Markus Blaich Werla – Zu den neuen Untersuchungen auf der Pfalz

1937, 1957, 2007 – Zu den neuen Untersuchungen auf der Pfalz Werla *

Forschungen nachgewiesen werden. Großfl ächige Grabungen haben zwi- schen 1936 und 1939 und 1957 und 1964 zur Aufdeckung fast der gesam- ten Kernburg geführt. Die Verästelun- gen der Forschungsgeschichte sollen an dieser Stelle nicht näher vorgestellt werden 1. Die aus konservatorischen Grün- den seinerzeit wieder abgedeckten Gebäudefundamente sollen in den kommenden Jahren erneut freigelegt und vor Ort visualisiert werden. Das Konzept des „Archäologischen Parks Werla“ wird wesentlich auf den im Jahre 2007 begonnenen Ausgrabungen in der Hauptburg so- wie den Untersuchungen in der Vor- burg fußen. Abb. 1. Blick auf Werla (Bildmitte). Rechts die Auen der , links die Flächen Träger dieser Maßnahmen sind – ne- der Vorburg (H. Meyer, Grabung Pfalz Werla). ben der Gemeinde Werlaburgdorf und der Samtgemeinde Die Pfalz Werla, Gemeinde Werla- weite Landschaft; schon auf den ersten – der Landkreis Wolfenbüttel, das burgdorf in der Samtgemeinde Schla- Blick wird die sichere, gut zu verteidi- Niedersächsische Landesamt für den, zählt wohl zu den bekanntesten gende Lage verständlich (Abb. 1). Denkmalpfl ege (Stützpunkt Braun- und bedeutendsten archäologischen Bereits im ausgehenden Mittelalter schweig), der GeoPark /Braun- Plätzen in Niedersachsen. Beeindru- war die genaue Lage der Kaiserpfalz schweiger Land/Ostfalen und die ckend ist die Topografi e auf einem in Vergessenheit geraten und konnte ARGE Wolfenbüttel. Als wissen- Geländesporn 18 m oberhalb der erst in den zwanziger Jahren des 20. schaftliche Kooperationspartner sind Oker. Von hier aus überblickt man die Jahrhunderts mit archäologischen das Braunschweigische Landesmuse- um, Referat Ur- und Frühgeschichte Abb. 2. Die Grabungen auf der Hauptburg der Werla (Sommer 2007). Links (Wolfenbüttel) sowie die Johannes- das Westtor, in der Bildmitte und rechts die Gebäudefl ucht zwischen sog. „Ke- Gutenberg-Universität Mainz, Insti- menate“, „Zwischenbau“ und Kapelle (A. Grüttemann / H. Meyer, Grabung tut für Vor- und Frühgeschichte, zu Pfalz Werla). nennen. Erhebliche fachliche Unter- stützung bieten das Ingenieurbüro Gockel+Partner (Baunatal) sowie das Büro HPM Vermessung (Wolfenbüt- tel). Als wichtigster Sponsor konnten die Curt Mast-Jägermeisterstiftung (Wolfenbüttel) und die V+R-Stiftung (Hannover) gewonnen werden.

Die historische Überlieferung – beredtes Schweigen Die Pfalz Werla ist im 10. Jahrhun- dert einer der wichtigsten Schauplätze deutscher Geschichte gewesen. Von Heinrich I. bis Otto III. (926 bis 1002) haben sich hier alle Könige aus der Familie der Ottonen mehrfach auf- gehalten und wichtige Entscheidun- gen getroffen. Dabei hat nicht zuletzt die schlaglichtartige, aber umso ein- drücklichere schriftliche Überliefe- rung zur Berühmtheit von Werla bei- getragen.

Burgen und Schlösser 2/2008 67

02_Blaich.indd 67 30.06.2008 11:51:55 Uhr Markus Blaich

Abb. 3. Das Westtor der Werla, Blick von innen nach außen. Im Hintergrund die Wehrmauer, am rechten Bildrand das Fundament des Erdwalles (H. Meyer, Grabung Pfalz Werla).

