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Sendung vom 31.01.2005, 20.15 Uhr

Hildegard Behrens Kammersängerin im Gespräch mit Hans Jürgen Mende

Mende: Willkommen zum alpha-forum, meine Damen und Herren. Wir freuen uns sehr, dass heute eine der bedeutendsten Sängerinnen unserer Zeit, Hildegard Behrens, zu uns gefunden hat. Herzlich willkommen, Frau Behrens. Behrens: Vielen Dank für die Einladung. Mende: Ich habe am Anfang eine Frage, die sich mir stellt, wenn ich im Opernhaus sitze: Wenn Sie auf der Bühne stehen und einen großen, schönen und gelungenen Ton singen, was ist das dann für ein Gefühl in Ihnen? Was spüren Sie da? Behrens: Ich habe das Gefühl, als würde ich in einem Rennauto sitzen: Es geht immer der Strecke nach. Wenn etwas misslingt, dann ist das zwar sehr irritierend, aber auch das darf man eben nur quasi wie im Vorbeifahren registrieren. Und man darf im gelungenen Fall eben auch nicht auf diesem Ton bleiben. Das wäre ja dieser Faust'sche Wunsch, wenn Faust zum Augenblick sagt: "Verweile doch, du bist so schön!" Es geht also immer weiter und der Gedanke muss wie beim Autofahren immer nach vorne gerichtet sein. Mende: Gibt es denn den Moment des Genusses? Behrens: Insgesamt ist das ein Genuss. Das Ganze ist ein Hochgenuss, ja. Mende: Hat man denn ein Gefühl der Leere, wenn die Vorstellung dann zu Ende ist? Oder ist das, wenn es gelungen ist, und davon gehen wir jetzt einfach mal aus, ein wirkliches Hochgefühl? Behrens: Ja, das ist ein Hochgefühl. Mende: Kann man nach diesem Gefühl süchtig werden? Behrens: Ja, das glaube ich schon, ja. Mende: Ist es das, was Sie immer wieder auf die Bühne "getrieben" hat? Behrens: Das ist einfach dieser Energieaustausch und das Adrenalin läuft auf Hochtouren. Es kommt ja die Energie von allen, die daran beteiligt sind, auf einen zu: von den Sängerkollegen, vom Orchester, vom Dirigenten, von den Mitarbeitern hinter der Bühne und last but not least vom Publikum. Das ist schon eine gewaltige Energieakkumulation. Und wenn die ganz schönen Momente passieren, dann hat man das Gefühl, dass sich durch das Zusammentreffen der Energien von allen Beteiligten so etwas wie ein Quantensprung ereignet: Da entsteht etwas Neues, da kommt quasi noch eine weitere Energiequelle mit hinzu, die sich nicht einfach aus der Addition der einzelnen und individuellen Energiequellen ergibt. Das ist phantastisch und deshalb haben sowohl das Publikum wie auch wir Sänger und Musiker das Gefühl, dass man bereichert nach Hause geht, dass man etwas bekommen hat. Leer bin ich hinterher ohnehin nie: Ich habe nie das Gefühl, mich verausgabt zu haben oder so. Nie. Mende: Ist denn wirklich jede Vorstellung anders? Behrens: Ja, jede Vorstellung ist anders. Mende: Denken Sie hinterher, dass Sie die eine oder andere Stelle beim nächsten Mal vielleicht doch etwas anders gestalten möchten? Behrens: Ja, natürlich. Man registriert das alles ja irgendwie in einer Art von innerem Computer und nachher wird das dann sozusagen abgerufen. Deswegen hatte ich ja auch von Anfang an schon immer das Gefühl, dass meine Technik ganz einfach das machen muss, was ich ausdrücken möchte. Wenn etwas misslingt, dann wird das registriert und dann wird nachher daran gearbeitet. Das ist so, wie Rubinstein gesagt hat: "Ich lerne von Konzert zu Konzert." Denn im Konzert sind die Antennen alle komplett ausgefahren, da sind die Nerven am verletzbarsten. Es ist also so, dass nach einer Vorstellung die innere Kamera dann gewissermaßen rückwärts läuft. Aber im Moment des Singens muss einfach, wenn ich das mal so norddeutsch ausdrücken darf, "rein, was Beine hat!". Mende: Wenn eine Vorstellung läuft, denken Sie dann in den einzelnen Szenen, Sie müssen nun dorthin gehen und dieses oder jenes machen? Oder ist das, weil Sie soeben Rubinstein angesprochen haben, so wie bei einem Pianisten? Denn bei einem Pianisten läuft im Konzert ja doch relativ viel automatisch ab. Behrens: Ich kann mir das Gefühl des Pianisten im Zustand des Konzerts, also der Performance, zu schlecht vorstellen, als dass ich einschätzen könnte, was da automatisch abläuft, wie das mit der Mechanik genau ist. Natürlich muss auch beim Singen einiges gesangstechnisch automatisch ablaufen: Das übt man. Das habe ich schon früh bei der "Fiordeligi" gelernt, damit es ohne Bruch von der Tiefe in die Höhe und dann wieder runter in die Tiefe geht. Dafür gibt es spezielle Übungen, die man sich zusammenbastelt. Oder es gibt einem da jemand auch mal einen Tipp. Das wird dann geübt, sodass es dann in der Aufführung wie eine Mechanik ablaufen kann. Denn im Moment des Singens selbst muss der Gedanke wieder ganz auf das Musikstück gerichtet sein. Mende: Wenn eine sehr schwere und vielleicht auch riskante Stelle kommt, spielen da dann auch die Nerven eine Rolle? Oder ist es so, wie Sie das vorhin schon gesagt haben: Läuft da einfach der Zug dahin? Denn da gibt es ja kein Anhalten mehr, Sie können ja nicht sagen, "Oh, diesen Ton möchte ich jetzt aber gerne noch einmal singen". Sind das Momente, in denen man sehr bewusst auf solche gefährliche Klippen zusteuert? Behrens: Ja, natürlich. Das ist wie bei einem Rennfahrer, wenn er auf eine ganz gefährliche Kurve zurast: Da richtet sich der gesamte Körper ganz einfach per Adrenalin darauf ein. Dazu fällt mir eine schöne Geschichte ein, die mir erzählt hat. Er hat ja damals in Salzburg so ein Institut ins Leben gerufen, wo er alle möglichen Sachen messen konnte: z. B. den Blutdruck und den Puls beim Fliegen oder wie bei einzelnen Aufführungen quasi die Fieberkurve