Buchrezension 2. November 2005 Book Review Editor: Ph. Zitzlsperger

Hubert Burda/ Christa Maar (Hrsg.): Iconic turn. Die neue Macht der Bilder. DuMont Literatur und Kunst Verlag Köln 2004, Kartoniert, 452 Seiten, 24,90 € ISBN: 3-8321-7873-2

Carolin Behrmann und Jan von Brevern

Dreizehn Jahre sind mittlerweile vergangen, seit- Singer, Barbara Stafford). Der Frage der Visua- dem der „pictorial turn“ von W.J.T. Mitchell [1] lisierung unsichtbarer Prozesse stellen sich von und darauffolgend der „iconic turn“ von Gottfried Seiten der Nanotechnologie, Medizin und In- Boehm [2] verkündet wurden. Beide forderten formatik die Beiträge von Wolfgang M. Heckl, vor dem Hintergrund einer ständig wachsenden Heinz-Otto Peitgen, Rolf Pfeifer/Britta Glatzeder Anzahl von Bilderzeugnissen eine interdiszipli- und Anton Zeilinger. Die Kulturwissenschaften när angelegte Beschäftigung und grundlegende werden von Beiträgen zu errechneten Bildern, zur philosophische und hermeneutische Auseinan- Fotografi e und zu dem Zusammenhang zwischen dersetzung mit dem Bild. Boehm forcierte in Stil und Technik vertreten (, Ste- Absetzung von der analytischen Philosophie die fan Heidenreich, Peter Weibel). Einen weiteren Eigenlogik und Selbstbestimmtheit der Bilder. Bereich markieren die Beiträge der Architek- Mitchell forderte dezidiert eine interdisziplinäre ten, Künstler und Regisseure Stephan Braunfels, Kritik und somit eine Revision kunstgeschicht- Norman Foster, Bill Viola und Wim Wenders, die licher Methoden in Form einer „kritischen Iko- ihren je „eigenen Bilderkosmos“ vorstellen. Die nologie“ [3]. Andere Stimmen, wie die von Ro- Beiträge aus den Disziplinen Ägyptologie, Kul- salind Krauss, warnten vor einem Verfall der turtheorie und Philosophie (, Bazon wissenschaftlichen Kompetenz des Faches und Brock, ) schlagen weite histori- zu engen Abhängigkeitsverhältnissen zur Kon- sche Bögen von der Antike bis zur Postmoderne. sumforschung. Krauss forderte in Anbetracht Im letzten Themenblock beschließen verschiede- der Aufsplitterung der Disziplin in die Cultural ne Aufsätze zum „iconic turn“ und der Zukunft Studies eine Rückkehr zur Fachdisziplin Kunst- der „“ von Seiten der Kunstge- geschichte [4]. schichte (, Horst Bredekamp/Fran- ziska Brons, Martin Kemp, Willibald Sauerlän- Der von Hubert Burda und Christa Maar heraus- der) diesen Band. Die insgesamt 24 Beiträge mit gegebene und schon in dritter Aufl age erschiene- ihren unterschiedlichen Herangehensweisen an ne Sammelband ist das Ergebnis einer von der Bilder und Bildtechniken bieten eine beeindru- „Burda Akademie zum Dritten Jahrtausend“ an ckende Überschau. Wie im Klappentext ange- der Ludwig-Maximilians-Universität München kündigt, soll diese Textsammlung eine Vorreiter- im Jahre 2003 veranstalteten Vortragsreihe. Auf- rolle übernehmen und als „Erste“ versuchen, die geteilt in sieben Kapitel stellen sich Künstler und „Forderung nach einem interdisziplinären Blick renommierte Wissenschaftler verschiedener Dis- auf die Bilderwelt“ einzulösen. Doch man kann ziplinen in diesem Sammelband der Frage nach sich des Eindrucks vorab nicht erwehren, dass dem Status der Bilder. So fi nden sich – nach ei- der Band das alte Versprechen einer interdiszi- ner Einführung von Horst Bredekamp – neben plinären Beschäftigung mit dem Bild einzulösen übergeordneten Beiträgen zur Charakteristik des versucht, die als leise Idee begann und nun als Bildes (, Reinhard Brandt) fä- „Neue Macht der Bilder“ zum Getöse geworden cherspezifi sche Fragen zur Bedeutung der Bilder ist. in den Neurowissenschaften (Semir Zeki, Wolf