Abb. 4. Das Mauerwerk des Westtores. Deutlich zu erkennen ist die unterschiedliche Fügung von Fundament und auf- gehendem Mauerwerk (H. Meyer, Grabung Pfalz Werla).

Im 10. Jahrhundert wurde die Pfalz sammlungen der führenden Adligen, Die archäologische Forschung mit ihren beiden Vorburgen zur größ- überliefert. Das ist eine – verglichen – mehr Interpretation als ten befestigten Siedlung Nordeuro- mit anderen Pfalzen – recht dürftige Argumentation pas ausgebaut. Die ovale Hauptburg Zahl. Auch spielte Werla zu keiner Aber auch die Geschichte der archä- misst etwa 130 m im Durchmesser; Zeit im Jahreslauf der Ottonen eine ologischen Forschung, die wechseln- die beiden Vorburgen umfassen eine besondere Rolle, z. B. als so genann- den Deutungen der ergrabenen Befun- Fläche von annähernd 600 x 600 m. 3 te „Weihnachts-“ oder „Osterpfalz“ . de und vor allem deren Abhängigkeit Im Zentrum der Hauptburg standen Man könnte demnach zu dem Schluss vom jeweiligen Zeitgeist mögen zur neben einer Versammlungshalle ( pa- kommen, dass die Pfalz nur von un- besonderen Faszination der Pfalz bei- latium ) ein repräsentativer steinerner tergeordneter Bedeutung war. Diesen getragen haben. Wohnbau und eine Kirche (Abb. 2). Beobachtungen steht gegenüber, dass Beispielhaft lässt sich das an der Dis- Zahlreiche Wirtschaftsgebäude in den hier mindestens dreimal über eine kussion um die Bauabfolge auf der Vorburgen dienten als Produktions- Königsnachfolge entschieden wurde; Hauptburg verdeutlichen: Die Inter- stätten und zur Versorgung der kaiser- auch wird Kaiser Barbarossa nicht pretation des Gesamtbefundes durch lichen Hofhaltung 2. ohne Grund gerade an diesem Ort, die verschiedenen Bearbeiter war Im Herbst 1180 war Werla zum letz- mitten im sächsischen Herzogtum, immer abhängig von der archäologi- ten Mal Schauplatz eines Ereignisses den Prozess gegen Heinrich den Lö- schen Datierung der einzelnen Gebäu- von europäischer Bedeutung, als hier wen abgeschlossen haben. de. Diese beruhte aber von Anbeginn Kaiser Friedrich I. Barbarossa den In der Gesamtschau lassen die vorlie- an auf historischen Überlegungen und Prozess gegen Heinrich den Löwen genden Quellentexte demnach viele gründete nicht auf dem geborgenen abschloss. Fragen unbeantwortet. Ihre knappe Fundmaterial. H. Schroller und der Für die Jahre von 926 bis 1035 sind für Form, die offensichtlich bei den zeit- ihn unterstützende Architekt M. Ru- Werla insgesamt 15 Aufenthalte von genössischen Lesern viel Bekanntes dolph dachten eine ottonische Pfalz Königen bzw. Kaisern bezeugt; fer- voraussetzte, erschwert den heutigen nachzuweisen, gewissermaßen das ner sind vier so genannte „sächsische das Verständnis – eine Grenze der Er- Vorbild aller Pfalzen überhaupt und Stammesversammlungen“, d. h. Ver- kenntnis. damit die „Wiege des Deutschen Rei-

68 Burgen und Schlösser 2/2008

02_Blaich.indd 68 30.06.2008 11:52:02 Uhr Werla – Zu den neuen Untersuchungen auf der Pfalz

Abb. 5. Im anstehenden, dunkelbraun-humosen Erdreich zeichnet sich das Fundament des Erdwalls (8./9. Jahrhundert) deutlich als helles, ockerfarbenes Band ab (H. Meyer, Grabung Pfalz Werla). Abb. 6. Blick auf die Fundamente der so genannten „Kemenate“ mit dem Gipsestrich (Vordergrund) und des so genannten „Zwischenbaues“ (Hintergrund) (H. Meyer, Grabung Pfalz Werla).