des Nervensystems verläuft usw. Er erzählte mir, dass er einmal eine Aufführung des "Siegfrieds" dirigierte, in der eine Kollegin große Angst vor dem hohen C hatte. Die Messinstrumente waren bei dieser Aufführung jedoch bei ihm als Dirigenten angeschlossen. Und was geschah? Als das hohe C des Soprans an der Reihe war, ging sein Blutdruck auf gut 200 nach oben. Weil er das alles eben so mitempfunden hat. Natürlich wird man aufgeregter, wenn man an so eine Stelle kommt. Das ist ja wahrscheinlich auch notwendig, um für solche Momente eben genug Adrenalinausschüttung zu haben. Wir wissen ja, dass in Momenten der Gefahr – Sie haben soeben auf das Risiko des Scheiterns angespielt – solche Adrenalinausschüttungen dem betreffenden Menschen regelrechte Bärenkräfte verleihen können. Ohne dieses Adrenalin ginge das nicht. Wenn man meinetwegen panische Angst vor einem Untier hat, dann springt man über eine hohe Mauer und kann hinterher gar nicht verstehen, wie man über diese Mauer überhaupt je gelangen konnte. Das heißt, es werden in solchen Momenten auch Extrakräfte frei. Mende: Sie haben Ihre Partien ja immer voll durchgesungen. Es gibt nämlich auch viele Kollegen, die sagen: "An dieser oder jener Stelle spar ich mir die Energie, denn da hört man mich ohnehin nicht. Da kann ich also meine Stimme mal ganz zurücknehmen." Ein Markenzeichen von Ihnen bestand darin, dass Sie eine Partie, egal ob das nun die großen oder kleinen Stellen waren, in einem Zug durchgesungen haben. War das Teil Ihrer Technik, an diese Partien so heranzugehen? Behrens: Das war immer ein Teil meines Anspruchs an mich. Ich habe das schon früh in Düsseldorf gelernt. Ich lernte das in einem "Lohengrin", den ich mit dem alten Studienleiter in Düsseldorf einstudiert habe. Bei diesem Einstudieren hat er im Hinblick auf das Finale des ersten Aktes zu mir gesagt, und das war für mich wirklich ein Schlüsselerlebnis: "So, nun haben Sie das gelernt. Aber nun vergessen Sie es wieder!" Ich habe ihm geantwortet: "Ich verstehe nicht, was Sie meinen." Ich glaube, das war erst in meiner zweiten oder dritten Saison. "Na ja, damit meine ich, dass Sie das nicht singen werden. Da singen alle unisono. Da brauchen Sie nicht auch noch mitsingen. Auch der Lohengrin selbst macht in dem Moment nur den Mund auf und zu. Den Text selbst kennen Sie ja." Ich erwiderte ihm: "Aber das ist doch wunderbare Musik, die ich gerne singen möchte." "Nehmen Sie sich in Acht, es ist ein langer Abend, nicht dass Ihnen das am Ende dann fehlt!", sagte er zu mir. Wie gesagt, ich hatte damals noch nicht viel Erfahrung. Ich ging also nach Hause und dachte mir: "Na ja gut, das ist ein alter Fuchs. Der hat doch schon bei Strauss den Korrepetitor gemacht. Der kennt also all die Schliche. Und wenn er das so sagt, dann ist da vielleicht wirklich etwas Richtiges dran." Ich habe mir dann überlegt, dass das doch frustrierend sei, da nicht zu singen, wie der musikalische Bogen nun einmal ist: Wenn ich, was der liebe Gott verhüten möchte, am Ende dann nicht mehr genügend Kraft haben sollte, dann war diese Partie eben falsch bemessen für mich zu diesem Zeitpunkt, dann muss ich die Suppe eben auslöffeln und etwas anderes machen und die Konsequenz daraus ziehen. Aber ich habe dann schon gemerkt, dass es für mich, wenn ich auf diesem Energiebogen drauf bleibe, nur so geht und auch am leichtesten geht. Denn die Kompositionen sind alle, alle, wie sie da sind, so meisterhaft komponiert, dass sie einen auch rübertragen. Wenn der Gedanke oder das Gefühl da unterbrochen wird, dann haut das nicht mehr hin. Wissen Sie, ich habe da immer die Vorstellung, dass das wie bei einem großen Verkehrsflugzeug ist: Wenn so ein Jumbo immer wieder zur Zwischenlandung runter geht, dann kostet das ja letztlich viel mehr Sprit, wie er deswegen auch immer wieder neu starten muss. Mende: Sie wollten also keine Boxenstopps einlegen, um bei Ihrem Bild von vorhin zu bleiben. Behrens: Was heißt das? Das kenne ich nicht. Mende: Sie haben ja vorhin das Rennfahrerbild gebracht: Die fahren ja auch immer wieder raus, um zu tanken. Behrens: Ach so. Aber das müssen Sie ja, das ist Teil der Sache. Wenn das Teil der Sache ist, dann ist das ja wohl in Ordnung. Aber wenn man den Gedanken abschneidet und irgendwie faulen Zauber macht und irgendwie Energie einsparen möchte, wenn das niemand merkt, dann geht zumindest für mich diese Rechnung nicht auf. Mende: Ich habe Sie, Frau Behrens, häufig auf der Bühne gesehen... Behrens: Das freut mich. Mende: ... und ich hatte dabei immer das Gefühl, Sie wären eine riesengroße Frau. Jetzt lerne ich Sie kennen und muss feststellen, dass Sie doch eher eine zarte, eine mädchenhafte Frau sind. Das heißt, Ihr Charisma, Ihre Ausstrahlung auf der Bühne ließ Sie auch irgendwie körperlich wachsen. Behrens: Ja, das ist ein anderes Berufsgeheimnis. Das hängt mit dieser Vorstellung von "mind over matter" zusammen. Wenn die Vorstellung präzise und stark genug ist, dann kann man auch sein Äußeres so oder so erscheinen lassen. Für einen "Fidelio" ist z. B. ein wichtiger Punkt, dass das kein Bulldozer ist, der da auf die Bühne kommt und sagt: "So, das machen wir schon." Nein, da kommt es darauf an, dass man merkt, dass da eine Frauensperson gegen das Universum ankämpft: in Männerkleidern! In jener Zeit, in der das spielt, war das ja unvorstellbar. Da sehe ich dann eben ganz zerbrechlich aus. Und noch besser wird das dann, wenn auch noch der Kostümbildner ein wenig mithilft. In einer Produktion hatte ich z. B. einen großen Militärmantel an, unter