanski: Die Hälfte der der das Konzentrationslager überlebt hat polnischen Priester, die in Dachau interniert waren, starb. Ich habe vie- ZENIT: Wie war das Leben im Kon- le Priester auf heroische Art und sie nur Nummern, die ausgelöscht Weise sterben sehen. Sie alle waren zentrationslager Dachau? werden sollten. Msgr. Majdanski: Am Eingang des treu zu Christus, der zu seinen Jün- Es blieb uns die Verbundenheit gern gesagt hat: „Ihr werdet meine Lagers standen die Worte: ‚Arbeit mit Gott, das im Geheimen gespro- macht frei’. Aber in Wahrheit sollte Zeugen sein“. Sie starben als katholi- chene Gebet, die geheime Beichte. sche Priester und als polnische Patri- die unmenschliche Arbeit in der Käl- Es fehlte uns so sehr die heilige Eu- te des Winters und Hitze des Som- oten. charistie. In dieser „Maschine des Manche konnten sich retten, aber mers, mit ungenügenden Essens- Todes“ waren die Priester zum Opfer rationen, mit Schlägen und Demüti- niemand ist einen Kompromiss einge- des Lebens gerufen, treu zu sein bis gangen: 1942 haben die Lagerbehör- gungen, dazu dienen, den Menschen zum Tod. zu zerstören. Am Ende, wenn eine den den polnischen Priestern die Mög- P. Stefan Frelichowski hat zu- lichkeit einer Sonderbehandlung ange- Person nicht mehr fähig war zu arbei- sammen mit P. Boleslaw Burian eine ten, wurde sie mit den so genannten boten, unter der Bedingung, sich der Art von Gemeinschaft gegründet, de- deutschen Nation zugehörig zu erklä- ‚Invalidentransporten’ in die Gas- ren Mitglieder sich zur Aufgabe mach- kammern geschickt. In der Absicht ren. Niemand hat es getan. ten, alle Demütigungen und Leiden im Als P. Dominik Jedrzejewski als jener, die diese Konzentrationslager Lager auf eine dem Geist des Evange- bauten, lag es, dass die Gefangenen Folge einer Intervention bei den liums entsprechende Weise zu ertra- deutschen Behörden die Freiheit an- das Lager im Rauch des gen, und alles jeden Abend um 21 Uhr Verbrennungsofens verlassen sollten. geboten wurde, unter der Bedingung, Maria zu übergeben. dass er auf seinen priesterlichen ZENIT: Sie befanden sich unter den Als die Typhus-Epidemie aus- Dienst verzichte, antwortete er ruhig Gefangenen, die medizinischen Expe- brach, hat sich P. Frelichowski frei- „Nein“. Und er starb. rimenten unterzogen wurden. willig angeboten, um den Kranken zu Das Martyrium des polnischen Msgr. Majdanski: Ja. In Dachau dienen. Er starb, indem er sein Le- Klerus während der Nazi-Hölle war machte ein gewisser Prof. Schilling ben für die anderen gab, wie der hei- eine ruhmreiche Seite in der Ge- medizinische Pseudo-Experimente. lige Maximilian Kolbe, den der Papst schichte der Kirche und in der Ge- In der Praxis wurde bei den Gefan- selig gesprochen hat. schichte Polens. Schade, dass sich gen erprobt, wie sie auf Substanzen ZENIT: Haben Sie viele Ihrer Kolle- darüber ein Vorhang des Schweigens reagierten, die ihnen injiziert wur- gen sterben sehen? gesenkt hat. (ZENIT.org) den. Ehe ich diesen Experimenten unterzogen wurde, bat ich meinen Professor im Seminar, meine Familie von meinem Tod zu informieren, und Auszug aus einer Karteikartei der Gestapo Koblenz ich überließ ihm meinen „Schatz“, für Schulz, Johannes Bernhard, kath. Pastor, led., zwei Scheiben altes Brot. Dass ich überlebt habe, ist ein echtes Wunder. angelegt am 26. Nov. 1937 Leider starb P. Jozef Kocot, mein 16.11.37 Hat von Frauen in Nickenich Flugschriften verteilen lassen, Zimmerkollege, ein Philosophie- mit dem Inhalt, sich für die kath. Bekenntnisschule einzusetzen. lehrer im Seminar, in Stille und in Strafverfahren wurde eingestellt. unbeschreibbarem Leiden. 4.1.38 Hat am 31.11.37 den Hirtenbrief des Bischofs von Trier betr. ZENIT: Was bedeutete das Konzentra- Gemeinschaftsschule verlesen u. anschließend eine Kollekte tionslager für euch Priester? durchgeführt, wodurch nach Ansicht der örtl. Parteileitung in Nickenich die Sammlung für WHW beeinträchtigt wurde. Wir dachten, dass die Majdanski: 14.439 Machte am 12.3.39 beim Verlesen eines Hirtenbriefes einen Tempel des Nero und Diokletian zu- Zusatz indem er die Staaten nannte, die den Papst zu seiner rückgekehrt sind, die Tempel des Krönung beglückwünscht hätten. Deutschland wurde jedoch Hasses gegen das Christentum und von ihm nicht erwähnt. alles, was es repräsentierte. Das Kon- 14.5.40 Ist Pfarrjugendseelsorger. (Siehe Vorgang B.123, Bd I) zentrationslager war die Inkarnation 28.5.40 Wurde am 28.5.40 vorläufig festgenommen, weil er dem der Zivilisation des Todes. Nicht aus Generalfeldmarschall Göring gelegentlich seiner Anwesenheit Zufall befanden sich Totenköpfe auf im Hotel Waldfrieden ein provozierendes Wesen an den Tag den Uniformen der Deutschen! legte. RSHA hat Schutzhaft und Überf. in ein KZ. angeordnet. Unsere deutschen Peiniger läs- 3.6.40 Beim Reg.Präs. wurde die Entziehung der staatlichen Pfarr- terten Gott, verleumdeten die Kirche besoldungsbeihilfen beantragt. Wurde auch durchgeführt. und nannten uns die „Hunde von (handschriftl. Vermerk „Sperre am 1.10.44 aufgehoben“) Rom“. Sie wollten uns zwingen, das 26.8.42 Sch. ist nach FS. des KL.Dachau vom 20.8.42 am 18.8.42 Kreuz und den Rosenkranz zu im Lager verstorben. schmähen. Im Letzten waren wir für

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LESEPROBE AUS „PFARRERBLOCK 25487“, SEITE 168-181: REVIER „Nummer? – Name? – Geboren?“ und ruft laut zum Schreiber hinüber: sind von Phlegmonen ganz durch- Ich muss die üblichen Sträflings- „Zwei!“ setzt. kleider abgeben, erhalte ein frisches Später erst erfahre ich, dass da- „ Das sind eiternde Ödeme“, er- Hemd und eine Wolldecke. mit die Goldzähne gemeint sind. klärt mir später ein tschechischer „Hinlegen!“ Dann kriegt der Tote das Hemd Arzt, der nicht weit von mir liegt. Ich schaue mich um. Alle Stroh- ausgezogen und wird nackt durch die „Bei den einen führt der Hunger zu säcke, über hundert in dem voll- Stube in den Waschraum geschleift. gewöhnlichen Schwellungen und gepferchten Raum, sind belegt. Viel- Dort wird eine Decke über ihn gelegt Wasserstauungen, die wir Ödeme fach drei Mann auf zwei Säcken. Ich (damals noch!), und er bleibt liegen nennen. Der Tod tritt dann ein, wenn begegne halb ängstlichen, halb bis zum folgenden Morgen, wo der das Wasser das Herz erreicht. Bei feindseligen Blicken von Leuten, die Wagen ihn mit anderen Toten des anderen eitern die Ödeme und wer- offenbar fürchten, ein Stück von ih- Tages zum Krematorium bringt. den dann Phlegmonen genannt. Die rem Lager hergeben zu müssen. Nun besitze ich einen Strohsack Leute faulen langsam ab.“ Da zupft mich jemand am Hemd. für mich allein. ✧ „Leg dich her zu mir.“ ✧ Am Abend helfe ich meinem Soviel Polnisch hab ich bereits Wer aufstehen muss, wickelt Nachbarn beim „Verbinden“. „Den gelernt. Und sein Blick fügt hinzu: sich die Bettdecke um den Leib und letzten Verband erhielt ich vorges- „Ich mach dir bald Platz...“ Es ist ein wankt barfuß in den Abort- und tern“, sagt er, „aber es gibt ja kein Geistlicher, Professor an einem pol- Waschraum hinaus. Linnen mehr.“ nischen Priesterseminar. Das Aufstehen fällt mir schwer. Dann reicht er mir eine Rolle ✧ Jetzt erst merke ich das ganze Aus- Klosettpapier, das man aus der Kan- Ich kann mich nicht entsinnen, maß meiner Schwäche. tine beziehen kann, und ich wickle jemals in meinem Leben ein solches Im Vorbeigehen sehe ich mir die ihm davon eine ordentliche Lage um Wohlbehagen verspürt zu haben. Krankentafeln an, die an jedem Bett die beiden Beine. Ruhig liegen dürfen! Alle Viere angehängt sind. Name, Nummer und Ich muss alle Energie zusammen- einfach von sich strecken! Die Augen Block; dann der Befund, und zwar in nehmen, um dabei nicht schwach zu schließen und an nichts denken! dieser Stube sämtlich „Allgemeine werden. Keine Arbeit, kein Appell! Kein Schwäche“; darunter - ich traue mei- ✧ Mensch wird sich um mich küm- nen Augen nicht - Fieber- und Puls- Ich war kaum zwei Tage im Re- mern, und zu Mittag kommt die Sup- kurve! Das sieht tatsächlich nach Be- vier, da kam auch Batty Esch. pe von selbst herein... Ich weiß noch, handlung aus. „Es ging nicht ganz so glatt wie dass mir der Gedanke kam, ob es „Du musst ganz oben hin“, sagt bei dir“, sagte er, wie ich ihm die wohl im Himmel noch schöner sei. ein Pfleger, wie ich zurückkomme. Hand drückte. „Ich wurde erst schwer Essenszeit! Die Kessel rasseln „Du kannst noch gut klettern. Wenn verhauen. Morgen kommt Brach- zur Tür herein. Alle Köpfe heben es dann nicht mehr geht, kommst du mond, und dann Wampach. „ sich. auf die mittlere Etage und danach „Es ist kein Strohsack frei“, sag- „Graupen“, melde ich meinem ganz unten hin.“ te ich. „Du wirst mit einem anderen gastfreundlichen Nachbarn, der sich Die Aufklärung war gut gemeint, teilen müssen.“ nicht mehr heben kann. „Oh“, sagt er hörte sich aber nicht sehr tröstlich Er sah so schlecht aus, dass er nur, ganz entzückt. an... Tatsächlich kam einer von der gleich auf die mittlere Etage zu lie- „Kriegen wir wohl dieselbe Rati- oberen Etage in die mittlere und ei- gen kam. on wie draußen?“ wollte ich wissen. ner von dieser in die untere Reihe zu Die beiden anderen liefen fahr- Mein Nachbar antwortet nicht. liegen. Ich aber stieg mit Aufwen- planmäßig ein. Brachmond kam zu Er ist tot. dung aller Kraft nach oben und nahm uns auf Stube 1. Pater Wampach Vorsichtig wende ich seinen dort meinen neuen Strohsack in Be- wurde der dritten Stube zugewiesen. Kopf zu mir herüber und walte rasch sitz, neben einem recht unsympathi- ✧ und heimlich meines priesterlichen schen Gesellen. „Verbände! „ Amtes. In den paar Stunden, die wir ✧ Das war jeden Dienstag und Frei- zusammengewesen, hatte ich einen Mein Nachbar antwortete nicht tag. Einer vom Stubendienst stellte Heiligen kennengelernt. auf meinen Gruß. den Besen beiseite, legte ein paar Rasch drehe ich ihn so, dass nie- Aber wie er unter der Decke eine Messer, Scheren usw. auf einen Tisch mand merkt, dass er tot ist, hole mein Bewegung macht, steigt mir eine parat, zog eine Rolle Verbandpapier und sein Essen und esse beides auf. Welle entsetzlichen Gestankes in die sowie einen Topf mit Salbe hervor. Dann erst rufe ich: „Mann tot!“ Nase. Zugleich bemerke ich, dass Dann ging es los. ✧ sein Betttuch (denn solche gab es Wer Wunden hatte - und das wa- Einer vom Stubendienst, im Re- noch im Revier) über und über mit ren die meisten schloss sich der vier „Pfleger“ genannt, sieht sich ihn Blut und Eiter beschmutzt ist. Schlange an. Natürlich nackt, ob es flüchtig an, sperrt ihm den Mund auf Die Waden seiner beiden Beine sich nun um eine Wunde am Finger

AUFTRAG 255 59 CHRISTLICHES ZEUGNIS oder an den Füßen handelte. ten!“ sistenz-Husarenstücken erzählt, und In Dachau heilen Wunden nie. Sofort schwirrten wilde Gerüchte ein Echo davon war bis zu dem Ober- Ist das vitaminarme Essen daran umher. „Wir werden vergast“, sagten pfleger gedrungen. Das brachte schuld oder die allgemeine Schwä- die einen; „nein“, sagten andere, „es Brachmond eine gewisse Sympathie che und die daraus folgenden wird Platz gemacht, und die beim ganzen Revierpersonal ein, und Wasserstauungen fast überall unter einigermaßen in Form sind, müssen man ließ ihn gern von der Heimat er- der Haut? zurück in Arbeit.“ zählen. Wenn die Leute mit Phlegmonen Wir mussten im Hof nackt antre- Die Phlegmonen an Kopf und antreten, muss man starke Nerven ten und defilierten, jede der Jammer- Hals verursachten dem „Schreckge- haben. Da sticht der Pfleger z.B. gestalten mit der Krankentafel be- spenst“ empfindliche Kopfschmer- kurzerhand und mit erstaunlicher waffnet, vor einem SS-Scharführer, zen. Dann sah er nichts und hörte Fertigkeit ein Messer fingertief in die dessen unbeschreiblich gemeinen nichts, zog eine Rolle Abortpapier unförmig angeschwollene Wade; Gesichtsausdruck ich noch lange in hervor und zeichnete stundenlang dann ein zweites von der anderen Erinnerung behalten werde. immer neue Modelle von Bienen- Seite dem ersten entgegen. Blut, Ei- Gerade dieser Gesichtsausdruck kästen... ter und Wasser fließen nur so heraus. ließ mich ahnen, dass Gesundheit si- ✧ Danach wird ein vom abgestumpfter mulieren in diesem Fall die bessere Wie ich eines Morgens vom Ab- und mit einem Schlitz versehener Sti- Taktik war. So riss ich denn die Kno- ortraum zurück zu meinem Strohsack chel ganz durch die Wade durchge- kam, war dort große Aufregung. zogen, ein mit einer Flüssigkeit ge- „Brotdieb erwischt!“ tränkter Lappen auf der anderen Sei- Mir ging ein Stich durchs Herz. te in den Schlitz gefädelt und mit Ich tastete unter meinem Strohsack. dem Stichel durch die Wunde zu- Mein Brot, noch fast eine halbe Rati- rückgezogen. Der Fetzen wird in der on, war weg! Wunde belassen, damit sie nicht Einer vom Stubendienst hält mir schließt. Wer nur irgend aufrecht ein zerknülltes Zeitungspapier vors stehen kann, rettet sich vor dem ent- Gesicht: „Ist das dein Papier?“ setzlichen Gestank in den Hof... Ich erkenne den Fetzen sofort. Es ✧ stand ein Artikel darauf über die Psy- An jenem Abend riss mein Nach- chologie der Kinder. Ich hatte ihn bar sich dauernd die Verbände auf. wohl zwanzigmal gelesen, seit ich Der Geruch war einfach nicht Tag um Tag mein Brot hinein- mehr auszuhalten. Dabei war es heiß wickelte. auf der obersten Etage der Betten. „Ja“, sage ich, in der Hoffnung, Was half es schon, dass alle ringsum mein Brot wiederzubekommen. schimpften und drohten? Das Brot sah ich nicht wieder. In der Nacht schien es mir, als Aber ich hatte einem Menschen das mache sich jemand bei meinem Todesurteil gesprochen. Nachbarn zu schaffen. Ich nahm „Wie er sein Bett baute, legte er mein Brot an mich und sicherte es wie von ungefähr sein Kissen auf das unter der Decke. Dann schlief ich chen zusammen und marschierte Bett des anderen ab, griff beim Zu- wieder ein. kerzengerade an dem Gewaltigen rückholen unter den Strohsack und Am Morgen war mein Nachbar vorbei. holte mit dem Kissen das Brot zu sich tot. Ein paar Tage später wurden herüber. Wie er sich erwischt sah, Ein schrecklicher Verdacht stieg etwa zwanzig der Armseligsten abge- hat er das Brot gleich aufgefressen!“ in mir auf. Ein Blick des Mannes von führt. Ich weiß nicht, was mit ihnen So berichtete der Stubendienst dem gegenüber gab mir die Gewissheit: geschah. eben herbeigekommenen Pfleger. Es war der Blick eines Irren. Er hatte ✧ Da traf mich der Blick des Schul- meinen Nachbarn erwürgt. Von den Freunden war keiner digen. Ein Blick voll schrecklicher War es, weil er den schreckli- dabei. Angst, den ich nie vergessen kann. chen Geruch nicht mehr ertragen Nach einer Woche Revier bra- Es war ein Pole. „Miserere mei! konnte? Oder ging es um das Brot? – chen bei Brachmond überall Phleg- Sacerdos sum...“, flüsterte er mir zu. Letzteres war jedenfalls verschwun- monen aus. In wenigen Tagen war Ich wollte ein Wort beim Pfleger den. sein Körper völlig damit übersät. einlegen, da hatte ich schon einen Ich sagte nichts. Was hätte es ge- Wenn er vom Verbinden kam, war er Faustschlag mitten im Gesicht. nutzt? Der Verdacht wäre gar noch vom Kopf bis zu den Füßen in Papier Der Unglückliche wurde in den auf mich gefallen. gehüllt, dass er einer Mumie glich. Waschraum geschleppt und „fertig- Und - soll ich es gestehen? Ich Der Oberpfleger, auch ein Häft- gemacht“… war heimlich froh, den entsetzlichen ling, nannte ihn nicht anders als „das ✧ Nachbarn los zu sein… Schreckgespenst“. Allmählich spüre ich, wie die ✧ Ich hatte in meiner Umgebung Wasserstauungen, die mir seit lan- „Alles aus den Betten! Antre- geflissentlich von Brachmonds Re- gem die Füße schwellen, nach und

60 AUFTRAG 255 CHRISTLICHES ZEUGNIS nach auf die Beine übergreifen, wäh- Eines Tages gab mir mein innerlich denken, aber mein Denken rend auch an Gesicht und Händen Schutzengel das rechte Wort ein. war ein begriffloses Denken und Ödeme auftreten. Wo ich den Finger „Du hast ja für mich gestohlen“, sag- schien mir keinen Einfluss zu haben gegen die Haut drücke, bleibt minu- te ich. Wir haben doch alle von dem auf mein äußeres Tun. Ich war unfä- tenlang eine Vertiefung zurück. grünen Zeug mitbekommen.“ hig, auch nur eine Wortbezeichnung Nun weiß ich, dass meine Stunde Nun wurde er ruhiger. zu bilden. Ich sah im Geiste Gegen- naht. Wenigstens tat er so. stände vor mir, wusste sie auch zu Eines Morgens stößt mir der Brachmonds Zustand verschlim- deuten, konnte aber nicht einen mit Pfleger die Faust in den Leib und merte sich rasch. Außer den Namen nennen. sagt: „Wassersack!“ Auf meine Tafel schmerzlichen Phlegmonen stellte Dabei dachte ich wie ein Unbe- wird ein rotes W“ geschrieben, und sich nun auch bei ihm die Ruhr ein. teiligter über meinen Zustand nach. ich erhalte von nun an nur mehr ei- Dabei benahm er sich mehr und Zuerst kam mir der Gedanke, ich sei nen halben Löffel Suppe. mehr wie ein Kind. gestorben und in der Ewigkeit. Dann Zugleich werde ich von der obe- „Du solltest deine Suppe gegen dachte ich plötzlich, ich habe den ren auf die mittlere Etage verlegt. Brot tauschen“, riet ich ihm, „und Verstand verloren. Ich versuchte, ✧ das Brot immer erst essen, wenn es immer noch unter der Decke, ein Batty Esch litt seit seiner An- ein paar Tage alt ist.“ paar Worte zu flüstern, und ich hörte, kunft im Revier an einem ruhrartigen Dann sagte er wohl ja, aber dass ich Unsinn sprach. Durchfall. kaum, dass ich den Rücken kehrte, Nun wusste ich: ich bin verrückt Es galt, nichts davon merken zu hatte er alles aufgegessen. geworden. Es ist einfach alles aus... lassen, denn diese Kranken, die mit Ich selbst war inzwischen so ✧ einem ungeschminkten Namen be- schwach geworden und hatte die Bei- Ich mochte gut zwei Stunden so zeichnet wurden, kamen sofort auf ne, ja, den Leib bereits voll Wasser, gelegen haben. Und fühlte ganz, ganz Stube 4, wo niemand sich mehr um dass ich nur mit Mühe aufstehen und allmählich den schrecklichen Zu- ihren Zustand kümmerte. Wer nicht ihm helfen konnte. stand der Spaltung weichen. mehr aufstehen konnte, blieb eben in ✧ Plötzlich wurde dicht neben mei- seinem Dreck liegen, bis der Tod ihn Eines Tages wurde ich erwischt, nem Kopf ans halboffene Fenster ge- erlöste. wie ich mit Brachmonds Decke in klopft. Dann hörte ich die Stimme Eines Tages, wir waren etwa drei den Abortraum schlich, um sie heim- von Batty Esch: „Brachmond ist tot... Wochen im Revier, wurde Esch von lich auszuwaschen. jetzt eben... in meinen Armen…“ seinem Bettnachbarn beim Stuben- „Wo ist der Saufink? Raus mit Nun fing ich an zu weinen, end- dienst verklagt und unter den ge- ihm, nach Stube 4!“ los... Dann fühlte ich mich wieder meinsten Schimpfworten nach Stube Während die Anstalten für den beisammen. Und betete das De Pro- 4 abgeschoben. Transport des Freundes getroffen fundis für den toten Freund. ✧ wurden, wankte ich zurück zu seinem ✧ Nun sah ich den Freund noch ab Lager, ihm ein Wort des Trostes zu Wie wir am nächsten Tag zum und zu, wenn wir in die warme Sonne sagen. Dabei glaubte ich, jeden Au- Verbinden antreten werden die Pfar- durften. genblick zusammenzubrechen. rer abgewiesen. Dann schlugen wir uns die Bett- Dort erwartete mich das Eine Verordnung der Lager- decke um die Hüften, wankten an der Schwerste, was ich in Dachau erleb- leitung verfügt: Die Pfaffen erhalten Wand vorbeigleitend in den Hof hin- te. Der Freund war von Sinnen. Er re- keine Behandlung mehr. aus und setzten uns zusammen auf dete wirres Zeug. Trotzdem erkannte Ein paar Tage später wird die den Bordstein des Gehsteiges. er mich und fing plötzlich an, mir die Verordnung jedoch so ausgelegt, Batty litt auch seelisch furchtbar bittersten Vorwürfe zu machen. Wes- dass man uns noch die Wunden ver- in diesen Tagen. halb, verstand ich nicht mehr. bindet, aber sich sonst nicht mehr Immer wieder kam er auf seinen Denn auf einmal wurde mir um uns kümmert. „Diebstahl“ zu sprechen und machte schwarz vor den Augen. Ich sagte et- Das brachte mir vorläufig den sich die unglaublichsten Vorwürfe. was und hörte, dass ich nicht das sag- Vorteil ein, dass ich wieder, und trotz „Ich bin selber an meinem Tode te, was ich sagen wollte. Wassersack, meinen ganzen Löffel schuld. Hätte ich mich damals be- Mit Mühe schlich ich zu meinem Suppe erhielt. .. herrscht, so wäre mir das gute Lager zurück, glitt unter die Decke, ✧ Trockenkommando erhalten geblie- hörte noch, wie Brachmond an mir Jean Bernard: „PFARRERBLOCK 25487“, ben, und vielleicht hätte ich mich vorbei hinausgetragen wurde, und Edition Saint Paul, Luxemburg 32004, durchgeschlagen. befand mich plötzlich in einer ande- 208 S. broschiert, mit biographischen Und dann wieder: „Meine arme ren Welt. Anmerkungen und mehreren Abbildun- Mutter!“ ✧ gen. Ich weiß nicht, was Psychologen Bestellungen des Buches in Deutsch- Kein Zureden, kein Räsonieren land, Österreich und in der Schweiz half. Wir saßen dann wohl stumm von dem halten, was ich nun zu be- beim Morus Verlag GmbH, Götzstr. 65, beieinander. Ich hielt seine Hand in schreiben suche: 12099 Berlin, Tel.: +49-(0)30- der meinen, und das tat uns beiden Ich war auf einmal ohne Kontakt 89793740, Fax (0)30-75708112 oder wohl. mit meiner Umgebung. Ich konnte [email protected]

