2008-10-30 Endversion Mit Titelblatt Mit Literaturv
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Die politische und literarische Caesarrezeption im England des 16. Jahrhunderts. Studie zum Verhältnis von Geschichte und Literatur anhand Shakespeares Julius Caesar vorgelegt von Julia Schüler aus Wiesbaden von der Fakultät I – Geisteswissenschaften der Technischen Universität Berlin zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Geisteswissenschaften – Dr. Phil. – genehmigte Dissertation Promotionsausschuss: Vorsitzender: Prof. Dr. Wolfgang Radtke Berichter: Prof. em. Dr. Werner Dahlheim Berichter: Prof. em. Dr. Kuno Schuhmann Tag der wissenschaftlichen Aussprache: 12.Mai 2009 Berlin 2009 D83 1. CAESAR IM MITTELALTER 1 1.1 DER ALLEINHERRSCHER 2 1.2 DER RITTERLICHE HELD 6 1.3 ZUSAMMENFASSUNG 11 2. CAESAR IM ENGLAND DES 15. UND 16. JAHRHUNDERTS 12 2.1 JOHN LYDGATES THE SERPENT OF DIVISION 13 2.2 JOHN LYDGATES THE FALL OF PRINCES 16 2.3 WILLIAM BALDWINS THE MIRROR FOR MAGISTRATES 18 3. GESCHICHTE UND DRAMA: DIE MACHT DER VERGANGENHEIT 21 3.1 DAS HISTORIENDRAMA ALS MEDIUM DER GESCHICHTE 23 3.2 DER GEBRAUCH HISTORISCHER MUSTER 25 3.3 „EVIL GOVERNMENT “ 27 3.4 NORTONS UND SACKVILLES DRAMA GORBODUC 33 3.4.1 GORBODUC UND DIE THEORIE DES TYRANNENMORDES 36 3.5 SHAKESPEARES RICHARD II 38 3.5.1 RICHARD II. UND DER TUDOR MYTHOS 41 3.6 ZUSAMMENFASSUNG 42 4. WIE SHAKESPEARE ZU SHAKESPEARE WURDE 43 4.1 VON DER GEBURT BIS ZU SEINEM AUFSTIEG IN LONDON 44 4.2 „T HE UPSTART CROW“ 47 4.3 ZWEIFEL AN DER IDENTITÄT SHAKESPEARES 55 4.4 AUF DER SUCHE NACH SHAKESPEARES IDENTITÄT IN SEINEN WERKEN 60 4.5 ZUSAMMENFASSUNG 61 5. BILDUNG IM 16. JAHRHUNDERT 64 5.1 GESELLSCHAFTLICHE UND GEISTIGE GRUNDLAGEN DES ENGLISCHEN HUMANISMUS UND DER AUFSTIEG DES KLEINEN LANDADELS 64 5.2 AUSBAU DES SCHULWESENS 67 5.3 BILDUNGSINHALTE 68 5.4 SHAKESPEARES GRAMMAR SCHOOL AUSBILDUNG 70 6. VORLAGEN FÜR SHAKESPEARES JULIUS CAESAR 77 6.1 ANSPIELUNGEN AUF CAESAR IM GESAMTWERK SHAKESPEARES 77 6.2 CAESARDRAMEN IN ENGLAND 80 6.3 DER EINFLUSS FRANZÖSISCHER CAESARDRAMEN AUF SHAKESPEARE 82 6.3.1 GARNIERS CORNÉLIE BZW. KYDS CORNELIA 84 6.4 SHAKESPEARES QUELLEN 86 6.4.1 SHAKESPEARE UND APPIANS RÖMISCHE GESCHICHTE 88 6.4.2 SHAKESPEARE UND CICERO 98 6.5 PLUTARCH 105 6.5.1 „D ENN ICH SCHREIBE NICHT GESCHICHTE , SONDERN LEBENSBILDER …“ 108 I 6.5.2 ÜBERSETZUNGEN IM 16. JAHRHUNDERT 111 6.5.3 SIR THOMAS NORTH 113 6.6 PLUTARCH UND SHAKESPEARE 116 7. SHAKESPEARES THE TRAGEDY OF JULIUS CAESAR 117 7.1 SHAKESPEARES GESTALTUNG DER CAESAR -FIGUR 119 7.1.1 CAESARS AUFTRETEN 120 7.1.2 CASSIUS ` CAESARBILD 129 7.2 BRUTUS 137 7.3 IST SHAKESPEARES CAESAR EIN TYRANN ? 147 8. DIE EINORDNUNG DES DRAMAS IN DEN HISTORISCH-POLITISCHEN KONTEXT 158 8.1 DAS ELISABETHANISCHE WELTBILD 160 8.2 DIE ESSEX -AFFÄRE 166 8.3 „J EDER LEISTE DEN TRÄGERN DER STAATLICHEN GEWALT DEN SCHULDIGEN GEHORSAM “ 172 9. ZUSAMMENFASSUNG 179 II 1. Caesar im Mittelalter Wenn Matthias Gelzer vom „zwingenden Zauber“ Julius Caesars spricht, dann spiegelt das sehr anschaulich die Faszination, die seit Jahrhunderten von seiner Persönlichkeit ausgegangen ist. Eine Faszination, die gerade wegen der ambivalenten Haltung diesem Römer gegenüber umso bedeutender ist. Denn während die einen Caesar