dem dann ein kleines weißes Leiberl, also eine Seele, zum Vorschein kam: Das war für mich genau auf den Punkt gebracht. In anderen Aufführungen denken die Leute dann wiederum, dass das eine sehr große Gestalt ist, die meinetwegen etwas Löwenhaftes an sich hat. Wissen Sie, jemand wie Marcel Marceau hatte dafür seine bestimmten Handgriffe. Haben Sie das mal gesehen, wenn er auf der Bühne hinter so einer großen Wolldecke verschwunden ist. Einmal kam er dann rechts wieder heraus als Goliath, als riesengroßer Kerl. Aber in Wirklichkeit hat er nur seine Proportionen quasi anders angeordnet. Wenn er auf der anderen Seite herauskam, dann sah er völlig anders aus: klein, zerbrechlich usw. Wenn man die Body Language kennt, wenn man weiß, wie sich z. B. Angst im Körper manifestiert, dann kann man so etwas machen. Marcel Marceau konnte jedenfalls innerhalb von zwei, drei Sekunden völlig anders aussehen. Gründgens soll auch so ein Schauspieler gewesen sein, der mal ganz groß und mal ganz klein ausgesehen hat. Mende: Joachim Kaiser hat Ihre Karriere ja eigentlich von Anfang an sehr wohlwollend begleitet. Behrens: Ja, das stimmt. Mende: Er hat schon sehr früh erkannt, welches Potenzial in Ihnen steckt. Er hat es immer sehr an Ihnen geschätzt, dass bei Ihnen diese schweren, diese dramatischen Rollen, diese "großen Kästen", lyrische Momente und auch ganz andere Farben bekommen. Behrens: Diese Rollen haben diese Farben und diese Lyrik – sie haben sie nicht bekommen. Mende: Aber durch Sie wurde das vielleicht zum ersten Mal überhaupt visualisiert und akustisch betont. Es gab allerdings auch Kritiker, die gesagt haben, Sie wären doch eher "nur" ein lyrischer Sopran und wären daher in diesen Rollen fehlbesetzt. Wie sind Sie denn mit diesem so unterschiedlichen Echo zurechtgekommen? Oder war Ihnen das egal? Behrens: Es hat mich manchmal geärgert, weil ich mir gedacht habe, dass das einfach Unverstand ist auf Seiten der Kritiker. Wenn ich z. B. am Anfang in der Tiefe ganz ran ging, dann kann es schon sein, dass damals noch nicht alles so ganz blank gewesen ist. Aber da kamen dann gleich die Kritiker an und meinten: "Oh, da hört man es schon, da ist schon der Wurm drin!" Ich habe mir dann immer nur gedacht: "Mein Gott, die begreifen es einfach nicht." Beim Lyrischen habe ich mir jedenfalls immer gedacht, dass das einfach mit meinem ästhetischen Verständnis dieser Figur zusammenhängt: Je größer nämlich die Facetten sind, je größer das Planquadrat ist, umso interessanter ist diese Figur. Denn vieles erwächst nun einmal aus dem Kontrapunkt bzw. aus dem Gegensatz. Mir war es jedenfalls immer ein Bedürfnis, dass ich versucht habe, die Stimme schlank zu halten und nicht irgendwie große Töne um der Größe willen zu produzieren. Ich glaube, es war , die mal gesagt hat: Das Singen ist wie bei einem Gartenschlauch. Wenn man ihn ganz eng zusammendrückt am Ende, denn geht der Strahl sehr viel weiter. Ich achtete jedenfalls immer auf den Fokus des Tons: Ich wollte den Ton immer so clean wie möglich haben. Mende: Das waren ja eigentlich vor allem Frauenfiguren, die aus dieser Spannung leben. Das sind Frauen, die in eine sehr herausfordernde Aufgabe hineinwachsen. Sie müssen dann mit dieser Aufgabe mitwachsen. War es das, was Sie gereizt hat? Behrens: Ja, natürlich. Mende: Welche Partien waren das denn namentlich? Sie haben ja so ziemlich alles gesungen, angefangen von der Leonore über die Brünhilde bis zur Isolde. Behrens: Alle haben dieses Moment an sich. Diese Figuren sind zuerst einmal die Handlungsträger und deshalb sind das ja auch die Heroinen. Durch ihre Entscheidung und durch ihr bewusstes Handeln – mit "bewusst" meine ich, dass da immer auch ihr Gewissen involviert gewesen ist – treiben sie die Handlung vorwärts. Die Leonore wächst an ihrem Schicksal und an ihrer Situation. Das geht ja bis zu einem übermenschlichen Format, wenn sie im gefährlichsten Moment dann sogar sagt: "Wer du auch seiest, ich will dich retten!" Da sprengt das dann ja sogar den Rahmen der Gattenliebe... Mende: Da geht es nicht mehr nur um ihren Mann, sondern sie würde jeden retten wollen. Behrens: Ja, da ist die ganze Menschheit gemeint: Es geht hier nur mehr um einen Menschen schlechthin. Mir ging es jedenfalls immer darum, diese Figuren von innen heraus, von ihrer Motivation her zu verstehen. endet als Killer. Salome fängt nicht als Killer an, aber sie endet als Killer. Es geht also darum, diese Person nicht vorab bereits zu verurteilen, sondern mit Mitgefühl, mit Mitleidenschaft diesen schrecklichen Konflikt darzustellen. Und Salome ist ja nun wirklich in einem schrecklichen Konflikt. Und dann kommt noch dieses Unreife in ihrer Person hinzu: All das Böse, das wohl wirklich in jedem Menschen vorhanden ist, bricht sich dann einfach Bahn, als Jochanaan die Tür zuschlägt. Denn das ist ja noch nicht so wie später im Neuen Testament: Jesus hätte ihr verziehen und hätte sie verwandelt. Johannes der Täufer kann so etwas jedoch noch nicht machen: Er steht noch für das Alte Testament des strengen, strafenden und rächenden Gottes. Salome wird also auf alle Zeit verdammt. Und da fällt sie dann ins Nichts, sie, die ja doch ihre Umgebung verabscheut hatte wegen dieser Morbidität und Perversion im alten Rom. Salome nimmt dann natürlich auch sofort die Stimme dieses Propheten auf, denn er war ja kein Geringerer als ein Prophet. Das interessiert sie und sie geht daher ganz unvoreingenommen und unschuldig ran an ihn und öffnet sich mit Leib und Seele. Aber sie wird von Johannes dem Täufer ins Nichts