AUFTRAG 255 61 BLICK IN DIE GESCHICHTE

BLICK IN DIE GESCHICHTE DER KREUZRITTERORDEN: Der Deutsche Orden im Heiligen Land Das Wirken der „Brüder vom Deutschen Haus Sankt Mariens im Jerusalem“ (1190-1291)

FRANZ KRALJIC UFTRAG hat in historischem Zusammenhang wiederholt über Ritter- und Kreuzfahrerorden berichtet.*) Dabei sind „Brüder vom ADeutschen Haus Sankt Mariens in Jerusalem“ – besser unter den später gebräuchlichen Namen „Deutscher Orden – Deutschritterorden – Deutschherrenorden“ bekannt – bisher zu kurz gekommen, obwohl der Deutsche Orden der bedeutendste Ritterorden des „Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation“ war. Viele unserer Vorfahren waren mit die- sem Orden verbunden und wirkten, unterstützten und nutzten diese Hilfs- und Kampforganisation. In den Städten und an den Verkehrswegen unse- Wappenschild des Deutschen Ordens rer Heimat findet man deren ehemaligen Niederlassungen, die Deut- schen Häuser und Hospitale. Über diese verwirklichte er seine Ordens- ziele im Heiligen Land und machte als Ordensstaat europäische Ge- vorzeitiger Heimkehr von Kreuzfah- schichte. Der folgende Beitrag über das Wirken des Ordens im unterge- rern nach dem Tod des Kaisers und henden „Königreich Jerusalem“ soll den getanen „Blick in die Geschich- Krankheiten keine Kampfkraft mehr te“ ergänzen. und musste auf die Kreuzheere der Könige von Frankreich und England Der Zusammenbruch des Abreise in Messina eine Vereinbarung warten. Die Kämpfe hatten sich zu Königreiches Jerusalem über die Verteilung der zu erwarten- diesem Zeitpunkt festgefahren, da für 1187, nach der Schlacht bei den den Beute. Das Unternehmen führte die Erstürmung der Stadt die Bela- Hörnern von Hattim, begann der Zer- ins Chaos und war fast erfolglos. gerungsgeräte fehlten. Die Dauer der fall der Kreuzfahrerstaaten, insbe- Belagerung und der Zuzug der sonders des Königreiches Jerusalem Der Angriff auf Akkon schlecht ausgerüsteten Kreuzfahrer und die Heilige Stadt sowie die Ha- Über die Initiative des Herrn von überforderte die Versorgung für fenstädte an der Küste Palästinas, Tyrus, Markgraf Konrad vom Mont- Mensch und Tier und bewirkte wurden durch die Truppen Sultan ferrat, erfolgte die Sammlung der Lagerseuchen und Streit im Heer der Saladins erobert. Nur Tyrus und eini- Reste des Königreiches Jerusalems Christenheit. ge Burgen im Libanon konnten sich und der Ritterorden zum Gegenan- halten. Der Hilferuf an Papst griff. Dies führte ab 28. August 1189 Das Feldspital der Deutschen Clemens III. und Kaiser Friedrich I., zur Belagerung von Akkon, um einen Zur Versorgung der Kranken und Barbarossa, bewirkte den 3. Kreuz- Brückenkopf zu bilden. Die Stadt Verwundeten im deutschen Ab- zug (1189-1192). 350.000 Kreuzfah- wurde dadurch erstes Ziel des Kreuz- schnitt des Belagerungsheeres er- rer des Hl. Röm. Reiches unter Füh- zuges und die über den Seeweg ein- richteten – „beim Nikolausfriedhof rung des Kaisers und 280.000 treffenden Kontingente und Gruppen zwischen dem Berg, auf dem das Kreuzfahrer aus Frankreich und reihten sich in die Kämpfe ein und Heer lagerte und dem Fluss“ – Mitte England unter Führung ihrer Könige errichteten ihre Lager. So auch der des Jahres 1190 Bürger aus Bremen Phillip II., August und Richard I., Konvoi der Schiffe aus Nieder- und Lübeck aus den Segeln einer Löwenherz, zogen über den Land- deutschland, Bremen und Lübeck, Kogge ein Zeltspital. Zur Versorgung und Seeweg nach Palästina. Doch geführt vom Grafen Adolf von Schau- und Pflege der Kranken organisierte sehr unterschiedlich waren die Moti- enburg-Holstein, mit den Kontingen- sich unter Führung eines gewissen vation, die Vorstellungen und Erwar- ten der Friesen und Rheinländer, Sigebrand (Sibrand) „aus gottes- tungen der Anführer. Des Kaisers dem Erzbischof von Bremen und dem fürchtigen Männern, die bereit waren Kreuznahme geschah aus dem mittel- Landgraf von Thüringen. Die Reste das weltliche Kleid abzulegen und alterlichen Sendungsbewusstsein, des Landheeres des Heiligen Römi- das Ordensleben als Professen zu le- dass es kaiserliche Pflicht als Ober- schen Reiches, unter Herzog Frie- ben“ eine Spitalsbruderschaft. Das haupt der Christenheit sei, das Heili- drich von Schwaben, trafen erst am 7. Spital gab sich den Namen „Hospital ge Grab zu befreien. Die Könige dage- Oktober 1190 im Lager vor Akkon Sankt Mariens der Deutschen in Je- gen sahen das Unternehmen als politi- ein. Das Heer hatte infolge der Aus- rusalem“ . Dies erfolgte wohl in Hin- schen Kriegszug und trafen vor ihrer fälle durch Kämpfe im Anmarsch, blick auf die erhoffte Errichtung ei- nes Haupthauses in der noch zu ero- *) AUFTRAG 252-253/Januar 2004, S. 89 ff.: Bernhard Sorhage, „Nova Milita bernden Stadt, als auch in Erinne- Hierosymitana – Ritterschaft Christi“. rung an das ehemalige Deutsche AUFTRAG 251/Juli 2003 (Sonderdruck ISLAM), S. 238 ff.: VolkerW. Böhler, „Die Rolle Haus und Hospital mit der Kirche St. der Assassinen während der Kreuzzüge“. AUFTRAG 242/Januar 2001, S. 50 ff.: Volker W. Böhler, „Der Crac des Chevaliers – Mariens in Jerusalem. Herzog Frie- Ordensfestung aus der Kreuzfahrerzeit im heutigen Syrien“. drich von Schwaben beauftragte sei-

62 AUFTRAG 255 RITTERORDEN: DER DEUTSCHE ORDEN nen Kaplan Konrad und seinen Käm- nen offenen Kampf zwischen den Na- merer Burchard mit der Förderung tionen und Parteien vermeiden. Die und Unterstützung des Spitals der Armenier weigerten sich ihr Haus im Deutschen und der Bruderschaft un- wiedereroberten Akkon der jungen ter Meister Sibrand, da er künftig die Bruderschaft zu übergeben. Es kam Errichtung von deutschen Versor- zur Verhandlung vor dem Königs- gungseinrichtungen und Stützpunk- gericht, welches den „Brüdern vom ten im Heiligen Land anstrebte, um Hospital St. Mariens der Deutschen“ Lazarett in Akkon die Abhängigkeit vom Königreich Je- als Ersatz, gegen Zahlung einer nicht Coelestin III. dem Akkoner Hospital rusalem sowie der Kreuzfahrerorden unbedeutenden Summe, die aus Al- seine gegenwärtigen und zukünftigen zu durchbrechen. Er veranlasste mosen und Stiftungen aufgebracht Besitzungen – Zehentfreiheit für al- auch eine Gesandtschaft an seinen werden musste, ein danebengelege- les selbstbebaute Neubruchland – Bruder König Heinrich VI., mit dem nes Haus und Grundstück übertrug. freies Begräbnis für Dritte – alle er- Ersuchen die Bruderschaft und das Das Gelände lag beim Nikolausturm worbenen Rechte und bisher einge- Spital beim Papst mit Privilegien der und -tor, zwischen der inneren und haltenen Bräuche und die freie römischen Kirche bestätigen zu las- der äußeren Stadtmauer Akkons. Vor Meisterwahl. Die Diözesanbischöfe sen. Als Friedrich von Schwaben am diesem Tor, an der Straße zum Be- werden verpflichtet, die Kleriker wie 20. Januar 1191 an einer Lager- gräbnisplatz auf dem Nikolausfried- die Altäre und Kirchen des Hospitals krankheit starb, wurde er am Fried- hof lag das Feldspital. Nach Errich- zu weihen sowie es mit den heiligen hof des deutschen Feldspitals bestat- tung des Hospitals wurden 1192 die Ölen zu versorgen. Damit war das tet. Nach einem Bericht seines Käm- Brüder in die Bauleistungspflichten deutsche Hospital gegen Zugriffe der merers Burchard, der in die Spitals- der Stadtbürger einbezogen und eingesessenen Orden abgesichert. In bruderschaft eintrat, hat er seine per- mussten die Instandhaltung und den dieser Zeit wurden auch die ersten sönliche Kriegskasse der Hospital- Ausbau der Mauern und Türme im Stiftungen und Schenkungen an das stiftung hinterlassen. Später soll er, Abschnitt des Nikolaustores über- Hospital im Heiligen Land und im seinem Wunsch gemäß, in der Kir- nehmen. Da dieser Bereich im An- Heiligen Römischen Reich, somit che des Ordenshauses in Akkon griffsfalle auch zu verteidigen war, Grundvoraussetzungen für eine überführt worden sein. wurde dies der erste Schritt zur Nachschuborganisation, bekannt. Die Gründung einer neuen Spi- „Militarisierung“ und die Hospitals- talsorganisation ohne Einfluss der bruderschaft musste für diese Zwe- Die Hospitalsbruderschaft wird Johanniter scheint auch dem fast cke auch „Miles“, ausgebildete Krie- ein Ritterorden machtlosen König Guido von Jerusa- ger, aufnehmen oder verpflichten. Im Jahre 1197 sollte unter der lem gelegen gekommen sein, da die- Um das Spital entstand das Quartier Führung Kaiser Heinrich VI. ein ser bereits vor Eintreffen des deut- der Deutschen, welche für dieses Kreuzzug stattfinden. Sammelpunkt schen Landheeres am 15. September Viertel den Heiligen Nikolaus zum der Kreuzfahrer war Sizilien. Dorthin 1190 dem Spital der Deutschen in Schutzpatron wählten. Auch die spä- zog auch Herzog Friedrich I. von Ös- der zu erobernden Stadt Akkon das tere Deutschordenskirche wurde die- terreich, in Begleitung des Bischofs Hospital der Armenier sowie ein da- sem Schutzheiligen der Staufen im von Passau Wolfger von Erlan, dem nebenliegendes Grundstück zur „Er- „Regnum Siciliae“ (Nikolaus von Protonotar des Herzogtums, um sein richtung eines Hospitals nach ihrem Bari) geweiht und mit Nikolaus-Reli- Kreuzfahrtgelöbnis für die Ermögli- Willen“ schenkte. quien ausgestattet. chung des kirchlichen Begräbnisses Nach dem Tod Herzog Friedrich Bereits am 6. Februar 1191 hatte seines Vaters Luipold V. einzulösen. von Schwaben wurde Markgraf Kon- Papst Clemens III. den „geliebten Da sich der Aufbruch des Haupt- rad von Montferrat, der auch den Ti- Brüdern der Gemeinschaft St. Mari- heeres mit dem Kaiser verzögerte, tel eines König von Jerusalem bean- ens zu Jerusalem“ und dem Akkoner schlossen sich Herzog Heinrich I. spruchte, Schutzherr des deutschen Feldspital den päpstlichen Schutz und Bischof Wolfger dem Vor- Feldspitals und Anführer der „Fran- gewährt. Mit dieser päpstlichen Be- kommando nach Akkon an. Der Kai- ken“. Ab Ankunft Herzog Luipold V. stätigung war der eigentliche Grün- ser starb im September 1197 in von Österreich im April 1191 wurde dungsvorgang der deutschen Hospi- Messina und das Kreuzheer löste diese Funktion von diesem bis zu sei- talsgemeinschaft von Akkon abge- sich auf. Da die Fortführung des ner Heimkehr im Herbst wahrgenom- schlossen und die Vororganisation Kreuzzuges nicht mehr gewährleistet men. Der Herzog führte nach der Er- des Deutschen Ordens war errichtet. war, beschlossen die bereits im Hei- oberung der Stadt den Streit um die Es gab sowohl vor als auch später in ligen Land anwesenden geistlichen Aufteilung der Beute für die von den Akkon ständig Streit mit den Johan- und weltlichen Fürsten die Heimrei- Königen von Frankreich und Eng- nitern, welche unter Berufung auf se. Vor ihrer Abreise fassten sie am land ausgeschlossenen Kreuzfahrer alte Privilegien für Jerusalem auch in 5. März 1198 den Beschluss, die aus dem Heiligen Römischen Reich, Akkon das Spitalsmonopol für ihren Hospitalsbruderschaft in einen Rit- so auch um die Verlegung des deut- Orden beanspruchten. Dieser Zwist terorden umzuwandeln, um dadurch schen Hospitals nach Akkon. Es kam wurde für die Deutschen erst 1196 deren Tätigkeit auf den Heiden- zu Ausschreitungen, Gebäudebeset- beendet. kampf auszuweiten. Der Deutsche zungen und Gewalttätigkeiten und In einem großen Privileg vom 21. Orden wurde für den Spitaldienst auf die Templer konnten nur mühsam ei- Dezember 1196 bestätigte Papst die Regel der Johanniter und für den

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Papst Coelesti III. bestätigt in einem Kaiser Friedrich II. und Papst Gregor großen Privileg vom 21. Dezember IX. herbeiführen konnte. Was von 1196 dem Akkoner Hospital seine ge- beiden Seiten dem Orden als Dank genwärtigen und zukünftigen Besitzun- Privilegien und Schenkungen brach- gen – Zehentfreiheit für alles selbst- ten. Wegen der Vormachtstellung der bebaute Neubruchland – freies Begräb- nis für Dritte – alle erworbenen Rechte beiden älteren Orden, den 1120 ge- und bisher eingehaltenen Bräuche und gründeten Templer und den 1113 die freie Meisterwahl. bzw. 1130 gegründeten Johanniter, sowie dem klein gewordenen König- reich Jerusalem, beschränkten sich Militärdienst auf die Regel der Der gewählte Meister des neu- die Herrschaftsgebiete des Deut- Templer verwiesen. Den Gründungs- gegründeten „Orden der Brüder vom schen Ordens auf die Umgebung von beschluss unterzeichneten die in Deutschen Haus St. Mariens in Jeru- Akkon und den Deutschordens- Akkon anwesenden Prälaten, Fürs- salem“ Heinrich Walpot, der wahr- burgen Starkenberg/Montfort, Thoron, ten, Großen und Edlen: Patriarch scheinlich mit dem Hospitalsvor- Melia und Judin in Galiläa, die von Monachus von Jerusalem, König steher „Praecoptor“ Heinrich iden- Adeligen des Königreiches Jerusa- Amalrich von Jerusalem, die Erzbi- tisch ist, reiste (nach der Narratio) lem erworben wurden sowie auf Be- schöfe von Nazareth, Tyrus und gemeinsam mit dem Bischof von Pas- sitzungen im Umland von Tyrus. Un- Cäsarea, die Bischöfe von Bethlehem sau und dem Herzog von Österreich abhängig davon schuf sich der Orden und Akkon, die Meister des Hospi- zur Einholung der päpstlichen Bestä- als Ausgleich aus Schenkungen und tals (Johanniter) und des Tempels tigung der Ordensgründung nach Stiftungen Niederlassungen in der (Templer) mit mehreren Brüdern Rom. Auf dieser Reise verstarb am Herrschaftsbereichen des Kaisers beider Häuser. Aus Deutschland: 16. April 1198 Herzog Heinrich I. an und breitete sich so besonders in Erzbischof Konrad von Mainz, Bi- einem nicht näher genannten Ort in Mitteldeutschland aus. Die ersten schof Konrad von Würzburg, Bischof Italien an Ruhr. Die Erhebung der Voraussetzungen für die Errichtung Wolfger von Passau, Bischof Gardulf Hospitalsbruderschaft zum Ritteror- von Ordenshäusern und Kommenden von Haberstadt und der Bischof von den mit der Regel des Hospitals für haben wohl die in der Gründungs- Zeitz; dann Heinrich, Pfalzgraf bei die Armen und Kranken und der Re- urkunde genannten Reichsfürsten mit Rhein und der Herzog von Braun- gel des Tempels für die Kleriker, Rit- der üblichen Gründungsschenkung schweig, Herzog Friedrich von Öster- ter und anderen Brüder, bestätigte geschaffen. So zum Beispiel die reich, Herzog Heinrich von Brabant, Papst Innozenz III. am 19. Februar Schenkung des Herzogs von Öster- Pfalzgraf Hermann von Sachsen, Mark- 1199. Zu diesem Zeitpunkt war der reich für die Errichtung des Deut- graf Konrad von Landsberg, Markgraf Hochmeister Heinrich bereits wieder schen Hauses in Wien. Aber auch Dietrich von Meißen und Markgraf im Ordenshaus in Akkon. Der Pas- Adelige brachten dem Orden beim Albert von Brandenburg. Zum Meis- sauer Bischof war während dieser Eintritt ihren Besitz oder ihr Erbe für ter des Ordens wählten die Gründer Zeit in Rom. Es wird angenommen, die Gründung einer Niederlassung. einen Ritter, der Bruder des Hauses dass er dabei auch die Interessen der Die erhoffte Wiedereroberung des war, namens Heinrich, genannt jungen Rittergemeinschaft vertreten Heiligen Landes konnte auf Grund Walpoto. Der Templermeister über- hat. Der Hochmeister starb am 5. No- der gegensätzlichen Politik zwischen gab ihm die geschriebene Regel der vember 1200 in Akkon und wurde dem abendländischen Kaisertum, Ritterschaft des Tempels und den vermutlich in der Ordenskirche des dem Heiligen Stuhl und den nationa- weißen Mantel. Mit dem Mantel wur- Hospitals beigesetzt. Bischof Wolf- len Interessen der christlichen Kö- de auch das rote Ordenskreuz über- ger wurde 1204 Patriarch von nigreichen, nicht verwirklicht wer- nommen, was zehn Jahre später zum Aquileja. den. Nach dem fehlgeleiteten 4. Mantelstreit zwischen dem Deut- Kreuzzug, der 1204 mit der Zerstö- schen Orden und den Templern führ- Der Aufstieg des rung von Byzanz endete, blieb die te. Auf Beschwerde der Templer ver- Deutschen Ordens Kreuzfahrerhilfe durch das Abend- bot Papst Innozenz III. am 27. Au- land aus und das Rumpfkönigreich gust 1210 den Deutschordensrittern Der Deutsche Orden war vom Jerusalem verlor durch Kleinkriege das Tragen der weißen Mäntel. Trotz Anfang an eng mit dem Geschlecht ständig Land an die Muslime. Dies eines Kompromissangebotes für einen der Hohenstaufen verbunden und bewog die Ordensleitung schon früh Mantel aus weißem Wollstoff ging von diesen in die kaiserliche Orient- auch andernorts nach Aufgaben im der Mantelstreit weiter bis Papst politik eingeplant. Der Ordensfüh- Sinne der Ordensregel Ausschau zu Honorius III. Kaiser Friedrich II. den rung gelang es jedoch mit viel Diplo- halten. Als dies bekannt wurde er- weißen Mantel für die Deutschor- matie gleichzeitig den Päpsten die hielt der Orden vom Kaiser und vom densritter als Krönungsgeschenk zu- Treue zu halten. Was bei den ständi- Papst an sie herangetragene Hilfeer- sagte. Am 17. April 1222 wurde dem gen Machtkämpfen zwischen Kaiser suchen christlicher Herrscher um Deutschen Orden der weiße Mantel und Papst oft sehr schwierig war. Schutz und Unterstützung gegen mit schwarzem Kreuz vom Papst ge- Besonders hervorgetreten als Ver- Glaubensfeinde. So kam es zum Ein- nehmigt. Das neue Ordenszeichen mittler ist der vierte Hochmeister satz des Deutschen Ordens in Ungarn schloss auch eine Verwechslung mit Hermann von Salza (1210-1239) der (von 1211 bis 1225), Spanien (ab den Templern (rotes Kreuz) aus. mehrmals den Ausgleich zwischen 1222) und im Baltikum (ab 1226).

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Bei diesen Unternehmungen stand burg und den Auftrag zur Instandset- wesen und Kommandierender Ge- im Hintergrund immer als Ziel die zung der Stadtbefestigungen. Noch neral des Ordensheeres in Abwe- Errichtung eines von Fürsten unab- heute erinnert an diese Aufgabe das senheit des Hochmeisters. hängigen Herrschaftsgebietes, eines Hochmeisterwappen am Davidturm. – Der Spitler war Leiter des Spitals- eigenen Ordenslandes. Dies gelang Friedrich II. hatte 1226 dem wesen und Vorstand des Spitals im ab 1230 mit der Gründung des Hochmeisterwappen als Auszeich- Haupthaus. Ordenslandes in Preußen. Da die nung den Reichsadler auf Goldgrund – Der Treßler war Verwalter der zen- Ordensführung ihren Sitz in Palästi- verliehen. Dazu kam das Jerusalem- tralen Ordenskasse. na hatte, wurde die Verwaltung der kreuz mit goldenen Balken die in gol- – Der Trapier war Leiter des Beklei- Besitzungen im Reich einem „Meis- denen Lilien enden, durch den dungswesens und der Ausrüstung. ter in deutschen Landen“ (kurz- Selben als König von Jerusalem, als Die Wahl des Hochmeisters so- genannt „Deutschmeister“) übertra- Dank für die ihm erwiesene Treue wie der Großgebietigen erfolgte aus gen. Später wurden auch Land- des Ordens. Wahrscheinlich erfolgte dem Kreis der Ritterbrüder durch meister für Preußen und Livland be- dies anlässlich der Aussöhnung und das Generalkapitel. Der Orden hatte stellt. Aufhebung des Kirchenbannes sowie verschiedene Klassen von Mitglie- Die kurze große Zeit des Ordens Anerkennung des Kaisers als König dern: Ritterbrüder – Priester – Ande- im Heiligen Land begann 1228 mit von Jerusalem durch den Papst im re Brüder (Sariantbrüder = nicht- der Kreuzfahrt des gebannten Kai- August 1231. ritterliche Kämpfer) – Halbbrüder sers Friedrich II., seit 1225 auch Kö- 1229 wurde vom Seigneur de (Laienbrüder) – Ordensschwestern nig von Jerusalem, dessen wichtigs- Mandelee, Jacques de Armigdala, die sowie Ordenshalbschwestern (in den ter Berater für den Nahen Osten der Burg Montfort (arab. Qal’at Qurein) Spitälern) – und Familiaren. Hochmeister Hermann von Salza 23 km östlich von Naharyya nahe der war. Der Deutsche Orden war bei jetzigen libanesischen Grenze erwor- Der Deutsche Orden im diesem Unternehmen auch der Einzi- ben und zur Ordensresidenz Starken- Niedergang des Königreiches ge der dem Kaiser voll unterstützte berg großzügig ausgebaut. Diese wur- Jerusalem und seine christliche Schutztruppe de das Zentrum des Hauptversor- Der Deutsche Orden erreichte stellte. Der Kaiser erreichte auf dem gungsgebietes für Akkon und der Or- unter seinem Hochmeister Herrmann Verhandlungswege, dass den Chris- den zählte 50 Ortschaften zu seinem von Salza seinen Höhepunkt im Hei- ten die heiligen Stätten in Jerusalem, Herrschaftsgebiet. Als Bindeglied zu ligen Land, da es diesem bis 1237 Westgaliläa mit Nazareth, Bethlehem Akkon lag die Ordensburg Judin. immer gelang den Orden aus den und ein Küstenstreifen nach Jaffa Dafür wurden Ländereien im Liba- Auseinandersetzungen zwischen dem überlassen wurde, unter gleichzeiti- non, die bedrängt durch andere Rit- Kaisertum und dem Papsttum her- gem Abschluss eines 15-jährigen terorden sowie durch Muslime nur auszuhalten und mehrmals den Aus- Waffenstillstandes. Bei seinem fried- aufwendig genutzt werden konnten, gleich zwischen der weltlichen und lichen Einzug in Jerusalem schenkte getauscht oder verkauft. So auch die geistlichen Gewalt zu vermitteln. Kaiser Friedrich II. den Rittern das von Sultan Saladin zerstörte und vom Diese Stellung ging mit seinem Tod ehemalige Deutsche Hospital, von Orden wiedererrichtete Kreuzfahrer- 1239 verloren und seine Nachfolger dem der Deutsche Orden seine Na- burg Thoron (arab. Tibin) im Liba- wurden in die politische Katastrophe men als „Brüder vom Deutschen non, welche nach gütlicher Überein- des Machtzerfalls der mittelalterli- Haus Sankt Mariens in Jerusalem“ kunft 1229 an die Erben des Erbau- chen Ordnung nach dem neuerlichen ableitete. Als der Kaiser nach nur ers abgetreten wurde. Der Name Bann Kaiser Friedrich II. 1239 und kurzem Aufenthalt nach Europa zu- Thoron wurde zwei Jahre später der den Nachfolgekämpfen nach dessen rückkehrte, wurde der Deutsche Or- ersten großen Ordensburg an der Tod hineingezogen und mehrmals zur den mit der Verwaltung des König- Weichsel gegeben, woraus das deut- Parteinahme gezwungen. Dies führte reiches Jerusalem betraut. Er über- sche „Thorn“ und das polnische auf Grund der unterschiedlichen gab ihnen auch die Königsresidenz „Torun“ wurde. Ordensinteressen, im Heiligen Land, „Tankreds Burg“ sowie die Davids- in den Balleien im Reich und Italien Die Ordensorganisation sowie in den Ordensländern im Os- Die Ordensführung bildete der ten, zur Parteienbildung unter den Hochmeister als Regent, die Groß- Ordensbrüdern und zu gegensätzli- gebietige als Ordensregierung und chen Meinungen und Vorstellungen das Generalkapitel als gesetzgeben- gegenüber den Hochmeistern. Die des und überwachendes Gremium. Hochmeister mussten in dieser Zeit – Die Großgebietige führten Ressorts des Umbruches fast ständig in Euro- der Ordensregierung. pa sein, um eine Spaltung des Or- – Der Großkomtur war der Stellver- dens zu verhindern und die notwen- treter des Hochmeisters und digen Kreuzzüge in die Ordensländer Hermann von Salza, des Marschalls und Verant- in Preußen und Livland weiter zu er- der bedeutende wortlicher für Verwaltung, Fi- möglichen. Das Heilige Land wurde vierte Hochmeister nanzen und Versorgung. dadurch zum Nebenkriegsschauplatz leitete den Orden – Der Marschall war Ver- und die Kämpfe zwischen den wel- von 1210 bis1239 antwortlicher für das Militär- fenfreundlichen antistaufischen Temp-