1 Buchrezension 2. November 2005 Book Review Editor: Ph. Zitzlsperger

In Anbetracht der über ein Jahrzehnt zurücklie- der und stellt sich die Frage, wie Bilder auf der genden Diskussionen verwundert es zunächst, Netzhaut zu Bildern im Kopf werden (S.70). dass der Titel des vorliegenden Sammelbandes Sein Modell der Mechanismen visueller Wahr- den „iconic turn“ verkündet. Warum diese Revi- nehmung sei konstruktivistisch: Das Gehirn stel- talisierung des Begriffs der „Wende“? Warum die le Modelle parat, die durch die Informationen Betonung auf dem „Neuen“ der Bilder? In seiner der Sinne ergänzt würden. Diese Gruppierungs- Einleitung erklärt Horst Bredekamp den wieder- leistungen der Informationen durch das Gehirn holten Gebrauch des Begriffs: nicht als Schrau- nach festgelegten „Gestaltgesetzen“ würden be, die sich tiefer in ein Problemfeld bohrt, son- für die Wirklichkeit gehalten. Das Ich sei nicht dern als ein sich drehender Stab, der eine ruhige als ein autonomes, frei handelndes Zentrum zu „Wasseroberfl äche in den Einfl uss seiner Moto- denken, sondern als ein „sich selbst organisie- rik bringt“ (S.17) müsse dieser „turn“ gedacht render Zustand“ (S.76). Besonders streitbar ist werden, der nun die Wissenschaften insgesamt seine These, dass gemalte oder fotografi erte Bil- in Bewegung hält. Von der Wende also zur wei- der dem Gehirn genauso „wirklich“ erschienen, tertreibenden Umdrehung. Die analytische Aus- wie die Wirklichkeit selbst, was er anhand von einandersetzung mit dem Bild müsse sich dem Beispielen aus der Kunstgeschichte zu verdeut- Zusammenwirken verschiedener Bereiche stel- lichen sucht. Als naheliegendes, aber letztlich len. So wären statische und bewegte Bilder neuer wenig überzeugendes Beispiel verweist der Au- medialer Techniken unabdingbar mit den Bild- tor auf die Trompe-l‘oeuil-Malerei. Er zeigt ein künsten und bildhaften Formen der Alltagskultur Bild des holländischen Malers Wallerant Vail- und politischer Ikonographie verbunden (S.17). lant (1658) und René Magrittes „La condition Bredekamps bildgeschichtlich argumentieren- Humaine“ (1933), das eine Staffelei vor einem de Einführung verweist auf die „ikonische Gra- Fenster zeigt, auf der ein Bild exakt den gleichen vitation“ (S.23), die bei der Analyse der Bilder Ausschnitt der Landschaft zu zeigen scheint, die aus den Bereichen Naturwissenschaften, Kunst beim Ausblick aus das Fenster zu sehen ist. Die und Massenmedien bedacht werden muss und Argumentation Singers blendet jede kulturellen die verschiedenen Felder verbindet. Bredekamp Prägungen, künstlerischen Brechungen und jedes vermeidet es, programmatisch eine „Masterdis- Spiel mit dem Realitätsbegriff aus. Bilder werden ziplin“ auszurufen, sondern versucht, mit den vom ihm nicht als Beweise künstlerischer Kom- Instrumenten der Bildgeschichte und medienü- petenz charakterisiert, die das eigene Medium bergreifenden Bildbezügen die Schwerkraft und zum Teil ironisch refl ektieren, sondern er benutzt Eigengesetzlichkeit der Bilder zu orten. diese nur als Illustration der hier beschriebenen „Sinnestäuschung“ und neuronalen Konstrukti- Die Beiträge des Sammelbandes fächern ein on von Wahrnehmung. Folglich werden die Ent- breites Spektrum an Themen und Ansätzen auf, wicklungen der neuesten Medientechnologien von dem hier nur ein kleiner Ausschnitt bespro- zum bedrohlichen Szenario: „Seit wir über digi- chen werden kann. Anhand der Beiträge von tale Bildverarbeitung verfügen, sind wir der Ma- Wolf Singer, Bill Viola und Willibald Sauerlän- nipulation hilfl os Ausgeliefert“ (S.70). Unheim- der soll angedeutet werden, welcher unterschied- lich ist es mitzuverfolgen, wie der Betrachter in liche Stellenwert den Bilder jeweils zugemessen diesem Beitrag auf ein bloßes Objekt der Bilder wird. und Bildtechnologien reduziert wird.