ches“. Es ist ganz offensichtlich, wie im Gegensatz zum Tor I (Nordtor) Hinweise auf Dachziegel oder Schie- hier der Zeitgeist die archäologische nicht durch halbrunde, vorgesetzte ferdeckung vorliegen, wird man nicht Be wertung der Grabungsergebnisse Türme nachträglich verändert wurde, fehlgehen, wenn man eine Dachde- bestimmte: König Heinrich I. (919 bis sahen die Ausgräber in diesem Tor ckung mit Spaltbohlen voraussetzt. 936) galt in der politischen Ideologie eine weniger repräsentative Anlage, Die Suchschnitte der Jahre 1934 und des „3. Reiches“ als vermeintlicher die vor allem der Versorgung der 1936 bzw. die Grabungsgrenzen der Begründer des „1. Reiches“, und diese Kernburg diente. In dieses Bild fügte Jahre 1937/38 konnten eindeutig er- Überhöhung fand ihre Entsprechung sich treffl ich ein, dass von diesem Tor fasst werden. Durch die Erweiterung in der Deutung der freigelegten Be- aus der heutige Ort Schladen mit sei- der Grabungsfl ächen in bisher nicht funde 4. ner am Ortsrand gelegenen, allerdings untersuchte Bereiche gelang es zu- erst für das Hochmittelalter bezeugten dem, neue Hinweise zur Anbindung Domäne gut zu erreichen ist. des Tores an die Befestigung zu ge- Die archäologischen Nicht zuletzt bei diesem Bau galt es, winnen; demnach wurde das Tor mit Ausgrabungen im Jahre 2007 die Erhaltung des Mauerwerkes hin- den anschließenden Teilen der Um- Die jüngsten Untersuchungen stellen sichtlich einer möglichen Präsentation fassungsmauer in einem einzigen Vorarbeiten für die Konzeption des bzw. späteren Visualisierung zu prü- Bauabschnitt errichtet. Archäologischen Parks „Kaiserpfalz fen. Soweit sich das anhand der weni- Auch wurden sowohl nördlich als Werla“ dar. Sie konzentrierten sich auf gen, neu geborgenen Funde beurteilen auch südlich des Tores die bisher un- das Tor II (West-Tor) und die Kapelle lässt, kann an der Datierung des Tores bekannten Fundamente eines Erdwalls mit ihren zahlreichen Anbauten; fer- in das 10. Jahrhundert festgehalten entdeckt (Abb. 5). Seit den Grabungen ner rückten die Vorburgen in den Blick werden. Nicht nur das gesamte Fun- des Jahres 1937 wird die Existenz die- der Forschung. dament (sieben Steinlagen), sondern ses Walles diskutiert; er soll, so die Zunächst war die Erhaltung des Mau- auch Teile des aufgehenden Mauer- gängige Meinung, von einer älteren erwerkes zu prüfen, vor allem unter werkes (zwei Lagen) wurden erfasst Anlage stammen 7. Allerdings war bis- dem Blickwinkel der Konservierung. (Abb. 4). Die Erhaltung der Anlage her unklar, ob dieser Wall tatsächlich Ferner galt es, offensichtliche Lücken ist demnach als ausgesprochen gut zu die gesamte Hauptburg umschloss der alten Grabungen zu schließen. So bezeichnen. Wie die Untersuchung oder nur den nördlichen, fl achen Zu- sollten beispielsweise Hinweise auf des verwendeten Steinmaterials er- gang abriegelte. Mit der Freilegung die genauere, archäologisch zu be- gab, wurde für das Fundament sowohl des Wallfundamentes in den Berei- gründende Datierung der einzelnen Buntsandstein als auch Kalkstein ver- chen südlich des Tores ist diese Frage Gebäude gewonnen werden; zudem wendet; das Fundament wurde mit entschieden: Der Wall hat einst die waren Fragen zu möglichen Umbau- kleinen, handgroßen Bruchsteinen gesamte Hauptburg umschlossen. ten bzw. Veränderungen an den Ge- gestickt 6. Das aufgehende Mauerwerk Sowohl das Westtor als auch die Um- bäuden zu klären. hingegen hat man – soweit sich das fassungsmauer überlagern das Fun- überhaupt noch erkennen lässt – aus dament des Walles; dieser muss also Das Westtor gilt seit seiner ersten großen Quadern gefertigt; hier wurde älter sein. Allerdings bestand dieser Untersuchung in den Jahren 1937 einheitlich Kalkstein verbaut. Reste Wall, wie die Ausgrabungen des und 1938 als ein Bauwerk des 10. kalkhaltigen Verputzes belegen, dass Jahres 1963 zeigen, noch im späten Jahrhunderts; es handelt sich um ein das ehemals wohl zweistöckige Ge- 8. Jahrhundert bzw. in der Zeit um Zwei-Kammer-Tor (Abb. 3) 5. Da es bäude weiß gehalten war; da keinerlei 900 n. Chr. Damit eröffnet sich eine