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Die Höhenburg Montfort wurde 1926 Aufgabe von Starkenberg/Montfort vom Metropolitan Museum of Art, New plante man vorausschauend ein Or- York, archäologisch erschlossen. Es ka- denszentrum im eigenen Land und men zahlreiche Waffen und Rüstungen begann den Ausbau der Marienburg. der Deutschordensritter zum Vorschein. Beide Hochmeister starben in Euro- Die Funde sind in Museen in Jerusalem pa. Bei der letzten Hochmeisterwahl und im Metropolitan Museum in New York. Das Gelände ist Freilichtmuseum im Heiligen Land wurde der Land- und die besterhaltenste Kreuzritterburg komtur von Thüringen-Sachsen in Israel. Burchard von Schwanden (1283- 1290) gewählt. Dieser wollte noch einmal der Verteidigung des Heili- gen Landes den Vorrang geben und lern und den staufentreuen Deutsch- nehmen und den Zugang zur Haupt- blieb in Akkon. Doch auch er musste ordensrittern sowie den der päpstli- burg erzwingen. Da ein Entsatz nicht nach drei Jahren nach Europa um chen Politik zuneigende Johannitern zu erwarten und das Umland erobert 1287 bei einem Generalkapitel in mussten vom Großkomtur als Statt- war, entschloss man sich zur Aufgabe Frankfurt am Main Ordensprobleme halter geführt werden. Diese zeitwei- der Festung. Bei den Verhandlungen im Abendland zu lösen. Priorität hat- ligen Selbstvernichtungskämpfe der wurden den Rittern der freie Abzug, te danach die Neuorganisation der Christen und die ausbleibende Un- bei Hinterlassung der Habe und deutschen Balleien und die Rege- terstützung aus dem Abendland, Waffen, gewährt. Von den Moslems lung der Verwaltung der Ordens- nutzten die angrenzenden muslimi- wurde die abgelegene Burg nicht länder im Baltikum. Nach einer Peri- schen Herrscher zur Rückeroberung weiterverwendet und zerstört. Neue ode der Doppelwahlen, der soge- und mit dem Verlust von Jerusalem Ordensresidenz wurde wieder das nannten kaiserlosen Zeit, gab es mit 1244 begann der Niedergang des Deutsche Haus und Hospital in Rudolf von Habsburg wieder einen christlichen Rumpflandes, das sich Akkon. Der Niedergang der christli- König, der dabei war die Einheit des noch immer Königreich Jerusalem chen Herrschaft im Heiligen Land Reiches wieder herzustellen. Der Or- nannte. wurde erkannt und das Archiv sowie den war daher bestrebt, bei diesem Teile des Ordensschatzes wurde in die ehemalige Vertauensstellung Die Ordensresidenz das Ordenshaus nach Venedig ver- wiederzugewinnen und übernahm di- Starkenberg/Montfort legt. plomatische Aufgaben des Reiches Von 1230 bis 1271 war Starken- beim Papst. 1290 bemühte sich berg Sitz des Hochmeisters und der Die Endzeit im Heiligen Land Hochmeister Burchard um Ordens- Ordenszentrale. Die Großburg, eine 1269 war Antiochia in die Hände brüder und Kreuzfahrer für den Höhenburg, war nach dem damaligen von Sultan Baibars gefallen. 1271 Kampf in Palästina zu sammeln. Mit Stand der Befestigungstechnik aus- gingen zeitgleich mit Montfort auch seinen Plänen zur Verteidigung des gebaut und mit Zisternen, Vorrats- Tyrus und die Festungen der Johan- Heiligen Landes stieß er jedoch auf lagern, Werkstätten und Stallungen niter, Markab und Krak des Cheva- wenig Gegenliebe, da der Deutsch- ausgestattet. Diese starke Burg konn- liers in Syrien verloren. Somit wurde meister, die Landmeister und die te sich beim ersten islamischen der ganze Besitz der Orden in Paläs- Mehrheit der Landkomture ihre Or- Großangriff durch Sultan Baibars tina auf die Stadt Akkon und das denshauptaufgabe in ihren Verant- 1266 behaupten, musste jedoch die Umland reduziert. Da nunmehr kein wortungsbereichen sahen und Paläs- Verwüstung der Felder und Dörfer Zugang zu heiligen Stätten mehr tina bereits für eine verlorene Sache des Ordens im Umland hinnehmen. möglich war sahen Europäer auch hielten. So konnte er statt eines Gleichzeitig gingen auch Besitzun- keinen Anlass mehr für eine Kreuz- Kreuzfahrerheeres sich nur mit einer gen in anderen Landesteilen an die fahrt ins Heilige Land, denn der er- kleinen Schar in Italien einschiffen. Angreifer verloren. Dies führte zum strebte Ablass wurde auch bei erfolg- Drei Tage nach seiner Ankunft in totalen Zusammenbruch der Versor- reichen Kreuzzügen gegen die Hei- Akkon dankte er als Hochmeister ab, gung, insbesonders an Lebensmittel den im Baltikum und gegen die Mau- trat aus dem Deutschen Orden aus und die Deutschordensritter waren ren in Spanien erteilt. und in den Johanniterorden ein, wel- 1270 gezwungen von ihren Widersa- Der Deutsche Orden beurteilte cher ihm als Komtur von Buchsee in chern, den Hospitalitern, Land zu die Lage in Palästina realistisch und seine Schweizer Heimat schickte. pachten, um ihr Herbstgetreide aus- nutzte diese Einstellung unter den Der Deutsche Orden wurde bis zum sähen zu können. Bei der Belagerung Hochmeistern Arno von Sagerhausen Fall von Akkon 1291 vom Statthalter von 1266 wurden nichtbehebbare (1256-1273) und Hartmann von geführt, welcher den Rückzug nach Schwachstellen in der Befestigung Heldrungen (1273-1283) für die Si- Europa einleitete. Der Orden erfüllte sichtbar. Als Vorsichtsmaßnahme cherung des Ordenslandes in Preu- bis zum Untergang seine Verteidi- wurde daraufhin das Archiv und der ßen und Livland. gungsverpflichtung beim Nikolaus- Schatz in das Ordenshaus in Akkon Durch Organisation von Kreuz- turm und beim Turm der Deutschen. verlegt. 1271 kam Sultan Baibars zügen aus dem Reich ins Baltikum Die Namen der gefallenen Kämpfer neuerlich mit Belagerungsmaschinen befriedeten sie umstrittene Gebiete blieben unbekannt. Nur wenige und Mineuren und konnte innerhalb und schufen die Voraussetzungen für Ordensangehörige verließen auf ei- von sieben Tagen die Vorburg ein- den späteren Ordensstaat. Nach der nem venezianischen Schiff die gefal-

66 AUFTRAG 255 RITTERORDEN: DER DEUTSCHE ORDEN lene Stadt. Neuer Ordenssitz wurde Die Marienburg an der Nogat war das Deutsche Haus auf der Zollinsel 1309-1457 Residenz des Hochmeisters. in Venedig, wo 1292 der Deutsch- Nach fast völliger Zerstörung 1945 meister Konrad von Feuchtwangen durch den polnischen Staat wieder auf- zum Hochmeister gewählt wurde. gebaut. Die Burg gehört seit 1998 zum 1309 wurde die Ordensresidenz auf UNESCO-Weltkulturerbe. die Marienburg in Preußen und 1466 nach Königsberg verlegt. ten (Pomerellen mit Danzig, Marien- Der Ordensstaat im burg, das Culmer Land und das Das Deutsche Hospital deutschen Osten Ermland) und die Oberhoheit des in Jerusalem Das Zentrum der Aktivitäten des polnischen Königs über das restliche Im Jahre 1096 begann der Erste Ordens verlagerte sich bereits im frü- ostpreußische Ordensland anerken- Kreuzzug zur Befreiung des Heiligen hen 13. Jahrhundert vom Heiligen nen; der Sitz des Hochmeisters wur- Landes von der Herrschaft des Islams. Land ins Baltikum: 1225 bat Herzog de nach Königsberg verlegt. 1525 Am 15. Juli 1099 wurde Jerusalem er- Konrad von Masowien den Deut- wandelte der letzte Hochmeister des obert und das christliche Königreich schen Orden unter seinem Hoch- Ordens, Markgraf Albrecht von Jerusalem gegründet. Für die Betreu- meister Hermann von Salza um Hilfe Brandenburg-Ansbach, das preußi- ung der Kreuzfahrer und der Pilger gegen die heidnischen Pruzzen sche Ordensland in ein erbliches, sä- entstanden Selbsthilfegruppen, Stif- (Preußen) und überließ ihm dafür kularisiertes Herzogtum unter polni- tungen von Hospizen, Spitalsbruder- das Culmer Land (in Preußen). Kai- scher Lehenshoheit um, was von Kai- schaften und Ordensgemeinschaften. ser Friedrich II. ermächtigte den Or- ser, Papst und Deutschmeister je- Das Deutsche Hospital Sankt Mariens den 1226 in der Goldbulle von doch nicht anerkannt wurde. in Jerusalem wurde wahrscheinlich Rimini, das heidnische Gebiet im Im Heiligen Römischen Reich 1118 als „Hospital Sancta Maria Norden zu erobern, die Bewohner zu bestand der Orden weiter bis zu sei- Alemannorum“ gegründet. Der Bedarf bekehren und selbst die Herrschaft ner Auflösung durch Napoleon 1809. an einem nationalen Betreuungs- und in dem eroberten Gebiet auszuüben. In Österreich wurde er 1834 als Informationsstützpunkt war besonders Damit war die Grundlage für den „Hoch- und Deutschmeister” wie- durch die ständig auftretenden Ver- Deutschordensstaat geschaffen. Bis dergegründet und konzentrierte sich ständigungsschwierigkeiten entstan- 1280 hatte der Orden die Pruzzen in erster Linie auf Wohltätigkeits- den, da die deutschen Pilger die fran- besiegt; daneben konnte er sich dank arbeit. 1929 wurden die Hoch- und zösische Landessprache des Königrei- seiner Vereinigung mit dem Schwert- Deutschmeister in einen rein geistli- ches Jerusalem nicht beherrschten brüderorden 1237 in Livland festset- chen Orden umgewandelt, von 1938 und nur die gebildeten Kleriker sich zen, 1308 erwarb er Pomerellen mit bis 1945 war der Orden verboten, in Latein verständigen konnten. Der Danzig, 1346 Estland, 1398 Gotland, und 1945 wurde er in Österreich und Name des Spitalsgründers wird nicht und mit dem Erwerb der Neumark der Bundesrepublik wiederbelebt. genannt. Die Quellen sprechen nur 1402 hatte das Territorium des Or- Der Deutschherrenorden als Laien- von einem „reichen und frommen dens seine größte Ausdehnung er- orden wurde 1960 neu gebildet; sein Deutschen“ der aus eigenen Mitteln reicht. Sitz ist Frankfurt am Main. das Spital gegründet habe. Neben Der Ordensstaat entwickelte sich Erst 1990, 800 Jahre nach seiner dem Spital erbaute der Stifter ein Ora- zu einer bedeutenden Wirtschafts- Gründung, kehrte der Deutsche Or- torium zu Ehren der Jungfrau Maria macht im Ostseeraum, und seine den wieder zu seinen Wurzeln in das mit einer Marienkirche. Aus den Be- wichtigsten Städte (u.a. Danzig, Heilige Land zurück. Brüder der Pro- treuern dieses Hospizes entwickelte Thorn, Königsberg) gehörten der vinz Deutschland errichteten in sich eine Bruderschaft, die haupt- Hanse an. Als die Christianisierung Akkon einen kleinen Stützpunkt und sächlich aus Deutschen bestand. des Baltikums abgeschlossen und die beteiligten sich in Bethlehem an der Papst Coelestin II. unterstellte im Jah- Missionsaufgabe des Deutschen Or- Errichtung eines Pilgerhauses, mit re 1143 das Deutsche Hospital in Je- dens erfüllt war, geriet der Orden zu- dem Ziel eines Neubeginnes in der rusalem dem Johanniterorden. In der nehmend in Gegensatz zu Polen, das alten Aufgabe, der Pilgerbetreuung. Kirche des „Haus der Alemannen“ in Personalunion mit Litauen, wo der Bei einer Sondierungsgrabung wird am 26. September 1176 die wäh- Deutsche Orden nie hatte Fuß fassen für Neubauten stieß man im Sommer rend ihrer Pilgerfahrt in Jerusalem können, verbunden war. 1410 unter- 1999 unter zwei Meter Schutt auf das verstorbene Gräfin Sophie von Hol- lag das Ordensheer bei Tannenberg Deutsche Viertel von Akkon und land begraben. Das Schicksal des einem polnisch-litauischen Heer, fand an der ehemaligen Ostmauer Hospitals ist nach dem Fall Jerusa- und der Orden musste im 1. Thorner das Nikolaitor und das Deutsche lems und dem Abzug der Lateiner un- Frieden von 1411 einige Gebiets- Haus mit dem Ordensspital. Das bekannt. Bei der Rückkehr der Chris- verluste hinnehmen. Nach einer lang- Grabungsgelände liegt außerhalb der ten nach Jerusalem schenkte Kaiser wierigen Auseinandersetzung mit osmanischen Mauer der Altstadt. Friedrich Il. im April 1229 das Haus den preußischen Ständen, die von Derzeit werden die Grabungsergeb- des ehemaligen Deutschen Hospitals Polen unterstützt wurden, musste der nisse von der Universität Haifa, unter dem Deutschen Orden. Dieser erneu- Orden im 2. Thorner Frieden von Mitarbeit des Deutschen Ordens do- erte und erweiterte das alte Spital und 1466 weitere Gebiete an Polen abtre- kumentiert und ausgewertet. errichtete sein namensgebendes Mut-

AUFTRAG 255 67 BLICK IN DIE GESCHICHTE terhaus in Jerusalem. Die Ordens- legt. In der Nähe der Klagemauer ent- Bauten, Niels v. Holst. Geb. zentrale wurde dadurch nicht verlegt deckte man die Ruine des Deutschen Mann-Verlag, Berlin. und blieb weiterhin in Akkon bzw. in Spitals. Für die Erhaltung konnte die Geschichte der Kreuzzüge, Steven Montfort/Starkenberg. Das Deutsche israelische Denkmalpflege Mittel Runciman, Verlag Beck, Mün- Haus mit Hospital und Marienkirche deutscher Privatpersonen in An- chen. blieb jedoch nur 15 Jahre im Besitz spruch nehmen. Der Bezirk ist heute Die Hochmeister des Deutschen Or- des Deutschen Ordens und wurde bei Archäologische Zone“ und als Frei- dens 1190-1994. Dr. Udo der Wiedereroberung von Jerusalem lichtmuseum für Touristen zugäng- Arnold, Elwert-Verlag Marburg. am 11. Juli 1244 durch die Muslime lich. Rüstungen und Kriegsgerät im Mit- zerstört. Alle lateinischen Christen, so telalter, L. u. F. Funcken Mosaik auch die im Spital und die Ordensan- Quellen: Verlag, München. gehörigen, wurden ermordet. Nach dem „Sechstagekrieg“ von Jerusalem oder Akkon – Über den Bildnachweis: 1967 wurden in der bis dahin Anfang des Deutschen Ordens, jordanischen Altstadt von Jerusalem, Gerhard Müller, (2. Auflage), Hompage der Deutschen Brüder- im ehemaligen „Jüdischen Viertel“, Eigenverlag des Deutschen Or- provinz des Deutschen Ordens verwahrloste Häuser abgebrochen dens. >www.deutscher-orden.de/fs.htm“<; und dabei Reste alter Bauten freige- Der Deutsche Ritterorden und seine Wappen S. 56 PS ❏

Vor 800 Jahren – Vierter Kreuzzug: Kreuzfahrer erobern Konstantinopel

VON KNA-REDAKTEUR CHRISTOPH ARENS istorische Ereignisse haben manchmal ein langes zwischen Venedig und Byzanz/Konstantinopel waren ge- Haltbarkeitsdatum: Wenn die katholische und die spannt. Venedig hatte über lange Zeit exklusive Handels- Horthodoxe Kirche sich auch heute noch mit einem privilegien in der Stadt genossen, wurde jedoch immer gewissen Misstrauen begegnen, liegt eine Ursache dafür weiter zurückgestuft. 1182 kam es sogar zu antiwestlichen genau 800 Jahre zurück. Am 17. Juli 1203 eroberte ein la- Massakern in der Stadt. teinisches Kreuzfahrerheer das Zentrum der orthodoxen Ein Machtkampf lieferte den Venezianern jetzt den Christenheit, Konstantinopel. Wenige Monate später, im Vorwand, die Stadt anzugreifen: Ziel des Dogen wurde es, April 1204, fielen die Kreuzfahrer erneut plündernd und Kaiser Alexios III. zu stürzen, weil er seinen Bruder Isaak mordend in die Stadt ein und errichteten für kurze Zeit ein II. eingekerkert und dessen Sohn Alexios Angelos vertrie- lateinisches Kaiserreich. Doch die Perspektive einer ben hatte. Der junge Alexios Angelos versprach nämlich, wenn auch mit Gewalt – wieder vereinigten Christenheit das Byzantinische Reich unter die Herrschaft Roms zu zerstob: Der Vierte Kreuzzug vertiefte die Spaltung und stellen, Venedig seine Handelsprivilegien zurückzugeben schwächte das Byzantinische Reich so sehr, dass es bis und den Kreuzfahrern bei der Eroberung Jerusalems zu 1453 schrittweise ohne großen Widerstand den Türken in helfen, falls er den Thron zurückgewinnen könne. Unter die Hände fiel. dem Banner des heiligen Markus erstürmten die Kreuz- Im August 1198 hatte Papst Innozenz III. zum Vierten fahrer am 17. Juli 1203 die Stadt. Die Eroberer akzeptier- Kreuzzug aufgerufen. Ziel des Unternehmens war, über ten, dass Isaak II. zum Kaiser gekrönt und sein Sohn zum Ägypten Jerusalem zu erobern, was im Dritten Kreuzzug Mitregenten gekürt wurde. Venedig erhielt seine alten unter Richard Löwenherz misslungen war. Die aufstre- Privilegien zurück. bende Republik Venedig hatte zugesagt, ein Heer von Doch das harsche Vorgehen der Eroberer und die 30.000 Kreuzfahrern über das Mittelmeer zu transportie- lateinerfreundliche Politik der Regenten führten zu einer ren. Doch als nur 10.000 den Seeweg wählen und eine neuen Revolte. Im Januar 1204 wurde Alexios Angelos er- entsprechend geringere Summe zahlen wollten, weigerte mordet und Isaak ins Gefängnis geworfen. Die Kreuzfahrer, sich die Stadt, das Heer überzusetzen. die mittlerweile außerhalb der Mauern der Stadt lebten, be- Die Kreuzfahrer saßen fest. Doch Enrico Donaldo, der schlossen eine neue Eroberung Konstantinopels und die 96-jährige blinde Doge von Venedig, witterte die Chance Einsetzung eines lateinischen Kaisers – ein Ziel, mit dem seines Lebens: Als Gegenleistung für die Vernichtung der sich letztlich auch der Papst arrangierte. Am 9. April 1204 abtrünnigen Städte Zara (heute Zadar) und Dalmatia an begann der zweite Kampf um Konstantinopel. Die einstmals der jugoslawischen Seite der Adria erklärte er sich bereit, reichste Stadt der Christenheit wurde völlig ausgeplündert das Heer zu transportieren und die Schulden zu erlassen. und die Bevölkerung massakriert. Das Gros der geraubten Der Vierte Kreuzzug entwickelte sich zu einem Wirt- Kleinodien und Habseligkeiten nahm den Weg nach Vene- schaftskrieg im Interesse Venedigs. dig, ein Teil kam auch nach Deutschland. Nachdem das christliche Zara im November gefallen Mit der Eroberung Konstantinopels endete der Vierte war, strafte der Papst das gesamte Heer mit einem Bann. Kreuzzug. Die Kreuzfahrer dachten nicht mehr an Jerusa- Doch die Führung über das Unternehmen war ihm längst lem und trugen davon, was sie erbeutet hatten. Das in entglitten. Statt nach Ägypten überzusetzen, bewegte sich Konstantinopel eingerichtete Lateinische Kaisertum hielt das Heer nun auf Konstantinopel zu. Die Beziehungen nur bis 1261. ❏