zurückgestoßen. Da kommt dann das Trotzige und Böse in ihr durch. Und am Schluss hat sie aus all dem gelernt. Sie hat gelernt, dass das auch nicht das gewesen ist, was sie sich ersehnt hatte, dieses Licht am Ende eines Tunnels, diese Prophetenstimme. All das hat sie dazu geführt, dass sie sich selbst zerstört hatte. Und da ist es dann schon egal, was die Schergen von Herodes mit ihr anstellen: Sie ist bereits vorab kaputt. Mende: Diese "Salome" mit Herbert von Karajan war ja auch der Startschuss für Ihre Weltkarriere im Jahr 1977. Wie war es denn zu dieser Begegnung mit Karajan gekommen? Behrens: Das hing, um das direkt beim Namen zu nennen, mit Beate Burckhardt zusammen. Sie war bei uns im künstlerischen Betriebsbüro in Düsseldorf und hatte davor bereits in seinen Berliner Festwochen für ihn gearbeitet. Sie hat ihm während einer Konzertreise mit den Berliner Philharmonikern in Düsseldorf den entscheidenden Tipp gegeben. Sie gab ihm den Tipp, ins Düsseldorfer Opernhaus zu kommen und sich eine Orchesterprobe von "" anzuhören. Mende: Schon mit dem Gedanken, dass das vielleicht seine Salome sein könnte? Behrens: Ja, das hat mir der Manager bzw. der Agent von Karajan hinterher so gesagt: Karajan sei schon seit 12 oder 13 Jahre auf der Suche in dieser Richtung. Mende: Karajan galt ja als ein schwieriger Maestro. Wie sind Sie mit ihm zurechtgekommen? Behrens: Wundervoll. Wir sind uns lediglich wegen ein paar szenischer Sachen in die Haare geraten. Mende: Er hat ja diese "Salome" dann auch selbst inszeniert. Behrens: Ja, das machte er. Und dabei hatte er ganz speziell eine Idee, die ich nicht machen wollte, weil ich glaubte, sie aus innerer Überzeugung nicht machen zu können. Ich sagte zu ihm: "Wenn Sie mir eine Motivation dafür geben, wenn Sie noch irgendwo eine Textstelle in dieser Richtung von Oscar Wilde finden, dann könnte ich das vielleicht begreifen. Ansonsten kann ich das nämlich nicht so machen, wie Sie das möchten." Er hat mich dann auch letztlich das machen lassen, was ich gerne haben wollte. Er nahm mir das in diesem Moment schon sehr übel und das habe ich sehr wohl zu spüren bekommen. Im darauf folgenden Frühjahr sind wir dann noch bei einem "Fidelio" aneinander geraten. Da gab es wieder so eine Szene zwischen uns. Ich glaube aber, er hat es letztlich sogar geschätzt, dass ich aus meinem Herzen keine Mördergrube mache. Ich habe immer ganz frontal mit ihm gesprochen. Und von diesem Moment an war es ganz herrlich mit ihm: Da hatte ich wohl irgendwie meine Glaubwürdigkeit bei ihm etabliert. Dann aber ist dieses Verhältnis leider von außen, von Schallplattenfirmen und auch von anderen Leuten, die irgendwelche eigenen Interessen hatten, richtiggehend systematisch kaputt intrigiert worden. Mende: Sie haben ja auch mit gearbeitet: Das war ja wohl so etwas wie ein Anti-Pol zu Karajan, so sehe ich das zumindest. Wie war denn dann Ihr Verhältnis zu Bernstein? Behrens: Wunderbar – auch mit Krächen hie und da. Mende: Man konnte also auch mit Bernstein streiten? Behrens: Natürlich, auf alle Fälle. Tüchtig sogar. Mende: Mit ihm haben Sie ja auch die Isolde aufgenommen. Das ist ja auch eine Partie, von der man sagen kann, dass sie sehr bedeutend gewesen ist für Ihre Karriere. Sie wurden immer wieder als die Isolde schlechthin bezeichnet. Behrens: Ja, ich hatte vorher schon zwei Mal die Isolde auf der Bühne gemacht: mit Drese und René Kollo in Zürich war meine erste... Mende: Da waren Sie indisponiert, wie ich in einer alten Kritik gelesen habe. Es gab dann aber sogar Kritiker, die gesagt haben, eine so lyrische Isolde, die sich so zurücknimmt, sei eine ganz, ganz neue Dimension. Behrens: Ich hatte da wohl aus der Not eine Tugend gemacht. Mende: Die Kritiker schrieben, dass das also doch keine Partie sei, die nur und ausschließlich mit "dicker Tube" gesungen werden kann, wie das die meisten Ihrer Kolleginnen gemacht haben. Wagner hatte das also doch viel, viel filigraner angelegt. Behrens: Das kann gut sein. Das war auch einer der Gründe dafür, warum ich so gut wie nie absagen musste: Ich habe es dann eben technisch noch bewusster so gesungen, wenn ich z. B. wegen einer Erkältung indisponiert war und nicht so ganz von "meinem Leder ziehen" konnte. Wenn es so war, dann habe ich das sozusagen noch schlanker gesungen. Außerdem war das damals wohl gerade erst ein paar Wochen nach der Geburt meiner Tochter: Da war ich wohl noch so ein bisschen... Mende: ... angeschlagen. Ja, das glaube ich gerne. Wir haben nämlich hier auch einen Ausschnitt aus der Isolde mit Leonard Bernstein. Den wollen wir uns jetzt anschauen. (Filmausschnitt: Hildegard Behrens singt die "Isolde") Mende: Frau Behrens, das war eine Aufnahme aus dem Jahr 1981. Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie das jetzt sehen und hören? Was geht da in Ihnen vor? Behrens: Vor allem bringt das die damalige Situation zurück: Es werden auch die Gefühle wieder lebendig, die um diese Produktion herum vorhanden waren. All das wird wieder in Erinnerung gebracht: Das ist ganz lebendig vorhanden in meiner Erinnerung. Und ich stelle fest, was sich seitdem z. B. auch im stimmlichen Konzept weiterentwickelt oder verändert hat. Ich würde schon sagen, dass das aufgrund meiner eigenen Lebenserfahrung noch ein wenig reichhaltiger oder differenzierter geworden ist. Das ist aber bei allen Rollen so. Mende: Es gibt ja auch CD-Produktionen, in denen Sie die Hauptrolle singen. Hören Sie sich das privat an? Behrens: Nein. Das mache ich nur dann, wenn ich das aus irgendeinem Grunde brauche wie z. B. für