Burgen und Schlösser 2/2008 69

02_Blaich.indd 69 30.06.2008 11:52:36 Uhr Markus Blaich

neue Perspektive zur Betrachtung Vorbau verbundenen baugeschichtli- den mehrere kleinere Gebäude und der Pfalz: Stammen die großen, wohl chen Fragen geklärt werden konnten, Grubenhäuser freigelegt, ferner min- gleichzeitig errichteten Steingebäude ist doch die Erkenntnis, dass es sich destens ein Verhüttungsofen. Diese tatsächlich aus der Zeit Heinrichs I., tatsächlich um originales Mauerwerk Befunde belegten nach Ansicht der oder sind sie nicht vielmehr erst in der handelt, für die Bewertung dieses Ka- Ausgräber die geschlossene, dörfl i- Zeit Ottos I. entstanden? pellenbaues von großer Bedeutung. che Besiedlung der Vorburgen. Dem- Aussagen zur Ausgestaltung der Ka- nach dienten diese zur Versorgung des Im Bereich der so genannten „Ke- pelle können nur unter großem Vorbe- Kaisers und seines Hofstaates bzw. menate“ erwies sich, dass der bereits halt getroffen werden. Spärliche Reste sollten den Unterhalt der Pfalzanlage 1938 ergrabene Estrichfußboden noch weißen Verputzes deuten auf die Ge- sichern. vollständig erhalten ist (Abb. 6) 8. Das staltung der Wände hin; an einer Stel- Angesichts dieser gegensätzlichen In- bietet für die spätere Visualisierung le haben sich Reste des gepfl asterten terpretationen erschien es unbedingt vor Ort eine hervorragende Ausgangs- Fußbodens erhalten. Mehrfach wur- erforderlich, bei den neuen Untersu- lage. den an den Innenseiten der Mauern chungen auch die Vorburgen einzu- Überraschend ist die Erkenntnis, dass Spuren eines Estrichfußbodens doku- beziehen (Abb. 7). Durch Mitarbeiter im Bereich dieses Gebäudes sowie mentiert; auch diese Befunde waren in der Johannes-Gutenberg-Universität im östlich anschließenden so genann- den Ausgrabungen der Jahre 1934/36 Mainz, Institut für Vor- und Frühge- ten „Zwischenbau“ die Grabungen bzw. 1938 unbeobachtet geblieben. schichte, wurde daher als erste Teil- 1937/38 nicht zu Ende geführt worden Die bei den Grabungen gefundenen fl äche das unmittelbar nördlich der waren; das lässt sich beispielsweise Reste bemalter bzw. glasierter Ziegel Hauptburg gelegene Areal (ca. 6 ha) an den unterschiedlichen, ebenfalls zeigen, dass das Dach des Gebäudes geophysikalisch prospektiert; die Pro- noch erhaltenen Laufniveaus erken- aufwändig gedeckt gewesen war. spektion wurde im Winter 2007/08 fortgesetzt 11 . nen. Die Dokumentation dieser Be- Anhand der geborgenen Keramik Bereits die erste, noch nicht abschlie- funde mit modernen Mitteln erlaubt kann die Errichtung der Kapelle in das ßende Betrachtung dieser Messungen es, bisher noch offene Fragen zum 10. Jahrhundert datiert werden, mög- zeigte, dass zumindest für diesen Be- zeitlichen Verhältnis der verschiede- licherweise in dessen zweiten Hälf- reich der Vorburg mit einer dichten nen Umbauten zu beantworten. Dem- te. Ein erster Umbau fand wohl im Bebauung zu rechnen ist; dabei dürfte zufolge ist die „Kemenate“ zu den 13. Jahrhundert statt, ein zweiter deu- es sich vor allem um Grubenhäuser ältesten Gebäuden auf der Pfalz zu tet sich für das 14. Jahrhundert an, handeln. Wenn die geomagnetischen zählen (10. Jahrhundert), wohingegen