68 AUFTRAG 255 RITTERORDEN: DER ERSTERDEUTSCHE WELTKRIEG ORDEN

VOR 90 JAHREN: schwierige Situation gekommen: Die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts stärker als jede einzelne Macht in Europa, aber unfähig, die Bündnisse Eine kurze Geschichte des Ersten Weltkriegs der anderen zu verhindern. So war Deutschland an das ohnehin zerfal- ECKHARD STUFF lende Habsburgerreich gekettet, al- lein in der Mitte Europas. Der Krieg ein Zweifel, Michael Howard ten die Russen niemals hinnehmen konnte nur ein Zweifrontenkrieg wer- versteht sich meisterlich auf können. Die Österreicher wussten den, und den vermochte Deutschland Kdie Kunst, sich auf das We- das, weshalb sie sich, ehe sie das Ul- auf lange Sicht nicht zu gewinnen. sentliche zu beschränken. Er bringt timatum stellten, aus Berlin die deut- Und da man gegen ein Bündnis den Ersten Weltkrieg, die sche Unterstützung im Kriegsfall zu- kämpfen musste, mindestens beste- Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, sichern ließen (was unter der Be- hend aus Frankreich und Russland, auf rund 170 Textseiten. Dazu kom- zeichnung „Blankoscheck“ bekannt würde er lange dauern. Nur ein kur- men einige Bilder und Karten. Wer werden sollte). Wie der deutschen zer Krieg war gewinnbar. Damit aber dieses Buch gelesen hat, hat sein Regierung klar war, ging sie mit die- bestimmten die Militärs die Politik, Wissen aufgefrischt und Neues dazu sem Scheck zumindest das Risiko ei- und auch das wurde verhängnisvoll. gelernt. Und das Buch liest sich nes europäischen Krieges ein, doch Ihr Plan sah die Verletzung der schnell und gut. Hier ist ein Meister in Berlin betrachtete man diesen belgischen Neutralität vor, um gegen in seiner Spätform am Werk: Michael mittlerweile als unvermeidlich.“ Frankreich einen schnellen Sieg zu Howard, Jahrgang 1922, lehrte Ge- Ein diplomatisch versierterer erringen. Das wiederum brachte Eng- schichte am Londoner Kings College, Kanzler als Bethmann-Hollweg hätte land in den Krieg ... Der weitere Ver- in Oxford und an der Yale University. jetzt geholfen, und ein halbwegs poli- lauf ist bekannt. Howards Darstellung entwickelt tisch befähigter Kaiser auch. Aber Michael Howard zeigt beste- sich entlang der These von Clause- beides hatte das deutsche Reich chend klar sowohl die Entwicklung witz, nach der sich Krieg aus drei Be- nicht. Deswegen war es ja in diese zum Ersten Weltkrieg wie dessen standteilen zusammensetzt: Regie- rungspolitik, Aktionen des Militärs und Leidenschaften der Völker. Je- STICHWORT: Erster Weltkrieg, den dieser Aspekte berücksichtigt Howard, um verständlich zu machen, militärischer Konflikt von 1914 bis 1918, der sich aufgrund einer Mischung aus gegenseitigen Bündnisverpflich- wie es zum Krieg kam und weshalb er tungen, übersteigertem Nationalismus, machtpolitischen und strategischen Erwägungen, wirtschaftlicher Rivalität den bekannten Verlauf genommen und militärischem Wettrüsten der fünf europäischen Großmächte (Großbritannien, Frankreich, Deutsches Reich, hat. Österreich-Ungarn und Russland) von einer ursprünglich lokal begrenzten Konfrontation zwischen dem Vielvölker- Vor 90 Jahren, am 28. Juni 1914, staat Österreich-Ungarn und dem Königreich Serbien zunächst zu einem europäisch und schließlich zu einem glo- wurde in Sarajewo, der Hauptstadt bal geführten Krieg mit 32 beteiligten Nationen ausweitete. Bosnien-Herzegowinas, der habsbur- Der 1. Weltkrieg stellt in vielerlei Hinsicht einen historischen Einschnitt von epochaler Bedeutung dar: Das gische Thronerbe Franz-Ferdinand bis dahin unvorstellbare Ausmaß an Zerstörung und Leid durch moderne Waffentechniken (massiertes Artillerie- von einem siebzehnjährigen Terroris- feuer, Einsatz von Panzern, Giftgasangriffe, Maschinengewehre, Aufklärungs- und Kampfflugzeuge, neue Metho- ten erschossen. Der Täter war von den strategischer Kriegsführung, die erstmals auch die Zivilbevölkerung zu unmittelbaren Kriegsopfern werden der von Serbien unterstützten Ge- ließ (Aushungerung durch Blockade der Lebensmittel- und Rohstoffzufuhr, uneingeschränkter U-Boot-Krieg), so- heimorganisation „Schwarze Hand“ wie eine ganz auf militärische Ziele und Erfordernisse ausgerichtete Umstrukturierung von Staat, Wirtschaft und ausgebildet und bewaffnet worden. Gesellschaft in den meisten der Krieg führenden Länder machten den 1. Weltkrieg zum ersten totalen Krieg in der Nur eine weitere Balkan-Krise oder Geschichte der Menschheit, den der Diplomat und Politikwissenschaftler George Frost Kennan als „die große ein Krieg? Dazu Michael Howard: Urkatastrophe unseres Jahrhunderts” bezeichnet hat. „Die Krise, die durch die Ermordung Die Beteiligung außereuropäischer Mächte, insbesondere das Eingreifen der USA in den Krieg, bedeutete des Erzherzogs in Gang gesetzt wur- die endgültige Verdrängung des europazentrischen Staatensystems durch ein Weltstaatensystem. Das territoriale de, schien anfangs nicht schlimmer Gesicht Europas veränderte sich grundlegend, alte Reiche brachen auseinander, zahlreiche neue Staaten zu sein als die anderen etwa sechs entstanden. Krisen, die ihr seit 1908 auf dem Die politischen und sozialen Ordnungen der Kaiserreiche Russland und Deutschland sowie der k. u. k.- Balkan vorausgegangen und durch Monarchie lösten sich auf und wurden durch Revolutionen in neue Staatsformen umgewandelt: das Zarenreich in das Eingreifen der Großmächte fried- eine sozialistische Räterepublik, das deutschsprachige Rest-Österreich und das Deutsche Reich in parlamentarische lich gelöst worden waren. Jetzt waren Demokratien. die Österreicher jedoch entschlos- Etwa zehn Millionen Kriegstote, mehr als 20 Millionen Verwundete und ungefähr acht Millionen Kriegs- sen, ihren serbischen Feind für gefangene und Vermisste, ein von hoher Staatsverschuldung und kriegsbedingter Inflation zerrüttetes europäisches immer zu vernichten. Sie stellten ein Finanzsystem, die harten Friedensbedingungen für die Mittelmächte im Versailler Vertrag und den Pariser Vorort- Ultimatum, das, wenn es akzeptiert verträgen führten über Jahre hinweg zu teilweise bürgerkriegsartigen Richtungskämpfen um die künftige innen- worden wäre, Serbien praktisch in ei- politische Ordnung zwischen demokratischen, kommunistischen und extrem konservativen Kräften. Diese wirt- nen Satellitenstaat der Doppel- schaftliche Instabilität und politische Radikalisierung belastete auch die Weimarer Republik von Anfang an stark. monarchie verwandelt hätte. Das hät-

AUFTRAG 255 69 ERSTERBLICK IN WELTKRIEG DIE GESCHICHTE

Verlauf auf. Die Auseinandersetzung und politisches Geschick sind in der Versuche der Frontsoldaten, von ih- mit diesem Abschnitt der Geschichte Mitte Europas dringend geboten. rer Religion Antworten auf das Ster- ist jetzt, nach dem Ende der Teilung ben ringsum zu finden. Europas, so wichtig, weil Deutsch- Das politische Buch: Die Ausstellung ermöglicht vor land wieder in der Mitte unseres Michael Howard, „Kurze Geschichte allem aber einen erstaunlichen Ein- Kontinents liegt. Die politische des Ersten Weltkriegs“. Piper Verlag blick, wie sehr und wie schnell das Randlage ist beendet, Diplomatie München 2004, 203 S. bürgerlich-fortschrittsgläubige Euro- pa in hasserfüllte Feindstaaten zer- fiel. So ist ein Schweinskopf mit deutscher Pickelhaube zu sehen be- DHM zeigt Ausstellung über Ersten Weltkrieg und die Folgen liebtes Motiv der französischen Pro- KNA-REDAKTEUR GREGOR KRUMPHOLZ paganda. Die deutsche Schultüte mit vaterländischen Aufschriften be- bwohl die „Urkatastrophe“ nicht nur der 90. Jahrestag des weist, dass die Mobilisierungsversu- des 20. Jahrhunderts ist der Kriegsbeginns im August, wie che auch vor Kindern nicht Halt OErste Weltkrieg hier zu Lande Ottomeyer betont, sondern auch die machten. Ausgeklügelte Prothesen doch kaum mehr im öffentlichen Be- jüngste Osterweiterung der Europäi- dokumentieren zudem die äußerlich wusstsein. Mit einer großen Ausstel- schen Union. sichtbaren Langzeitfolgen auch nach lung will das Deutsche Historische So wird auf den 1.500 Quadrat- Friedensschluss. Museum (DHM) in Berlin deshalb metern in der neuen DHM Aus- Ausführlich widmet sich die den ersten globalen Konflikt der Mo- stellungshalle auch der „vergessene Ausstellung dem Nachhall des derne in Erinnerung rufen. Krieg“ (Churchill) an der Ostfront Kriegs in bildender Kunst, Literatur Das Verblassen des Ersten Welt- durch viele der über 650 Exponate und Gedenkkultur. Angesichts der kriegs im Schatten des Zweiten veranschaulicht. Mit dessen Ende eindringlichen Zeichnungen eines machte DHM Generaldirektor Hans verbinden die acht neuen Mitglied- Otto Dix (s. Abb. u.) drängt sich die Ottomeyer auch bei der zweieinhalb- staaten im Osten der EU bis heute Frage auf, wie es zu einer noch jährigen Vorbereitung zu schaffen: ihre staatliche Unabhängigkeit, be- schrecklicheren Wiederauflage 20 Für die museale Darstellung des gründet Kurator Rainer Rother die- Jahre später kommen konnte. Indi- „unbekannten Kriegs“ fanden sich sen Schwerpunkt des Projekts. Auch rekt gibt die Ausstellung eine Ant- kaum Sponsoren, berichtet Ottomey- sonst gerät es zu weit mehr als einer wort: Den manchmal kitschigen Sou- er. Mit dem Etat von rund 1,7 Millio- bloßen Waffenschau, so wichtig Ma- venirs aus Verdun und anderen, bis nen Euro gelang seinem Haus den- schinengewehr und anderes moder- heute stark besuchten Gedenkstätten noch der Einblick in eine Epoche, nes Kriegsgerät für das erste indus- Frankreichs und Belgiens stellt die die sich nach Meinung des General- trielle Massenschlachten auch war. Schau von falschem Heroismus be- direktors erst jetzt ihrem Ende zu- Ein österreichischer Feldaltar und stimmte Frontkämpfer Gemälde aus neigt. Anlass der Ausstellung war allerlei Medaillons stehen für die dem Deutschland der Zwischen- kriegszeit gegenüber. So en- det die Präsentation denn auch folgerichtig in einem tunnelartigen Raum mit Ton und Bilddokumenten aus na- tionalsozialistischer Zeit. Sie illustrieren, wie ein verloge- ner Umgang mit dem Ersten Weltkrieg die Deutschen er- neut in den Abgrund führte.

Hinweis: Die Ausstellung im DHM ist bis 15. August täg- lich von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet. Ein umfassendes Begleitprogramm mit Sym- posien, Filmen und „Langen Nächten mit Texten und Klängen“ ist aufgeführt unter www.dhm.de ❏

Sturmtrupp, unter Gas vorgehend, Radierung aus dem Zyklus „Der Krieg“ von Otto Dix, 1924.

70 AUFTRAG 255 KIRCHE UNTER SOLDATEN „Fern-Beziehungen“ Kooperation der katholischen Militärseelsorge mit dem Zentralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) zur seelsorgerlichen Begleitung von Soldaten und deren Partnern

GEORG KESTEL Bei der Kooperation der katholischen Militärseelsorge mit dem Zen- tralinstitut für Ehe und Familie in der Gesellschaft (ZFG) an der Ka- tholischen Universität Eichstätt/Ingolstadt steht die Problematik der Fern- Der Praxisleitfaden, der 36 Beziehungen von Soldaten und ihren Partnern und ihre Auswirkungen Seiten umfasst, baut inhaltlich un- auf die praktische Seelsorge im Vordergrund. Folgende beiden als Teil- mittelbar auf der Problemstudie auf projekte der Kooperation mit dem ZFG geplanten theoretischen und schlägt in komprimierter Form Grundlagenpapiere liegen inzwischen in der Endfassung vor: eine praxisorientierte Anwendung ih- • Peter Wendl, Fern-Beziehungen – Krise und gelingende Partner- rer Inhalte in der konkreten Arbeit schaft? Eine Problemstudie. Orientierungen für die seelsorgerliche mit betroffenen Familienangehörigen Begleitung von Soldaten und deren Partnern bei Fern-Beziehungen oder Paaren bei Intensivveranstal- (Auslandseinsatz und Wochenendbeziehung) sowie tungen (z.B. Familienwochenenden) • Peter Wendl, Fern-Beziehungen – ein Praxisleitfaden. Orientierun- vor. gen für die Militärseelsorge. Seelsorgerliche Begleitung von Soldaten und deren Partnern bei Fern-Beziehungen (Auslandseinsatz und Der erste Teil „Theoretische Wochenendbeziehung). Grundlagen: Entwicklungen in Hierzu ein paar erläuternde Anmerkungen aus Sicht des KMBA: der Partnerschaft“ fasst kompakt die entscheidenden Faktoren einer Beziehung im allgemeinen zusam- Die Problemstudie, die 130 (1) Die „Verortung“ untersucht das men und konfrontiert sie mit den spe- Seiten umfasst, liefert auf wissen- Phänomen der Lebenskrise ins- zifischen Merkmalen der Fern-Bezie- schaftlichem Hintergrund die theore- gesamt in ihrer Ambivalenz zwi- hung, woraus sich ganz bestimmte tischen Basisinformationen für die schen „Gefährdung und Chance“ Erfordernisse und Problemstellun- Seelsorger, die sich im Alltag mit und fragt dabei hauptsächlich gen, aber auch gewisse Entlastungs- dem Problembereich der Fern-Bezie- nach den anthropologischen, den strategien ableiten lassen. hungen konfrontiert sehen und im biblisch-theologischen sowie auch Der zweite Teil „Intensivver- Geflecht der verschiedenen Hilfsan- den pastoral-theologischen Posi- anstaltungen: Ziele und Inhalte“ gebote und -ansätze zwischen Für- tionen und Wertungen. benennt unterschiedliche Ausgangs- sorge, Betreuung, Beratung und Seel- (2) Die „Beschreibung“ geht in situationen und Erwartungen der sorge nach dem Spezifikum ihres begrifflicher Anlehnung an die in Teilnehmer, einige Grundsätze für pastoralen Ansatzes suchen. der Forschung gängige Praxis auf Planung und Durchführung einer Es geht hierbei nicht um ein um- die unterschiedlichen Theorien Maßnahme, die wichtigsten ihrer fassendes Gesamtkonzept für die be- und Modelle ein, die eine Fern- konkreten Inhalte sowie erreichbare troffenen Paare, sondern um Grund- Beziehung in entscheidenden Ziele. informationen über die potentiellen Faktoren zu erfassen und nach Der Abschnitt „Umsetzungs- Belastungen einer Soldatenfamilie wichtigen Kriterien zu differen- beispiel: Familienwochenende“ durch die Fern-Beziehungen. Die zieren versuchen (Beziehungs- schließlich enthält einen praktischen Militärseelsorger sollen durch die formen, Mobilität, Erfüllungs- Vorschlag zur Durchführung eines Studie dafür sensibilisiert werden, im und Belastungsmomente, Ent- Religiösen Familienwochenendes Umgang mit der Zielgruppe entspre- wicklungsphasen u.a.). zum Kernthema, sowohl was den chende Zusammenhänge zielgerich- (3) Die „Umsetzung“ schließlich zeitlichen Ablauf betrifft als auch die teter erkennen und auf diesem Hin- nimmt besonders die Zielgruppe inhaltlichen Schritte der Arbeit. tergrund die entsprechenden Einzel- der Soldatenpaare im Kontext fälle besser einschätzen zu können. von Auslandseinsätzen in den Verteilung und Rezeption von So könnte die Studie insgesamt eine Blick, um für diese Situation die Problemstudie und Praxisleitfaden Hilfestellung sein sowohl bei der zu erwartenden Problemstellun- innerhalb der Katholischen Militär- Analyse der Situation als auch bei gen, Krisenfaktoren und deren seelsorge: der Konzeption der seelsorgerlichen Phasenverläufe, aber auch Lö- • Versand der Dokumente Anfang Schwerpunkte und Aktivitäten im sungsansätze etwa in Form von Mai 2004 an die Standortpfarrer (je Seelsorgebezirk. bewährten Kommunikations- 1 Expl.) Die Studie ist in drei Teile ge- Theorien und Konfliktbewälti- • Versand an Sonderverteiler und gliedert: gungs-Strategien aufzuzeigen. weitere Interessierte

AUFTRAG 255 71 „KIRCHE UNTER SOLDATEN“

• Vorstellung der Dokumente beim welche werden von zentralen oder Werksvertrag im Rahmen der Koo- Priesterrat Anfang Juni dezentralen Stellen aus weiterhin peration / Referententätigkeit und • Erörterung der Fern-Beziehungs- erwartet (durch KLMD, KMBA, mögliche Fortschreibung der Pro- Thematik anhand der beiden Do- Laiengremien, ZFG u.a.)? blemstudie) kumente bei den Dienstbespre- * Bericht aus den Dienstaufsichts- • Erweiterung und Ausdifferenzie- chungen der KLMD im Zeitraum bezirken der KLMD und den rung der Thematik der Fern-Bezie- von Mai bis Juli 2004 Gremien des organisierten Laien- hungen um den Inhaltsaspekt • Erörterung der Fern-Beziehungs- apostolats mit Reflexion der bis- „Belastungen aus der Sicht der Thematik anhand der beiden Do- herigen Erfahrungen bei den ent- (Ehe-)Frau“ – (Sensibilisierung kumente in den Gremien des orga- sprechenden Zusammenkünften für die Problematik und Aufzeigen nisierten Laienapostolats im Spätherbst von Lösungsmöglichkeiten – ZFG: * Einfließen der Rückmeldungen C. Ballestrem / Mögliche Fort- Bei der näheren Beschäftigung und Anregungen in die zukünfti- schreibung der Problemstudie. mit den Dokumenten könnten folgen- ge weitere detaillierte Ausgestal- Entwurf dazu ist seit September de Leitfragen hilfreich sein: tung der Kooperation mit dem 2003 in Arbeit) – wie weit ist die Problematik der ZFG Fern-Beziehungen derzeit im je- Zu überlegen sind weiterhin: weiligen Seelsorgebezirk aktuell? Demnächst anstehende weitere • Eigene Qualifizierung von Mili- – welche konkreten Ausprägungen Teilprojekte innerhalb der Koopera- tärseelsorgern als Referenten zur der Fern-Beziehungen liegen vor tion mit ZFG (gemäß Kooperations- Problematik der Fern-Beziehungen (Einsätze, Pendler u.a.) und was vertrag § 3 [Gemeinsame Projekte] – (im Rahmen des Referentenpools) sind die hauptsächlichen Beobach- Nr. 1.,5.,8.) über „Ausbildungsschritte“ (evtl. tungen und Probleme dabei? • Aufbau eines „Referentenpools“ mit „Zertifikat“) in Zusammenar- – wo liegen standortübergreifende – Erstes Informations- und Koordi- beit mit ZFG/Kath. Universität Gemeinsamkeiten, wo finden sich nationsgespräch mit potentiellen Eichstätt-Ingolstadt? lokale Besonderheiten in der Situa- Referenten zur Thematik der Fern- – Kommen hier (besonders/aus- tion der Fern-Beziehungen? Beziehungen aus dem Bereich schließlich) Pastoralreferenten in – welche pastoralen Aktivitäten in Familienbildung der Diözesen bzw. Frage? dieser Richtung gibt es bereits, der Fachverbände (Berlin – 07./08. – Sollen erste konkrete Schritte in welche sollten verstärkt, welche Juli 2004 – ZFG: P. Wendl) diese Richtung unternommen neu bedacht werden? • Erweiterung und Ausdifferenzierung werden? – wie lassen sich Maßnahmen sinn- der Thematik der Fern-Beziehungen • Aufmerksamkeit für bestimmte voll auf lokaler, regionaler und um den Inhaltsaspekt „Erziehungs- Teilaspekte der Fern-Beziehun- überregionaler Ebene und zwischen kompetenz gegenüber Kindern“ gen ... den verschiedenen Ebenen koordi- – (Sensibilisierung für die Problema- – z.B. die zunehmend zahlreiche- nieren? tik und Aufzeigen von Lösungs- ren Soldaten als Wochen- – wie lassen sich die Gremien des or- möglichkeiten – ZFG: J. Mödl / Pendler in der Kaserne. Wel- ganisierten Laienapostolats einbin- Referententätigkeit und mögliche che Möglichkeiten und Chancen den? Fortschreibung der Problemstudie) der seelsorgerlichen Begleitung – wieweit ist das Problem der Fern- • Erweiterung und Ausdifferenzie- gibt es? Beziehungen mit Kommandeuren, rung der Thematik der Fern-Bezie- – Welche Formen der Ansprech- Dienststellenleitern u.a. im Rah- hungen um den Inhaltsaspekt barkeit und Verfügbarkeit bieten men der Zuordnungen zu erörtern? „Problematik des daheim ge- sich (z.B. Teilnahme an Uffz-/ – wieweit sind entsprechende eigene bliebenen Partners“ – (Sensibili- Offz-Akademien)? Kontakte zu den Zivilgemeinden sierung für die Problematik und – Welche Auswirkungen hat dies ratsam und erforderlich? Aufzeigen von Lösungsmöglich- auf das Engagement der Ehren- – wo ist im Blick auf das Thema die keiten – ZFG: N.N., evtl. auf Basis amtlichen im Laienapostolat? ❏ Kooperation mit weiteren Partnern, Institutionen u.a. innerhalb und außerhalb der Streitkräfte notwen- PERSONALIA: tritt der Mediziner im Juni in den Ru- dig und sinnvoll (Betreuungsein- OBERSTARZT KLAUS PETER hestand. Hofmann habe in vorbildli- richtungen der Truppe bzw. der KAS/EAS, FBZ, zivile Beratungs- HOFMANN (64), Leitender Arzt der cher Weise für das körperliche und stellen etc.)? Abteilung Innere Medizin im Bundes- geistige Wohl der Pilger gesorgt, un- – welche positiven Erfahrungen mit wehrkrankenhaus Koblenz, erhielt terstrich Militärbischof Walter Mixa. dem Problem im Sinne einer erfolg- bei der Lourdes-Wallfahrt die Ehren- Neben medizinischer Fachkenntnis reichen Hilfestellung gibt es, wie medaille des deutschen katholischen überzeuge sein persönliches Engage- werden sie anderen mitgeteilt und Militärbischofs. Hofmann wurde als ment, das weit über den dienstlichen nach Möglichkeit allgemein Leiter der deutschen Krankengruppe Auftrag hinausgehe. Zudem habe fruchtbar gemacht? der Internationalen Soldatenwallfahrt Hofmann sich in verschiedenen Gre- – welche Angebote und Hilfe- ausgezeichnet. Nach 23-jähriger, un- mien für die Seelsorge am Standort stellungen haben sich bewährt und unterbrochener Krankenbetreuung Koblenz engagiert. (KNA)