Die Nähe bzw. Ferne zu den Bildern erweist sich Mit der Frage nach den inneren Bildern beschäf- nicht zuletzt im Umgang mit ihnen. Der Hirn- tigt sich auch der Videokünstler Bill Viola. In forscher Wolf Singer setzt sich aus neurobiolo- diametralem Gegensatz zu den Ansichten Sin- gischer Sicht mit „inneren Bildern“ auseinan- gers und mit altbekannter Geste des schaffen-

2 Buchrezension 2. November 2005 Book Review Editor: Ph. Zitzlsperger den Künstlersubjekts hebt Viola den individuell rung“ (Hal Foster) appliziert werde (S.409). Der gespürten und zugleich offenbarenden Moment Autor plädiert für die Notwendigkeit kunsthisto- der Entscheidung hervor. Die Kamera oder der rischer Fachkompetenz in Bezug auf die Unter- LCD-Bildschirm erhalten eine besondere Funk- suchung massenmedial verbreiteter Bilder. Am tion im künstlerischen Schaffensprozess, da sie Beispiel bildgewordener politischer Ereignisse die Verbindung zwischen Wahrnehmung und Er- – so der spektakulären Siegesfeier des amerika- innerung herstellen. Sie spielen bei der Auswahl nischen Präsidenten auf einem Flugzeugträger und Eingrenzung der Bilder, aber auch bei der – macht er deutlich, wie das Wissen um die Wie- gleichzeitigen Erweiterung und Vergrößerung derkehr bestimmter ikonographischer Muster und des Erlebnisses (S.262) eine wichtige Rolle. Das der Vergleich mit anderen Medien die kritische Bild besitze eine gefährliche Autonomie, die Analyse zu unterstützen vermag. Hatten die Phi- von dem Künstler nicht mehr gebändigt werden losophie der Aufklärung und besonders das Werk kann – so mutierten Bilder zu „wilden Bestien“ Immanuel Kants eine autonome Kunstgeschichte drohten, den Betrachter zu „zerfl eischen“ (S.264) überhaupt erst denkbar gemacht und den Blick und haben eine Langzeitwirkung, über die sich auf die Bilder von Idolatrie und religiösen Glau- die wenigsten Bildschöpfer im Klaren sind. Eine bensbekenntnissen gereinigt, sei die Unterschei- Öffnung zu allen möglichen Bildern ist Voraus- dung zwischen Kunst und Massenmedien heute setzung, wobei Meditation und Mystik eine ganz „fi ktiver“ geworden (S.423). Die Trennungsli- besondere Rolle spielen. Bilder holen hervor, nien würden immer fraglicher zwischen Bildern was sonst zwangsläufi g unsichtbar bleiben wür- der Kunst und Bildern des Konsums. Sauerländer de. Viola verdeutlicht dies in dem Bericht über warnt daher vor rein deskriptiven Bildanalysen, seine Arbeit an Bildern vom Leben und vom Tod. die nur die Verfahrensweisen der Medien beach- Dieser Aufsatz kommt einem persönlichen Glau- tet. Man müsse vielmehr ethisch und zivil über bensbekenntnis gleich, doch wird aus der Sicht die „ikonische Wende“ sprechen, um der Ge- des Künstlers der ästhetische Wert der Bilder und fahr auszuweichen, selbst zu „elektronische(n) ihre technischen Manipulationen thematisiert Ikonodule(n)“ zu werden (S.425). Die geforderte und nicht zuletzt auch ihre historische und mne- Trennung zwischen einer Analyse medialer Ver- motechnische Logik verdeutlicht. fahrensweisen und der „kritischen“ Auseinan- dersetzung, erscheint problematisch, sind doch Der Titel des Beitrages von Willibald Sauerlän- beide aufeinander angewiesen. der überrascht: der Kunsthistoriker bittet um mehr Ikonoklasmus in der Debatte um den „ico- Der beeindruckenden Zusammenstellung der Po- nic Turn“. Diese an die äußersten Grenzen des sitionen in diesem Band fehlt eine Synthese. Dies eigenen Faches getriebene Forderung plädiert kann an der sehr offenen Fragestellung und der für eine striktere Auswahl der Bilder, die wis- Form einer Vortragsreihe liegen, oder aber daran, senschaftlich untersucht werden, und pocht auf dass die Suche nach einem gemeinsamen theore- die Beachtung der ästhetischen Differenz. Sauer- tischen Rahmen nicht erklärtes Ziel des Bandes länder ruft die seit den 80er Jahren geführte De- ist. In Anbetracht des sehr unterschiedlich fort- batte über Visual Studies und Kunstgeschichte geschrittenen Niveaus der Bildtheorien in den ins Gedächtnis. Für Sauerländer waren es aller- einzelnen Fächern, die ihre Aufmerksamkeit zum erst die Künstler selbst, welche die wachsende Teil noch nicht lange auf Bilder gerichtet haben, Bedeutung der Bilder für die gesellschaftliche ist eine solche Synthese vielleicht auch gar nicht Kommunikation thematisierten. Im Zeitalter der wünschenswert. In der Debatte um den „cultu- Massenmedien und Live-Berichterstattungen ral turn“ hatte Renate Schlesier den infl ationären von Katastrophen würden Bilder zunehmend zu Gebrauch des Kulturbegriffs mit dem „Zauber „Körpern, auf die Bewunderung oder Identifi zie- der Unschärfe“ beschrieben [5], der einerseits