so eine Sendung wie diese, damit ich weiß, wovon wir dann sprechen werden. Auch bei den Aufnahmen selbst höre ich mir natürlich die Bänder immer wieder an: Da geht man dann in den Abhörraum und überlegt, was noch geändert werden muss usw. Sonst höre ich diese CDs eigentlich nicht. Mende: Gibt es denn eine Partie, eine Vorstellung, eine Produktion, von der Sie sagen, das sei der Höhepunkt dessen gewesen, was Sie gemacht haben? Behrens: Nein, das kann ich nicht sagen. Mende: Springen wir noch einmal zurück zu den Anfängen. Sie sind geboren als das sechste Kind einer Arztfamilie in Varel. Das ist ein kleiner Ort... Behrens: ... zwischen Wilhelmshaven und Oldenburg, am Jadebusen. Mende: Ich habe zufälligerweise mal übernachtet dort oben bei einer Reise an die Nordsee. Das ist sehr schön, sehr beschaulich. Aber das ist natürlich nur ein kleines Städtchen. Aus diesem kleinen Städtchen kam dann aber ein Mensch, der auf der ganzen Welt singt. Dieser Weg war mit einigen Umwegen verbunden, denn Sie haben ja zunächst einmal in Freiburg Jura studiert. Wie kam es denn dazu? Behrens: Es waren, wie erwähnt, fünf Geschwister vor mir. Zwei meiner Brüder waren bereits nach Freiburg gegangen. Die ersten drei Geschwister waren jedoch alle wegen ihres Medizinstudiums nach Würzburg bzw. Hamburg gegangen. Ich gehörte dann eben zur zweiten Hälfte der Geschwister, die nach Freiburg gingen. Denn eigentlich hätte ich in dieser Zeit bereits nach Amerika heiraten sollen: Ich war nämlich mit einem Amerikaner verlobt. Als das dann aber in die Brüche ging, sagte mein Vater zu mir, "nun fang mal an zu studieren". Der Bruder, der mir am nächsten war, er war nur zweieinhalb Jahre älter als ich, studierte damals gerade Jura in Freiburg und er meinte daher zu mir: "Du hast doch einen logischen Verstand, da kannst du nichts falsch machen, wenn du Jura studierst." So bin ich in die Juristerei gekommen. Gleich am ersten Abend in Freiburg bin aber auch sofort zum Bachchor gegangen. Ich habe dann meine ganze Studentenzeit über in diesem Bachchor gesungen: mit wunderbaren Solisten und herrlichster Musik! Ich habe diese drei juristischen Studienjahre sehr genossen, wenngleich ich sagen muss, dass ich in diesen drei Jahren meistens an der Musikhochschule und nicht in der Uni gewesen bin. Ich habe diese Zeit wirklich sehr genossen. Nach einiger Zeit habe ich mir dann gedacht, dass ich wirklich gerne ausschließlich singen würde. Aber ich war in meinem Jurastudium doch schon so weit fortgeschritten, dass ich das nicht ohne Abschluss aufgeben wollte. Und dieses Studium hatte meine Eltern ja auch viel Geld gekostet. Es war also klar, dass ich Jura irgendwie zuende machen muss, sonst hätte das für mich nicht hingehauen. Mende: Das heißt, Sie haben noch das erste Staatsexamen gemacht in Jura. Behrens: Ja, das habe ich gemacht. Aber danach dann bin ich sofort zum Gesangsstudium gewechselt. Ich hätte das alles bestimmt nicht geschafft, wenn ich nicht diesen Drive gehabt hätte, unbedingt mein "Papier" in Jura zu erhalten, um dann auch gegenüber den Eltern mit gutem Gewissen mit der Musik anfangen zu können. Denn meine Eltern waren ja sehr, sehr großzügig gewesen mir gegenüber: Ihre Maxime lautete immer, die Kinder sollen werden, was sie wollen. Das war natürlich großartig und das hat sogar gegolten, wenn das zwei Studien werden sollten. Ich habe also nach der Juristerei sozusagen wieder von vorne angefangen: ebenfalls in Freiburg, weil ich dort vor allem natürlich an der Musikhochschule schon alle Leute kannte. Mende: Aber das Theater war ja wohl überhaupt schon in Ihnen drin. Sie haben einmal erzählt, Sie hätten als Kind bereits einen Zirkus gehabt: Eine Ziege musste her, eine dressierte Ente und auch ein weißes Meerschweinchen. Behrens: Ja, aber Meerschweinchen hatte ich mehrere. Vielleicht war das weiße aber auch besonders geschickt. Die Ente war jedenfalls sehr gelehrig, ebenso wie die Ziege, die sogar einen Tirolerhut aufhatte. Ich habe dann einen Schuhplattler getanzt und die Ziege musste einfach mitmachen. Die Kinder aus der Nachbarschaft haben für diese Vorstellungen in unserem Garten sogar ein paar Pfennige Eintritt gezahlt. Ich bin aber auch im Zirkus aufgetreten, als damals in Varel einer gastierte. Es wurden kleine Jungen gesucht, die Lust hatten, bei einer Elefantennummer mitzumachen. Ich war dabei das einzige Mädchen – und kam auch tatsächlich dran. Ich wurde auf den riesigen Elefanten gesetzt und der Elefant hat dann Kunststücke gemacht. Der Elefant hat mich dabei aber völlig eingespeichelt von oben bis unten, weil er mit seinem Rüssel natürlich "sehen" musste, wer da auf ihm drauf saß. Dieses Erlebnis hatte ich über viele, viele Jahre komplett vergessen. Als ich dann aber eines Tages mal bei Hagenbeck war und die Elefanten mit ihren Rüsseln zu den Besuchern herüber griffen, um sich ihr "Zuckerl" abzuholen, war das alles plötzlich wieder da. Das war schon eine herrliche Zeit in meiner Kindheit: Ich bin insgesamt eigentlich mehr mit den Jungs aufgewachsen. Mende: Man sagt, dass Ihnen Ihre Gesangslehrerin in Freiburg einmal sogar davon abgeraten hätte, diesen Weg einzuschlagen. Ist das wahr? Oder ist das nur eine Legende? Behrens: Nein, nein. Aber zwischendurch hat sie mir das schon mal gesagt. Erst hat sie mich wegen meiner besonders guten Stimme in ihre überbordende Klasse aufgenommen, aber dann stellte sich heraus, dass wir zwei wirklich grundverschiedene Temperamente waren. Aus diesem Grund hat sie mir dann im Laufe der Ausbildung mehrmals nahe gelegt, ob ich das