72 AUFTRAG 255 durch die Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung

THESEN ZUM LAIENAPOSTOLAT Thesen zum Laienapostolat und Ehrenamt in der (Militär-)Seelsorge

enige Tage nach der Veröffentlichung der Instuktion „REDEMTI- funktioniert am besten bei einer ONIS SACRAMENTUM – über einige Dinge bezüglich der heiligsten gesunden Mischung von Nähe und WEucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind“ war dieses Distanz. Allen alles zu sein ist eine Schreiben aus Rom auch Thema bei der Sitzung des Bundesvorstands der Utopie. Gemeinsam aber gelingt GKS vom 30. April bis 2. Mai in Berlin. Der Geistlichen Beirat der GKS, es, möglichst vielen einigermaßen Msgr. Georg Kestel, informierte über die wichtigsten Aussagen der In- gerecht zu werden. struktion. In der Diskussion wurde deutlich, dass die Adressaten der Wei- • Je mehr ein Seelsorger seine per- sung weltweit die für die Ortskirchen verantwortlichen Bischöfe sind. Be- sönlichen Charismen ausprägt und dauert wurde die negativ verkürzte Darstellung in den Medien, welche Schwerpunkte in seiner Arbeit aus 186 Punkten vor allem die Ziffer 184 mit der der „Beschwerde bei setzt, desto stärker ist er auf die Missbräuchen“ als Denunziationsaufforderung hervorgehoben hatten. Beratung aktiver Laien angewie- Kritisiert wurde die stark zentralistische Form und eine als Bevormundung sen. empfundene Sprache; auch dass grundsätzliche Aussagen ungewichtet • Gerade die Einrichtung von Seel- neben Detailregelungen zu finden sind. sorgeregionen und Pastoralteams In der Predigt bei der Hl. Messe zu Beginn der Vorstandssitzung be- erfordert eine neue und intensivere tonte Militärgeneralvikar Prälat Walter Wakenhut, dass die katholische Aufgabenbestimmung und Abspra- Militärseelsorge auf das persönliche und organisierte Laienapostolat an- che in der Zusammenarbeit von gewiesen sei. Die Mitarbeit engagierter Laien in den Räten und der GKS Seelsorgern und Gläubigen, von sei unverzichtbar und würde durch das Amt ohne Abstriche gefördert. – Haupt- und Ehrenamtlichen. Militärdekan Georg Kestel machte die Position der Militärseelsorge dazu • Der Seelsorgebezirksrat ist ein offi- anhand von 13 Thesen deutlich, die – das muss hier wohl nicht extra be- zielles Beratungsgremium, nicht tont werden – keine Reaktion auf die o.g. Instruktion darstellt: (PS) der private Freundeskreis des Militärseelsorgers. Dies wird in • Die Laienmitverantwortung in den • Die Laienmitverantwortung findet den zivil-diözesanen Pfarrgemein- dafür vorgesehenen Gremien hat hauptsächlich in der Form des eh- deräten durch das Element der kirchlich einen objektiven Status renamtlichen Engagements statt. Wahl noch einmal besonders deut- und steht weder für den Kleriker Seine Förderung durch die Haupt- lich. Das ganze Spektrum der noch für den Laien zur subjektiven amtlichen und Amtsträger ist Maß- Gläubigen soll darin vertreten sein. Disposition. Sie ist stab für die Ernsthaftigkeit und • Die seelsorgerliche Begleitung der – biblisch fundiert, Reife des gesamten pastoralen Soldaten im Auslandseinsatz erfor- – theologisch entfaltet, Tuns. dert eine neue Verlebendigung der – vom Konzil gewollt und • Die Dienststelle des Standortpfar- Mitverantwortung der Laien im – kirchenrechtlich normiert. rers ist zwar nicht einfach das Seelsorgebezirk. Der Schwerpunkt • Laienmitverantwortung ist kein „Geschäftszimmer“ des Seelsorge- Auslandseinsatz darf nicht zu einer Randphänomen, sondern umfasst bezirksrates/des GKS-Kreises, aber falschen Art von Spezialisierung alle drei Grunddienste der Kirche: zu jeder möglichen Unterstützung führen, die die Mitverantwortung – Lobpreis und Verehrung Gottes verpflichtet. Ein gesundes Span- der Laien an den Rand drängt. (leiturgia) nungsverhältnis zwischen Haupt- • Gute Kontakte zu den Komman- – Weitergabe des Glaubens durch und Ehrenamtlichen kann das pas- deuren und Dienststellenleitern das Zeugnis in Wort und Tat torale Tun insgesamt inspirieren, sind unbedingt wichtig, dürfen (martyria) erfordert aber genaue Absprachen, aber nicht dazu führen, dass der – Dienst am Nächsten, besonders um Kommunikationsblockaden zu Militärseelsorger auf die Beratung gegenüber denen, die in körper- vermeiden. und Unterstützung der Laien ver- licher oder seelischer Not sind • Enge Zusammenarbeit schafft kei- zichten zu können glaubt. (diakonia). ne Vermischung oder Verunklarung • Entscheidend ist, dass Kleriker wie • Zukunftsweisendes Leitbild ist die der Ämter und Dienste. Priesterli- Laien bereit sind, mit eigenständi- Seelsorge in Zusammenarbeit (Ko- che Identität und seelsorgerliches gen und starken Partnern aus den operative Pastoral). Die Einbezie- Profil können durch aktive Laien- Bereichen Kirche, Gesellschaft hung der Ehrenamtlichen ist Recht mitarbeit nur gewinnen. Es gilt und Streitkräfte ohne falsche der Laien und Pflicht der Kleriker. sogar: Maßstab für die seelsorgerli- Berührungsängste zusammenzuar- Hier existiert eine gegenseitige che Reife ist die Offenheit für das beiten. Die Seelsorge verliert durch Bringschuld. Gelungene Koopera- Engagement der Ehrenamtlichen. Kooperation nicht ihr Proprium; tion ist mehr als eine Methode; sie • Der Seelsorger kann sich seine vielmehr kann sie ihr Profil schär- wird zum missionarischen Impuls „Schäfchen“ genauso wenig aussu- fen und insgesamt an Erfahrung, für eine anschauliche Glaubens- chen wie die Gläubigen ihren Seel- Kompetenz und Akzeptanz gewin- Communio. sorger. Fruchtbare Kooperation nen! (Georg Kestel)

AUFTRAG 255 73 „KIRCHE UNTER SOLDATEN“

PERSONALIA: Ehrenkreuz in Gold für Marianne Groß als Würdigung jahrzehntelangen Einsatzes für kranke Soldaten

ARIANNE GROSS, Mitarbeiterin im Lourdes Trost und Hilfe suchten, MKatholischen Militärbischofs- nicht mehr los. amt Berlin, ist mit dem Ehrenkreuz Unter dem Dach der Katholischen der Bundeswehr in Gold ausgezeich- Militärseelsorge und mit Unterstüt- net worden. Generalleutnant Hans zung von zahlreichen Sanitätseinrich- Heinrich Dieter, Stellvertreter des tungen und Dienststellen der Bun- Generalinspekteurs der Bundeswehr deswehr sowie unter Zuhilfenahme und Inspekteur der Streitkräftebasis, des Deutschen Hospitalié Notre überreichte ihr die Auszeichnung im Dame des Armées konnte Marianne Rahmen der 46. Internationalen Groß bewirken, dass jährlich ca. 40- Soldatenwallfahrt nach Lourdes. 50 schwerkranke Soldaten und deren Frau Groß ist seit 42 Jahren als Angehörige Trost und Hilfe bei einer mit Hilfe ihrer Organisation von An- Verantwortliche für die Kranken- Wallfahrt nach Lourdes erleben durf- fang bis Ende ihrer Wallfahrt jeweils wallfahrt im Rahmen der Soldaten- ten. Ein Großteil des Unterstützungs- hingebungsvoll und aufopfernd zu wallfahrt im Katholischen Militär- personals wird durch das Bundes- betreuen, so dass den betroffenen bischofsamt tätig. Als Marianne Groß wehrzentralkrankenhaus Koblenz ge- Soldaten in vielen Fällen wieder Mut zum ersten Mal an der Militärwall- stellt. und Kraft für ihr weiteres Leben ge- fahrt in Lourdes teilnahm, ließ sie Frau Groß lässt es sich nicht geben werden konnte. das Schicksal der Kranken, die in nehmen, die Soldaten persönlich und (PS nach www.kmba.de)

BEREICH DES KLMD KIEL/GLÜCKSBURG: Ehemaligentreffen Zu einem Ehemaligentreffen hat- te der Katholischer Leitender Mili- tärdekan Kiel/Glücksburg Rainer Schadt in die Kolping-Ferienstätte Salem am Kummerower See eingela- den. Viele ehemalige Mitarbeiter der katholischen Militärseelsorge im Norden hatten den weiten Weg nach Mecklenburg auf sich genommen, unter ihnen der ehemalige KLMD Peter Rafoth und einige der ersten Militärpfarrer. Das Treffen stand zunächst ganz im Austausch über die alten Zeiten. „Weißt Du noch ...“ oder „Damals mussten wir noch ...“ war häufig zu hören. Dabei half auch ein kleines, von der Dienststelle in Kiel vorberei- Kieler Woche: „Wir spielen alle in einer Mannschaft“ tetes Heft mit Berichten über Ereig- nisse und Personen früherer Jahre. Der Katholische Leitende Militärdekan Kiel lädt traditionsgemäß zu einem Am zweiten Tag des Treffens skiz- internationalen Gottesdienst auf einem Gastschiff der Kieler Woche ein, so in zierte Militärdekan Schadt die aktu- diesem Jahr auf den italienischen Zerstörer „LUIGI DURON DE LA PENNE“. In seiner Predigt verglich Militärdekan Msgr. Rainer Schadt das Leben der elle Lage der Bundeswehr als auch Christen mit einer Fußballmannschaft. Es sei wichtig zu wissen, dass – wie in der Militärseelsorge. einer guten Mannschaft – immer jemand da sei, der Fehler ausbügele, helfe, Bei allen war die Wiedersehens- wenn der Druck von außen zu groß werde oder tröste, wenn einmal ein freude groß und Militärdekan Schadt wichtiges Ziel nicht erreicht wurde. Der Einladung gefolgt waren rund 200 konnte beim Abschied schon auf das Gläubige, darunter Soldaten von vielen Schiffen, die zur Kieler Woche den nächste Treffen hinweisen, dass im Stützpunkt in Kiel angelaufen hatten: Deutsche, Italiener, Russen, Franzosen Zusammenhang mit dem 50-jährigen u.a. – Im Bild v.l.: Militärdekan Rainer Schadt, Militärpfarrer Georg Kaufmann, Jubiläum der Katholischen Militär- Plön, Pater Claudio ofm, Priester der italienischen Mission in Hamburg, seelsorge im Jahr 2006 stattfinden und Militärpfarrer Michael Langkamp, Hamburg. (Foto: F.-J. Hosse) wird. (Franz-Josef Hosse)

74 AUFTRAG 255 AUS DER GKS

GKS-POLITIKERGESPRÄCH MIT MdB CHRISTIAN SCHMIDT, CSU: Was können und dürfen deutsche Streitkräfte Informationen zum sicherheitspolitische Programm der CDU/CSU

HELMUT JERMER

nfang April hat die GKS ihre vor Jahren noch in Bonn begonnene Reihe der Politikergespräche in Berlin fortgesetzt. Der verteidigungspolitische Spre- Acher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, MdB Christian Schmidt, folgte der Einladung von Militärgeneralvikar Walter Wakenhut ins Katholische Militär- bischofsamt (KMBA), um vor GKS-Mitgliedern und KMBA-Mitarbeitern die Position der Union in Fragen der Sicherheitspolitik zu referieren und zu diskutieren. Christian Schmidt, der im Wahlkreis Fürth direkt gewählt wurde, ist seit Okto- ber 2002 Vorsitzender der Arbeitsgruppe Verteidigung der CDU/CSU-Fraktion, Mit- glied im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss. Als stellvertretender Präsident der Deutschen Altantischen Gesellschaft liegt ihm die Förderung der deutsch-amerikanischen Be- ziehungen am Herzen. Sicherheitspolitik im Umbruch Schmidt vertrat die Ansicht, die zu bewältigen, andererseits aber Die Anschläge von Madrid hätten bisweilen diffusen Aufträge der Bun- auch in der Lage sein, einen effizien- erneut gezeigt, dass Europa unmittel- deswehr, von Kambodscha über So- ten Heimatschutz zu gewährleisten.“ Heimatschutz bzw. Landesverteidi- bar von terroristischen Angriffen mit malia bis Ost-Timor, müssten klaren und eindeutigen Interessen der Bun- gung hätten zwei Dimensionen: klas- verheerenden Folgen für die Zivilbe- sische Vorsorge gegen militärische völkerung bedroht sei. Deutschland desrepublik Deutschland unterge- ordnet werden, um deutlich zu ma- Angriffe auf unser Land einerseits bleibe im Visier von Terroristen. Die und andererseits Vorsorge gegen Grenzen zwischen Innerer und Äuße- chen, dass die Bundeswehr tatsäch- lich ein Instrument der Außenpolitik asymmetrische und terroristische Be- rer Sicherheit hätten sich angesichts drohungen. solcher neuartiger asymmetrischer sei. In diesem Zusammenhang müsse man sich hüten, die moralische Der Kerngedanke dieses erwei- Bedrohungen aufgelöst. Darauf müs- terten Ansatzes sei der Aufbau eines Rechtfertigung von Auslandseinsät- se eine verantwortungsvolle Sicher- „Gesamtkonzepts Sicherheit“, das heits- und Verteidigungspolitik rea- zen zu überhöhen, indem man die Innere und Äußere Sicherheit en- gieren. Sicherheitsvorsorge dürfe da- Milosevic mit Hitler und den Huf- ger als bisher miteinander verzahne. her nicht nur punktuell erfolgen, son- eisenplan mit Auschwitz vergleiche. Die Bundeswehr müsse mit den dern müsse als „Gesamtkonzept Si- Deutschlands Sicherheit könne Polizeien des Bundes und der Länder cherheit“ organisiert werden, das In- nicht allein mit einer auf Auslands- sowie den Katastrophenschutzorgani- nere und Äußere Sicherheit umfasse einsätze ausgerichteten Bundeswehr sationen besser vernetzt werden, ein und den optimalen Schutz der Bevöl- garantiert werden. Im Hinblick auf Organisationsbereich „Landesvertei- kerung im Blick habe. Nach dem die terroristischen Gefahren müsse digung und Heimatschutz“ müsse in- Ende des Kalten Krieges sei jedoch eine starke Heimatschutzkomponen- nerhalb der Bundeswehr aufgebaut der Zivilschutz sträflich vernachläs- te hinzugefügt werden. Auch die In- werden und – schließlich – müsse sigt worden und müsse nunmehr strumentarien der Außen- und Ent- die Bundeswehr auch in der Fläche wieder mehr beachtet werden. wicklungspolitik seien zur Eindäm- präsent bleiben; sie müsste aufwach- Der Regierung gelänge es nicht, mung dieser Gefahren anzupassen. sen können und für die Wehrpflichti- gen neue Aufgaben vorsehen. in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein Die nach dem 11. September 2001 getroffenen Verstärkungen der Ziel müsse es sein, Sicherheit in für die Bedrohungen aufrechtzuer- Deutschland, so weit überhaupt mög- halten. Dazu, so müsse man fairer- Sicherheitsvorkehrungen reichten nicht aus, äußerte Schmidt. Vielmehr lich, zu gewährleisten. Sicherheit im weise bekennen, hätte allerdings seien weitere Maßnahmen unum- Inland sei die Voraussetzung, dass auch jener verhängnisvolle Spruch gänglich. Die hohe Bevölkerungs- sie auch ins Ausland transferiert wer- von Volker Rühe beigetragen, dichte und empfindliche Infrastruk- den könne. Deutschland sei von Freunden um- tur unseres Landes verlange beson- zingelt. Heute gäbe es mehr als dere Maßnahmen zum Schutz und zur Bundeswehr im Friedenseinsatz genug Krisen- und Gefahrenherde. Vorsorge. Daher müsse die Bundes- Wenn der Westen klein beigäbe, füh- wehr einerseits fit sein, „gemeinsam In der anschließenden Diskussi- re solche sicherheitspolitische Deka- mit den Partnerstreitkräften im Rah- on wurden Themen erörtert, welche denz tatsächlich zum „Ende der Ge- men der Bündnisverteidigung zu die GKS auch in ihren Sachaus- schichte“ (Francis Fukuyama). agieren oder internationale Einsätze schüssen „SICHERHEIT UND FRIEDEN“

AUFTRAG 255 75 AUS DER GKS und „INNERE FÜHRUNG“ beschäftigen. und dem Einberufungsalter herum, auch im Inland strukturell und kon- Zunächst ging es um die Legitimation was gegenüber den Wehrpflichtigen zeptionell ausgerichtet werden. von Auslandseinsätzen. Mit MdB ungerecht bliebe, ungerecht, weil aus Schmidt ist sich die GKS einig, dass den Jahrgängen mal mehr, mal weni- Ein effizienter Heimatschutz • prinzipiell nur die Vereinten Natio- ger junge Männer herangezogen wür- für Deutschland nen (VN) Auslandseinsätze bzw. Frie- den. (Selbst wenn dieser Zustand densmissionen mandatieren dürfen; durch die Rechtsprechung sanktio- In den zurückliegenden Jahren • Regierung und Parlament die Ein- niert würde, ist es objektiv gegenüber wurden die Strukturen, die einen sätze ethisch, völkerrechtlich und der Gruppe der Wehrpflichtigen unge- Heimatschutz in Deutschland tragen politisch begründen müssen; recht! [der Verf.]) könnten, in ihrer Wirksamkeit stark • wer Einsätze anordnet, schon vorab Im folgenden werden die wesent- reduziert. Spätestens seit den Terror- definieren muss, wann und unter lichen Inhalte eines Konzeptions-Pa- anschlägen des 11. September 2001 welchen Umständen er sie been- piers der CDU/CSU zum Thema Lan- hat sich diese Annahme als Illusion det; desverteidigung und Heimatschutz herausgestellt. Die Bedrohung hat • der sogenannte „Endstate“ muss wiedergegeben, die MdB Schmidt sich nicht verringert, sondern nur in klar und eindeutig beschrieben zwar ansprach, jedoch nicht weiter ihrer Qualität verändert. Heimat- werden, da ein Auftrag nicht mit vertiefte. schutz müsse deshalb Antworten für „open end“ gegeben werden dürfe. die immer schwerer planbare Abwehr • die Konfliktparteien in den Krisen- Neue Herausforderungen für von nahezu unüberschaubar neuen regionen müssen das ihre dazutun, die Sicherheit – auf Gefahren Herausforderungen geben. Deshalb um den Einsatz von Soldaten über- vorbereitet sein sei der Schutz unserer Bürger als Teil flüssig zu machen; eines ressortübergreifenden Gesamt- • Soldaten dazu beitragen können, Konventionelle militärische An- verteidigungskonzepts neu zu gestal- dass „die Politik“ im Einsatzland griffe feindlicher Staaten oder Bünd- ten und mit effizienten Strukturen zu wieder Tritt fasse und „Staat ma- nisse auf unser Land seien unwahr- unterlegen. chen“ könne; scheinlich geworden, könnten aber Um diese Aufgaben erfüllen zu • solche Hilfe zur Selbsthilfe als Bei- für die Zukunft nicht grundsätzlich können, müsse die Bundeswehr mo- trag zur Sicherung des Friedens ausgeschlossen werden. Deshalb dern und optimal ausgerüstet wer- und damit zur Stabilität in der Re- wäre eine umfassende Sicherheits- den. Der Modernisierungsstau müsse gion zu sehen sei. vorsorge angesagt, und Strukturen, aufgelöst und die Bundeswehr im In- die der Sicherheitsvorsorge dienen, und im Ausland wieder voll einsatz- Frage der Wehrform sollten nicht leichtfertig abgeschafft und bündnisfähig gemacht werden. werden. Die größte Bedrohung ginge Die Planungen der Bundeswehr dürf- Ein zweiter Schwerpunkt war die heute von der Verbindung vom inter- ten sich nicht nur an Szenarien denk- Frage nach dem Personalumfang. nationalem Terrorismus aus, vor al- barer Auslandseinsätze orientieren, MdB Schmidt meinte, die Regie- lem dann, wenn er sich Massenver- sondern müssen auch nachhaltigen rungskoalition habe sich – hinter nichtungswaffen beschaffen sollte. Heimatschutz berücksichtigen. vorgehaltener Hand – bereits von der Gefahren müssten dort bekämpft Mehr als bei Auslandseinsätzen Allgemeinen Wehrpflicht verab- werden, wo sie entstehen. Es sei rich- (soweit diese nicht den Verteidi- schiedet, woraus die Grünen ja kei- tig, dass Deutschland durch seine gungsfall annehmen) finden aber in nen Hehl machten. Das würde be- Beteiligung an internationalen Frie- dieser Aufgabe die grundgesetzliche deuten, dass – bei deren Aussetzung densmissionen einen Sicherheitsbei- Verpflichtung, Streitkräfte zur Ver- – die Bundeswehr auf 200.000 Sol- trag für unser Land leiste. Das reiche teidigung aufzustellen, und die daten schrumpfen würde. Die Regie- jedoch für die Abwehr von Risiken Wehrpflicht ihren verfassungs- rung sehe im Verteidigungshaushalt im eigenen Land jedoch nicht aus. gemäßen Ausdruck. einen Steinbruch, was im Wider- Die präventive Bekämpfung mögli- spruch zu den politischen Vorgaben cher Bedrohungen im Ausland Aufgaben des Heimatschutzes stünde, konkret: zum Auftrag der genügten nicht. Vielmehr müsste Heimatschutz müsse sowohl prä- Bundeswehr und ihrer Struktur. jederzeit auch der Schutz unserer ventiv als auch reaktiv angelegt sein. Nach der Struck’schen Transformati- Bürger, aber auch der unserer Dort, wo Gefahrenabwehr nicht oder on, die de facto eine Reform der Re- Bündnispartner sichergestellt wer- nur unzureichend durch Polizei und form (seines Vorgängers) darstelle, den. Hilfsorganisationen geleistet werden wären zwar noch 250.000 Soldaten Da die Grenzen zwischen innerer könne, müsse der Staat auf spezifi- mit einem Wehrpflichtigen-Anteil und äußerer Sicherheit heute flie- sche, in militärischen Verbänden an- vorgesehen, jedoch könne bei diesem ßend seien, müsste der Ausbau eines gesiedelte Fähigkeiten zurückgrei- Wehrpflichtigen Anteil keine Wehr- modernen Heimatschutzes betrieben fen; unter anderem seien Schutz- bzw. Dienstgerechtigkeit sicherge- werden. Die Bundeswehr sollte noch maßnahmen sowohl gegen „konven- stellt werden, es sei denn, man mani- stärker als bisher auf die Abwehr und tionelle“ Attacken, als auch gegen puliere an den Tauglichkeitskriterien Bewältigung terroristischer Gefahren ABC-Angriffe vorzusehen. Dabei wä-

76 AUFTRAG 255 AUS DER GKS ren Kooperationsformen der Sicher- den Heimatschutzkräften der Bun- ren Wehrdienst im Heimatschutz in heitsinstitutionen denkbar, welche deswehr muss das vernetzte Zusam- Abschnitten ableisten, jedoch sollte die Fähigkeiten der teils militäri- menspiel weit intensiver als bisher vom Diensteintritt bis zum Ende des schen, teils am Katastrophenschutz und nach dem Vorbild der früheren ersten Abschnitts ein Zeitraum von orientierten Nationalgarde in den WINTEX/CIMEX-Übungen geübt sechs Monaten angestrebt werden. USA umfassen. werden. Hierzu sind die gesetzlichen Die restlichen drei Monate könnten Die Heimatschutzkräfte sollten Rahmenbedingungen zu schaffen, in drei Blöcken absolviert werden. bei Katastrophen und in der Terror- damit die Reservisten der Bundes- Im neuen Organisationsbereich abwehr- und -bekämpfung unterstüt- wehr auch verstärkt zu Übungen – „Landesverteidigung und Heimat- zen. Dabei käme der zivil-militäri- und nicht erst nach der Erklärung schutz“ könnten Wehrpflichtige im schen Zusammenarbeit (ZMZ/ des Spannungsfalles – im Rahmen Inland und – bei Bedarf und in ent- CIMIC) mit den zuständigen Behör- des Heimatschutzes einberufen wer- sprechenden Situationen auf freiwil- den der Länder und Gemeinden gro- den können. liger Basis – im Ausland eingesetzt ße Bedeutung zu. Die Heimatschutzkräfte sollten werden. Die Wehrpflichtigen sind Die geltenden Gesetze reichten zentral und wie alle anderen Soldaten durch die Kreiswehrersatzämter ge- für einen effizienten Einsatz der Bun- der Bundeswehr ausgebildet werden, zielt aus dem Einzugsbereich der je- deswehr im Innern im Zusammen- um die Einsatzverbände von diesen weiligen „Regionalbasis“ heranzu- hang mit möglichen terroristischen Aufgaben zu entlasten. Auf dieser ziehen, um Ortskenntnis und Ver- Anschlägen oder zum Schutz kriti- Grundlage könnte sichergestellt wer- bundenheit zur Region und Bevölke- scher Infrastruktur nicht aus. Um be- den, dass die Wehrpflichtigen auch rung zu gewährleisten. Auch das stimmte Fähigkeiten der Bundeswehr in den Stabilisierungs- und Unter- Führungs- und Regiepersonal solle im Inneren, die über die Katastro- stützungskräften verwendet werden nach Möglichkeit aus dem jeweiligen phen- und Nothilfe hinausgehen, ab- könnten. Der Heimatschutzsoldat Einzugsbereich oder zumindest aus rufen zu können, müsste vorher der sollte kein „Soldat light“ werden. dem entsprechenden Bundesland Spannungsfall erklärt werden. So sei Nach der Grundausbildung soll- stammen. Gegenüber bisherigen Plä- es nicht einsehbar, dass die Bundes- ten die Heimatschutz-Soldaten nen von „Rot-Grün“ (Zielumfang: wehr im Ausland ganz selbstver- schwerpunktmäßig auf folgenden Ge- 250.000 Soldaten) wären insgesamt ständlich Fähigkeiten anwenden bieten trainiert werden: Sicherung, weitere 25.000 Soldaten, davon ca. könne, die sie im Inland zum Schutz ABC-Abwehr, Pionier-, Fernmelde- 20.000 Wehrdienstleistende und unserer Bürger heute nicht einsetzen und Sanitätswesen. Außerdem sind 5.000 länger dienende Soldaten, zu- darf. Einsatzübungen mit Reservisten der sätzlich erforderlich. Bundeswehr regelmäßig vorzusehen. Struktur des Heimatschutzes Die Heimatschutztruppen werden im Zusätzliche Kosten Die Union schlägt konkret vor, Einsatz den Spezialkräften der Bun- für den Heimatschutz im Rahmen eines neuen Organisa- deswehr im jeweiligen Aufgaben- Die zusätzlichen Kosten für die- tionsbereiches im Bundesministeri- bereich unterstellt und von diesen sen Personalkörper (einschließlich um der Verteidigung – „Landesver- geführt. Dabei ist die Führung der zi- notwendiger Attraktivitätsmaßnah- teidigung und Heimatschutz“ – künf- vilen und militärischen Kräfte nach men) dürften ca. 500 Mio. Euro p.a. tig ca. 50 vernetzte „Regionalbasen dem Prinzip „Führung aus einer betragen. Die Mehrkosten würden Heimatschutz“ mit einer Stärke von Hand“ durch die erprobte Struktur vor allem aus der notwendigen sub- bis zu 500 Soldaten für Einsatzfälle der Bundeswehr sicherzustellen. stanziellen Aufstockung des in Bereitschaft gehalten werden. Bei Kompetenzen der zuständigen Katas- Vereidigungsetats sowie teilweise intensiver Nutzung des Reservisten- trophenschutzbehörden blieben un- aus Umschichtungen im Einzelplan 14 gedeckt. potentials der Bundeswehr sollten sie berührt und weiterhin ein unver- Ein effizienter und moderner im Einsatzfall auf eine Stärke von bis zichtbares Element der Gefahrenvor- Heimatschutz erhöhe die Sicherheit zu je 5.000 Soldaten aufwachsen sorge und -bewältigung. für unsere Bürger und schaffe Ver- können. Dabei sollte die aktive Hei- trauen. Im Zeitalter der Globalisie- matschutztruppe zu ca. 80% aus Heimatschutz und rung würde die Zukunft des Wehrpflichtigen und zu 20% aus Allgemeine Wehrpflicht Wirtschaftsstandorts Deutschland Längerdienern (Führungs- und Landesverteidigung und Heimat- entscheidend von der Sicherheit sei- Regiepersonal) bestehen. schutz erfordern die Unterstützung ner Infrastruktur und Verkehrswege Um eine optimale Koordination aller Bürger; diese Solidarität fände bestimmt. Ein sicheres Umfeld sei mit den (zivilen) Katastrophen- in der Allgemeinen Wehrpflicht ih- ein wesentlicher Faktor für die At- schutzbehörden zu ermöglichen, sol- ren Ausdruck. Die Dauer des Wehr- traktivität eines Landes. Der durch len die 50 vernetzten Regionalbasen dienstes sollte wie bisher neun Mo- das Gesamtkonzept Sicherheit er- flächendeckend über die Bundes- nate nicht unterschreiten. Wehr- reichte Zugewinn an Sicherheit wür- republik und in größeren Städten sta- pflichtige sind aufgrund ihrer beruf- de die zusätzlichen finanziellen Auf- tioniert werden. lichen Kenntnisse und Fähigkeiten wendungen mittel- und langfristig Zwischen den zivilen Stellen und gezielt einzuberufen. Sie könnten ih- bei weitem einspielen. ❏