kann aber nicht sicher bewiesen wer- Messungen abgeschlossen sind, wird der „Zwischenbau“ deutlich jünger den. Hier wird möglicherweise die sich das Bild der Vorburgen wesent- ist (12./13. Jahrhundert). Allerdings genauere Auswertung der Altgrabun- lich erweitern lassen: Erstmals wur- stellt dieser nicht, wie bisher vermu- gen und ihrer nur ausschnitthaft pu- den annähernd 100% der Fläche un- tet, einen Anbau an die „Kemenate“ blizierten Dokumentation, verknüpft tersucht. dar; vielmehr wurde diese vor Errich- mit den Ergebnissen der jüngsten tung des „Zwischenbaues“ abgerissen Untersuchung, weitere Ergebnisse und durch das jüngere Gebäude ge- erlauben. Die Pfalz Werla und ihr wissermaßen ersetzt. Über die Gründe Umland – das Gräberfeld für diese umfassende Umgestaltung von Werlaburgdorf im Kernbereich der Hauptburg kann Die Vorburgen der Pfalz Werla Eine jede mittelalterliche Pfalz war, beim derzeitigen Stand der Grabung – mehr Fragen als Antworten nur spekuliert werden. um ihre Aufgaben als zeitweiliger Sitz Die archäologischen Ausgrabungen des Königs erfüllen zu können, auf die auf der Pfalz widmeten sich bisher Versorgung aus ihrem unmittelbaren Die Kapelle bestand aus einem lang- vor allem der Hauptburg. Von dieser Umland angewiesen. Allerdings ist rechteckigen Raum und einer halb- etwa kreisrunden Anlage wurden fast für kaum eine Pfalz die weitere Um- runden Apsis; ihre Maße betragen 75% erforscht. Die Ausgrabungen in gebung näher erforscht. etwa 32 x 8 m 9. Von ihren mächtigen den beiden Vorburgen hingegen um- Vor diesem Hintergrund verdient der Fundamenten sind nur noch spärli- fassten nur etwa 5% der Anlage. Die annähernd 260 Körpergräber umfas- che Reste erhalten, doch lässt die Di- Suchschnitte konzentrierten sich vor sende Friedhof von Werlaburgdorf be- cke der Mauern den Schluss zu, dass allem auf die Tore, den Wall und sei- sondere Aufmerksamkeit 12 . Es han- die Kapelle zwei Stockwerke hatte. nen Graben 10 . delt sich nicht nur um die größte Ne- Ein querverlaufendes Fundament im Im Jahre 1938 wurden die Befesti- kropole ihrer Art im Braunschweiger westlichen Teil des Langhauses zeigt, gungsanlagen erfasst; Gebäude hin- Land, sondern auch um die einzige, dass der Bau eine Art „Westwerk“ gegen konnten nicht entdeckt werden. die vollständig untersucht werden hatte, einen vom eigentlichen Sakral- Die Vorburgen hat man als „Heerburg“ konnte. raum durch eine Mauer abgetrennten gedeutet, als befestigte, unbebaute Diesen Friedhof nutzte eine ländli- Eingangsbereich. Eben dieser West- Fläche, in der das für die Feldzüge che Bevölkerung. Die hier bestatte- bau war in der bisherigen Forschung gegen die Slawen versammelte Heer ten Menschen lebten im Angesicht der umstritten; die Fundamentmauern lagern konnte. Bei dieser Auffassung Pfalz; sie mussten, wie es die anthro- galten zeitweilig sogar als nachträgli- spielte der „Zeitgeist“ offensichtlich pologische Untersuchung des Skelett- che Hinzufügung der Ausgräber. Auch eine nicht unerhebliche Rolle. In den materials ergab, schwere körperliche wenn nicht alle mit diesem westlichen Jahren 1958 und 1960 hingegen wur- Arbeit verrichten (Landwirtschaft,