als genialen Feldherrn und Politiker feierten, der die Grundsteine einer neuen imperialen Ordnung schuf, betrachteten ihn die anderen als Zerstörer der libertas der Römischen Republik. Dabei hat sich gezeigt, dass die unterschiedlichen Beurteilungen Caesars nicht nur durch die individuellen Wertungen der einzelnen Autoren geprägt wurden, sondern gleichermaßen auch durch die politischen Konstellationen und der Bewusstseinlagen der Caesar nachfolgenden Epochen. Das antike Caesarbild ist mit den Arbeiten von Strasburger 1 und Christ 2 ausführlich untersucht worden. Für das Mittelalter basiert Caesars Bild immer noch weitgehend auf dem „sehr persönlich gestalteten, aber als Ganzes unentbehrlichen und vielfach anregenden Gesamtüberblick“ 3 von Friedrich Gundolf aus dem Jahr 1924. 4 Grundlegende Informationen zu Caesar im Mittelalter vermittelt darüber hinaus der Artikel von Brunhölzl im Lexikon des Mittelalters 5 und die darin enthaltenen Querverweise. 6 Die Spezialstudien von Leeker 7 und Hlavacek 8, die sich mit Caesar in der romanischen beziehungsweise englischen Literatur im Mittelalter beschäftigen, haben viel dazu beigetragen, das mittelalterliche Caesarbild zu vervollständigen. Auch wenn das Christentum die heidnische Welt verbannte und die Gestalt Caesars in den Hintergrund treten ließ, erinnerte man sich seines Namens allein durch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Seine Person wurde mit den – 1 STRASBURGER, Hermann: Caesar im Urteil seiner Zeitgenossen, 2. durchges. u. erw. Aufl., Darmstadt 1968. 2 CHRIST, Karl: Caesar. Annäherungen an einen Diktator, München 1994, S. 57-114. 3 Ders., S. 336 4 GUNDOLF, Friedrich: Caesar, Darmstadt 1968. 5 Siehe: s.v.: Caesar, in: LMA 2, Sp. 1355ff. 6 Caesar taucht zuerst in dem um 1080 n.Chr. entstandenen Annolied auf (V 271ff), das zur Ehre des Kölner Erzbischofs Anno II. (gestorben 1075) verfasst wurde. Das besondere Interesse daran gilt Caesar und den vier deutschen Stämmen, deren Ursprung zum Teil hier erstmals erwähnt wird. Caesars Bündnis mit den Deutschen macht diese zu Mitbegründern seiner Monarchie. Die Integration der Deutschen ins Römische Reich geht somit auf Caesar zurück. Siehe: s.v.: Annolied, in: LMA, Bd 1, Sp. 668; s.v.: Caesar, in: LMA, Bd. 2, Sp. 1355. Auch in der um 1150 entstandenen und weit verbreiteten mittelhochdeutschen Geschichtsdichtung, Kaiserchronik, wird Caesar zum vorbildlichen Helden und mit ethischen Qualitäten besonders ausgezeichneten Herrscher, s.v.: Caesar, in: LMA, Bd. 2, Sp. 1355. 7 LEEKER, Joachim: Die Darstellung Caesars in den romanischen Literaturen des Mittelalters, Frankfurt/Main 1986. 8 HLAVACEK, Ludmilla: Das Bild Caesars in der englischen Literatur des Mittelalters, Wien 1956. 1 grundsätzlich fingierten – Gründungssagen europäischer Städte in Verbindung gebracht9 und auch einige Herrscher- und Adelsgeschlechter beriefen sich auf ihn als ihren Ahnherrn. Zwar wird Caesar nicht im Kontext der innenpolitischen Strömungen der römischen Republik gesehen, sondern wirkte allein durch die magische „Würde seines Namens“, 10 aber ihn deswegen nicht als eine Figur des politischen Denkens zu bezeichnen, 11 hieße, Herrschern wie Otto III. und Friedrich II. ein politisches Verständnis