AUFTRAG 255 77 AUS DER GKS

AUS DER ARBEIT DES BUNDESGESCHÄFTSFÜHRERS DER GKS: Schwerpunkte des II. Quartals 2004: Gemeinsames Seminar mit pax christi, Politikergespräch und die Sitzung des Bundesvorstandes in Berlin

zuarbeiten, vor allem aber, ein ge- Abständen durchgeführt werden, hat- meinsames Verständnis für die Not- ten die GKS am 1. April 2004 MdB wendigkeit gegenseitiger Ergänzung Christian Schmidt, den verteidi- bei der Arbeit an der Friedens- gungspolitischen Sprecher der CDU/ sicherung entstehen zu lassen. Fer- CSU-Bundestagsfraktion zu Gast Seminar mit pax christi ner ging es um eine möglichst klare (s.a. Bericht S. 75 ff.). Oberst a.D. Abgrenzung der jeweiligen Zustän- Ludwig Jacob vom Institut für Theo- ach mehr als einjähriger Vor- digkeiten. logie und Frieden moderierte das Ge- bereitung, die vor allem in Für die militärische Seite konn- spräch. Vortrag und Diskussion erga- Nden Händen des Geschäfts- ten hochrangige Vortragende gefun- ben bedenkenswerte Einblicke in die führers von pax christi Dr. ... Voß und den werden, darunter Generalleut- sicherheitspolitischen Vorstellungen des GKS-Bundesgeschäftsführers nant Karlheinz Lather, Brigadegene- und Absichten des Gastes. lag, fand vom 26.-28. März 2004 in ral ... Schlenker und Oberst i.G. ... Am 24. Juni 2004 wird Brigade- Bonn zum ersten Mal ein gemeinsa- Wolski. Sie konnten alle auf prakti- general a.D. Friedhelm Koch ein mes Seminar von GKS und pax sche Einsatzerfahrung zurückgreifen. weiteres Gespräch mit dem Beauf- christi statt, dessen Thema „ERFAH- So gelang es ihnen, auch gegenüber tragten der Bundesregierung für die RUNGEN MIT FRIEDENSEINSÄTZEN“ laute- den durchaus vorhandenen kriti- deutsch-amerikanischen Beziehun- te (s.a. AUFTRAG 254, S. 35 f.). schen Anfragen die Notwendigkeit gen Karsten Voigt moderieren, am Den inhaltlichen Rahmen für das der Anwendung militärischer Mittel 30. September Oberst i.G. Reinhard Seminar bildete das Arbeitsergebnis in bestimmten Situationen überzeu- Kloss ein weiteres Gespräch mit MdB der Projektgruppe „Gerechter Frie- gend darzustellen. Kossendey (CDU). de“ der Deutsche Kommission Justi- Der Bundesvorsitzender, Oberst tia et Pax. Diese Gruppe hatte unter Karl-Jürgen Klein, zog am Ende der Bundesvorstand Leitung von Prof. Thomas Hoppe Veranstaltung eine positive Bilanz: eine umfangreiche Ausarbeitung zum Das gegenseitige Verständnis sei ge- er Bundesvorstand der GKS Thema „Humanitäre Interventionen“ fördert und die Akzeptanz der Rolle trat in der Zeit vom 30. April erstellt. Die öffentliche Präsentation der jeweils anderen Seite in der Be- Dbis 2. Mai 2004 in Berlin zu- dieser Studie am 26. März 2004 in wältigung von Krisensituationen ge- sammen. Wie in jedem Jahr waren Bonn (s. AUFTRAG 254, S. 31.f.) bil- stärkt worden. zur Frühjahrssitzung die Ehefrauen dete den Auftakt für das gemeinsame Noch offen ist die Frage, ob die der Teilnehmer mit angereist. Der Seminar von GKS und pax christi. wichtigsten Texte des Seminars ge- Bundesvorsitzende will dadurch den Diese Tagung setzte sich mit einigen meinsamen von GKS und pax christi Dank der GKS für die ehrenamtliche zentralen Fragestellungen der Studie publiziert werden oder ob wir für die Tätigkeit und die Unterstützung auseinander, nämlich mit den Aufga- Leser des AUFTRAG einige Vorträge durch die Familien zum Ausdruck ben und Möglichkeiten von Soldaten dokumentieren. Die Gespräch dar- bringen. und zivilen Hilfsorganisationen und über mit pax christi dauern noch an. Schwerpunkte der Arbeit des den praktischen Erfahrungen dieser Für das nächste Jahr wird über Bundesvorstandes waren die bevor- Akteure. ein weiteres Seminar nachgedacht, stehenden Großereignisse dieses In dem Seminar stellten beide zu dem dann auch andere Verbände Jahres: Der Katholikentag in Ulm Seiten aus ihrer jeweiligen Sicht die wie z.B. der BDKJ eingeladen wer- und die Woche der Begegnung in Probleme der Stabilisierung einer den könnten. Ort, Zeit und Thema Lingen. Ausführlich wurde auch über Krisenregion in den verschiedenen sind noch offen. die Sachausschüsse gesprochen, die Konfliktphasen vor. Dabei wurde für den Bundesvorstand, aber ebenso versucht, die Möglichkeiten und Be- Politikergespräche für die GKS-Bereiche und -Kreise ar- grenzungen von militärischen Ein- beiten. Sie sollen ihre Arbeitser- satzkräften und zivilen Hilfsorgani- n der Reihe der Politikergesprä- gebnisse regelmäßige im Bundesvor- sationen darzustellen. In der Diskus- che, die unter Verantwortung der stand und im Exekutivausschuss vor- sion ging es darum, kritische Anfra- IGKS und mit Unterstützung tragen. Der Sachausschuss Konzepti- gen an die jeweils andere Seite auf- durch das KMBA in unregelmäßigen on und Information wurde zugunsten

78 AUFTRAG 255 AUS DER GKS einzelner themenbezogener Projekt- stellvertretenden Bundesvorsitzen- Die Veranstaltungen der Militär- gruppen aufgelöst. Ein zeitbegrenzte den Oberstabsfeldwebel Johann seelsorge werden in einer zusammen- Projektgruppe „Neue Satzung“ wur- Adolf Schacherl den Entwurf überar- fassenden Broschüre des KMBA an de eingerichtet, die neben der Prü- beiten, um die Übereinstimmung mit die Teilnehmer des Katholikentages fung des Satzungsentwurfs auch die der bisherigen Ordnung der GKS si- verteilt werden. Am Abend des 18. Anpassung der anderen Grundlagen- cherzustellen. Am 18. Juni 2004 Juni 2004 ist in Ulm eine Arbeits- dokumente der GKS („Ziele und wird sich der Exekutivausschuss der sitzung des Exekutivausschusses ge- Wege der GKS“ von 1995, „Ge- GKS mit diesem Thema befassen, um plant. Außerdem soll am Rande eine schäftsordnung 1995“ und „Arbeits- dann den Bereichen Gelegenheit zur Begegnung der Vorstände von GKS hilfe zur Zusammenarbeit mit den Stellungnahme zu geben. Wenn es und BDKJ stattfinden. Militärgeistlichen ...“) vorbereiten dabei keine größeren Einwände gibt, Die Bundeskonferenz im Herbst soll. könnte die Bundeskonferenz die (15.-17.09.2004) spielt ebenfalls Im Rahmenprogramm standen neue Satzung beschließen. Damit wä- bereits eine wichtige Rolle. eine Bootsfahrt auf der Spree und ein ren die Voraussetzungen gegeben, Im Juni werden die Beiträge zum gemeinsames Abendessen im dass die GKS ab 2005 als gemein- Lagebericht der GKS angefordert Nikolaiviertel Berlins. Alle Planun- nützige Körperschaft anerkannt wird. werden. Ebenfalls im Juni wird der gen konnten trotz der politischen und U.a. hat dies den Vorteil, dass Die Exekutivausschuss das Programm polizeilichen Turbulenzen, die um Spenden und Beiträge an den FGKS festlegen. Und schließlich wird der den 1. Mai das Leben in Berlin er- könnten dann von der Steuer abge- zuständige GKS-Bereich Nieder- schwerten, problemlos durchgeführt setzt werden. sachsen/Bremen mit den Vorberei- werden. tungen für den geplanten Ausflug Ausblick und das gemeinsame Abendessen be- Gemeinnützigkeit der GKS ginnen. chwerpunkt ist im Augenblick Ein wichtiger Hinweis zum Ab- uf dem langen und mühsamen die Vorbereitung des Katholi- schluss: Die Seminare „3. Lebens- Weg, durch das zuständige Fi- Skentages (16.-20.06.2004): phase“ sind für 2004 vollständig Ananzamt in Berlin die Ge- Der Auftritt der GKS beim Abend der ausgebucht. Es ist dringend zu emp- meinnützigkeit der GKS anerkannt Begegnung, die Vorbereitung des Po- fehlen, die Anmeldungen für 2005 zu bekommen, gibt es bescheidene diumsgesprächs der GKS zum Thema möglichst frühzeitig abzugeben. Für Fortschritte: Der Rohentwurf einer „Humanitäre Interventionen“ und GKS- und FGKS-Mitglieder ist die möglichen zukünftigen Satzung der die Arbeiten für den GKS-Stand (bei Lage allerdings insofern günstiger als GKS fand aus steuerrechtlicher Sicht dem die Cornelius-Vereinigung für andere Bewerber, als ihnen im die grundsätzliche Zustimmung des wiederum als unser Gast mit uns ge- Zweifel mit Vorrang Plätze zugeteilt Finanzamtes. Jetzt wird eine Projekt- meinsam auftreten wird) stehen im werden. gruppe der GKS unter Leitung des Mittelpunkt. (Klaus Achmann)

INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT: Aus AMI und CICO er katholische Militärbischof len Militärapostolat, und seinen bzw. kämpfung des Terro- für die Bundeswehr, Dr. Wal des AMI Einsatz für den (internatio- rismus weltweit. Die Dter Mixa, Bischof von Eich- nalen) Friedensdienst von Soldaten Delegierten unterstri- stätt, führte in seiner Residenz einen als einen Beitrag zum Frieden welt- chen die ethische Notwendigkeit und ausführlichen Informationsaustausch weit. Berechtigung internationaler Zusam- mit Oberst a.D. Jürgen Bringmann, Das AMI, in dem mehr als 26 menarbeit, auch militärisch, auf die- Sekretär der Konferenz der Internati- Länder weltweit zusammengeschlos- sem Gebiet. Zugleich wiesen sie auf onalen Katholischen Organisationen sen sind, führte seine letztjährige ebenfalls ethisch begründete Gren- (CICO) und Generalsekretär des Konferenz (22.-27.09.2004) erstma- zen solcher Einsätze hin, beispiels- Apostolat Militaire International lig in einem der neuen demokrati- weise bei der Frage des „Preemp- (AMI). schen Länder durch, in Celje in Slo- tiven Krieges“. Die nächste General- Bischof Dr. Mixa gratulierte Jür- wenien. Die Delegierten beschlos- versammlung des AMI im September gen Bringmann zur Verleihung des sen, die Entwicklung der katholi- dieses Jahres will sich in Bratislava spanischen Ordens „Cruz del Merito schen Militärseelsorge in diesen in der Slowakei unter anderem mit Militar con Distintivo Blanco“, der Ländern und der Laienarbeit dort den Problemen von Soldaten und ih- ihm vom spanischen Botschafter in weiter aufmerksam zu verfolgen und ren Familien im Zusammenhang mit Berlin namens der spanischen Re- nach Kräften zu unterstützen. Kroati- Auslandseinsätzen befassen. gierung überreicht worden war. Die en wurde als neues Mitglied aufge- Das AMI wurde erneut, bei der Auszeichnung würdigt Bringmanns nommen, Slowenien, Bosnien-Herze- letzten Generalversammlung der jahrzehntelange Zusammenarbeit mit gowina und die Slowakei als assozi- CICO in Rom, mit der Präsident- Spanien und den spanischen Streit- ierte Mitglieder. schaft dieses Zusammenschlusses kräften, besonders im Internationa- Ein weiteres Thema war die Be- Fortsetzung auf Seite 80 u.

AUFTRAG 255 79 AUS DER GKS

GKS-KREISES INGOLSTADT: Sekten und Weltauschauungsfragen legenheit gebracht werden. Im Ge- genteil, es wurden immer neue ür die Angehörigen des GKS- hova, die jeder kennt, sondern viele Themenfelder geöffnet, die den Zeit- Kreises Ingolstadt stand das weniger bekannte Gruppen, die zu rahmen eng werden ließen. So wur- FFamilienwochenende in Vier- den Sekten gezähl werden müssen. den einige der für die freie Verfügung zehnheiligen unter dem Motto „SEK- Die Frage, ob Sekten gefährlich sind, vorgesehenen Stunden für die Vertie- TEN UND WELTANSCHAUUNGSFRAGEN“. könne, so der Referent, nicht gene- fung des Themas genutzt. Pastoralreferent Hans Rückerl – rell mit „ja“ oder „nein“ beantwortet Trotzdem kam auch die Gesellig- Dienststelle des Kath. Standort- werden. Für die Allgemeinheit beste- keit nicht zu kurz. In fröhlicher Run- pfarrer in Cham – berichtete aus sei- he so gut wie keine Gefahr, doch für de traf man sich zu angeregten und ner reichhaltigen Erfahrung als ehe- die Anhänger der Sekte werde es interessanten Gesprächen. Diese ho- maliger Beauftragter für Sekten- und dann gefährlich, wenn ärztliche Hilfe mogene, eingeschworene Gemein- Weltanschauungsfragen der Diözese verweigert oder als Satanswerk abge- schaft kennt sich mittlerweile so gut, Regensburg. Anschaulich stellte er lehnt werde. Kinder würden physisch dass es für die Einzelnen auch kein die Wertvorstellungen und Ziele der und psychisch unter Druck gesetzt Problem darstellt, bei Verhinderung einzelnen Gruppierungen vor. Dabei und in manchen Fällen auch gequält. des Partners alleine mitzufahren. stellte sich heraus, dass so manche Häufig seien dabei Langzeitschäden Man ist immer unter Freunden gut Organisation erst hier als Sekte bzw. zu beobachten. aufgehoben. Religionsgemeinschaft erkannt wur- Hans Rückerl konnte auch durch Am Samstagnachmittag nutzten de. Es gibt nicht nur die Zeugen Je- die vielfältigen Fragen nicht in Ver- viele Teilnehmer die Möglichkeit zu Wanderungen in der näheren Umge- bung, zur Besichtigung von Sehens- würdigkeiten im Umland wie Schloss Banz, die Basilika Vierzehnheiligen, und die Stadt Bamberg oder einfach für Besuche bei Freunden und Ver- wandten in der Nähe. Am Sonntag wurde nochmals das Thema des Wochenendes behandelt. Hans Rückerl fesselte erneut die Zu- hörer mit seinen Ausführungen zu Praktiken der „Heiler“ und Sekten. Das Wissen von Hans Rückerl war damit aber noch lange nicht er- schöpft. Der Vorsitzende des GKS- Kreises Ingolstadt Herbert Beyerlein bedankte sich zum Abschluss der Veranstaltung beim Referenten und nahm ihm das Versprechen ab, die- ses Thema in absehbarer Zeit wieder in einem Familienwochenende zu be- handeln. Den Höhepunkt des Sonntags Fortsetzung von Seite 79 und auch des Wochenendes bildete von über 40 Internationalen Katholi- die die Zusammenarbeit Internatio- der gemeinsame Gottesdienst. Zum schen Organisationen weltweit be- naler Katholischer Organisationen in wiederholten Mal zog Militärpfarrer auftragt. Präsident bleibt General allen Bereichen fördern, bündeln Alois Berzl die Gottesdienstteilneh- a.D. Prof. Ernest König, Österreich; und auf Schwerpunkte konzentrieren mer mit seiner lebendigen und an- Sekretär Oberst a.D. Jürgen Bring- soll. schaulichen Predigt in seinen Bann, mann, Deutschland. Bischof Dr. Walter Mixa dankte in dem er Aussagen der Hl. Schrift Unter dem Leitthema „Für eine für die ausführliche Information und beispielhaft in die heutige Zeit über- menschlichere Gesellschaft – Christ- die Arbeit des AMI in der und für die trug. Auch die feierliche Gestaltung liche Werte als Weg aus der Gewalt Militärseelsorge wie auch für die durch Organisten, Lektoren und das zum Frieden“ setzten sich die Dele- Verdeutlichung der ethischen Legiti- aktive Mitmachen der Gottesdienst- gierten mit dem Grundproblem des mation des Friedensdienstes unserer besucher soll nicht unerwähnt blei- Friedens in allen gesellschaftlichen, Soldaten in den vergangenen Jahren. ben. – Das Mittagessen beschloss politischen, kulturellen und auch re- Er sagte seine weitere Unterstützung dieses informative, erlebnisreiche ligiösen Bereichen auseinander. Die dieser wichtigen Arbeit im nationa- und spannende Wochenende, das für Konferenz verabschiedete eine Leit- len, internationalen und weltweiten alle wieder wohlbehalten zu Hause linie „Orientierung für die Zukunft“, Bereich zu. (AMI) endete. (Helmut Häckl)

80 AUFTRAG 255 AUS DER GKS GKS Bereich Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland

u einer Bereichsversammlung und eine gemeinsame Tagung von Am Pfingstsonntag nahm der trafen sich die Vertreter der GKS und der deutschen Sektion von Katholische Leitende Militärdekan ZGKS im Familienferiendorf pax christi im März zu „Erfahrungen Koblenz, Msgr. Carl Ursprung, an Hübingen/Westerwald, einer Frei- mit Friedenseinsätzen“. Neuroth in- der Konferenz teil. Er informierte zeiteinrichtung der Diözese Lim- formierte über Aktivitäten im Be- über die personelle Situation in sei- burg, an Pfingsten vom 28. bis 31. reich seit der letzten Bereichs- nem Bereich, über die Militärseel- Mai 2004. versammlung. sorge im Allgemeinen und wies auf Der 2. Vorsitzende des Be- Seitens der Basis wurde über das im Jahr 2006 zu feiernde 50- reichs, Hptm a.D. Günter Neuroth, Schwierigkeiten gesprochen junge ak- jährige Bestehen der Katholischen hatte die Konferenz vorbereitet und tive Soldaten zur Mitarbeit zu gewin- Militärseelsorge hin. moderierte sie auch. Zu Beginn be- nen. Darüber hinaus sei es von Vor- Der sich anschließende feierli- grüßte er den Vertreter des Bundes- teil, wenn sich Militärpfarrer und che Pfingstgottesdienst war der Hö- vorstands den Bundesgeschäfts- GKS-Vertreter besser kennenlernen hepunkt dieser Konferenz. führer Oberst a.D. Dr. Klaus Ach- würden. Der 1. Vorsitzende, StBtsm Im „Freizeitteil“ der Bereichs- mann. Joachim Riederle regte als eine erste konferenz hielt ein Forstingenieur Dr. Achmann berichtete aus der Maßnahme die Zusammenlegung der einen ökologisch-ökonomischen Arbeit des Bundesvorstands, u.a. Arbeitskonferenz des KLMD und der Waldvortrag in Form einer Walder- über geführte Politikergespräche Bereichskonferenz an. kundung (interessant war die Fest- stellung, dass der Waldbestand in Deutschland zunimmt, obwohl jähr- lich Holz in einem Maße abgebaut wird mit dem man eine Mauer von 1,5m Breite, 10m Höhe und in einer Länge von 8.000km errichten könn- te), zum anderen erfuhren die Teil- nehmer Wissenswertes über die nahe gelegene Stadt Bad Ems mit ihrer russisch orthodoxen Kirche. Das GKS-Treffen endete mit dem Hinweis auf eine weitere Be- reichskonferenz im Dezember 2004, bei der ein neuer Vorsitzenden zu wählen ist, da Joachim Riederle aus dienstlichen Gründen nicht mehr zur Verfügung steht. (Heinrich Dorndorf)

Der KLMD Koblenz, Msgr. Carl Ur- sprung, macht den Vorsitzenden der GKS im Bereich, StFBtsm Joachim Ried- erle, auf einen interessanten Beitrag im AUFTRAG 254 aufmerksam – Bundes- geschäftsführer Dr. Klaus Achmann schaut zufrieden zu. Foto unten zeigt einen Teil der Konfe- renzteilnehmer bei sonniger Rast auf der Promenade in Bad Ems. (Fotos H.-J. Oster)

AUFTRAG 255 81 AUSKIRCHLICHE DER GKS MÄNNERARBEIT

KATHOLISCHE MÄNNERARBEIT/ GKMD: „Welches Profil bekommt Europa? – Chancen und Herausforderungen im europäischen Einigungsprozess“ Bericht von der Haupttagung der katholischen Männerarbeit in Deutschland

