Zermatt anno dazumal

EG PASS- UND WEGVERBINDUNGEN

Der Theodulpass war bereits in der Stein- zeit, mit Sicherheit jedoch zur Zeit der Rö- mer, zur Zeit der Walserwanderungen, im Mittelalter und in den späteren Jahrhun- derten einer der bedeutendsten Alpen- pässe des Kantons Wallis (vergleiche «Der Theodulpass, Teil 1–3», Inside 2013). Aus den fünf Oberwalliser Zenden, , Raron, Leuk, Siders und Sitten, be- standen Wegverbindungen mit Zermatt.

Col d’Hérens Die wichtigste Handelsverbindung als Fortsetzung der Theodulpassüberquerung und von Zermatt Richtung Norden in fünf Oberwalliser Zenden und von hier Richtung Berner Oberland und Bern führte über den Col d’Hérens. Dieser Pass war bereits den Römern bekannt, wie entsprechende Fun- de im Val d’Hérens (Eringertal) belegen. Um ca. 1200, als sich die Gletscher zurück- bildeten, begann ein reger Handelsverkehr für mehrere Jahrhunderte von Norditalien über den Theodulpass nach , über den Col d’Hérens nach Sitten. Auf ihrem Weg machten die Handelsleute sehr oft einen Zwischenhalt in Zmutt, wo sie in der alten Herberge im «wyss Hüs» abstiegen. Dies war ein stattlicher, um 1595 errichte- ter zweistöckiger Bau mit einem geräumi- gen Steingewölbe, welcher als Weinkeller diente. Kulturelle- und familiäre Bande verknüpf- ten Zermatt mit dem Eringertal. Viele Zermatter waren zu jener Zeit nach Sitten Chibrücke bei , erbaut von Ulrich Ruffiner 1544/1545 oder nach Saint-Martin ausgewandert, der wichtigsten Gemeinde im Val d’Hérens. Im Pfarrarchiv von Saint-Martin finden sich Spezereien, Salz, Seide und Haushaltsge- Als die Gebrüder Christoph und Paul Fur- te noch grossartige sakrale und profa- in alten Dokumenten zahlreiche Zermat- genstände. tenbach, Kaufmänner aus Genua, im Wal- ne Werke von seinem Schaffen, so unter ter Geschlechtsnamen wie Rudaz (Ruden), Aus den fünf Oberwalliser Zenden und aus lis Salzhandel betreiben wollten, sah der anderem die Burgkirche von Raron, die Juolis (Julen), Wyestiner, Perres (Perren) Zermatt wurden im Gegenzug landwirt- Landrat zu Sitten im Juni 1602 die Mög- Wallfahrtskirche von Glis, der Kirchturm oder Zermatten, welche eindeutig auf die schaftliche Produkte, Käse, Felle, Häute, lichkeit, mit deren Hilfe einen Weg durch von Naters und die spätgotische Kirche in Herkunft hinweisen. Wolle sowie Schafe, Ziegen und Kühe ge- diese Schluchten zu erstellen. So teilte er Ernen. Manch eine von Ruffiner erstellte Im 14. Jahrhundert war die Zermatter gen Süden gebracht. den Herren Furtenbach mit, sie könnten Strasse im Rhonetal und in den Seitentä- Bevölkerung in Saint-Martin so sehr an- Handelsleute aus den beiden Zenden Raron eine Wagen- oder Schlittenstrasse von lern sowie einige Brücken, wie die Chibrü- gewachsen, dass am 14. April 1364 diese und Leuk brachten ihre Waren durch das Vispbach bis zu der Matt (Zermatt) für den cke in Stalden, erleichterten den Verkehr ein Gesuch um Entsendung eines deutsch- Turtmanntal, über den Augstbordpass zur Salzhandel auf ihre eigenen Kosten erstel- in unseren Gegenden. sprachigen Kaplans für die Zermatter nach Siedlung «Alpe Jungen». Hier machten sie len oder erstellen lassen. Saint-Martin, an den Bischof Tavelli in Sit- einen Zwischenhalt und erfrischten sich an Der damalige Handelsweg führte von Simplon ten, einreichten. einer damals viel beachteten Mineralquel- Visp über –Törbel––Gasen Mit dem Ausbau der Simplonpassstrasse Während Jahrhunderten pilgerten die Zer- le. Von hier stiegen sie einen