70 Burgen und Schlösser 2/2008

02_Blaich.indd 70 30.06.2008 11:53:12 Uhr Werla – Zu den neuen Untersuchungen auf der Pfalz

Textilherstellung u. a. m.). Setzt man die Zahl der bekannten Gräber in Verhältnis zu der Nutzungsdauer des Friedhofes, so lässt sich errechnen, dass fünf bis sieben Familien am Ort wohnten. Die wenigen erhaltenen Beigaben – darunter eine Taubenfi bel – zei- gen, dass das Christentum in dieser Gemeinschaft nicht unbekannt war. Zumindest eine Familie gehörte einer etwas gehobeneren Gesellschafts- schicht an und dürfte eine führende Position innegehabt haben. Im 9./10. Jahrhundert erfasste ein tiefgreifender Wandel das sächsische Gebiet – es wurde politisch neu orga- nisiert, und das Christentum begann sich durchzusetzen. Der Friedhof von Werlaburgdorf bietet also einen ganz besonderen Blick auf die Pfalz Werla und die Folgen, die deren Errichtung Abb. 7. Das Gelände der Vorburgen, im Hintergrund der Harz mit dem Massiv für die ländliche Bevölkerung hatte. des Brocken (H. Meyer, Grabung Pfalz Werla).

Anmerkungen * Leicht erweiterte Fassung eines Vortrages, sondere ihre Datierung in den März eines 8 Siehe Seebach (wie Anm. 1), S. 49–50 und der am 5. Mai 2007 im Rahmen des Wis- jeden Jahres nicht gesichert ist. Siehe S. S. 61–63. senschaftlichen Kolloquiums der Deut- Krüger , Einige Bemerkungen zur Wer- 9 Siehe Seebach (wie Anm. 1), S. 42–47. schen Burgenvereinigung in Hildesheim la-Forschung, in: Deutsche Königspfal- 10 Die beiden Vorburgen werden von C.-H. gehalten wurde. Der Anmerkungsapparat zen. Beiträge zu ihrer historischen und Seebach nur kursorisch abgehandelt; sie- wurde bewusst knapp gehalten. archäologischen Erforschung (Veröffent- he Seebach (wie Anm. 1), S. 37. Eine 1 Zur Forschungsgeschichte ausführlich lichungen des Max-Planck-Instituts für erste Zusammenschau bietet G. Stelzer , C.-H. Seebach , Die Königspfalz Werla. Geschichte, Bd. 11/2), Göttingen 1965, Neue Ausgrabungen auf der Königspfalz Die baugeschichtlichen Untersuchungen. S. 210–264. Werla bei Schladen in den Jahren 1957 Göttinger Schriften zur Vor- und Früh- 4 M. C. Blaich/J. Weber , Im Banne des bis 1960. III: Die Untersuchungen in den geschichte, Bd. 8, Neumünster 1967, Zeitgeistes – Hermann Schroller und die Jahren 1959 und 1960, in: Neue Ausgra- S. 18–34. Die Literatur zur Pfalz Werla Ausgrabungen auf der Pfalz Werla von bungen und Forschungen in Niedersach- umfasst mittlerweile weit über 100 Titel 1936 bis 1939, in: Die Kunde, N.F. 75, sen 1, 1963, S. 238–252, insb. S. 241–246 (vgl. E. Ring , Bibliographie zur Werla- 2007 (im Druck). und S. 251–252. Hier fi ndet sich auch der Forschung, in: Harz-Zeitschrift N.F. 37, 5 Die bis heute grundlegende Monografi e Bezug auf die ältere Literatur. 1985, S. 11–35). Eine wissenschaftlichen stammt von C.