HEINRICH DORNDORF ür den europäischen Einigungsprozess ist 2004 das entscheidende nationale Versammlung, alte Mit- Jahr. Am 1. Mai traten zehn neue Länder der Europäischen Union gliedsländer müssten aber wieder F(EU) bei. Am 13. Juni fanden Wahlen zum Europaparlament statt aktiviert werden. Darüber hinaus und schließlich entschieden im Juni die Regierungschefs der Mitglieds- wies er auf das Osteuropa-Seminar staaten über die zukünftige europäische Verfassung. im Oktober 2004 in Schmochtitz Aus diesem Grund hatte die katholische Männerarbeit bei ihrem hin. Thema „Bürgerschaftliches Jahrestreffen vom 3. bis 5. Mai 2004 im Bonifatiushaus in Fulda mit dem Engagement katholischer Christen Thema: „Welches Profil bekommt Europa? Chancen und Herausforderun- in Mitteleuropa – Entwicklungen, gen im europäischen Einigungsprozess“ den Blick auf das künftige Profil Erfahrungen, Perspektiven“. Europas gerichtet. Dies, weil kirchliche und verbandliche Männerarbeit nicht isoliert und losgelöst von den politischen und gesellschaftlichen Ent- n einem Vortrag: „Das neue Euro- wicklungen statt findet, sondern sich aus christlicher Verantwortung an Ipa – eine Chance für Christen?“, den anstehenden Prozessen im nationalen und internationalen Kontext machte der ehemalige außenpoliti- beteiligt. Hierzu gehört auch das Thema der Chancengleichheit von Frau- sche Sprecher der CDU/CSU Bun- en und Männern, das spätestens seit dem Amsterdamer Vertrag von 1999 destagsfraktion, Karl Lamers, deut- als unverzichtbare gesellschaftliche Aufgabe in der EU festgeschrieben ist. lich, dass die Werte Europas im er Haupttagung voraus ging die 2005 und im Jahr 2006 einen öku- Christentum ruhen. Deshalb sei auch DMitgliederversammlung der Ge- menischer Männerkongress an. wichtig, den Gottesbezug in der euro- meinschaft der katholischen Männer Der Leiter der Arbeitsstelle für päische Verfassung zu verwurzeln. Deutschlands (GKMD). Diese be- Männerarbeit und Männerseelsorge Schon der französische Politiker Jean steht aus Vertretern der Män- in den Deutschen Diözesen, Dr. Monet habe treffend gesagt: „Europa, nerseelsorge der deutschen Diözesen Andreas Ruffing, stellte die Aktivitä- das ist ein Beitrag zu einer (etwas) und dem organisierten Männerapos- ten und die erweiterte Geschäftsfüh- besseren Welt“. Christen seien keine tolat in katholischen Verbänden. Für rung (die ASt in Fulda hat auch die Utopisten, sondern trügen Mitverant- die „Kirche unter Soldaten“ nahmen Geschäftsführung der GKMD über- wortung für ein Europa, das sich zwar Dipl. Theol. Manfred Heinz aus den nommen) der Arbeitsstelle vor. Er in einer ständigen Krise befinde, Referat IV „Seelsorge“ des KMBA wies auch auf eine CD mit männli- doch eine Krise sei noch keine Kata- und für die GKS die Hptm a.D. Wal- chen und weiblichen Stimmen aus strophe, so Lamers. Nach Jaques ter Schrader und Heinrich Dorndorf der Mystik in jüdisch-christlicher Delors dürfe Deutschland nie von der teil. Tradition hin, die beim Katholiken- sozialen Marktwirtschaft lassen, GKMD-Präsident Franz-Josef tag 2004 in Ulm vorgestellt wird. – denn sie sei das Wirtschaftsmodell Schwack informierte in seinen Re- Unter Verschiedenes fragte Dr. für Europa. Das neue Europa nehme chenschaftsbericht über das vergan- Günter Kuntze (Diözese Mainz), ob zwar um 20% an Bevölkerung zu, das gene Jahr, u.a. über die Teilnahme es nicht sinnvoll wäre, dass die GKS Sozialprodukt wächst jedoch nur um der GKMD am Ökumenischen Kir- in den örtlichen Diözesanräten mit 5%, aber es werde 53% mehr Bauern chentag 2003 in Berlin, die Teilnah- einem Vertreter präsent sein könnte. geben. Nach Lamers Ansicht leben me an der Versammlung der inter- wir zz. in einer schwierigen Zeit, in nationalen Vereinigung katholischer ie Haupttagung selbst begann der Ungleichheit vorherrsche, aber Männer UNUM OMNES, die 1948 Dmit Grußworten u.a. von doch die Chance bestehe für künfti- gegründet wurde und der rund 30 – Gerhard Möller, Oberbürgermeister ges Wachstum. Nach Lamers braucht Länder angehören. Ferner berichte- der Stadt Fulda, der besonders auf die EU einen magnetischen und kei- te Schwack, dass die neu konzipier- das Bonifatiusjahr hinwies, nen abstoßenden Kern. Eine solche te Katholische Arbeitnehmer Bewe- – Dr. Hildegard Kaul, Leiterin der Anziehungskraft könne eigentlich gung (KAB) sowohl aus der Frauen- Arbeitsstelle für Frauenseelsorge, nur durch ein Zusammenwirken von als auch aus der Männerarbeit aus- Bonn, die auf die zunehmende Zu- Deutschland und Frankreich ausge- geschieden ist. Jedoch versuche sammenarbeit mit der Männerseel- hen, wie es im Mittelalter schon der man seitens des Präsidiums der sorge einging, Fall war. GKMD die KAB wieder ins „Boot“ – Georg Kopetzky, Altlengbach/Ös- zu holen. Im seinem Ausblick kün- terreich, als Vertreter von UNUM er europäische Verfassungs- digte Schwack ein Seminar über Ge- OMNES. Mit der EU-Erweiterung „Dprozess als Herausforderung walt für Frauen und Männer im Juni kommen neue Länder in die inter- für die Kirche?“ war ein weiterer

82 AUFTRAG 255 KIRCHLICHE MÄNNERARBEIT

Vortrag, gehalten von Stefan Lunte, auch die neuen Länder helfen, den stellvertretender Generalsekretär der Gottesbezug in die EU-Verfassung öhepunkt der Tagung war die Kommission der Bischofskonferen- einzubringen. Andererseits könne HHl. Messe mit dem Präses der zen der Europäischen Gemeinschaft der Gottesbezug in der Verfassung GKMD Erzbischof Dr. Ludwig Schick (COMECE), Brüssel. Europa und die evtl. als Preis für einen Beitritt der aus Bamberg am Bonifatiusgrab im Kirchen befänden sich in einem Türkei zur EU hingenommen werden, Dom zu Fulda. Erzbischof Schick wechselseitigen Prozess der Annähe- denn – wie Lunte anmerkte – gebe es würdigte Leben und Wirken des rung. So könnten die Kirchen als Ge- keinen Grund die Türkei abzuwei- Apostels der Deutschen als dem Weg- burtshelfer für eine europäische sen, nur weil dann Christen und bereiter des christlichen Europas. Bürgergesellschaft dienen, denn die Muslime zusammen leben müssten. Bonifatius habe Männern drei Dinge Kirchen seien früher bestimmend in Es gebe jedoch geographische, wirt- zu sagen: „Seid missionarisch, tragt Europa gewesen und müssten auch schaftliche und politische Gründe Verantwortung für die Gesellschaft heute am Einigungsprozess beteiligt die Türkei nicht aufzunehmen. und gestaltet Europa. … Aus Glaube werden. Im neuen Europa werde es Lunte wies aber auch auf ein muss Kultur werden“, so Erzbischof ca. 260 Millionen Katholiken geben. mögliches Scheitern der EU-Verfas- Schick. Wichtig sei, sich einzumi- Lunte wies aber auch auf die Not- sung hin, wenn nämlich z.B. England schen und das Miteinander in unse- wendigkeit einer „innerkatholischen mit NEIN zur Verfassung stimme; es rem Land zu bestimmen. Auch dies Ökumene“ hin, weil die Unterschie- gebe auch die Möglichkeit, dass sei Aufgabe kirchlicher Verbände. de z.B. zwischen den katholischen Großbritannien aus der EU austrete. Bischöfen Englands und Öster- m dritten und letzten Tag der reichs oder zwischen holländi- Gender Mainstreaming AHaupttagung stellte Martin schen Katholiken und polnischen Rosowski, Hauptgeschäftsführer Priestern doch sehr groß seien. • Gender Mainstreaming geht von der Gleichwertigkeit der Männerarbeit der EKD und Im Entwurf zum Vertrag über (nicht Gleichheit) von Männern und Frauen aus. Generalsekretär des European Fo- eine EU-Verfassung stehe in der • Gender Mainstreaming ist eine politische Strategie rum of Christian Men, in einem Bei- Präambel u.a. „Schöpfend aus den zur Durchsetzung demokratischer Verhältnisse und trag „GESCHLECHTERGERECHTIG- kulturellen, religiösen und huma- Chancengleichheit zwischen Männern und Frauen. KEIT – EIN EUROPÄISCHES THEMA“, nistischen Überlieferungen Euro- • Gender Mainstreaming erweitert die bisherige ein aktuelles Thema der ökumeni- pas, deren Werte in seinem Erbe Frauenpolitik durch eine gezielte Männer- und sche Zusammenarbeit in der Män- weiter lebendig sind ...“ Die unter- Frauenförderung. nerseelsorge dar. Der Begriff der strichene Stelle solle zum Gottes- • Gender Mainstreaming hilft die biblische Perspektive Geschlechtergerechtigkeit ist auch bezug „vor Gott und den Men- der Gleichwertigkeit von Männern und Frauen auch bekannt unter dem Anglizismus schen“ geändert bzw. ergänzt wer- innerhalb der Kirche neu zu gestalten. „Gender Mainstreaming“ den, so Lunte. Vielleicht würden (Leitsätze dazu im Kasten). ❏

KATHOLIKENTAG IN ULM: Rückblick und Impressionen aus Sicht der Männerarbeit orbei“ – das werden die Ein- Stand der katholischen Männerarbeit ben den Podien gab es dort auch wohner von Ulm wohl teils nicht fehlen. Dort war für jeden und Workshops, Fotoausstellungen und „Vmit Wehmut, teils mit Er- jede (!) etwas dabei: verschiedene am Samstag ein Spielangebot für Vä- leichterung sagen. Für fünf Tage war Broschüren und Zeitschriften; ein ter und Kinder. Der geistigen und die Stadt an der Donau im Ausnah- Nagelbalken für die, die ihre Kraft leiblichen Erfrischung dienten mezustand, waren in der ganzen beweisen wollten; für Kinder die Gebetszeiten und Cafés. Ein Höhe- Stadt Schulen und öffentliche Ge- Möglichkeit, Bilder etwa zum Thema punkt war sicherlich die „Mystische bäude zu Vortrags- oder Schlafstätten „Mein Papa und ich“ zu malen; ein Nacht. Weibliche und männliche umfunktioniert, strömten Menschen- Plakat, auf das Frauen schreiben Stimmen aus jüdisch-christlichen massen durch die Gassen, wurde konnten, was sie den Männern schon Traditionen“, eine Hörfunkproduk- überall gefeiert, drängten sich Zehnt- immer mal sagen wollten; und natür- tion des SWR, die am Freitag von 22 ausende in die Busse und gab es lich die Gelegenheit zum Gespräch bis 24 Uhr in der Wengenkirche ur- spontanen Applaus, wenn sich die und zur Information. Ein herzliches aufgeführt wurde. Ein ökumenischer Türen der überfüllten Straßenbahn Dankeschön der ideenreichen und Männergottesdienst beendete das nach dem x-ten Versuch doch noch ausdauernden Standbesatzung! Männerprogramm des Zentrums. schlossen. Am anderen Ende der Stadt war Alles vorbei? Sicherlich nicht! Es war ein bunter, fröhlicher und in einem Gemeinde- und Bürger- Die vielfältigen Impulse des Katholi- – so sagen Beobachter – auch from- zentrum auf dem Eselsberg das kentags und insbesondere seine Le- mer Katholikentag. Besonders bei „Zentrum Frauen und Männer“ un- bendigkeit und Lebensfreude werden den „Orten der Begegnung“ auf dem tergebracht. Obwohl etwas abgele- weiterwirken. Und auch wir in der Messegelände zeigte sich, was sich gen, wurde das Angebot insgesamt Männerseelsorge werden so manchen alles im katholischen Spektrum tum- gut angenommen – manche Veran- Gedanken aus Gesprächen und Vor- melt. Da durfte natürlich auch der staltungen waren sogar überfüllt. Ne- trägen weiterverfolgen. (ASt Fulda)

AUFTRAG 255 83 AUS DER GKS

PERSONALIA: Verantwortung für den Weltdienst der Christen Ein gelungenes Beispiel für Laienapostolat – Helmut Fettweis als Pionier des Lokalfunks geehrt

bwohl er als aktiver Offizier • Zum einen die VERANSTALTERGE- der Redaktion, Humor, Verlässlich- der Truppengattung Panzer- MEINSCHAFT, in der die gesellschaft- keit und Amtsführung nach ethi- Ogrenadiere angehörte, wurde lichen relevanten Kreise einer schen Grundsätzen. Wörtlich fügte und wird Oberst a.D. Helmut Fett- Kommune vertreten sein sollen Stückrath hinzu: „Ihr unerschütterli- weis (84) häufig und vor allem bei und in der die programmatische cher christlicher Glaube und Ihr den zahlreich empfangenen Ehrun- und arbeitsrechtliche Verantwor- Glaube an das Gute im Menschen ha- gen den Pionieren zugerechnet – tung des Senders liegt. ben stets Ihr Handeln bestimmt. Die- allerdings im Sinne der „Männer der • Zum anderen die BETRIEBSGESELL- jenigen, die einmal einen Fehler be- ersten Stunde“. So auch am 7. Mai SCHAFT, welche die wirtschaftlichen gangen hatten, durften bei entspre- 2004 im Maritim Hotel Bonn. Die Grundlagen für das Funktionieren chender Einsicht durchaus auf Ihre „Veranstaltergemeinschaft Lokal- des Senders zu schaffen und si- menschliche Güte hoffen. Diejeni- funk Bonn/Rhein-Sieg e.V.“ ehrte mit cherzustellen hat. gen, die diese Eigenschaft ausnutzen einem Empfang den Gründungs- wollten und über die Strenge schlu- vorsitzenden Helmut Fettweis und Helmut Fettweis hatte in dem gen, (konnten) Ihre weitere Eigen- zugleich seine Vertreterin Dr. Marie Kollegialgremium der Veranstalter- schaften wie Ihren ausgeprägten Sinn Theresa Pörzgen. Beide legten nach gemeinschaft als Vorsitzender eine für Gerechtigkeit, Ihre Ordnungslie- 15-jähriger verdienstvoller und er- herausgehobene Stellung und war im be ... oder auch Ihre väterliche Stren- folgreicher ehrenamtlicher Tätigkeit Zweifel für alles zuständig. Dabei ge näher kennen lernen.“ ihre Ämter in jüngere Hände. kam ihm die administrative und jour- 1989 hatte Fettweis, damals nalistische Erfahrung, die er im lan- Auch das ist beispielhaft: In sei- noch Vorsitzender des Katholiken- gen Berufsleben als Offizier (1938- ner Abschiedsansprache dankte Fett- rates Bonn, den Vorsitz im zu grün- 1945, 1956-1979) und verantwortli- weis zunächst seinem Schöpfer, der denden lokalen Hörfunk übernom- cher Redakteur der Verbandszeit- ihm Gesundheit gegeben habe und men. Er war der Auffassung, die ka- schrift für katholische Soldaten Kraft, so lange dienen zu dürfen und tholische Kirche der Region müsse („Königsteiner Offizierbrief“ und weiterhin seiner Frau, „die wohl meist mit dabei sein und auf das neue Me- „auftrag“ 1966-1990) erworben hat- wohlwollend auch manche Spinnerei dium Einfluss nehmen. te, zugute. In der Laudatio hob der ertragen hat.“, und natürlich bezog er heutige Vorsitzende der Veranstal- Frau Dr. Pönzgen sowie alle Stellen Das Landesrundfunkgesetz NRW tergemeinschaft, Manfred Stückrath, und die Mitglieder der Veranstalter- (heute nach Modifikation „Landes- die besonderen Eigenschaften von gemeinschaft, der Betriebsgesell- mediengesetz“) sieht als Organisati- Fettweis hervor: Kreativität im Um- schaft und der Redaktion ein, die onsform für den Lokalfunk ein gang mit dem neuen Medium, finanz- zum Erfolg des Unternehmens beige- „Zwei-Säulen-Modell“ mit im We- politische Verantwortung, Teamgeist, tragen haben. Und wie konnte es bei sentlichen zwei Organen vor: Fürsorge gegenüber den Mitarbeitern dem immer noch agilen 84-Jährigen anders sein, zum Schluss richtete er noch gute Ratschläge an die Politik für die Fortentwicklung des Lokal- funks. (PS)

Zum Empfang waren zahlreiche Vetreter aus Politik, Kirche und Medien gekom- men. Im Bild v.l.: Frau Fettweis, Oberst a.D. Helmut Fettweis, Oberst a.D. Jür- gen Bringmann, Generalsekretär des Apostolat Militaire International (AMI), der als Bundesgeschäftsführer des Kö- nigsteiner Offizierkreises und der späte- ren GKS von 1966 bis 1990 Wegge- fährte von Fettweis im Laienapostolat der katholischen Militärseelsorge war, und OTL a.D. Paul Schulz, übernächster Nachfolger von H.F. (so das Redak- tionskürzel) als Chefredakteur AUF- TRAG, der als Ehrenbundesvorsitzender die heutige GKS vertrat. (Foto: PS)

84 AUFTRAG 255 AUS DER VERBANDSARBEIT

PERSONALIA: Bundesvorsitzender Karl-Jürgen Klein als Mitglied im ZdK wiedergewählt ie Arbeitsgemeinschaft der Tradition. In dem eigenverantwortli- Arbeitsgemeinschaft wählt alle vier katholischen Organisationen chen Handeln in der Gesellschaft Jahre 97 Persönlichkeiten in die DDeutschlands (AGKOD) hat sieht sie ein Wesensmerkmal des ge- Vollversammlung des ZdK. Zusam- auf ihrer Delegiertenversammlung meinschaftlichen Apostolates. men mit den 84 Vertretern der am 4. und 5. Juni in Bad Honnef 97 Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft Diözesanräte und 45 Einzelpersön- Persönlichkeiten für vier Jahre in die ist es, über gemeinsame Anliegen der lichkeiten bilden sie die Vollver- Vollversammlung des Zentralkomi- katholischen Organisationen in Kir- sammlung des Zentralkomitees der tees der deutschen Katholiken (ZdK) che, Staat und Gesellschaft zu bera- deutschen Katholiken (ZdK). Zwi- gewählt. Unter ihnen der Bundesvor- ten, gemeinsame Initiativen zu ver- schen den alle zwei Jahre tagenden sitzende der GKS, Oberst Dipl.-Ing. treten sowie den Gedanken- und Er- Delegiertenversammlungen nimmt Karl-Jürgen Klein, der von einer so- fahrungsaustausch seiner Mitglieds- ein elf-köpfiger Vorstand die Aufga- liden Mehrheit der Delegierten wie- organisationen zu fördern. ben der AGKOD wahr. (PS) dergewählt wurde. Klein gehört damit Die Delegiertenversammlung der seit 1996 dem höchsten Laiengre- mium der deutschen Katholiken an. ANZEIGE Der Ehrenbundesvorsitzende der GKS, Oberstleutnant a.D. Paul Schulz, der die GKS von 1987-1996 und anschließend die Gemeinschaft der katholischen Männer Deutsch- lands (GKMD) im ZdK vertrat, hatte auf eine Wiederwahl verzichtet. Schulz bleibt allerdings Mitglied im Vorstand der AGKOD. Für die GKMD wurde ihr Präsi- dent, Fanz-Josef Schwack, wieder- gewählt. Er gehört seit 2000 dem ZdK als Verbändevertreter an. Für die Bundesvereinigung der Männergemeinschaften und Männer- werke wurde Dr. Albert Wohlfarth neu in das Katholikengremium ge- wählt.

Wer und was ist die AGKOD In der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Organisationen Deutschlands (AGKOD) sind rund 125 katholische Verbände, Geistli- che Gemeinschaften und Bewegun- gen, Säkularinstitute sowie Aktionen, Sach- und Berufsverbände sowie Ini- tiativen zusammengeschlossen, die auf überdiözesaner Ebene tätig sind. Die in der Arbeitsgemeinschaft zusammengeschlossenen Organisati- onen stehen für rund 6 Millionen Mitglieder. In Deutschland haben die im 19. Jahrhundert im Umfeld der bürgerli- chen Freiheitsbewegung entstande- nen katholischen Verbände dem deutschen Katholizismus eine histo- risch unverwechselbare Gestalt gege- ben. Die AGKOD wurzelt in dieser

AUFTRAG 255 85 AUS44. WOCHE DER GKS DER BEGEGNUNG Einladung zur 44. Woche der Begegnung vom 12. bis 17. September 2004 im Ludwig-Windthosthaus in Lingen Leitthema: Leben aus Gottes Kraft – ehrenamtliches Laienengagement“ 10.-12. September Vorkonferenz für den Vorstand der Zentralen Versammlung (ZV) und den Bundesvorstand der GKS 13.-15. September Zentrale Versammlung (ZV) 15.-17. September Bundeskonferenz (BuKonf) der GKS

Programmauszug Sonntag, 12.09. – ZV Donnerstag, 16.09. – BuKonf bis 16.00 Uhr Anreise für Delegierte der ZV, Sachaus- 07.30 Uhr Gottesdienst schussmitglieder und Gäste 09.00 Uhr Plenum: Vortrag mit Aussprache zum 17.00 Uhr Eröffnungsgottesdienst Thema „Leben aus Gottes Kraft – 19.30 Uhr Eröffnung der ZV eherenamtliches Laienengagement“, Prof. DDr. Michael N. Ebertz, Freiburg Montag, 13.09. – ZV 13.15 Uhr Mitgliederversammlung des Förderkreises der GKS (FGKS) 07.45 Uhr Morgeninpuls 14.00 Uhr Plenum mit Diskussion des Vormittag- 09.00 Uhr ZV: Vortrag zum Thema: „Kirchliches vortrags in Arbeitsgruppen Ehrenamt – Standortbestimmung und 15.00 Uhr Ausflug, gemeinsames Abendessen mit Zukunftsorientierung“, Dr. Peter Abel, Verabschiedungen Hildesheim Aussprache zum Referat Freitag, 17.09. – BuKonf 15.00 Uhr Fortsetzung der ZV 07.30 Uhr Gottesdienst 18.00 Uhr Gottesdienst mit Militärbischof 09.00 Uhr Plenum mit Diskussion/Veranschiedung Dr. Walter Mixa von Beschlüssen/Erklärungen Die Arbeit der GKS im folgenden Jahr, Dienstag, 14.09. – ZV Jahresthema der GKS 07.45 Uhr Morgenimpuls 12.30 Uhr nach dem Mittagessen Ende der 09.00 Uhr Fortsetzung der Beratungen in der ZV Bundeskonferenz und Abreise 14.00 Uhr Pressekonferenz 15.00 Uhr Fortsetzung der ZV Teilnahme an der Woche der Begegnung: bis 16.00 Uhr Anreise der Delegierten der Bundes- konferenz der GKS Die Arbeitskonferenzen (AK) bei den KLMD wählen 18.00 Uhr Pontifikalamt mit dem Militärbischof in die Delegierten aus den Seelsorgebezirksräten für der Stadtkirche St. Bonifatius, Lingen die ZV. Der Vorstand der ZV regelt die Teilnahme von 20.00 Uhr Empfang im Ludwig-Windthorst-Haus Mitgliedern seiner Sachausschüsse. Für die GKS erfolgt die Wahl der Delegierten zur ZV Mittwoch, 15.09. – ZV und BuKonf in den Bereichskonferenzen nach einem vom Bun- desvorstand vorgegebenen Schlüssel. 07.30 Uhr Gottesdienst, Die GKS-Kreise entsenden zur Bundeskonferenz je nach dem Frühstück Abreise der einen Delegierten. Anprechpartner in Standorten Teilnehmer an der ZV ohne GKS-Kreis können nach verfügbarer Kapazität 09.00 Uhr Bundeskonferenz der GKS (BuKonf) an der Bundeskonferenz teilnehmen; Meldung über Eröffnung, Berichte und Grußworte Bereichsvorsitzende/Bundesgeschäftsführer. Vorsit- Aussprache zu den Berichten zende der Sachausschüsse regeln die Teilnahme von 15.00 Uhr Einführung in Entwürfe für eine Satzung Sachausschussmitgliedern in Absprache mit dem der GKS nach dem BGB und für anzu- Bundesgeschäftsführer. passende Grundlagendokumente wie Einzelheiten zur Teilnahme, Verwaltungsbestimmun- „Wege und Ziele“, „Geschäftsordnung“ gen und ausführliches Programm ergehen durch das 19.30 Uhr Sitzung des Bundesvorstandes KMBA.

86 AUFTRAG 255 FÖRDERKREIS DER GKS

Förderkreis der Gemeinschaft Katholischer Soldaten (FGKS) – Vorstand –

Einladung zur Mitgliederversammlung des FGKS am 16. September 2004 im Ludwig-Windhorst-Haus in Lingen

Drensteinfurt, den 29. Juni 2004

Sehr geehrte Mitglieder,

der Vorstand des Förderkreises der Gemeinschaft Katholischer Soldaten (FGKS) lädt zur

jährlichen Mitgliederversammlung ein.

Termin: Donnerstag, 16. September 2004

Zeit: Beginn 13:15 Uhr , Ende ca. 14:30 Uhr

Ort: Ludwig-Windthorst-Haus in Lingen (Ems)

Kosten: sind gem. Satzung einschließlich der Fahrtkosten selbst zu tragen.

Tagesordnung: 1. Berichte des Vorstandes

2. Bericht der Kassenprüfer

3. Entlastung des Vorstandes

4. Wahlen: 2 Kassenprüfer

5. Verschiedenes

Mitglieder des FGKS, die an der Mitgliederversammlung teilnehmen wollen, melden sich bitte bis Montag, 30. August 2004

schriftlich an – per Fax (030 – 206 199 91 ) oder per E-Mail ([email protected]) –

bei der Geschäftsstelle der GKS, z.Hd. Bundesgeschäftsführer, Oberst a.D. Dr. Achmann,

Am Weidendamm 2, 10117 Berlin.

