Hildegard Behrens Kammersängerin Im Gespräch Mit Hans Jürgen Mende

Hildegard Behrens Kammersängerin Im Gespräch Mit Hans Jürgen Mende

BR-ONLINE | Das Online-Angebot des Bayerischen Rundfunks http://www.br-online.de/ alpha/forum/vor0501/20050131.shtml Sendung vom 31.01.2005, 20.15 Uhr Hildegard Behrens Kammersängerin im Gespräch mit Hans Jürgen Mende Mende: Willkommen zum alpha-forum, meine Damen und Herren. Wir freuen uns sehr, dass heute eine der bedeutendsten Sängerinnen unserer Zeit, Hildegard Behrens, zu uns gefunden hat. Herzlich willkommen, Frau Behrens. Behrens: Vielen Dank für die Einladung. Mende: Ich habe am Anfang eine Frage, die sich mir stellt, wenn ich im Opernhaus sitze: Wenn Sie auf der Bühne stehen und einen großen, schönen und gelungenen Ton singen, was ist das dann für ein Gefühl in Ihnen? Was spüren Sie da? Behrens: Ich habe das Gefühl, als würde ich in einem Rennauto sitzen: Es geht immer der Strecke nach. Wenn etwas misslingt, dann ist das zwar sehr irritierend, aber auch das darf man eben nur quasi wie im Vorbeifahren registrieren. Und man darf im gelungenen Fall eben auch nicht auf diesem Ton bleiben. Das wäre ja dieser Faust'sche Wunsch, wenn Faust zum Augenblick sagt: "Verweile doch, du bist so schön!" Es geht also immer weiter und der Gedanke muss wie beim Autofahren immer nach vorne gerichtet sein. Mende: Gibt es denn den Moment des Genusses? Behrens: Insgesamt ist das ein Genuss. Das Ganze ist ein Hochgenuss, ja. Mende: Hat man denn ein Gefühl der Leere, wenn die Vorstellung dann zu Ende ist? Oder ist das, wenn es gelungen ist, und davon gehen wir jetzt einfach mal aus, ein wirkliches Hochgefühl? Behrens: Ja, das ist ein Hochgefühl. Mende: Kann man nach diesem Gefühl süchtig werden? Behrens: Ja, das glaube ich schon, ja. Mende: Ist es das, was Sie immer wieder auf die Bühne "getrieben" hat? Behrens: Das ist einfach dieser Energieaustausch und das Adrenalin läuft auf Hochtouren. Es kommt ja die Energie von allen, die daran beteiligt sind, auf einen zu: von den Sängerkollegen, vom Orchester, vom Dirigenten, von den Mitarbeitern hinter der Bühne und last but not least vom Publikum. Das ist schon eine gewaltige Energieakkumulation. Und wenn die ganz schönen Momente passieren, dann hat man das Gefühl, dass sich durch das Zusammentreffen der Energien von allen Beteiligten so etwas wie ein Quantensprung ereignet: Da entsteht etwas Neues, da kommt quasi noch eine weitere Energiequelle mit hinzu, die sich nicht einfach aus der Addition der einzelnen und individuellen Energiequellen ergibt. Das ist phantastisch und deshalb haben sowohl das Publikum wie auch wir Sänger und Musiker das Gefühl, dass man bereichert nach Hause geht, dass man etwas bekommen hat. Leer bin ich hinterher ohnehin nie: Ich habe nie das Gefühl, mich verausgabt zu haben oder so. Nie. Mende: Ist denn wirklich jede Vorstellung anders? Behrens: Ja, jede Vorstellung ist anders. Mende: Denken Sie hinterher, dass Sie die eine oder andere Stelle beim nächsten Mal vielleicht doch etwas anders gestalten möchten? Behrens: Ja, natürlich. Man registriert das alles ja irgendwie in einer Art von innerem Computer und nachher wird das dann sozusagen abgerufen. Deswegen hatte ich ja auch von Anfang an schon immer das Gefühl, dass meine Technik ganz einfach das machen muss, was ich