3 Buchrezension 2. November 2005 Book Review Editor: Ph. Zitzlsperger zu großen theoretischen Entwürfen verführt, an- dererseits in Bezug auf den eigentlichen Gegen- stand immer konturloser wird. Die Debatte um den „iconic turn“ sollte diese Verführung genau im Blick behalten, tendiert doch der Bildbegriff – wie der vorliegende Sammelband zeigt – zu einer gefährlichen Unschärfe. Nur durch ein Herausar- beiten der Unterschiede im spezifi schen Zugriff der jeweiligen Disziplinen könnte dies gebannt werden. Um es mit den Worten W.J.T. Mitchells auszudrücken: „The pictorial turn is not the ans- wer to anything. It is merely a way of stating the question.“[6]

Anmerkungen: [1] W. J. T. Mitchell, „The Pictorial Turn“, Artfo- rum, No. 30, Mar. 1992, S. 89-94 und ders.,Picture Theory: Essays on Verbal and Visual Representa- tion, Chicago 1994. [2] Gottfried Boehm, Die Wiederkehr der Bilder, in: Ders. (Hg.), Was ist ein Bild? München 1994, S. 11-38. [3] W.J.T. Mitchell, „Der Pictorial Turn“, in: Christian Kravagna (Hg.), Privileg Blick. Kritik der visuellen Kultur. Berlin 1997, S.15-40. [4] Rosalind Krauss, „Welcome to the cultural revolution“, in: October 77, Summer 1996, S.83- 96. Siehe auch Sabeth Buchmann: The Prison- House of Kunstgeschichte, in: Texte zur Kunst, Methodenstreit, Nov. 1997, 7. Jhg. Nr. 28, S. 53- 64. [5] Renate Schlesier, „Zauber der Unschärfe. Ein Plädoyer für den Wandel der Fächer“, in: Die Zeit, Nr. 48, 22.11.1996, S. 35. [6] W. J. T. Mitchell, „The Pictorial Turn,“, s.o., S.94.

Zitierweise / Citation: Carolin Behrmann und Jan von Brevern: Rezension von: Hubert Burda/ Christa Maar (Hrsg.): Iconic turn. Die neue Macht der Bilder. Köln 2004. In: ArtHist, November 2005. URL: http://www.arthist.net/down- load/book/2005/051102Behrmann-Brevern.pdf (Bei Zitatangaben bitte das Abfragedatum in Klam- mern anfügen). © 2005 by H-ArtHist (H-NET) and the author, all rights reserved.

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