Mit freundlichen Grüßen gez. der Vorstand des FGKS

AUFTRAG 255 87 Buchbesprechungen

Friedensethik Zeitgeschichte Religion und Kirche Christoph Goldt: Wolfgang Heinrich „Mission Frieden. Bahlke: „Nur Reinhardt: Christliche Offen- nicht mit den „Johannes. Die sive für eine neue Wölfen heulen. Rede von Gott“. Weltordnung“. Eine Jugend in St. Ulrich Ver- St. Ulrich Verlag, Neuruppin lag, Augsburg Augsburg 2004, 1945-1953“. 2004, geb., 176 216 Seiten. Bibliothek der Seiten. Ein Buch, wie ge- Zeitzeugen (13), „Am Anfang schaffen für Soldaten, Zeitgut Verlag, war das Wort, und die sich in ihrem Berlin 2004; das Wort war bei Dienst an der kirchli- 136 S., Fotos u. Gott, und Gott chen Friedens- und Dokumente. war das Wort.“, Soziallehre orientie- „Wer nicht so beginnt das ren und im Auftrag des mit den Wölfen Evangelium des II. Vatikanischen Konzil „Diener der Sicher- heulte, hatte es Johannes. Der Evangelist Johannes ist die heit und Freiheit der Völker“ sein wollen. Wer schwer“, erinnert sich Wolfgang Bahlke (Jg. rätselhafteste Gestalt des Neuen Testa- gibt in der gegenwärtig verworrenen Weltlage 1937) an seine Zeit in der Sowjetische Be- ments. Bei ihm ist von Geschehnissen zu mehr Orientierung als der alte, körperlich satzungszone und späteren DDR. Bahlke lesen, von denen die drei anderen Evangeli- kranke Mann auf dem Stuhl Petri in Rom? beschreibt die Verhältnisse während der Ge- en nichts schreiben. Offenbar berichtet Jo- Papst Johannes Paul II. gilt als einer burtsphase des realen Sozialismus fesselnd hannes als unmittelbarer Augenzeuge. Sich der erfolgreichsten Realpolitiker der Jahr- und zeitgeschichtlich informativ. selbst nimmt der Evangelist dabei vollkom- tausendwende. Der Papst aus Polen, der Als Flüchtlingskind aus Pommern kam men zurück. Er ist bloß das Sprachrohr sei- maßgeblich zum Sturz des Kommunismus in der Autor 1945 nach Neuruppin, wo er mit nes Herrn Jesus Christus, der in einer At- Europa beitrug, zeigte sich vor und während einem russischen schlitzohrigen Soldaten mosphäre von äußerster Dichte um so deut- des Irak-Krieges Anfang 2003 als der profi- einen kleinen illegalen Schnapshandel be- licher hervortritt. Der Leser des Johannes- lierteste Kriegsgegner und Gegenspieler trieb. Flexibilität war gefragt, auch später evangeliums meint am Ende, den Herrn von George W. Bush. Sein entschiedenes als er sich dem neuen sozialistischen Den- greifbar vor sich zu sehen und zu hören. „Nein zum Krieg“ war kein pazifistischer ken anpassen sollte. Doch statt der FDJ Heinrich Reinhardt – Priester, Hochschul- Reflex. Durch die Jahrhunderte haben die beizutreten, wurde er Mitglied der evangeli- lehrer und einer der vielleicht letzten Uni- Päpste in differenzierten Stellungnahmen und schen „jungen Gemeinde“ und beharrte versalgelehrten – will mit seinem spirituel- diplomatischen Initiativen immer wieder um allzu oft auf seiner eigenen Meinung. Damit len Werk über das Johannes-Evangelium den Frieden gerungen. Im Buch „Mission zog er sich den Ärger einiger Funktionäre neue Maßstäbe für die „Rede von Gott“ Frieden“ zeigt der Politikwissenschaftler und und Lehrer zu. Am 1. April 1953 wurde er setzen und, wie er in seinem Vorwort Theologe Christoph Goldt, welche Perspek- von der Schule verwiesen. Der inzwischen schreibt, „eine biblisch verwurzelte Theolo- tiven internationaler Politik sich aus den 16-jährige Oberschüler erkennt, die DDR gie des Wortes und der Sprache begründen.“ Verlautbarungen von Johannes Paul II. und ist eine Sackgasse für sein Leben. Er sucht Trotz unzähliger Johannes-Kommenta- seinen Vorgängern ergeben. Appelle der die Freiheit und entflieht über West-Berlin in re, die im Laufe der Jahrhunderte geschrie- Päpste wurden oft als utopisch belächelt. die Bundesrepublik. Wenige Tage später ben wurden, so der Autor, habe bis heute Goldt zeigt, wie der Papst, der das Amt eines folgt die Familie. niemand die radikale Anstrengung aus sich religiösen und gleichzeitig weltlichen Ober- Wolfgang Bahlke trat 1956 als Offizier- genommen, Jesus Christus als „das Wort hauptes vereint, dafür steht, was Politik von anwärter in die Bundeswehr ein, wurde Hub- schlechthin“ zu verstehen. Denn Jesus trete der Wurzel her eigentlich sein will: Dienst schrauberpilot bei den Heeresfliegern. mit dem Anspruch auf, Gott von der Mitte am Gemeinwohl, Diplomatie, Verhandlun- Heute lebt der 1994 pensionierte Oberst- seiner Persönlichkeit her zu kennen. Er be- gen und Verträge. leutnant in Kaiserslautern. weise das durch seine Verkündigung, die Goldt denkt die Friedensidee der Päps- Mit der Buchreihe ZEITGUT hat sich glaubwürdig alles Wesentliche über Gott te weiter. Wie verhält sich die katholische der Verlag die Aufgabe gestellt, in Zeitzeu- aussage. Jesus rede durch sein ganzes Da- Friedensethik zu den zeitgenössischen Ent- gen-Erinnerungen das gesamte 20. Jahr- sein – gerade durch seinen Tod und seine würfen internationaler Sicherheit? Wie steht hunderts dazustellen. Bisher sind 18 Sam- Auferstehung – von Gott. Das sei mehr, als sie dem Völkerrecht und den Menschen- melbände erschienen. Gerade junge Men- Menschen können, unterstreicht Reinhardt, rechten sowie deren Weiterentwicklung ge- schen haben mit den Texten dieser Reihe und er sieht darin die höchste Vollendung genüber? Goldt entwirft die Prinzipien einer die Möglichkeit, das Leben der Eltern- und des Sprechens. Der Autor verwendet eine christlich inspirierten „Weltinnenpolitik“ im Großeltern-Generation kennen und verste- eigene, eng an den griechischen Urtext an- Zeitalter von Globalisierung, Krieg und hen zu lernen. Zur Vervollständigung der gelehnte Bibelübersetzung, die sich deutlich weltweitem Terror. Dabei unterzieht er das Textsammlung von bisher rund 2.000 Zeit- von der geläufigen Einheitsübersetzung un- internationale System der letzten zweihun- zeugen werden weitere episodenhafte Erin- terscheidet. Das Buch ist aber trotz der the- dert Jahre einer aufregenden Analyse. nerungen gesucht, die in einer BIBLIOTHEK ologisch-philosophischen Erörterungen ei- Das Buch bietet zugleich eine Ausein- DER ZEITZEUGEN gesammelt werden. Weitere nes „schwierigen“ Evangeliums interessant andersetzung mit den wichtigsten Institutio- Informationen gibt es im Internet unter geschrieben, flüssig zu lesen und die Argu- nen internationaler Politik und deren völker- >www.zeitgut.com<. ❏ mente leuchten ein. ❏ rechtlichen Grundlagen mit einer Auswahl von Originaltexten aus der UN-Charta und „Schluss mit dem Krieg! Schluss mit der Aus: Gudrun Griesmayer und Stefan der Deklaration der Menschenrechte sowie Zerstörungswut! Es darf nicht länger eine Liesenfeld: „Gott steht auf der Seite des anderen wichtigen Dokumenten. – Themen Situation geduldet werden, die nur Früchte Menschen. Hundert Worte von Joh. Paul mit denen sich auch die GKS (und das nicht des Todes hervorbringt: Morde, zerstörte II“. Verlag Neue Stadt, München u.a. nur im Sachausschuss „Sicherheit und Frie- Städte, zusammengebrochene Wirtschafts- 2004, geb., 112 Seiten. den“) auseinander zu setzen hat. Dies zu systeme, Krankenhäuser ohne Medikamen- Ein Querschnitt durch das Denken ei- mal der Kampf gegen den Terrorismus auch te, sich selbst überlassene Kranke und Alte, nes Papstes, in dessen Wirken die Sorge um in traditionell demokratisch verfassten Staa- trauernde und zerrissene Familien. Der Frie- die Menschen im Mittelpunkt steht. ten zu Völkerrechtsverstößen, Menschen- de ist möglich, wenn anerkannt wird, dass Für alle Freunde von Joh. Paul II., für rechtsbeschränkungen und auch zu Überle- die sittlichen Werte Vorrang haben vor den alle, die ihn durch 100 persönliche Aussa- gungen zur Legitimität von Folter führt. ❏ Ansprüchen der Rasse oder der Macht.“ gen näher kennenlernen wollen. ❏

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Zeugen des Glaubens Basisthemen des Glaubens

ZU GUTER LETZT

Hölle In der Reihe „Zeugen des Glaubens“ Eine neue Taschenbuchreihe zu Basis- des St. Ulrich Verlages, Augsburg, die in themen des christlichen Glaubens ist im von Menschenhand früheren Ausgaben unserer Zeitschrift Augsburger Sankt Ulrich Verlag erschienen. bereits vorgestellt wurde (z.B. AUFTRAG Ziel der neuen Reihe im handlichen Pocket- Wenn ihr euch entschieden habt, dass jedes Nr. 250, S. 104, „Augustinus“ und „Mutter Format mit dem Titel „FUNDAMENTE“ ist ungeborene Leben getötet werden darf, Teresa“) sind zwei neue Bändchen zur Be- die theologisch fundierte aber leicht ver- gegnung mit heute sehr und über die katholi- ständliche Aufbereitung von Fundamental- wenn ihr davon überzeugt seid, man dürfe sche Konfession hinaus populären Heiligen wissen über den christlichen Glauben. Die Alte und Kranke einschläfern, erschienen: ersten drei Bände lassen bereits die Zusam- wenn die Ehe zum Zeitvertrag zwecks Paul Zahner: „Franz von Assisi mensetzung der Autoren aus jungen enga- begegnen“, 124 Seiten. gierten Wissenschaftlern der katholischen sexueller Befriedigung geworden ist, Viki Ranff: „Edit Stein begegnen“, Theologie und weltweit anerkannten Spit- wenn Kinder für euch Spielzeug 152 Seiten. zentheologen erkennen. oder Rentenversicherungsgaranten sind, Beide Schriften folgen dem bewährten Der Band „PRIESTER CHRISTI“ des ameri- Muster: biografische Angaben zur Person kanischen Jesuiten Avery Kardinal Dulles, wenn ihr den Nächsten nur noch am Anfang, Inhaltsverzeichnis zum Auffin- der als erster amerikanischer Theologe in als Objekt und Instrument anseht, den bestimmter Lebensabschnitte und im den Kardinalsstand erhoben wurde, gibt auf Anschluss an den eigentlichen Text noch ein rund hundert Seiten eine ebenso bündige wie wenn ihr euch selber verwirklicht Kapitel mit Lesetipps zu weiterführender Li- anregende Darstellung des priesterlichen auf Kosten der anderen, teratur, Filme und deutschsprachige Inter- Amtes in der katholischen Kirche. netadressen. Im Text befinden sich zahlrei- Ein weiterer Band mit dem Titel „DIE wenn ihr verlernt habt zu teilen che Randbemerkungen, die Orts-, Personen- TUGENDEN. WERTE ZUM LEBEN“, dessen Auto- und nur noch nehmen wollt, namen und Fachbegriffe erläutern sowie rin die schweizerische Journalistin und Quellenangaben enthalten. Heilpädagogin Pia Bühler ist, stellt die klas- wenn ihr aus Wissenschaft und Forschung Paul Zahner (Jg. 1966), selbst Fran- sischen Tugenden Klugheit, Gerechtigkeit, jede Ethik verbannt habt, ziskanerpriester, zeichnet ein realistisches Tapferkeit und Maß in ihrer Bedeutung für Bild von Franz von Assisi, dem „Bruder aller das Leben moderner Christen dar und zeigt wenn die Kunst zur Unterhaltungsindustrie, Menschen“. Der Ordensgründer und Bettel- auf, wie das Christentum die klassischen zur intellektuellen Selbstbefriedigung mönch wurde durch seine Option für die Tugenden neu interpretiert und weiterentwi- verkommen ist, Armut und seine Liebe zur Schöpfung zum ckelt hat. Vorbild der Christen. „Fast alle mögen ihn, Abgerundet wird die erste Staffel der wenn ihr den Verstand ausschließlich doch jeder hat ein anderes Bild von Franzis- neuen „FUNDAMENTE-Reihe“ durch den zur Rechtfertigung eurer Wünsche benützt, kus“, schreibt Zahner in der Einführung. Band „DER UNTERSCHIED. WAS CHRISTEN AUS- wenn ihr nur noch das glaubt, „Die einen verehren ihn als Umweltschützer MACHT“ aus der Feder der habilitierten Augs- und Naturmystiker, andere als geistlichen burger Theologin Gerda Riedl. Riedl arbei- was ihr messen, wiegen zählen könnt, Meister und Heilgen aller Religionen, wie- tet in kompakter und griffiger Form heraus, wenn ihr alle Werte durch Regeln der andere sehen in ihm einen Narren Gottes“. worin sich christliches Leben unterscheidet Doch wer war Franziskus wirklich? Zahner und welchen Einfluss christlicher Glaube der Bedürfnisbefriedigung ersetzt habt, zeichnet mit seinem Buch ein ungeschmink- auf die Sicht der Welt hat: Eine persönliche wenn ihr nur noch eure eigene Stimme hört, tes und ehrliches Portrait des außergewöhnli- Bestandsaufnahme für Christen und solche, chen Menschen Franz von Assisi. die es werden wollen. nur noch auf euch selber schaut, Die Religionsphilosophin Dr. Viki Ranff Der Sankt Ulrich Verlag will mit der wenn ihr auf andere Völker und Kulturen setzt sich mit einer der großen Frauen des 20. neuen Reihe eine Lücke im Bereich der mit Verachtung herunterschaut , Jhs. auseinander. Die Ordensfrau Edith Stein, populären Vermittlung christlichen Grund- die 1942 wegen ihrer jüdischen Abstammung wissens schließen und Gläubigen wie inter- wenn niemand mehr von eigener Schuld im KZ Auschwitz ermordet wurde, war 1922 essierten (Noch-)Nicht-Christen einen spricht, und keiner mehr bereuen will, zum katholischen Glauben konvertiert und leichten Zugang zu christlichen Grund- 1933 in das Kölner Karmelkloster eingetre- wahrheiten eröffnen dann habt ihr euch selber zerstört ten. 1966 wurde sie heiliggesprochen. „Woll- te man das Lebensschicksal Edith Steins in Avery Kardinal Dulles: „Priester und werdet alles Geschaffene zerstören einem Satz zusammenfassen, müsste man Christi“, kart., 112 Seiten. und ihr habt jenen Zustand geschaffen, von ihr als Jüdin, Atheistin, Konvertitin, Leh- Pia Bühler: „Die Tugenden. Werte zum rerin, Karmelitin und NS-Opfer sprechen, Leben“, kart., 128 Seiten. den man einmal die Hölle genannt hat. aber auch von der heiligen und Mitpatronin Europas“, schreibt Ranff. Die Autorin gibt Gerda Riedl: „Der Unterschied. Paul Roth einen tiefen und authentischen Einblick in Was Christen ausmacht“, kart., Leben und Werk der Heiligen. ❏ 125 Seiten.

AUFTRAG 254 89 Termine • Termine • Termine

Allgemeine Termine Sachausschüsse 2004 August Innere Führung (IF) 21.06., 27.09., 22.11. in Bonn 14.08. – 22.08. Jugendlager in Österreich Sicherheit und Frieden (SF) September 24.09. in Bonn 10.09. – 12.09. Vorkonferenz zur WdB 2004, Lingen 29.–31.10. in Berlin (mit Ehefrauen) 12.09. – 17.09. 44. WdB, Lingen-Holthausen Internationaler Sachausschuss (IS) 12.09. – 15.09. ZV 05.–07.11. in Berlin 15.09. – 17.09. BuKonf GKS Vorschau 2005 28.09. Friedensgottesdienst in Sondershausen mit Bischof Dr. Joachim Wanke 20.01. Int. Soldatengottesdienst, Köln 28.01. Jahresempfang MGV für Vorst. ZV und Oktober EA GKS, Berlin 18.10. – 21.10. 49. Gesamtkonferenz, Untermarchtal 29.01. Sitzungen Vorst. ZV und EA GKS, Berlin 15.10. – 17.10. AK NRW, Günne 18.02. Gespräch Vorstände GKS u. pax christi, 18.10. – 23.10. Familienwochenende der GKS NRW, Bonn Bischofsreut 20.04. – 24.04. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 20. – 24.10. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 29.04. – 30.04. Vollversammlung ZdK (Neuwahlen) 28.10. – 29.10. AK/BK Bereich Ost, Dresden 25.05. – 31.05. 47. Internat. Lourdes-Wallfahrt November 25.05. – 29.05. 30. Evangelischer Kirchentag, Hannover 23.10. – 01.11. Soldatenwallfahrt Koblenz I nach Rom 08.06. – 12.06. Seminar 3. Lebensphase, Cloppenburg 07.11. – 09.11. AK/BK GKS NS-HB, Worphausen oder 11.08. Vorstand ZV, Berlin Stapelfeld 16.08. – 21.08. Weltjugendtreffen, Köln 13.11. Vorstand ZV, Berlin 10.09. – 12.09. Vorkonferenz 45. WdB, Hamminkeln 19.11 – 20.11. Vollversammlung ZdK 12.09. – 17.09. 45. WdB, Akademie Klausenhof, 19.11 – 20.11. Einkehrtage (Tag der Besinnung) Hamminkeln für Generale u. Admirale 19.10. – 23.10. Seminar 3. Lebensphase, Nürnberg 26.11 – 28.11. Seminar für neue Funktionsträger 07.11. – 11.11. Akademie Oberst Helmut Korn, Fulda der GKS, Bergisch-Gladbach 12.11. Vorstand ZV, Berlin Dezember 18.11. – 19.11 Vollversammlung ZdK 03.12. – 05.12. Bereich Rh-Pf/Hessen/ Saarland, Familienwochenende Kloster Engelport Vorschau 2006 11.12. Teilnahme Kath. Militärbischof an 23.–24.05. Vollversammlung ZdK, Saarbrücken Stallweihnacht in Bad Reichenhall 24.–28.05. 96. Deutscher Katholikentag, Saarbrücken 24.–25.11. Vollversammlung ZdK

VERWENDETE ABKÜRZUNGEN: AGKOD – Arbeitsgemeinschaft Katholischer Organisationen Deutschlands, AK KLMD – Arbeitskonfe- renz beim Katholischen Leitenden Militärdekan in ..., AMI – Apostolat Militaire International, BK – Konferenz der GKS im Be- reich ..., BuKonf – Bundeskonferenz, BV GKS – Bundesvorstand der GKS, EA – Exekutivausschuss, GKMD – Gemeinschaft der katholischen Männer Deutschlands, IS – Internationaler Sachausschuss, MGV – Militärgeneralvikar, SA InFü – Sachausschuss „Innere Führung“, SA S+F – Sachausschuss „Sicherheit und Frieden“, SA KI – Sachausschuss „Konzeption und Information“, WB – Wehrbereich, WdB – Woche der Begegnung, ZV – Zentrale Versammlung, VV ZdK – Vollversammlung des Zentralkomi- tees der deutschen Katholiken

90 AUFTRAG 254 ANZEIGE Autoren

(soweit keine Angaben beim Beitrag) Achmann, Dr. Klaus Oberst a.D., Bundesgeschäftsführer der GKS, Vertreter der GKS in der deutschen Kommission Justitia et Pax. Bühl, Hartmut Oberst a.D., zahlreiche sicherheitspolitische, militärische und friedensethische Publikationen. Dorndorf, Heinrich Hauptmann a.D., Geschäftsführer der GKS im Bereich Rheinland-Pfalz, Hessen, Saarland, Beauftragter der GKS für RENOVABIS. Geyer, Thomas W. OSB Benediktiner, Vertreter der Benediktinerabtei Hagia Maria Sion, Jerusalem, in Deutschland mit Sitz in Hildesheim. Görlich, Joachim Georg Magister, freier Journalist, Schwerpunkt mittel- und osteurop. Gesellschaften. Jermer, Helmut Oberstleutnant a.D., Pressesprecher der GKS. Häckl, Helmut Beauftragter für Presse- und Öffentlichkeitarbeit im Seelsor- ge-bezirksrat beim Kath. Standortpfarrer Ingolstadt Kestel, Msgr. Georg Militärdekan, Leiter Referat IV „Seelsorge“ im KMBA, Bischöflicher Beauftragter für die Zentrale Versammlung und Geistlicher Beirat der GKS auf Bundesebene. Kralic, Franz Hofrat, Brigadier im österreichischen Bundesheer, wissen- schaftlicher Beirat der Österreichischen Gesellschaft für Kulturgüterschutz in Wien. Liebetanz, Klaus Major a.D., Dörverden/Aller; Berater für humanitäre Hilfe im Ausland. Roth, Dr. Paul em. Prof. für Politikwissenschaft an der Universität der Bundeswehr München. Schnarrer, Johannes Michael Prof. Dr. phil.Dr. theol., Jg. 1965; Mitarbeiter im Institut für Ethik in den Wissenschaften an der Landesakademie St. Pölten; Gastprofessor für Philosophie und Ethik am deutschsprachigen Zweig der Uni in Klausenburg (Cluj/Rumänien). Schulz, Björn F. Dipl.-Pol. und Major i.G., Stabsoffizier im Führungsstab der Streitkräfte, Bonn. Stuff, Eckhard Journalist; am Sender Freies Berlin zuständig für die Aus- und Weiterbildung des Nachwuchses und der Mitarbeiter. Veröffentlichungen im AUFTRAG.

AUFTRAG 254 91 Impressum Das Kreuz der GKS AUFTRAG ist das Organ der GEMEINSCHAFT Das »Kreuz der GKS« ist das Symbol KATHOLISCHER SOLDATEN (GKS) und der Gemeinschaft Katholischer Soldaten. erscheint viermal jährlich. Vier Kreise als Symbol für die GKS-Kreise Hrsg.: GKS, Am Weidendamm 2, an der Basis formen in einem größeren 10117 Berlin Kreis, der wiederum die Gemeinschaft www.katholische-soldaten.de versinnbildlicht, ein Kreuz, unter dem Redaktion: verantwortl. Redakteur Paul Schulz (PS), Oberstleutnant a.D., Satz und Layout; sich katholische Soldaten versammeln. Klaus Brandt (bt), Oberstleutnant a.D., Redakteur; Helmut Fettweis (HF), Oberst a.D., Redakteur; Zuschriften: Redaktion AUFTRAG c/o Paul Schulz, Postfach 3768, 51537 Waldbröl, Tel/Fax: 02291–900461, e-Mail: [email protected] Für unverlangte Einsendungen wird keine Haftung übernommen. Namensartikel werden allein vom Verfasser verantwortet. Nicht immer sind bei Nachdrucken die In-haber Der Königsteiner Engel von Rechten feststellbar oder erreich-bar. In solchen Ausnahmefällen verpflichtet sich der Der »siebte Engel mit der siebten Posaune« Herausgeber, nachträglich geltend gemachte (Offb 11,15–19) ist der Bote der Hoffnung, rechtmäßige Ansprüche nach den üblichen der die uneingeschränkte Herrschaft Gottes Honorarsätzen zu vergüten. Druck: Köllen Druck & Verlag GmbH, ankündigt. Dieser apokalyptische Engel am Ernst-Robert-Curtius-Str. 14, 53117 Bonn. Haus der Begegnung in Königstein/Ts., dem Überweisungen und Spenden an: Förderkreis Gründungsort des Königsteiner Offizier- der GKS (FGKS e.V.), Pax Bank eG Aachen, kreises (KOK), ist heute noch das Tradi- BLZ: 391 601 91, Konto-Nr.: 1009439010. tionszeichen der GKS, das die katholische Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit Laienarbeit in der Militärseelsorge seit Genehmigung der Redaktion und mit Quellenangabe. Nachbestellung gegen mehr als 40 Jahren begleitet. eine Schutzgebühr von EUR 5,- an den ausliefernden Köllen Verlag.

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