ausdrücken möchte. Wenn etwas misslingt, dann wird das registriert und dann wird nachher daran gearbeitet. Das ist so, wie Rubinstein gesagt hat: "Ich lerne von Konzert zu Konzert." Denn im Konzert sind die Antennen alle komplett ausgefahren, da sind die Nerven am verletzbarsten. Es ist also so, dass nach einer Vorstellung die innere Kamera dann gewissermaßen rückwärts läuft. Aber im Moment des Singens muss einfach, wenn ich das mal so norddeutsch ausdrücken darf, "rein, was Beine hat!". Mende: Wenn eine Vorstellung läuft, denken Sie dann in den einzelnen Szenen, Sie müssen nun dorthin gehen und dieses oder jenes machen? Oder ist das, weil Sie soeben Rubinstein angesprochen haben, so wie bei einem Pianisten? Denn bei einem Pianisten läuft im Konzert ja doch relativ viel automatisch ab. Behrens: Ich kann mir das Gefühl des Pianisten im Zustand des Konzerts, also der Performance, zu schlecht vorstellen, als dass ich einschätzen könnte, was da automatisch abläuft, wie das mit der Mechanik genau ist. Natürlich muss auch beim Singen einiges gesangstechnisch automatisch ablaufen: Das übt man. Das habe ich schon früh bei der "Fiordeligi" gelernt, damit es ohne Bruch von der Tiefe in die Höhe und dann wieder runter in die Tiefe geht. Dafür gibt es spezielle Übungen, die man sich zusammenbastelt. Oder es gibt einem da jemand auch mal einen Tipp. Das wird dann geübt, sodass es dann in der Aufführung wie eine Mechanik ablaufen kann. Denn im Moment des Singens selbst muss der Gedanke wieder ganz auf das Musikstück gerichtet sein. Mende: Wenn eine sehr schwere und vielleicht auch riskante Stelle kommt, spielen da dann auch die Nerven eine Rolle? Oder ist es so, wie Sie das vorhin schon gesagt haben: Läuft da einfach der Zug dahin? Denn da gibt es ja kein Anhalten mehr, Sie können ja nicht sagen, "Oh, diesen Ton möchte ich jetzt aber gerne noch einmal singen". Sind das Momente, in denen man sehr bewusst auf solche gefährliche Klippen zusteuert? Behrens: Ja, natürlich. Das ist wie bei einem Rennfahrer, wenn er auf eine ganz gefährliche Kurve zurast: Da richtet sich der gesamte Körper ganz einfach per Adrenalin darauf ein. Dazu fällt mir eine schöne Geschichte ein, die Herbert von Karajan mir erzählt hat. Er hat ja damals in Salzburg so ein Institut ins Leben gerufen, wo er alle möglichen Sachen messen konnte: z. B. den Blutdruck und den Puls beim Fliegen oder wie bei einzelnen Aufführungen quasi die Fieberkurve des Nervensystems verläuft usw. Er erzählte mir, dass er einmal eine Aufführung des "Siegfrieds" dirigierte, in der eine Kollegin große Angst vor dem hohen C hatte. Die Messinstrumente waren bei dieser Aufführung jedoch bei ihm als Dirigenten angeschlossen. Und was geschah? Als das hohe C des Soprans an der Reihe war, ging sein Blutdruck auf gut 200 nach oben. Weil er das alles eben so mitempfunden hat. Natürlich wird man aufgeregter, wenn man an so eine Stelle kommt. Das ist ja wahrscheinlich auch notwendig, um für solche Momente eben genug Adrenalinausschüttung zu haben. Wir wissen ja, dass in Momenten der Gefahr – Sie haben soeben auf das Risiko des Scheiterns angespielt – solche Adrenalinausschüttungen dem betreffenden Menschen regelrechte Bärenkräfte verleihen können. Ohne dieses Adrenalin ginge das nicht. Wenn man meinetwegen panische Angst vor einem Untier