schmalen (St. Niklaus) oder über Stalden–Törbel– im 18. Jahrhundert und vor allem durch matter in einer Prozession nach Sitten, wo Pfad hinunter nach Chouson oder Gasen, Embd–Gasen nach Zermatt. Auf der an- Napoleon verloren die übrigen Alpenpässe sie drei Kirchen besuchten, die der Mutter­ wie das Dorf St. Niklaus früher genannt deren Talseite führte der Weg von Stalden des Oberwallis, welche nach Süden füh- gottes, die des heiligen Theodul und die wurde, und taleinwärts bis nach Zermatt. hinauf nach Grächen und von dort hinunter ren, je länger, je mehr an Bedeutung, so der heiligen Katharina. Als im Jahre 1666 Der Handelsweg des Zenden Siders nach nach Gasen (St. Niklaus) und der Vispe ent- auch die Übergänge von und nach Zermatt n. Chr. die Gletscher in unserer Region den Süden führte durch das Eifischtal (Val lang nach Zermatt. und der Theodulpass wie auch der Monte- Höchststand erreichten und die Prozession d‘Anniviers) nach Zinal und über das Trift- Bei Stalden ermöglichte früher eine klei- Moro-Pass von Saas nach . über den Col d’Hérens ins Eringertal nur joch nach Zermatt. Je nach den Gletscher- ne Holzbrücke die Überquerung der Vis- Mit entscheidend für diesen Bedeutungs- noch unter grossen Gefahren und Anstren- verhältnissen und aufgrund der Steilheit pe. 1544 n. Chr. übernahm Ulrich Ruffiner wechsel war die Höhe des Passübergan- gungen abgehalten werden konnte, wan- des Geländes war dieser Handelsweg mit den Bau der Chibrücke bei Stalden, welche ges auf dem Simplon mit 2005 m ü.M. und delte Bischof Adrian von Riedmatten diese erheblichen Strapazen verbunden. er innert Jahresfrist beendet hatte. Für die Tatsache, dass dieser Pass, im Gegen- auf einem Gelübde beruhende Prozession diesen Brückenbau hatte er den Bau der satz zum Theodulpass, gletscherfrei war. in eine jährliche Prozession nach Täsch. Landstrasse bei St-Maurice zurückgestellt So gewann der Simplonpass an Bedeu- Der Weg von Visp ins innere Mattertal war «wegen des grossen vortrefflichen und tung. Unter dem Einfluss von Napoleon Triftjoch und Augstbordpass lang und beschwerlich und es mussten er- notwendigen Baus der Brücke in Stalden, wurde in Art. 5 der Verfassung der Repu- Der Handel über die Alpenpässe hat- hebliche Umwege und Höhenunterschiede der inzwischen beendet worden ist» (Land- blik Wallis vom 30.08.1802 Folgendes ver- te den Zermattern einerseits neben der in Kauf genommen werden. Von Stalden bis ratsabschied Dezember 1545). ankert: «Die Strasse, welche gegenwärtig Landwirtschaft und Viehzucht eine kleine St. Niklaus verhinderten die tosende Vispe, Ulrich Ruffiner aus «Ruffino» bei Alagna über den Simplonberg eröffnet wird, soll Nebenerwerbsbeschäftigung ermöglicht enge Schluchten und Felsen sowie Stein- im Sesiatal war der «Vater der Walliser auf Kosten der französischen und der ita­ und andererseits die Bergbewohner mit schlag und Erdrutsche ein Durchkommen Architektur» des 16. Jahrhunderts. Seine lienischen Republik erbaut und unterhal- Produkten aus den südlichen Ländern durch dieses enge Tal. Aus eigener Kraft Bauten prägten schon während der Zeit ten werden.» vertraut gemacht. Von hier brachten die und aufgrund fehlender finanzieller Mög- von Kardinal Matthäus Schiner das Bild Händler Wein, vor allem den Augsthaler lichkeiten war für die Talbewohner diese des Wallis. Von Lens über Sitten–Leuk– Wein (Chambave), Getreide, Mais, Reis, raue Gegend nicht überwindbar. Raron–Naters–Glis–Ernen zeugen heu- Dr. Thomas Julen