-H. Seebach (siehe Anm. 11 Herrn Dr. W. Rösler und seinen studen- Maßstäben genügende Gesamtdarstellung 1); sie entstand zwischen 1963 und 1966. tischen Helfern sei an dieser Stelle noch bietet G. Binding , Deutsche Königspfal- C.-H. Seebach fasst hier die Ergebnisse al- einmal für die ausgesprochen angeneh- zen. Von Karl dem Großen bis Friedrich II. ler Grabungen zusammen, allerdings mit me und unkomplizierte Zusammenarbeit (765-1240), Darmstadt 1996, S. 168–178. Beschränkung auf die Baugeschichte und herzlich gedankt. Eine populäre, griffi ge Einführung gibt S. ohne nähere Auswertung des Fundmate- 12 Eine Gesamtdarstellung bietet M. C. Hesse , Niedersachsen (Theiss Archäolo- rials. Trotz aller berechtigten Kritik muss Blaich/M. Geschwinde , Zur Binnenstruk- gieführer), Stuttgart 2003, S. 168–170. diese Publikation bis heute als maßgeb- tur des karolingerzeitlichen Gräberfeldes Empfohlen sei zudem die kleine Mono- lich gelten. Zu den Toren der Hauptburg von Werlaburgdorf, Ldkr. Wolfenbüttel, grafi e von R. Slawski , Die Königspfalz siehe Seebach (wie Anm. 1), S. 41–42. Niedersachsen, in: Chr. Grünewald/T. Werla – Forschungsreise in das 10. Jahr- 6 Für die Diskussion der Befunde vor Ort Capelle (Hrsg.), Innere Strukturen von hundert, Braunschweig 2005. dankt der Verf. Herrn Dr. H. Zellmer, Siedlungen und Gräberfeldern als Spiegel 2 Zur schwankenden Ansprache der einzel- Geopark Harz/Braunschweiger Land/ gesellschaftlicher Wirklichkeit? Akten des nen Gebäude und der damit verbundenen Ostfalen (Königslutter). Nicht aufrecht 57. Internationalen Sachsensymposiums wechselnden historischen Deutung vgl. erhalten lässt sich die Vermutung, anhand 26. bis 30. August 2006 in Münster (Veröf- G. Binding (wie Anm. 1), S. 168. des verwendeten Baumaterials könnten fentlichungen der Altertumskommission 3 Diese Angaben nach C. Borchers , Werla- die einzelnen Gebäude zeitlich geordnet für Westfalen, Bd. XVII), Münster/Westf. Regesten, in: Harz-Zeitschrift 68, 1935, werden; so noch Seebach (wie Anm. 1), 2007, S. 109–117. Zur anthropologischen S. 15–27. Zu den sog. „Altsächsischen passim . Die Bautechnik als solche er- Auswertung und den Aspekten des frü- Landtagen“ siehe K. Brandi , Altsächsi- laubt allerdings eine grobe Einordnung. hen Christentums siehe M. C. Blaich / S. sche Landtage in Werla, in: Harz-Zeit- Für diesbezügliche Hinweise sei Herrn Grefen-Peters , Kinder, Kinder – Zur Pa- schrift 68, 1935, S. 44–49. Bei näherer Dr. M. Geschwinde (Braunschweig) und läodemographie des frühmittelalterlichen Betrachtung der relevanten Quellen ergibt Herrn Dipl.-Ing. B. Gockel (Baunatal) Gräberfeldes von Werlaburgdorf, Ldkr. sich allerdings, dass die vermeintliche Re- gedankt. Wolfenbüttel, in: Archäologie in Nieder- gelmäßigkeit dieser Landtage und insbe- 7 Siehe Seebach (wie Anm. 1), S. 35–37. sachsen 10, 2007, S. 98–101.

Burgen und Schlösser 2/2008 71

02_Blaich.indd 71 30.06.2008 11:53:13 Uhr