nicht aufgegeben möchte. Nur weil man schöne Beine hätte, müsse man ja auch nicht unbedingt eine Tänzerin werden, hat sie gemeint: Sie würde keinen Ausdruckswillen in meiner Stimme finden usw. Aber nach ungefähr zweieinhalb Jahren war der Bann dann doch gebrochen. Ich dachte mir immer: Ich muss eben auf meine Weise üben. Dies hätte sie natürlich nie erfahren dürfen, denn sonst hätte sie mich sofort rausgeworfen. Ich wollte jedenfalls auch hier das Studium gerne fertig machen. Das ist wohl so ein Charakterzug von mir. Mende: Hat Ihnen denn dieses Jurastudium in irgendeiner Weise geholfen? Behrens: Ja, natürlich. Mende: Analytisches Denken scheint also auch beim Singen ein ganz wichtiger Faktor zu sein. Behrens: Ja, Jura ist eine phantastische Denkdisziplin, die man übt und lernt einfach nur dadurch, dass man dieses Fach betreibt, indem man zu den Klausuren geht, die Fälle unter die Gesetze subsumiert usw. Das war wirklich phantastisch. Das ganze Verfassungsrecht, das Rechts- und Wertsystem überhaupt hat mich wirklich vom Intellekt her sehr interessiert. Wenn man sich das Strafrecht anschaut, dann kommt man da natürlich noch einmal näher ans Theater ran. Da gibt es z. B. die Schuldausschließungsgründe, warum eine Person so gehandelt hat, wie sie gehandelt hat und fast nicht anders handeln konnte. Mit solchen Fragen ist man dann wirklich mitten im Theater drin. Mende: Sie haben 1983 und in den Jahren danach die Brünhilde in dieser Inszenierung von Peter Hall in Bayreuth gesungen. Es gibt ja dieses schöne Buch von einem Ernst von Pidde "'' aus der Sicht des deutschen Strafrechts". Haben Sie sich damit mal beschäftigt? Behrens: Nein, da habe ich nur mal so ein paar Döntjes draus gelesen. Das ist ganz süß. Mende: Aber die Frage, wie jemand so wurde, wie er ist, ist ja auf der Bühne schon recht wichtig. Die Geschichte beginnt irgendwann an einem Zeitpunkt X und endet dann mit dem letzten Vorhang. War Ihnen also dieses Herangehen wie im Jurastudium, dieser Versuch, Motivationen und Konstellationen zu erkennen, in den verschiedenen Partien, die Sie gesungen haben, nützlich? Behrens: Ja, das hat mir ganz wunderbar geholfen. Ich habe mich in meinem Studium aber auch viel mit Psychologie und Philosophie und Body Language und Alice Miller usw. auseinander gesetzt. Mich interessiert einfach die Frage, wie Menschen dazu kommen, das zu tun, was sie tun. Denn es gibt ja auch immer eine Geschichte vor der Geschichte, die da auf der Bühne erzählt wird. Das ist ja auch genau das, was ein Strafverteidiger oder ein Psychologe vor Gericht ans Licht zu bringen versucht. Mende: Hatten Sie denn Vorbilder in der Zeit Ihres Studiums? Denn das war ja die Zeit, in der z. B. noch eine Martha Mödl gesungen hat oder eine Astrid Varnay. Behrens: Nun ja, das ist immer so eine Frage nach den Vorbildern. Astrid Varnay war ja z. B. noch in Düsseldorf, als ich selbst in Düsseldorf angefangen habe: Ich habe das alles sehr genossen. Aber dass ich mir irgendeine Sängerin herausgegriffen hätte als Vorbild, kann ich nicht sagen. Wenn ich eine Rolle gesungen habe, dann habe ich mir im Vorfeld auch niemals die Interpretation von Kolleginnen auf Schallplatte angehört. Ich wollte auf gar keinen Fall irgendeine Schablone in mir aufbauen, eine Schablone, die man dann fast nicht mehr umgehen könnte: Denn so ein Bild ist ja doch immer irgendwie drin in einem. Ich habe also versucht das alles selbst zu finden in mir, das alles selbst von innen nach außen zu bringen. Mende: Sie kamen also nach dem Studium nach Düsseldorf ans Opernstudio: Das ist sozusagen eine Meisterklasse, an der man aber schon kleine und größere Rollen an der Oper in Düsseldorf singt. Was war den die erste Rolle, in der Sie dort dann auf der Bühne standen? Behrens: Die allererste war, wenn ich mich richtig erinnere, eine der Janitscharen in der "Entführung". Ich glaube, wir waren da zu viert, die alle in Pumphöschen rumliefen und einen riesengroßen Schleier vor dem Gesicht halten mussten. Diesen Schleier habe ich natürlich gleich prompt beim Einatmen in den Mund gesaugt. Mende: Sie hatten diesen Schleier im Mund? Das ist natürlich schlecht für eine Sängerin. Behrens: Ja, stellen Sie sich vor. Dirigiert hat das Ganze damals Peter Schneider, denn er hatte so um diese Zeit mit mir ebenfalls dort angefangen. Mende: Peter Schneider, der dann später den Ring von Solti übernommen hat? Behrens: Ja, der. Mende: Sie kannten sich beide also bereits von Ihren ersten Schritten auf der Bühne. Haben Sie jemals mit Lampenfieber zu kämpfen gehabt? Behrens: Ja, natürlich. Mende: Wie haben Sie das bekämpft? Gab es da Rituale? Behrens: Das musste ich ja schon ganz am Anfang irgendwie in den Griff bekommen. Als ich in Freiburg noch im Bachchor gesungen habe, gaben wir ja viele Konzerte, z. T. auch im Ausland. Das Freiburger Stundentenorchester fuhr meinetwegen in die Partnerstadt von Freiburg, nach Grenoble - und dort hat dann eben auch der Chor gesungen. Mein Sohn Philipp war damals noch ganz klein. Und wenn mich die Angst überkommen wollte, wenn ich mich z. B. gefragt habe, was ich da überhaupt mache, dann konnte ich mir immer sagen: "Ich habe ein wunderbares und gesundes Kind. Es gibt also etwas Wichtigeres auf der Welt als das Singen, sodass ich mir jetzt vor Angst nicht in die Hosen machen muss. Das stünde ja in gar keinem Verhältnis!" So hat das damals angefangen, dass ich mich diszipliniert habe. Ich habe z. B. auch nie ununterbrochen auf meine Gesundheit gestarrt und kontempliert: Denn da würde man ja ein Hypochonder werden. Wenn