abzusprechen, beriefen sie sich doch dezidiert auf Caesar und nahmen ihn zum Vorbild. Denn was anderes als politisches Denken ist es, wenn Fürsten und Könige sich in die direkte Nachfolge eines Mannes stellten, der seine und die ihm nachfolgenden Generationen in vielfältigster Weise geprägt und beeinflusst hat? Dabei spielt Caesar als Individuum keine Rolle. Den mittelalterlichen Herrschern galt Caesar als das Symbol der allerhöchsten weltlichen Macht und der militärischen Ehren – als Alleinherrscher und Eroberer. 1.1 Der Alleinherrscher Die Hauptquelle für das mittelalterliche Caesarbild ist Lukan. Obwohl er Epiker ist, wurde er bereits von Petronius, Martial und Quintilian unter die Historiker aufgenommen. 12 Da er im Gegensatz zu den anderen Dichtern seiner Zeit auf den epischen Götterapparat verzichtet, mutet seinem Werk ein Mehr an historischer Wirklichkeit an, zumal es zahlreiche reflektierende, argumentierende, zuweilen anklagende Passagen enthält, die dem antiken Epos fremd sind. Lukan kam damit dem mittelalterlichen Denken insofern entgegen, als dass man Poesie und Historiographie als zwei Ausprägungen derselben Rhetorik betrachtete. 13 Lukans Pharsalia schildert das Trauma des Bürgerkrieges, für den der Dichter Caesar verantwortlich macht. Seine durchweg negative Darstellung Caesars ergibt ein für das mittelalterliche Caesarbild interessantes Phänomen: Wenn Lukan für dieses die ausschlaggebende Quelle ist, wie kommt es dann, dass die mittelalterlichen Herrscher sich ganz bewusst 9 Siehe S. 8 und 9 10 GUNDOLF, S. 51 11 Vgl. CHRIST, S.115 12 Vgl. LEEKER, S. 54. Die moderne Forschung zählt Lukan nicht zu den Historikern, da er gelegentlich den zeitlichen Ablauf der Dinge aufgrund ihrer Dramaturgie verschiebt. Auch Heeresbewegungen, Truppenstärke, militärische Übungen und Schlachtenschilderungen interessieren ihn zumeist nur schematisch und im Hinblick auf die künstlerische Wirkung. Vgl. LUCK, Georg (Hrsg.): Lukan. Der Bürgerkrieg, in: Schriften und Quellen der Alten Welt, Bd. 34, Berlin 1985, S. 37. 13 Man spricht auch von einer “epischen Wahrheit”, die vom Publikum als historisch verbürgt aufgefasst wird. Das Chanson de Roland und das Nibelungenlied zählen als gesungene epische Dichtung beispielsweise dazu. Vgl. KLINKERT, Thomas: Einführung in die französische Literaturwissenschaft, 2. durchges. Aufl., Berlin 2002, S. 72. 2 auf Caesar als Identifikationsfigur beriefen? Die einzig mögliche Antwort ist die, dass der von Lukan so scharf kritisierte Bürgerkriegsgeneral für deren politisches Denken nicht so bedeutend war wie Caesar als Alleinherrscher. In der Bedeutung des mittelalterlichen Caesarbildes folgt Orosius auf Lukan. Als frühchristlicher Autor deutet Orosius die Bürgerkriege von Caesar und Augustus um: Caesars Tod ist nur der Ausgangspunkt für neue Wirren, die durch menschliche Überheblichkeit genährt wurde. So ist für ihn das Gemetzel der Bürgerkriege die gerechte Strafe, nach deren Verbüßen die Machtkonzentration in Augustus` Händen die Menschen zwang, Herrschaft zu ertragen. 14 Im späten Mittelalter gewinnen der Biograph Sueton und Caesar selbst an Bedeutung: Sueton bereichert das mittelalterliche Caesarbild durch viele charakteristische Details und bestärkt die bereits