hat, dann springt man über eine hohe Mauer und kann hinterher gar nicht verstehen, wie man über diese Mauer überhaupt je gelangen konnte. Das heißt, es werden in solchen Momenten auch Extrakräfte frei. Mende: Sie haben Ihre Partien ja immer voll durchgesungen. Es gibt nämlich auch viele Kollegen, die sagen: "An dieser oder jener Stelle spar ich mir die Energie, denn da hört man mich ohnehin nicht. Da kann ich also meine Stimme mal ganz zurücknehmen." Ein Markenzeichen von Ihnen bestand darin, dass Sie eine Partie, egal ob das nun die großen oder kleinen Stellen waren, in einem Zug durchgesungen haben. War das Teil Ihrer Technik, an diese Partien so heranzugehen? Behrens: Das war immer ein Teil meines Anspruchs an mich. Ich habe das schon früh in Düsseldorf gelernt. Ich lernte das in einem "Lohengrin", den ich mit dem alten Studienleiter in Düsseldorf einstudiert habe. Bei diesem Einstudieren hat er im Hinblick auf das Finale des ersten Aktes zu mir gesagt, und das war für mich wirklich ein Schlüsselerlebnis: "So, nun haben Sie das gelernt. Aber nun vergessen Sie es wieder!" Ich habe ihm geantwortet: "Ich verstehe nicht, was Sie meinen." Ich glaube, das war erst in meiner zweiten oder dritten Saison. "Na ja, damit meine ich, dass Sie das nicht singen werden. Da singen alle unisono. Da brauchen Sie nicht auch noch mitsingen. Auch der Lohengrin selbst macht in dem Moment nur den Mund auf und zu. Den Text selbst kennen Sie ja." Ich erwiderte ihm: "Aber das ist doch wunderbare Musik, die ich gerne singen möchte." "Nehmen Sie sich in Acht, es ist ein langer Abend, nicht dass Ihnen das am Ende dann fehlt!", sagte er zu mir. Wie gesagt, ich hatte damals noch nicht viel Erfahrung. Ich ging also nach Hause und dachte mir: "Na ja gut, das ist ein alter Fuchs. Der hat doch schon bei Strauss den Korrepetitor gemacht. Der kennt also all die Schliche. Und wenn er das so sagt, dann ist da vielleicht wirklich etwas Richtiges dran." Ich habe mir dann überlegt, dass das doch frustrierend sei, da nicht zu singen, wie der musikalische Bogen nun einmal ist: Wenn ich, was der liebe Gott verhüten möchte, am Ende dann nicht mehr genügend Kraft haben sollte, dann war diese Partie eben falsch bemessen für mich zu diesem Zeitpunkt, dann muss ich die Suppe eben auslöffeln und etwas anderes machen und die Konsequenz daraus ziehen. Aber ich habe dann schon gemerkt, dass es für mich, wenn ich auf diesem Energiebogen drauf bleibe, nur so geht und auch am leichtesten geht. Denn die Kompositionen sind alle, alle, wie sie da sind, so meisterhaft komponiert, dass sie einen auch rübertragen. Wenn der Gedanke oder das Gefühl da unterbrochen wird, dann haut das nicht mehr hin. Wissen Sie, ich habe da immer die Vorstellung, dass das wie bei einem großen Verkehrsflugzeug ist: Wenn so ein Jumbo immer wieder zur Zwischenlandung runter geht, dann kostet das ja letztlich viel mehr Sprit, wie er deswegen auch immer wieder neu starten muss. Mende: Sie wollten also keine Boxenstopps einlegen, um bei Ihrem Bild von vorhin zu bleiben. Behrens: Was heißt das? Das kenne ich nicht. Mende: Sie haben ja vorhin das Rennfahrerbild gebracht: Die fahren ja auch immer wieder raus, um zu tanken. Behrens: Ach so. Aber das müssen Sie ja, das ist Teil der Sache.

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