man also nicht so viel Zeit hat, um sich permanent und ausschließlich nur um sich selbst zu kümmern, dann wird man vielleicht kein Hypochonder. Denn ich hatte ja wirklich immer sehr viel zu tun. Und dazu kam noch, dass mein Umfeld wirklich wenig von der Oper geprägt war. Mende: Sie haben ja neben Ihren Auftritten ein ganz normales und reguläres Privatleben geführt. Sie haben eine Familie, Sie haben zwei Kinder groß gezogen. Behrens: Ja, das war alles wirklich vollkommen normal. Das war mir auch immer wichtig. Ein amerikanischer Agent, der mich gerne vertreten wollte, hat eines Tages mal – weil ich eben auch irgendwie permanent am rumzaudern war – zu mir gesagt: "Hildegard, let me ask you. Do you want to be box office?" Weil das noch ziemlich in meiner Anfangszeit war, fragte ich ihn, was das denn bedeutet "box office". Er erklärte mir: "Box office ist, wenn Luciano Pavarotti oder Bernstein über die Straße gehen und sie jeder auf der Straße erkennt!" Daraufhin habe ich sofort gesagt: "Nein, das möchte ich auf keinen Fall haben! So möchte ich das nicht! Ich möchte schon noch ganz normal mein Leben führen können, wie ich mir das vorstelle." Mende: Wie haben Sie denn das alles koordiniert? Denn dieser Beruf ist ja mit vielen Reisen verbunden, Sie müssen die Rollen einstudieren und Sie müssen sich vorbereiten auf einen Auftritt usw. Wie haben Sie das alles hinbekommen gleichzeitig mit Ihrer Familie? Behrens: Na ja, zuerst hatte ich ja nur ein Kind. Und nach zwölf Jahren, als dieses erste Kind aus dem Gröbsten raus war, kam dann das zweite Kind. Das ist beinahe so wie mit zwei Einzelkindern. Ich hatte eben immer liebevolle Familienangehörige und Freunde, die mitgeholfen haben, die mir das leichter gemacht haben. Da hatte ich wirklich unendliches Glück. So, wie ich überhaupt immer nur Glück gehabt habe. Ich hatte also viel Glück und einen starken Schutzengel. Mende: Solche Partien singt man ja nicht nebenbei: Viele Kolleginnen oder Kollegen von Ihnen, die ebenfalls solche schweren Partien singen, machen dann immer eine riesengroße Vorbereitung. Das heißt, sie sprechen dann ein, zwei Tage vor der Vorstellung gar nichts mehr. Wenn man Kinder und Familie hat, dann kann man sich das ja wohl nicht so einrichten. Behrens: Ja, das kann man sich so nicht einrichten, das stimmt. So etwas muss man sich abschminken. Ich habe mir auch abgeschminkt, Angst vor dem Fliegen zu haben, wie das noch am Anfang meiner Karriere der Fall gewesen ist. Ich musste mir aber sagen: "Wenn ich diese Angst weiter pflegen will, dann kann ich meine 'Boutique' gleich schließen! Denn ich kann ja nicht überall mit dem Zug hinfahren!" Solche Sachen kann ich schon ganz gut ausgrenzen. Und wenn ich einfach nicht so viel Zeit zur Vorbereitung habe, dann muss es eben mit weniger Zeit gehen. Mende: Quält einen eigentlich, wenn man wirklich ganz oben ist, die Sorge, dass jeder Aufstieg natürlich auch irgendwann einen Abstieg nach sich zieht, dass die Stimme nachlässt oder dass eine Kollegin kommt, die einen von einem Tag auf den anderen rechts überholt, sodass man dann mit einem Schlag nicht mehr die erste Wahl ist? Behrens: Wenn man nun gar nicht so viel nach den Kolleginnen kuckt, dann wird so etwas eben auch nie zwanghaft. Und ansonsten? Nein. Man hört natürlich schon, dass die Frau Soundso nun dort in einer Oper etwas macht, was eigentlich eine Leib-und- Seele-Rolle von einem selbst ist, oder dass man diese oder jene Produktion einer Kollegin vielleicht selbst gerne gemacht hätte, aber wenn man einmal in diesem Fach diese ganz dicken Brocken singt, dann ist das eigentlich nicht so tragisch: Denn so ganz viele Kolleginnen in diesem Fach gibt es ja nicht. Das mögen zwar mehr sein als bei den Tenören, aber insgesamt sind das dann doch nicht so viele. Und deshalb hat doch jede wirklich genug zu tun. Mende: Diese dicken Brocken haben, wie Sie in Interviews immer wieder gesagt haben, dazu geführt, dass Ihnen die kleineren Brocken nicht mehr angeboten werden, obwohl Sie doch auch in späteren Jahren sehr gerne noch einmal Mozart gesungen hätten. Behrens: Das habe ich dann ja auch gemacht. Mende: So? Das heißt also, diese Wünsche, die Sie immer wieder mal geäußert haben, sind in Erfüllung gegangen? Behrens: Ja, allerdings musste ich die schon ganz gut pushen. Doch, ich habe dann die Donna Anna an der Met und die in "" usw. gesungen. Das sind ja auch alles herrliche Mozartpartien. Ich habe mal zu Christa Ludwig, als wir in Catania die "Elektra" zusammen gemacht haben, gesagt: "Du, lass uns doch noch mal 'Fiordeligi' und 'Dorabella' machen." Sie meinte nur, ich wäre ja verrückt. Ich hätte mir das jedoch sehr schön vorstellen können, weil ich das noch gut singen konnte und sie bestimmt auch. Aber sie war eben nüchterner und ich war es wohl nicht. Mende: Sie haben mit Ihrer Fähigkeit, Partien auch schauspielerisch darstellen zu können, ja Maßstäbe gesetzt. Man hat Sie die Duse des Operngesangs, der Opernbühne genannt. Und das, obwohl Sie das ja eigentlich nie studiert hatten. Denn Schauspielunterricht haben Sie ja nie genossen. Behrens: Das stimmt, den habe ich nie studiert. Mende: Dann muss das wohl einfach in Ihnen drin gewesen sein. Behrens: Ich habe das nicht studiert, im Gegenteil. Ich kann Ihnen auch sagen, wer das mit der Duse gesagt hat. Das war nämlich Oscar Fritz Schuh, ein großer Theatermann. Als ich damals meine erste Rolle in Düsseldorf hatte, habe ich ihn gefragt, weil ich wenig Geld und einen kleinen Sohn hatte. Ich dachte nämlich: "Jetzt bist du doch in Düsseldorf! Da gibt es das Strucks, das bedeutende Schauspielhaus, da müsste ich doch eigentlich die Gelegenheit wahrnehmen, Schauspielunterricht zu nehmen." Denn im Opernstudio hatten wir ja auch immer noch Unterricht. Ich habe also Oscar Fritz Schuh gefragt, ob er mir Schauspielunterricht geben könne. Er hat aber nur gemeint: "Lassen Sie das um Gottes Willen sein. Da werden Sie nur in irgendeine Schublade oder Schablone hineingesteckt. Nein, auf keinen Fall, Sie haben eine natürliche Begabung dafür, das läuft schon bei Ihnen, auch ohne Unterricht." Ich war erleichtert, weil ich ja gar nicht gewusst hätte, wie ich so einen Schauspielunterricht überhaupt finanzieren sollte. Und dann hat mir das später ein Kollege von mir bei der "" an der Met – das muss wohl 1996 oder 1997 gewesen sein – noch einmal gesagt. Dieser Kollege war der Italo Tajo und er feierte dort sein 50-jähriges Bühnenjubiläum: Ein großer und wunderbarer Sänger. Er hat mir nämlich ein Buch über die Duse geschenkt mit den Worten: "Du erinnerst mich so an die Duse!" Das haben also zwei Menschen zu mir gesagt. Mende: Und das ohne voneinander zu wissen. Wie kamen Sie denn in Ihrer Karriere mit den Regisseuren zurecht? Behrens: Meistens gut. Und wenn es irgendwo etwas zu diskutieren gab, dann haben wir diskutiert. Und wenn sie mich nicht überzeugt haben, dann habe ich doch meistens meinen Willen bekommen. Mende: Muss man da, um diesen Willen durchsetzen zu können, um seinen Willen zu bekommen, erst einmal den Namen Hildegard Behrens haben? Oder ist das eine prinzipielle Frage der eigenen Überzeugung und wie man dann jeweils die Überzeugungsarbeit leistet? Behrens: Nun, es kommt schon auf das Wie an. Wenn man sich da irgendwie z ickig verhalten würde, wenn man unsachlich argumentieren würde, dann ginge das selbstverständlich nicht. Aber wenn man den eigenen Standpunkt taktvoll klar macht und das Gegenüber nicht beleidigt, sondern eher versucht, ihn zu verführen oder zu überzeugen, dann geht das. Das war bei mir von Anfang an so. Das war an sich auch mein Drive, Karriere zu machen: Damit ich dann frei wählen kann, mit wem ich zusammenarbeiten möchte. Und so bin ich eben gewissen Regisseuren aus dem Weg gegangen und habe mich dafür um andere gerissen. So etwas hat man nämlich auch schon ein bisschen in der Hand, nicht wahr. Mende: Das heißt, Sie hatten immer schon eine konkrete Vorstellung davon, was eine bestimmte Partie ausmacht. Behrens: Ja. Ja, klar. Mende: Das heißt, der Regisseur hatte dann noch gewisse Spielräume, aber die Grundkonzeption bei Ihnen stand bereits davor fest. Behrens: Ja, er hatte natürlich auch Spielräume, klar. Ich habe ja alles mitgemacht, was Sinn machte. Aber mein Figur hatte ich doch immer bereits internalisiert. Die hatte ich wirklich intus. Mende: Was war Ihnen denn lieber? Ein Regisseur, der mit einem festen Konzept auf die erste Probe kommt? Oder jemand, der sagt, "biete mal was an, und wir basteln uns dann etwas zusammen"? Behrens: Ich hätte gerne eine Kombination aus beiden. Ich wünsche mir einen Regisseur, der ein Konzept hat, ein sinnvolles Ganzes: auch für alle Kollegen, für das Bühnenbild usw. Aber ich wünsche mir auch einen Regisseur, der mir Freiraum lässt innerhalb dessen, was sinnvoll ist, um mich selbst ausdrücken zu können. Die Arbeit mit Peter Hall z. B. war ganz wunderbar. Die Leute haben ihm damals ja auch immer wieder vorgeworfen, dass er da auf die Proben mit dem Reclamheft in der Hand gekommen ist und immer am Text entlang gearbeitet hat. Aber er ist nun einmal ein großer Theatermann. Er hat mir dabei aber allen Freiraum gelassen. Wenn ich gesagt habe: "Hier möchte ich, dass das wie eine Pietà aussieht, hier möchte ich Angst ausdrücken. Kommt das rüber?" – dann hat er mir immer ganz klar gesagt, "Let's do it!". Oder er hat mir gesagt: "Wie wäre es, wenn du es so machen würdest?" Das war wirklich eine wunderbare Zusammenarbeit mit ihm. Außerdem muss ich sagen: Die drei Brünhilden, alle auf einmal in Bayreuth in einem gedrängten Zeitraum, das war schon was. Wenn ich da mit so jemanden wie Chereau oder meinetwegen mit Ruth Berghaus gearbeitet hätte, dann wäre ich wahrscheinlich zu Bruch gegangen bei so einer Anstrengung. Mende: Ihre Kollegin hat ja in letzter Zeit viel Regie geführt: Sie ist heute Intendantin des Landestheaters in Innsbruck. War das nichts, was auch sie gelockt hätte? Selbst Regie führen, selbst inszenieren? Behrens: Wieso gelockt hätte? Das könnte ja noch sein. Ich habe ja vor eineinhalb Jahren meine erste... Mende: Sie planen das also noch? Behrens: Ich sage nicht, dass ich das plane. Aber ich habe das vor eineinhalb Jahren mal angeboten bekommen. Auch hat mir bescheinigt, dass ich Regie führen könnte. Ich glaube, ich habe mich in der Vergangenheit einfach zu wenig darum bemüht, was das Umfeld betrifft. Denn da muss man ja schon eine unglaubliche Anzahl von Fachleuten um sich scharen, an die man dann guten Gewissens delegieren kann, wenn man erst einmal ein eigenes Konzept hat. Es hat mich wohl einfach nicht so sehr gereizt, dass ich das durchboxen hätte wollen. Aber vielleicht kommt das noch, wer weiß. Mende: Es liegt also noch vieles vor Ihnen. Dazu wünschen wir Ihnen sehr, sehr viel Glück. Und wir danken Ihnen für die vielen, vielen spannenden Opernmomente, die Sie uns geschenkt haben. Ich danke Ihnen natürlich auch, dass Sie heute hierher in unsere Sendung gekommen sind. Und Ihnen, meine Damen und Herren, auch noch einmal ein herzliches Dankeschön für Ihr Interesse.

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